Beyond reproach - F***ing real - Svea Lundberg - E-Book

Beyond reproach - F***ing real E-Book

Svea Lundberg

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Beschreibung

Frisch von der Highschool zieht es Liam fort von seinem konservativen Elternhaus. In Los Angeles will er endlich ausleben, was er die letzten Jahre unterdrückt hat, und seinem Traum vom Cheerleading nachgehen. In einer Bar begegnet Liam Ricardo, genannt Rizzo, und ist sofort voller Bewunderung für den jungen Darsteller des CC Cock Labels. Denn Rizzo verkörpert all das, was Liam immer sein wollte: Er ist selbstbewusst, frech und steht voll zu den Klischees, die er erfüllt. Erst ein Blick hinter Rizzos stets fröhliche Fassade zeigt, dass auch er mit inneren Dämonen und vor allem Vorurteilen zu kämpfen hat. Denn in einem Business, das rohe Männlichkeit propagiert, hat es ein Darsteller, der die Zeit außerhalb der Drehs am liebsten in Drag verbringt, nicht leicht. Liam ist zunehmend fasziniert von Rizzos Wandelbarkeit – und vielleicht ist er auch ein wenig verknallt. Aber leider passt er so gar nicht in Rizzos Beuteschema. Denn dieser steht ganz klar nur auf einen Typ Mann: erfahrene, dominante Daddys. Und dann erscheint zu allem Überfluss auch noch der Unternehmer Keith Anderson auf der Bildfläche – ein Mann, der all jenes verkörpert, nach dem sich Rizzo in seinen Träumen sehnt.

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F*** ing real  –

Beyond reproach

Ein Roman von Svea Lundberg

Band 2

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2020

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© Gianluca D. Muscelli – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-362-2

ISBN 978-3-96089-363-9 (epub)

Inhalt:

Frisch von der Highschool zieht es Liam fort von seinem konservativen Elternhaus. In Los Angeles will er endlich ausleben, was er die letzten Jahre unterdrückt hat, und seinem Traum vom Cheerleading nachgehen.

In einer Bar begegnet Liam Ricardo, genannt Rizzo, und ist sofort voller Bewunderung für den jungen Gay-Porn-Star. Denn Rizzo verkörpert all das, was Liam immer sein wollte: Er ist selbstbewusst, frech und steht voll zu den Klischees, die er erfüllt. Erst ein Blick hinter Rizzos stets fröhliche Fassade zeigt, dass auch er mit inneren Dämonen und vor allem Vorurteilen zu kämpfen hat. Denn in einem Business, das rohe Männlichkeit propagiert, hat es ein Darsteller, der die Zeit außerhalb der Drehs am liebsten in Drag verbringt, nicht leicht.

Liam ist zunehmend fasziniert von Rizzos Wandelbarkeit – und vielleicht ist er auch ein wenig verknallt. Aber leider passt er so gar nicht in Rizzos Beuteschema. Denn dieser steht ganz klar nur auf einen Typ Mann: erfahrene, dominante Daddys. Und dann erscheint zu allem Überfluss auch noch der Unternehmer Keith Anderson auf der Bildfläche – ein Mann, der all jenes verkörpert, nach dem sich Rizzo in seinen Träumen sehnt.

1. Kapitel – Liam

Unter halb gesenkten Lidern hindurch schielte ich zu den beiden jungen Kerlen, die bereits auf ihren Positionen standen und mich erwartungsvoll ansahen. Nicht drängend, aber doch mit einer gewissen auffordernden Neugier.

Mit einem tiefen Atemzug schloss ich meine Augen vollends, lauschte auf den gleichmäßigen, raschen Takt meines Herzens. Ein wenig zu rasch für einen bevorstehenden Stunt, den ich in meiner bisherigen Laufbahn als Cheerleader schon an die fünfzig- oder sogar hundertmal ausgeführt hatte. Jedoch nie zuvor in diesem Team.

»Willst du’s versuchen?« Emmas Stimme erklang schräg hinter mir, nahe bei mir. In ihr schwang unverkennbar dieser Hauch Hoffnung mit, der einerseits meinen Ehrgeiz befeuerte und mich andererseits nervös werden ließ. »Du kannst den beiden vertrauen, ganz sicher.«

Ihre Worte ließen mich unweigerlich schmunzeln. Vertrauen war nicht das Problem. Nie zuvor gewesen. Zumindest nicht innerhalb eines Cheer-Squads, dem ich angehört hatte. Das Problem war, dass dies hier noch nicht mein Team war, ich mir aber so sehr wünschte, ich würde am Ende des Trainingstages dazugehören.

Langsam entließ ich die angestaute Luft aus meinen Lungen. Öffnete die Augen. Hob den Kopf und begegnete erneut den Blicken der beiden Jungs, welche die Base bildeten. Hoffentlich bald meine Base.

›Oh, bitte, lass mich das hier nicht verkacken!‹

»Okay. Auf geht’s!« Entschlossen trat ich vor, bis ich zwischen Andrew und Maxwell stand. Ich musste mich nicht mit einem Blick nach hinten vergewissern, dass Emma ebenfalls ihre Position einnahm. In einem gut eingespielten Squad wusste jedes Teammitglied, was es zu tun hatte.

Unter den gespannten Blicken der Trainerin und der übrigen Cheerleader legte ich Andrew und Maxwell je eine Hand auf die Schulter. Durch ihre dünnen Trikots spürte ich die Wärme ihrer Haut, die Kraft ihrer Muskeln, die mich beruhigte. Und mir damit zum wiederholten Mal vor Augen führte, wie nervös ich tatsächlich war. Doch noch während ich meinen rechten Fuß in die verschränkten Hände der beiden Bases stellte, konnte ich spüren, wie das erleichternde Gefühl von Routine durch meinen Körper floss. Das Team mochte neu sein. Die Menschen, das gesamte College. Dennoch bewegte ich mich auf bekanntem Terrain. Gleich … gleich würde ich wieder fliegen!

Der Moment, in dem Emma das Kommando gab und die Base in die Knie federte, um mich gleich darauf in die Luft zu werfen, schien sich zu einer Ewigkeit zu dehnen. Als konzentrierte sich alles in mir auf meine Fußsohlen, spürte ich, wie Andrew für den Bruchteil einer Sekunde den Hauptteil meines Gewichts trug, seine Finger meine Schuhsohle erst nach Maxwells verließen. Genau so, wie es bei Main und Side Base sein sollte. Dann war ich endlich – endlich! – in der Luft. Mit all der Kraft und Spannung, die ich in meinem Körper aufgebaut hatte, kickte ich mein rechtes Bein bis in die Zehenspitzen durchgestreckt in die Luft. Wie automatisch drehte sich meine rechte Hüfte mit Schwung, meine rechte Schulter unterstützte die Drehung. Den Blick über meine linke Schulter gerichtet, sah ich die gläserne Decke der Halle in der Rotation an mir vorbeirasen. Dann die Wand. Den Boden. Die Wand. Noch mal die Decke und weiter ... Ich flog und fiel. Und wurde an Schultern und Beinen sicher von Andrew und Maxwell gefangen. Noch während sie erneut in die Knie federten, um mein Gewicht abzufangen, flutete ein unglaubliches Glücksgefühl jede meiner Körperfasern. Ich fühlte mich wie Spider-Man, nur besser und ohne dieses klebrige Spinnennetzzeug an meinen Fingern. Denn ich hatte – verdammt noch mal – noch nie zuvor einen saubereren Kick Double Basket geschafft. Ganz superheldenunehrenhaft taumelte ich und musste mich um einen sicheren Stand bemühen, als Andrew und Maxwell mich wieder auf die Beine stellten.

»Wow, das war mega«, raunte Emma mir ins Ohr, ihre zierlichen Finger gruben sich anerkennend in meine Schulter, während die beiden Jungs mich bereits losgelassen hatten. Mein Blick schweifte unweigerlich zu Lesley. Die Endorphine schienen nur noch schneller durch meine Blutbahn zu rasen, als ich das feine Lächeln auf dem sonst so strengen Gesicht der Trainerin erkannte.

»Gut, Liam, wirklich gut. Ich schätze, einen so talentierten Flyer wie dich können wir kaum ablehnen. Oder was meint ihr?«

Eine oder maximal drei Sekunden lang herrschte Stille in der Halle, nur unterbrochen von meinem eigenen, plötzlich wieder rasenden Herzschlag. Dann stimmten die Cheerleader des UCLA Spirit Squads einen Cheer an. Jubelrufe extra für mich. Für ihr neues Teammitglied!

~*~*~*~*~

Als ich rund eine Stunde später frisch geduscht und mit all meinem Universitätskram und der Sporttasche über den Schultern aus den Umkleideräumen trat, war ich überrascht, Emma, Linda und ein weiteres Mädel aus dem Squad, deren Name mir entfallen war, noch anzutreffen. Über das Smartphone geneigt kicherten die drei über irgendein Video, welches Linda gerade abspielte. Ein wenig unschlüssig blieb ich stehen. Das Team hatte mich herzlich aufgenommen, mit Andrew und Maxwell hatte ich eben in der Umkleide noch gequatscht. Das änderte jedoch nichts daran, dass ich in der Gegenwart mir fremder Menschen erst mal zurückhaltend war. Ich überlegte ernsthaft, an den Mädels einfach mit einer genuschelten Verabschiedung vorbeizuhuschen. Emma ließ mir allerdings nicht die geringste Chance dazu, mich möglichst unauffällig aus dem Staub zu machen.

»Hey, Liam, da bist du ja. Wir haben auf dich gewartet.«

Hatten sie? Emmas Strahlen ließ keinen Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Worte.

