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Wer erstmal auf die Frage nach dem Sinn des Daseins gestossen ist, wird sich früher oder später beantworten müssen: Wer ist es eigentlich, der diese Frage stellt? Alexander Smit erforscht mit seinen Gesprächspartnern und Lesern die Grundannahmen zum eigenen Selbstverständnis und erschüttert in der Tradition seines Meisters Nisargadatta Maharaj die Fundamente der herkömmlichen Sicht auf sich selbst.
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Seitenzahl: 532
Veröffentlichungsjahr: 2021
Alexander Smit
Bewusstsein
Gespräche über das, was sich niemals ändert
© 2021 Alexander Smit
Übersetzung: Werner Hinniger
Verlag und Druck:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-347-24524-2
Hardcover:
978-3-347-24525-9
e-Book:
978-3-347-24526-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Alexander Smit
Bewusstsein
Gespräche über das,was sich niemals ändert
Originaltitel: "Bewustzijn: gesprekken over dat wat nooit verandert" von Alexander Smit, herausgegeben von Nardy de Nijs-van Aggelen und Philip Renard; Altamira Publishers, Niederlande, 1990.
Zitate von Sri Parabrahmadatta Maharaj (Alexander Smit), gesammelt und herausgegeben von Belle Bruins, Advaita Foundation, Niederlande, 1998
Aus dem Holländischen ins Englische übersetzt von Andre_van den Brink; Epigraph Books, Rhinebeck, N.Y.,USA, 2008
"Consciousness: Talks about That which never changes"
Aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Werner Hinniger 2010-2017
"Bewusstsein: Gespräche über Das, was sich nie verändert"
© Tredition Werner Hinniger
Vielen Dank an A. van den Brink für die Rechteübertragung
Titelbild © Werner Hinniger 2017
Alles, was man tut, hätte besser getan werden können, aber das ist eine Art Gedanke, die jemand, der etwas tut, mutig beiseitelegen muss, wenn er nicht will, dass jede seiner Ideen für immer ein Wunschbild bleiben soll, ein flüchtiges Traumgebilde. Wie viele solcher Traumgebilde habe ich entschwinden sehen in meinem Leben! Dies jedoch ist geblieben, es ist ein Zeugnis für meinen Mut oder ein Beweis meiner Tollkühnkeit.
Joseph Conrad
Inhalt
Vorwort
1. Ihr letzter Trumpf: Das „Ich Bin“
2. Absolut unwiderruflich
3. Über den Hund und seinen Schwanz
4. Über den nicht erfahrbaren Frieden
5. Singuläres Bewusstsein
6. Die Illusion des „Ich“-Prinzips
7. Ihr Mangel führt zur Suche
8. Knechtschaft erzwingt Deine Suche
9. Bewusstsein ist sich selbst genug
10. Wahrnehmung kennt kein Entkommen
11. Gott ist die formlose Essenz, in der jede Form ihren Ursprung hat
12. Ihr Unbehagen hat seinen Ursprung in Ihrem Selbst-Bewusstsein
13. Der natürliche Zustand ist und bleibt ungeteilt
14. Die Suche findet im Gesuchten satt
15. Das Leben zeigt sich in einem Paradox
16. Die perfekte Balance
17. Um zu sein, was Du bist, musst Du nichts tun
18. Selbstverwirklichung bedarf keiner Bestätigung
19. Was Du bist, kann nicht lokalisiert werden
20. Was wollen Sie wirklich?
21. Liebe bedeutet Geben, Nicht-Lieben bedeutet Nehmen
22. Das Immer-Präsente
23. Angst vor dem Unbekannten existiert nicht
24. Praxis macht das Leben aus
25. Sehen ist Sein
26. Bewusstsein ist nirgendwo nicht
27. Es gibt keine Vorbedingung für Bewusstsein
28. Spiritueller Autismus
29. Lass die Dinge ihre Geschichte erzählen
30. Du bist Bewusstsein
31. Das Leben ist ein göttliches Spiel
32. Alles Wissen ist Unwissenheit
33. Bewusstsein ist Dein wahres Potential
34. Von Konditionierungen frei zu sein, ist unmöglich
35. Das Bekannte gehen lassen
36. Wissen kann nicht von sich selbst wissen
37. Die „Person“ ist Vergangenheit
38. Was Du bist, ist nicht was Du suchst
39. Entspanne Dich innerhalb des Bewusstseins, das Du bist
40. Jede Sichtweise ist eine Beschränkung
41. Bewusstsein wird von Erinnerung nicht berührt
42. Ohne Bewusstsein keine Welt
43. Liebe ist, was Du bist
44. Wunschlosigkeit ist Dein größter Wunsch
45. Die Realität ist nie ein Problem
Ausgewählte Zitate
Über den Autor
Vorwort
von Philip Renard
Was ist die Wirklichkeit? Was ist der Mensch wirklich in seinem ursprünglichen, natürlichen Zustand? Was oder wer ist eigentlich das ‚Ich‘?
Diese grundsätzlichen Fragen sind das Thema dieses Buches. Eine die Wirklichkeit betreffende Frage kann nie auf einer theoretischen Ebene beantwortet werden, denn es handelt sich um etwas, dass im Leben selbst ausgedrückt werden muss. In dieser Angelegenheit hilft die Philosophie nicht, denn bei ihr handelt es sich um aus Gedankenkonstruktionen bestehende Überlegungen. Die einzige Möglichkeit, diese Frage zu lösen, besteht darin, ‚die Wirklichkeit zu seiner eigenen Wirklichkeit zu machen‘.
Traditionellerweise wird dieser Vorgang mit dem Wort: ‚Selbst-Verwirklichung‘ beschrieben. Das bedeutet: Die Verwirklichung dessen, was man schon immer ist, bloß dass es normalerweise nicht gelingt, das zu erkennen. Realisation ist ein sehr altes Thema, an dem Millionen von Menschen Interesse haben, und dennoch können nur sehr wenige aus ihrer eigenen Erfahrung heraus, darüber sprechen. Tatsächlich ist schon sehr viel darüber geschrieben worden, aber unglücklicherweise haben die Autoren allzu oft eine Philosophie, Wissenschaft oder Religion daraus gemacht. Somit mag die relativ kleine Anzahl an Texten, die von denjenigen verfasst wurden, die ihre wahre Natur verwirklicht haben, als Richtlinie dienen. Texte, in denen ausschließlich auf das Bezug genommen wird, was jenseits aller Vorstellungen und jenseits allen Glaubens ist. Und obwohl sich all diese Texte der Sprache und somit auch der Konzepte bedienen, wird der Leser dennoch mit Dem konfrontiert, was sich vor und jenseits aller Konzepte befindet, was im Endeffekt meint, mit Dem, was er selbst in seiner Essenz ist. Solche Texte enthalten oft die Wiedergabe mündlicher Antworten auf Fragen derjenigen, die auf der Suche nach Verwirklichung sind.
Was Sie gerade in den Händen halten, ist so eine schriftliche Wiedergabe von Antworten auf Fragen. Derjenige, der sich mit den Fragen befasst hat, ist Alexander Smit. Er wurde am 21. Oktober 1948 in Rotterdam geboren und verwirklichte seinen ursprünglichen Zustand am 21. September 1978. Alexander spricht nur auf der Basis seiner eigenen Erfahrung und er ersucht diejenigen, denen er antwortet, sich auch auf ihre eigenen Erfahrungen zu beschränken. Auf die Art entsteht eine Situation, in der eine wirkliche Begegnung möglich wird. Damit es überhaupt möglich ist, etwas Essentielles zu übermitteln, müssen diese Meetings von hoher Qualität sein. Nur auf die Art kann verhindert werden, dass die Konversation sich in belanglosen und Büchern entnommenen philosophischen Pseudo-Weisheiten verliert.
Um was handelt es sich bei dem zu übermittelnden ‚Essentiellem‘?
In der unglaublich großen Menge von Ideen, Konzepten, Zweifeln, Gefühlen und Einsichten, die man auch immer haben mag, erweist sich ein Faktor als wesentlich, denn selbst wenn alle anderen Faktoren verschwunden sind, ist es eine Tatsache, dass eines immer vorhanden ist, nämlich Bewusstsein, und dass Sie bei genauer Betrachtung feststellen werden, dass Sie dieses Bewusstsein sind. Alexander bezeichnet die Tatsache, dass Sie Bewusstsein sind, als ‚das erste und das letzte Konzept‘. An einem bestimmten Punkt wird sich auch dieses Konzept komplett auflösen, aber dennoch ist es vorläufig etwas, das als eine Art Haltegriff oder ‚Ausgangspunkt‘ fungieren kann.
Alle anderen Konzepte verdanken ihre Existenz allein diesem ersten und letzten Konzept. Sie sind bewusstes Sein – auch wenn Sie das noch so sehr bezweifeln mögen. Denn um es überhaupt bezweifeln zu können, müssen Sie zuerst einmal bewusst sein. Diese grundlegende Tatsache ist so unfassbar selbstverständlich, dass sie meistens schlichtweg übersehen wird. Die Funktion eines Lehrers besteht darin, Sie genau darauf hinzuweisen, in dem Treffen selbst und in der Präsenz, die Ihren Körper inklusive Denken und Gefühl einschließt. Und tatsächlich ist ‚Präsenz‘ nichts weiter als ein anderes Wort für Bewusstsein. Was auch immer innerhalb dieses Bewusstseins oder innerhalb der Präsenz stattfindet, die Präsenz selbst bleibt davon völlig unberührt. Sie verändert sich nicht. Bewusstsein ist keinerlei Veränderungen unterworfen. Es besitzt keine Gestalt und hat weder Anfang noch Ende. Es ist ungeboren.
