Vom Kopfkino zum Freigeist - Petra Pliester - E-Book

Vom Kopfkino zum Freigeist E-Book

Petra Pliester

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Beschreibung

Stress ist „in“ und alle laufen mit. Doch die Hektik tut uns nicht mehr gut, unterwegs ist uns die Freude verloren gegangen. Von der Zeit in die Mangel genommen, verspüren viele Menschen die Sehnsucht nach einer neuen Gesellschaft. Allerdings beginnt eine Neugestaltung da, wo es am unbequemsten ist – bei uns selbst. Wir alle sind aufgefordert, unsere Stressmuster zu durchbrechen und Alternativen zu finden. Denn wer ständig unter Druck steht, kommt keinen Schritt weiter. Allzu oft drehen sich die Gedanken nur noch im Kreis, wie in einem Kopfkino, das Tag für Tag den gleichen Film zeigt. Dieses Buch liefert praktische Werkzeuge und Ideen, wie die Veränderung gelingen kann. Mit ihrer Hilfe lassen sich Stressauslöser rechtzeitig wahrnehmen, um bewusste Entscheidungen zu treffen: Möchten Sie im Schatten der Angstpyramide mit den Zeitdieben kämpfen oder auf Abstand gehen? Wollen Sie mit einem Tunnelblick durch das Leben gehen oder an Überblick gewinnen? Setzen Sie Ihre Kraft für das ein, was Ihnen wichtig ist. Es ist an der Zeit, sich aufzurichten und in die Selbstbestimmung zu gehen. Sie haben jeden Tag die Wahl, das Kopfkino auszuschalten und ein Freigeist zu sein.

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Inhaltsverzeichnis

Im Dauerlauf zum Dauerstress

Kopfkino mit Happy End?

Ohne Stress – wie soll das gehen?

Der ewige Kampf

Die Angst-Pyramide

Die eigene Kraft klug nutzen

Kein Problem mit Stress – nur ohne

Wenn Stress zur Sucht wird

Das richtige Maß: ein Thermometer für alle Fälle

Stressfeld oder Ruheinsel?

Leben unter Hochspannung

Festgefahren

Ein Blick genügt

Stress macht alt

Unterwegs mit Tunnelblick

Von der Zeit in die Mangel genommen

Stress führt zu nichts

Deutschland im Dornröschenschlaf

Bis der Dampfkessel pfeift

Wenn das Management lacht

Welche Aufgabe ist denn Ihre Aufgabe?

Stress hat Methode

Wer bin ich ohne meinen Stress?

Warum Stress so beliebt ist

Den Bereitschaftsdienst aufgeben

Mit Feldenkrais in die Veränderung gehen

Spüren ist der Schlüssel

Was es heißt, bei sich zu sein

Lernen durch Unterschiede

Bestandsaufnahme

Auf die Qualität kommt es an

Darf es einmal leicht gehen?

Atemberaubende Erfahrungen

Die Regeln beugen

Vom Wert der Pause

Der Weg ist das Ziel

Im Fluss sein

Leben im Widerspruch

Vom Kopfkino zum Freigeist

Der Abstand macht’s

Auch Autofahrer suchen Nähe

Zwischenmenschlich auf Kuschelkurs

Wohnen ist mit Abstand das Beste

Geschäft und privat vermischt – das wird „nischt“

Das Umfeld prägt

Viel Lärm um nichts

Weniger ist mehr: das selbst auferlegte Arbeitspensum

Rhythmus im Blut

So und nicht anders

Nicht wie immer – antizyklisch unterwegs

Was für ein Drama!

Den Griff lockern

Wenn Eigentum zum Eigentor wird

Alles hat seine Zeit

Der stumme Stress

Keine Zeit für Zeitdiebe

24 Stunden an der Leine

Keep it simple – weil es einfach besser geht!

Klare Verhältnisse schaffen

Probieren geht über studieren

Jeder kann ein Freigeist sein

Scheinwelt pur: Leben im Spielcasino

Utopie vom Neubeginn

Kollektiv im Burnout

Raum zur Genesung

Voll beschäftigt – der Verfall der Angstpyramide

Vom Glauben abgefallen

Das Grundeinkommen

Von Mensch zu Mensch

Wann ist ein Mann ein Mann?

Paarenergie ist Magie

Du musst wissen, wer Du bist

Du musst wissen, wer Du bist – und es auch sein

Literatur und Quellen

Petra Pliester / Jürgen Bräscher: Vom Kopfkino zum Freigeist. Selbstbestimmt statt voll im Stress© 2018 Verlag ZeitenwendeSteigerstraße 6401707 Freital OT Kleinnaundorfwww.verlag-zeitenwende.debuecher@verlag-zeitenwende.de

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen und multimedialen Wiedergabe sowie der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten.

Covergestaltung: Verlag Zeitenwende / Susann AdamErstellung E-Book: Verlag ZeitenwendeIllustrationen: Susann Adam

ISBN 978-3-945701-22-5

Über die Autoren:

Petra Pliester, geboren 1973, ist Diplom-Kauffrau (FH) und seit 2000 als Marketing- und Projektmanagerin tätig. Aus Überzeugung hat sie sich für eine berufliche Laufbahn in der alternativen Wirtschaft entschieden und arbeitet derzeit in einem Zentrum für Ayurveda-Medizin. Es ist ihr gelungen, energetische Prinzipien in das moderne Berufs- und Alltagsleben einzubringen.

