Beutetrieb - L.C. Frey - E-Book

Beutetrieb E-Book

L.C. Frey

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Beschreibung

Es sollte die Abschlussparty des Jahrzehnts werden. Doch dann verschwanden die Haustiere ... Und damit hörte es nicht auf. Bist du bereit für diese Party? Die Studenten der Universität von Port, New Hampshire, haben zu ihrem Abschlussball die angesagteste Rockband der Gegend engagiert, das Bier fließt in Strömen und alle sind in Feierlaune.Doch während sich die meisten Studenten noch um den Verstand trinken, bereitet sich eine ganz besondere Studentenverbindung auf die Begegnung mit ihrem ältesten Mitglied vor - und dieses stammt nicht von dieser Welt. Derweil werden die Vorbereitungen für die Hauptattraktion getroffen: Das maskierte Beutetreiben durch den nächtlichen Wald.Doch bei dieser Hatz sind nicht die Tiere die Gejagten ... und für die Opfer geht es um weit mehr als nur das nackte Überleben. Als der dauerkiffende Dämonen-Detektiv Jake Sloburn in den Fall verwickelt wird, ist die Situation bereits eskaliert. Wird Jake Sloburn der Sache auf den Grund gehen können, bevor der die außer Kontrolle geratene Studentenparty noch mehr dämonische Todestribute fordert? Sichern Sie sich jetzt Ihr Exemplar dieses furchteinflößenden Horror-Thrillers von Bestseller-Autor L.C. Frey, denn er wird sie um den Verstand bringen! Die Handlung dieses Jake Sloburn-Romans ist in sich abgeschlossen, die anderen Bände der Reihe sind zum Verständnis nicht nötig!

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BEUTETRIEB

THRILLER (JAKE SLOBURN 3)

L.C. FREY

ÜBER DAS BUCH:

Es soll die Abschlussparty des Jahrzehnts werden: Die Studenten haben sich die angesagte Rockband »Satan´s Dollz« auf ihre Party geladen. Doch während alle in Partylaune sind, werden hinter den Kulissen finstere Pläne geschmiedet. Menschen und Tiere verschwinden über Nacht, während der Duke Unregelmäßigkeiten in seinen Drogengeschäften feststellen muss. Eine alte Liebe erblüht neu, und Tiffany Marshner sieht sich mit der Wahrheit konfrontiert, die hinter der Fassade ihrer heilen Welt lauert. Ein Unwetter rast auf das Küstenstädtchen zu, und während Sam sich zunehmend beobachtet fühlt, gerät Jake Sloburn ins Visier äußerst zwielichtiger Gestalten.

Als sich das wahre Ausmaß des teuflischen Plans offenbart, geraten der Horrordetektiv und sein Gehilfe Sam an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, während sich in Port die Ereignisse dramatisch zuspitzen.

Wird der Dämonenjäger Jake Sloburn, Detektiv des Okkulten, Port vor dem hereinbrechenden Grauen retten können oder ist es dafür längst zu spät?

Deutsche Erstveröffentlichung

© 2014 L.C. Frey

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Die meisten in diesem Werk beschriebenen Personen sind fiktiv. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Ausnahmen: Die Band Kiss, die Beatles und einige andere Rockbands, die in diesem Buch erwähnt werden, gibt es natürlich wirklich. Sämtliche Darstellungen diese Bands betreffend sind jedoch frei erfunden oder bestenfalls wilde Spekulation.Eine Rockband namens Satan´s Dollz gibt es nach der Kenntnis des Autors nicht, und falls doch, dann ist diese nicht in diesem Buch gemeint. Sämtliche Bezüge zu real existierenden Personen sind ebenfalls reine Fiktion. Googeln Sie einmal nach dem »Bohemian Grove«, wenn Sie mir nicht glauben.

Ubi dubium ibi libertas!

Umschlaggestaltung: Ideekarree Leipzig, unter Verwendung von ©Fxquadro, Fotolia.com

Impressum: L.C. Frey, c/o Ideekarree, Alexander Pohl, Breitenfelder Str. 66, 04157 Leipzig, [email protected], E-Mail: [email protected], Tel.: 0341 / 91 888 977

Für meine Großmutter, in Liebe und Dankbarkeit. Mögest du in Frieden ruhen.

PROLOG: DAS AUFNEHMEN DER FÄHRTE

Als er die Augen öffnete, war sein erster Impuls, zu schreien. Stattdessen brachte er nur ein schwaches Röcheln hervor.

Das Schreien begann erst später.

Er blickte in aufgeblähte Gesichter, die über ihm in der Dunkelheit schwebten wie bleiche Ballons. Blicklose, schwarze Augen betrachteten ihn. Regungslos, geduldig und bar jeder Emotion. Hass, das hätte er verstanden, zumindest ein bisschen verstanden. An Hass war er gewöhnt. Wenn man auf der Straße lebte, keiner geregelten Arbeit nachging, sich ausgeklinkt hatte, dann fanden sich immer ein paar Leute, die einen beschimpften, oder stumm mit Blicken maßen, in denen Verachtung lag, oder Ekel, und manchmal auch Schlimmeres. Hin und wieder verprügelten sie einen auch, besonders wenn man sich in der Nähe einschlägiger Kneipen aufhielt. Er hätte es kommen sehen müssen, denn er hatte diesen Hass und die Bitterkeit zuerst in den Augen ihrer Kinder gesehen. Damals, als er noch unterrichtet hatte, Urzeiten musste das jetzt her sein. Als er sich noch einreden konnte, dass es bloße pubertäre Aufmüpfigkeit war, die sie ihm entgegenbrachten. Damals, als er noch eingeklinkt gewesen war, in das, was die Leute gemeinhin als wichtig und richtig und gut erachteten. Das, was sie in seinen Augen zu müden Sklaven ihrer selbst machte. Ja, Hass hätte er verstanden, denn Hass trugen sie alle in sich. Vor Hass hätte er sich nicht gefürchtet.

Aber dann gab es noch solche wie die hier.