Das was sich nie verändert, ist die grundlegende Bedingung für alles was sich ändert. Einschließlich aller Gedanken und sinnlicher Wahrnehmungen, die nichts weiter sind als sich ständig wandelnde Phänomene, ohne die geringste Schwierigkeit vom sich nie wandelnden Bewusstsein aus beobachtbar. Diese Fähigkeit zu Beobachtung ist jedoch keine individuelle Angelegenheit. Man kann es nicht wirklich als ‚mein‘ Bewusstsein oder selbst als ‚das‘ Bewusstsein beschreiben, denn Bewusstsein kann per Definitionem nie Objekt von etwas anderem sein. Bewusstseins ist eins. Das was es dem Lehrer ermöglicht zu sehen, ist absolut das gleiche Bewusstsein, das es auch dem Suchenden oder Schüler ermöglicht zu sehen.
Aus dieser Tatsache folgt, dass sich der Vorgang der Übermittlung überhaupt nicht vom Inhalt der Übermittlung unterscheidet. Es gibt nur eine Wirklichkeit: Ein ungeteiltes, homogenes Bewusstsein oder ‚Selbst‘. Das kann Ihnen dadurch klar werden, dass jemand außerhalb Ihrer – eine sichtbare, lebendige und greifbare Figur – in der Lage ist, Ihnen dauerhaft und überzeugend zu zeigen, dass er letztendlich nicht diese Figur ist. Dass er nicht diese denkende und fühlende ‚Person‘ ist, für den Sie ihn halten. Durch ihn werden Sie in die Lage versetzt zu erkennen, dass es nicht die ‚Person‘ ist, die befreit wird oder Erleuchtung erfährt, und es auch nie sein wird – und das genau das auch auf Ihre Person zutrifft. Denn was Sie im Grunde genommen suchen, ist Befreiung oder Verwirklichung als Person, was sich als unmöglich erweist. Denn tatsächlich ist diese ‚Person‘ als Erscheinung nichts weiter als eine Ansammlung von Gedanken, eine soziale Konvention.
Ich glaube nicht, dass man von der Offensichtlichkeit all dessen durch die in einem Buch dargelegten Erklärungen überzeugt werden kann. Die grundlegende Tatsache, dass eine sichtbare ‚Person‘ einem jenseits aller von einem selbst gehegten Zweifel zeigt, dass er keine Person ist, sondern Bewusstsein selbst, wird verursachen, dass die Glaubwürdigkeit der eigenen Person ins Wanken gerät. Und tatsächlich kann es genau in diesem Prozess passieren, dass man beginnt, den Zugriff auf die eigene Person zu verlieren und gelegentlich von dem Gefühl überwältigt wird, gerade dabei zu sein, Selbstmord zu begehen.
Mir hat Alexander gezeigt, dass das Leben von diesem ‚Standpunkt‘ ausgelebt (wobei es sich natürlich nicht um einen Standpunkt im eigentlichen Sinne handelt), nicht zum Tode führt, selbst dann, wenn die Person ein für alle Mal verschwunden ist. Und in der Tat scheint die Person abwesend zu sein, aber erst dann enthüllt sich das Leben in seiner ganzen Schönheit und Fülle. Das Leben selbst scheint keiner Unterstützung einer solchen ‚Person‘ zu bedürfen. Weil Alexander nur aus diesem unberührbaren, felsähnlichen Bewusstsein heraus lebt, und seine Lehre nach dem Motto ‚das Erste zuerst‘ einzig und direkt auf Das ausgerichtet ist, wurde es an einem bestimmten Punkt möglich zu glauben, dass da etwas ist, dass auch von mir verwirklicht werden könnte.
Nach mehr als fünfundzwanzig Jahren Suche und nachdem ich fast alle wichtigen Bücher über das Absolute gelesen hatte, wage ich zu behaupten, dass ich nur durch die drei Jahre währende direkte Konfrontation mit Alexander zum Kern der Dinge vordringen konnte. Schon lange vorher hatte ich von den üblichen Formeln wie ‚Ich bin nur Bewusstsein allein‘ und ‚der Verstand ist nichts außer Buddha allein‘ gehört, aber nie hatte ich irgendjemanden es wirklich demonstrieren sehen. Bis dahin waren mir unzählige Menschen begegnet, die vielleicht auch alles gelesen hatten, nur um sich dann, wenn man es genau betrachtet, in Bezug auf die wahre Realisation dieser Tatsachen in einer extremen Form von Zynismus festzufahren, genauso wie auch Menschen, die auf Basis einer intellektuellen Einsicht in die Aussage ‚schon immer erleuchtet gewesen zu sein‘ eine Art ‚Pseudo-Guru-Gehabe‘ angenommen haben.
Für die Beurteilung eines Lehrers ist es nicht wichtig, wie sich die ‚Person‘ des Lehrers wohlmöglich verhält oder wie man ihn vom moralischen Standpunkt her betrachten mag (Selbst-Verwirklichung hat mit Heiligkeit nichts zu tun), sondern ob im tiefst möglichen Sinne seine innere Teilung aufgelöst ist. Nur so eine völlige Auflösung, die eine völlige Abwesenheit der ‚Person‘ bedeutet, kann jemandem helfen zu erkennen, dass das, was sich gerade vor den eigenen Augen abspielt auch einen selbst etwas angehen kann. Der einzig für einen Lehrer geltende Maßstab ist, ob man selbst in der Konfrontation mit ihm zu Klarheit gelangt. Die immerwährende Konzentration auf Das, was ungeteilt, unbestechlich und absolut essentiell jeder Mensch seinem Wesen nach ist (möglicherweise auch innerhalb des launischen Kontextes einer handelnden Figur), war für mich innerhalb der Lehre Alexanders von größter Bedeutung.
Wenn ich sage, dass ich für seine Lehre zutiefst dankbar bin, wendet sich diese Dankbarkeit dann an die Person Alexander Smit? Im gewissen Sinne bestimmt. Aber mir ist auch langsam klar geworden, dass es im tieferen Sinne niemanden oder nichts gibt, dem zu danken wäre – denn mein Dank richtet sich nur an das Nicht-Messbare, das ich selbst in meiner Essenz bin. Dass eine Person einer anderen das übermitteln kann, ist allerdings ein großes Wunder.
Der Übermittlungsprozess an sich ist nichts Neues. Das wahre Wissen von den Dingen ist schon immer mündlich von Lehrer zu Schüler überliefert worden. Man nehme nur die unfassbar hochwertigen Überlieferungen eines Ramana Maharshi. Die ältesten Aufzeichnungen dieses Wissen sind in Teilen der Upanishaden enthalten (wie der Brihadaranyaka und Chhandogya), deren Entstehungsdatum oft auf das achte Jahrhundert vor Christus geschätzt werden. Der wesentliche Inhalt dieser Aufzeichnungen ist identisch mit dem was Alexander Smit jetzt übermittelt, im Besonderen das Wissen über Das, was sich nie verändert, ‚das-Eine-ohne-ein-Zweites‘. Der Sanskrit Ausdruck dafür lautet ‚Advaita‘ oder Non-Dualität (von a-dvi, nicht-zwei).
Während die Inhalte sich nie verändert haben und sich ja tatsächlich auch niemals verändern können, kann sich die Form der Lehre in jedem Moment ändern, und das tut sie auch. Alexanders Lehre zeigt eine große Affinität zum Advaita Vedanta des Gaudapa oder Shankara, und dennoch ist die Form seiner Advaita-Überlieferung von seinem Lehrer Shri Nisargadatta Maharaj vererbt und lässt sich zurück verfolgen auf den im dreizehnten Jahrhundert lebenden Jnaneshwar. Ein bedeutender Unterschied zu der Herangehensweise Shankaras ist zum Beispiel, dass Alexander keinen wirklichen Grund dafür sieht, den weltlichen Dingen nur mit großem Vorbehalt zu begegnen. Dinge wie Mönchtum oder Zölibat sind auch tatsächlich in der Vorstellung begründet, dass zuerst einige Dinge ausgeschlossen werden müssen, um das All-Umfassende Eine verwirklichen zu können. Davon mal ganz abgesehen, können all diese Vorstellungen nur im Lichte der jeweiligen Zeit und Kultur, in der bestimmte Ratschläge erteilt wurden, beurteilt werden.
Mündliche Überlieferung bedeutet unter anderem, dass etwas durch das Wort übermittelt wird. Eines der Charakteristika des Wortes ist seine dualistische Natur. Wie kann etwas so Dualistisches wie das Wort überhaupt etwas zur Verwirklichung der eigenen non-dualen Wirklichkeit beitragen? Sollte nicht jeder einfach viel eher den Mund halten? Lao-Tse hat doch schon gesagt: ‚Derjenige, der weiß, spricht nicht. Und derjenige, der spricht, weiß nicht‘. Und in der Amritanubhava wird von JJnaneshwar gesagt: ‚Wie kann die Macht und die Größe des Wortes jemals beschrieben werden, dass, obwohl es doch das Individuum in Fesseln gelegt hat, sich letztendlich selbst opfert, um das Individuum an seine wahrhafte und rechtmäßige Position zu setzen?‘ In anderen Worten: Genau die Sache, die in sich den Keim der inneren Teilung oder Fesselung beherbergt, ist gleichzeitig das Mittel, um diese Teilung zu beseitigen, in dem es sich ‚letztlich selber opfert‘.
In unserer Suche nach der Befreiung von den Fesseln errichten wir Konzept für Konzept. In den Gesprächen mit Alexander mag unser Konzept an einem gewissen Punkt bestätigt werden, um im nächsten Moment komplett verneint zu werden. Nur in dem die Worte in so paradoxer Art benutzt werden, kann die zugrunde liegende Wurzel der Konzeptschmiede an einem bestimmten Punkt erkannt werden. Und tatsächlich ist jedes Konzept offenbar eine Art Klammergriff oder Falle. Wenn man völlig sich selbst überlassen ist, dann kann man gar nicht anders, als auf ewig damit fortzufahren, Baustein nach Baustein für die Konstruktion weiterer Konzepte zusammenzutragen. Nur wenn man sich jemandem öffnet, der auch nicht eines dieser Konzeptgebilde nutzt, kann die eigene Konzept-Welt in Stücke zerfallen.