»Wir fahren noch nach West Hollywood rein und gehen was essen. Hast du Lust, mitzukommen?«

Ich öffnete bereits den Mund, um einem inneren Reflex folgend abzulehnen. Doch ehe ich einen Ton herausbringen konnte, rief ich mir ins Gedächtnis, dass genau das es war, was ich mir von der Zeit an der University of California so sehr wünschte: Dort ankommen und freundlich in Empfang genommen werden, Anschluss und vielleicht – ganz vielleicht – sogar Freunde im Cheer-Squad finden. Kurz entschlossen nickte ich und trat zwei Schritte auf die Mädels zu.

»Klar, gerne. Ich hab halt noch den ganzen Kram dabei.« Ein wenig ungelenk hob ich die Schultern. Emma blinzelte mir zu und wies in Richtung eines Haufens Taschen zu ihren Füßen, der mir bis dato tatsächlich noch gar nicht aufgefallen war.

»Wir auch. Du kannst deine Sachen aber auch einschließen.«

»Nee, schon gut.« Vermutlich würde ich später keine Lust haben, den Umweg über die Sportanlage zu machen. Andererseits würde jeder zusätzliche Weg die Wahrscheinlichkeit erhöhen, nicht mehr auf meine beiden Mitbewohner zu treffen. Chelsey bekam ich ohnehin nur sehr selten zu Gesicht und auf eine Begegnung mit Rob konnte ich wirklich verzichten.

»Na dann, komm!« Emma warf sich in einer eleganten Bewegung ihre Sporttasche über die Schultern und hakte sich kurzerhand bei mir unter. Gemeinsam mit den anderen beiden Mädchen traten wir aus der Sporthalle. Auch wenn ich bereits einige Tage an der UCLA verbracht und an sämtlichen Einführungsveranstaltungen und einer geführten Tour teilgenommen hatte, erschien mir das Gelände der Universität noch immer riesig. Ich war schon froh, wenn ich es irgendwie pünktlich zu meinen Kursen und abends in meine WG schaffte. Also verließ ich mich blind auf Emma und ließ mich von ihr zwischen dem Footballfeld und den Parkplätzen hindurchlotsen.

Während die Mädels miteinander schnatterten, schielte ich zu den UCLA Bruins hinüber, die gerade auf dem Feld trainierten. Als Cheerleader war ich es natürlich gewohnt, im Rahmen von Footballspielen aufzutreten, und ich kannte auch die wichtigsten Regeln. Die Faszination, die dieser Sport – oder eher die Spieler – vor allem auf das weibliche Geschlecht ausübte, konnte ich jedoch nicht nachvollziehen. Je länger ich hinsah, desto weniger anziehend empfand ich die Kerle, die sich dort auf dem Spielfeld gegenseitig tackelten. Noch dazu sahen die ohnehin schon breiten Typen mit den Schulterpolstern in meinen Augen eher lächerlich, denn männlich aus.

Mit Mühe verkniff ich mir das Augenverdrehen, als Emma und ihre beiden Freundinnen zu den Bruins hinüberwinkten und strahlten. Zu allem Überfluss stieß Linda sie auch noch kichernd an und raunte ihr so laut, dass zumindest ich es hören konnte, zu: »Und ich bleibe dabei: Matthew steht auf dich.«

Emma gluckste neben mir, ließ Lindas Aussage jedoch unkommentiert und wandte sich stattdessen mir zu.

»Kennst du die Bruins schon?«

Energisch schluckte ich gegen das plötzlich aufsteigende Unwohlsein in meinem Magen an. »Nur von der Website. Und ich hab mir ein paar YouTube-Videos von Spielen angeschaut.«

»Na dann wird’s aber Zeit.« Passend zu Lindas Worten erklärte ein doppelter Pfiff auf dem Spielfeld das heutige Training für beendet.

»Wir müssen echt nicht …«

»Heeey, Jason!« Schon klebte Linda förmlich am vergitterten Spielfeldrand und winkte wie verrückt zu den Footballern hinüber.

»Jason ist ihr Freund«, tuschelte Emma und warf mir von der Seite einen fragenden Blick zu. Gut möglich, dass sie bemerkt hatte, wie ich mich plötzlich neben ihr versteift hatte. Ich bemühte mich um ein interessiert-entspanntes Lächeln, beobachtete dabei mit Argusaugen, wie sich drei der Kerle aus dem Team lösten und zu uns herüberkamen. Einer von ihnen nahm seinen Helm ab und brachte ein in meinen Augen furchtbar klischeehaftes College-Sport-Gesicht zum Vorschein: männlich-kantig und super symmetrisch. Dazu dieses aalglatte Zahnpastalächeln. Lindas Strahlen in meinem Augenwinkel machte überdeutlich, dass das nur Jason sein konnte.

»Hey, Babe.«

Ich musste mich wirklich beherrschen, nicht loszuprusten. Plötzlich fühlte ich mich in eine dieser schnulzigen Collegeromanzen versetzt. Nur dass ich nicht die Hauptrolle spielte – was einerseits beruhigend und andererseits ... beinahe ein bisschen traurig war.

»Hi, Jason«, mischte sich nun Emma ein und unterbrach damit die triefenden Blicke der beiden Turteltäubchen, »kennt ihr schon …«

»Ach was!« Bereits in diesen wenigen Silben schwang Häme mit, die mir einen eiskalten Schauer das Rückgrat hinabjagte. »Der kleine Spider-Man. Hätte ich mir ja denken können, dass du ein Cheerboy bist.«

Mit innerer Gewalt zwang ich mich, Rob direkt ins Gesicht zu sehen. So direkt, wie es dank des vergitterten Visiers eben möglich war. Sein abfälliges Grinsen war trotz Helm mehr als deutlich zu erkennen.

»Ihr kennt euch?« In Emmas Stimme klangen Verwunderung und latente Abwehr gleichermaßen mit. Ich nickte schweigend, ohne Rob dabei aus den Augen zu lassen, als befürchtete ich tatsächlich, er könnte gleich über den Zaun springen und mich mit der vollen Dosis Testosteron ausknocken. Gott, warum waren Footballer eigentlich immer solche Schränke? Und noch so hohle dazu! Und warum bekam ich angesichts seines spöttischen Auftretens mal wieder meinen Mund nicht auf?

»Das ist mein neuer Mitbewohner«, entgegnete Rob an meiner statt, wobei er eher zu seinen beiden Teamkollegen als zu Emma sprach. Jason allerdings war nach wie vor zu beschäftigt damit, Linda anzuhimmeln und sich von ihr anschmachten zu lassen, sodass mich lediglich der dritte Kerl neugierig musterte. Emma indessen stieß neben mir einen unwilligen Laut aus.

»Und wieso bitte nennst du ihn Spider-Man, hmm?«

»Weil er ein kleiner Nerd ist«, entgegnete Rob und zwang mich mit dem abfälligen Klang seiner Stimme zu einem würgenden Schlucken. Fakt war, dass er recht hatte. Ich war ein kleiner Nerd, aber warum ...

»Er hat ein Spider-Man-Poster über seinem Bett hängen«, setzte Rob hinzu und sagte auch damit nichts als die Wahrheit. Ich blinzelte energisch. Warum, verdammt noch mal, fühlte ich mich auf einmal wieder so, als wäre es verwerflich, einen Superhelden gut zu finden?

»Na und?«, gab Emma ungerührt zurück und sprach damit genau das aus, was ich längst hätte über meine Lippen bringen sollen.

»Jetzt also auch noch ein Cheerboy«, Rob schnaubte, »war ja klar.«

»Was war klar?« Emma hatte sich inzwischen von mir gelöst und trat einen Schritt vor, schob sich damit halb zwischen mich und Rob. Als könnte ihr zierlicher Körper etwas bewirken, das der meterhohe Gitterzaun nicht konnte.

»Dass die neue Schwuchtel an der UCLA bei euch im Team landet. Ballettkurse werden ja leider keine angeboten.«

Zu meiner eigenen Überraschung zuckte ich bei seinen Worten nicht zusammen. Vielmehr schienen sie an mir abzuprallen. Ich hatte sie schon zu oft gehört. Sie schürten lediglich ein eisiges Gefühl von unterschwelliger Furcht und Scham in meinem Inneren.

Emma allerdings gab einen fauchenden Laut von sich und selbst Jason schien endlich mitbekommen zu haben, was sein Teamkollege da von sich gab.

»Rob, das ...«

»Lass stecken, Jason«, giftete Emma, »ist ja nichts Neues, dass die Bruins zu einem großen Prozentanteil aus gehirnamputierten Vollidioten bestehen.«

Aus dem Augenwinkel sah ich Linda nach Luft schnappen, Jason allerdings ertrug den latenten Angriff mit Fassung. Ich meinte sogar, den Anflug eines Schmunzelns in seinem Mundwinkel zu erkennen. Vielleicht war der Typ auch gar nicht so hohl und unsympathisch, wenn er gerade mal nicht damit beschäftigt war, sich mit seiner Freundin nur durch Blicke einen Softporno zu leisten.

»Komm, Liam, wir gehen!« Noch ehe ich etwas sagen konnte – was ich vermutlich ohnehin nicht getan hätte – packte Emma mich am Arm und zog mich mit sich den Weg entlang.

»Kaum zu glauben«, zeterte sie halblaut weiter, sodass die Kerle sie bestimmt noch hören konnten, »dass wir solche Hohlköpfe bei ihren Spielen anfeuern.« Im Gehen lehnte sie kurz ihren Kopf an meine Schulter und fügte in hörbar weicherem Tonfall hinzu: »Mach dir nichts draus, Liam, da stehst du doch locker drüber.«

Das enge Gefühl in meinem Hals manifestierte sich mit einem Mal zu einem schmerzhaften Drücken. Wenn Emma nur wüsste, wie absolut überhaupt gar nicht ich da drüberstand.