Jürgen Bräscher (Jg. 1970) ist selbständiger Physiotherapeut und Feldenkrais-Lehrer. Seit 1997 gibt er Seminare und Fortbildungen. Persönliche Freiheit schätzt er über alles. Das spiegelt sich in seiner Leidenschaft für das Reisen ebenso wider wie in seinem Unterricht: Hier erfahren die Kursteilnehmer einen Rahmen ganz ohne Leistungsdruck und werden in ihrer Selbstentfaltung gefördert.

Für alle, die

in ihrem Leben nicht mehr kämpfen möchten,

den Wunsch in sich tragen, ihrem Herzen zu folgen,

eine neue Welt mitgestalten wollen.

Herzlichen Dank!

Wir bedanken uns bei allen guten Seelen, die die Freigeist-Bücher lesen, kaufen, verschenken, weiterempfehlen, und damit das Gedankengut für ein besseres Miteinander in die Welt hinaustragen.

Im Dauerlauf zum Dauerstress

Wir packen unser Leben zu voll. Die Tage erscheinen zu kurz für all das, was wir uns vorgenommen haben, und im stillen Kämmerlein beschleicht uns das Gefühl, Monat für Monat und Jahr für Jahr unser Leben abzuarbeiten, in einer endlosen Folge von To-do-Listen. Aber wenn wir uns bei Bekannten und Freunden umhören, haben natürlich alle nur positiven Stress, sind dynamisch und effizient, erledigen die gewaltige Flut an Aufgaben mit links und lassen nie nach.

! Stress ist „in“, er ist zum Prestigeobjekt geworden. Jeder will etwas davon haben, und wer keinen hat, muss schauen, wo er welchen herbekommt.

Es scheint in unserem Leben keine Pausen mehr zu geben, keine Ruheinseln. Früher haben wir uns noch von Urlaub zu Urlaub gehangelt, um dort Kraft zu tanken. Sobald wir danach im Büro die Emails geöffnet haben, war es vorbei mit der Erholung. Die Flut der Nachrichten holte uns schnell auf den Boden der Tatsachen zurück und verbannte den Urlaub als ferne Erinnerung in eine stille Ecke unseres Gehirns. Heute brauchen wir gar nicht mehr so lange zu warten: Wir können schon während der Ferienzeit die Emails checken, um unsere tägliche Dosis an Stress einzunehmen.

Doch Stress beschränkt sich nicht auf den Beruf. Auch im Privatleben gibt es keine Ruhe: Fasching, Ostern und Weihnachten takten das Jahr und wollen mit entsprechenden Dekorationen, Geschenken und Festessen gewürdigt werden, dazwischen gibt es Events, Geburtstage und Verpflichtungen im Verein. Und weil das noch nicht genug ist, feiern wir die amerikanischen Feste wie Valentinstag und Halloween gleich noch mit.

Doch erfüllt uns das, was wir da tun? Empfinden wir echte Freude dabei oder folgen wir einer Dynamik, die sich längst verselbständigt hat?

Wenn Sie dieses Buch in die Hand genommen haben, sind Sie wahrscheinlich ein Experte in der Disziplin „Stress“, schließlich trainieren Sie ihn schon ein Leben lang. Als Sie mit dem Training anfingen, haben Sie noch zwischen Joggen und Gehen abgewechselt und dann langsam Ihre Kondition gesteigert. Jetzt können Sie stolz auf sich sein: Sie haben gelernt durchzulaufen, haben das Tempo stetig angezogen und sind heute da, wo Sie sind. Doch wo ist das genau? Wollten Sie da eigentlich hin? Oder wie es die Band Mono Inc. formuliert: „Where would you run if you are running out of time?“ („Wo würdest Du hinlaufen, wenn Dir die Zeit davonläuft?“; Mono Inc.: „Get some sleep“. Von Martin Engler. Symphonies of Pain. Nocut Entertainment, 2017. CD)

Irgendwann haben wir angefangen zu laufen und können nun nicht mehr damit aufhören. Die überhöhte Geschwindigkeit, mit der wir durch das Leben eilen, ist uns in Fleisch und Blut übergegangen – das Ziel haben wir dabei längst aus den Augen verloren. Selbst wenn wir das Glück haben, zu einem guten Gehalt und Wohlstand gekommen zu sein, ist unsere Lebensqualität leise und schleichend in den Keller gerutscht. Denn Stress ist für uns zur Gewohnheit geworden, zu einer Serie aus automatisierten Handlungen, über die wir gar nicht mehr nachdenken.

Wie würden Sie sich durch den Tag bewegen, wenn der Termindruck einmal wegfällt? Wären Sie in der Lage, den Schalter umzulegen, das Tempo zurückzunehmen und sich einfach durch den Tag treiben zu lassen? Oder würden Sie sich gleich die nächsten Termine und Aufgaben setzen, um in der gewohnten Geschwindigkeit weiterzugehen? Hand aufs Herz: Meistens wird es darauf hinauslaufen, dass Sie in den freien Stunden „noch schnell“ Besorgungen machen, Anrufe tätigen, eben Dinge erledigen, die schon lange liegen geblieben sind, statt die geschenkte Zeit einfach auszukosten. Sie sind es gewohnt, so und nicht anders zu agieren.

Ursprünglich ist Stress eine Reaktion des Körpers, um in einer Gefahrensituation das eigene Überleben zu sichern. Die Stresshormone Adrenalin und Cortisol werden ausgeschüttet, nur die lebenswichtigen Körperfunktionen sind noch aktiv, alles andere wird zurückgefahren. Wir sind zum Kampf oder zur Flucht bereit. Ist die Stresssituation vorbei, folgt eine Ruhephase beziehungsweise der Normalzustand.