Der Illusionscharakter aller Vorstellungen und Konzepte kann nicht durch Erfahrung oder Disziplin sichtbar gemacht werden, denn auch dabei handelt es sich um vorübergehende Dinge, die nicht bis zur Wurzel der Fessel vorstoßen können. Diese Wurzel wird traditionellerweise als ‚Ajnana‘ bezeichnet, Unwissenheit, und wird beschrieben als ‚ohne Anfang‘ sein. Aus dem Grund wird ‚Jnana‘, das Wissen selbst, als einziges Gegenmittel bezeichnet, das ‚Ajnana‘ aufzulösen vermag. Das Wissen selbst wird alle weiteren Fragen, die den Beginn oder den Ursprung betreffen, auslöschen, denn das Wissen selbst ist ohne Ursprung und wird nicht erscheinen, um von irgendetwas anderem verborgen zu werden.
Als Weg funktioniert ‚Jnana‘ mittels der Kraft zur Unterscheidung, nämlich in dem man lernt, den Unterschied zwischen den Mitteln zur Erkenntnis (Denken, Fühlen und körperliche Empfindungen) und der Erkenntnis selbst zu sehen. Dieser Unterschied kann ohne Worte nicht verdeutlicht werden. Die Vorstellung, er könnte auch durch Yoga, Meditation oder irgendeine andere Methode oder Disziplin verdeutlicht werden, basiert auf der Tatsache, dass es einem misslingt zu erkennen, dass der konzeptschaffende Prozess innerhalb dieser Methoden nie aufhört. Bei richtigem Gebrauch der Macht der Unterscheidungsfähigkeit (der paradoxerweise auf einen tiefen meditativen Prozess oder Sadhana hinausläuft), wird schließlich ein Punkt erreicht, an dem das, was jenseits und vor jeder Unterscheidung liegt, erkannt werden kann.
Viele Fragen, die Alexander gestellt werden, befinden sich auf der persönlichen Ebene. Oder vielmehr sind es Fragen, die sich auf Problemen begründen, die in mentalen und emotionalen Bereichen liegen. Tatsächlich ist das eher die Domäne der Psychologie oder Psychotherapie. Und um klar zu stellen, dass es aus so einem Blickwinkel nicht möglich ist, Einblick in den ‚Untergrund‘ der Dinge – dem Wissen selbst - zu gewinnen, lehnt Alexander die meisten dieser Fragen ab. Das könnte den Eindruck entstehen lassen, dass die Psychotherapie als Ganzes zurückgewiesen werden würde, aber das ist überhaupt nicht der Fall.
Auf der anderen Seite ist das, was sehr deutlich gemacht wird, Folgendes: Die spezifische Art, in der die Psychotherapie die Dinge betrachtet – die sogenannte Haltung, ‚an sich selbst arbeiten zu müssen‘ – trägt in sich die Unmöglichkeit, über seine Grenzen hinauszugehen. In anderen Worten: Die Ausrichtung auf die Anliegen der Person bleibt bestehen. Als Konsequenz kann die Wurzel, nämlich die Grundannahme, ein separates Wesen zu sein, nicht sichtbar gemacht werden. Das ist der Grund, dass jemandem, der an der letztendlichen Wahrheit interessiert ist, angeraten wird, die Suche innerhalb des Bereichs der Persönlichkeit aufzugeben.
Das verändert jedoch nichts an der Tatsache, dass es so etwas wie eine ‚zeitweilige‘ Wahrheit durchaus geben kann, eine ehrliche Begegnung mit allen Arten von emotionalen Verknotungen oder Verwicklungen, die nicht aufhören, ganz plötzlich aufzutauchen. Wenn diese Verwicklungen aus einer Sehnsucht nach dem, was als ‚höher‘ betrachtet wird, ignoriert werden, dann mangelt es der finalen Erforschung am Fundament. Unglücklicherweise geschieht das in spirituellen Kreisen nur all zu oft. Aus diesem Grund wäre es für jemanden, der mit allen möglichen Verwicklungen und ungelösten Themen zu kämpfen hat, durchaus angebracht, einen gewissen Zeitraum darauf zu verwenden, die diesen Dingen zugrundeliegenden Ursachen aufzudecken. Denn all diese Ursachen sind normalerweise mit Verneinung und Widerstand verbunden, und es könnte hilfreich sein, diese Themen mit jemanden anzugehen, der seine eigenen Widerstände schon untersucht hat, und darin ausgebildet ist, andere in dieser Art der Erforschung beaufsichtigend zu begleiten. Für die Belange, um die es hier geht, ist es von absoluter Bedeutung, dass dieser Therapeut oder Lehrer um den natürlichen Zustand zumindest selber weiß. Aus der Position heraus wird er in der Lage sein, dem anderen zu helfen und ohne Verurteilung auf die behindernden und verwirrenden Elemente schauen.
Genau die Kräfte, die normalerweise als ‚negativ‘ bezeichnet werden und die meistens unter diversen Schichten von Schuldgefühl und ähnlichen Dingen verborgen liegen, besitzen eine Vitalität und Kreativität, die einem tatsächlich sehr helfen kann. Genau aus diesem Grund kann man sagen, dass es sehr wichtig ist, diese vitalen Kräfte aufzudecken. Der Therapeut oder Lehrer sollte einen sicheren Raum bieten können, so dass man es wagen kann, selbst den hässlichsten Impulsen gegenüber zu treten. Zur gleichen Zeit wird der Lehrer nicht die Idee haben, dass diese Art von Erforschung, die auf der Ebene der Person stattfindet, zur letztendlichen Befreiung führen wird. Denn auch auf dieser Ebene hat man es im Grunde genommen immer mit Begrenzungen zu tun und sollte den Hauptfokus auf die übereinander lagernden Schichten richten, um eine nach der anderen abschälen und durchschauen zu können.
Obwohl dieser Prozess vielleicht nur die ‚gröberen‘ Illusionen betrifft, wie zum Beispiel die Projektion kindlicher Bilder auf gegenwärtige Situationen, mag selbst diese Art von therapeutischer Arbeit dabei helfen, zu erkennen, was man nicht ist. An einem gewissen Punkt sind die Stimmen von Vater und Mutter unbemerkt zu einer Richtlinie im eigenen Leben geworden, uns immer zur Perfektion drängend. Und diese Stimmen, verstärkt noch durch ihr scheinbares Gegengewicht – dem Verlangen nach völliger Unabhängigkeit – beschneiden uns aufgrund der scheinbar vorgefundenen Unzulänglichkeiten andauernd. Das, was zu einer gewissen Zeit einfach nur Zeuge war, hat sich allmählich in einen Ankläger plus Staatsanwalt verwandelt. Und weil wir uns mit beiden identifizieren, dem inneren Ankläger und dem in uns angeklagten Teil, resultiert dieser Prozess in einen inneren Missklang, der anscheinend nicht behoben werden kann. In diesem grundsätzlichen Dilemma liegt das Drama der Person.
Was es tatsächlich unter Zuhilfenahme der Fähigkeit zur Unterscheidung zu erkennen gilt ist, dass sich in Wirklichkeit keine der miteinander ringenden Parteien in Ihnen befindet. Wenn die Situation jedoch nicht als solche erkannt werden kann und man an einem gewissen Punkt mit Begriffen wie ‚der Wahrnehmende‘ oder ‚der Zeuge‘ in Berührung kommt, und immerhin sind das ja Begriffe, die im Advaita zum alltäglichen Wortschatz gehören, dann werden diese Begriffe wahrscheinlich für eine der miteinander kämpfenden Parteien gehalten, in anderen Worten, sie werden als das ständig Kritik ausübende Selbst-Bewusstsein missverstanden. Zu einem gewissen Zeitpunkt muss verstanden werden, dass beide Seiten des Dilemmas, also der Kläger und der Angeklagte, schon von dem, was selbst nicht wahrgenommen werden kann und was überhaupt keinen objektiven Wert hat, wahrgenommen wird, und zwar auf nicht verurteilende Art. Meiner Ansicht nach hat eine sich in die Richtung orientierende Psychotherapie durchaus seine Berechtigung.
Um eine tiefergehende Untersuchung durchführen zu können, ist es von essentieller Bedeutung, die zwei grundsätzlich verschiedenen Ebenen der Bezeugung zu erkennen und seinen eigenen inneren ‚Grund‘ zu finden. Durch einen ‚Prozess der Individualisierung‘ wäre in so einem Fall das letztendliche Ziel einer Therapie nicht nur das ‚gesunde Funktionieren‘ oder, wie in transpersonal ausgerichteten New Age-Kreisen geläufig, die Entdeckung eines ‚höheren‘ Selbst, sondern gleichzeitig würde sie den Verteidigungscharakter der Person als Ganzes in all seinen höheren und subtileren Aspekten umfassend verstehen können. So eine Therapie kann sehr wohl als Vorbereitung dienen, um einem selbstverwirklichten Lehrer in aufnahmebereiter Verfassung zuhören zu können, wenn die Frage ‚ Aber, wer bin ich denn nun letztendlich wirklich?‘ beantwortet werden könnte.
Wenn eine Person überhaupt an Selbst-Verwirklichung interessiert ist, wäre sie gut beraten, an einem gewissen Punkt die therapeutische Herangehensweise einzustellen, denn es muss eine Aufmerksamkeit freigesetzt werden, die nicht mehr länger auf Inhalte und Objekte fokussiert ist. Therapie ist ein Erkenntnisprozess, in dem all die eher ‚gröberen‘ Projektionsmechanismen gesehen und durchschaut werden. Das bedeutet, all die verneinten oder sogar verabscheuten inneren Anteile liebend annehmen zu können. Aber einmal ans Licht gebracht, entsteht Raum, die feinere Projektion zu erkennen: Die Person selbst. Aber zu erkennen, dass diese Person lediglich ein Gedankenkonglomerat ist und demzufolge einzig aus Objekten besteht, liegt jenseits des Bereiches von ‚an sich arbeiten‘: Die Person kann nicht daran arbeiten, sich selbst aufzulösen.
