Besser verstehen? Neu denken! - Christoph Zollinger - E-Book

Besser verstehen? Neu denken! E-Book

Christoph Zollinger

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Beschreibung

Einen fundamentalen Epochenwandel, wie er sich im 21. Jahrhundert abzeichnet, gab es schon vor rund 2500 Jahren. Die Ursachen waren andere als heute. Welche neuen Erkenntnisse formulierten die griechischen Philosophen, die damals neu dachten? Und heute, welches sind die Treiber des gegenwärtigen epochalen Wandels? Weltweit? In der Schweiz? Noch sind neue Lösungen blockiert. Können auch wir das alte Denken überwinden, neu denken, um zu verstehen?

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Einen fundamentalen Epochenwandel, wie er sich im 21. Jahrhundert abzeichnet, gab es schon vor rund 2500 Jahren. Die Ursachen waren andere als heute. Wie reagierten die Menschen in jenen Tagen, welche neuen Erkenntnisse formulierten die erstaunlichen griechischen Philosophen, die damals neu dachten?

Und heute, welches sind die Treiber des epochalen Wandels? Weltweit? In der Schweiz? Sehen wir die politischen Baustellen? Die gesellschaftliche Spaltung? Die schleichende Gefährdung unseres helvetischen, liberal-demokratischen Modells? Noch sind neue Lösungen blockiert. Können wir das alte Denken überwinden, neu denken, um zu verstehen?

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

Die Angaben in diesem Buch wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt und entsprechen dem Stand von Sommer 2023. Der Herausgeber übernimmt jedoch keine Gewähr für deren Richtigkeit.

© 2023 Glaskugel-Gesellschaft

Lektorat: Ursula Kohler

Gestaltung und Satz: Claudia Neuenschwander

ISBN 978-3-0350-4025-8

Herausgeber: Glaskugel-Gesellschaft, Kilchberg

www.glaskugel-gesellschaft.ch

Auslieferung: Oesch Verlag, Zürich

Christoph Zollinger

Besser verstehen?Neu denken!

Eine spannende Herausforderung – seit Jahrtausenden

«Viele Dinge zu wissen,bedeutet noch nicht, sie zu verstehen.»

Homer (~850 v. Chr.)

INHALT

Vorwort

EVOLUTION

1 Woher wir kommen

2 Was sie uns hinterliessen

3 Damals und heute

4 Als die erste Demokratie der Welt entstand

5 Frühe Demokratien und Demagogen

6 Der beste Staat

ENTWICKLUNG

7 20./21. Jahrhundert: Kampf statt Kooperation?

8 Was verstehen wir unter Fortschritt?

9 Populismus, Nationalismus, Demagogie

10 Autokraten und Tyrannen

11 Den schleichenden Epochenwandel besser verstehen

12 Perspektivenwechsel und Zeitenwende

WISSEN

13 Wahrheit

14 Der, der wusste, dass er nichts wusste

15 Die, die meinen, etwas zu wissen, und die andern

16 Glauben heisst «zu wissen meinen»

17 Transparenz und Wissen

18 Mehr Staat, weniger Freiheit?

19 Der böse Kapitalismus

20 Die verlorene Zeit

ERSTARRUNG

21 Erstarrte Demokratien?

22 Die eigenartige Geschichte wachsender Polarisierung in der Schweiz

23 Transparenz: Öffentlich statt geheim

24 Längst überfällig: Die politischen Baustellen der Schweiz

25 Bevölkerungswachstum Schweiz

26 Schweizer Kredit verspielt

VERSTEHEN

27 Krieg und Frieden

28 Die Meinungsfreiheit ist weltweit auf dem Rückzug

29 Neubewertung der Rolle des Bewusstseins

30 Raum und Zeit

31 Das exponentielle Zeitalter und das Anthropozän, Zeitalter des Menschen

32 Der Klimawandel

33 Gegenwärtige Krisen und Chancen

AUSBLICK UND FAZIT

34 Spekulationen über die Zukunft

35 Freiheit, das wertvollste Gut

36 Fazit – eine sehr persönliche Sicht

Literatur und Quellen

Der Autor

Bisherige Werke des Autors

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VORWORT

Neu denken, was ist das?