! Die Natur hat den Stress für kurzfristige Belastungsspitzen geschaffen, wir aber haben daraus einen Dauerzustand gemacht. Das kann nicht funktionieren.

Mit dem Märchen vom positiven Stress belügen die Menschen nicht nur ihre Umgebung, sondern auch sich selbst. Sind wir im Dauerstress, spielt es keine Rolle, ob der Stress positiv oder negativ ist – zu viel ist zu viel. Bei einem Auto scheint es selbstverständlich, es nicht dauerhaft im roten Bereich zu fahren, das tut keinem Motor gut. Wir achten darauf, rechtzeitig das Tempo auf ein gesundes Maß zu reduzieren. Doch für uns selbst gilt das offenbar nicht. Wie ist denn eigentlich unsere normale Geschwindigkeit? Wie viel Stress halten unser Körper und unser Geist aus, ohne dass wir „heißlaufen“ und „durchdrehen“?

Kopfkino mit Happy End?

Stellen Sie sich vor, Sie sind im Kino. Sie freuen sich auf eine mitreißende Geschichte, auf einen Helden, der aufregende Sachen erlebt und mit dem Sie sich identifizieren können, der attraktiv, charmant und in jeder Situation Herr der Lage ist.

In dem Film sehen Sie nun den Helden, wie er mit einer wundervollen Frau essen geht. Doch statt ihr seine ganze Aufmerksamkeit zu widmen, ist er mit seinen Gedanken bei einigen Einkäufen, die er nach dem Rendezvous erledigen will. Obwohl er sich schon seit Tagen auf diese Verabredung gefreut hat, ist er eigentlich ganz woanders und unterhält sich nur zerstreut mit seiner Partnerin. Er kann weder ihre Gesellschaft noch das Essen genießen, und natürlich wird er auch bei der Dame nicht punkten, die sich enttäuscht zurückzieht, als sich sein Zeitfenster schließt und er in den nächsten Supermarkt hechtet.

Beim Einkaufen trifft der Held eine alte Schulfreundin, mit der er damals durch dick und dünn gegangen ist und die er seit Jahren nicht gesehen hat. Doch er stellt seine Freude über das Wiedersehen zurück und wechselt nur ein paar oberflächliche Sätze mit ihr. Die Zeit drängt und er ist in Gedanken schon wieder bei der Geburtstagsparty am Abend, die noch vorzubereiten ist: die Getränke kühlen, dem Caterer letzte Anweisungen geben. Und hat er eigentlich seinem Chef eine Einladung geschickt? Was die Freundin aus Kindertagen ihm erzählt, dringt gar nicht mehr zu ihm durch. Unser Held ist einfach nicht bei der Sache. Er ist gar nicht richtig da, ist nur wie ein Schatten seiner selbst.

Würden Sie sich im Kino mit so einem Helden identifizieren? Wohl kaum! Ein Mensch, der mit seinen Gedanken nie bei dem ist, was aktuell geschieht, bleibt für uns blass und uninteressant. Es fehlen die Gefühle, die Hingabe, das gewisse Prickeln, eben das, was das Leben besonders macht.

So ist es leider auch in der Realität:

! Das Leben zieht an so manchem Menschen wie ein Film vorüber, an dem er gar nicht richtig beteiligt ist. Er wird zum bloßen Statisten degradiert. Die Hauptrolle übernehmen andere, nämlich die eigenen Gedanken.

Es gibt ständig etwas zu tun, innere Unruhe ist an der Tagesordnung und unsere Gedanken haben Fahrt aufgenommen. Immer schneller drehen sie ihre Runden in unserem Kopf, Tag und Nacht, verselbständigen sich, drängen sich in den Vordergrund und führen doch nur ins Leere. Schon bald wissen wir nicht mehr, wie es ohne dieses Gedankenkarussell war. Das Kino in unserem Kopf kennt keine Pausen und hält uns stetig auf Trab. Was am Ende übrig bleibt, ist der Getriebene. Im Film scheint der Held tatsächlich verloren, doch durch einen Kniff, den der Zuschauer nicht vorhersehen konnte, bekommt er die Möglichkeit, das Ruder noch einmal herumzureißen. Ob er seine Chance nutzt und glücklich bis ans Ende seiner Tage lebt, liegt allein in seiner Hand.

Ohne Stress – wie soll das gehen?

Wie eingangs schon erwähnt, haben in unserer Leistungsgesellschaft nahezu alle Stress. Zunächst bemerken wir vielleicht gar nicht, wie gestresst wir sind, denn es scheint der Normalzustand zu sein. Um uns herum machen ja alle begeistert mit, und tatsächlich kann uns der Stress zunächst einen Kick verschaffen.

Wenn Sie hohen Belastungen ausgesetzt sind, Ihre Arbeit aber als befriedigend und sinnvoll empfinden, haben Sie erst einmal positiven Stress. Im besten Fall heimsen Sie zusätzlich Anerkennung ein für das, was Sie tun, so dass Ihr Belohnungszentrum aktiviert wird und Sie die intensive Arbeitsbelastung gut verkraften. Damit scheint die Rechnung für Sie aufzugehen. Beim nächsten Mal wollen Sie dann noch besser sein, noch härter arbeiten, um noch mehr Lob zu ernten. Schnell wird aus der vorübergehenden Anstrengung und unter Zeitdruck eine Dauerbelastung mit gesundheitlichen Folgen. Wenn dann die Anerkennung für Ihre Leistung ausbleibt und Sie sich noch mehr verausgaben, um Ihre wohlverdiente Belohnung zu erhalten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sich erste Anzeichen von Erschöpfung zeigen.