Aus dem Grund kann nicht gesagt werden, dass der Weg zur letztendlichen Selbst-Verwirklichung über die Fortsetzung einer Therapie führt, obwohl die vorübergehende Erforschung der persönlichen Verwicklungen sich als absolut nützlich erweisen kann. Die ganze Thematik der Selbst-Verwirklichung lässt sich an einer radikalen Verschiebung unserer Sichtweise festmachen. Andererseits hängt in der Therapie die gesamte Ausrichtung auf einen selbst, das heißt die Ausrichtung auf die Inhalte und Zusammensetzung der Person, von dem Bedürfnis ab, sich selbst verbessern zu wollen. Aber die Tatsache, dass ein Teil der Person glaubt, dass ein anderer der Veränderung bedarf, ist nur eine weitere Demonstration des inneren Missklangs. Trotz der Tatsache, dass dieser Prozess in seinem Ablauf allmählich immer feiner wird, wird er immer weiter gehen.
Alexander betont die Tatsache, dass jede Form von Selbstverbesserung als solches ein Hindernis für die Verwirklichung unserer wahren Natur bildet. Wie subtil so ein Drang nach Selbstverbesserung auch sein mag, wenn er zum Beispiel als ‚Entwicklung‘ oder ‚Wachstum‘ daher- kommt, bestimmt er immer noch die Realität der Person. Nur wenn die gesamte Person als ein Bündel von Konzepten und Vorstellungen erkannt wird, kann der Drang nach Veränderung aufgelöst werden. An dem Punkt kann die ganze Manifestation akzeptiert werden, was sich durch das ausdrückt, was Alexander als ‚Es seine Geschichte erzählen lassen‘ bezeichnet. Während alle Aspekte der Manifestation einfach weiterhin auftauchen, können der Teufelskreis und die Einengung – beides wesentliche Merkmale des Drangs nach Verbesserung - ohne den Wunsch einzugreifen erneut betrachtet werden, um dann tatsächlich als aus einem einzigen grundsätzlichen Material bestehend, erkannt zu werden, nämlich Bewusstsein – demselben Bewusstsein, welches das Sehen oder Wissen selbst ist. Von dem Punkt an kann man mit dem Gesehenen nicht mehr im Konflikt sein.
Warum bestehe ich nun darauf, dass das Lösen der Anspannung und die erwähnte Akzeptanz nur dann möglich ist, wenn man über einen bestimmten Zeitraum in eine lebendige Beziehung, will sagen in eine direkte Konfrontation mit einem Lehrer tritt, wenn man doch eigentlich argumentieren könnte, dass durch so eine Lehrer-Schüler Beziehung nur eine neue Form von Abhängigkeit entstehen würde? Wo man doch davon mal ganz abgesehen bei der ganzen Lehrer-Thematik auf eine ganze Reihe von Fehltritten verweisen könnte, so dass das Wort ‚Guru‘ doch schon fast eher zu einer Art Schimpfwort geworden ist.
In der Tat konnte ich auch in meinem ganz eigenen Fall ein hohes Ausmaß an Übertragungsmechanismen in Richtung meines Lehrers beobachten. Über einen bestimmten Zeitraum hinweg wurden alle denkbaren Abhängigkeitsphänomene, sowohl die infantilen als auch die pubertären auf die sichtbare ‚Person‘ Alexander Smit projiziert. Auf die Rolle des Lehrers bezogen kann man durchaus erkennen, dass es eine Vielzahl von Personen gibt, die Dank gewisser psychologischer Fähigkeiten ihrer Gefolgschaft gegenüber durchaus eine Position großer Autorität einnehmen und auch nicht im Geringsten erkennen lassen, die Absicht zu haben, diese Position irgendwann aufzugeben. Auf die Art kommt die Idee der Befreiung aus Knechtschaft natürlich dem sprichwörtlichen vom Regen in die Traufe gleich.
Deshalb glaube ich, dass nur ein Lehrer, der von der höchsten Ebene aus lehrt und ununterbrochen den Unterschied zwischen den verschiedenen Ebenen der Realität aufzeigen kann, das heißt zwischen der Ebene des unveränderlichen Bewusstseins und der Ebene der veränderlichen Phänomene, auf seine Schüler eine nichtbindende Wirkung hat. Denn Bindung kann nur auf der Ebene der veränderbaren Person entstehen. Auf der Ebene dessen, was schon immer erleuchtet ist, gibt es weder Lehrer noch Schüler und demzufolge ist Bindung dort gar nicht möglich. Ich glaube, in den Fällen, wo ein Lehrer eine Position von Abhängigkeit seiner Schüler aufrecht- erhält, wird die Tatsache nicht ausreichend genug betont, dass weder der Lehrer noch der Schüler eine ‚Person‘ ist und jede Form von Hingabe einzig und allein dem gelten kann, was man wahrhaft als ‚die wirkliche Sache‘ bezeichnen könnte, nämlich der Wirklichkeit, die Sie selbst sind. Wie in dem Gedicht ‚Advaita Makaranda‘ gesagt wird, ‚Ich bin die Kraft, in der sich aus eigener Autorität und Absolutheit die Erscheinung der Welt und der verschiedenen Seelen der Schüler und der Lehrer, ereignet‘.
Die beste Antwort auf die Frage, ob man auch ohne Guru auskommen könnte, ist Nisargadattas Gegenfrage: ‚Kommt man auch ohne Mutter aus?‘ Zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendig, sonst wäre man überhaupt nicht da. Sich einem selbst-verwirklichten Guru zu öffnen, ist ein zu einem bestimmten Zeitpunkt stattfindendes Ereignis, ohne das man nicht in der Lage wäre, die Einheit von ‚innerer‘ und ‚äußerer‘ Welt zu realisieren. Eine lebende Ausnahme zu dem Ganzen von ‚außerhalb‘ kommenden Stress zu erleben – der ja nichts anderes als das Spiegelbild des ‚inneren‘ Stress ist - kann die Befreiung von der Anspannung und die erwähnte Akzeptanz möglich machen. Es muss eine fühl- und greifbar demonstrierende Manifestation dessen geben. Für mich selber ist von Bedeutung, dass die Beziehung mit dem Guru mit ihrer sichtbaren Befreiung von dem Drang nach Veränderung das einzige Mittel bildet, ein für alle Mal alle Gurus und auch alle nichterkannten Formen von spiritueller Autorität außerhalb meiner selbst loszuwerden.
Was ich als so besonders an Alexanders Lehre und seiner Art, sie zu übermitteln, empfinde ist, dass sie tatsächlich nichts ‚Besonderes‘ ist. Auf keine Art exotisch, orientalisch oder übernatürlich. Es ist klar, dass Advaita, das seine Wurzeln in Indien hat, nicht in seiner östlichen Form in den Westen transplantiert werden kann. Die Essenz von Advaita ist jedoch weder ‚östlich‘ noch ‚westlich‘ und kann von daher jede sichtbare Form annehmen. Und somit hat sich um Alexander weder eine Kultur noch irgendein Kult gebildet. Davon mal ganz abgesehen betrachte ich es als etwas Besonderes, dass die Lehre auf Holländisch vermittelt wird. Das mag man für eine unsinnige Bemerkung halten, aber wie oft kommt es vor, dass Unklarheiten auf den Übersetzer, Unterschiede in der Kultur und ähnliche Dinge zurückzuführen sind. Alexanders Art zu reden ist total westlich, modern und einfach. Verschiedene Themen aus traditionellen Texten, deren Sinn mir bis dahin absolut verborgen geblieben war, haben sich mir auf Grund einer mir vertrauten Wortwahl in einem bestimmten Stadium erschlossen.
Das vorliegende Buch beinhaltet eine Zusammenstellung von Gesprächen mit Alexander Smit. Im Endeffekt kann es sich dabei natürlich nur um ein Zerrbild der Realität einer Live-Begegnung handeln. Wie gut die Texte auch ausgewählt und zusammengestellt sein mögen, eine echte Beziehung zwischen Guru und Schüler kann durch nichts ersetzt werden. Alexander selbst schrieb, ‚Wer es mit der Selbst-Verwirklichung ernst meint, wird, wenn er ehrlich ist, feststellen, dass er an einem bestimmten Punkt hängen bleibt und kein Buch mehr die Lösung bieten kann, nach der man auf der Suche ist. So jemand erkennt, dass es eines Lehrers aus Fleisch und Blut bedarf‘.
1Ihr letzter Trumpf: Das ‚Ich-Bin‘
Besucher:Vor nicht allzu langer Zeit haben Sie über den letzten Trumpf gesprochen, den jeder im Spiel der Selbst-Realisation zurückhält. Das Ass im Ärmel, wenn man direkt mit sich selbst konfrontiert wird. Könnten Sie dazu noch etwas sagen?
Alexander: Auf den ersten Blick sieht es so aus, als ob jeder über eine individuelle Trumpfkarte verfügen würde, aber im Endeffekt läuft es doch immer auf dasselbe hinaus: Das ‚Ich-bin‘ Bewusstsein, Ihre Subjektivität. Das Bewusstsein von ‚Ich bin‘ ist Ihr letzter Trumpf. Auf diesem Fundament entwickeln Sie Ihre Ansichten, vertreten Standpunkte, haben Ideen von oder über etwas und bauen eine Vorstellung von sich auf. Die Grundlage von all dem ist das Phänomen des ‚Ich bin‘.
Besucher:Gibt es eine Verbindung zwischen diesem Phänomen und dem Ego?
Alexander: Das Wort ‚Ego‘ führt zu Sprachverwirrung. Das Ego wurde von Psychologen eingeführt, um die Persönlichkeitsstruktur zu beschreiben, die ‚Ich‘-Struktur. Aber an der Wurzel von all dem befindet sich ein eher formloses Gefühl von… ‚Ich bin‘. Das bezweifelt niemand. Und selbst wenn man es bezweifeln wollte, muss man dazu als Grundvoraussetzung erstmal sein.
