Besser Second Hand als zweite Wahl - Susanne von Loessl - E-Book

Besser Second Hand als zweite Wahl E-Book

Susanne von Loessl

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Beschreibung

Antonia Haberland hat endgültig genug: Erst verliert sie bei einem tragischen Autounfall ihren geliebten Ehemann und dann versuchen auch noch ein paar raffgierige Bankangestellte sie um Haus und Erbe zu bringen. Ein Glück, dass Antonia so gute Freunde hat! Während die junge Frau kurzerhand in die Toskana fährt, um einen klaren Kopf zu bekommen und sich von der italienischen Lebensfreude anstecken zu lassen, sagen ihre resolute Haushälterin Elfriede und ein spitzfindiges Anwaltsduo ihren Widersachern den Kampf an. In weiten Rollen: Ein unwiderstehlicher Traummann, eine Teeanager-Tochter auf Abwegen und ein treuherziger Vierbeiner. Urkomisch, herzerwärmend und mit der richtigen Prise Romantik erzählt Bestsellerautorin Susanne von Loessl die Geschichte eines Neuanfangs.

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Seitenzahl: 258

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Susanne von Loessl

Besser Secondhand als 2. Wahl

Roman

Copyright der E-Book-Originalausgabe © 2016 bei hey! publishing, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Umschlagabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-95607-154-6

www.heypublishing.com

Alter schützt vor der Liebe nicht, aber Liebe vor dem Alter.

COCO CHANEL

„Bitte treten Sie näher“, hatte der Tod zu Lennard Haberland auf der A7 zwischen Padborg und Harrisle gesagt. Geblieben waren seiner Frau Antonia ein Plastikbeutel mit seinen persönlichen Gegenständen und eine unendliche Traurigkeit.

Ein ausgerutschter Frühlingstag im März mit fast sommerlichen Temperaturen hatte die Hamburger in T-Shirts und weiße Blusen getrieben. Antonia stand mit zwei leeren Weingläsern, die sie beim Abräumen gedankenverloren in die Finger geklemmt hatte, an der Terrassen-Brüstung vor dem großen Esszimmer und sah dem Kommen und Gehen der Schiffe auf der Elbe zu. Ihre freie Hand tastete Halt suchend nach der von Lennard.

„Frau Haberland. Frau Haberland …“, zögernd trat Elfriede Petersen nach draußen. „Wir wären dann fertig, Frau Haberland. Frau Haberland …“ Elfriede Petersen nahm Antonia die Gläser ab.

„Bitte entschuldigen Sie, Frau Petersen, ich war eben so weit weg, habe ich lange hier draußen gestanden?“

„Ist schon in Ordnung. Ich wollte nur sagen, es ist alles aufgeräumt und die Leute vom Catering-Service sind auch schon gegangen.“

 Antonia lächelte Frau Petersen dankbar an.

„Frau Haberland, Sie müssen doch erst einmal wieder zu sich kommen. Sich mit der Veränderung abfinden, mit der Endgültigkeit.“

Sie wollte zurückgehen, da drehte sie sich noch einmal zu Antonia. Ströhbeck von der Bank hatte sie zur Seite genommen und ihr aufgetragen, sie sollte Frau Haberland ausrichten, er erwarte dringend ihren Anruf.

„Dringend“, hatte er gesagt und seinen Zeigefinger steil in die Luft gestellt. Dieser Unsympath. Selbst bei Beerdigungen dachte er nur an Geld. Woran sollte man auch sonst denken, wenn man so aussah wie Ströhbeck. Das war nicht Bert aus der Sesamstraße. Das war Bert vom Ballindamm.

Direktor Zacharias Ströhbeck!

Die Petersen entschied, das kommt überhaupt nicht in Frage, Antonia Haberland sollte ihre Ruhe haben. Vor allem heute.Der Tag war schlimm genug. Und was konnte schon so wichtig sein, dass es nicht Zeit bis morgen hätte.

„Ströhbeck! Pfffft.“

Als Elfriede Petersen die schmale, völlig verloren wirkende Antonia Haberland an der Brüstung lehnen sah, ergriff sie eine Welle aus Mitleid und ehrlicher Zuneigung. Die arme Frau. Von nix auf gleich Witwe, mutterseelenallein, kein Rind, kein Kind, kein Nix. Kein Garnix, nich mal ’n Hund. Elfie Petersen schluchzte trocken, Antonias Elend schlug über ihr zusammen, Tränen schossen ihr in die Augen, Antonias Elend, war auch ihr Elend.

Elfie Petersen lehnte sich in die Türfüllung, um irgendwo Halt zu finden.

„Ach, Frau Haberland“, schnuffelte sie und wischte sich mit dem Handrücken die Tränen vom Gesicht. „Entschuldigen Sie.“

Antonia ging zu ihr und nahm sie in die Arme. Die tagelange Anspannung, unter der auch Elfie Petersen gestanden hatte, löste sich. Sie weinte hemmungslos.

Antonia wiegte die kleine Frau in ihren Armen, roch ihre lavendelfrische Haut, strich ihr übers Gesicht und schob nebenbei eine baumelnde Haarnadel zurück in Elfriedes Frisur.

„Ach, Frau Haberland. Eigentlich müsste ich doch, ich meine Sie … trösten … danke, dass ich weinen kann …“

Elfriede lag in Antonias Armen, beide sahen der Elbe beim Ins-Meer-fließen zu.

