Besinnung auf den Grundstein - Bernard C. J. Lievegoed - E-Book

Besinnung auf den Grundstein E-Book

Bernard C. J. Lievegoed

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Beschreibung

Die Grundsteinmeditation als zentraler Text der Anthroposophie wird in dieser konzisen Studie in ihrer historischen und esoterischen Bedeutung untersucht. Insbesondere zeigt Bernard Lievegoed, inwiefern der Grundstein des Goetheanum als ein "Liebesgebilde" zu verstehen ist, dessen meditative Betrachtung uns dazu befähigen kann, "das Gute zu tun in der jeweiligen konkreten Situation".

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BERNARD C. J. LIEVEGOED, 1905 in Indonesien geboren, studierte Medizin und Kinderpsychiatrie. Nach der Gründung des ersten heilpädagogischen Instituts 1931 in den Niederlanden und seiner Promotion setzte er sich intensiv mit Fragen der Organisationsentwicklung in Unternehmen auseinander. 1954 wurde er Professor an der Universität Rotterdam und gründete im gleichen Jahr das in vielen Ländern tätige NPI (Institut für Organisationsentwicklung). Bernard Lievegoed starb am 12. Dezember 1992.

BERNARD LIEVEGOED

BESINNUNG AUF DEN GRUNDSTEIN

Aus dem Niederländischen von Frank Berger

Verlag Freies Geistesleben

Inhalt

Vorwort zur Erstausgabe

Erster Teil: Geschichtliche Hintergründe

Gesichtspunkte zur näheren Betrachtung des Grundsteins

Die übersinnliche Michaelschule und die Rosenkreuzerströmung

Zweiter Teil: Ein Weg durch den Grundstein

Der Kampf um die Menschenseele

Der Mensch als dreigliedriges Wesen

Der Aufruf zum Üben

Der dreigliedrige Mensch als kosmische Wirklichkeit

Vater, Sohn und Geist und die Hierachien

Kräfte-Geister, Lichtes-Geister und Seelen-Geister

Der vierte Teil des Grundsteinspruches

«Dass gut werde»

Über die Rhythmen

Zum Beschluss

Der Grundstein

Literaturverzeichnis

Anmerkungen

Vorwort zur Erstausgabe 1989

Am Anfang dieses Jahrhunderts inaugurierte Rudolf Steiner die Anthroposophie. Sie setzte ein als Philosophie, als «Erkenntnisweg im Denken», und wurde in der Folge zur Grundlage einer Erneuerung von Kunst und Religion und schließlich zum Impuls sozialen Handelns, der sich in den Initiativen zur Dreigliederung des sozialen Organismus, in Pädagogik, Medizin und Landwirtschaft – um nur einige Beispiele zu nennen – niederschlug.

Einen Abschluss dieser drei Phasen (1902 – 1909, 1910 – 1916, 1917 – 1923), die immer ungefähr sieben Jahre dauerten, bildete die «Weihnachtstagung» um die Jahreswende 1923/24 in Dornach. Während dieser Tagung wurde die Anthroposophische Gesellschaft als «Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft» neu begründet, und die Anfänge der «Freien Hochschule für Geisteswissenschaft», einer modernen Form dessen, was im Altertum als Mysterienschule galt, nahmen Gestalt an.

Als Grundstein dieser allgemeinen Gesellschaft und der Freien Hochschule schuf Rudolf Steiner einen Spruch, der in die Herzen all derjenigen versenkt wurde, die sich mit der neuen Gesellschaft und der neuen Hochschule verbinden wollten. Dieser Spruch, die sogenannte «Grundsteinmeditation» (häufig wird nur vom «Grundstein» gesprochen), ist das Thema unserer Betrachtungen.