Er bemerkte, dass die Gesichter ihn noch immer teilnahmslos aus der Dunkelheit anstarrten, als untersuchten sie ein exotisches Insekt. Kafkaesk, dachte er, aber das war lächerlich. Es überraschte ihn nicht weiter, als er feststellte, dass er sich nicht aufrichten konnte. Sie hatten ihn gefesselt, natürlich. Und zwar ziemlich fest, richtig professionell. So, als hätten sie so etwas schon öfter gemacht. Vielleicht lernten die Kids so etwas heutzutage ja auch im Internet, dachte er, wo sie doch ständig vor ihren Bildschirmen hockten? Die Hausarbeiten schrieben sie schließlich auch dort ab, das hatten sie schon getan, als er noch Lehrer gewesen war. Und sie mussten ihm etwas gegeben haben, denn es erfüllte ihn mit einer Art trüber Belustigung, als eines der Gesichter aus dem Dunkel auf ihn zuschwebte, als würde es ihm einen Kuss geben wollen. Ein Mädchen, und sie war sogar recht hübsch, wenn auch auf eine hölzerne, fast schon grotesk starre Weise. Große, dunkle Augen, die in Kontrast zu ihrem blassen, glatten Teint standen. Kerzenlicht, das sich auf ihren hohen Wangenknochen spiegelte. Nein, sie war nicht hübsch. Sie war eine Schönheit. Und ein Mädchen war sie auch nicht.

»Gott, wie der stinkt«, stellte eine Stimme im Hintergrund fest. Eine junge Stimme. Mehr ließ sich nicht mit Sicherheit sagen, denn die Stimme klang fern und irgendwie verzerrt zu ihm herüber, als spräche die Person durch einen Trichter oder als nuschele sie in ihre hohle Hand. Die Ballongesichter verstellten also ihre Stimmen. Das wiederum war vermutlich ein gutes Zeichen. Üblicherweise taten sie so etwas doch, damit das Opfer sie später nicht identifizieren konnte. Später, nachdem sie einen laufen ließen. Vielleicht.

»Scheiße, ich glaube, der hat sich in die Hose gemacht.« Kichern. Das hatte er tatsächlich, stellte er fest. Ohne Scham, denn darüber war er längst hinaus. Das, was sie ihm eingeflößt hatten, um ihn ruhig zu stellen, hatte ihn die Kontrolle über seine Blase verlieren lassen. Eine von diesen neuen Drogen, und vermutlich war sie in der Flasche mit dem Wein gewesen. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Nicht für ihn.

Aber vielleicht für sie.

Sie kicherten wieder, diese jungen Stimmen. Schulkinder, vielleicht. Ja, Kinder aus seiner alten Klasse. Kinder, die er einst unterrichtet hatte. Konnte das sein?

»Ruhe«, meldete sich eine dritte Stimme zu Wort, die Stimme eines jungen Mannes. Diese Stimme war befehlsgewohnt. Fest, trotz der dumpfen Verzerrung durch die Maske. Das Gekicher der anderen verstummte augenblicklich. »Seht zu und lernt«, sagte der junge Mann. Und dann, etwas leiser:

»Tekel. Mene mene Tekel. Tekeli-Li. Wir rufen dich, Beschützer, nimm unser Opfer an. Mene Tekel. Tekel-Li!« Die anderen fielen ein, und gemeinsam riefen sie aus: »Tekel! Menetekel! Tekeli-Li!«

Beschützer? Wen um alles in der Welt meinten die mit Beschützer? Die Stimmen setzten ihre seltsame Litanei fort, und weitere aus dem Hintergrund stimmten mit ein. Tekel! Menetekel! Tekel-Li! Wie viele waren das? Ein Dutzend vielleicht, oder mehr? Und das, was sie da sangen und riefen ...

Teufelsspinner, dachte er, Kultisten. Und dann kam die Angst doch. Sie sauste auf ihn herab wie ein Vorschlaghammer. Trieb ihm die Luft aus den Lungen. Nicht weil er sich vor Teufeln oder Dämonen oder dergleichen Unsinn fürchtete. Er glaubte nicht an sowas. Aber diese Typen glaubten daran, und das machte die Sache so übel.

Aber vielleicht ...

Er zerrte nochmals an den Fesseln, weil er annahm, dass sie so etwas sehen wollten. Dass sie darauf abfuhren, ihn zappeln zu sehen. Auf seine Angst, auf die Unterwürfigkeit. Darauf, dass er ihre absolute Macht über seine Existenz vorbehaltlos akzeptierte. Oder die Macht ihres Tekel-Tekel-Li, was immer das sein sollte. Denn darum ging es doch: Macht, oder nicht?

Er wandt sich in den Fesseln, nur ganz leicht. Nicht so, als wolle er fliehen. Nur gerade genug, damit sie sahen, dass sie gute Arbeit geleistet hatten. Dabei stellte er fest, dass seine Sicht noch eingeschränkter war, weil sein rechtes Auge völlig zugeschwollen war. Er hatte es bisher überhaupt nicht bemerkt. Und auch jetzt verspürte er kaum mehr als ein dumpfes Pochen von dort, und eine klebrige Nässe auf seiner Stirn. Aber der Schmerz würde vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Das, was sie ihm gespritzt hatten, würde die Schmerzen nur für kurze Zeit fernhalten. Und dann ... Ob es schon zu spät war, um mit dem Beten anzufangen?

Schätzungsweise ja.

»Das sollte genügen, um ihn anzurufen«, sagte die befehlsgewohnte Stimme des Burschen, der ihr Anführer sein musste, und die rhythmischen Tekel-Li-Gesänge der anderen verstummten. Anrufen, wen zur Hölle wollten sie denn anrufen? Und dann begriff er, dass es nicht ums Telefonieren ging. Tekeli-Li.

Und dann kam die Angst, trotz des Zeugs, dass sie ihm in die Venen gepumpt haben mussten.

Er sah etwas am Rande seines Gesichtsfeldes aufblitzen – etwas, das in die Höhe stieg und immer höher, bis es genau über seinem Kopf schwebte und dort verharrte. Etwas, das lang war und metallisch, und das den Schein der Kerzen an den Wänden reflektierte.

Etwas mit einer leicht gebogenen Klinge wie ein Krummsäbel.

»Tekel-Li«, rief der Chor.

»Heil dem Beschützer«, rief die Stimme des Jungen mit dem Dolch.

Er versuchte, die Augen des Mädchens wiederzufinden, das ihm vorhin so nah gekommen war, dass er ihr Parfum hatte riechen können. Süßlich, leicht, wie es nur junge Mädchen tragen. Sexy. Schließlich entdeckte er die Augen des blassen Mädchens, aber weder darin noch in ihrem reglosen Gesicht fand er Mitleid oder Gnade, oder sonst eine Regung. Dort gab es überhaupt nichts außer der Finsternis. Schwärze, wo Pupillen hätten sein müssen. Und auch ihr Gesicht war kein Gesicht, es war ...

»Heil Mammon!«

Und als er begriff, was ihr Gesicht war, schrie er wirklich.

»Heil dem Beschützer!«

Aber er schrie nicht lange.

TEILI

SATOR

Rock me like a freight train, baby,

and I will love you like a Queen.