Elfriede sagte leise und stockend: „Alle Wasser fließen ins Meer und doch fließt es nie über, denn an den Ort, wo sie her fließen, fließen sie irgendwann wieder zurück … Hab ich behalten, hab ich mal im Kindergottesdienst gehört … Vor hundert Jahren.“ Sie lächelte zaghaft.

„Es ist schön“, antwortete Antonia, „beruhigend … Alle Wasser fließen ins Meer …“

Der Gong der Hausglocke holte die Frauen aus ihren Gedanken, aus ihrer Stille.

Elfriede signalisierte per Handzeichen: Bleiben Sie, ich gehe.

Eilig durchquerte sie die Räume, kurzatmig von den vielen Tränen keuchte sie „Ja?“, während sie schwungvoll die Tür öffnete.

„Herr Dr. Ahlers, Sie? Aber die Beerdigung war schon, ich meine um 11:00 Uhr, es war schon, wie gesagt“, stotterte sie.

„Darf ich reinkommen?“

Elfriede nickte. „Selbstverständlich, bitte.“

Sie nahm Ahlers den Mantel ab. „Frau Haberland ist draußen, auf der Terrasse.“

Robert Ahlers war erst vor zwei Stunden nach einem dreimonatigen Einsatz in Somalia in Hamburg Fuhlsbüttel gelandet.

Wieder zuhause, hatte er sich ausgiebig seine Reisemüdigkeit von den Knochen geduscht, zwischenzeitlich die Espressomaschine angeworfen.

Mit einem starken Espresso wollte er sich an den Schreibtisch setzen und in aller Ruhe angesammelte Post durchflöhen, da hörte er Schritte.

Tochter Sonya kam aus der Schule.

Ein sehr hübsches Kind von borstigen siebzehn Jahren. „Hey. Schon da?“

„Wie du siehst.“ Er ging auf sie zu, um sie zu begrüßen.

„Guten Tag, Sony“, er wollte sie in die Arme nehmen, doch sie wehrte ab.

„Alles in Ordnung?“

„Klar. Siehst du doch, du Pingelheimer. Es blitzt und blinkt, will sagen, hält jeder spontanen Rückkehr stand, oder?“

„Kind, das meine ich nicht, ich will wissen, wie es dir geht?“

„Alles easy, Paps. Du bist ja superbraun. Cool. Siehst prima aus.“

„Na wenigstens weißt du noch, wer ich bin. Komm umarm deinen Vater, Sonya.“

„Paps, sei nicht kindisch.“ Sie wollte in ihr Zimmer gehen. „Ach, übrigens soll ich dir von Veit ausrichten, dein Pferdebild ist verkauft und noch was, Lennard Haberland ist tot.“

Das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Doch nicht Lennard, sein Freund Lennard.

„Wer sagt das? Woher weißt du das?“ Ahlers ließ sich in den nächsten Sessel fallen.

„Stand groß in der Zeitung und unter der Post war eine Anzeige.“

Sie ging zum Schreibtisch und zog unter den diversen Briefen und Drucksachen die Traueranzeige hervor und reichte sie ihrem Vater. Seine Hände zitterten, er öffnete den Trauerbrief. Still und versteinert saß er da und die Tränen liefen ihm übers Gesicht.

„Hier“, seine Tochter hatte ihm einen Wodka eingeschenkt. Zaghaft legte sie ihm ihre Hand auf die Schulter. „Mensch Paps, komm, sei nicht so traurig.“

„Sonya, er war mein bester Freund. Wir kennen uns seit 1970, da waren wir knapp 16 Jahre alt und jetzt soll er nicht mehr da sein?“

Sonya spürte seine Verzweiflung und plötzlich tat es ihr leid, so cool, so kalt zu ihm gewesen zu sein. „Paps“, stammelte sie. „Noch ein Schnaps?“

Robert Ahlers dankte, stand auf, um ins Bad zu gehen und sich kaltes Wasser über das Gesicht laufen zu lassen, da spürte er die Hand seiner Tochter auf seinem Rücken. Er drehte sich um und Sonya fiel ihm in die Arme. Beide hielten sich ganz fest.

„Schön, dass du wieder zuhause bist, Paps.“ Dann verschwand sie eilig in ihrem Zimmer.

„Heute möchte ich euch einen neuen Schüler vorstellen“, hatte Klassenlehrer Böhme gesagt und auf den neben ihm stehenden Schlacks gezeigt, „er heißt Robert Ahlers, Prof. Dr. Ahlers ist Tropenmediziner, er und seine Familie …“

„Typisch Böhme“, zischelte Hagedorn, „wenn man den lässt, sabbelt der drei Stunden.“

„Verzeihung, Herr Dr. Böhme“, hatte sich selbstsicher Robert Ahlers zu Wort gemeldet, „das werde ich meinen neuen Klassenkameraden schon bei passender Gelegenheit selber erklären.“

„Hach ja, bei Tee und Gebäck“, juchzte Hagedorn dazwischen und fing sich einen strafenden Blick von Mitschüler Schrader ein. Pascale Schrader, Calle Schrader, wie er allgemein genannt wurde, verstand da keinen Spaß.

Aber ein ganz Hübscher war der Neue schon.

„Tja Haberland, jetzt haste die Konkurrenz in der Klasse. Spieglein, Spieglein an der Wand, jetzt guckt er doof, der Haberland.“

„Zong“, sagte Haberland und klatschte Hagedorn mit der flachen Hand auf den Hinterkopf.