Heute, da wir uns dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts nähern und mitten in einem Kampf um die geistigen Grundlagen unserer Kultur stehen, ist dieser Grundstein aktueller denn je. In diesem Geisteskampf erleben wir die Auseinandersetzung des Materialismus, der den Höhepunkt seiner Entwicklung bereits überschritten hat, mit einer erwachenden Spiritualität, die in ihren Formen schon in die Zukunft weist. Man hat den Eindruck, dass sich am Anfang dieses Jahrhunderts viele bedeutende Individualitäten gemeinsam mit Rudolf Steiner auf der Erde einfanden, um der Anthroposophie zur Geburt zu verhelfen. Nach Rudolf Steiners Tod konnte man erleben, wie Gegenkräfte versuchten, die junge Anthroposophie zu vernichten. Sie wurde von innen durch interne Auseinandersetzungen und Spaltungen, von außen durch das Regime der Nationalsozialisten bedroht. Nach 1945 hatte es den Anschein, als ob das allgemeine Kulturleben sich wieder für Geistiges öffnete. Sehr viele Menschen waren von dem ernsthaften Willen erfüllt, am Aufbau einer «besseren Welt» mitzuarbeiten. Doch schon bald standen im Zuge des Wirtschaftswunders auch solche Bestrebungen immer stärker im Zeichen des «mehr Haben», das «Sein» geriet demgegenüber immer mehr in den Hintergrund.

Die – heftige – Reaktion auf diese Entwicklungen ließ nicht lange auf sich warten: Im Anbruch des letzten Jahrhundert drittels haben wir die Revolten derer erlebt, die um die Jahrhundertmitte herum geboren worden sind und nun für ihre Vorstellungen einer zukünftigen Welt kämpften. Leider reduzierten sich die anfangs spirituellen Ziele (in Paris sprach man von der «imagination au pouvoir») sehr rasch zu einem politischen Neomarxismus mit nihilistischen Zügen. Viele wollten das Überkommene, die verstaubte Tradition zuerst einmal über Bord werfen, um danach eine neue Welt hervorzubringen, die sich auf das Prinzip der völligen Gleichheit gründete. Diese Bewegung ist heute zum größten Teil im Sande verlaufen.

Seit den Siebzigerjahren lässt sich bei Individuen und Gruppen das wachsende Streben wahrnehmen, den einseitigen Materialismus zu überwinden. Inmitten unserer materia listisch orientierten Zeit zeigt sich, dass viele auf der Suche nach neuen, spirituellen Wegen sind. Das kann hoffnungsvoll stimmen im Hinblick auf den Kampf gegen diejenigen Mächte, die sich dem Materialismus verschrieben haben und ihn zur alles dominierenden Kraft bestimmen wollen.

Vor allem nach der Weihnachtstagung 1923/24 hat Rudolf Steiner darauf hingewiesen, wie stark die Zukunft von diesem Geisteskampf am Ende unseres Jahrhunderts abhängen wird. In diesem Zusammenhang beschrieb er auch, dass viele Menschen, die eine bestimmte Vorbereitung im Übersinnlichen erfahren haben (die «Michaelschule», wir werden später ausführlich auf sie eingehen), sich zu einer Verkörperung zum Jahrhundertende entschließen würden, um an diesem Kampf gegen den Materialismus teilzunehmen. Für sie ist es von großer Wichtigkeit, den «Grundstein» als Weg und Inspirationsquelle für ihr Handeln kennenzulernen.

Für jeden, der diesen Weg geht, wird dies ein persönlicher Weg sein, der tastend gesucht werden muss. Wenn im Folgenden ein möglicher persönlicher Weg beschrieben werden soll, so bedeutet das keinesfalls, dass jeder diesen Weg in genau derselben Weise gehen muss. Unsere Betrachtungen möchten Aufforderung und Hilfe sein, den eigenen Weg zu entdecken. In den Fünfzigerjahren schrieb Willem Zeylmans van Emmichoven sein Buch Der Grundstein. Der Verfasser verdankt diesem Buch und den vielen Gesprächen, die er mit Zeylmans geführt hat, sehr viel. Wenn hier im Folgenden ein anderer Zugang zum Grundstein gesucht wird, so wird der Leser hoffentlich dennoch feststellen können, dass dieser nicht im inneren Gegensatz zu Zeylmans’ Ansatz steht.

Dieses Buch hat zwei Teile. Im ersten, kürzeren Teil wird der Versuch unternommen, den geschichtlichen Rahmen zu beschreiben, dessen Kenntnis zu einem tieferen Verständnis der Tat der Grundsteinlegung beitragen kann. Im zweiten Teil steht dann die eigentliche Hinwendung zum Grundstein im Mittelpunkt. Es sollen bestimmte Facetten dieses Grundsteins näher beleuchtet werden.