Die griechischen Philosophen suchten vor 2500 Jahren nach neuen Antworten, um den Menschen und die Welt besser verstehen zu können. Dabei dachten sie fundamental neu: Anstelle von Mythen und religiösen Vorstellungen forschten sie nach natur- und vernunftgemässen Erklärungen. Das war und gilt heute noch als ein epochales Unterfangen, eben – Anzeichen eines Epochenwandels.

In der Gegenwart suchen viele Leute nach neuen Antworten, um gestresste Menschen und eine fragile Welt verstehen zu können. Ausgelöst ist der gegenwärtige Epochenwandel durch die Digitalisierung, Informationstechnologie (IT), künstliche Intelligenz (KI), durch die Verkürzung der Distanzen (Globalisierung) und den Klimawandel. Das neue Denken wird es ermöglichen, statt vergangenheitsbasiert zukunftsgerichtet zu argumentieren, planen, handeln, überraschende Lösungen zu schaffen.

Fragen über Fragen

Zuerst waren da eigene Fragen. Warum habe ich manchmal so viel Mühe, einen Mitmenschen zu verstehen? Warum können befreundete Personen völlig unterschiedliche Ansichten entwickeln, etwa was die Politik betrifft? Wie kommt es, dass sich erwachsene, gebildete Frauen und Männer bei der Beurteilung der Wirtschaftsformen in die Haare geraten?

Auf der Suche nach Antworten gerate ich ins Stocken und es drängen sich weitere Fragen auf: Liegt es an der gegenwärtigen instabilen Weltlage? An einer Welt, über die zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine Flutwelle illiberaler und antidemokratischer Autokratie hinwegrollt? Geht es uns in der Schweiz materiell so gut, dass wir egoistisch geworden sind: Politik und Wirtschaft betreffen uns nicht, wir schauen für uns? Ist die Grenze der Zuwanderung ins Land überschritten? Was interessiert uns die Zukunft, wir sind in der Vergangenheit gut gefahren, wir brauchen keine Änderung! Oder genau umgekehrt: Müssen wir dringend unseren Lebensstil wegen Unverträglichkeit mit dem globalen Klima ändern?

Die Antworten auf diese Fragen sind so unterschiedlich wie das Wetter im April. So komme ich nicht weiter. Jetzt steigt die nächste Fragerunde: Wie war das denn früher? Wenn damals, vor 2000 bis 2800 Jahren, gemäss den uns vertrauten Überlieferungen der griechischen Philosophen, die ersten Demokratiegründungen und Gesellschaftszerwürfnisse geschildert werden, was waren die Gedanken jener Menschen zum Weltgeschehen? Dass sie seinerzeit einen gewaltigen Epochenwandel auslösten, war ihnen nicht bewusst – zu dieser Erkenntnis kamen Menschen erst viel später.

Eine wichtige Erklärung schulde ich an dieser Stelle meinen Leserinnen und Lesern. Dass ich mich – in meinen Büchern und Kommentaren, bei meinen Gedankengängen, meiner Kritik, meinen Ratschlägen und Ideen – seit Jahrzehnten immer nach vorne Richtung Zukunft ausrichte, dürfte bekannt sein. Ich plädiere dafür, nicht rückwärtsgewandt – die Vergangenheit verklärend – in die Zukunft zu schreiten. Dass also ausgerechnet ich in diesem Buch beim Vergleichen von Situationen des damaligen und gegenwärtigen Epochenwandels immer wieder mal in die Vergangenheit blicke, hat seinen Grund.

Die griechischen Philosophen gehörten zu den ersten Menschen, welche die Welt – auf der Suche nach dem Sinn des Seins – philosophisch statt mythisch betrachteten. Das Faszinierende aus heutiger Sicht: Viele der Fragen, die sie beschäftigten, tun es auch heute noch. Im Unterschied zur Gegenwart waren es damals diese Männer, die den Epochenwandel auslösten. Sie dachten neu. Heute ist der technologische Fortschritt Treiber des Wandels und deshalb plädiere ich dafür, dass wir Menschen realisieren, dass es an uns liegt, neu zu denken.