Das sah Böhme. „Hagedorn, Sie setzen sich au

f den freien Platz zu Schrader. Und Robert Ahlers setzt sich zu Lennard Haberland.“

„Das tut mir nun aber leid, Callemäuschen, dass der Neue nicht neben dir sitzt“, flötete Hagedorn gespielt.

„Aber mein Putzili, wir machen das Beste daraus, gelle?“ Er klimperte mit den Augendeckeln.

„Du bist noch ein richtiges Kind “, mokierte sich leicht angewidert Pascale Schrader.

„Ja, Weihnachten im Julklapp will ich von dir einen Teddy. Brumm-brumm.“

„Ha-ge-dorn!“, quäkte entnervt Böhme.

Hagedorn signalisierte, dass er um Vergebung bat und wie Böhme Ahlers per Handzeichen zu Haberland beorderte, kraulte er Calle an dem ihm zugewandten Ohr. „Brumm-brumm!“

„Du gehst mir schon jetzt auf die Nerven“, stellte Schrader fest und strich sich die Haare glatt.

„Ich denke, wir werden es miteinander aushalten“, sagte Robert zu Lennard, „Wie stehst in Mathe?“

„Zwei.“

„Brav. Und Deutsch?“

„Auch Zwei“, antwortete Lennard.

„Brav. Da werfe ich mal meine Zwei in Latein dazu.“ Robert grinste.

„Brav. Dann mal auf gute Zusammenarbeit.“ Lennard streckte ihm die Hand hin, „ich hab nämlich in Latein eine satte vier.“

So fing alles an im altehrwürdigen So fing alles an im altehrwürdigen Johanneum in der Maria-Louisen-Straße in Hamburg-Winterhude.

„Antonia … es, es tut mir so leid … ich weiß nicht, was ich sagen soll, wie ich dich trösten soll, ich fühle mich so hilflos …“

Antonia legte ihm ihre Hand auf den Mund.

„Pscht“, sagte sie sanft, „schön, dass du da bist.“

Behutsam nahm er sie in die Arme.

Eine Stunde später stand Antonia zum zweiten Mal an diesem Tag an Lennards Grab. Robert hatte Antonia gebeten, mit ihm zu kommen.

„Wir haben soviel zusammen gelacht, heute möchte ich mit dir traurig sein.“

Schweigend standen beide vor dem Meer von Blumen. Plötzlich musste Robert lächeln. Antonia sah ihn fragend an.

„Da, der Kranz …“ Er zeigte auf einen üppigen Kranz aus Hunderten von weißen und roten Nelken.

Antonia verstand nicht, warum Robert lächelte. Die Hanseaten schicken immer, ganz gleich zu welchem Anlass, ihre weißen und roten Nelken, egal, ob es sich um eine Schiffstaufe, einen runden Geburtstag, ein Firmenjubiläum handelt, überall findet man diese Nelken.

„Lennard war dagegen allergisch, hast du das nicht gewusst? Er hat die ganze Abi-Feier zu geniest, es fing zaghaft an und endete dann mit wagnerianischem Ausmaß, so mit viel Horn und noch mehr Trompeten. Und immer an den leisen Stellen. Nach jedem wichtigen Satz kam sein Hatschi, es wurde eine lustige Abi-Feier. Der Hausmeister hat, damit wenigstens ein bisschen Ruhe einkehrte und die Feierlichkeit nicht nur verlacht wurde, das Riesenbouqet vorne am Mikrofon entfernt … Mein Gott, war das komisch …“ Robert hing seinen Gedanken nach.

Lennard … Er legte seinen Arm um Antonia. So standen beide eine ganze Weile. Ein sanftes, ruhiges Abschiednehmen.

„Lennard, wir lieben dich“, sagte Robert.

„Du wirst immer ein Teil unseres Lebens sein“, ergänzte Antonia.

Sie sah Robert fragend von der Seite an. „Was machen wir denn nun mit dem Nelkenkranz?“

„Anton …“ Er nannte sie nach langer Zeit zum ersten Mal wieder Anton. „Was meinst du?“

Sie zögerte … “Na ja, … wenn Lennard dagegen allergisch ist …“

„Du bist hinreißend.“ Er lächelte. „Du meinst, wir sollen ihn … Meinst du das?“

Sie nickte.

„Von wem ist er denn überhaupt“, fragte Robert und pfriemelte die vom Wind verwehte Schleife auseinander.

Barkhausen Bank Ballindamm prangte es in üppigen güldenen Buchstaben.

Frau Petersen war gegangen, sie hatte einen kleinen Imbiss unter eine Silbercloche gestellt und für zwei Personen gedeckt. Antonia bat Robert zu bleiben.

Robert berichtete von seinem Somalia-Einsatz. Um sie und sich auch ein bisschen abzulenken. Er erzählte ihr auch von seinem Spontan-Einsatz, den er für einen erkrankten Kollegen kurzfristig übernommen hatte. Aufbau einer ambulanten Station im Kosovo.

„Ich klettere also schon übermorgen in eine Transall. Im Frühsommer bin ich zurück, dann kümmere ich mich wieder ausgiebig um meine Praxis und natürlich um Sonya. Eins, zwei, drei ist sie sonst erwachsen und aus dem Haus.“

Nur weil Robert und Sonya so ein intaktes Vater-Tochter-Verhältnis hatten, sich aufeinander verlassen konnten, war es für Robert möglich, zu einem solchen Einsatz wie Somalia und nun dem Kosovo fliegen zu können.