Unsere Betrachtungen tragen aphoristischen Charakter. Sie möchten in erster Linie zur Anregung eigener, innerer Aktivität und zum intensiveren Umgang mit dem Grundstein beitragen.

Das Buch wendet sich an Menschen, die die Anthroposophie kennen. Vor allem die Kenntnis der sogenannten «Karmavorträge»1 Rudolf Steiners aus dem Jahre 1924 wird, wenigstens in groben Zügen, vorausgesetzt.

B. L.

Bernard Lievegoeds Vorwort zur Erstausgabe 1989 wurde hier unverändert übernommen.

Erster Teil:

Geschichtliche Hintergründe

Gesichtspunkte zur näheren Betrachtung des Grundsteins

Man kann sich den Mantren der Grundsteinmeditation, die von Rudolf Steiner bei der Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft während der Weihnachtstagung 1923/24 gesprochen wurden, von verschiedenen Gesichtspunkten aus nähern. Die engste Perspektive wäre die Anschauung, dieser Grundstein würde nur diejenigen etwas angehen, die damals Mitglied anthroposophischer Gruppierungen in einigen, überwiegend europäischen Ländern waren, eine ziemlich beschränkte Gruppe also. Tatsächlich waren diese Menschen die ersten, die diese Inhalte in der gegebenen Form empfingen und in ihren Herzen bewahrten. An der übrigen Welt ging dieses Ereignis vorbei, wie das bei entscheidenden geistigen Ereignissen oft der Fall ist. Diese spielen sich meistens innerhalb eines kleinen Kreises vorbereiteter Menschen ab und werden erst später, im Rückblick, als Tatsachen von menschheitlicher Bedeutung erkannt.

Einen weiteren Blickwinkel eröffnet die Frage: Welche karmische Vorbereitung haben diese Menschen, die den Grundstein zuerst in sich aufnahmen, durchgemacht, um die Bedeutung dieses Grundsteins zu verstehen? Allgemeiner gefragt: Welche Vorbereitungen müssen getroffen werden, damit gewisse Menschengruppen in einer bestimmten Inkarnation reif werden, eine wichtige Aufgabe zu erfüllen? Unter diesem Gesichtspunkt erscheint der Grundstein als Meilenzeichen auf dem Wege der geistigen Entwicklung der Menschheit, die von verschiedenen geistigen Strömungen, repräsentiert durch gewisse Menschengruppen, durch Inkarnationen hindurchgetragen wird. Diesen Zusammenhang erhellen vielleicht folgende Worte Rudolf Steiners (aus dem Vortrag vom 25. 9. 1916, GA 171): «Geistiges Leben kann nicht ausgerottet werden. Geistiges Leben lebt und webt fort …». Steiner deutet in diesem Zusammenhang auf die Wirksamkeit des Templerordens in den Jahren zwischen 1119 und 1314. Selbst die gewaltsame Ausrottung des Ordens konnte der geistigen Wirksamkeit der Persönlichkeiten, die in ihm tätig gewesen waren, kein Ende machen. Unser Zitat wird von den folgenden Sätzen umrahmt: «Dasjenige aber, was in den Templern lebte und wirkte, das konnte nicht ausgerottet werden. (…) Inspiration auch des kosmischen Wissens der Templer, sie wurde immer gegeben.» Wir haben hier ein Beispiel für die Wirksamkeit einer kleinen Gruppe im spirituellen Bereich aktiver Menschen, die sich bereits auf die Kulturentwicklung einer zukünftigen Menschheitsperiode richtete.

Ein noch weiterer Horizont eröffnet sich, wenn man nicht nur die Aufgaben karmischer Gruppen ins Auge fasst, sondern die großen Strömungen der Menschheitsentwicklung über längere Kulturzeiträume hinweg betrachtet und das Ereignis der Grundsteinlegung in diesen Zusammenhang hineinstellt. Dies ist in dem gegebenen beschränkten Rahmen nur anfänglich möglich. Die folgenden Abschnitte sind daher ein Versuch, einige Zusammenhänge anzudeuten als Anregung zum eigenen Studium. Die Auswahl der Gesichtspunkte muss notwendigerweise persönlich sein, doch kann sie vielleicht ergänzt werden durch das, was andere zum Thema gesagt und geschrieben haben.