We will be together, honey, doin´ the obscene.

Oh yeah, oh yeah, oh yeah, yeah, yeah — doin´ the obscene!

— Satan´s Dollz – The Obscene

AUDITION

»Nein, Mann, nein!«, rief Ash aufgebracht. »Es ist ein A, verdammt! Ein beschissenes A! Gott!«

»Hey, Mann«, meldete sich Dawg von hinter seinen Becken und versuchte versöhnlich zu klingen. »Dein Groove ist ja nicht schlecht«, sagte er zu dem Bassisten, »aber wenn Ash sagt, es ist ein A ...«

»Da kannst du verdammt nochmal Gift drauf nehmen, dass es ein A ist!« Ash schnallte seine Gitarre ab und lehnte sie gegen die Box des Verstärkers, der das augenblicklich mit einem lauten Rückkopplungspfeifen quittierte. »Scheiße!« Sein Fluch übertönte das schneidende Geräusch und er knallte den Schalter des Verstärkers entnervt in den Standby-Modus. Das Fiepen verstummte und der Bassist zog seine Finger vorsichtig wieder aus den Ohren.

»Na, ich schätze, ich könnte mich die nächsten Tage echt hinsetzen, und es lernen«, sagte er. »Wenn ihr mir vielleicht die Noten ...«

»Alter«, sagte Ash, nun ganz ruhig. Sehr ruhig. Aber seine Augen, stellte Dawg fest, sahen überhaupt nicht ruhig aus. Die sahen aus, als hätte er gewaltige Lust, dem Typen sein Instrument in den Hals zu stopfen. »Hör´ zu«, fuhr Ash zu dem Bassisten gewandt fort, »Du wirst es niemals lernen. Nicht das hier und auch keinen anderen Scheiß. Solche Typen wie du lernen es nämlich nie. Du sagst, du setzt dich hin und nächste Woche kommst du uns mit irgendeinem Quatsch; du musstest was für die Schule machen, oder deine Freundin war krank oder weiß Gott was für ein Mist ...«

»Satan«, sagte der Bassist leise.

»Hä?« machte Ash.

»Satan. Ihr betet doch zum Fürsten der Finsternis? Und du hast grad ›Weiß Gott‹ gesagt ...«

»Alter!« Ash wurde knallrot und rang nach Worten, und das letztere kam nicht oft vor. Er dreht sich hilflos zu Dawg um, der grinsen musste. Dieser Typ war aber auch zu komisch. Fürst der Finsternis, heilige Scheiße! »Der macht mich fertig!«, rief Ash und stürmte hinaus, beziehungsweise hinter den Vorhang, um sich einen Kaffee zu holen. Oder so ähnlich. Wahrscheinlich eher so ähnlich, vermutete Dawg.

»Hör mal«, meldete sich Izzy, der Sänger der Dollz, jetzt zu Wort, nachdem er sein Mikrofon zurück in den Ständer gefummelt hatte. »Ist vermutlich besser, wenn du jetzt gehst. Und nimm´s nicht persönlich, Okay? Aber wir sind nun mal die Dollz, und keine Schülerband, das verstehst du doch?«

»Ihr seid die Dollz«, hauchte der Bassist und schaute den Sänger aus ehrfürchtig aufgerissenen Augen an.

»Da kannst du Gift drauf nehmen!« rief Izzy. Dawg schwieg und betrachtete das Schauspiel einigermaßen amüsiert. Dieser Bassist war ... echt unglaublich. Unglaublich dämlich. »Also sei so gut«, fuhr Izzy fort und wies ihm die Tür, »und geh´ da raus, ja? Und schick´ gleich den nächsten rein.«

»Die Dollz ...« flüsterte der Bassist noch einmal und ging dann auf die Tür zu. Dawg bemerkte sogar von seinem Schlagzeug aus, dass der Kerl dabei einen Blick drauf hatte, als sei er völlig high. High von der Tatsache, dass er eben bei den Satan´s Dollz vorgespielt hatte. Und durchgefallen war. Gott, was für ein Trottel.

An der Tür drehte der Typ sich noch einmal um, streckte Zeige- und kleinen Finger seiner rechten Hand in die Höhe und rief »Heil Satan!«

»Raus!« brüllte Ash von hinter dem Vorhang.

EINS, ZWEI, DREI, VIER ...

Ein paar Sekunden später klopfte es erneut an der Tür zum Proberaum. Dawg rief: »Herein!«, und schlurfte dann wieder auf sein Schlagzeug zu. Verdammt, wie oft würden sie den beschissenen Song heute eigentlich noch spielen müssen? Er kannte sich mit diesem A-Kram nicht so aus, dieser ganze Notenquatsch, auf den Ash so abfuhr, war ihm ziemlich egal. Mann, er war Schlagzeuger, einer der hin und wieder mit Musikern rumhängt, wie es in dem alten Witz so treffend hieß. Aber konnte es denn wirklich so schwierig sein, die paar Töne zu treffen? Joey hatte es doch schließlich auch hinbekommen und der war wirklich nicht die hellste Leuchte gewesen.

Und sie brauchten einen Bassisten.

Die Tür ging quietschend auf und Dawgs Unterkiefer klappte nach unten. Unbegreiflicherweise steckte der Bassist von eben erneut den Kopf zur Tür herein und sagte leise, vermutlich, damit ihn Ash hinter dem Vorhang nicht hörte: »Ähhh ... da draußen ist niemand mehr.«

Scheiße.

»Soll ich dann ... vielleicht?« fragte er, nun noch leiser. Diesmal war es Izzy, der einfach nur stumm auf die Tür zeigte. Der Bassist nickte, und sah dabei aus wie ein kleiner, trauriger Hund. Hundebaby, Knopfaugen und alles. Dass sich so etwas überhaupt auf eine Bühne wagte! Dann zog er seinen traurigen Hundebabykopf aus der Tür und schloss sie. Ganz leise.

Ash tauchte von hinter dem Vorhang auf, mit frischem Glanz in den Augen, und einem breiten Grinsen. Es war also nicht bloß Kaffee gewesen, dachte Dawg. Fantastisch. Seine wievielte Line war das heute, die vierte? Er warf einen Seitenblick zu Izzy hinüber, der es ganz offensichtlich auch bemerkt hatte. Auch das war etwas, womit sie sich mal ernsthaft beschäftigen sollten. Später. Zunächst einmal brauchten sie einen neuen Bassisten.

»Also?« sagte Ash, und schaute sich im Raum um. Er strahlte, als hätte er sich da hinter dem Vorhang gerade einen lutschen lassen, von J-Lo persönlich. Ja, entschied Dawg, darum würden sie sich gleich nach dem Gig im Ballroom kümmern müssen. Dringend.