„Paps, mach das“, hatte sie ihn ermuntert als das Angebot kam. „Du musst mal raus, du kannst dich auf mich verlassen, außerdem ist Frau Schaetler da, ich bin siebzehn, Paps. Siebzehn! Da sind andere permanent auf der Rolle.“

Es fand sich eine Vertretung für die Praxis und Frau Schaetler legte den Oberschwester-Gerda-Eid ab, ein Auge auf alles zu haben und zwinkerte Sonya verschwörerisch zu und signalisierte: Wir machen das schon.

„Du bist seit siebzehn Jahren an mich gekettet, Paps, du musst mal raus. Nicht nur Kind, Küche, Kirche “, sie küsste ihn rechts und links auf die Wangen.

Robert Ahlers war ein glücklicher, stolzer Vater.

Es hatte ihn damals 1982 als Assistenzarzt in den Großraum Bremen verschlagen.

Gut, Bremen und Umgebung boten nicht das Night-Life von Hamburg, aber zu feiern gab es immer etwas. Staatsexamen, Einstand, Ausstand, Einzug, Umzug und Diskussionsabende im privaten Kreis, umräuchert von Gauloise, selbstgedrehten Javaneese Jongens, Felix-knusperfrisch-Erdnüssen und Rotwein. Irgendwann saß Beate dazwischen auf dem Teppich.

Sie war genauso hübsch wie handgestrickt. Beate, die Web-Kate! Sie hatte soviel Anliegen. Sie war kurz vor dem Abschluss ihres Philosophie-Studiums. Thema ihrer Abschlussarbeit: Mythos Oedipus. Symbol einer archetypisch seelischen Entwicklung.

Normalerweise wären bei Robert alle Lichter angegangen, aber in ihm war der Neandertaler erwacht, wie Lennard sich später ausdrückte, er wollte das Weibchen in die Höhle ziehen und sei es am Batikschal.

„Großartig“, balzte er. „Imponierend! Ich arbeite derzeit an einen Symposium zu dem Thema Krankheit als Sprache der Seele“, log er. Und hatte bereits eine Hand auf Beates Strickzeug. Andächtig, mit verklärtem Blick hing Beate an seinen Lippen. Robert schwafelte von indischem Karma und Dharma und das alles nur um Beate in die Buntkarierten zu bekommen.

Schlafend und ausgezogen war sie ein bildschöner Männertraum, aber wehe, wenn sie wach geworden und sich wieder in die Naturfaser warf. Beate, oder die Öko-Variante zu Jekyll und Hyde.

Die Zeit mit Beate waren vierzehn strapaziöse Tage und vierzehn hinreißende Nächte.

Robert lernte alles über Buddhismus, Taoismus und die einmalige Vereinigung zum Zen.

„Qi Gong“, sagte Beate.

„Gesundheit“, antwortete höflich Robert.

Beate guckte doof über ihren angekauten Apfel auf Robert. „Ich sagte Qi Gong und wollte dich fragen, ob du dich schon mal mit der Thematik beschäftigt hast.“

Nun guckte Robert doof. „Nö.“

„Ich befasse mich zur Zeit damit. Qi Gong, das ist eine chinesische Heilslehre und heißt wörtlich: mit der Lebensenergie arbeiten.“

Robert trat vor Beate, nahm ihr den angebissenen Apfel aus der Hand.

„… was soll das, das ist wahnsinnig interessant. Robert Ahlers, hör mir doch mal zu. Es gibt so viele Gruppen des Qi Gong …“

Robert küsste sie. „Toll, alles toll“, sagte er weiter küssend.

„Was machst du, Robert.“

„Qi Gong, mit Lebensenergie arbeiten.“

Lennard Haberland lernte Beate anlässlich eines Wochenendbesuches kennen. Er mochte sie von Herzen nicht. Ablehnung pur auf Gegenseitigkeit.

„Was ist das denn, Robert, welche Phase lebst du denn gerade aus?“

Okay, sie ist hübsch, außerordentlich hübsch, aber, ach nee, das war doch keine Frau für seinen Freund Robert. Nein, wie schrecklich. War das Determination oder Schicksal für Freund Robert?

Nach ausgedehntem Spaziergang und plötzlichem Regenschauer suchten sie Zuflucht in BathildesTeestube, einem Lieblingstreff von Beate. Über den Rand ihrer dampfenden Teetasse musterte Beate argwöhnisch Lennard Establishment, wie sie ihn nannte.

Es dauerte nicht lange, da versuchte Beate Stunk mit Lennard zu machen. Robert und Lennard amüsierten sich über BathildesTeestübchen und frozzelten, ob Chlodwig wohl die Kekse bäckt.

„Und welcher Chlodwig backt sie denn, mein Puppelchen?“, fragte Robert.

„Es ist der Zweite, der Chlodwig, Meister“, antworte Lennard.

„Ihr seid mir viel zu albern, wie kann man in Zeiten wie diesen so oberflächlich an allem vorbeigehen?“, zickte Beate.