Besucher:Aber wie kann dieses Ich-Bin‘ als letzter Trumpf genutzt werden?
Alexander: Genau dieses ‚Ich-Bin‘ ist die letzte Illusion, obwohl eigentlich kaum jemand an den Punkt gelangt, das zu erkennen. Dieses ‚Ich-Bin‘ wird im Sanskrit als ‚mula-maya‘ bezeichnet, die Wurzel der Illusion. Wie auch immer Sie es drehen und wenden, eine gewisse Form von Selbst-Bewusstsein wird immer vorhanden sein. Sie könnten es auch als ‚Wahrnehmerschaft‘ bezeichnen. Aber lassen Sie sich nicht in die Irre führen! Im Endeffekt wollen Sie verschwinden, sich in Liebe aufzulösen.
Sehen Sie sich das an, wonach Sie sich am meisten sehnen. Bei allem wonach Sie sehnsüchtig streben, handelt es sich um eine Form von Auflösung, was bedeutet in Liebe zu verschwinden, in Ihrer wahren Natur. Ob es sich dabei um Geige spielen, Sex, Essen, Meditation oder Fußball handelt. All diese Dinge deuten Befreiung an, einhergehend mit einem Gefühl der Erleichterung. Deswegen macht man es ja auch, denn die Empfindung ‚sich-seiner-selbst-bewusst-zu-sein‘ hat sich für eine gewisse Zeitspanne aufgelöst – aber nicht vergessen: Nur für eine gewisse Zeitspanne.
In Wirklichkeit gibt es keinen Unterschied zwischen dieser ‚Wahrnehmerschaft‘ und dem Selbst-Bewusstsein. Das Schicksal des Menschen ist ein besonderes, denn er ist und zur gleichen Zeit nimmt er wahr, dass er ist. Zur gleichen Zeit – ein sehr eigentümliches Phänomen. Vielleicht könnte man den Versuch unternehmen, dieses Phänomen auf Grundlage der Hirnstruktur wissenschaftlich zu erklären, aber selbst dann ist es absolut unvermeidbar, dass alle Erklärungsansätze und Hypothesen wiederum Gegenstand der Wahrnehmung sind.
Besucher:Ich bin mir immer noch nicht darüber im Klaren, wobei es sich bei Ihrem so genannten letzten Trumpf eigentlich handelt.
Alexander: Das Problem ist, dass Sie nicht von dem lösen können, was sich permanent vor Ihren Augen abspielt. Durch das Zusammenspiel der fünf Elemente - Erde, Wasser, Feuer, Luft und Äther – spielt sich ständig ein unfassbarer Schöpfungsprozess vor Ihrer Nase ab. Und als Resultat dieses Prozesses haben Sie begonnen, sich als ein Produkt dieser Schöpfung zu betrachten. Sie bringen das Bewusstsein mit seinen Inhalten durcheinander. Es kann kaum anders sein, denn bis zum jetzigen Zeitpunkt handelt es sich bei allem, was Ihnen bekannt ist, einzig und allein um die Inhalte des Bewusstseins. So läuft das Spiel.
Alles was Sie möglicherweise wahrnehmen – vom Wachzustand über den Traum bis zum tiefen, traumlosen Schlaf – ist Inhalt des ‚Ich-Bin‘. Beim tiefen, traumlosen Schlaf handelt es sich vielleicht um das am schwierigsten Wahrzunehmende, denn Sie beziehen sich ja darauf als ‚das wo nichts ist‘, aber ich verspreche Ihnen, da ist etwas! Nur, dass Ihre Suche nicht so weit reicht. Das Problem ist nicht, dass alles so unwahrscheinlich kompliziert wäre, sondern dass Sie einfach nicht tief genug hinschauen.
(8. Dezember 1978)
2Absolut unwiderruflich
Alexander: Es ist ziemlich lange her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Wie ist es Ihnen in der Zwischenzeit ergangen?
Besucher:Ich bin nicht mehr gekommen, weil ich mich ein wenig erholen musste. Nach unserem letzten Gespräch ist mir alles zu viel geworden.
Alexander: Gibt es etwas, das Sie dauerhaft beschäftigt hat? Etwas von dem Sie sagen: ‚Das ist es, womit ich mich in der letzten Zeit auseinandergesetzt habe‘.
Besucher:Ich glaube schon. Ich habe viel über Wünsche nachgedacht. Und über das ‚Ich-Bin‘, von dem Sie sprechen. Ich verstehe dieses ‚Ich-Bin‘ als die mich grundlegend beschreibende Wahrheit, aber das ist ziemlich verwirrend.
Alexander: Wünsche benötigen eine enorme Menge an Energie. Wenn Sie weniger Energie zur Verfügung haben, zum Beispiel, wenn Sie älter werden, nimmt auch die Macht des Selbst-Bewusstseins ab. Die Lebensenergie schaltet sozusagen einen Gang zurück, obwohl einen das nicht vom grundsätzlichen Dilemma der Existenz befreit. In anderen Worten: Die Lebensenergie zieht sich zurück. Vergleichen Sie es einfach mit dem Aufblasen eines Luftballons. Druck wird von innen auf die Oberfläche ausgeübt. Auf Dauer wird der Ballon elastischer, was als Konsequenz den Druck vermindert. Genauso verhält es sich mit dem Selbst-Bewusstsein. Den Körper könnte man als den Duft des Selbst-Bewusstseins bezeichnen. Solange der Körper besteht, solange besteht auch Selbst-Bewusstsein. Es ist Ihrem ‚Mensch-Sein‘ inhärent, da gibt es kein Entrinnen. Sie können davon ausgehen, dass das Selbst-Bewusstsein nie zu einem Ende kommen wird. Denn es steckt genau soviel Lebensenergie im Selbst-Bewusstsein wie im Körper-Bewusstsein. Und Wünsche sind ein Teil davon, daran ist überhaupt nichts verkehrt.
Besucher:Soweit kann ich das verstehen. Wenn ich krank bin, habe ich beträchtlich weniger Interesse an meiner Umwelt. Aber sobald es mir wieder besser geht, stecke ich wieder mittendrin.
Alexander: Wenn Sie gesund sind, richtet sich die Aufmerksamkeit nicht so sehr auf den eigenen Körper. Bewusstsein wendet sich dann über die Sinne nach außen. Wünsche stehen immer im Dienst des Körpers. Denken und Fühlen sind auf das Überleben ausgerichtet. Je mehr die Wünsche mit einem angenommenen ‚Ich‘ zusammen- hängen, desto destruktiver ist ihr Charakter.
Wenn Sie Ihren Besitz schützen wollen, müssen Sie einfach die entsprechenden Bedingungen schaffen. Wenn Sie zum Beispiel eine Gipfel-Erfahrung gemacht haben und fest entschlossen sind, sie zu wiederholen, dann werden Sie Ihr gesamtes Leben darauf ausrichten. Das ist doch ganz klar. Sie wünschen sich nichts mehr, als diese Erfahrung zu wiederholen, denn Ihr gegenwärtiges Leben ist, verglichen mit dieser Erfahrung, absolut unerträglich. Und schon sind Sie mit der Realität konfrontiert: Sie werden älter, Sie werden sterben, Sie sind endlich. Konsequenz Ihres hiesigen Seins ist, dass es eines Tages enden wird.
Körper-Bewusstsein ist etwas Unerträgliches. Und obwohl von kultureller und sozialer Seite sehr viel Aufhebens darum gemacht wird, ist es relativ einfach, diese Seifenblase zum Platzen zu bringen.
Besucher:Fragt sich nur, was bleibt. Das hört sich alles ziemlich trostlos an.
Alexander: Ja, vielleicht. Die Dinge, die bleiben, die wirklich wesentlichenDinge - derer sind Sie sich nicht bewusst. Es kann gar nicht anders sein, denn wenn Sie es wären, wäre das unnatürlich. Als ob man ein bestimmtes Verhalten üben würde. Es ist unmöglich, völlige Verneinung zu praktizieren.
Entweder es wird erkannt oder eben nicht. Eine darauf abzielende Praxis kann nur eine Persiflage Ihres natürlichen Zustands sein. Denn der wahrhaft natürliche Zustand ist zugleich völlige Ablehnung und totale Umarmung des Seins.
Besucher:Aber das ist doch völlig paradox.
Alexander: Ablehnung und Umarmung ergänzen sich perfekt. Vielleicht sind die so genannten ‚primitiven‘ Völker deshalb so natürlich, weil sie ihre eigene Natürlichkeit nicht bemerken.
Besucher:Ich verstehe nichts von all dem.
Alexander: Sie können Ihre Gedanken ignorieren, Sie können Ihre Gefühle ignorieren, aber das am offensichtlichste werden Sie nicht übergehen können, nämlich dass Sie sind. Das ist Ihr blinder Fleck. Der Guru zeigt Ihnen, was Sie wirklich sind. Das ist seine Funktion.
Besucher:Wie genau sieht das aus?
Alexander: Unter uns gesprochen, er ist derjenige, der Ihnen die letzte Trumpfkarte aus der Hand reißt. Die letzte Karte, die Sie in dem Spiel zurückhalten, bewusst oder unbewusst. Aber es ist einfach vorherzusagen, was Ihre letzte Trumpfkarte ist: Ihr ewiges Bemühen, dem ‚Ich-Bewusstsein‘ zu entrinnen. Dafür sind Sie bereit, bei jedem noch so kleinen Spielchen mitzumachen. Genau aus diesem Grund sind Sie korrupt und korrumpierbar. Im Dienst dieses Bemühens mobilisieren Sie alles.
Besucher:Ich habe einmal gehört, dass es ohne Guru nicht funktioniert.
Alexander: Kümmern Sie sich nicht um das, was andere Ihnen erzählen. Sie müssen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ihr ‚Ich-Bin‘ ist der ‚Ernährer‘. Abgesehen davon wissen Sie nichts.
Besucher:Was ich verstehe ist, dass man für die Selbst-Verwirklichung nichts tun muss.