Selbst wenn wir erkennen, dass uns das beständige Stresslevel nicht guttut, können wir nicht einfach nur spazieren gehen und unsere Seele baumeln lassen, während alle anderen um uns herum joggen. Wir laufen Gefahr, uns vom Strom der vorbeiziehenden Läufer mitreißen zu lassen, statt im eigenen Rhythmus zu bleiben. Auch während unserer Erholungspausen sind wir den Einflüssen der Umgebung ausgesetzt, ob wir wollen oder nicht.

! Stress ist ansteckend. Er betrifft uns alle und ist längst zu einer selbstverständlichen Gewohnheit geworden.

Tief in unserem Inneren erahnen wir, dass unser ganzes Leben von der eigenen Rastlosigkeit beeinträchtigt ist. Es ist uns so vertraut, ein Leben im Stress zu führen, dass es keine Alternativen zu geben scheint. Doch sie sind da! Oftmals sind sie nur einen Gedanken entfernt.

Um zu verdeutlichen, wie sehr wir unseren Gewohnheiten erliegen, können wir unser eigenes Bewegungsverhalten beobachten:

Zum AusprobierenStellen Sie sich bitte hin und verschränken Sie Ihre Arme. So wie Sie das Ihr ganzes Leben schon getan haben. Und dann verschränken Sie Ihre Arme genau anders herum! Der Arm, der zunächst unten war, kommt nach oben und umgekehrt. Legen Sie das Buch zur Seite und probieren Sie es gleich aus.

Wie Sie bemerken, müssen Sie plötzlich nachdenken, wie das gehen soll. Etwas, das Sie täglich tun, stellt Sie plötzlich vor eine Herausforderung. Fühlt sich die umgekehrte Position Ihrer Arme richtig oder ungewohnt an? Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, Ihre Arme zu verschränken, aber Sie haben bewusst oder unbewusst immer nur eine Variante genutzt, schon Ihr ganzes Leben lang.

Was wäre nun, wenn wir einfach nicht wissen, wie wir ohne Stress leben sollen und nur aus Mangel an Alternativen so begierig daran festhalten? Es gibt Alternativen, so viel steht fest. Wir müssen sie lediglich kennenlernen und nutzen. Statt wieder und wieder das vertraute Stressmuster anzuwenden, müssen wir unsere Gewohnheiten verändern. Das ist der Schlüssel, um dem Stress adé zu sagen.

! Erkennen Sie Ihre Stressmuster. Befreien Sie sich davon und wählen Sie eine neue Handlungsoption.

Damit wird der Weg frei für ein Leben, das an Tiefe und Sinnhaftigkeit gewinnt.

Der ewige Kampf

Stress ist also eine Gewohnheit. Wie kam es dazu, dass er sich in unserem Leben so festgesetzt hat? Um das zu verstehen, schauen wir uns zunächst an, welche Werte und Verhaltensweisen in der Erziehung vermittelt werden. Denn die Wurzeln des individuellen Stressverhaltens reichen tief in die gesellschaftlichen Ebenen hinein.

Im Idealfall können Kinder ihre Umgebung in den ersten Lebensjahren noch frei erforschen. Sie folgen dem Entwicklungsplan, den die Natur für sie angelegt hat, der eine langsamer, der andere schneller. Zwar werfen Eltern, Ärzte und Erzieher immer wieder kritische Blicke auf die Kleinen und schätzen ein, ob der Wachstumsprozess normal verläuft, aber aus der Perspektive der Kinder spielt sich diese Beurteilung meist im Hintergrund ab.

Spätestens mit dem Beginn der Schulzeit ist diese Idylle aber vorbei. Nun werden die Kinder mit einem System konfrontiert, das ihre Leistungen bewertet, analysiert und mit anderen Schülern ins Verhältnis setzt – der Wettbewerb ist eröffnet. Jetzt gilt es, schneller und besser rechnen, schreiben und lesen zu lernen, um gute Noten zu erzielen und über dem Durchschnitt zu liegen. Im Sport wird es noch deutlicher: Hier werden Kräfte gemessen, es wird um die obersten Plätze auf Ranglisten gekämpft, Ballspiele teilen die Mannschaften in Sieger und Verlierer ein.

In der Schule wird von den Kindern erwartet, in den unterschiedlichsten Fächern gleich gut zu sein, von Physik über Sprachen bis hin zum Sport. Hier wird schon der erste Druck aufgebaut, denn die wenigstens Menschen sind solche Multitalente. Aus gutem Grund ist es üblich, sich im Beruf zu spezialisieren, kein Geschäftsführer mauert selbst sein neues Firmengebäude. Kinder sollen sich jedoch auch in solchen Disziplinen mit anderen messen, in denen sie wenig Talent haben. Um diese Schwächen auszugleichen und im Wettbewerb zu bestehen, sind unter Umständen enorme Anstrengungen nötig, so dass heute bereits Schüler unter Stresssyndromen leiden, besonders wenn ehrgeizige und besorgte Eltern hochtrabende Pläne für ihren Nachwuchs haben. Allzu oft sollen Kinder das erreichen, was die Eltern selbst nicht geschafft haben, und natürlich sehen diese es gern, wenn sich ihre eigenen Gene gegen die Konkurrenz durchsetzen. Denn trotz aller Zivilisation sind unsere Urinstinkte stärker aktiv, als wir uns das oft eingestehen möchten, und da geht es nun mal darum, möglichst widerstandsfähige Nachkommen zu zeugen und heranzuziehen.