Lennard sah sie an. „Humor auf Wunsch an der Abendkasse.“

Beates Augen blitzten. „Wo wart ihr denn in den Sechzigern? Wo wart ihr? Wir waren in den Sechzigern auf der Straße! Und ihr? Beim Tennis!“

Robert reiste schon am Samstag zurück, diese Provinz-Schwarzer ging ihm auf die Nerven. Er kannte sie ja nur am Tage …

Nee, diese Misses Ich-weiß-das-alles konnte er nicht länger ertragen, er reiste ab. Bloß weg!

Lennard war ins Auto gestiegen und Robert lehnte in der geöffneten Fahrertür.

„Wenn ich dich so ansehe, Robert, weiß ich, Freud und Leid liegen eng beieinander, apropos eng, genieß wenigstens die Nächte … Man sieht sich.“ Er schloss die Autotür und startete seine Ente.

Am liebsten hätte Robert ihm hinterhergerufen: Ich will mit!

Eines Abends, Robert kam todmüde von Nacht- und Tagdienst nachhause, war da eine dickliche junge Frau mit viel Schal, gewandet in einen Riesenpulli mit keltischem Strickmuster, dazu trug sie eine Frisur, die man mittels eines Sylvesterkrachers auf Volumen gestylt zu haben schien.

„Hallo, ich bin Gudrun. Ich hole Beas Sachen.“

„Warum?“ Mehr fiel Robert nicht ein, schließlich war er ein überrumpelter Mann.

„Schluss! Aus! Bea kommt zu mir zurück.“

Gudrun grapschte und stopfte in Jute, was von Bea in der Wohnung lag.

„Du willst doch nicht sagen, Beate und du …“

„Es war so, es bleibt so, da wird auch ein Schönling wie du, oder meine drei Wochen Selbsterfahrung in Poona nichts ändern.“

Poona, Selbsterfahrung, die dicke Gudrun … Robert fing an zu lachen. Er vergaß vor lauter Lacherei sogar, Gudrun, die sich mit Beuteln und Taschen ins Freie zwängte, die Tür aufzuhalten.

„Der Siege göttlichster ist das Vergeben“, rief er Gudrun hinterher.

Was sollte denn nun der Quatsch? Wer vergab hier nun wem?

Völlig wurscht, er war wieder frei und das war gut so.

Ferien auf Lesbos, nannte Lennard Haberland rückblickend die wilden zwei Wochen Roberts im Oktober 1982 mit der schönen Beate.

Alles wäre ja noch witzig und im Nachhinein eine weißt-du-noch-ich-hab-mich-damals-halbtot-gelacht-Nummer gewesen, wenn, ja, wenn da nicht der an sich herrliche Tag im November 83 gewesen wäre.

Später fing die Geschichte mit den Worten: An einem Freitag im November an …

An diesem Freitag kam Robert bester Laune aus dem Krankenhaus. Er hatte in seinem geliebten Hamburg eine Festanstellung in einer Chirurgischen Ambulanz eines großen Krankenhauses bekommen. Noch war er einer unter vielen, aber er hatte seinen Ehrgeiz.

Er parkte seinen Wagen gegenüber seiner Wohnung unter den Kastanien. Drüben auf der anderen Straßenseite, vor seinem Wohnhaus, hockten auf den Stufen zwei Frauen. Sicher wollen die wieder Handlesen, oder sind Zeugen Jehovas auf Überzeugungstour, dachte Robert.

Wären sie es doch nur gewesen! Aber es waren Beate und Gudrun.

„Hallo“, sagte Robert leicht angespannt fröhlich. So ganz wohl war ihm nicht, die beiden Bremer Moorhexen waren doch nicht grundlos vor seiner Haustür.

„Na Mädels, wie geht’s?“

„Gut soweit. Wir bringen dir dein Kind.“ Anstatt einer Begrüßung knallte ihm Gudrun zack-bumm den Satz hin.

„Wie bitte, ich glaube ihr spinnt“, er lachte unsicher.

„Es stimmt schon, hier.“ Beate hob ihren Poncho an. Da lag tatsächlich ein Baby in einem Tuch, das Beate umgebunden hatte.

„Sonya ist etwas über zwei Monate“, erklärte sie Robert.

Robert fing an zu stammeln. „Ihr spinnt, was soll der Blödsinn, nee, nee, das ist nicht wahr, was soll das?, ich und ein Kind … Das soll von mir sein, ihr spinnt doch.“

„Von mir kann es wohl schwer sein“, meldete sich erneut Gudrun zu Wort. Beate hatte noch gar nichts gesagt.

„Sag doch auch mal was“, bat Robert. „Aber lasst uns in die Wohnung gehen, bitte.“

Nervös fingerte er den Schlüssel ins Schloss.

Er und ein Kind! Die Weiber sind total überspannt!

In der Wohnung schälten sich die Frauen aus ihren Gewändern.

Wie Artischocken, dachte Robert, übrig bleibt wenig Mitte oder auch nicht. Denn da hing er nun, der in safrangelb gebündelte Säugling vor Beates Bauch, und verschlief die Weichenstellung für sein Leben in den nächsten Jahren.

Es ist schon ein Phänomen, kaum ist ein Kind geboren, hängen sich viele Frauen ihren Bauch wieder freiwillig um. Beate auch.

„Bitte setzt euch. Kann ich euch etwas anbieten? Kaffee, Tee, ich hab auch Grünen?“, warf er rasch ein, denn er hatte das Gefühl, mal etwas Nettes sagen zu müssen.

„Oder ein Wasser, Saft …“

Die Frauen ließen ihn erneut abtropfen.

