Bewusstseinssprung ins neue Leben - Petra Pliester - E-Book

Bewusstseinssprung ins neue Leben E-Book

Petra Pliester

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Beschreibung

Wenn das Gespür uns sagt, was richtig ist... Tom und Lotta sehen die Dinge mit anderen Augen, sie machen sich ihre eigenen Gedanken und leben nach anderen Werten als die meisten ihrer Mitmenschen. Das macht sie zu Freigeistern mit ganz besonderen Talenten – und stellt sie vor Probleme in einer Welt, in der leise Töne nicht viel zählen. Doch zum Glück haben sie einander gefunden, und gemeinsam machen sie sich auf, sich von alten Ängsten und vom Stress zu befreien. Denn eines steht fest: Weitermachen wie bisher kommt nicht infrage. Auf ihrem Weg wird den beiden nicht nur ihre je eigene Berufung klar, sie kommen zudem der Lebensaufgabe einer ganzen Generation auf die Spur. Denn wir alle stehen kurz vor einem Bewusstseinssprung.

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Inhaltsverzeichnis

Genug ist genug

Auf den Spuren der Leichtigkeit

Feinfühligkeit – Fluch oder Segen?

Der Bewusstseinssprung: Wo springen wir hin?

Denken wird überbewertet

Freigeister

Eine Frage der Ehre

Spür doch mal hin!

Jeder kann mitmachen

Eine Liebe will gelebt werden

Was sind meine Talente wert?

Ich weiß, wer du bist

Das Zeitalter der Gefühlskraft

Verbrannte Erde

Eine Gabe fürs Leben

Dienst am Menschen

Machen wir’s wie die Gallier

Unterwegs im Paralleluniversum

Epilog

Aufbruchstimmung

Quellen

Petra Pliester / Jürgen Bräscher: Bewusstseinssprung ins neue Leben. Eine Freigeist-Erzählung© Verlag ZeitenwendeSteigerstraße 6401705 Freital OT Kleinnaundorfwww.verlag-zeitenwende.debuecher@verlag-zeitenwende.de

1. Auflage 2021

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen und multimedialen Wiedergabe sowie der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.

Covergestaltung: Verlag ZeitenwendeErstellung E-Book: Verlag ZeitenwendeIllustrationen: Ida Minkmar

ISBN 978-3-945701-34-8

Über die Autoren:

Petra Pliester, geboren 1973, ist Diplom-Kauffrau (FH) und seit 2000 als Marketing- und Projektmanagerin tätig. Aus Überzeugung hat sie sich für eine berufliche Laufbahn in der alternativen Wirtschaft entschieden und arbeitet derzeit in einem Zentrum für Ayurveda-Medizin. Es ist ihr gelungen, energetische Prinzipien in das moderne Berufs- und Alltagsleben einzubringen.

Jürgen Bräscher (Jg. 1970) ist selbständiger Physiotherapeut und Feldenkrais-Lehrer. Seit 1997 gibt er Seminare und Weiterbildungen. Persönliche Freiheit schätzt er über alles. Das spiegelt sich in seiner Leidenschaft für das Reisen ebenso wider wie in seinen Feldenkrais-Behandlungen und Coachings: Hier erfahren seine Klienten einen Rahmen ganz ohne Leistungsdruck und werden in ihrer Selbstentfaltung gefördert.

„Die größte Herausforderung, der wir gegenüberstehen, ist die Anhebung des menschlichen Bewusstseins, und nicht, den Planeten zu retten. Der Planet muss nicht gerettet werden, sondern wir.“Xiuhtezcatl Martinez

Genug ist genug

Tom schaute auf die Uhr. Es war schon halb acht, Lotta wollte bereits vor einer Stunde zu Hause sein. Sie hatten vor, sich zu zweit einen schönen Abend zu machen. Seit sie vor zwei Jahren in die Stadt gezogen waren, waren sie Stammgäste bei dem Italiener am Park, und das aus gutem Grund: Bei Carlo einzukehren, fühlte sich immer wie eine kleine Reise nach Italien an. Bei ihrem letzten Besuch hatte er angekündigt, die Muschelsaison einzuläuten. Vielleicht war es heute ja schon so weit... Während Tom wartete, sah er den Muscheltopf schon vor sich. Es war ihm, als könne er die typische Mischung aus Kräutern und Meeresluft riechen.