Das in der Kindheit begonnene Schauspiel „Der Stärkere überlebt“ wird später im Berufsleben fortgeführt. Das gesellschaftliche Ideal vom leistungsfähigen Macher und Sieger erfüllen jedoch viele Menschen nicht, und wenn, dann nur in ihrer Blütezeit. Irgendwann lassen auch bei den Stärksten die Kräfte nach, einfach weil sie älter geworden sind. Und dann gibt es natürlich diejenigen, deren Persönlichkeit gar nicht auf Konkurrenzdenken ausgerichtet ist, sondern auf ein harmonisches Miteinander. Sie handeln nach dem Motto: „Der Klügere gibt nach“ und verstehen gar nicht, warum immer nur einer und nicht alle gewinnen können. Sie werden aber schnell die Erfahrung machen, dass sie mit dieser Strategie nicht weit kommen. Im Machtkampf setzt sich nun einmal derjenige durch, der seine Klugheit mit Stärke und Durchsetzungskraft paart. Die sanften Seelen müssen sich meist mit den unteren Plätzen in der gesellschaftlichen Rangordnung zufrieden geben oder sich verbiegen, sich selbst und ihre Ideale verraten, wenn sie es beruflich zu etwas bringen möchten. Dieser Widerspruch zur eigenen Persönlichkeit kann zu einer großen Belastung werden, da hilft auch die Empfehlung, Stress als Herausforderung zu betrachten, nicht weiter. Die Menschen sind nun einmal Individuen und nehmen dieselben Situationen unterschiedlich wahr. Was für den einen eine sportliche Herausforderung ist, stellt für den anderen eine Überbelastung dar. Nicht jeder ist zum Krieger geboren und will sein Leben lang nur kämpfen.

Wie sehr der Kampf unseren Alltag prägt, lässt sich am Sprachgebrauch erkennen. Auf die Frage „Wie geht es Dir?“ folgt so manches Mal die Antwort: „Ach, du weißt schon, immer am Kämpfen.“ Softwarelösungen werden „von hinten durch die Brust“ programmiert, Mitarbeiter werden „niedergemacht“, Konkurrenten „ausgestochen“ oder „auf die Folter gespannt“.

Zum AusprobierenWenn das Wort „Stress“ fällt, ersetzen Sie es eine Zeit lang durch den Begriff „Kampf“ und lassen sie die Sätze neu auf sich wirken. Was macht das mit Ihnen?

Die Angst-Pyramide

Der ewige Konkurrenzkampf verursacht Stress, vor allem bei denjenigen, die unterlegen sind. Stellen Sie sich eine Pferdeherde vor, die eine strenge soziale Hierarchie hat. Wie fühlt sich wohl das schwächste Pferd in der Herde? Es muss ständig in Angst leben, von den stärkeren Tieren drangsaliert zu werden, und ist das letzte, das fressen oder trinken darf. Immer muss es darauf achten, keinem anderen in die Quere zu kommen, sonst hat das Konsequenzen. Dieses Tier hat wohl öfter Stress als der Rest der Herde, es ist immer in Habtachtstellung. Doch auch Leithengst zu sein, hat seine Schattenseiten, denn sein Platz an der Spitze ist nicht auf Dauer sicher. Regelmäßig fordern ihn Rivalen zum Kampf auf, die auf eine Schwäche des Anführers lauern, um ihn eines Tages vom Thron zu stoßen.

So ist es auch bei vielen Menschen: Sie streben danach, andere zu dominieren. Dahinter steckt die Angst, sich selbst dem Willen anderer unterwerfen zu müssen. Das klingt ziemlich archaisch, und das ist es auch. Im Prinzip stammt das Verhalten noch aus der Zeit, als wir uns den Weg mit der Keule freigekämpft haben. Der einzige Unterschied besteht heute darin, dass die Kämpfe im Alltag nicht mehr mit physischer, sondern mit psychischer Gewalt geführt werden. Inzwischen sind wir zumindest so weit, dass körperliche Gewalt gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert und per Gesetz bestraft wird. Seelische Grausamkeiten bleiben jedoch weiterhin legal (vgl. Rohleder, Luca: „Die Berufung für Hochsensible“, 4. Auflage, dielus edition, Leipzig 2017). Es wird gemobbt und gedroht, intrigiert und taktiert. Bis heute gehören Werke über die strategische Kriegsführung zur Standardliteratur von Managern, die etwas auf sich halten (zum Beispiel: Sunzi: „Die Kunst des Krieges“, Insel Verlag, Berlin 2009).

So ist die Behauptung, dass wir heute in sicheren Zeiten leben, nur bedingt haltbar. Wir werden in der Regel nur selten mit körperlicher Gewalt konfrontiert, sind aber psychologisch unter Dauerbeschuss. Die natürlichen Reaktionen darauf sind Angst und Stress, denn wir fühlen uns in unserer Existenz bedroht. Das Perfide an der psychologischen Kriegsführung ist, dass sich der Feind nicht offen zeigt, sondern aus dem Hinterhalt agiert. Die Menschen wissen gar nicht genau, wer oder was hier am Werke ist, zweifeln an sich selbst und empfinden Machtlosigkeit gegenüber einer unsichtbaren Bedrohung.