„Nein, danke.“ Gudrun strich den Rock glatt, griff sich in die Haare, hielt sie im Nacken mit beiden Händen zusammen, ließ sie wieder los, sie sprangen aufgrund der Masse auseinander und bildeten einen rosshaarähnlichen Heiligenschein um ihr Gesicht.

Die ist zwar dick, aber sie hat ein schönes Gesicht, stellte Robert fest. Gudrun die Rosshaarheilige aus Syke bei Bremen.

„Tja“, sagte sie dann, „nun zur Sache“, und setzte sich.

„Wir sind übereingekommen, dir Sonya zu überlassen. Sie ist aus dem gröbsten heraus. Wir wollen unseren Weg gehen und können uns nicht mit einem Kind belasten.“

„Halt, halt, Mädels, das ist ein Kind und kein Dackel“, sagte jetzt Robert, der langsam wieder zu sich kam.

Die Debatte mit den Frauen ging noch über zwei Stunden und endete mit dem alleinerziehenden Vater Dr. Robert Ahlers.

Die letzten Tage hatten für Antonia nichts Reales, sie war wie in Trance durch die vergangene Woche gegangen, hatte wie eine perfekt programmierte Maschine funktioniert.

Vor einer halben Stunde war Robert gegangen. Am gegenüberliegenden Elbufer blinkten die ersten Lichter und Lampen auf. Lichter, die sonst Ruhe und Behaglichkeit ausstrahlten, signalisierten nun Endlosigkeit, stundenlange Einsamkeit. Das große Haus war ohne Lennard leblos und leer. Niemand war da, der Antonia ihre Einsamkeit erträglicher machte.

Selbst ihre beste Freundin, die sonst bei jeder kleinen Erkältung nachtschwesterlichen Rundumdienst anbot, war als eine der ersten gegangen. Merkwürdig.

Auch Molly Böhland, nicht gerade eine beste Freundin, war schnell weg. Molly Böhland war keine enge Freundin Antonias, doch sie gehörte zum begleitenden Hühnerstall. Zweimal in der Woche durchaus erträglich.

Auch Molly hatte sich gegen ihre sonstige blonde Herzlichkeit relativ kühl von Antonia verabschiedet. Warum?

Trauer und Verzweiflung krochen in Antonia hoch.

„Was seid ihr für Freundinnen, der einzige Mensch, der nett zu mir ist, ist Elfriede Petersen“, halblaut murmelte sich Antonia ihren Verdruss von der Seele.

Ach ja, Robert war auch noch nett. Schade, dass er übermorgen wieder zum Einsatz musste. Mit ihm hätte sie wenigstens von Zeit zu Zeit reden können.

Robert Ahlers, Lennards bester Freund seit fast dreißig Jahren …

„Heute Abend stelle ich dir meinen chaotischen Freund Robert vor“, sagte Lennard und lachte, „wenn du ihn kennen lernst, weißt du mich und meine hanseatische Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Ordnung zu schätzen.“

„Wie furchtbar. Hast du tatsächlich all diese schrecklichen Krankheiten? Iiih …“ Lachend war sie Lennard am Elbstrand davongelaufen.

„Vorsicht, Ferretti, bring dich in Sicherheit. “ Er rannte hinter Antonia her, sie stolperte und landete auf dem feuchten Elbsand. Lennard sprang an ihre Seite, beide kullerten kreischend, kichernd, küssend über den Strand.

Mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken liegend und nach Luft ringend lag Antonia neben dem japsenden Lennard. Plötzlich beugte sich Lennard über sie. „Antonia, willst du mich heiraten?“, fragte er atemlos.

Antonias Augen blitzen, sie sprang auf. „ Einen aufrechten Hanseaten mit Macken?“

„Wart ab, Ferretti, gleich gibt’s etwas auf die italienische Hälfte deines entzückenden Hinterns.“

Kreischend rannte sie davon. „Das sag ich deinem Vater!“

„Alte Petze!“ Lennard sprang auf und zog die davonlaufende Antonia am Pulloverzipfel zurück auf den nassen Elbsand.

Von irgendwoher gesellte sich ein ziemlich großer Hund dazu und mischte kräftig mit. Ein Knäuel aus Hund, Antonia und Lennard kugelte über den Sand.

„Elvis, lass den Quatsch!“ Ein Junge mit Kieksestimme versuchte zu trennen und Elvis dazu zu bringen, abzulassen. Der dachte nicht daran. Toben macht Spaß! Hechelnd, mit heraushängender Zunge und schiefer Kopfhaltung, musterte er Antonia, um ihr dann kurzentschlossen quer durchs Gesicht zu schlecken.

„Elvis, lass den Quatsch. Keine Angst, der tut nichts, der mag Sie."

„Ich sie auch“, strahlte Lennard und wehrte eine Sandfontäne, die Elvis mit den Hinterläufen in die Luft wirbelte, ab.

„Elvis, lass den Quatsch!“

Irgendwann ließ Elvis den Quatsch und legte sich Stolz über seine Taten zu den panierten Menschen.

Elvis und der Junge waren schon kleine Schattenrisse am Horizont, als sich Antonia und Lennard aus ihrer Umarmung lösten.

Antonia sah Lennard an und nickte: „Ja, ich will. Für immer und immer.“

Es dauerte noch einmal zehn bis hundert Minuten, bevor sich beide berappelten und den Rückweg antraten. „Zwei Schnitzel auf dem Weg zum Fünfuhrtee“, stellte Lennard fest.