Wir beginnen mit einigen Gesichtspunkten zu den karmischen Strömungen, die, anscheinend ohne inneren Zusammenhang, im höheren Sinne jedoch gemeinsam, die großen Wendepunkte der Menschheitsentwicklung vorbereiteten.

Die Weihnachtstagung 1923/24 in Dornach, die in der Begründung einer allgemeinen, d. h. allen Menschen zugänglichen, anthroposophischen Gesellschaft gipfelte, fand in einer Zeit statt, da der Erzengel Michael Zeitgeist geworden war. In der Folge der sieben Zeitgeister im Erzengelrang, die als Planetenregenten immer abwechselnd jeweils ungefähr 354 Jahre die Kulturentwicklung leiten und ihr ihre spezifische Qualität verleihen, ist die Zeit des Sonnen-Erzengels Michael immer eine ganz besondere Periode. Geistiges Leben, das zuvor auf geografisch eher beschränkten Territorien vorbereitet wurde, breitet sich jetzt in spirituell-kosmopolitischen Impulsen über große Teile der Welt aus.

Während der letzten vorchristlichen Michaelregentschaft war es die griechische Kultur, die durch Aristoteles und Alexander den Großen über die ganze damals erreichbare Welt verbreitet wurde. Im Hellenismus wurde die geistige Grundlage späterer Kulturen bis auf den heutigen Tag gelegt.

Während der sich daran anschließenden Kulturphase regierte die tiefsinnige, dunkle Kraft des Saturn durch den Erzengel und Zeitenregenten Oriphiel. Saturn, der Geist von Tod und Auferstehung, lieferte den Stimmungshintergrund, vor dem das Mysterium von Golgatha von einer kleinen Gruppe von Urchristen erlebt werden konnte.

Darauf folgten Anael, der Venus-Erzengel, und Zachariel, der Jupiter-Erzengel. Um das Jahr 817 herum war dieser letzte Zeitraum abgeschlossen.

Alles, was sich an inniger Liebe, aber auch an scharfsinniger Gedankenbildung im Hinblick auf den Christus in jenen Jahrhunderten entwickelt hatte, führte zu einer ersten charakteristischen Ausprägung des Christentums, die einerseits in großen Bevölkerungsgruppen in Europa als «Herzensfrömmigkeit» lebte, andererseits aber zu einer von Dogmen und scharfsinniger Theologie beherrschten Kirchenkultur beitrug.

In der Zeit zwischen ca. 817 und 1170/90 herrschte dann Raphael, der Merkur-Erzengel. Die Raphaelzeiten sind immer von besonderer Wichtigkeit im Hinblick auf die Geschehnisse der jeweils nächsten Michaelperiode.

In der letzten Raphaelzeit bildete sich ein intensives Geistesleben heraus mit starken Impulsen zur Heilung negativer Kräfte im Schicksal der Menschen und der Kultur ganz allgemein. Bereits am Anfang dieses Zeitraumes ereignete sich das Gralsmysterium, es spielte sich wie das Parzivalgeschehen im neunten Jahrhundert ab. Allerdings trat es erst am Ende der Raphaelzeit, im 12. Jahrhundert, durch die Gralsromane des Wolfram von Eschenbach und Chrétien de Troyes in das Bewusstsein der damaligen Menschheit.

Innerhalb des großen Komplexes der Gralserzählungen handelt das Parzivaldrama von der Gesundung des kranken Gralskönigs Amfortas als Vertreter der am Sündenfall erkrankten Menschheit. Es zeigt uns den Entwicklungsweg des Menschen, der schließlich zu der Fähigkeit führt, einem Mitmenschen, dessen Karma in Unordnung geraten ist, helfen zu können. Der lange, mühsame Weg des Parzival führt so zur Frage an den Mitmenschen: «Oheim, was wirret Euch?», wörtlich aufgefasst also ungefähr: «Was ist bei dir in Unordnung?» – eine Frage, geboren aus der Herzensinbrunst eines Menschen, der selbst gelitten hat. Wir wollen uns hier auf diese Andeutungen beschränken, obwohl noch vieles über den Gral zu sagen wäre.