Endlich hörte er Lotta die Wohnungstür aufstoßen. Schon an der Art, wie sie das tat, wurde Tom klar, dass der gemütliche Abend zusammen mit den Muscheln noch eine Weile warten musste.

Nachdem sie ihren Mantel im Flur ausgezogen hatte, trat Lotta in das Wohnzimmer. Sie war wütend, das konnte Tom ihr sofort ansehen. Über den Tag hinweg hatte sich wohl einiges in ihr angestaut, das sich jetzt seinen Weg nach draußen bahnte.

„Ich habe die Nase voll!“, platzte es auch schon aus ihr heraus. „Der Tag hat mich vielleicht Nerven gekostet. Ein Meeting jagte das andere, dazwischen gaben sich die Kollegen die Klinke in die Hand, alle wollten etwas von mir. Ich hatte kaum Zeit, mal zur Toilette zu gehen, geschweige denn, einen klaren Gedanken zu fassen.“ Genervt verdrehte Lotta die Augen. „Zu allem Überfluss renovieren sie noch das Gebäude nebenan. Ständig lief die Kreissäge, das Geräusch ging mir jedes Mal durch Mark und Bein.“ Sie bekam jetzt noch eine Gänsehaut, wenn sie an das Kreischen der Säge dachte. „Ich bin total erledigt. So kann es nicht mehr weitergehen.“

Aus Erfahrung wusste Tom, dass es keinen Sinn machte, jetzt sofort zum Essen aufzubrechen. Wenn Lotta in einer solchen Stimmung nach Hause kam, musste sie erst einmal „schleusen“, wie sie es nannte, den Arbeitstakt abschütteln und durchatmen. Lächelnd sagte er: „Ich freue mich auch, dich zu sehen. Hattest du einen schönen Tag?“

Erschöpft ließ sich Lotta auf das Sofa fallen. Ein wenig ruhiger fuhr sie etwas später fort: „Ich meine es ernst, diesmal reicht es wirklich. Wir müssen grundlegend etwas an unserem Leben ändern. Nur was?“

Bei dieser Frage blickte sie Tom herausfordernd an. Er kannte diesen Blick. Wenn Lottas grüne Augen ihn so anfunkelten, dann war sie wirklich aufgebracht. Er konnte sie ja verstehen, und so vieles hatten sie schon ausprobiert. Regelmäßig nahmen sie sich Auszeiten, waren sogar umgezogen und hatten die Jobs gewechselt. Doch trotz all dem liefen sie immer wieder in die gleichen Alltagsfallen hinein.

„Wir können diesen ganzen Stress nicht mehr ignorieren“, sagte Lotta nun. „Ich nehme die Themen von der Arbeit mit nach Hause, habe schlaflose Nächte und das Kopfkino ist pausenlos aktiv, auch abends und am Wochenende. Das macht mich fertig.“

„Du hast ja recht“, sagte Tom. „Aber ich weiß auch nicht mehr, was wir noch machen oder ändern müssen, damit das aufhört.“ Er stellte sich hinter Lotta und begann, ihr die Schultern zu massieren. Der Stress saß ihr ganz schön im Nacken, das konnte er bei der ersten Berührung spüren. ,So kann es tatsächlich nicht weitergehen‘, dachte er bei sich und sagte dann: „Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir an so einem Punkt stehen. Bisher haben wir nie den Kopf in den Sand gesteckt und immer versucht, das Leben für uns passend zu machen.“

Ungeduldig schüttelte Lotta Toms Hände ab. Sie sprang vom Sofa auf und drehte sich zu ihm um. „Natürlich haben wir vieles probiert, das weiß ich auch. Aber aus irgendwelchen Gründen fruchtet das alles nicht. Es ist, als ob wir auf der Stelle treten. Wir drehen uns im Kreis und kommen immer wieder an dem Punkt an, an dem wir losgegangen sind.“ Lotta fing an, im Zimmer auf und ab zu gehen. Das Thema regte sie zu sehr auf, um still auf dem Sofa sitzen zu bleiben. „Früher haben wir Energie in etwas hineingegeben und mehr herausbekommen, als wir investiert haben. Heute ist es umgekehrt, es fühlt sich an, als hätten wir ein Leck im Tank. Wir stecken unglaublich viel Energie in das, was wir tun, aber am Ende kommt kaum etwas dabei heraus. Kein Wunder, dass wir erschöpft sind.“