Wenn wir dieses Prinzip auf ein modernes Unternehmen übertragen, hat angesichts der dortigen Gefahren jeder Angst: Menschen auf den unteren Ebenen werden fremdbestimmt und fürchten sich davor, den Anforderungen nicht zu genügen und entlassen zu werden. Sie gehören nicht zu den Kämpfernaturen, müssen aber die alternative Strategie, den Fluchtreflex, unterdrücken, um mit ihrer Arbeit den eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Wenn der aufgestaute Stress nicht durch Flucht abgebaut werden kann, verbleibt er im System und die Menschen sind im Dauerstress, es sei denn, sie verfallen in die dritte Option, nämlich sich tot zu stellen und abzustumpfen, ein Zustand der zwar nicht erstrebenswert, heute aber schon weit verbreitet ist.

Diejenigen, die oben stehen, verteidigen ihre mühsam errungene Position und haben Angst vor dem sozialen Abstieg. Denn auch Führungskräfte müssen sich wiederum vor dem Vorstand oder Firmeninhaber, vor Kunden und Investoren rechtfertigen. Den Druck, den sie dabei empfinden, versuchen sie, nach unten abzugeben und zu verteilen. Das verschafft den Führungskräften vielleicht eine kurzfristige Erleichterung, aber ihre Untergebenen werden den Druck natürlich auf den eigenen Schultern spüren und – wenn sie nicht ganz unten stehen – wiederum an ihre Mitarbeiter weitergeben. Wie bei einer Pyramide breitet sich die Angst von der Führungsspitze bis in die untersten Reihen aus und infiziert das ganze Unternehmen.

! Vom einfachen Arbeiter bis zum Geschäftsführer steht allen nur das Muster der Angst zur Verfügung, und sie reagieren darauf, indem sie ihrerseits Druck auf andere ausüben.

Das Muster bleibt nicht auf das Unternehmen beschränkt, sondern setzt sich sogar im Privatleben fort. Denn diejenigen, die an Ihrem Arbeitsplatz niemanden mehr unter sich haben, an den sie den Druck weitergeben können, tragen ihn mit nach Hause und verschaffen sich dort Luft, indem Sie Ihren Partner und die Kinder, die Kassiererin im Supermarkt oder die Nachbarn als Ventil benutzen, um ihre Spannung loszuwerden. Offensichtlich kennen die Menschen keine anderen Handlungsoptionen.

Es ist an der Zeit, dass wir aus diesem urzeitlichen Modell aussteigen. Was wir brauchen, ist ein neues Miteinander, in dem jeder von uns mit seinen persönlichen Stärken einen Platz findet und seinen Teil zu einer funktionierenden Gemeinschaft beitragen kann, frei von Angst und Sanktionen. Wir müssen Alternativen zu dem ewigen Kampf finden, schließlich wollen wir doch mehr sein als nur das Mitglied einer Pferdeherde. Kraft unseres Bewusstseins sind wir in der Lage, den Kampfmodus zu beenden. Im Gegensatz zu Tieren sind wir nicht gezwungen, unseren Instinkten zu folgen, wir können für uns und unser Leben andere Entscheidungen treffen. Um Ihre persönliche Stressspirale zu unterbrechen, ist vor allem eine Maßnahme notwendig:

! Schränken Sie Ihre Kampfhandlungen radikal ein.

Führen wir den Gedanken einmal fort: Wenn Stress gleichzusetzen ist mit Kampf und wir alle Stress haben, dann leben wir im Krieg – mit uns selbst und mit anderen. Gelingt es aber, uns vom Stress zu befreien, schaffen wir Frieden in uns selbst und damit in der Welt, im Innen wie im Außen.

Die eigene Kraft klug nutzen

Wie fühlt es sich für Sie an, den Kampf aufzugeben? Verspüren Sie Erleichterung oder macht sich Unruhe in Ihnen breit, ein leiser Zweifel, ob diese Strategie funktionieren kann?

Fairerweise sollten wir hier erwähnen, dass nicht jeder Kampf sinnlos oder verwerflich ist. Manchmal ist es in unserer Welt tatsächlich notwendig, sich durchzusetzen, um etwas zu erreichen oder sich zu verteidigen. Sie müssen sich wehren, wenn Ihnen jemand auf die Füße tritt, dürfen anderen klare Grenzen setzen und sollten natürlich auch Energie in Pläne stecken, die Sie gern für sich realisieren möchten. Bedenken Sie aber, dass Kämpfen die Reaktion auf eine unmittelbare Gefahr ist. Es ist eine Ausnahmesituation, kein Dauerzustand.

Checkliste

Statt jeden Tag aufs Neue automatisch in den Kampfmodus zu verfallen, fordern wir Sie auf, klug abzuwägen:

• Ist der Kampfmodus in diesem speziellen Fall tatsächlich die richtige Strategie oder gibt es Alternativen, zum Beispiel eine Kooperation?• Lohnt sich der Einsatz oder kämpfen Sie gegen Windmühlen? Nichts ist ermüdender als ein permanenter Kampf, der zu nichts führt. Sie verlieren nur Kraft und leiten Ihre Energien ins Leere.• Kämpfen Sie vielleicht für Dinge, die belanglos sind? Ist das, wofür Sie kämpfen wollen, nächste Woche oder nächstes Jahr noch wichtig?

Wenn wir den asiatischen Traditionen zufolge die Welt nach den Prinzipien von Yang und Yin betrachten, steckt hinter dem Kampfmuster eine männliche Yang-Energie. Sie ist auf Aktion ausgerichtet, gibt Impulse und leitet Veränderungen ein, treibt den Fortschritt und das Wachstum in der Welt voran. Ohne diese Yang-Energie hätte sich der Homo sapiens sapiens, wie wir ihn heute kennen, gar nicht erst entwickeln können. Der Mensch wäre einfach glücklich und zufrieden gewesen, mit dem, was er bereits hatte. Deshalb möchten wir an dieser Stelle das männliche Prinzip ausdrücklich anerkennen und würdigen, denn ohne Yang gäbe es nur Stillstand.