„Wie seht ihr denn aus?“, fragte staunend Haberland Senior.

„Wir sind unter den Hund gekommen“, antwortete Antonia ernst, aber ihre Augen sprühten und funkelten vor Lebenslust.

Abends im NRV, Hamburgs noblem Segel- und Ruderclub, stellte Lennard der Lacoste-Armada Antonia als die zukünftige Frau Haberland vor. Robert kam etwas später dazu. Er sah Antonia, pfiff durch die Zähne und vergaß, seine Freunde zu begrüßen. Robert erglühte wie ein zu voller Koksofen.

„Hey. Hey“, Lennard stupste Robert in die Seite, „ich bin es, ich, dein bester Freund Lennard, hallo?“

Robert sagte, ohne die Augen von Antonia zu lassen: „Grüß dich, mein Alter … ist die toll …“

„Weiß ich, aber die ist nu wech“, antwortete Lennard. „Wir werden heiraten.“

„Da würde ich aber schnell machen, so wie der guckt“, meinte Hagedorn.

„Der guckt nicht, der giert“, senfte Calle Schrader maliziös dazu. Dann war es, als hätte jemand in imaginäre Hände geklatscht und Robert war wieder auf der Erde. Er stellte sich Antonia vor und beglückwünschte beide.

„Wenn ihr heiratet, lasst mich eure Brautjungfer sein“, bettelte Robert.

Er wurde Trauzeuge.

… ach Robert, dachte Antonia .Und zog die Vorhänge zu.

Frau Petersen werkelte in der Küche, um Antonia ein kleines Frühstück hinzustellen. Sie war noch nicht runtergekommen.

Spät war sie eingeschlafen und die Schlaftablette noch nicht abgeschlafen.

Das Telefon läutete. Viel zu laut, dachte die Petersen.

Leise meldete sie sich.

„Ströhbeck“, knarzte es an der anderen Seite der Leitung, „Barkhausen Bank.“

„Guten Morgen, Herr Dr. Ströhbeck “, flüsterte Elfie Petersen.

„Was flüstern Sie denn so, können Sie nicht normal sprechen?“

„Nein, Frau Haberland schläft noch.“

„Ach, das ist ja interessant. Die werte Dame schläft noch“, stellte Ströhbeck fest.

„Jawohl, sie schläft noch. Wenn Sie Ihren Mann verloren hätten, wären Sie auch um jede Stunde Schlaf dankbar, Herr Direktor Dr. Dr. Ströhbeck!“

„Ich muss doch sehr bitten“, reklamierte Ströhbeck.

„Sie können bitten soviel Sie wollen, ich wecke Frau Haberland nicht. Wir …“, sie sagte tatsächlich wir und breitete damit schützend ihre Hände über Antonia. „Wir melden uns nach dem Frühstück. Auf Wiedersehen, Herr Doktor-Doktor.“

Sie legte den Hörer zurück und pustete sich entschlossen eine Stirnlocke, die ihr vor der Nase baumelte, aus dem Gesicht.

Das wollen wir doch mal sehen, dieser Herr Direktor Wichtig.

Um 14 Uhr betrat Antonia die Barkhausen Bank.

Ströhbeck ließ bitten.

Ströhbeck, in hellgrau glänzendem Business-Outfit, stand in Audienz-Pose hinter dem Schreibtisch, Antonias Klopfen abwartend.

Antonia klopfte, es folge ein angesungenes „jaabiitehh“ seitens Ströhbeck.

Antonia betrat das Allerheiligste, Direktor Dr. Dr. Ströhbecks Büro. British, nein, very British. Nein, very, very British.

Mahagoni- und Chesterfield-Möbel. An den Fenstern dunkelgrüne Seidenportieren, die dem Sonnenlicht keine Chance ließen. An den Wänden der hohen Räume guckten anämische, gelangweilte Männer in strengem Samt aus schweren Goldrahmen auf Antonia.

Auf der blankpolierten Schreibtischplatte lagen, in gleichmäßigem Abstand, eine Lupe, ein Lineal und ein Brieföffner. Messing, alles hochglanzpoliert. Daneben, selbstverständlich in gebührendem Abstand, ein Marinechronometer, natürlich im Mahagonigehäuse mit Messingbeschlägen.

Hier fehlt nur noch ein Bild der Queen. Die Vorstellung ließ Antonia lächeln.

„Wie ich sehe, lächeln Sie, gnädige Frau. Lächeln Sie schon wieder, oder lächeln Sie noch?“

Leicht irritiert sah sie Ströhbeck an, worüber sollte sie „noch“ lächeln? Schwätzer, dachte sie.

Eine Dame in strengem, dunkelbauen Kostüm und ebenso strengen Gesichtszügen, rollte einen Teewagen herein, auf dem Kaffee in Wedgewood angeboten wurde und stilles Wasser. (Was sonst bei Ströhbeck.)

Ein Aktenwagen wurde ebenfalls hereingerollt und verbreitete optische Unordnung mit den vielen dicken und noch dickeren Ordnern im Ströhbeckschen Royal Office.

„Dann wollen wir mal“, Ströhbeck deutete auf die Akten.