„Nicht nur wir, es scheint anderen ja auch so zu gehen“, erwiderte Tom. „Es werden doch immer mehr Menschen von dem ganzen Druck und Stress krank. Die Zeitschriften und das Internet sind voll von gut gemeinten Ratschlägen, wie ich meine Widerstandsfähigkeit stärken kann. Meditation, Ernährungskonzepte oder Achtsamkeit, es gibt unendlich viele Ideen, was ich alles für mich tun kann und soll.“

„Das ist auch alles schön und gut, aber wenn ich mich am nächsten Tag erneut der Belastung aussetze, die ich am Abend zuvor wegmeditiert habe, fängt alles wieder von vorn an.“ Lotta sprach aus Erfahrung: Jeden Mittwoch ging sie zum Yoga und fühlte sich danach durchaus gut. Sie genoss die Bewegung, ihr Körper wurde geschmeidiger und sie entspannte sich ein wenig. Doch wenn sie donnerstagmorgens zurück an ihrem Schreibtisch war, fühlte sie sich nach einer Viertelstunde genauso verspannt und gestresst wie am Vortag. Der Yoga-Effekt hielt nicht an.

Davon konnte Tom ein Lied singen. Als Physiotherapeut kannte er dieses Thema nur zu gut, auch von vielen seiner Patienten. „Ja klar, die eigentlichen Stressauslöser werden durch das Meditieren nun mal nicht behoben. Du bekämpfst damit lediglich die Symptome. Für den Moment hilft das zwar, aber wenn es danach ungebremst weitergeht, hast du auf Dauer nichts gewonnen.“ Tom wunderte sich oft darüber, wie wenige seiner Patienten es tatsächlich schafften, Stresssituationen zu reduzieren, die ihnen nicht guttaten. „Viele Menschen müssen wohl erst krank werden oder Angst vorm Sterben haben, bevor sie etwas in ihrem Leben verändern. Das können wir besser, es sollte doch möglich sein, da gegenzusteuern.“

Lotta runzelte die Stirn. Offenbar war sie nicht ganz einverstanden. „Aber wir reden doch gerade darüber, dass wir keinen Schritt weiterkommen, obwohl wir ständig versucht haben, unser Leben anzupassen. Ab einem gewissen Punkt stoßen all die Selbstoptimierungsmaßnahmen doch an ihre Grenzen.“ Sie seufzte resigniert. „Ich verstehe einfach nicht, wie es so weit kommen konnte. Irgendwie bin ich in diese Stressfalle hineingerutscht. Erst habe ich es gar nicht bemerkt, es war ein schleichender Prozess.“

Lotta war schon immer ehrgeizig gewesen. Nach ihrem Wirtschaftsstudium war sie richtig durchgestartet, erst bei einer Unternehmensberatung, dann als rechte Hand der Geschäftsleitung in einem amerikanischen Großkonzern. Viele Überstunden, wenig Urlaub – irgendwann hatte Lotta sich eingestehen müssen, dass sie das Tempo nicht mehr lange durchhalten würde. „Unterm Strich will ich doch einfach nur einen guten Job machen, und das tue ich ja auch. Aber zu welchem Preis? Ein Nervenbündel bin ich geworden!“, gab sie zu. „Dass es darauf hinauslaufen würde, habe ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorgestellt.“

Tom überlegte einen Moment, bevor er antwortete. „Das Stressspiel geht nur so lange, wie sich Mitspieler dafür finden. Es gibt doch inzwischen viele Menschen, die genug davon haben, kein Wunder, dass hier so viele Firmen händeringend Mitarbeiter suchen.“

„Ich für meinen Teil überlege ernsthaft, wie lange ich noch mitspielen will.“ Lotta zuckte mit den Schultern.