~*~*~*~*~

Die Mädels schleppten mich in eine kleine Bar in unmittelbarer Nähe des West Hollywood Parks. Bereits von außen wirkte ›The Abbeys‹ heimelig. Der Hof wurde von zwei großen Holztoren und einem hohen, geschwungenen Metallzaun eingefasst, sodass man zwar hinaus auf die Straße schauen, aber doch irgendwie auf gemütliche Weise abseits sitzen konnte.

»Wollen wir nach drinnen gehen oder draußen bleiben?«

Angesichts der angenehmen Abendtemperaturen um die siebzig Grad Fahrenheit erschien Lindas Frage überflüssig. Dementsprechend einstimmig sprachen wir uns für einen Platz auf der Terrasse aus und ergatterten den letzten freien Tisch unter einem der schmalen Bäume, die den Hof säumten. Mit einem Seufzen ließ ich meine Taschen fallen, Emma klopfte auffordernd auf den Stuhl neben sich, während die anderen beiden sich bereits in die Speisekarten vertieften.

»Ich geh noch schnell zur Toilette.«

Emma blinzelte mich an, irgendwie zu irritiert wegen meiner vermeintlich so unspektakulären Aussage.

»O-Okay. Links hinten.«

»Danke.« Während ich quer über die Terrasse und ins Innere der Bar ging, fragte ich mich ernsthaft, ob es in Los Angeles im Gegensatz zu Berkeley aus irgendeinem Grund verpönt war, sich vor dem Abendessen aufs stille Örtchen zu entschuldigen. Dass Gepflogenheiten und sogar Gesetze innerhalb der USA von Bundesstaat zu Bundesstaat stark variierten, war ja nun keine Neuigkeit, aber innerhalb Kaliforniens ... bezüglich der Toilettennutzung ...

Immer noch verwundert über Emmas Irritation, zog ich die Tür zur Herrentoilette etwas zu stürmisch auf, sodass ich sie dem Mann, der offenbar gerade herauskommen wollte, regelrecht aus der Hand riss. Überrumpelt starrte ich direkt hinein in ein markantes Gesicht mit hohen Wangenknochen, braunen Augen und weich geschwungenen Lippen, die sich zu einem Schmunzeln verzogen.

»Hoppla, da hat’s aber jemand eilig«, meinte der Kerl mit einer dunklen Stimme, die mich an das Schnarren eines Cellos erinnerte. Und überhaupt ... dieser Typ sah gut aus! Nicht geschniegelt und glattgegeelt gut wie Jason, sondern wirklich gut auf eine verwegene Art und Weise.

»Ähm ... ja, sorry, ich ... muss wirklich dringend.« Stammelnd schob ich mich an ihm vorbei, kniff die Augen zusammen und hoffte, er möge mein Gebrabbel einfach unkommentiert lassen.

Er tat es tatsächlich. Für einen kurzen Moment meinte ich, seine Blicke auf meinem Rücken brennen zu spüren. Unmöglich, mich jetzt direkt ans Pissoir zu stellen und meine Hose aufzumachen. Doch dann erstarb das Gefühl Gott sei Dank und ich hörte, wie die Tür erneut geöffnet wurde und wieder ins Schloss fiel.

Geräuschvoll stieß ich die Luft aus, blieb einige Sekunden lang einfach mitten in der Toilette stehen. Seit sich herausgestellt hatte, dass ausgerechnet mein Mitbewohner Rob zu den UCLA Bruins gehörte, war ich durch den Wind. Als ob die Audition beim Cheer-Squad und die Tatsache, dass ich mich an einer riesigen Universität zurechtfinden musste, nicht schon seit Tagen genügend an meinen Nerven zerren würden. Nein, der Kerl, wegen dem ich so ungern in meine eigene WG zurückkehrte, würde mir vermutlich auch beim Training und an den Wochenenden andauernd über den Weg laufen. Eine Gewissheit, die mir die Freude über meine Aufnahme im Cheer-Team der UCLA spürbar vermieste. Und das wiederum trübte meine Laune doppelt. Denn wenn ich mir eines für meine Zeit an der UCLA vorgenommen hatte, dann dass es nicht laufen würde, wie an der Highschool in Berkeley. Ich würde mir nicht – verdammt noch mal auf gar keinen Fall – meinen Traum von der Cheerleader-Karriere von Arschlöchern wie Rob, oder wie sie alle hießen, kaputtmachen lassen.

Auf dem Weg durch die Bar und hinaus auf die Terrasse verfolgten mich interessierte Blicke. Aus dem Augenwinkel erkannte ich den Typen, in den ich eben fast hineingelaufen wäre, am Tresen sitzend. Neben ihm, auf einem der Barhocker, ein Kerl in ähnlichem Alter – so Mitte oder Ende zwanzig. Beide sahen mehr als auffällig zu mir herüber, was ein Flattern in meinem Magen und ein Kribbeln in meinem Nacken auslöste. Als der Dunkelhaarige von den Toiletten sich auch noch zu seinem blonden Begleiter hinüberneigte, ihm etwas ins Ohr raunte und dabei seine Hand auf dessen Oberschenkel höher schob, fiel dann auch bei mir der Groschen.

Mit Hitze in den Wangen und vermutlich hochrotem Kopf huschte ich aus der Bar, lief auf der Terrasse beinahe in die falsche Richtung und konnte unseren Tisch nur deshalb doch noch zielgerichtet ansteuern, weil Emma mir zuwinkte. Lächelnd zog sie mir den freien Stuhl zurück, sodass ich mich neben sie setzen konnte.

»Alles okay?« Über den Tisch hinweg sah ich Melissa – ja, ich war mir mit einem Mal sicher, dass sie so hieß – fragend an. »Du warst so lange weg.«

»Mhm, ja, sorry. Mich hat so ein Typ angequatscht. Also ... quasi angequatscht.« Erst als die Worte aus meinem Mund heraus waren, wurde mir klar, was ich da gesagt hatte. Emma neben mir grinste mit einem Mal wissend.

»Respekt. Hätte nicht gedacht, dass das so schnell geht.«

Dieses Mal war ich derjenige, der sie irritiert anblinzelte. »Hmm?«

»Sag nicht, du bist deswegen so schnell aufs Klo verschwunden?« Linda machte große Augen, was bei ihrem tiefblauen Strahleblick zugegebenermaßen ziemlich beeindruckend aussah.

»Was?« Nun kam ich tatsächlich nicht mehr mit und meine mehr als offensichtlich verwirrte Rückfrage löste nun bei Melissa verstörte Blicke aus.

»Du ... ähm ... du bist doch schwul, oder?«

»Lissy!« Neben mir setzte Emma sich kerzengerade auf ihrem Stuhl auf. »Es ist echt taktlos, das so direkt zu fragen.«

»Warum? Weil Rob vorhin dumme Sprüche gemacht hat? Ist doch egal, der ist ...«

»Nee, so generell. Ich frage dich ja auch nicht vollkommen entgeistert, ob du auf Kerle stehst.«

Melissa und Linda glucksten.

»Wäre auch irgendwie überflüssig.«

»Jaaa«, Emma klang im Gegensatz zu ihren beiden Freundinnen alles andere als amüsiert, »und es sollte ebenso überflüssig sein, Liam zu fragen, ob er ...«

»Schon okay«, beruhigend legte ich ihr eine Hand auf den Arm und grinste die beiden Gackerhühner an, »ich hab kein Problem damit.« ›Nicht mehr‹, setzte ich in Gedanken hinzu, ›zumindest nicht, solange ich mir deswegen keine dummen Sprüche anhören muss.‹

Während ich mir ebenfalls eine der Speisekarten angelte, warf ich einen vielsagenden Blick in die Runde. »Hiermit also ganz offiziell: Ja, ich stehe auf Männer, aber nein, ich bin nicht schwul.« ›Glaube ich zumindest ...‹

Stille. Und zwei Augenpaare verständnislos auf mich gerichtet.

»Meine Güte, Mädels«, Emma seufzte theatralisch und fügte dann in lehrerhaftem Tonfall hinzu: »Er ist bisexuell.«

»Ach sooo.« Linda ließ sich auf ihrem Stuhl zurücksinken und erwiderte mein vorsichtiges Lächeln deutlich breiter und selbstsicherer.

»Ist doch voll okay«, meinte Melissa schulterzuckend. »Als du gesagt hast, du seiest nicht schwul, hatte ich für einen Moment Sorge, du würdest es uns übel nehmen, dass wir dich ausgerechnet hierher geschleppt haben.«

»Hierher? Warum?«

»Wie jetzt?« Emma kicherte. »Du wirst auf dem Klo von ’nem Typen angequatscht und bemerkst nicht, dass wir in ’ner Schwulenbar sind? Hast du dich mal umgesehen?«

Hatte ich. Aber offenbar nicht genau genug. Mit abermals erhitzten Wangen ließ ich den Blick schweifen. Wie bitte schön hatten mir die kleinen Regenbogenflaggen über dem Eingang des ›The Abbeys‹ entgehen können? Oder der Umstand, dass ein deutlicher Männerüberschuss in der Bar herrschte?

»Es ist ihm echt nicht aufgefallen«, stellte Linda auf eine so liebenswert-amüsierte Weise fest, dass ich einfach in ihr Gekicher einstimmen musste.

»Okay und ähm ... warum schleppt ihr mich in eine Schwulenbar? Ich meine, es macht mir nichts aus, aber ...«

»Rizzo wollte sich hier treffen.«

»Wer?«

»Ricardo. Er war mal bei uns im Squad, bis er ... na ja ... anderweitig Karriere gemacht hat. Er sollte eigentlich gleich ...«

»Da ist er!«, fiel Melissa Emma ins Wort und winkte freudestrahlend über unsere Köpfe hinweg. Unisono drehten Emma und ich uns im Sitzen um und im nächsten Moment war ich verflucht froh, bereits auf der Toilette gewesen zu sein. Mein Herz sackte mir regelrecht in den Magen, noch ein Stückchen tiefer in den Unterleib, ehe es zu rasen anfing und sich mit lautem Poltern wieder in meiner Brust einnistete.