Alexander: Vielleicht – kommt ganz darauf an. Verlassen Sie sich nicht auf das Gerede der anderen. Was wissen Sie schon von denen? Wissen Sie, womit ‚andere‘ zu tun haben oder woher deren ‚Wissen‘ stammt? Für den Moment können Sie die Idee vom ‚Nichts Tun‘ getrost vergessen. Tatsächlich muss sich erst mal Einiges tun, bevor Sie zum ‚Nichts Tun‘ kommen. Wenn Sie soweit sind, werden Sie mit der Phase der Verneinung durch sein, denn Sie werden erkannt haben, dass die Lösung dort nicht zu finden ist. Die Wahrheit liegt eher in der Mitte. Die Natur ist absolut gnadenlos. Wenn Sie, egal in welchem Bereich, noch das ein oder andere Ass im Ärmel haben, gibt es wenig Hoffnung für Sie. Sie müssen von all dem wirklich die Nase voll haben.
Besucher:Wie kann man das überprüfen?
Alexander: Fragen Sie sich, was Sie wirklich verstanden haben. Hinterfragen Sie die Dinge, für die Sie sich in der Hoffnung, damit ‚etwas‘ zu erreichen, so begeistern - Ihr Ehrgeiz, Ihre Ansprüche, Ihre raffinierten Gedanken- Konstrukte…
Besucher:Der Guru hilft also, all diese Illusionen zu durchschauen.
Alexander: Ja, so sieht es aus. Denn Ihre Ideen halten ja sowieso keiner Überprüfung mehr stand. Der Guru ist berechtigt so zu handeln, denn schließlich sind Sie mit dem Wunsch nach Klarheit zu ihm gekommen. Und wenn das der Grund Ihres Kommens ist, dann kann das Spiel auch über die Bühne gehen. Bedingung allerdings ist, dass der Guru seinerseits den Weg bis zu Ende gegangen ist. Ansonsten wird es zur Farce.
Besucher:Geht man denn nicht das Risiko ein, sich in Gleichgültigkeit zu verlieren?
Alexander: Auf keinen Fall! Gleichgültigkeit führt zu einem der Kapitalfehler überhaupt, nämlich mit Scheuklappen herumzulaufen. Ignoranz ist der Grund. Gleichgültigkeit ist die Abwesenheit jeglicher Verpflichtungen. Und das Fehlen aller Verpflichtungen führt zu Isolation – sozusagen ‚jnana‘ in den Wahnsinn getrieben. Wenn Sie keine Beziehungen wollen, hält Sie nichts davon ab, in die Berge zu gehen. Aber das haben Sie ja nicht gemacht. Sie könnten sich fragen, ob eine gleichgültige Haltung nicht nur eine weitere Methode ist, Beziehungen zu vermeiden. Kennzeichen des natürlichen Zustands ist eben seine Natürlichkeit.
Besucher:Dann gibt es nichts mehr anzustreben?
Alexander: Alles Streben bedeutet Absicht. Ihre Enttäuschungen werden sich proportional zu Ihren Erwartungen verhalten. Sobald das Selbst erkannt ist, ist das Streben nicht mehr, was es ursprünglich mal war. Wenn Sie erkennen, dass jeglicher Ehrgeiz pure Eitelkeit ist, dass er seine Wurzeln im ‚Ich-Bin‘ - der zugrunde liegenden Annahme - hat, und wenn Sie erfassen, dass aller Ehrgeiz vergeblich ist, nur eine Seifenblase, dann wird alles, wirklich alles, völlig leer werden. Dann können sich Ehrgeiz und Vorlieben nur verändern, denn alles ist nur Interpretation dessen, was Sie meinen, begriffen zu haben.
Besucher:Dann könnte man sagen, Konflikt bedeutet, die Grundgegebenheiten zu ignorieren.
Alexander: So könnte man sagen, aber eine solche Definition bringt überhaupt nichts. Was zählt ist, ob Sie es erkennen. Nur das allein ist genug. Es ist total einfach.
Besucher:Das hat zugleich etwas sehr Tragisches und unfassbar Schönes.
Alexander: Die Tragik und die Schönheit dieser Entdeckung sind immens. Es ist absolut unwiderruflich (unabänderlich). Alles kommt an seinen Platz. Selbst der Körper gelangt wieder zu seiner ursprünglichen Empfindsamkeit zurück, denn der Mensch ist von Natur aus ein extrem empfindsames Wesen.
Besucher:In meinem täglichen Leben scheinen alle möglichen Schein-Realisationen stattzufinden, vielleicht aufgrund meiner Sehnsucht nach Realisation. Und ich messe Erfahrungen zu viel wert bei.
Alexander: Am Anfang lässt sich ein gewisses Maß an Drama gar nicht verhindern. Schenken Sie dem einfach nicht zu viel Aufmerksamkeit, es hört von allein auf. Wenn Sie es beachten, unterstützen Sie es und halten es am Leben. Die Natürlichkeit, nach der Sie wirklich suchen, wird sich von ganz allein einstellen.
Besucher:Ich frage mich, ob ich meditieren sollte, meine Gedanken beobachten und solche Sachen?
Alexander: Was wollen Sie damit erreichen?
Besucher:Es scheint eine nützliche Methode zu sein….
Alexander: Nein! In Ihrer momentanen Situation ist es eine Falle! Sie sind die Beobachtung selbst – absolut unnötig, sich dafür ruhig hinsetzen zu müssen. Niemals. Aber wenn es Sie glücklich macht, nur zu…. Aber erst machen Sie eine Methode daraus und dann eine Persiflage. Wenn Sie meditieren wollen, meditieren Sie über denjenigen, der meditiert: Sie werden ziemlich schnell herausfinden, dass das unmöglich ist. Die eigenen Gedanken zu beobachten mag für einige Dinge von Nutzen sein, zum Beispiel, um zu lernen, sich dauerhaft zu konzentrieren. Aber letztendlich führt es zu gar nichts. Allenfalls werden Sie ein gut darin, Ihre eigenen Gedanken unterschwellig zu kommentieren. Sie erzeugen die Illusion, außerhalb Ihrer Gedanken zu stehen – die gefährlichste aller Illusionen innerhalb des Selbst-Bewusstseins. Das bedeutet Blut mit Blut wegwaschen zu wollen, denn der Beobachter unterscheidet sich in Wirklichkeit nicht vom Beobachteten. Und das sind keine scheinheiligen Phrasen, die man ohne tieferes Verständnis von sich geben sollte.
Besucher:Dann sollte ich also die Meditation insgesamt vergessen?
Alexander: Realisation, wirkliches Wissen, bedeutet Vergessen, das ultimative Auskotzen aller Annahmen und Konzepte. Bis jetzt haben Sie nur gerülpst. Zu dieser Erkenntnis kommt man nicht durch einen Akt der Willensstärke. Mit anderen Worten: Meditation? Sie sind nichts als das. Der Guru mag Sie darauf hinweisen, aber die Erkenntnis dessen liegt bei Ihnen.
(20. Dezember 1980)
3Über den Hund und seinen Schwanz
Besucher:Es beschäftigt mich, dass all das hier Besprochene einfach wieder verloren geht, und ich dann völlig planlos dastehe. Ich bin nicht in der Lage, mich an die Inhalte des hier Besprochenen zu erinnern. Aber was mich am meisten beschäftigt, ist die Art, wie Sie mit Menschen umgehen, einfach unglaublich direkt, zumindest verglichen mit der Art, in der die Menschen ‚normalerweise‘ miteinander umgehen. Ich kann mich erinnern, hier gehört zu haben, dass den Beziehungen der Menschen untereinander immer eigene Interessen zugrunde liegen.
Heute würde ich gerne über den Zustand des Wach-Seins und des Schlafens sprechen. Ich lese häufig von Leuten, die scheinbar schlafen und aus diesem Zustand erwachen sollen. Mir ist aufgefallen, dass das in der spirituellen Literatur ein beliebtes Thema ist. Und ich glaube tatsächlich, dass sich sehr viele Menschen im Zustand des Schlafs befinden. Ich verhalte mich auch irgendwie nicht auf ganzheitliche Art und Weise.
Alexander: Ich habe keine Ahnung, wovon Sie eigentlich reden,
Besucher:Zum Beispiel wird in diesen spirituellen Büchern behauptet, dass man tagsüber und nachts im Schlaf gleichermaßen unbewusst wäre. Dass wir uns der Dinge nicht bewusst sind.
Alexander: Ich fürchte, das ist überhaupt nicht möglich, zumindest kann ich mir nichts vorstellen, was ‚unbewusst‘ wäre. Alles was ich kenne, ist bewusst. Die Grundvoraussetzung für alles, was auch immer ich kennen könnte, ist die simple Tatsache von mir ‚bewusst seiend“. Etwas Unbewusstes kann nicht existieren, weil alles was existiert nur durch Bewusstsein erfahren werden kann. Deshalb existiert so etwas wie ‚etwas Unbewusstes‘ einfach nicht.
Wie uns die tägliche Erfahrung lehrt, ist der Grat zwischen Träumen, Wach sein und Schlafen extrem schmal. Bevor man also große Statements zu diesem Thema abgibt, ist es sehr wichtig, die Angelegenheit gewissenhaft unter die Lupe zu nehmen, besonders weil unser Denken zu 100% die Basis all unseres Handelns bildet.
Besucher:Aber gibt es nicht Situationen, in denen man sich selber als der Dinge weniger bewusst beschreiben könnte?