Was er ihr dann eröffnete, zog Antonia den Boden unter den Füßen weg. Versteinert hörte sie seinen Ausführungen zu, kämpfte gegen eine Ohnmacht. Alles drehte sich wie ein Mühlrad in ihrem Kopf. Bitte lieber Gott, lass mich nicht ohnmächtig werden und auch nicht weinen. Bitte nicht hier. Und nicht vor Ströhbeck!

Sie trank einen großen Schluck Wasser. Zimmerwarm, keinesfalls eine Erfrischung.

Das Perfide an der gesamten Situation war, Ströhbeck schien alles zu genießen. Er blühte richtig auf.

„Tja, gnädige Frau, Sie sind pleite“, beendete er seine Ausführungen, schnell würzte er noch nach, „absolut pleite.“ Dann lehnte er sich genüsslich zurück in seinen Sessel.

„Ich verstehe nicht“, sagte Antonia zaghaft. „Ich verstehe das alles nicht.“

„Das scheint wohl heute Ihr Tagesmotto zu sein“, er lächelte süffisant, er schnellte nach vorn. „Aber ich denke, Sie werden gleich sehr gut verstehen, wenn ich Ihnen sage, und das dürften Sie ja auch als Frau verstehen, was das heißt, es liegt uns ein Insolvenzverfahren der Haberland Werke auf dem Tisch. Die Fusion mit den Schweden hat nicht geklappt, wie Sie wissen.“

Antonia wusste nicht. Sie wusste überhaupt nichts.

„Ich muss nicht betonen, dass alles, aber auch alles, verehrte gnädige Frau, der Bank gehört.“

Er fixierte Antonia wie die Schlange, die gleich zum tödlichen Biss ansetzt. Und das tat er dann auch.

„Das ist das finanzielle Aus, sozusagen der Super Gau.“ Ströhbeck strich sich mit beiden Händen die Haare noch glatter, ruckelte an seiner Brille und salbaderte weiter.

„Wir hätten natürlich auch, was wir nicht haben, wenn Sie verstehen, unmittelbar nach dem Tod Ihres Gatten, einschreiten können.“ Jetzt nahm er die Brille ab und schaute prüfend durch die Gläser, indem er sie ins Licht hielt, dann blies er kräftig darauf und sagte nebenbei: „Aber wir sind keine Unmenschen, gnädige Frau.“

Dann setzte er die Brille wieder auf. Der Unmensch.

Antonia verfolgte alles wie durch Nebelschwaden. In ihrem Kopf drehte sich nun ein Kettenkarussell. Bruchstückhaft vernahm sie Worte wie: Rechtsabteilung, Pfändung, sofortige Wirkung, einfrieren, gesperrte Konten und, und ,und …

„Noch Fragen, gnädige Frau?“ Ströhbeck lehnte sich erneut entspannt in seinen unbequemen, glitschigen Ledersessel.

„Ich verstehe es nicht“, sagte Antonia tonlos.

„So ganz verständlich ist ja alles auch nicht“, erläuterte Ströhbeck pseudojovial. „Außerdem sind Sie eine Frau.“

„Was soll das heißen, Herr Dr. Ströhbeck? Frau steht nicht synonym für begriffsstutzig, oder hat man Ihnen da am Ende etwas Falsches anerzogen? Haben Sie Schwierigkeiten mit Frauen?“ Langsam erwachte Antonia aus ihrer Erstarrung. Was bildet sich dieser Bankpinsel eigentlich ein?

Ströhbeck merkte sofort, dass er in die Defensive geriet. Rasch versuchte er alles wieder an sich zu ziehen und Oberhand zu behalten.

„Morgen kommt Justitiar Wöllke von unserer Rechtsabteilung bei Ihnen vorbei, um Ihnen ausführlich alles in allen Einzelheiten zu unterbreiten.“

Langatmig und mit süffisantem Unterton legte ihr Ströhbeck das Puzzle der Haberland-Pleite auseinander und wieder zusammen. Es gab keinen gerichtlich bestimmten Insolvenzverwalter, da Lennard Haberland schon zu seinen Lebzeiten alles der Barkhausen Bank übertragen hatte.

„Da Sie in Gütergemeinschaft leben, gilt natürlich dasselbe für den privaten Nachlass, verehrte gnädige Frau.“ Er lächelte Gift in den Raum. “Sie wissen sicherlich auch, dass alles, was Ihnen Ihr Mann ein Jahr vor dem, Sie verzeihen das harte Wort, Konkurs geschenkt oder überschrieben hat, ebenfalls in die Konkursmasse fällt.“

„Dann bin ich also quasi über Nacht ein Sozialfall.“ Antonia sah ihn mit verschreckten Augen an. Ihr Herz raste und ihre Kehle war ausgetrocknet.

Du fällst jetzt nicht vom Stuhl, ruhig weiteratmen, befahl sie sich. Nicht vor Ströhbeck auf dem Teppich liegen, Antonia Haberland!

Wie ein verschlagener Sektenpriester, erfreut über einen Neuzugang, rieb er die Handflächen aneinander, breitete die Arme aus, ließ die Hände aneinander klatschen und sagte nur hilflos, blöde: „Tja.“

Antonia stand auf, wartete immer noch auf das Signal des Weckers, aber es kam nicht. Es blieb still.

Sie ging zur Tür, da flog ihr noch ein schnelles Springmesser zwischen die Schulterblätter mit dem Satz: „Die Lebensversicherung Ihres Mannes wird selbstverständlich uns überwiesen.“

Langsam drehte sich Antonia um.