Allerdings müssen Yin und Yang ausgeglichen sein, damit die Erde im Gleichgewicht ist. Yin, das weibliche Prinzip, hat es zurzeit schwer, gehört zu werden oder wird sogar rigoros unterdrückt. Es ist nach innen gerichtet, steht für das bloße Sein und für die Stille. Doch in einer Yin-Phase kann Kraft gesammelt werden, um dann wieder in die Aktion zu gehen. Ohne diese Ruhepause erschöpft sich das Yang, es verbrennt sich selbst (Vgl. https://www.fid-gesundheitswissen.de/tcm/yin-und-yang/). So ist es auch im Zyklus der Jahreszeiten: Im Winter scheint die Natur brach zu liegen, die Bäume sind kahl, die Blumen verblüht. Doch unter der Oberfläche kehrt schon Leben in die Wurzeln zurück und die Samen keimen, damit sich die Pflanzen bei den ersten Sonnenstrahlen den Weg ans Licht bahnen können.

Heute überwiegt ganz klar die Yang-Energie in der Welt. Sie ist naturgemäß bei Männern besonders stark ausgeprägt, steckt aber auch in Frauen, die diesen Persönlichkeitsanteil inzwischen stärker betonen, als es in früheren Zeiten der Fall war. Mithilfe der Yang-Energie streben die Menschen nach unbegrenztem Wachstum und beuten auf diesem Wege rücksichtslos die Natur und ihre Ressourcen sowie die eigenen Artgenossen aus. Das kann nicht funktionieren, weil der Ausgleich fehlt. Entsprechend zeigt sich zurzeit der Zustand der Erde und der Menschen; wir und der Planet sind im Dauerstress. Die Yin-Energie, also die Ruhephasen, braucht mehr Raum, damit die Menschen und die Natur sich erholen können, wir müssen den Dauerstress in einen gesunden Wechsel von Aktivität und Pausen überführen.

Gehen wir mit unseren Überlegungen noch einen Schritt weiter, so schließt sich die Frage an:

! Wie setzen wir die männliche Energie mit ihrer Tatkraft ein?

Auch hier haben wir eine Wahl: Wir können die Yang-Energie nutzen, um weiter nach Dominanz und Wirtschaftswachstum zu streben. Oder aber wir leiten sie ins Positive um und wenden sie an, um unsere Welt in eine bessere zu verwandeln, um unsere Werte zu ändern und echten Fortschritt zu erzielen, nämlich den, nachhaltig mit der Natur und mit uns selbst umzugehen.

Kein Problem mit Stress – nur ohne

Der Stress ist in unsere Alltagsroutine eingekehrt und zu einem festen Bestandteil unseres Lebens geworden, das wird akzeptiert und hingenommen. Auf den Stress angesprochen, reagieren Menschen oft mit Aussagen wie: „Wir haben doch keinen Stress, das ist normal bei uns. Es geht hier drunter und drüber, das sind wir gewohnt.“ Das Thema wird genauso lapidar abgehandelt wie ein kurzer Plausch über das Wetter. Aufgrund der stetigen Dauerbelastung registrieren viele Menschen gar nicht mehr, dass sie Stress haben. Der Neurowissenschaftler Prof. Tobias Esch vertritt die Ansicht, dass man durchaus gestresst sein kann, ohne sich so zu fühlen oder die Spannung zu registrieren. Das ist besonders dann der Fall, wenn unsere ganze Aufmerksamkeit einem Problem gilt und wir uns selbst kaum noch wahrnehmen (vgl. „Stress entsteht im Kopf“, In: natürlich gesund und munter, Ausgabe 6/2017).

Das hohe Arbeitspensum ist zum Normalzustand geworden, nur extreme Belastungsspitzen werden noch als Stress eingestuft. Deshalb gibt es auch keinen Anlass, die Stressspirale zu unterbrechen und etwas für sich zu tun. Es ist wie eine Erkältung, die man übergeht oder mit Medikamenten unterdrückt. Die Beeinträchtigung ist erst einmal aus dem Sinn und es besteht kein Handlungsbedarf, die alten Muster können beibehalten werden. Die Frage ist nur, ob das langfristig gesund, leistungsfähig und vital hält.

! Viele Menschen realisieren gar nicht, wie gestresst sie sind.

Natürlich haben alle wenig Zeit und „positiven Stress“, aber es werden keine Konsequenzen daraus gezogen. Sich einzugestehen, dass man unter dem Stress leidet, wäre ja gleichbedeutend damit, Schwäche zu zeigen. Genau das können wir natürlich nicht zulassen, auch wenn uns das Wasser bis zum Hals steht, schließlich besteht dann die Gefahr, von einer stärkeren Person übertrumpft zu werden.

Selbst die Werbung setzt das Thema „raus aus dem Stress“ nur sehr zurückhaltend als Verkaufsargument ein. Eine Auszeit zu nehmen, in den Rückzug zu gehen, zu sich zu kommen – damit zu werben, fällt selbst Unternehmen schwer, die in der Gesundheits- oder Reisebranche tätig sind, obwohl die Nachfrage nach entsprechenden Angeboten steigt. Die Gesellschaft eifert weiterhin dem Klischee „Jung, dynamisch und erfolgreich“ nach.