Mit anderen Worten: Wer Philosophieren als Infragestellen des Bestehenden versteht, nimmt in Kauf, dass sich deren Anhänger mit Händen und Füssen gegen solche Bestrebungen wehren. So war es damals, als sich die Machtausübenden gegen Sokrates stellten. Doch ist das Bestehende morsch, quasi unterhöhlt, aus der Zeit gefallen, gibt es kein Mittel, den beunruhigenden Thesen der beharrlich Fragenden der Gegenwart zu entgehen. Damit meine ich klar gesagt zu haben, dass die Konservativsten unter unseren Politikern bei ihren Versuchen, den Wandel der Zeit aufzuhalten, letztlich chancenlos bleiben werden.

Diese Lehre aus dem Rückblick auf über 2500 Jahre Menschheit zu ziehen, ist das Thema dieses Buches.

Die Idee, dass uns jene grossen Denker mit Rat und Hilfe beim persönlichen Nachdenken über die Menschen, die Rätsel dieser Welt, die grossen Fragen des gegenwärtigen Epochenwandels weiterbringen könnten, ist faszinierend. Jener ferne Zeitraum ist schriftlich und mündlich erstaunlich gut dokumentiert, was zu meinem Entscheid geführt hat, für dieses Projekt die alten Kulturen der Sumerer, Ägypter und Assyrer, der Babylonier und Kreter wegzulassen.

Bedenken wir, was von einigen dieser faszinierenden Figuren Jahrtausende später noch gegenwärtig ist.

Von Homer (~800 v. Chr.) soll der Satz stammen: «Viele Dinge zu wissen, bedeutet noch nicht, sie zu verstehen.»

Über Parmenides (~520 bis ~460 v. Chr.), der in der von Griechen gegründeten Stadt Elea in Süditalien lebte, ist zu lesen: «Seine Lehre ist nicht nur die eines Einzelnen gewesen, sondern sicherlich eines der folgenreichsten geistigen Weltereignisse überhaupt. Wenn Parmenides sich auf seine neue Welterklärung bezog, erklärte er diese für scheinhaft, wenn auch offenkundig nicht einfach für Blendwerk oder Phantasie […] und dass man sich in diesem neuen Weltbild denkend nicht ohne Widersprüche zurechtfinden kann.»1

Von Heraklit von Ephesus (~520 bis ~460 v. Chr.) ist überliefert, dass er in seinen Gedanken das Weltganze vor Augen hatte und, zusammen mit Parmenides, entdeckte, «dass in dem neuen Weltbild das menschliche Denken auf Rätsel stösst, die es nicht lösen kann».2

«Was sich dann in den blühenden Handelsstädten der jonischen Küste entwickelte, bedeutete offenkundig eine völlige Loslösung von der mythischen Welterklärung.»3

Und heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts? Müssen wir uns von der überholten, zerstörerischen Wachstumswirtschaft als globalem Wohlstandsmotor loslösen – quasi von der fossilen Welterklärung?

Aktuelle Herausforderungen

Die globalen, schweizspezifischen, vom Autor definierten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sind:

Aus globaler Sicht

Klimawandel

Nachhaltigkeit*

Globalisierung

Digitalisierung

Energieversorgung

Geopolitik

Transparenzgebot

Demokratiestärkung

Freiheitswahrung

Zusätzlich aus schweizerischer Sicht

Reform der Schweiz

Update der Schweizer Politik

Gesellschaftswandel

Zusätzlich aus Sicht des Autors

Ganzheitliches, besseres Verstehen

Zukunftsfokus

Epochenwandel

Populismusdefinition

Perspektivenwechsel

Diese Herausforderungen sind zentral bei den Auseinandersetzungen des Autors mit den grossen Themen unserer Gegenwart.

Können wir das verstehen?

Die Idee, ein Booklet mit dem Titel «Besser verstehen? Neu denken!» zu schreiben, ist ein heikles Projekt, ein kontroverses Unternehmen.

Dass der Mensch uns seit jeher philosophisch beschäftigt, ist allein durch den zeitlichen Abstand von rund 2800 Jahren zwischen Homer und dem Heute bestätigt. Meiner Vorliebe für die frühen Philosophen folgend habe ich nach damaligen Situationen geforscht, die als wertvolle Ratschläge dienen bei meinem Versuch, gegenwärtige Zustände zu kritisieren und unsere Zeit besser zu verstehen.