Tom nahm sie tröstend in den Arm. Nach ein paar Minuten bemerkte er, dass sich ihre Stimmung aufhellte. Wie so oft zeigte die liebevolle Umarmung Wirkung. Lotta begann, sich zu entspannen. Nach einer Weile fragte sie: „Wollen wir los?“ Tom nickte. Sie zogen ihre Mäntel an und machten sich auf den Weg zum Italiener.

„Buona sera, come stai?“ rief Carlo mit einem strahlenden Lächeln und wies sie mit einer einladenden Geste auf ihren Lieblingsplatz. Der Tisch am Fenster war frei. Eine rot-weiß karierte Decke lag auf dem Tisch, darauf eine einfache Kerze. Carlo hielt nicht viel von moderner Dekoration, die Atmosphäre war eher so, wie man sie sich in einem kleinen italienischen Bergdorf vorstellte. Dazu passte es, dass hier noch die ,Mama‘ kochte, und zwar am liebsten das, was ihr gerade in den Sinn kam. Das schrieb sie dann mit Kreide auf eine Tafel an der Wand. ,Frische Muscheln‘ stand heute da, energisch unterstrichen, darunter die beiden Optionen: in Weißweinsauce oder in Tomatensauce. Blumige Worte waren nicht nötig. ,Mamas‘ Stammgäste wussten ohnehin, dass das Essen gut sein würde.

Tom frohlockte, darauf hatte er gehofft. Bevor Carlo erst lange verschwand, um die Getränke einzuschenken, bestellte er kurz entschlossen die Muscheln in Weißweinsauce für Lotta und ihn selbst. Endlich konnte der angenehme Teil des Abends beginnen. Versonnen blickte Tom auf die alten Fotos italienischer Schauspieler an den Wänden.

„Adriano Celentano… Hast du jemals einen Film mit ihm gesehen?“ Er vertiefte sich mit Lotta in ein Gespräch darüber, welche Filme sie als Kinder mit diesem oder jenem Schauspieler gesehen hatten. Mit jedem Satz fielen der Tag und seine Belange ein Stück mehr von ihnen ab. Als die Muscheln einige Zeit später auf dem Tisch standen, war ihre Welt langsam wieder ins Lot geraten. In diesem Augenblick war alles gut. Warum war das bloß immer nur ein kurzer Moment? Sollte das nicht ein ganz normaler Zustand sein und der Stress die Momentaufnahme? Es musste doch möglich sein, sich über längere Zeit hinweg gut zu fühlen. Irgendetwas lief da gerade schief, nicht nur in ihrem eigenen Leben, sondern in der gesamten Gesellschaft.

Auf den Spuren der Leichtigkeit

Wie konnten Tom und Lotta ihrem Leben eine neue Richtung geben? Seit dem aufwühlenden Abend, der seinen Ausklang beim Italiener fand, stand diese Frage im Raum. Allerdings hatten die beiden nicht wirklich Zeit, sich dem Thema zu widmen. Der Alltag entfaltete seine gewohnte Dynamik, so dass sich erst Wochen später die Gelegenheit ergab, den Faden wieder aufzunehmen.

Bevor erneut etwas dazwischenkommen konnte, entschieden sie sich, gleich am Samstagmorgen im Wald spazieren zu gehen. Während sich Tom die Wanderstiefel zuschnürte, dachte er daran, wie er früher als Junge immer mit seinem Fernglas losgezogen war, um Vögel zu beobachten. Stundenlang war er unterwegs gewesen und hatte dabei die Zeit vergessen. An anderen Tagen hatte er sich einfach treiben lassen, Eicheln gesammelt, Gewölle von Eulen oder andere Dinge untersucht, die seinen kindlichen Forscherdrang weckten. Schon immer hatte er es geliebt, im Wald unterwegs zu sein. Mit einem Anflug von Wehmut erinnerte er sich an die Leichtigkeit und Freude, die er dabei empfunden hatte. Heute brauchte es immer eine Weile, um die Arbeitswoche abzuschütteln und sich auf den Wald einzulassen.