Ein zweiter großer Impuls der Raphaelzeit spiegelt sich in der Entstehung und Entfaltung der Schule von Chartres, deren Bauwerk, die Kathedrale, uns noch immer tief erfüllen kann. Die großen Lehrer von Chartres, ihrer inneren Haltung nach Platoniker, sahen es als ihre Aufgabe an, eine christliche Philosophie platonischer Prägung zu schaffen und die Grundlagen einer Universität, als Vorbild für spätere Jahrhunderte, zu errichten. In gewissem Sinne war hier die erste und zugleich letzte «Universität» in der Totalität der «sieben freien Künste» verwirklicht worden. Die Blütezeit von Chartres fällt in die Jahre von ungefähr rooo bis 1205, das Sterbejahr des Alanus ab Insulis.

Der dritte wichtige geistige Impuls manifestiert sich durch die Begründung des Templerordens (1119), der sich bereits während des ersten Kreuzzuges vorbereitete. Bis zum Jahre 1314 konnte der Templerorden sich im damaligen Europa entfalten und dabei zwei Jahrhunderte lang in wunderbarer Art wirken. Er legte die Basis einer neuen Wirtschaftskultur, die sich auf Selbstlosigkeit gründete, und sozialer Strukturen auf der Grundlage echter Brüderlichkeit – etwas, das nur durch die Durchdringung des Willenslebens mit Opferkräften entstehen konnte.

Als sich die Raphaelzeit mit ihren merkurialen Heilkräften gegen das Jahr 1200 ihrem Ende zuneigte, hatten drei karmische Gruppen Beiträge geliefert, die auf ihre weitere Entfaltung in der nächsten Michaelzeit warteten: die Gruppierung um den Gral durch die Verchristlichung des Herzens, im Symbol der Schale mit dem «rosenfarbigen Blut des Christus», in dem alle niedrigen Blutskräfte in Kräfte des Geist selbst metamorphosiert sind; Chartres, wo das dogmatische Denken eines verkirchlichten Christentums in ein aus den Kräften des Lebensgeistes aufleuchtendes Denken verwandelt wurde; und schließlich die Templer, die den Keim einer in ferner Zukunft möglich werdenden Geistesmenschenkultur gelegt hatten. Auf die Raphaelzeit folgte die Marszeit unter der Regentschaft Samaels. Vieles, was mit dem intimen Geistesleben der Raphaelzeit zusammenhing, verlor sich jetzt für die physische Welt. Dafür setzte es sich innerlich in der geistigen Welt fort, wo sich die großen Individualitäten der vorangegangenen Raphaelzeit weiterentwickelten und auf die Möglichkeit ihrer Wiederkunft in der nächsten Michaelzeit vorbereiteten. Auf der Erde herrschte geistige Finsternis, wüteten Kriege und Pestepidemien. Die Bevölkerung Europas reduzierte sich auf ein Drittel. In der Mitte des 13. Jahrhunderts hatten selbst Eingeweihte eine kurze Zeit lang keine Möglichkeit mehr, die Berührung mit der geistigen Welt herzustellen. Nur die allerstärksten Individualitäten konnten sich im Geiste behaupten – als eine leuchtende Persönlichkeit ragt in der Mitte des 13. Jahrhunderts Thomas von Aquino auf, der große Dominikaner und Aristoteliker. Doch obwohl der Nominalismus von Thomas philosophisch überwunden werden konnte, wirkte er in den folgenden Jahrhunderten immer stärker weiter, dank der Unterstützung eines Zeitgeistes, der dem Materialismus als legitimer Weltanschauung Raum gab: Samael-Mars ist der den Materialismus inspirierende Geist.

Es konnten sich, wie gesagt, während dieser Marsperiode nur die stärksten Geister spirituell behaupten. Im öffentlichen Leben war nur sehr wenig davon bemerkbar. Aber ähnlich wie sich in der Raphaelzeit das Mysterium des Grals im verborgenen abspielte, so musste auch jetzt diejenige Geistesströmung, die die Entwicklung intimer Herzenskräfte betrieb, ganz im Verborgenen wirken.

In der Mitte des 13. Jahrhunderts wurde, im Moment der größten Geistesfinsternis, die Strömung des Rosenkreuzertums vorbereitet, um dann später, im 15. Jahrhundert, immer stärker an das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Die Schrift Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreuz anno 1459 markiert diesen Moment historisch.