Was lässt sich überhaupt erklären? Je nach Empfänger einer Botschaft ist es ungewiss, ob und was davon verstanden wird. Wie soll man etwas erklären? Wer bedenkt, dass seine persönliche Sicht der Dinge falsch sein kann, gerät ins Zögern. Dazu kommt, dass vieles, was hier folgt, schwer oder gar nicht erklärbar ist. Warum dann der ganze Aufwand?

Gerade deshalb habe ich die nachfolgend geschilderten Situationen gewählt. Das heisst für mich, dass es unwichtig ist, ob erklärbar oder nicht, ob verstanden oder nicht oder ob das bestehende Wissen genügt. Millionen Menschen weltweit glauben oder glaubten etwas – zu ihrem Vorteil oder Nachteil.

An dieser Stelle erlaube ich mir eine Bemerkung zum Stichwort «glauben». Da steht doch in der Bibel: «Macht euch die Erde untertan.» Ob der biblische Schöpfergott den Menschen tatsächlich diese Aufforderung mit auf den Weg gegeben hat – wer weiss es? Dass wir uns als Herren der Welt verstehen sollten, als Krone der Schöpfung, im Zeitalter der Klimaerwärmung, ich bezweifle es. Wäre im 21. Jahrhundert nicht die Zeit gekommen, solche Überlieferungen zu begraben?

Zwar lassen sich diese Vorstellungen vom «Beherrschen der Natur» 4000 Jahre zurückverfolgen (babylonischer Gilgamesch-Epos), doch spätestens seit der Klimaerwärmung scheint der Zeitpunkt gekommen, zu akzeptieren, dass wir weder «Herren noch Frauen noch … dieser Welt» sind. An dieser Stelle gilt es daran zu erinnern, dass es zudem zwischen christlicher Nächstenliebe, Männerdominanz und Sklavenhaltung Schwarzer Menschen einen Widerspruch, eine Doppelmoral des westlichen Denkens gab.

Zurück zu den Philosophen. Könnte dieser Versuch einen Beitrag leisten, um das gegenseitige Verstehen in unserer herausfordernden und unübersichtlichen Zeit zu fördern und lohnenswert zu machen? Wenn wir zum Beispiel über Jahrtausende zurückschauen und uns fragen, wie das alles möglich war, dann realisieren wir, dass Verstehen auch heissen kann: lernen, akzeptieren, bewundern, seine Meinung ändern, durchschauen. Oder wenn wir staunend zur Kenntnis nehmen, wie sich Philosophen ihre Weltanschauungen erarbeiteten, zum Beispiel ein Sokrates, «der wusste, dass er nichts wusste», dann dämmert uns, dass Verstehen im Verlauf der Zeit völlig wandelbar und doch immer gleichgeblieben ist.

Wir realisieren, dass die Widersprüche dieser Welt, die Kriege unter den Völkern, die Grabenkämpfe innerhalb der Nationen, das Unverständnis für gewisse politische Parteien, der Neid oder Hass gegenüber anderen Menschen – dass dies alles die gleiche Quelle hat: Wir verstehen uns nicht, wir wollen nicht wahrhaben, dass hier richtig dort falsch bedeuten kann oder umgekehrt. Oft genug machen wir erst gar keinen Versuch, zu verstehen. Denn Verständnis aufzubringen, wenn wir überhaupt nicht gleicher Meinung sind, ist wohl der anspruchsvollste Versuch zu verstehen.

Die folgenden Themenkreise habe ich willkürlich gewählt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Meine ausgeprägten Interessen gelten seit 50 Jahren dem Durchschauen des Vordergründigen; anders gesagt, Transparenz zu schaffen und dem Versuch, einzelne Gegebenheiten ganzheitlich einzuordnen. Neuerdings bezieht sich dieses Nachdenken auch auf die augenfällige Krise der Demokratien dieser Welt, zersetzt von Populismus, Autokratie, Nationalismus und der Abkehr von freiheitlichen Werten.