Lotta wartete schon im Wagen, als Tom aus der Haustür trat, und sie fuhren gemeinsam die kurze Strecke zum Wanderparkplatz hinauf. Während sie die ersten Schritte gingen, merkte Tom, wie steif und ungelenk er sich bewegte. Vor zwei Jahren hatte er sich als Physiotherapeut selbständig gemacht. Damit wollte er eigentlich erreichen, dass er seine Arbeit selbst einteilen konnte, um sich auch mal aus dem Stress herausnehmen zu können. Aber das Gegenteil war der Fall: Um über die Runden zu kommen, musste er seine Patienten genauso wie vorher auch im Zwanzig-Minuten-Takt durchschleusen. Durch den ganzen Stress war er völlig verspannt. Er benötigte immer mehr Zeit, bis sein Körper wieder geschmeidig wurde und er sich einigermaßen wohl darin fühlte.

In seinem Kopf sah es nicht viel anders aus. Die Schönheit des Waldes nahm er in diesem Zustand kaum wahr. Irgendwie schienen die Eindrücke der Umgebung gar nicht zu ihm durchzudringen. Er ertappte sich sogar dabei, wie er beim Laufen stur nach unten starrte. In seinen Gedanken war er bei einer Meinungsverschiedenheit mit einem Patienten hängen geblieben. Wie in einer Endlosschleife geisterte ihm das Gespräch immer und immer wieder im Kopf herum. Er kannte das schon: Beim Laufen kam erst einmal alles, was ihn beschäftigte, an die Oberfläche. Irgendwann würde es besser werden, als gäbe er mit jedem Schritt ein wenig Ballast an den Wald ab. Er vermisste die Leichtigkeit, mit der er früher unterwegs war.

Tom ließ Lotta an seinen Gedanken teilhaben: „Was hat denn damals eigentlich diese Leichtigkeit ausgemacht? Ich kann das gar nicht so richtig greifen.“

Lotta überlegte einen Moment. „Nun, lachen und albern sein zum Beispiel.“ Dabei stieß sie Tom mit dem Ellbogen an. „Und nicht alles so ernst nehmen.“

„Genau, und in den Tag hineinleben, das macht viel aus“, spann Tom den Faden weiter. „Einfach mal keinen Plan haben, mal die ganzen blöden Verpflichtungen vergessen.“

„Sorglos sein wie spielende Kinder.“ Lotta warf eine Kastanie nach ihm und traf.

„Au!“, sagte Tom und raffte einen Haufen Laub zusammen, den er über Lotta fallen ließ.

Die Blätter verfingen sich in ihrem Haar. Sie sah aus wie eine Waldfee. Tom fing an zu lachen, und auch Lottas Proteste gingen in ein Lachen über. Schon war die Stimmung eine ganz andere. Beschwingt liefen sie weiter und genossen die frische Luft. Lotta strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und fragte: „Warum ist es für Kinder so einfach, sich frei zu fühlen?“

„Na ja, sie haben nun einmal weniger am Bein. Und sie vertrauen darauf, dass für alles gesorgt ist. Sie kennen praktisch keine Existenzangst, durch ihre Eltern haben sie ja eine Art Grundsicherung.“

Lotta ließ den Gedanken auf sich wirken. „Außerdem treffen Kinder immer wieder andere Kinder zum Spielen, da sind sie die ganze Zeit voll bei der Sache“, fügte sie dann hinzu.

„Und dass sie bedingungslos Freude daran haben, gemeinsam etwas zu unternehmen. Als Erwachsene haben wir doch kaum noch echte Freundschaften. Wenn wir jemanden treffen, prüfen wir erst einmal, ob wir einen Nutzen von dieser Person haben, ob wir von der Verbindung profitieren könnten.“

„Bei Kindern ist das anders. Sie verstellen sich nicht, wenn sie zusammen sind, sie legen einfach los. Bei uns Erwachsenen ist es fast schon zur Routine geworden, in eine Rolle zu schlüpfen, um in den Augen der anderen gut dazustehen.“

Plötzlich legte Tom einen Finger auf die Lippen und zeigte auf den Boden. Unweit vor ihnen lief ein Eichhörnchen über den Weg. Auf der anderen Seite angekommen, huschte es eine Fichte hinauf und verschwand zwischen den Ästen. Tom war gut darin, Tiere aufzuspüren. Er hatte schon im Augenwinkel das Eichhörnchen flitzen sehen. Ein gutes Zeichen, offenbar fing er an, sich zu entspannen und seine Umgebung wieder wahrzunehmen. Es war, als würde er nach einem Bad im Schlamm unter die Dusche steigen. Die ganzen Fremdeinflüsse wurden abgespült, und darunter kam er selbst wieder zum Vorschein – ein befreiendes Gefühl.