»Es ist keiner mehr da, Ash«, sagte Izzy und lehnte seinen Ellenbogen lässig auf seinen Mikrofonständer.

»Keiner mehr ...?« erwiderte Ash verdutzt, bevor sich erneut der Zorn in seine Stimme schlich. Als ob er da ständig lauerte, dieser Zorn, dicht unter der Oberfläche, dachte Dawg. Wie ein verdammter Eisberg oder sowas. »Da war dieser Typ«, sagte Ash, »Jacky, Johnny, Jimmy ... oder sowas. Hat mir die ganze Woche ein Ohr abgekaut, seit ich die verfluchten Zettel aufgehängt habe. Scheiße. Der ist bestimmt nur spät dran ... der kommt jeden Moment, sag´ich euch.«

»Ist schon viertel nach, Ash«, sagte Izzy leise und fummelte nervös an dem Stecker seines Mikrofons.

Ashs Gesichtsfarbe wechselte in erstaunlich schneller Folge von blassgelb zu tiefrot, ohne dass das Grinsen währenddessen aus seinem Gesicht verschwand. Dieses Grinsen, fand Dawg, brannte sich einem regelrecht ein und wahrscheinlich merkte Ash nicht mal, dass er grinste. So ein Grinsen war das. Ash drehte sich zu Izzy um und das Grinsen wanderte mit wie ein Suchscheinwerfer. Izzy ging hinter seinem Mikro in Deckung. Man konnte richtig sehen, wie sich sein Körper versteifte. Aber Ash sagte nur:

»Der kommt noch, sag´ich.«

»Sollte er besser auch«, nuschelte Izzy, »in ´ner halben Stunde müssen wir hier raus.«

Ashs Gesicht wurde wieder kalkweiß, dann wieder rot, noch eine Spur dunkler diesmal.

»Der kommt«, flüsterte er und Dawg stellte fest, dass er dabei das erstaunliche Kunststück zuwege brachte, den Sänger weiterhin anzugrinsen, und ihm gleichzeitig derartig hasserfüllte Blicke zuzuwerfen, dass der noch ein paar Schritte weiter zurückwich. Was vermutlich ein einigermaßen schlauer Schachzug war. Als Ash genug davon hatte, machte er auf dem Absatz kehrt und verschwand wieder hinter dem Vorhang. Diesmal hörte man das Schniefen sehr deutlich.

Dawg und Izzy wechselten einen vielsagenden Blick, dann zuckte der Schlagzeuger mit den Schultern, und wirbelte ein wenig mit seinen Sticks herum. Es gab auch nicht viel, das er sonst hätte tun können. Izzy hingegen zündete sich eine Zigarette an, zog das Handy aus der Tasche und begann, darauf herumzutippen. Weibergeschichten, vermutlich. Oder er klapperte ein paar Kontakte ab. Suchte sich vielleicht gerade eine neue Band. Und wer, wenn man mal ehrlich war, konnte ihm das verübeln, dachte Dawg, wirbelte einen Stick in die Luft und zählte die Drehungen.

Er schaffte sieben, was ein neuer Rekord war, aber als er den Stick aufzufangen versuchte, erwischte er ihn nicht richtig. Das Holz entglitt er seinen Fingern, prallte auf den Rand der Snaredrum und flog dann in hohem Bogen Richtung Tür, wo er über den Parkettboden rollte. Dawgs Blick folgte fasziniert dem Weg des Sticks, als sich ein schwerer Motorradstiefel draufsetzte und ihn unvermittelt stoppte. In dem Stiefel steckte ein Bein, das zu einem Kerl in schwarzer Lederkluft gehörte.

»Scheiße!« entfuhr es Dawg, und Izzy blickte gelangweilt von seinem Handy auf. Der Sänger erschrak ein bisschen, als er den Typen bemerkte, der dort auf Dawgs Stick stand. Jetzt bemerkte Dawg, dass der Typ einen Gitarrenkoffer trug. Vermutlich, nein, hoffentlich, würde ein Bass darin sein. Und der Typ musste dieser Jack oder Joe oder Jim sein, von dem Ash gesprochen hatte. Der Motorradstiefel, der auf dem Stick gestanden hatte, schnalzte den Drumstick mit einer lässigen Bewegung auf die Kappe seiner Stiefel, und kickte ihn dann zielgenau hinüber zu Dawg, der ihn in der Luft auffing.

»Wow«, stellte Dawg fest. Der Typ nickte nur und lächelte ihn an.

»Du bist Johnny, ja?« sagte Izzy, als er sich wieder gefangen hatte. Der Typ schüttelte den Kopf, und lächelte weiter.

»Jackie?« versuchte es Dawg.

Wieder ein Kopfschütteln, und als er gerade den Mund aufmachte — vermutlich, um ihnen zu verraten, wie sein Name denn nun tatsächlich war — tönte es vom Vorhang her: »Wer auch immer. Vor allem bist du zu spät, Mann!« Ash schlüpfte hinter dem Vorhang vor. Dawg bemerkte, dass er sich gerade völlig ungeniert den letzten Rest des Zeugs mit dem Zeigefinger ins Zahnfleisch rieb. Beschissener Junkie.

»Ich bin nicht zu spät«, sagte der Neue lächelnd, und ging unbeeindruckt von Ashs gefletschten Zähnen in Richtung Schlagzeug. »Ich habe nämlich überhaupt keinen Termin mit euch ausgemacht, Ladies. Daher kann ich auch nicht zu spät sein. Klar soweit? Hab´ vorhin erst gehört, dass ihr einen neuen Basser sucht und dachte, ich schau´ mal vorbei.«

Grinsend. Selbstsicher. Und höflich.

»Hey Mann, also suchen tun wir gar nichts, klar?« sagte Ash und schaute den Neuen abschätzend an. Der zuckte mit den Schultern. »Aber vielleicht hast du die Chance, für ein paar Gigs bei den Dollz auszuhelfen. Wenn du gut genug dafür bist.«

Das schien den anderen nicht sonderlich zu beeindrucken. Nachdem er Ash eine Weile angegrinst hatte, mit diesem coolen, unergründlichen Grinsen, das nur auf der linken Hälfte seines Gesichts stattzufinden schien, wie bei diesem Typen aus dem Fernsehen, diesem Hellseher, auf den die Weiber so flogen, zuckte er mit den Schultern und drehte sich zu Izzy um.

»Vinnie«, stellte er sich vor, legte seinen Koffer auf den Boden und klappte ihn auf. »Wollen wir?«

Sein Bass sah ziemlich teuer aus. Und ziemlich benutzt. Abgerockt. Es bestand vielleicht noch Hoffnung.