Meiner Vorliebe folgend blende ich da und dort Gegebenheiten und Erkenntnisse ein, welche die Menschen schon vor Jahrtausenden beschäftigten. Als Ausgleich dazu zeige ich immer wieder Alltagszenen des 21. Jahrhunderts. In aller erdenklichen Kürze möchte ich an diesen Beispielen zeigen, was ich meine. Deshalb lautet mein Plädoyer – zumindest eine Art Challenge: die persönliche Fähigkeit entwickeln, auch das Unerklärbare verstehen zu wollen, was nicht heisst, damit einverstanden zu sein. Vielleicht hilft es, damit auch andere Mitmenschen versuchen, uns zu begreifen? Mich zu verstehen?

Das könnte im Kleinen die Voraussetzung sein zum beiderseitigen Kompromiss statt Kampf, Frieden statt Krieg.

*Der Begriff nachhaltig/Nachhaltigkeit wird von mir im Sinne von «sustainable/Sustainability» verstanden; ausdrücklich nicht «sich auf längere Zeit stark auswirkend/längere Zeit anhaltende Wirkung» bedeutend.

EVOLUTION

«Die verstehen sehr wenig,die nur das verstehen,was sich erklären lässt.» Marie vonEbner-Eschenbach

1

WOHER WIR KOMMEN

Bevor wir uns der Gegenwart zuwenden, sollten wir den Menschen des 21. Jahrhunderts etwas «durchschauen», sind wir doch mit Blick auf die Vergangenheit ein Zufallsprodukt, entstanden im Verlauf der Evolution. Vor fünf Millionen Jahren – so die Forschung – begann unsere «Karriere». Das berühmte Skelett Lucy respektive die Frau, deren Skelett so genannt wird, hat vor etwa 3,5 Millionen Jahren in Äthiopien gelebt. Sie war Vegetarierin, ihr Hirn war etwa ein Drittel so gross wie unseres heute. In der Folgezeit lebten die Menschen in Harmonie mit der Natur, in Sippen, ohne politische Institutionen – so die Überlieferung. Die Bibel sprach später vom Paradies.

Vor 1,7 Millionen Jahren «erfand» der Homo erectus das Feuer und damit die Möglichkeit, gejagte Tiere zu braten respektive grillieren und haltbar zu machen – es entstand das Kochen überhaupt. Unsere Vorfahren traten als Jäger auf, die später, ungefähr vor 0,5 Millionen Jahren, in Hütten siedelten.

Innerhalb der letzten ca. 60 000 Jahre lebten die sogenannten Neandertaler und seit ca. 35 000 Jahren sprechen wir von den Cro-Magnon-Menschen, unseren direkten Vorfahren.

Gemäss dem genetischen Code gehören wir zur Familie der Schimpansen. Die Speisekarte jener Cro-Magnon-Menschen lässt uns erstaunen, sie entspricht weitgehend dem, was uns Ernährungsspezialisten heute empfehlen (und wir so gern verdrängen): wenig Fett, kein Zucker, dafür Mineralien, Vitamine, Eiweiss und viele Ballaststoffe, wie Hülsenfrüchte oder Nüsse …

Vor ca. 11 000 Jahren begannen unsere Vorfahren zur Bodenbearbeitung Werkzeuge zu entwickeln, zu säen und zu ernten. «Damals begann das grosse, riskante Abenteuer, auf das er [unser Vorfahre] sich nichts ahnend einliess. Was er ebenfalls nicht ahnen konnte, ist, dass sich daraus eine nicht aufzuhaltende Eigendynamik entwickeln würde, beschleunigt durch den damit verbundenen Bevölkerungswachstum.»4

Doch Achtung: Forscher sagen, unser Organismus habe sich noch heute nicht auf den damals entwickelten Ackerbau eingestellt. Unsere Wahrnehmungsfähigkeit und unser Erkenntnisvermögen seien beschränkt und das Vorausdenken kurzfristig. Unsere triebhaften und emotionalen Anlagen seien eben nach wie vor die eines Rudelwesens.