Wenn Stress zur Sucht wird

Wenn wir ihn auch oft leugnen: Der Stress macht etwas mit uns. Die Folgen schleichen sich ganz langsam in unseren Alltag ein, anfangs unbemerkt, dann immer sichtbarer. Der eine schläft nicht mehr gut ein, der andere kommt morgens nicht mehr aus dem Bett. Das ist aber kein Grund zur Beunruhigung: Es gibt ja Schlaftabletten und Muntermacher. Die leisen Rückenschmerzen werden einfach ignoriert und der nervöse Magen-Darm-Trakt beruhigt sich schon wieder von allein. Die Hauptsache ist, dass der Mensch so funktioniert, wie es vorgesehen ist, und er irgendwie den Tag übersteht. Auf das persönliche Befinden kann man da keine Rücksicht nehmen.

Um das übliche Tempo durchzuhalten und bei Laune zu bleiben, haben wir zahlreiche Helfer gefunden: Süßigkeiten, Kaffee, Tabak, Alkohol, Zigaretten, Fernsehen, Smartphone … Sie können die Liste beliebig fortführen. All jene Dinge, die wir täglich brauchen und konsumieren, sind nichts anderes als Alltagsdrogen, wir sind süchtig nach ihnen. Sie stimmen uns froh, wenn es eigentlich nichts zu lachen gibt, spenden Trost, lenken uns ab oder betäuben uns. Wenn Sie das für einen Scherz halten, dann probieren Sie doch einmal, für nur einen Tag auf eine Ihrer Drogen zu verzichten …

Stress gehört ebenfalls zu diesen Alltagsdrogen. Ohne ihn geht nichts mehr, die Angst vor dem Stillstand ist viel zu groß. Außerdem geben uns Stresshormone das Gefühl, mächtig und unbesiegbar zu sein, alles unter Kontrolle zu haben, sie putschen auf. Wir wollen immer mehr davon und so wird die Dosis stetig erhöht, auch wenn der Körper schon lange nicht mehr mitmacht. Im fortgeschrittenen Stadium tritt Panik ein, sobald etwas Ruhe einkehrt. Das ist wie ein Entzug. Als Reaktion darauf zieht der Betroffene schnell los, um etwas zu machen, etwas zu unternehmen, ein neuer Schuss Stress muss her. In der Drogenszene bezeichnet man solche Menschen als Junkies.

Wie bei einem echten Junkie werden Nebenwirkungen nicht beachtet. Neben Schlafstörungen, Schmerzen unklaren Ursprungs, einem schwachen Immunsystem, Verdauungs- und Magenbeschwerden treten zum Beispiel folgende Symptome auf: nervöses Augenzucken, Nägelkauen, Zähneknirschen, Unruhe, Kopfschmerzen, Gereiztheit, Nackenverspannungen und vieles mehr.

Trotzdem nehmen wir den Stress und seine gesundheitsschädlichen Auswirkungen hin, versuchen vielleicht, die Symptome einzudämmen, tun aber nichts gegen die Ursachen. In der Regel werden unsere körperlichen Symptome, unser Alltag und der Konsum von Ersatzbefriedigungen nicht einmal miteinander in Verbindung gebracht. Doch der Zusammenhang ist da. Lassen Sie nachfolgendes Gedankenmodell einmal auf sich wirken:

Tatsächlich dringt dieser fatale Kreislauf solange nicht in unser Bewusstsein, bis die Situation eskaliert. Deshalb wird auch nicht rechtzeitig mit präventiven Maßnahmen gegengesteuert, dafür ist ohnehin keine Zeit. Es ist wie bei einem Patienten, der durch einen Herzinfarkt berufsunfähig wurde und sehr treffend formulierte: „Ich dachte immer, ich habe keine Zeit. Jetzt habe ich welche.“

Stress war nie als Dauerbelastung gedacht. Wer das konsequent ignoriert, fällt irgendwann einfach um, in der Regel ganz plötzlich. Die Menschen im näheren Umfeld wundern sich dann darüber, dass der Herzinfarkt oder der Nervenzusammenbruch „aus heiterem Himmel“ eingetreten sind, denn von dem vorangegangenen jahrelangen Raubbau haben sie nichts mitbekommen. Nach außen hin sind wir alle kern-gesund – bis der große Knall kommt. So sieht es momentan in unserer Gesellschaft aus. Ist das der positive Stress, der uns allen angeblich so guttut?

Sucht wirkt sich für niemanden vorteilhaft aus, und die Abhängigkeit vom Stress führt nicht in den Flow, sondern in den Burnout. Sonst hätten wir ja überall beschwingte Menschen um uns herum, doch das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Burnout-Fälle ist in den letzten Jahren exorbitant gestiegen, inzwischen fühlt sich jeder dritte Berufstätige in Deutschland regelmäßig erschöpft und ausgebrannt (vgl. Entspann Dich Deutschland – TK-Stressstudie 2016, Hamburg. https://www.tk.de/centaurus/servlet/contentblob/921466/Datei/3654/TK-Stressstudie_2016_PDF_barrierefrei.pdf).

Das richtige Maß: ein Thermometer für alle Fälle

Stress kann man nicht messen und finden lässt er sich oft da, wo man ihn nicht vermutet. Es wäre sehr praktisch, eine Art Fieberthermometer zu haben, das unseren aktuellen Stresspegel anzeigt. Damit hätten wir eine Möglichkeit, unseren individuellen Gefährdungszustand abzulesen (siehe nachfolgende Abbildung). Da wir ein solches nun mal nicht zur Hand haben, müssen wir uns auf unsere Erfahrung verlassen.

Stressfeld oder Ruheinsel?