»Ok, Vinnie«, sagte Dawg. »Kannst du Freight Train?«

Vinnie nickte knapp, und lächelte Dawg für einen Moment an. Dann steckte er in aller Seelenruhe sein Kabel in den Verstärker und knipste das Ding an. Eier hatte der jedenfalls, dachte Dawg. Wenn er jetzt noch das verdammte A dort spielte, wo Ash es hören wollte, hatten die Dollz ja vielleicht doch noch eine Zukunft. Izzy rief ein paar gelangweilte »Yeah-Yeahs« ins Mikro, und irgendwann war auch Ash damit fertig, umständlich in seine Gitarre zu steigen. Er warf Vinnie weiterhin argwöhnische Blicke zu, was letzteren aber nicht weiter zu kümmern schien. Der stellte sich stattdessen in die Nähe des zweiten Mikros, und klopfte ein paar Mal mit den Fingern gegen den Korb. Dawg hatte keine Ahnung, warum sie es überhaupt aufgestellt hatten. Wahrscheinlich aus Gewohnheit, weil Joey manchmal ein paar Textzeilen in den Refrains mitgesungen hatte. Nicht besonders gut, und nicht besonders laut, aber er hatte eben drauf bestanden, und die Weiber waren drauf abgefahren. Es war eine gute Show gewesen.

Ash nickte Dawg zu und der begann einzuzählen.

Eins. Zwei. Drei. Vier.

I WAS MADE ...

»Scheiße«, sagte Ash. Aber er sagte es auf eine Weise, die nahelegte, dass Vinnie das A an der richtigen Stelle getroffen hatte. An der genau richtigenStelle. Ash schien regelrecht erschüttert, und diesmal war sein Grinsen echt. Nicht dieses irre Koksgrinsen, sondern ein richtiges, wie früher. Eins, wie es ihnen allen ins Gesicht geschrieben stand. Was hier passiert war ... nun, das hatte eine ganze Menge mit Musik zu tun gehabt.

Als Ash hinging und dem neuen die Hand hinstreckte, war die Sache beschlossen. Sie klatschten ihn alle ab, und er war drin. So einfach war das. Während sie zusammenpackten, ließ Izzy seiner Begeisterung freien Lauf: »Scheiße, das war absolut gruselig, Mann. Als stünde Joey hier. Da kannst du Gift drauf nehmen.«

»Nein, Mann«, widersprach Ash. »Das war Welten besser. Joey hat das mit dem verdammten A nie kapiert! Genau da kommt es hin.« Er sang ein Stück des Refrains, dann klopfte er Vinnie auf die Schulter. »Bist echt ein Ass, Mann!«

»Nein«, sagte Vinnie. »Aber den kenn´ ich übrigens auch.«

Ash sah ihn fragend an.

»Ace, Mann. Ace Frehley. Schonmal von einer Band namens Kiss gehört?«

»Bullshit.«

»Kein Bullshit. Hab´ den Roadie für die gemacht, auf der Hit`n´Run-Tournee. Was meinst du, wo ich den Bass herhab?« Er drehte das Instrument um. Auf der Rückseite war eine gravierte Platte angebracht. Sie beugten sich darüber und da stand: »Für unseren Bro Vinnie, den besten Roadie, der jemals diesen Planeten in Angst und Schrecken versetzt hat. Und darunter, unverkennbar, die Unterschriften aller vier Kiss-Bandmitglieder. Eingraviert in eine verdammte Metallplatte auf der Rückseite seines Basses.

Izzy pfiff anerkennend durch die Zähne.

»Aber ich dachte, The Demon spielt nur diesen komischen Bass, der aussieht wie ´ne Axt. Mit seiner Zunge! So!« Ash hielt einen unsichtbaren Bass in die Luft, streckte die Zunge raus und leckte dann auf den imaginären Saiten des Instruments herum. »I was made … Bumm!« zitierte er ziemlich frei, und ziemlich schief. »You were made … Bumm!« Das »Bumm« sollten vermutlich die Stellen sein, an denen im Original das Bühnenfeuerwerk losging.

»Die Axt spielt er auch. Aber nur Live«, sagte Vinnie. »Den hier hatte ich im Studio.« Schiefes Grinsen. »Äh, ich meine … er hatte ihn im Studio.«

Während sie ihn anglotzten, legte er das Instrument zurück in den Koffer und klappte den Deckel zu. Nachdem auch die anderen zusammengepackt hatten, gingen sie gemeinsam raus auf den Parkplatz. Dawg fühlte sich immer noch berauscht von dem, was da eben passiert war. Dieser Typ hatte den Groove, und zwar kräftig. Sein Bass hatte einen Sound wie ein schnurrendes Kätzchen, und zwar ein verdammt großes. Und jeder Schlag saß so verdammt tight auf der Kickdrum, dass es schien, als ahne er Dawgs Schläge voraus. Sie würden alle noch ein bisschen üben müssen, um da mithalten zu können. Ja, dachte Dawg, dieses Gefühl muss es sein, nachdem die Großen suchen, wenn sie sich den ganzen Tag Zeug in die Nase ziehen oder in die Venen jagen. Das ist das verdammte große Geheimnis des Rock´n´Roll. All diese Typen brauchen im Grunde nur einen vernünftigen Bassisten.

» ... eigentlich mit dem passiert?« hörte er Vinnie gerade noch fragen.

»Oh, Joey. Naja, der hat eine kleine Abkürzung genommen. Allerdings auf der falschen Seite der Bucht.«

»Er ist in die Bucht gestürzt?« Nun grinste Vinnie nicht mehr.

»Ja«, sagte Ash beiläufig, und dann setzte er hinzu: »Und blöderweise mit unserem Bandbus.«

»Ist er tot?«

»Der Bandbus?« versuchte Ash einen Scherz, über den keiner so recht lachen wollte. Auch Vinnie nicht. Was Dawg sehr in Ordnung fand. Ein Irrer pro Band genügte ihm vollauf.

Izzy nickte, ein »Ja« zu beidem.

»Scheiße«, sagte Vinnie und damit war das Thema offenbar erledigt. Zumindest das Thema »Joey.«

Ash warf seinen Koffer in Izzys Wagen, eine vormals knallgelbe Rostlaube von einem zweiundsiebziger Road Runner, und dann begleiteten sie Vinnie noch ein Stück über den Parkplatz. Am anderen Ende des Areals stand ein schwarzer Van. Ash deutete darauf und sagte:

»So einen müsste man haben. Passt ´ne Menge rein. Und ...« er sah genauer hin. Auf der Seite war ein großes Pentagramm angebracht. Glänzendes Schwarz auf der Mattlackierung des Fahrzeugs. »Geil«, entfuhr es Izzy. Das stimmte, fand Dawg. Dezent, aber ziemlich geil. Die Blinklichter an dem Wagen blitzten kurz auf, als Vinnie die Fernbedienung in seiner Hand betätigte.