In seiner Jugend ging es ihm immer dann am besten, wenn er mit Gleichgesinnten zusammen war, mit Menschen, die genauso feinfühlig waren wie er. Daran hatte sich bis heute nichts geändert. So wie die Welt aber nun einmal war, hatte er im Alltag eher mit groben Menschen zu tun, und das tat ihm nicht gut.

„Irgendwie kann ich nur am Wochenende oder im Urlaub so sein, wie ich wirklich bin“, nahm Tom das Gespräch wieder auf. „Es braucht einfach zu viel Zeit, um wieder richtig bei mir selbst anzukommen.“

„Das ist genau das, was ich meinte, als ich neulich so aufgebracht nach Hause kam“, sagte Lotta. „Wir drehen uns im Kreis. Kaum habe ich das Gefühl, wieder in meiner Mitte zu sein und meine Gedanken sortiert zu haben, ist schon wieder Montag und das Spiel beginnt von vorn. Kein Wunder, dass ich sonntags am Abend so oft Bauchschmerzen habe. Der Gedanke, dass am nächsten Morgen kein Raum mehr für mich sein wird, macht mich richtig krank.“

„Logisch, so feinfühlig wie du bist.“ Tom rieb seine Fingerspitzen aneinander, um seine Äußerung zu unterstreichen. „So geht es mir ja auch. Die Sensibilität ist ein Teil von mir, aber bei der Arbeit muss ich es ausschalten, um so zu funktionieren, wie andere sich das vorstellen.“

„Was wir benötigen, um gut arbeiten zu können, ist für andere Menschen nur schwer nachvollziehbar.“ Lotta dachte an einen ihrer Kollegen aus dem Verkauf. Dieser brauchte es, ständig im Kontakt mit Leuten zu sein, was für seinen Job natürlich eine sehr hilfreiche Eigenschaft war. Die Kehrseite war, dass er sehr viel Raum einnahm, wo immer er gerade war. Wenn er etwa mit seinen Kunden telefonierte, füllte seine Stimme mühelos das Großraumbüro. Er selbst konnte dann wunderbar arbeiten, alle anderen allerdings nicht mehr.

Als Lotta die Situation kurz beschrieb, hatte Tom gleich ein lebhaftes Bild von dieser Person vor seinem inneren Auge. „Wer immer in Aktion sein will, genießt es geradezu, von Termin zu Termin zu springen, er will sich ständig neuen Reizen aussetzen. Jemand, der anders ist als er, kann unter solchen Bedingungen nur sehr mühsam arbeiten und erst recht nicht sein ganzes Potenzial entfalten.“

„Ja, solche Menschen bringen mich manchmal völlig durcheinander. Ich brauche die Zeit und die Möglichkeit, auch mal in ein Thema einzutauchen, in die Tiefe zu gehen und etwas länger dabei zu bleiben. Erst dann kann ich optimal arbeiten und meine Stärken einsetzen. Jemand, der ständig mit den Dingen um sich herum beschäftigt ist, versteht in der Regel gar nicht, was ich überhaupt tue“, klagte Lotta. „Ich fühle mich von den gröberen Menschen oft regelrecht an die Wand gedrückt. Sie wollen jedem ihre eigene Arbeitsweise aufdrängen, und damit werde ich in meinem Arbeitsfluss ausgebremst. Es ist, als hätte ich einen Motor mit 300 PS in mir, den ich nicht voll hochfahren kann. Ich arbeite die ganze Zeit über mit halber Kraft, und das nur, weil da draußen kein Platz für Menschen wie mich zu sein scheint.“

„Ja, das Gefühl kenne ich“, bestätigte Tom. „So eine Arbeitswoche ist wie eine große Blockade. Sie bringt mich weit weg von dem, was mir wichtig ist. Mich persönlich weiterzuentwickeln, scheint unter diesen Umständen gar nicht möglich zu sein. Das ist es, was mich oft frustriert und ratlos macht.“