Ricardo kam nicht auf uns zu. Er schwebte auf uns zu. Jeder seiner Schritte so leichtfüßig, beschwingt und im selben Moment so selbstsicher und zielgerichtet. Ganz so, als wüssten seine Füße von einem Urinstinkt geleitet, wohin sie sich bewegen mussten und als ließen sie es dennoch gleichzeitig wie puren Zufall aussehen.

Himmel, hatte ich schon jemals zuvor bei einem Menschen seine Art zu gehen auf solche Weise analysiert?

Ganz sicher nicht, doch Ricardo schien wie dafür gemacht zu sein, ihn anzuschauen. Genau anzuschauen und ständig anzuschauen. Und dies lag nicht einmal daran, dass er objektiv betrachtet ein hübscher Kerl war, sondern an der Ambivalenz seiner ganzen Erscheinung.

Er war zierlich – sicher nicht größer als ich –, aber auf grazile Art und Weise kräftig. Jede seiner Bewegungen versprühte Energie, ohne dabei hektisch zu wirken. Sein Gesicht war fein geschnitten, ohne dabei zu feminin zu sein. Das Lächeln strahlend, ohne zu übertrieben zu wirken. Und seine Augen funkelten in dunklem Braun, ohne dabei ihren warmen Glanz zu verlieren. Lediglich seine Stimme war um eine winzige Nuance höher, als ich es erwartet hatte. Jedoch auch nicht kieksig oder ...

»Liam!«

Eine Faust, die sanft in meinen Rücken geknufft wurde, riss mich aus meiner Betrachtung.

»Hmm?« Von unten herauf blinzelte ich Ricardo an.

»Ich stör dich ja echt ungern, bei woran auch immer du gerade gedacht hast, aber ich will mich trotzdem vorstellen: Ricardo. Und dein Name ist Liam, richtig?«

Ich nickte mechanisch, registrierte aus dem Augenwinkel, dass er mir eine Hand entgegenstreckte, und ergriff sie. Fühlte meine Finger gleich darauf umschlossen von seinen. Schlank, lang, warm ... Schön.

»Ja-ha«, brachte ich krächzend hervor. »Ja, ich bin Liam. Sorry, ich war gerade voll in Gedanken.«

»Hab ich gemerkt.« Er zwinkerte mir zu. »Ich hoffe, es war was Versautes, ansonsten nehm ich es persönlich.« Wieder dieses neckische Blinzeln und ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke, ehe ich reichlich dämlich losstammelte: »Ähm, ja ... nee, also, ich meine ... ein bisschen?«

»Ein bisschen versaut?«

»Liam ist gerade eben schon auf dem Klo angequatscht worden«, erklärte Emma hinter mir ungeniert. »Glaube, das hat ihn etwas aus der Bahn geworfen.«

Ich fuhr auf meinem Stuhl halb herum, erntete von Emma jedoch nur ein freches Grinsen. Ricardo ließ sich indessen auf den freien Stuhl zu meiner Linken fallen.

»Kann schon mal vorkommen hier«, meinte er schulterzuckend und griff nach der Speisekarte. »Habt ihr schon bestellt?«

»Nee, dachten, wir warten auf dich. Und wir sind auch eben erst angekommen.«

»Okay Ich hab einen Riesenhunger«, meinte er und vertiefte sich in die Karte.

»Ich nehm auf jeden Fall die Chicken Picatta«, erklärte Emma und erinnerte mich daran, dass ich selbst noch nicht wusste, was ich eigentlich essen wollte. »Die war beim letzten Mal so lecker.«

Auch Linda und Melissa bekundeten, sich irgendetwas mit Hühnchen bestellen zu wollen. Ich selbst überflog die Karte mehrfach, hatte aber bereits beim nächsten Gericht schon wieder vergessen, was ich zuvor gelesen hatte. Was daran liegen mochte, dass ich weniger auf die Buchstaben vor mir, als vielmehr auf den Kerl neben mir schielte.

Mein Blick blieb immer wieder an Ricardos braun gebrannten Knien hängen. Die dunkelblaue Cargoshorts bildete einen schönen Kontrast zu seinen schlanken Beinen. Trainierte Beine, die er übereinandergeschlagen hatte. Er wippte die ganze Zeit mit einem Fuß, wirkte aber dennoch nicht nervös, sondern einfach energiegeladen.

»Was bestellst du?« Emmas Frage erschien mir als dankbarer Anlass, Ricardo wieder direkt anzusehen. Im Profil wirkte sein Gesicht noch feingezeichneter. Die schmale, gerade Nase weckte den Drang in mir, meine dagegenzustupsen und ...

Hilfe! Seit wann weckten Nasen denn solche Fantasien in mir?

»Keine Ahnung«, entgegnete er seufzend, wobei der leicht quengelnde Unterton in seiner Stimme als Schmunzeln an meinen Lippen ziepte. »Vielleicht den BBQ Bacon Burger? Oder die Abbey Wings? Jesus ... ich könnte die ganze Karte rauf und runter essen. Ich bin heute Morgen erst aus New York zurückgekommen und irgendwie noch nicht richtig zum Essen gekommen.«

»Ah, hattest du wieder einen Dreh?«

Abrupt sah Ricardo von der Karte auf und zu Emma. Für einen kurzen Moment kniff er die Lippen zusammen, ehe er knapp antwortete: »Ja, gestern.«

»Dreh?«, stieß ich kratzig hervor und stellte erschrocken fest, dass das Wort eher klang, als hätte ich einen Hustenanfall gehabt, statt als wollte ich tatsächlich etwas sagen. »Du ... bist Schauspieler?«, schob ich hastig hinterher.

Von der Seite blinzelte Ricardo mich an. »Sozusagen.« Sein Blick ging nun direkt in meine Augen und ich hätte schwören können, dass ich ihn in diesem Moment ebenso anhimmelte, wie Linda es vorhin mit Jason getan hatte. Echt abartig!

»Was isst du?«, hakte er nach.

»Ich?«

»Jaaa, du.«

»Burger.«

»Mmh ... welchen?«

»Den ... ähm ... BBQ ... Dings ...«

»BBQ Bacon?«

»Mhm.«

»Super, dann nehme ich die Abbey Wings und wir tauschen einfach Teller.« In einer beschwingten Geste klappte Ricardo die Speisekarte zu und grinste mich an, ganz so, als wäre es vollkommen selbstverständlich, dass wir uns zwei Speisen teilten. Aber wenn ich ehrlich war, hätte ich auch dämlich lächelnd zugestimmt, hätte er mir vorgeschlagen, er würde beide Portionen allein essen – während ich hungerte und bezahlte.

»Du magst doch Chicken Wings, oder?«

Ich nickte automatisch. Glücklicherweise mochte ich die tatsächlich. »Du bist also Schauspieler, ja?«

»Quasi, ja.«

»Cool! Was drehst du denn so?«, hakte ich sofort nach und hoffte inständig, dass ich nicht zu groupiemäßig klang. »Eher was Actionmäßiges oder was mit Liebesgeschichte?«

Seine Miene wechselte in Sekundenschnelle von einem Schmunzeln hin zu diesem leicht distanzierten Ausdruck, ehe sie wieder weicher wurde. »Das liegt wohl im Auge des Betrachters«, antwortete er gedehnt. »Aber lass uns über was anderes quatschen, ja? Bin ganz froh gerade mal nicht an die Arbeit denken zu müssen.«

»Oh! Klar …«

»Sorryyy! Alles etwas chaotisch heute, aber jetzt bin ich für euch da. Was darf’s denn sein, ihr Hasen?«

Unisono wandten Ricardo und ich uns dem Kellner zu. Doch während Ricardo rasch schaltete und seine Bestellung herunterzubeten begann, klebte mein Blick förmlich auf den in allen Regenbogenfarben schillernden, schulterlangen Haaren des Kerls.

»Sehr gute Wahl, Rizzo-Schatz!«

Wer?

»Und was darf ich dir bringen, Süßer?«

Wem? Mir?

»Ich? Ähm ... ja, ich nehm ... den BBQ Burger und eine Cranberryschorle.«

»Nee, oder?« Ricardos begeisterter Ausruf lenkte meine Aufmerksamkeit schlagartig wieder auf ihn. »Du trinkst Cranberrysaft?«

»Ähm ... ja.«

»Endlich mal jemand mit Geschmack!« In einer theatralischen Geste verdrehte er die Augen. »Seit E-wig-kei-ten versuche ich den Leuten beizubringen, wie unglaublich lecker Cranberrysaft ist.«

Mitgerissen von seiner Euphorie über diese vermeintliche Kleinigkeit gluckste ich leise vor mich hin. »Cranberrysaft ist ja auch lecker.«

»Mega lecker!« Mit einem Mal saß Ricardo kerzengerade auf seinem Stuhl, in seine dunklen Augen trat ein wildes Funkeln, und ehe ich so richtig begreifen konnte, was er da tat, stimmte er einen kleinen Cheer an: »Cranberry, Cranberry, wir liehieben Cranberry! Cranberry, Cranberry, jeder braucht Cranberry!«

Lachend fiel ich in seinen Cheer ein und spiegelte sitzend seine Armbewegungen, als hätten wir beide ein paar Pompons in den Händen. Von der Seite trafen uns die ungläubigen Blicke der drei Mädels, doch Ricardo und ich tanzten unbeirrt weiter, bis wir beide einstimmig der Meinung waren, unser Lieblingsgetränk ausreichend besungen zu haben.