Bert Zink schreibt weiter: «So konnte mit der ständig wachsenden Bevölkerung nur eine unbiologische Wettbewerbs- und Klassengesellschaft entstehen, in der jeder um seinen persönlichen Vorteil, Profit und Rang kämpft. Individualismus, Egoismus, geringe Integrationsfähigkeit und Flexibilität prägen sein Verhaltensmuster und müssen in Verbindung mit dem Aggressionstrieb in einem Gesellschaftsverband zu ständigen und unvorhersehbaren Konflikten und Auseinandersetzungen führen.»5

Zink kommt zum Schluss, dass wir heute, eingebunden in einen grossen Sozialverband und nicht mehr im einstigen Gewebe der Natur, verhängnisvolle Folgen zu erleben hätten. «Die Erkenntnis seiner [des Menschen] sozialen Unzulänglichkeit schlummert in seinem kollektiven Unbewussten.»6

1994 schrieb die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) zu Zinks Buch: «In seinem Buch eilt er durch unsere Stammesgeschichte […] und eine seiner Hauptthesen ist die, dass die natürliche Evolution uns nicht als einzelverantwortliche Sozialwesen, sondern als Rudeltiere programmiert hat, allzu gerne bereit, einem Leittier zu folgen. Wir leiden an der Unfähigkeit, unsere Affekte, die im Rudel leicht zu mobilisieren sind, unter die Kontrolle unserer Vernunft zu bringen. Die Folgen sind demagogische Manipulierbarkeit, ein Dauerkonflikt mit Natur und Umwelt und eine zunehmende soziale Desintegration.»7

Wie weit die NZZ mit ihrer Lagebeurteilung richtig liegt, überlasse ich gerne meinen Lesern und Leserinnen. Etwa, ob man bei den Rudeltieren, die gerne einem Leittier folgen, an eine schweizerische Partei des Volkes und ihren Übervater denken könnte. Beim letzten Satz allerdings, da nicke ich. Auf das Phänomen der demagogischen Manipulierbarkeit komme ich in späteren Kapiteln mehrmals zurück.

Der Dauerkonflikt mit Natur und Umwelt sollte uns alle beschäftigen. In letzter Zeit gibt es kaum noch Unternehmen, die in Werbung und Öffentlichkeitsarbeit nicht ihre eigenen Nachhaltigkeitsanstrengungen loben – Greenwashing heisst diese Kategorie, wenn ausgerechnet Fluggesellschaften, Autokonzerne, die Zementindustrie oder der Bauernverband sich selbst über den grünen Klee loben. Wer andererseits von Klimahysterie schwafelt, hat nichts begriffen.

Also, wohin gehen wir?

2

WAS SIE UNS HINTERLIESSEN

Ungefähr vor 4000 Jahren entwickelten sich in Sumer und Ägypten frühe Hochkulturen, gefolgt in späteren Jahrtausenden von solchen in Indien, Zentralasien, Afrika, Mittel- und Südamerika. Noch heute gelten die Etrusker in Mittelitalien, die etwa 800 Jahre v. Chr. lebten, als Vertreter einer jungen Hochkultur. Aus Sumer und Ägypten zeugen die ersten schriftlichen Quellen.

Heute nennen wir sie Philosophen, jene Menschen, die sich schon in frühen Zeiten mit den Ursprüngen des Denkens und dem Wesen der Welt auseinandergesetzt haben und deren Namen uns erhalten geblieben sind. Von ihnen stammen erste Überlieferungen, oft erstaunliche Weisheiten. Letztere hallen bis in die Gegenwart nach. Sie sind als neue Erkenntnisse auf dem Weg zu tieferem Wissen zu betrachten und haben ihre Gültigkeit zum Teil bis heute erhalten. Es sind frühe Resultate nachdenklichen Suchens und Forschens.

Als Beispiele solcher «Wegmarken» sind unter vielen anderen bekannt: Thales von Milet (624–546 v. Chr.), der als Erster Sonnenfinsternisse voraussagte; Anaximander (610–547 v. Chr.), der sich mit der Weltentstehung befasste, oder Diogenes von Apollonia (499–428 v. Chr.), der erstmals über menschliche Fähigkeiten (Erkennen, Denken) nachdachte; Heraklit (540–480 v. Chr.), der Theorien zur Gesellschaftsordnung entwickelte, und Empedokles (494–434 v. Chr.), der ein eigenständiges gedankliches Weltmodell entwickelte.