Alexander: Das Problem ist, dass Sie laufend Dinge als gegeben hinnehmen, ohne zu überprüfen, ob sie wirklich wahr sind. Sich einer Sache bewusst zu sein, setzt einen Hintergrund voraus. Was auch immer Sie behaupten, womit auch immer Sie beschäftigt sind, an was auch immer Sie sich erinnern – es muss etwas geben, was all das ermöglicht. Wir haben uns mehr oder weniger darauf geeinigt, dieses ‚Etwas‘ Bewusstsein zu nennen. Dieses Bewusstsein kann weder kontrolliert noch vermindert werden, und es kann auch nicht erweitert oder sonst wie vervollständigt werden. Bewusstsein ist die Grundausstattung eines jeden, es ermöglicht Ihr allererstes Verstehen, und es ist das, was Ihnen am nächsten steht. Aus Ihrem Verständnis heraus mag es Ihnen als möglich erscheinen, sich Dingen mehr oder weniger bewusst zu sein. Aber wenn Sie einen weniger befangenen Standpunkt einnehmen, wird Ihnen völlig klar werden, dass das völlig unmöglich ist.
Mit dem Wachsein verhält sich genau wie mit dem Sterben. Entweder Sie sind tot oder lebendig. Entweder Sie schlafen oder Sie sind wach. Es gibt nur alles oder nichts. Man kann nicht nur ein bisschen tot sein. Bezogen auf bewusstes Sein bedeutet das: Man kann nicht nur ein bisschen bewusst sein.
Und das Spannende an Bewusstsein ist nun folgendes: Es kann sich selbst nicht wahrnehmen. Das Auge kann das Auge nicht sehen. Bewusstsein kann nie zu einem Objekt gemacht werden, weil Bewusstsein jedem wie auch immer gearteten Objekt vorausgeht. Gedanken und Gefühle bilden da keine Ausnahme.
Innerhalb und außerhalb der gesamten Welt werden Sie niemanden finden, der in der Lage wäre, Bewusstsein in ein Objekt zu verwandeln. Bewusstsein erscheint völlig spontan und vollkommen anstrengungslos, wie Sie jeden Morgen beim Aufwachen erfahren können. Das Problem ist, dass jeder mehr oder weniger in diese objektive Welt verwickelt ist oder man könnte auch sagen, er ist verflochten mit dieser von den fünf Sinnen heraufbeschworenen Welt. Der entscheidende Punkt ist, den täuschenden Charakter zu durchschauen, sowohl den der Sinne als auch den des Denkens bzw. Fühlens. Und zwar nicht, indem man die Sinne, das Denken, das Fühlen ablehnt, ihnen vielleicht die Anerkennung verweigert oder vielleicht probiert, sie zu manipulieren, sondern indem man die Dinge aus der wahren Perspektive sieht. Diese Suche nach Öffnung, oder wenn Sie so wollen, nach Wahrheit, ist die wirkliche Bedeutung des Worts ‚Philosophie‘: Die Liebe zur Wahrheit und Weisheit. Das Verlangen nach Wahrheit wird ‚Suche‘ genannt, die als grundlegende Tendenz in jedem Menschen vorhanden ist, sowohl auf ihrem höchsten als auch niedrigsten Niveau. Ich frage mich gerade, ob Sie mir bei all dem überhaupt noch folgen können?
Besucher:Ich denke schon. Wenn ich Sie richtig verstehe, dann sagen Sie, dass es unmöglich ist, sich selbst wahrzunehmen.
Alexander: Wenn Sie mit ‚selbst‘ das eigene ‚fundamentale Wissen‘ meinen, dann stimme ich zu. Aber ich fürchte, Sie meinen mit ‚selbst‘ etwas völlig anderes.
Besucher:Aber man kann sich anderer Dinge bewusst sein?
Alexander:Nur anderer Dinge!
Besucher:Dennoch könnte man die Dinge analysieren, zum Beispiel…
Alexander: Darum geht es hier überhaupt nicht. Das ist das Feld der Psychologen. Hier geht es nicht um den gesetzmäßigen Eigentümer von Körper, Gedanken und Gefühlen. Natürlich gibt es darüber auch etwas zu sagen. Aber hier geht es um die Frage ‚Wer oder was bin ich?‘
Besucher:Das ist nicht wahr.
Alexander: Bitte was?
Besucher:Sind Sie sich nicht auch Ihrer selbst bewusst? Denken Sie nicht auch über alle möglichen Dinge nach? Haben Sie nicht auch mit sich selbst zu tun?
Alexander: Junge Frau, bitte projizieren Sie nicht Ihre eigene Situation auf mich, um mir dann erzählen zu können, wie ich mich selbst erlebe. Was Sie für meine Erfahrung halten, ist die Ihrige. Sie hat mit mir überhaupt nichts zu tun. Wie meine Mutter, die mir immer auftrug, einen Schal zu tragen, wenn ihr selber kalt war. Was Sie glauben, was ich sehe, ist das, was Sie selber sehen.
Besucher:Dennoch verstehe ich nicht. Sie sagen, man sei in jedem Moment wach. Sie streiten um Worte. Ich habe den Eindruck, dass wir von der gleichen Sache sprechen.
Alexander: Weil wir den Worten so viel Bedeutung beimessen, geht es in diesen Treffen darum, sich etwas Lebendigem zuzuwenden, etwas, das sich jenseits der Worte befindet. Und natürlich müssen wir dafür Worte benutzen, aber Worte sind nur von Bedeutung, solange wir nichts Besseres gefunden haben. Immer auf der Suche nach dem treffenden Wort.
Besucher:Aber dann müssen wir uns doch einiger Konzepte bedienen.
Alexander: Ausgangspunkt dieser Treffen ist, dass es nicht um Konzepte geht.
Besucher:Dann um die Bedeutungen….
Alexander: Auch nicht. Was ich gerade versuche, ist Ihnen klar zu machen, dass die Konzepte, die wir nutzen, nichts wirklich Wesentliches zu vermitteln haben, um sie dann wegwerfen zu können, so dass die Möglichkeit besteht, zur lebendigen Wahrheit zu kommen, die absolut nichts mit Konzepten zu tun hat. Es geht immer um die eine unveränderliche Essenz. Das hier ist eher ein Abrissgrundstück als ein Zentrum für Kommunikationsförderung. Alle Vorstellungen, die Sie hier bezüglich dessen, wer oder was Sie sind, vortragen, werden von mir nicht akzeptiert. Nur die wortlose Begegnung in Stille ist. Denn Ihr tiefstes Inneres - die Essenz – ist absolute Stille. Dort ist alles einfach und klar. Und dort werden wir uns auch wahrhaft wiedererkennen, und ich betone ‚wieder-erkennen‘, denn Sie waren und sind immer diese Stille.
Besucher:Was Sie über die Essenz sagen, kann ich erkennen, obwohl es sich im Schlaf anders verhält. Da bin ich mir ganz sicher.
Alexander: Bevor Sie anfangen, Schlussfolgerungen zu ziehen, ist es sehr wichtig, sich zu fragen, was Sie wirklich wissen. Zu folgern, ohne die Angelegenheit in ganzer Tiefe untersucht zu haben, ist eine schlechte Angewohnheit.
Besucher:Aber das ist meine jetzige Erfahrung.
Alexander: Soweit gehe ich mit Ihnen mit, aber bezeichnen Sie Ihre Schlussfolgerungen nicht einfach als Tatsachen. Sagen Sie lieber: ‚Meiner Erfahrung nach verhält es sich so und so‘, bis Sie bezüglich der Angelegenheit wirklich Klarheit erlangt haben.
Besucher:Ich bin mir über folgendes absolut im Klaren: Während des Schlafes mache ich keine Erfahrungen.
Alexander: Na schön. Dann versuchen Sie doch, dass nächste Mal bevor Sie zu Bett gehen, sich bewusst zu machen, was Schlafen wirklich bedeutet. Was ich meine ist Folgendes: Im tiefen, traumlosen Schlaf ist etwas da, eine Anwesenheit, die sich mit dem vom Wach- und auch Traumzustand gewohnten Bilder-Bewusstsein nicht erfassen lässt. Weil unser Gedächtnis darauf ausgelegt ist, Bilder zu speichern, um ein Feedback zu ermöglichen, nehmen Sie an, dass während des tiefen, traumlosen Schlafs nichts da wäre. Dennoch gibt es dort eine Anwesenheit: Bewusstsein. Wenn dem nicht so wäre, wie wäre es dann möglich, morgens aufzuwachen und feststellen zu können, gut geschlafen zu haben?
Also sind Ihnen drei verschiedene Stadien von Bewusstsein bekannt. Zuerst einmal der Wachzustand. In dem Zustand führen wir gerade dieses Gespräch, während der Rest nur beobachtet wird. Dann gibt es noch den Traumzustand und den tiefen, traumlosen Schlaf. Andere Zustände kennen Sie nicht. Stimmen Sie mir zu?
Besucher:Ich kenne den traumlosen Zustand nicht.
Alexander: Exakt! Wenn Sie gesagt hätten, Sie würden ihn kennen, hätte ich Ihnen geantwortet: Sie kennen den tiefen, traumlosen Schlafzustand nicht. Genau genommen kennen Sie ihn als formlose Anwesenheit, aber er ist nicht bekannt im herkömmlichen Sinne. Gut, diese Zustände sind ihrem Wesen nach gleich, und zwar auf Grund der simplen Tatsache, dass sie wahrnehmbar sind. Strenggenommen, kennen Sie nur die Bilder des Wach- und Traumzustands. Für den tiefen, traumlosen Schlaf gilt, dass er ohne Bilder ist, so dass nichts wahrgenommen werden kann. Dort erstrahlt Bewusstsein in seiner ganzen Präsenz. Deshalb sagt der Jnani: Alles ist aus dieser Quelle geboren ist und deswegen ist alles Bewusstsein. Aus dieser Essenz ist die Welt geboren: Körper, Gedanken, Gefühle, was auch immer Ihnen einfällt. Das ist es, worüber wir hier reden. Hier geht es um nichts anderes. Davon zutiefst überzeugt zu sein, zusammen mit der Nicht-Möglichkeit, sich mit einem wie auch immer geartetem Objekt zu identifizieren, wird als Erleuchtung bezeichnet. Und das alles ist nicht etwa wahr, weil ich es sage oder weil ich Sie einfach von irgendwas überzeugen will, sondern weil Sie es erkennen können. Alle Fragen, die vor diesem Hintergrund gestellt werden, sind jetzt willkommen - andere Fragen nicht.