»Ihr habt doch echt ’nen Knall«, verkündete Emma, sah dabei aber weniger missbilligend als vielmehr ziemlich amüsiert aus. Ricardo zuckte nur grinsend mit den Schultern.

»Jetzt erzähl mal«, setzte er an mich gewandt an, »du hattest heute deine Audition bei den UCLA Spirits, richtig? Wie war’s denn?«

Für einen kurzen Moment drängte sich die Frage in meine Gedanken, worüber wir eigentlich zuvor gesprochen hatten. Aber Ricardos Blick ruhte so interessiert und forschend auf mir, dass ich die Überlegung kurzerhand beiseiteschob.

2. Kapitel – Rizzo

»Und du meinst, die Klamotten passen mir?« Hinter mir stieg Liam die Stufen zu meinem Appartement hinauf und klang bei seiner Frage tatsächlich so, als zweifelte er daran, in meine Cheerleader-Outfits zu passen. Wenn, dann fiel ihm dieser Zweifel ja herzlich früh ein. Es war über eine Stunde her, seit ich ihm angeboten hatte, vom ›The Abbeys‹ aus noch rasch mit zu mir zu kommen, damit ich ihm meine Trikots vermachen konnte.

Ganz kurz huschte der Gedanke durch meinen Kopf, er könnte mein Angebot auch lediglich als Vorwand genommen haben, mit zu mir zu kommen.

Ein flüchtiger Blick über die Schulter und auf Liam, der auf der obersten Treppenstufe stand und mit geröteten Wangen dabei zusah, wie ich meinen Schlüssel aus meiner Umhängetasche hervorkramte, machte die Überlegung nichtig. Dieser Kerl war echt süß. Aber auch so was von schüchtern und ganz sicher auch unerfahren in Bezug auf andere Männer, dass er sicher vieles im Kopf gehabt hatte, aber gewiss nicht, sich mit mir nach Hause und direkt in mein Bett zu schleichen.

Innerlich seufzend fummelte ich den Schlüssel ins Schlüsselloch. Mit dem leisen Klicken der Tür manifestierte sich die Überzeugung in meinem Kopf, dass Liams Mühe so oder so umsonst gewesen wäre. Nach einem mehrstündigen Drehtag hatte ich sicher auf vieles Lust, aber nicht auf spontanen Sexbesuch.

»Komm rein.«

Hinter mir schob Liam sich in meine Wohnung und stieß gleich darauf einen überraschten Laut aus, als ich aus Versehen den falschen Schalter erwischte und statt der Deckenspots im Eingangsbereich die gesamte Beleuchtung aufflammte. Weißlich mattes Licht erhellte den gut dreißig Quadratmeter großen Wohnraum, tauchte die XXL-Sofalandschaft unter den Panoramafenstern in sanfte Schatten. Als übten diese eine besondere Anziehung auf Liam aus, ging er an mir vorbei und weiter in den Raum hinein. Er steuerte jedoch nicht wie von mir angenommen die ausladenden Sitzmöbel an, sondern den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand und die drei Kleiderpuppen, die diesen umringten.

»Krass, das ist ... Darf ich?« Scheinbar atemlos vor Überraschung deutete er auf eine der Puppen, die in ein bodenlanges azurblaues Kleid gehüllt war und um deren kopflosen Hals sich eine schwarz-blaue Federboa schlängelte.

»Nur zu.«

Kurz davor blieb Liam ruckartig stehen, sein Blick glitt zu den lackschwarzen Overkneesstiefeln auf dem Boden.

»Sind das deine Klamotten oder ...?« Er vollendete den Satz nicht, sah sich stattdessen flüchtig um, als erwarte er, hinter dem Sofa würde mit einem Mal eine Frau hervorspringen.

»Ja«, entgegnete ich knapp und lenkte seine Aufmerksamkeit damit wieder auf mich. Kurz nur, ehe er sich wieder den Stiefeln zuwandte.

»Darin kannst du laufen?«

»Und tanzen«, vervollständigte ich schmunzelnd.

»Krass! Echt krass! Sind das Requisiten von deinen Drehs?«

»Nein«, antwortete ich wahrheitsgetreu und verzog den Mund bei dem Gedanken an diesen Typen, der mich vor Kurzem nach einer meiner Drag-Shows angesprochen und gefragt hatte, ob ich mich mal in einem dieser Fummel von ihm ficken lassen würde.

Ich schnaubte.

Ich würde vieles machen. Aber das ganz sicher nicht.

»Sorry, ich wollte nicht neugierig sein.«

»Hmm? Nee, bist du nicht, alles gut.« Rasch trat ich zu Liam, der meinen empörten Laut offensichtlich auf sich bezogen hatte.

»Dieses Mal war ich in Gedanken«, murmelte ich zu ihm und streckte eine Hand aus, um nachdenklich über den glatten blauen Satinstoff des Kleides zu fahren. Ich konnte mich noch immer nicht entscheiden, welche der drei bereitgestellten Garderoben ich am kommenden Freitag anziehen würde.

»Keine Requisiten also«, sinnierte Liam leise, sein Blick hing immer noch fasziniert auf dem Kleid, wanderte weiter zu der Federboa. »Das heißt, du ... trägst das privat?« In seiner Stimme schwang Verwunderung mit, aber keine abwehrende Irritation.

»So hat es angefangen, ja, aber inzwischen ist es auch mein Beruf. Ich mache Drag-Shows.«

»Wow.« Er hauchte das Wort nur und zum ersten Mal berührten seine Fingerspitzen die Federn der Boa. Kurz entschlossen nahm ich sie von der Puppe und schlang sie mir um meine eigenen Schultern und Arme. Kaum streiften die weichen Federn kitzelnd meine Haut an Hals und Nacken konnte ich spüren, wie sich mein Körper spannte und gleichzeitig eine zufriedene Wärme mein Inneres flutete. Ausatmend breitete ich meine Arme zur Seite aus und drehte mich einmal um meine Achse.

»Na, kannst du’s dir vorstellen?«

Liam nickte, schüttelte gleich darauf den Kopf. Die Augen weit geöffnet, die Lippen ebenfalls einen Spalt. Ja, er war wirklich süß. Auf unschuldige Weise sexy in seinem roten Hoodie mit dem Marvel-Logo. Aber ich stand nun mal weder auf süß noch auf unschuldig.

»Du siehst bestimmt toll aus da drin.« In einer unbestimmten Geste deutete er auf das Kleid. Oder doch auf die Overknees? »Aber es ist irgendwie schwierig, sich das vorzustellen. Ich meine, ich hab schon Dragqueens gesehen, aber die waren alle so krass geschminkt und ... Ich kann dich mir nicht mit Make-up vorstellen.«

»Was machst du am Freitagabend?«

»Hmm?«

»Freitagabend, so ab 20 Uhr.«

»N-Nichts, denke ich.«

»Dann hast du die einmalige Chance, Mandy hinter den Kulissen kennenzulernen.«

»Ma... Oh! Du bist Mandy?«

Irgendwie berührt von seiner unbefangenen Neugier lachte ich ihn ausgelassen an, zog die Federboa von meinen Schultern und warf sie mit Schwung um die seinen.

»Wann immer du willst, Honey.« Ich sah das Weiten seiner Augen noch, als ich mich bereits abwandte und quer durch den Wohnraum in Richtung meines Schlafzimmers schlenderte. »Komm, ich geb dir die Klamotten.«

Leise Schritte hinter mir bestätigten, dass Liam mir tatsächlich folgte. Dieses Mal erwischte ich den richtigen Schalter und eine Reihe in den Rahmen des Kleiderschrankes eingelassene LEDs erhellten den vorderen Teil des Zimmers. Während ich die rechte Flügeltür des Schrankes öffnete, warf ich einen Blick über die Schulter zu Liam. Er stand auf der Türschwelle, noch immer mit der Federboa um die Schultern und mit diesem Staunen im Blick, das ihm anzuhaften schien, seit er mein Appartement betreten hatte. Zugegeben, diese Wohnung hatte in mir selbst einen ähnlichen Effekt ausgelöst, als ich sie zum ersten Mal von innen und live gesehen hatte.

»Warum kenne ich keinen deiner Filme?«

Seine unvermittelte Frage kettete meinen Blick für einen zu langen Moment an ihn, sodass ich blind in eines der mittleren Schrankfächer griff. Ins Falsche, wie mir klar wurde, als ich eines meiner Tanktops in der Hand hielt.

»Ich meine, so unbekannt kannst du als Schauspieler ja nicht sein, wenn du dir so was«, seine Geste umfasste Schlaf- und Wohnraum, »leisten kannst.«

Ich biss die Zähne aufeinander, kramte umständlich den ersten Haufen meiner Cheerleader-Outfits hervor. Liam hatte sicherlich unbewusst, aber dennoch treffsicher auf genau die beiden Punkte gezielt, von denen ich ihm hier und jetzt eigentlich nicht erzählen wollte. Es war kein Geheimnis, dass ich in der Erwachsenenfilmindustrie arbeitete. Es war jedoch auch nichts, was ich jedem sofort auf die Nase band. Ich hatte einfach zu oft erlebt, wie schnell man von Leuten bei dem Wort Porno in Schubladen gesteckt wurde. Und ich war es schlichtweg leid, mit jeder flüchtigen Bekanntschaft meinen Job und damit auch immer unweigerlich mein privates Sexleben zu diskutieren.

Nun jedoch musste ich es Liam erzählen. Entweder das, oder wie ich tatsächlich zu diesem Appartement gekommen war.

»Ich hab geerbt«, presste ich zwischen den Zähnen hervor und streckte Liam den Kleiderstapel entgegen. Er brauchte einen Moment, ehe er den Abstand überbrückte und ihn mir aus den Händen nahm.

»Oh! Das ... tut mir leid«, murmelte er sichtlich bedrückt.

»Muss es nicht.« Ich zwang mich zu einem Lächeln und hoffte, er würde nicht weiter fragen. Einfach nur, damit ich nicht in die Verlegenheit kam, zu sagen, dass es niemand Wichtiges gewesen war.

»Darf ich fragen, wer ...? Deine Grandma?«

Fuck ...

»Nein. Meine Eltern. Autounfall. Warte, ich hab noch mehr.« Noch während ich die letzten Worte hervorstieß, begann ich erneut, im Schrank zu wühlen.

»Scheiße, das ... Dann haben sie dir also dieses Appartement ... Das ist gut, ich meine, sie konnten ja nicht wissen, was passieren ... Also, sie haben wohl rechtzeitig vorgesorgt.«

Mit Mühe verkniff ich mir das abschätzige Schnauben. Statt rechtzeitig vorgesorgt, hatten meine Eltern vermutlich eher nicht rechtzeitig ihren Nachlass neu geregelt.

Ich bekam noch zwei weitere Trikots zu fassen. Die plötzliche warme Nähe eines anderen Körpers suggerierte mir, dass Liam direkt hinter mir stand.

»Sie ... wären sicher sehr stolz auf dich.«

Ich versteifte mich sofort bei seinen Worten, krampfte die Finger um den dünnen Trikotstoff.

»Sicher nicht«, stieß ich in einem schnaufenden Atemzug hervor und richtete mich auf. Dass ich tatsächlich laut gesprochen hatte, begriff ich erst, als ich direkt in Liams betroffenes Gesicht sehen konnte. Ihm war überdeutlich die Frage anzusehen, die ihm auf der Zunge lag, doch ich ließ ihm keine Zeit, sie auszusprechen.

»Willst du die Sachen anprobieren oder einfach mitnehmen?«

Liam blinzelte einmal. Zweimal. Ehe er sich sammelte und zögerlich entgegnete: »Wenn du denkst, dass sie passen ...«

»Wenn du sie anprobierst, wissen wir es.«

»Pfff, du willst mich ja nur nackt sehen.«

»Klar.«

»O-Oh!«

Mit großen Augen stand er mir gegenüber und sah mich an. Die Wangen gerötet, die Lippen in Verwunderung einen Spalt weit geöffnet. Offensichtlich erschrocken über seine eigenen Worte und mehr noch über meine Reaktion. Keine Frage, dieser Ausdruck zwischen Provokation und Scham stand ihm. Noch dazu, wenn die LED-Spots mit ihrem matten Licht Schatten in sein wuscheliges, dunkelblondes Haar malten. Herausfordernd grinste ich ihn an.

»Was ist jetzt, strippst du für mich?«

»Das kann ich nicht! Also, ich meine ... das war so nicht gemeint.«

»Schade.« Ich zwinkerte ihm zu, hätte ihn gerne noch ein bisschen geneckt, aber trat dann doch an ihm vorbei in Richtung Schlafzimmertür.

»Nimm die Sachen einfach mit und probier sie zu Hause in Ruhe an, okay? Wenn sie dir nicht passen, kannst du sie mir einfach zurückgeben, oder ... Keine Ahnung. Ich brauch sie ohnehin nicht mehr.«

»Okay.«

Ich ließ Liam an mir vorbeigehen, knipste das Licht im Schlafzimmer aus. Liam indessen stand etwas unschlüssig neben der Sofalandschaft.

»Wie lange warst du eigentlich bei den UCLA Spirits?«

»Nur ein knappes Jahr«, entgegnete ich und musste bei dem Gedanken an meine Collegezeit unweigerlich lächeln. »Ich hab das Cheerleading geliebt, aber das Studium war nichts für mich und dann ... haben sich eben andere Optionen ergeben. Aber ich muss unbedingt mal wieder vorbeischauen. Schließlich will ich dich ja mal in Aktion sehen.«

»Oh ... So gut bin ich nicht.«

»Blödsinn! Emma sagt, du bist den Kick Double Basket super gesprungen und Emma glaube ich.«

Die eben erst abgeklungene rötliche Färbung auf Liams Wangen vertiefte sich erneut. Jesus, war dieser Kerl leicht aus der Fassung zu bringen und gleichsam blitzte da etwas wie Neugier in seinen Augen.

»Danke.«

»Dank nicht mir, sondern dir selbst.«

Darauf entgegnete er nichts, doch ich spürte seine Blicke im Rücken, als ich hinüber zu der vergleichsweise kleinen, offenen Küchenzeile ging.

»Willst du noch was trinken?«

»Hmm ... nee, danke. Ich glaube, ich sollte mal langsam gehen. Hab ja ab sofort jeden Morgen vor den Kursen das Work-out mit den anderen Spirits.«

»Puuuh, stimmt ja. Okay, dann ... Weißt du, wie du von hier aus zu deiner WG kommst?«

Ein Blick in sein Gesicht zeigte, dass er es nicht wusste. Entschuldigend hob er die Schultern. Zugegeben, Los Angeles und vor allem der riesige Campus der UCLA konnten anfangs echt verwirrend sein.

»Ach, weißt du was, ich bring dich. Wenigstens bis zum Campus.«

»Aber dann musst du ja nachts allein nach Hause.«

»Und wenn ich nicht mitkomme, bist du allein unterwegs«, konterte ich und zwinkerte ihm erneut zu. »Keine Widerrede, ich kann unmöglich zulassen, dass du dich verläufst und dann am Ende doch wieder bei mir anrufst und ich dich irgendwo aufgabeln muss.«

»Ich kann dich gar nicht anrufen.«

»Stimmt. Jetzt komm, in ein paar Minuten fährt die Metro. Sobald wir drin sind, geb ich dir meine Nummer.«

~*~*~*~*~

Als am nächsten Morgen mein Handy klingelte und mich aus meinem dösigen Halbschlaf riss, vermutete ich tatsächlich für einen Moment, es könnte Liam sein. Ein blinzelnder Blick aufs Display offenbarte jedoch einen anderen Anrufer.

»Jaaay«, flötete ich ins Handy und musste mich erst mal räuspern, weil sich meine Stimme doch eher versoffen als sexy anhörte.

»Hey, Sunnyboy!« Im Gegensatz zu mir klang Jay wie das blühende Leben. Ein Umstand, der mir ein Augenverdrehen entlockte. Wenn man bedachte, dass Jay bis vor rund einem Jahr selten vor zehn oder elf ansprechbar gewesen war – wenn er nicht gerade einen Termin gehabt hatte –, war es schon verwunderlich, welche Auswirkungen seine Beziehung zu Dale auf ihn hatte. Nicht nur, dass Jay sich zu einem mittelmäßigen Frühaufsteher entwickelt hatte, nein, er schwor seit einigen Monaten auch auf ein ausgewogenes Frühstück.

»Naaa, bist du fit?«

»Geht so«, gab ich gähnend zurück und streckte mich erst mal ausgiebig. »Gehen wir nachher trainieren?«

»Entweder das oder wir könnten mal wieder zusammen hiken gehen, wenn du Zeit hast? Vielleicht mal wieder den Trail zu den Sturtevant Falls?«

Ein Blick zwischen den nur halb heruntergelassenen Jalousien hindurch offenbarte morgendlichen Herbstsonnenschein über West Hollywood.

»Hab ich«, entgegnete ich kurz entschlossen und begann, mich aus meinem heillosen Durcheinander aus Decken und Kissen zu kämpfen. Egal zu welcher Jahreszeit, ich brauchte einfach nachts diesen Kuschelfaktor im Bett. »Lass mich wach werden, was essen und ...«

»Ich richte uns ein Picknick und hol dich ab«, fiel Jay mir euphorisch ins Wort. Seine übersprudelnd gute Laune entlockte mir ein Lächeln und ich schrieb mir auf meinen inneren Notizzettel, mich bei der nächsten Gelegenheit bei Dale zu bedanken, dafür dass er aus Morgenmuffel Jay so ein morgendliches Energiebündel gemacht hatte.

Kaum berührten meine nackten Füße den kühlen Boden, kehrten auch in mich die letzten Lebensgeister zurück und mit ihnen der plötzliche Drang, Jay noch ein wenig auf die Nerven zu gehen.

»Aber was sagt Dale dazu?«

»Wozu?«, drang verwirrt durch die Verbindung.

»Na, dazu dass wir schon wieder einen ganzen Tag miteinander verbringen?«

»Was sollte er ... Tzzz, Rizzo, du kleines Biest! Du trampelst schon wieder darauf rum, dass er mir verboten hat, weiter mit dir zu ficken.«

»Ach?« Breit grinsend trat ich vor den Spiegel neben den Schrank, um meine in alle Richtungen abstehenden Haare schon mal etwas zu bändigen, ehe ich ins Bad ging. »Ich dachte, es sei kein Verbot gewesen, nur ...«

»Es war und ist auch kein Verbot. Er würde nie ... Ich würde mir nichts ...«

»Ja jaaa, lüg dir ruhig was vor: Du würdest es dir von ihm verbieten lassen. Du würdest sogar mit dem Drehen aufhören, wenn er ...«

»Würde ich nicht!«

»Klar würdest du. Nur würde er das nie von dir verlangen.«

»Hmpf.«

Lachend riss ich die Schlafzimmertür auf und huschte quer durch den Wohnraum Richtung Badezimmer.

»Komm schon, Jay, du kannst ruhig zugeben, dass du Mister Tyler Stone mit Haut und Haaren verfallen bist.« Ich benutzte mit Absicht Dales ehemaligen Pornonamen, wohl wissend, was dies bei meinem besten Freund bewirkte. Prompt grummelte Jay ins Handy.

»Nenn ihn nicht so.«

»Warum nicht?«, hakte ich betont scheinheilig nach.

»Weil ich dann geil werde und dran denken muss, dass Dale und ich uns seit drei Wochen nicht mehr gesehen haben.«

»Armer Jay«, säuselte ich ins Handy und kramte mit einer Hand umständlich eines der Duschtücher aus dem Regal. »Und dann darfst du nicht mal mit mir rummachen. Weißt du noch ... damals, an den Sturtevant Falls, als ich dir ...«

»Rizzo!« Jays Lachen klang eher gequält denn amüsiert. »Hör auf, sonst muss ich dich nachher echt rannehmen und ich schwöre dir, ich werde dafür sorgen, dass Dale dann nicht auf mich, sondern auf dich sauer ist und ... Ach, Scheiße, dir würde es wahrscheinlich auch noch gefallen, wenn er dich zur Strafe übers Knie legt.«

Kichernd öffnete ich die gläserne Duschkabine. Konnte es mir nicht verkneifen, noch ein »Mmh, ja, ich war ein böser Junge, Daddy« ins Handy zu stöhnen, was Jay erneut einen Laut irgendwo zwischen Lachen und Grollen entlockte.

»Ich leg jetzt auf«, ließ ich ihn noch immer breit grinsend wissen, »steh quasi schon unter der Dusche.«

»Okay, Mistkerl ... Beeil dich. Ich bin gleich bei dir.«

»Ein Grund mehr, mir extra Zeit zu lassen, wenn ich ...«

»Rizzo!«

»Bis gleich.« Ohne auf eine weitere Entgegnung Jays zu warten, legte ich auf und das Smartphone ganz oben in das Regal mit den Handtüchern. Ich beeilte mich, unter die Dusche zu kommen und drehte den Wasserstrahl erst mal auf Kalt. Nicht, dass ich am Ende doch noch zu intensiv an Jay und mich und damals dachte. Oder an einen zornigen Dale ...

~*~*~*~*~

Wie bei dem schönen Frühherbstwetter zu erwarten, war der Trail zu den Sturtevant Falls gut besucht. Die vergleichsweise breiten, überwiegend geschotterten Wege boten jedoch genug Platz, damit Wanderer und Mountainbiker sich nicht in die Quere kamen.

Jay hatte kurzerhand beschlossen, Cleo mitzunehmen. Die kleine West Highland Dame sprang putzmunter um uns herum und fand natürlich auch prompt einen Spielgefährten. Nach kurzem Beschnuppern und einigen Worten, die Jay sicherheitshalber mit dem Besitzer wechselte, ehe er seine Kleine von der Leine ließ, jagte Cleo mit einem gefühlt fünfmal so großen Bullmastiff-Mischling über den Trail. Glücklicherweise kamen uns währenddessen keine anderen Menschen entgegen, sonst wäre sicher irgendeiner von dem riesigen Mastiff umgerannt worden.

Kopfschüttelnd sah ich den beiden Hunden zu, während Jay fleißig Fotos von Cleo und ihrem neuen Freund für seinen Instagram-Account schoss. Zu guter Letzt nahm er noch ein kurzes Video auf, ehe wir uns von dem Herrchen des Mastiffs verabschiedeten und die beiden dem Trail weiter abwärts folgten.

Jay stapfte den Weg weiter hinauf, ungeachtet dessen, dass Cleo in entgegengesetzter Richtung dem Mastiff hinterherrannte.

»Ähm ... Jay? Dein Hund ...«

»Die kommt schon.« Er pfiff einmal, was Cleo zumindest zum Anhalten bewegte. Unentschlossen sah sie zwischen dem Bullmastiff-Mix und ihrem Herrchen hin und her. Doch als Jay sich immer weiter entfernte und ich ihm schließlich folgte, wirbelte die Westie Dame herum und kam auf ihren kurzen Beinchen angerast.

»Yaaay, feine Cleo!« Jay feierte seinen Hund, als hätte dieser gerade einen super spektakulären Stunt hingelegt, was mir ein Grinsen entlockte. Die Masche schien allerdings bestens zu ziehen, denn Cleo hüpfte aufgeregt bellend um ihn herum und folgte ihm wie selbstverständlich den Trail weiter aufwärts.

»Vorsicht, Fahrrad«, warnte ich ihn, als von hinten zwei Mountainbiker angeschnauft kamen. Vorsichtshalber nahm er seine Kleine wieder an die Leine, damit sie nicht beim Herumtollen aus Versehen unter die Räder kam.

»Was treibt Ariana? Wollte sie nicht mit?« Ich selbst hatte Jays beste Freundin seit einigen Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen und hätte mich gefreut, sie mal wieder zu sehen.

»Sie ist gerade in Paris. Hat dort irgendeinen jungen Designer aufgegabelt, mit dem sie an einer Kampagne arbeitet.«

»Ah, klingt spannend.«

»Ja, Ariana war auch ganz aus dem Häuschen. Ihr Modeblog läuft richtig gut inzwischen.«

»Das freut mich! Hat sie ...? Oh, warte kurz.« Mitten auf dem Trail blieb ich stehen und kramte mein Handy aus meiner kurzen Hikinghose. Jay beobachtete mein Treiben mit einer Miene, die zwischen Amüsiertheit und Tadel schwankte.

»Wollten wir nicht vom stressigen Stadtleben abschalten?«

Ich schnaubte und klickte die Nachricht von Liam an. »Sagt der, der vorhin gefühlte fünfzig Fotos für seinen Insta-Account geschossen hat.«

»Aaaber ich hab noch kein einziges hochgeladen.«

»Kunststück, bei dem Empfang hier.«

Genervt starrte ich das Display an, auf dem ein kleiner rotierender Kreis verkündete, dass das Foto, welches Liam mir geschickt hatte, noch immer nicht geladen war. Zumindest die dazugehörige Nachricht konnte ich bereits lesen: Tadaaa, passt!

Endlich kam auch das Foto an und ich klickte es rasch an, sodass es größer auf dem Display erschien. Liam strahlte mir vom Bildschirm aus entgegen. Wie zu erwarten trug er eines der Cheerleader-Outfits, die ich ihm am vergangenen Abend mitgegeben hatte, und es passte tatsächlich wie angegossen. Der dünne Stoff verriet, dass Liam zwar noch ein wenig schlanker war als ich, seine Muskeln noch ein wenig flacher, aber weder das, noch die zwei oder drei Zentimeter, die er größer war als ich, änderten etwas an der Passform der Klamotten. Das Outfit in den Farben der UCLA – gelbe Schrift auf blauem Grund – stand ihm gut und ließ ihn wie einen richtigen Cheerleader aussehen. Dazu noch sein Lächeln, das trotz seines Strahlens diesen Hauch von Schüchternheit trug und erahnen ließ, dass er nicht gerade regelmäßig für Selfies posierte.

»Uuuh, süß! Wer ist das?« Ohne, dass ich es bemerkt hatte, war Jay dicht neben mich getreten und linste über meine Schulter auf das Display.

»Liam«, gab ich bereitwillig Auskunft. »Hab ihn gestern kennengelernt, als ich mich mit den Mädels von meinem ehemaligen Cheer-Squad getroffen hab. Er ist neu an der UCLA.«

»Aha, und warum schickt er dir Selfies in Cheerleader-Klamotten?«

»Weil das bis gestern meine Klamotten waren. Ich hab sie ihm vermacht, brauch sie ja nicht mehr.« Ich bemerkte selbst, dass ich mich bei den letzten Worten niedergeschlagen anhörte, und spürte nur Sekunden später Jays Hand warm an meinem Nacken.

»Du könntest zurück, das weißt du, ja?« Er wisperte mir die Worte ins Ohr, drückte einen Kuss auf meine Schläfe und lehnte für einen Moment seine Stirn seitlich gegen meine. Ich seufzte tief.

»Könnte ich, ja, aber will ich nicht. Nicht wirklich zumindest. Ich hab das Cheerleading echt geliebt, aber Cheer, Drag und Porn? Dazu noch zurück an die Uni? Sorry, aber das wäre selbst mir zu viel.«

Jay löste sich von mir und blinzelte mich von der Seite an. »Man muss Prioritäten setzen.«

»Mhm, und du weißt genau, dass ich Drag niemals hinschmeißen würde. Für nichts.«

»Dann die Drehs?«

Das war tatsächlich eine Option, über die ich nicht zum ersten Mal nachdachte. Fakt war aber, dass ich im Gay-Porn-Geschäft nicht nur gutes Geld verdiente, sondern den Job auch mochte. Vielleicht nicht so sehr liebte wie Jay es tat – okay, bestimmt nicht –, aber doch genug, um ihn nicht einfach hinzuschmeißen. Nicht für eine weitaus unsicherere Karriere.

»Lass uns weiter.« Mein Handy wanderte zurück in meine Hosentasche.

»Willst du nicht antworten?«

»Später. Ich will jetzt zum Wasserfall, könnte langsam mal Frühstück vertragen.« Impulsiv drückte ich meinerseits einen Kuss auf Jays Schläfe, ehe ich vor ihm her und den Trail weiter bergauf ging.

Wir erreichten die Sturtevant Falls in den nächsten vierzig Minuten. Das große Wasserbecken, in welches die Wasserfälle aus den Gebirgsspalten hineinrauschten, bot besonders nun, im frühen Herbst, einen wunderschönen Anblick. Die ersten gefallenen Blätter tanzten auf der aufgewirbelten Wasseroberfläche, das Rauschen des Wassers klang im Gegensatz zum Verkehr auf den Straßen Los Angeles’ wie eine erholsame Melodie in meinen Ohren. Da störten nicht mal die Mengen an Touristen und Einheimischen, die rund um das Becken saßen oder standen, Fotos schossen, redeten oder einfach den Blick genossen.

Auch Jay und ich posierten abwechselnd und ein paarmal gemeinsam mit Cleo für einige Aufnahmen, ehe wir dem Trail ein kleines Stückchen weiter folgten und uns in Sichtweite der Wasserfälle ein nicht ganz so überlaufenes Plätzchen für unser Picknick suchten.

Jay hatte sich wirklich ins Zeug gelegt und neben frisch belegten Sandwiches auch klein geschnittenes Gemüse und ein paar kalte Chicken Wings vom Vortag eingepackt. Ich musste unweigerlich an den vergangenen Abend denken, als ich mir mit Liam den Burger und die Abbeys Wings geteilt hatte.

»Was grinst du so?«

»Ach, nichts.«

»Mhm, nichts, schon klar. Wenn ich’s nicht besser wüsste, würde ich denken, du schwelgst in Erinnerungen an was oder wen auch immer«, neckte Jay mich und tunkte zwei Paprikastreifen in eine kleine Dose mit selbst gemachter Sour Cream. »Was machst du eigentlich an deinem Geburtstag?«

Verwirrt über den plötzlichen Themenwechsel blinzelte ich Jay an und biss herzhaft in mein Chicken Sandwich.

»Keine Ahnung«, gab ich mit vollem Mund zurück, »hab nichts geplant. Ist ja auch noch ’ne Weile hin.«

»Na, so lange nun auch wieder nicht. Du fliegst aber nicht nach New York, oder?«

»In die Mansion?« Tatsächlich hatte der Gedanke, meinen Geburtstag mit den anderen Jungs des Labels zu feiern, etwas für sich. Aber extra in die CC Cocks Mansion zu fliegen, ohne einen Dreh zu haben, erschien mir dann irgendwie doch zu viel Aufwand. Zumal ich niemand war, der seinen Geburtstag exzessiv feierte.

»Nee, das nicht.«

»Okay, dann hab ich ’ne Überraschung für dich.«

Bei Jays Worten wanderten meine Brauen unweigerlich nach oben. Ein weiterer Bissen Sandwich und eine Gurkenscheibe folgten, ehe ich nachhakte: »Ach ja, was denn?«

»Ü-ber-ra-schung«, wiederholte Jay mit vielsagendem Blick. »Von mir erfährst du nichts, aber du musst mir versprechen, an deinem Geburtstag zu Hause zu sein.«

Seufzend gab ich klein bei. Ich kannte Jay inzwischen lange und gut genug, um zu wissen, dass er mir tatsächlich kein Sterbenswörtchen verraten würde.

»Okay, okay, versprochen.«

»Gut«, meine Jay grinsend und hielt mir die Dose mit dem Dip hin.

3. Kapitel – Liam

Die Woche flog regelrecht an mir vorbei. Einerseits deshalb, weil ich dank des regelmäßigen Cheer-Trainings deutlich mehr zu tun hatte und auch die Anforderungen und der Arbeitsaufwand innerhalb meiner Biochemie-Kurse stetig zunahm. Andererseits aber vermutlich auch dem Umstand geschuldet, dass ich den Freitagabend herbeisehnte. Ich war unglaublich gespannt darauf, Ricardo bei seiner Drag-Show zu sehen und außerdem schlicht und ergreifend voller Vorfreude darauf, ihn wiederzusehen.

Da wir beinahe jeden Tag mehrfach per WhatsApp Kontakt hatten und dabei über Alltagsdinge quatschten und uns blöde Sprüche und Bilder hin und her schickten, kam es mir auf seltsame Weise so vor, als wären wir schon seit Ewigkeiten befreundet. Seltsam deshalb, weil wir uns genau genommen gar nicht kannten. Aber es hatte nur wenige Nachrichten gebraucht, um festzustellen, dass Ricardo und ich in vielen Dingen ganz ähnlich tickten. Wir beide liebten Cranberrysaft, konnten uns über dieselben dämlichen GIFs amüsieren und teilten die Begeisterung fürs Cheerleading und für Marvel-Verfilmungen. Zugegeben, ich konnte mir nicht vorstellen, dass Ricardo ähnlich vernarrt in Spider-Man war wie ich. Immerhin hatte er ihn nicht als Poster über dem Bett kleben. Aber meinem Vorschlag, uns im Spätherbst den nächsten Teil der Avangers anzusehen, sobald dieser in die Kinos kam, hatte er begeistert zugestimmt. Überhaupt war es ein wenig erschreckend, wie selbstverständlich wir zukünftige Zeit gemeinsam verplanten, obwohl wir bislang gerade mal eine halbe Stunde unter vier Augen verbracht hatten. Aber in Ricardos Gegenwart zu sein oder einfach nur mit ihm zu chatten, fühlte sich so richtig an. So gut und leicht und ... kribbelnd?

Heilige Scheiße!

Mit einem glucksenden Laut ließ ich meine Sporttasche auf den Boden und mich bäuchlings aufs Bett fallen, vergrub das Gesicht im kuscheligen Spider-Man-Kissenbezug. Ich hätte auf emotionaler Ebene schon ziemlich beschränkt sein müssen, um nicht zu merken, welche Empfindungen er in mir auslöste: Ich war fasziniert von Ricardo. Fasziniert und vielleicht auch ein wenig ...

»Maaann, Liaaam!« Mit Armen und Beinen rudernd, quengelte ich ins Kissen und kam mir dabei auch ein kleines bisschen dämlich vor. Nicht so dämlich allerdings wie bei der Feststellung, dass mir anscheinend genau das passiert war, wofür ich all diese Collegemädels immer insgeheim belächelt hatte: Ich hatte mich verknallt. In einen Typen, den ich überhaupt nicht kannte. Einfach nur, weil er ... toll war. Herzlichen Glückwunsch, Liam!

»Hey, Spider-Man!« Robs Stimme und die Art, wie er mit der Faust gegen meine geschlossene Zimmertür polterte, ließen mich ruckartig in eine kniende Position hochfahren.

»Was?« Zum Teufel mit mir, dafür, dass meine Stimme nicht halb so selbstsicher und pampig klang, wie sie es hätte tun sollen.

»Chelsey kocht. Ich soll fragen, ob du mitessen willst.«

War klar, dass diese Idee nicht von ihm selbst kam. Überraschend war es dennoch. Sowohl, dass Rob mich fragte, als auch, dass Chelsey mal etwas anderes tat, als die Nase in ihre Bücher zu stecken. Man könnte beinahe meinen, ihr sei spontan aufgefallen, dass sie ja noch zwei Mitbewohner hatte.

»Nee, danke«, rief ich der Tür entgegen. »Bin verabredet.« Noch während ich das sagte, hätte ich mir am liebsten die Zunge abgebissen. Zum einen, weil es Rob überhaupt nichts anging, wie ich meinen Abend zu verbringen gedachte und zum anderen, weil ich ihm damit eine Steilvorlage für einen blöden Spruch geliefert hatte. ›Ach ja, Schwuchtel-Date oder was?‹

Doch eine Entgegnung blieb aus. Lediglich Robs schwere Schritte auf den knarzenden Dielen ließen erkennen, dass er sich kommentarlos entfernte. Überhaupt hatten er und ich seit der Begegnung nach dem Cheer-Training am Montag kaum ein Wort miteinander gewechselt. Ich hatte beinahe die Vermutung, dass ihn irgendeiner seiner Teamkollegen – vielleicht Jason, auf Drängen Lindas hin? – darauf hingewiesen hatte, wie arschig sein Verhalten mir gegenüber gewesen war. Anders konnte ich es mir nicht erklären, dass er mir weder, wenn wir uns auf dem Campus begegneten noch hier zu Hause, einen weiteren blöden Spruch gedrückt hatte. Lediglich mich abfällig Spider-Man zu nennen, konnte er sich anscheinend nicht verkneifen. Aber damit konnte ich leben, denn immerhin war Spider-Man cool und es gab nicht selten Momente, in denen ich mir wünschte, Peter Parker zu sein.

Doch auch wenn Rob sich mir gegenüber zurückhielt, entfachte seine bloße Gegenwart ein unheilvolles Rumoren in meinem Bauch. Zu sehr erinnerte er mich an all die Arschlöcher, die mich in der Highschool auf dem Kieker gehabt hatten. Und das natürlich nur, weil ich gefühlt der einzige Homo in ganz Berkeley war und angeblich auch der einzige Junge, der sich ein bisschen mehr als andere für Marvel-Comics und alles, was damit zu tun hatte, begeisterte.

Seufzend schwang ich die Beine vom Bett und griff nach meiner Sporttasche, um das noch feuchte Handtuch und die durchgeschwitzten Trainingsklamotten herauszuräumen. Bis zum Treffen mit Ricardo blieb mir nur noch eine knappe Stunde und die wollte ich ganz sicher nicht damit verbringen, mir den Kopf über Vollidiot-Rob zu zerbrechen.

~*~*~*~*~

»Und du willst wirklich nichts mehr?« Ungläubig deutete ich zwischen Ricardo und meinen French Fries hin und her. Die Portion war so riesig, dass auch von meinem Chicken Burger noch etwas übrig war, doch Ricardo schüttelte zum wiederholten Mal den Kopf.

»Nee, mir reicht der Salat. Ich esse nie viel, bevor ich auf die Bühne gehe.«

Irgendwie konnte ich das verstehen, deutete aber auf sein noch halb volles Colaglas. »Getrunken hast du auch kaum was.«

»Aus Gründen«, entgegnete er mit diesem Schmunzeln, das mir ein warmes Gefühl tief im Bauch bescherte. Er lehnte sich mit einem Arm auf den Tresen, blinzelte mich an, ehe er hinzusetzte: »Es gibt nichts Ätzenderes, als ständig aufs Klo zu müssen, wenn du in Drag bist. Es dauert ewig, die ganzen Lagen auszuziehen.«