»Das ist ... deiner?« Ash glotzte zwischen dem Van und Vinnie hin und her und sah dabei ausgesprochen dämlich aus.

»Jep. Ist von meiner alten Band. Haben uns aufgelöst, da hab´ ich ihn übernommen«, erklärte Vinnie.

»Heißes Gerät«, bestätigte Dawg und schaute hinten rein, wo sich die Türen geöffnet hatten. Roter Samt, überall, Ledersitze, ebenfalls rot und dezente rotschimmernde Bordbeleuchtung.

»Mann, das Ding sieht ja aus wie ein Puff. Pussywagon! Kannst du Gift drauf nehmen«, lachte Izzy.

»Die Mädels«, erklärte Vinnie bescheiden, »fahren voll auf sowas ab.« Und dann setzte er grinsend hinzu. »Und das Zeug lässt sich gut abwaschen.«

Als sie sich von ihrem gemeinschaftlichen Lachanfall erholt hatten, zog Ash einen zerknitterten Joint aus der Tasche seiner Lederweste und reichte ihn Vinnie. Das hatte er, soweit sich Dawg erinnern konnte, noch niemals zuvor getan. Was seinen Stoff betraf, war Ashs Knausrigkeit geradezu legendär.

»Alter, dich schickt der Himmel! Ein Pussywagon. Mann«, sagte Ash, und gab Vinnie Feuer, der den Joint lässig in seinem Mundwinkel hielt. Vermutlich würde er dem Typen gleich um den Hals fallen und ihn abknutschen, dachte Dawg. Aber wo er recht hatte ...

Der Bassist ließ sich ein paar Züge schmecken und gab den Joint dann weiter an Izzy. Dann wackelte er mit dem Kopf, während er den Rauch durch seinen Mund entweichen ließ, und ihn gleich darauf wieder durch die Nase zog. Izzy, der gerade an der Reihe war, machte es ihm sofort nach.

»Ich glaub´ nicht dran. An den Himmel, mein ich«, sagte Vinnie nachdenklich. Ash brauchte eine Weile, um zu kapieren, dass sich das auf seinen letzten Kommentar bezogen hatte. »Was? Ach, hab´ ich nur so dahergesagt. Ehrlichgesagt ist es mir so ziemlich scheißegal, wer dich geschickt hast, aber hier bist du auf jeden Fall richtig.«

»Freut mich.«

»Scheiße ja. Und an den Himmel glaubt hier keiner. Oder, Jungs?«, fragte Ash in die Runde.

Herrgott, dachte Dawg, was sollte dieser Mist jetzt schon wieder? Vinnie musste doch denken, er wäre im Kindergarten gelandet, wenn Ash nicht bald mit diesem Scheiß aufhörte.

»Nein, Mann«, stieg Izzy dämlicherweise ein. »Wir glauben an den Typen weiter südlich, verstehst du? Yeah!«

»Genau«, bestätigte Ash, und versuchte nun ebenfalls den Rauch aus seinem Mund durch die Nase zu ziehen, wie Vinnie es getan hatte. Als er mit dem Husten fertig war, ergänzte er: »Wir sind nur Seine Werkzeuge, um Seinen düsteren Plan zu erfüllen. Und unsere Musik, Mann? Die ist Seine Botschaft, die wir in die Köpfe der Idioten hämmern, und zwar mit voller Lautstärke! Daher der Name.«

»Satan´s Dollz – Satans Puppen.«

»Genau, Mann.«

»Ich hab´ sogar Spinnen zu Hause«, rief Izzy, »Und ´nen Skorpion, denn Luzifer liebt solche Tiere. Alles, was garstig ist, und giftig. Venomous Poison, verstehst du?«

»Alice Cooper«, stellte Vinnie fest, »Guter Song.«

»Guter Song?«, schnaufte Izzy verächtlich. »Der Typ ist Gott, da kannst du aber Gift drauf nehmen!«

»Und er sammelt auch Schlangen und Vogelspinnen und sowas«, wusste Ash. »Nur hauen sie ihm nicht ab, so wie deine!« Er rempelte Izzy an.

»Ich hab´ keine Schlangen, Mann! Und außerdem ist mein Skorpion abgehauenen, du Idiot.«

»Dein Skorpion ist verschwunden?«, fragte Vinnie. Und sein Interesse sah dabei sogar halbwegs echt aus, fand Dawg. Netter Typ. Viel zu nett für diese beiden Clowns.

»Ja, er war eines Abends einfach nicht mehr in seinem Glas. Ist ausgebüxt, der kleine Kerl. Sitzt jetzt wahrscheinlich unter dem Bett, und wartet darauf, Einbrecher totzustechen. So, und so! Yeah!«

»Ist er denn giftig, dein Skorpion?«, fragte Vinnie und zwinkerte Dawg verschwörerisch zu. Er nimmt sie nur hoch, dachte Dawg, und die beiden Komiker merken es nicht mal.

»Nee, nicht wirklich. Solche darfst du gar nicht daheim halten, glaube ich. Aber er ist fast so groß wie meine Hand«, Izzy streckte die Hand vor.

»Pass auf, dass er dir nicht in den Dödel piekst, du Schlangenbändiger«, ließ sich Ash hören. Und setzte dann hinterher: »Izzy hat nämlich sehr wohl eine Schlange. Die bändigt er jeden Abend, hehe. Aber nur, wenn seine Mom nicht zu Hause ist, versteht ihr?«

»Fick dich, Arschloch!«, rief Izzy, aber Ash ließ sich nicht bremsen.

»Vielleicht piekst er dich ja auch in die Eier, dann werden die so groß wie ein Paar Luftballons.« Offenbar fand Ash die Vorstellung echt zum Schießen. Tränen liefen über sein Gesicht, während er sich nochmals an dem Joint verschluckte.

»Das soll der mal versuchen, dann beiß´ ich ihm den Kopf ab, wie Schwarzenegger in Conan. Haps, ab ist der Kopf von dem Skorpion!«

»Das war ´ne Schlange, du Vollidiot!«, rief Ash, und bog sich vor Lachen. Vinnie sog milde lächelnd an dem Joint, und ließ den Quatsch geduldig über sich ergehen.

»Was? Na sag´ ich doch! Kopf ab! Haps!«, machte Izzy es vor. Schlange oder Skorpion, ihm war es offensichtlich einerlei.

»Du hast echt ´nen Knall!« sagte Ash.

»Komisch, das hat deine Mutter auch gesagt, als ich mit ihr fertig war, gestern Nacht.«

»Ey, ich geb dir gleich ...«, sagte Ash und knuffte Izzy in die Schulter, das heißt, er versuchte es. Izzy war aber schneller und wich mit einer geschickten Drehung seines Oberkörpers aus.

»Ja, genau wie ich´s deiner Mutter gestern Nacht gegeben habe!«, rief Ash, während er zu seinem Wagen trabte. »Tschau, ihr Luschen! Und Tschau, Vinnie, Mann! Große Klasse heute, so machst du´s auch im Ballroom, dann ist dein Job hier gesichert!« Dann stieg er in seinen rostigen Plymouth.

»Ey, warte auf mich!«, rief Izzy und stiefelte hinterher.

Vinnie lächelte den beiden hinterher.

TAGTRÄUME

»Die sind nicht immer so«, sagte Dawg, als der Plymouth mit Ash und Izzy davongebraust war, »Ich glaube, wir sind nur alle sehr froh, dass du aufgetaucht bist. Der Gig im Ballroom ist nämlich schon an diesem Wochenende. Kannst du dir die anderen Stücke bis Freitag draufbringen?«

»Kein Problem. Ich hab´ ja die CD.«

»Echt?«

»Klar hab´ ich die.«

»Cool.«

»Ja.«

»Hey, sag´ mal …«, Dawg zögerte. Vinnie lächelte ihn aufmunternd an. Strahlendweiße Zähne. Volle Lippen, die sich leicht kräuselten, wenn er lächelte. Was er ziemlich oft tat. »Ähm«, fuhr Dawg fort, »Ich meine ... hast du vielleicht Bock, am Freitag etwas früher da zu sein? Wir könnten ein paar Grooves üben, oder so was. Es gibt da so ein paar Passagen, an denen Joey so seine Probleme hatte ... also, nicht dass ich denke, dass du ... also ...«

»Klar, kein Problem. Sagen wir um sechs?«

Dawg nickte. Dann sah er Vinnie an. Prägte sich das Gesicht ein, und das glatte, schwarze Haar, das ihm verwegen in die Stirn hing. Und in die strahlendblauen Augen. »Und wenn du mit einem Song irgendwie nicht ... na du weißt schon ... zurechtkommst oder so ... «

»Dann ruf´ ich dich an.«

»Ja. Klar. Das wär cool.« Oh Scheiße, wenn einer in den letzten Minuten dieses Gesprächs dazugekommen wäre, der hätte das hier glatt für eine Anmache halten können, dachte Dawg. Und, wenn man es genau besah, sehr genau natürlich, dann war es das vielleicht auch ein klitzekleines bisschen. Aber natürlich würde das niemals irgendjemand erfahren, und am allerwenigsten Vinnie.

Sie verabschiedeten sich mit einem ausgesprochen männlichen Handschlag, und Dawg stellte fest, dass Vinnie Fierce trug. Und dass seine eigene Hose inzwischen eine Erektion beherbergte. Nein, es würde niemals jemand erfahren, dass er ... nun ja. Andererseits: Wen interesseirte es, an was oder wen er dachte, wenn er heute Abend selbst ein wenig den Schlangenbändiger spielte, wie Ash es vorhin so eloquent ausgedrückt hatte. Und dann löste sich Vinnies Hand aus seiner, und Dawg lächelte, weil er sich heute Abend an der Vorstellung erfreuen würde, dass ihre Hände sich einen Moment länger berührt hatten als unbedingt nötig. Und das sein Daumen für den Bruchteil einer Sekunde über seinen Zeigefinger gestrichen war ...

Was natürlich ausgemachter Quatsch war. Vinnie war so hetero, wie man nur sein konnte, das sah man auf den ersten Blick.

Andererseits ...

Als Dawg ein paar Minuten später den Seaside Hill hinauftuckerte, war er immer noch lächelnd in erbauliche Tagträume versunken, die im wesentlichen den neuen Bassisten und dessen geräumigen Van betrafen. Roter Plüsch, und herrlich kühles, glattes Leder, wie sich das wohl anfühlte, wenn man nackt darauf lag?Wie es sich wohl anfühlte, die Hand durch das dichte schwarze Haar gleiten zu lassen, den Mund zu öffnen und ...

So kam es, dass er keinerlei Notiz von der Gestalt nahm, die sich an dem Gartentor zu schaffen machte, das auf Eli Schmids Grundstück führte. Und wenn es ihm aufgefallen wäre, hätte er sich vermutlich dennoch keine Gedanken darüber gemacht. Nur irgendein ein Typ, der das Schloss zu seinem Vorgarten aufschloss. Dass dieser Typ hier gar nicht wohnte, konnte Dawg natürlich nicht wissen. Er merkte auch nicht, dass der Typ das Tor gar nicht aufschloss, sondern irgendetwas auf die weiß lackierten Latten malte, sobald Dawgs Wagen außer Sichtweite war.

ELI SCHMID

Als Mrs Schmid sich herunterbeugte, musste sie niesen. Genaugenommen beugte sie sich nur ein wenig in ihrem Sitz nach vorn, und streckte den Arm nach unten, um Mr Jack und Mr Joe die Schale mit dem Futter hinzustellen. Niesen musste sie trotzdem. Mrs Schmid nestelte ein Taschentuch aus den Tiefen ihrer Schürze hervor, bevor sie den Hebel betätigte, der den Rollstuhl in Bewegung setzte. Am Fenster blieb sie stehen und sah erneut zu den gefüllten Futternäpfen hinüber. Der Geruch nach Katzenfutter war so intensiv, dass sogar sie ihn durch ihre verstopfte Nase wahrnahm, doch die beiden Katzen ließen sich nicht blicken. Sonst sprangen sie meist schon um Elis Rollstuhl herum, sobald sie auch nur die Dose in den elektrischen Öffner schob. Merkwürdig.

Eli Schmid nieste noch einmal.

Ein Mal ist Zufall, zwei Mal sind Absicht. Drei Mal, und es ist Jazz. Hatte zumindest ihr verstorbener Mann, der selige Mr Schmid immer gesagt, und dieser seltsame Spruch war nur eine der vielen Merkwürdigkeiten dieses Mannes gewesen. Sie nieste zum dritten Mal. Jazz, dann also. Beziehungsweise eine Erkältung. Ein Schnupfen war in ihrem Alter wirklich keine Sache, mit der man spaßen sollte, fand Eli Schmid. Sie würde Dr. Skolnick anrufen, und ihn fragen, ob er ihr ein paar Pillen verschreiben konnte. Mycodone vielleicht, oder wenigstens ein paar Tylenol. Nichts Starkes, nur ein paar Sachen, damit ihr alter Körper nicht mittendrin schlappmachte. Konnte man an einem Niesen sterben? Irgendwie fand Eli die Idee einigermaßen absurd, und beschloss daher, doch noch mindestens einen Tag zu warten, bevor sie Dr. Skolnick anrufen würde. Denn wahrscheinlich lautete seine Antwort auf diese Frage wie üblich »Nein«, und »Machen Sie sich mal keine Sorgen, Mrs Schmid.« Aber was wusste Dr. Skolnick denn schon von den Sorgen einer alten, kranken Frau?

Eigentlich war alles Freddys Schuld. Freddy, die Eli gestern nach dem Bridgespiel nach Hause gefahren hatte. Freddy und ihr blödes Gequalme! Die ganze Fahrt über hatte sie das Fenster halb heruntergekurbelt gelassen, natürlich das auf Elis Seite, denn das andere ließ sich schon seit Jahren nicht mehr öffnen. Und das bei dem strömenden Regen, und gezogen hatte es auch noch wie Hechtsuppe in Freddys klapprigem Chevy. Kein Wunder, dass sie jetzt krank wurde. Und überhaupt war das vermutlich nur Freddys kläglicher Versuch, sich für ihre Verluste beim Bridge zu rächen, denn Eli und Margareth hatten sie ausgenommen wie eine fette Weihnachtsgans, oh ja! War es vielleicht Elis Schuld, dass Winifred »Freddy« Parker eine schlechte Verliererin und noch schlechtere Bridgespielerin war?

Den Rest hatte ihr bestimmt der Weg zur Einfahrt hoch zum Haus gegeben. Völlig durchnässt hatte sie auf dem Gehsteig gestanden, und Gott dafür gedankt, dass wenigstens das Tor zur Einfahrt am Nachmittag unverschlossen gewesen war. Freddy hatte sich sofort wieder in ihren Wagen gequetscht, kaum dass sie Eli in ihren Rollstuhl bugsiert und auf dem Gehweg abgestellt hatte. Natürlich ohne Regenschirm, herzlichen Dank auch, und so war Eli froh gewesen, sich wenigstens das Herausfummeln des Schlüssels sparen zu können. Irgendwelche Vandalen, so erinnerte sie sich jetzt, hatten mit roter Farbe einen Kreis oder sowas an die Tür gemalt. Sicher eins von diesen Gangsymbolen. Eli Schmid verzog angewidert das Gesicht. Der Seaside war eine gute Gegend gewesen, früher einmal. Doch nun ... Sie jedenfalls würde das Tor nicht neu streichen lassen, dankeschön! Das hatte ohnehin keinen Zweck, zwei Tage später würden die Kids mit ihren Sprühdosen die nächste Schmiererei auf ihrem Zaun veranstalten, da war Eli Schmid ganz sicher.

Sie warf einen weiteren Blick zum Futternapf. Von den beiden Katzen fehlte nach wie vor jede Spur. Sie öffnete das Fenster zum Garten und rief nach ihnen. »Mr Jack! Mr Joe! Fresserlie!« Sie konnte sich nicht erinnern, dass die Katzen jemals zuvor eine Aufforderung gebraucht hatten. Nicht, wenn es um ihr Fresserlie gegangen war. Außer das eine Mal, natürlich, als Joe ausgebüxt war, der kleine Strolch. »Mr Joe Black!«, rief sie erneut und versuchte ihrer Stimme einen verärgerten Unterton zu verleihen, manchmal half das. Keine Reaktion. Nicht aus dem Garten, und nicht aus dem Haus. Was, wenn die beiden Ausreißer diesmal gemeinsam im Baum festsaßen? Dann würde sie wohl den Sheriff anrufen müssen, auch wenn sie Henry Jones den Dritten nicht leiden konnte. Niemand in Port konnte das, und keiner rief ihn an, wenn es nicht unbedingt sein musste. Sheriff Jones, dieser dumme, grobschlächtige Mann hatte ihr damals, als der Junge vor ihrer Tür angefahren worden war, noch nicht mal richtig zugehört. Er und sein vertrottelter Deputy hatten den Fahrer des blauen Starlet letztlich nur aufgrund eines Zufalls erwischt, nämlich weil dieser, irgendso ein italienischer Gastarbeiter, sich vor lauter Schuldgefühlen selbst umgebracht hatte, und seine ganze Familie gleich mit. Zumindest war ihr das später so zu Ohren gekommen.

Und dennoch: Sie sollte jemanden anrufen. Immerhin handelte es sich hier um einen richtigen Kriminalfall und nicht um irgendwelche entlaufenen Straßenkatzen, nicht wahr? Es ging um Mr Jack und Mr Joe, und die beiden waren möglicherweise in Lebensgefahr. Und was diese Vorstellung mit ihrem Blutdruck anrichtete - nun, Dr. Skolnick wäre alles andere als begeistert. Und falls sie sich doch nicht dazu durchringen konnte, den Sheriff mit ihren kleinen Bitten zu belasten, dann gab es da ja vielleicht noch jemand anderen. Jemanden, der ihr schon einmal geholfen hatte. Und darüberhinaus war dieser Jemand überaus liebenswürdig und zuvorkommend gewesen, ein richtiger Gentleman der alten Schule. Entschlossen rollte Eli Schmid zu dem kleinen Couchtisch hinüber, wo das Telefon stand. Ja, diesen Mann würde sie anrufen und nicht Sheriff Jones. DieserMann würde ihr nämlich zuhören.

PORT ELEMENTARY SCHOOL

»Miss Jablonski, Miss Jablonski!«. Normalerweise tat Janet Jablonskis Herz bei diesem Ruf aus einem knappen Dutzend Kinderkehlen immer einen kleinen, freudigen Sprung. Immer noch. Obwohl sie schon beinahe drei Jahre an der Port Elementary School unterrichtete, war sie jedesmal drauf und dran, auf die Knie zu sinken, ihre Arme weit zu öffnen und die Kinder alle zu umarmen. Das und ihre unbestreitbaren Fähigkeiten in der Vermittlung von Lehrstoff an die Kleinen war vermutlich der Hauptgrund, warum sie als Lehrerin bei den Kindern so beliebt war. Und bei den meisten Lehrern erstaunlicherweise auch.

---ENDE DER LESEPROBE---