Alexander:(an einen anderen Besucher gerichtet): Ist das für Sie klar?
Besucher:Ich denke schon. Ich glaube, was Sie meint….
Alexander: Versuchen Sie nicht, Ihr zu helfen. Ich frage, ob Ihnen das klar ist.
Besucher:Ja, ich konnte dem folgen.
Alexander: Indem Sie Ihr Denken mit dem Ihrigen verglichen haben?
Besucher:Nein, durchs Zuhören.
Alexander: Na denn, was haben Sie durch das hier Gesagte herausgefunden?
Besucher:Eigentlich stimmt für mich auch, dass das alles nur für zwei Zustände zutrifft, denn ich komme an den Zustand des tiefen, traumlosen Schlafs einfach nicht ran, genau so wenig wie an einen Wachzustand ohne Gedanken.
Alexander: Wer erzählt Ihnen denn, nicht zu denken, während Sie wach sind?
Besucher:Weiß nicht.
Alexander: Haben Sie schon mal eine Nacht durchgeschlafen, ohne aufzuwachen? Eine dieser friedvollen Nächte, traumlos, zumindest Ihrer Erinnerung nach?
Besucher:Ja, habe ich.
Alexander: Gut. Und wie können Sie dann so genau wissen, friedlich und ruhig geschlafen zu haben, wenn es da nicht eine Präsenz gäbe, die Ihnen davon berichten könnte? Und weil Sie ja nicht die ganze Zeit aufgewacht sind, um sich der Tatsache ‚bewusst‘ zu werden, dass Sie überhaupt nicht wach gewesen sind, wie können Sie dann überhaupt wissen, so trefflich geschlafen zu haben?
Dürfte ich Sie fragen, was Sie am 13.Februar 1963 gemacht haben?
Besucher:Ich habe keine Ahnung.
Alexander: Aber nicht einen Augenblick würden Sie die Tatsache bezweifeln, genau an jenem Tag existiert zu haben, oder etwa doch? In Wirklichkeit kennen wir den tiefen, traumlosen Schlaf, nur nicht im herkömmlichen Sinne.
Besucher:Wenn ich das richtig verstehe, dann sagen Sie, dass Sie in jedem Moment wissen, was Sie erfahren; dass Sie in jedem Moment bewusst sind.
Alexander: Dass Sie jeden Moment bewusst sind - soviel ist schon mal sicher. Was Sie erfahren kommt immer drauf an, aber bewusst sind Sie, mit und ohne Bilder. An dieser Stelle folgender Hinweis: Lassen Sie sich nicht in Hypnose versetzen von dem, was diese Bilder Ihnen zu sagen versuchen. Denn, wenn Sie die Dinge nicht in ihrer wahren Perspektive sehen, dann werden Sie ihnen zum Opfer fallen. Verbleiben Sie im Zentrum der Dinge, denn das ist es, was Sie sind.
Besucher:Aber das nützt mir genau gar nichts. Mein Leben will jeden Tag gelebt werden. Und wenn ich nicht glücklich bin mit dem Verlauf, den mein Leben nimmt, mit wem ich gerade bin oder mit dem, was ich bin und fühle, dann bringt mir das alles rein gar nichts. Und genauso sehen meine Tage gerade aus: Ich bin mit meinem Leben einfach nicht glücklich. Und wenn das für den Rest meines Lebens so bleibt…
Alexander: Was meinen Sie mit ‚…für den Rest meines Lebens so bleibt‘? Offensichtlich sind Sie nicht gerade glücklich mit dem Bild, das Sie von sich selbst haben. Alle Dinge, die möglicherweise gut oder auch schlecht an Ihnen sind, haben Sie von Ihrer Umwelt gelernt bzw. angenommen: Ihre Mutter, die meinte, Sie müssten ein tapferes Mädchen sein – und niemand kann immer tapfer sein – und jetzt setzt sich das nahtlos fort, und dass nur, weil Ihr Freund meint, dass ‚es‘ so sein müsste. Aber es ist ein schwieriger Job, es jedem recht machen zu wollen, und es sich selber immer recht zu machen, ist wahrscheinlich unmöglich.
Sicher kann man die Probleme auf der Ebene ausfindig machen, aber lösen lassen sie sich dort bestimmt nicht.
Besucher:Was ich Sie sagen höre ist, dass man jeden Moment glücklich sein sollte, am Leben zu sein und immer mit dem zufrieden sein sollte, was gerade ist. Aber es gibt Zeiten, in denen ich die Leute, die mich umgeben, einfach nicht ausstehen kann.
Alexander: Müssen müssen wir gar nichts. Und es handelt sich auch nicht um eine Angelegenheit von ‚Dinge mögen‘. Neigungen und Abneigungen sind konditionierte Reflexe, bestimmt durch das, was Sie mal gelernt haben, zu mögen oder auch nicht zu mögen. Das ist alles nur Oberfläche – Ihre Eltern, Ihre Umwelt, Ihre Schule usw. Eine für alle identische Welt existiert nicht. Die Welt ist mehr wie ein Bild, das Sie selbst erschaffen. Betrachten Sie doch einfach, was Sie jetzt mögen und was Sie vor ein paar Jahren als kleines Mädchen gemocht haben. Ich nehme einfach mal an, dass Sie nicht mehr mit Puppen spielen oder den ganzen Tag Sandkuchen backen.
Was Sie an der Welt mögen oder nicht mögen, ist Ihre eigene, ganz spezielle Vorstellung von ihr. Und die Probleme in Ihrer Welt können nur von Ihnen gelöst werden. Und diese Lösungen müssen an der Basis gefunden werden und nicht an der Oberfläche. Sonst könnten Sie einen kranken Baum in Ihrem Garten ja gleich dadurch zu heilen versuchen, dass Sie all seine Blätter einzeln abputzen. Im Ausnahmefall mag das nötig sein, aber in diesem Fall sind es die Wurzeln, die Wasser benötigen. Sie müssen an die Wurzel gehen, denn dort liegt das Übel begraben – vorausgesetzt Sie sind wirklich an einer grundsätzlichen Lösung interessiert. Wenn nicht, dann wartet eine Welt voller Kompensationsmöglichkeiten auf Sie.
Besucher:Ich schlage vor, wir fangen genau jetzt an.
Alexander: Wir befassen uns hier mit nichts anderem.
Besucher:Nein, denn jetzt befasse ich mich gerade nicht damit. Ich bin nicht mit Fühlen beschäftigt – genau jetzt bin ich mit Denken beschäftigt.
Alexander: Bevor Sie überhaupt in der Lage sind, irgendetwas zu fühlen oder zu denken, muss es Bewusstsein als Vorbedingung aller Gedanken und Gefühle geben. Als die Quelle ist Bewusstsein sozusagen das Entrée für alles andere.
Besucher:Aber handelt es sich beim Denken nicht um eine erlernte Angewohnheit?
Alexander: Das ist hier gar nicht das Thema. Ich lehne das Denken gar nicht ab. Denken hat innerhalb des Bewusstseins seinen Platz. Aber alles, was Sie über die Quelle oder Essenz von der Ebene des Denkens aus sagen, ist Wissen aus zweiter Hand, auf Hörensagen beruhend. Anders sieht es aus, wenn Sie Ihr Denken von seinem Ursprung selbst her betrachten. Daran ist nichts verkehrt.
Notwendig ist es, sein Zentrum zu verschieben. Ihr Zentrum liegt ‚in der Welt‘, bei ‚Gefühl‘ oder ‚Denken‘. Probieren Sie einfach mal, es zu verlagern.
Die Sinne richten sich nach außen. Und genau so sollte es ja auch sein, sonst würden Sie keinen einzigen weiteren Tag in dieser Welt überleben. Aber derjenige, der seinen Mittelpunkt in diese Welt verlegt, schreit geradezu nach Chaos und Schwierigkeiten. Und diese Welt wird weiterhin Probleme ohne Ende für Sie bereithalten, solange Sie nicht um ihren illusorischen Charakter wissen – und der liegt exakt bei hundert Prozent. Deswegen betonen alle ‚Jnanis‘ entschieden immer wieder, die Wichtigkeit der Verwirklichung dessen, was Sie wahrhaft sind. Danach wird die sogenannte Welt Ihnen keine Probleme mehr bereiten.
Besucher:Also sollte man sich von der Quelle aus zum Verstand bewegen.
Alexander: Es geht nicht um die Frage, von wo aus Sie sich in Richtung Verstand bewegen. Das passiert alles von selbst, sobald Sie beginnen, aus der wahren Perspektive zu sehen. Gegenwärtig liegt Ihr Zentrum so nah bei Ihrem Verstand, dass die Dinge Ihnen offensichtlich nur durch die Begrifflichkeiten des Denkens klar werden. Sie sind es dermaßen gewohnt, alles mit Hilfe des Verstandes zu bewerten, dass Sie alles, was Sie anspricht zu sich ziehen und alles, was Sie nicht mögen von sich wegstoßen. Aber die Essenz, das unermessliche formlose Sein, kann nie mittels Ihrer mentalen Maßstäbe beurteilt werden. Aber es ist durchaus möglich, aus der Essenz heraus über den Verstand zu sprechen. Man kann über alle Objekte sprechen, warum also nicht über den Verstand, der genauso gut ist, wie jedes andere Objekt auch – nicht besser und nicht schlechter. Deshalb kann ich alles aussprechen, was mir einfällt. Der Verstand funktioniert auf natürliche Art ganz von allein, genauso wie Essen, Trinken, Verdauen oder aufs Klo gehen. Ein ganz natürlicher Vorgang.
Besucher:Und wer sagt mir, dass Sie aus dieser Essenz heraus sprechen? Ist es denn überhaupt möglich, aus dieser Essenz heraus zu sprechen?
Alexander: Ich sage Ihnen das. Es gibt nichts als die Essenz. Jeder Gedanke und jedes Gefühl ist Geschenk der Essenz.
Besucher: