Big Ideas. Das Architektur-Buch - Jon Astbury - E-Book

Big Ideas. Das Architektur-Buch E-Book

Jon Astbury

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Beschreibung

Architektur und Bauingenieurwesen einfach erklärt Wie ist Architektur entstanden? Was ist typisch für Romantik, Renaissance und Rokoko? Wer entwarf die Chinesische Mauer, den Eiffelturm oder den Petersdom? Dieses innovative Nachschlagewerk führt mit originellen Illustrationen & ansprechenden Grafiken durch die Architekturgeschichte und porträtiert berühmte Architekten und ihre innovative Baukunst – von ersten Hütten und Lehmhäusern über Pyramiden, Moscheen, Tempel und Denkmäler bis zur zeitgenössischen Architektur und glitzernden Wolkenkratzern. Der neue Titel in der DK Bestseller-Reihe Big Ideas! Das Architektur-Buch zum Nachschlagen – Entwicklung, Epochen & Portraits kurzweilig und verständlich aufbereitet: - Architektonische Meilensteine aus aller Welt in klarem, sachlichem Stil: von ersten Bauten bis zu bis hin zur Postmoderne und zeitgenössischer Architektur - Wissen über Baukunst mit anschaulichen Infografiken und Fotos: Das frische Layout mit verschiedenen Illustrationen, Infografiken und Fotografien ermöglicht ein leichtes Verständnis für die Geschichte der Architektur und des Bauingenieurwesens. - Berühmte Architekten und Architektinnen: Mit Kurzporträts von Andrea Palladio, Antoni Gaudí, Eileen Grey und weiteren kreativen Köpfen der Baukunst - Was angehende Architekt*innen wissen müssen: die wichtigsten Stile, Technologien und Bewegungen in der Geschichte der Architektur - Die Geschichte der Architektur in sechs großen Kapiteln: Das Aufkommen der Architektur; Das Mittelalter; Von der Renaissance bis zur Wiederbelebung; Das Industriezeitalter; Die Moderne und die Alternativen; Postmodern und zeitgenössischBaukunst entdecken und verstehen! Das anschauliche Komplett-Wissen zur Architekturgeschichte und eine spannende Perspektive auf unsere vom Menschen geschaffene Umwelt – zum Informieren, Studieren & Nachschlagen!

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INHALT

EINLEITUNG

DER BEGINN DER ARCHITEKTUR

BIS 650 N. CHR.

Erhaltung des Lebens

Schutz

Die Verbindung zwischen Himmel und Erde

Die Zikkurat

Sie übertrafen alles

Die Pyramiden

Proportion, Stärke und Schönheit

Die Säule

Verstärkung der Stimme

Das Theater

Allüberall mögen Stupas entstehen

Der Stupa

Ich öffnete die Adern der Erde

Die Große Mauer

Zwei Schwächen, zu einer Stärke vereint

Der Bogen

Ein Gebäude an dem andern

Das Wohnhaus

Ein Tempel der gesamten Welt

Die Kuppel

Ein Ort, sich zu versammeln

Die Basilika

Ein Turm, der den Mond berührte

Frühes Kaiserreich in China

Vom Himmel schwebt eine goldene Kuppel

Byzanz

DAS MITTELALTER

650–1420

Der Hafen, wo des Menschen Geist, Seele und Körper Zuflucht finden

Islamische Inspiration

Zierde des Erdkreises

Maurische Architektur

Einheit der Menschen mit Land und Himmel

Pueblos

Die physische Gestalt Gottes

Indische Tempel

Das goldene Rom ist wieder erstanden

Romanik

Monumentale Pfeiler im Strom der Zeit

Burgen

Unendlichkeit wird vorstellbar

Gotik

Architektur ohne Architekten

Holzrahmenbau

Ein Akt der Frömmigkeit

Tempel in Südostasien

Aus dem Stein wie durch Magie gewachsen

Felsenarchitektur

Geschenk des Himmels

Lehm

Bürgerliches Leben sichtbar gemacht

Gotische Profanbauten

Ein völlig neuer Sinn für Poportion

Spätes Kaiserreich in China

Nichts könnte anmutiger sein

Das letzte Aufblühen der Gotik

Paläste in den Wolken

Bergstädte

RENAISSANCE UND REVIVALS

15.–18. JAHRHUNDERT

Der Mensch ist das Maß aller Dinge

Renaissance

Ein Mikrokosmos von universeller Harmonie

Italienische Hügelstädte

Komplexe Symmetrie

Die Idealstadt

Extravagante Erfindungen

Manierismus

Adel ohne Arroganz

Renaissance in Frankreich und Spanien

Eine süße Harmonie

Palladianismus

Prächtige Gebäude und eindrucksvolle Kuppeln

Das Osmanische Reich

Den Geschöpfen Gottes zum Wohlergehen

Die Karawanserei

Universelles Symbol für das Urbild des Himmels

Islamische Gartenkunst

Großer Frieden unter dem Himmel

Die Edo-Zeit in Japan

Isfahan ist die Hälfte der Welt

Das Safawidenreich

Ein vollständig auf das Bauen ausgerichteter Geist

Das Mogulreich in Indien

Wer nicht wagt, die Regeln zu brechen, wird sie niemals überwinden

Barock

Leidenschaften, Kummer, Ekstase und Glaube

Lateinamerikanischer Barock

Wunderbar heiteres Dekor

Rokoko

Eine schöne und angemessene Schlichtheit

Klassizismus

Dieses Gebäude soll auf ewig bleiben

Das Russische Reich

DAS INDUSTRIEZEITALTER

1800–1903

Das Maschinenzeitalter

Die industrielle Revolution

Wiederbeleben ist mein Streben

Neogotik

Wie Teile eines Puzzles

Fertigbau

Im Stil der echten alten Ritterburgen

Eklektizismus

In der Natur gibt es keine gerade Linie

Organische Formen

Ein Turm von sehr großer Höhe

Schmiedeeisen

Das Verlangen, schöne Dinge herzustellen

Arts and Crafts

Liefern uns nicht die Äste der Bäume ein Modell?

Jugenstil

Stadt und Land müssen sich vermählen

Die Gartenstadt

MODERNE UND MODERNISMUS

1903–1970

Jedes Einzelteil erfüllt strukturelle Aufgaben

Das Betonskelett

Ornament ist vergeudete Arbeitskraft

Pioniere der Moderne

Wie ein Gott trat man in die Stadt ein

Rückgriffe

Demonstration von Kraft, Entschlossenheit und Geist

Der Wolkenkratzer

Sichtbares Symbol der Macht

Das Erbe des Empires

Ein Baukünstler

Industrielle Ästhetik

Wir werden uns an sie erinnern

Kriegerdenkmäler

Alles muss revolutioniert werden

Futurismus

Funktion ohne Sensibilität bleibt bloße Konstruktion

Expressionismus

Die Atmosphäre des alten Spanien

Spanish Colonial Revival

Errichtung einer neuen Welt

Architektur der russischen Revolution

Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen

Funktionalismus

Bestmögliche Wohnungen für Arbeiter

Expressive Massenquartiere

Jedes Teil sollte sprechen

Elementare Architektur

Weniger ist mehr

Minimalistisch bauen

Hot Jazz in Stein und Stahl

Art déco

Stühle sind Architektur

Architektur und Design

Ein Palast für das Volk

Metro-Stil

Das Bedürfnis, die eigene Kraft zu demonstrieren

Architektur als politisches Statement

Ein neues Rom wird erstehen

Italienischer Faschismus

Mühelos aus dem Untergrund herauswachsen

Amerikanische Moderne

Humanisierung der Architektur

Menschlicher Funktionalismus

Die Wahrhaftigkeit von Werkstoffen

Le Corbusiers Spätwerk

Ein Mosaik aus Glas

Hochhäuser der Nachkriegszeit

Elegante Reduktion

Mid-Century Modern

Die grimmige Kehrseite der Moderne

Brutalismus

Stimulierung der Sinne

Sinnliche Moderne

Nicht entworfen, sondern choreografiert

Eine neue Stadt

Überbordende Fantasie

Freigeister

POSTMODERNE UND GEGENWART

NACH 1970

An der Grenze des Machbaren

Die reine Form

Material als verbrauchtes Licht

Moderner Monumentalismus

Eine ganz neue Welt der Formen

Gitterschalen und Seilnetze

Ich verlegte die Struktur nach außen

Hightech

Die Vergangenheit wird Teil der Gegenwart

Vernacular Style

Weniger ist langweilig

Postmoderne

Der Alltag sollte erhebend sein

Klassizistische Postmoderne

Spiritualisierung der Natur

Die Verbindung von Himmel und Erde

Die Form wird verhört

Dekonstruktivismus

In Harmonie mit der Natur

Grüne Architektur

Ich arbeite von innen nach außen

Sensationalismus

Das Haus definiert meine Welt

Barrierefrei bauen

Eine lebendige Tradition

Neuer Klassizismus

Eine schöne Stille

Seelenvolle Moderne

Ein Kreis hat 360 Grad, warum also nur einen nutzen?

Neue Formen

Die Umgebung verstehen, Architektur verstehen

Architektur in Westafrika

Pakt zwichen Architektur und Natur

Die Moderne in Sri Lanka

Eine Therapie zur Heilung des Planeten

Auf die Erde hören

ANHANG

GLOSSAR

ZITATNACHWEIS

BILDNACHWEIS

EINLEITUNG

Was ist Architektur? Warum ist sie wichtig? Welche Entwicklung hat sie über die Jahrhunderte in aller Welt genommen? Und wie reagiert sie auf Prozesse wie Globalisierung und Umweltveränderungen? Das sind einige der Fragen, die wir in diesem Buch beantworten wollen.

Architektur bildet den Hintergrund für unser Leben, insbesondere in den Städten, die sich immer weiterentwickeln. Ohne die Architektur wären die Gebäude um uns herum auch heute nicht mehr als rudimentäre Schutzhütten. Der Architektur geht es jedoch nicht nur um Bauwerke aus Stein, Ziegeln, Holz, Beton oder Stahl. Es geht ebenso um Konstruktionen aus einfachen Materialien wie Jurten, Tipis, Iglus, Hütten und Häuser aus Lehm, Schilf oder Stroh. Auch sie sind sorgsam gestaltet und haben ihre eigenen Vorzüge und ihre eigene Schönheit. In Hirtenoder Jägergesellschaften sind sie heute noch genauso wichtig wie vor Tausenden von Jahren.

»Architektur beginnt, wenn zwei Ziegel sorgfältig zusammengesetzt werden.«

Ludwig Mies van der Rohe

deutscher Architekt (1886–1969)

Der Blick weitet sich

Die Architektur ist dort entstanden, wo die Menschen zuerst sesshaft wurden. Dort bildeten Gesellschaften Strukturen für Regierung, Religion und Alltagsleben aus. Zu Ehren ihrer Götter und Herrscher bauten die Menschen Tempel, Paläste und Grabstätten.

Die Architektur diente den Menschen dazu, etwas über sich selbst oder die Gesellschaft, in der sie lebten, auszusagen. Bauwerke konnten Macht ausstrahlen, wie die römische Architektur, oder die Identität einer Gemeinschaft stärken.

Wer ein Werk der Architektur in Auftrag gab, entwarf oder ausführte, musste sich zunächst mit den Möglichkeiten vor Ort arrangieren – Klima, Geografie, Geologie, Wirtschaft, Kultur und Wissen. Aber die Gesellschaften entwickelten sich, Handelsbeziehungen entstanden, Gebiete wurden erobert, und all dies trug dazu bei, dass sich der Horizont erweiterte. Neue Ideen konnten sich immer weiter verbreiten.

Architekturtheorien entstanden, Regeln und Prinzipien wurden festgelegt und niedergeschrieben. Im antiken Griechenland und in Rom zum Beispiel war die Säulenordnung ein entscheidendes Kriterium für den Stil und die Proportion von Gebäuden. Im alten China ließen sich die Architekten von der Numerologie (Zahlensymbolik) und Feng-Shui leiten, einer Lehre, die Harmonie zwischen Mensch und Umgebung herstellen will.

Maurer, Zimmerleute und Baumeister gewannen ein immer besseres Verständnis der Materialeigenschaften, sie wurden mutiger und entwickelten neue Ideen. So entstanden die prächtigen Gebäude des alten Ägypten, Griechenlands, Roms und Byzanz’, die Tempel in Indien, China, Kambodscha und Amerika oder die Kathedralen und Rathäuser im mittelalterlichen Europa. Als das Innere von Gebäuden ebenso wichtig wurde wie ihre Außenwirkung, wichen dunkle Kammern fantasievoll geplanten Räumen.

Zur Zeit der Renaissance bildete sich in Europa der spezialisierte Architekt heraus, aber als eigenständiger Beruf etablierte er sich erst im 19. Jahrhundert, als die ersten Bauakademien gegründet wurden. Bis dahin wurden architektonische Leistungen vorwiegend von Steinmetzen oder Baumeistern erbracht, die nicht an Akademien ausgebildet waren, sondern ihr Handwerk in der Praxis erworben hatten.

Das Entwerfen von Gebäuden war in Europa und den USA bald ein hoch angesehener und gut bezahlter Beruf. Damit bildete sich eine Trennung heraus zwischen denjenigen, die Gebäude entwarfen, und denjenigen, die sie bauten. Als die Gebäude immer komplexer wurden, kamen Ingenieure hinzu. Heute, angesichts einer Vielzahl von Methoden, Materialien und neuen Anforderungen, die an Gebäude gestellt werden, arbeiten Architekten in interdisziplinären Teams von Spezialisten.

Form und Funktion

Die industrielle Revolution sorgte für viele Fortschritte in der Architektur, angetrieben durch technologische Entwicklungen und die Nachfrage nach neuartigen Gebäuden, von Fabriken bis hin zu Bahnhöfen. Erfindungen wie leichter Stahl und Stahlbeton ermöglichten es, riesige Flächen zu überspannen und in große Höhen zu bauen. Die ersten Wolkenkratzer wurden in den USA errichtet, doch schon bald veränderten sie das Erscheinungsbild von Großstädten auf der ganzen Welt.

Ende des 20. Jahrhunderts hat das computergestützte Design (CAD) – der Einsatz von Algorithmen zur Entwicklung neuer Formen – die Grenzen der Architektur zusätzlich erweitert. Entwürfe, die zuvor als nicht realisierbar galten, ließen sich plötzlich bauen, und so entstanden einige der aufregendsten Gebäude der Welt. Eine alte Debatte wurde dabei neu entfacht: Darf die Form wichtiger sein als die Funktion (der Zweck) eines Gebäudes? Über weite Teile des 20. Jahrhunderts hat die Funktion die Oberhand behalten.

Die Architektur wird zudem von allgemeinen kulturellen Veränderungen und neuen Ideen in anderen Bereichen beeinflusst, insbesondere in der Kunst und Literatur. So ließ man sich in der Renaissance in ganz Europa von der antiken Architektur inspirieren; das Arts and Crafts-Movement Ende des 19. Jahrhunderts in Großbritannien übte Kritik an der Industrialisierung; zu Beginn des 20. Jahrhunderts nahm der Kubismus entscheidenden Einfluss auf die Architektur der Moderne.

»Architektur sollte uns anregen, uns beruhigen und uns zum Nachdenken bringen.«

Zaha Hadid

britisch-irakische Architektin (1950–2016)

Nicht zuletzt orientiert sich die Architektur an den Bedürfnissen der Menschen, die in den Gebäuden leben und arbeiten. So zielte in den Anfängen der Sowjetunion die konstruktivistische Architektur darauf ab, den Lebensstandard der ehemals bäuerlichen Bevölkerung zu verbessern.

Von größter Bedeutung ist heute zudem der Schutz unseres Planeten. Es gibt Initiativen zur Verringerung des Energieverbrauchs von Gebäuden und beim Bauen selbst, aber auch eine Rückbesinnung auf Traditionen, die von lokalen Gegebenheiten geprägt sind. In Afrika und Asien beleben Architekten landestypische Formen, die von westlichen Stilen verdrängt wurden. Schöne und funktionale Gebäude mit kleinem ökologischem Fußabdruck zu schaffen – das ist die Aufgabe der Architektur heute.

DER BEGINN DER ARCHITEKTUR

BIS 650 N. CHR.

um 3000 v. Chr.

Eine der frühesten Zikkurats (Stufentempel) entsteht in Tepe Sialk, nahe der heutigen Stadt Kaschan (Iran).

um 2550 v. Chr.

Bau der Cheops-Pyramide in Giseh, westlich des heutigen Kairo (Ägypten).

um 575 v. Chr.

Einführung der dorischen Ordnung, der ersten und einfachsten der drei griechischen Säulenordnungen: dorisch, ionisch und korinthisch.

um 221 v. Chr.

Qin Shihuangdi eint China und beginnt mit dem Bau der Großen Mauer, einer Reihe von Befestigungsanlagen an der Nordgrenze.

80 n. Chr.

In Rom wird das Kolosseum eingeweiht. Das Amphitheater weist drei übereinander angeordnete Arkadenreihen mit je 80 Bögen auf.

200 n. Chr.

Fertigstellung der Sonnenpyramide in Teotihuacán (Mexiko).

537 n. Chr.

Weihe der Hagia Sophia in Konstantinopel. Die kreisrunde Kuppel der Kirche ruht auf einem quadratischen Unterbau.

um 2650 v. Chr.

Für König Djoser entsteht eine Stufenpyramide bei Sakkara (Ägypten).

um 1650 –1450 v. Chr.

Holzstämme auf Steinfundamenten stützen das Dach im minoischen Palast von Knossos auf der Insel Kreta.

um 447–432 v. Chr.

Auf der Akropolis in Athen wird der Parthenon erbaut.

1. Jh. v. Chr.

Der römische Baumeister Vitruv verfasst De architectura (Über die Architektur), das erste Buch zur Architekturtheorie.

um 105 n. Chr.

Apollodorus von Damaskus plant die Trajansbrücke über die Donau. Sie bleibt etwa 1000 Jahre lang die längste Brücke der Welt.

523 n. Chr.

In der chinesischen Provinz Henan entsteht die Pagode des Songyue-Tempels, eine der frühesten Ziegelpagoden.

Machen Sie die erste Stadt ausfindig, heißt es, und Sie wissen, wo die Architektur entstanden ist. Zu den Kandidaten gehört das anatolische Çatalhöyük (Türkei), wo um 7100 v. Chr. Häuser aus Lehmziegeln entstanden. Aber die meisten Experten sind sich einig, dass die erste anspruchsvolle Architektur in Mesopotamien entstand (auf dem Gebiet des heutigen Irak, Iran und Syrien).

Monumente für die Götter

Tempel waren der Mittelpunkt der ersten Städte. Es galt, grimmige Gottheiten zu besänftigen und zu verehren, und die ambitioniertesten Gebäude entstanden ihnen zu Ehren. Die ersten Tempel waren Zikkurats – gestufte Pyramiden aus Lehm und gebrannten Ziegeln. Diese Form findet sich in vielen Teilen der antiken Welt, insbesondere in Mesopotamien und Ägypten, aber auch in Amerika. In wieweit diese Bauwerke eigenständige Leistungen sind oder dem Ideenaustausch entlang der transozeanischen Handelswege entsprangen, bleibt zu klären.

Vielen Kulturen gemeinsam ist der Wunsch, so hoch zu bauen, wie es technisch möglich ist, um den Göttern nahe zu sein. Das war besonders in Städten zu beobachten, die in einer Ebene lagen. In Ägypten erheben sich die Pyramiden vor dem weiten Horizont und dem grenzenlosen Himmel. Im alten Griechenland wurden ab etwa 800 v. Chr. Tempel auf Hügeln mit beeindruckender Aussicht erbaut.

Wohnhäuser bestanden vorwiegend aus Lehmziegeln. Siedlungen mit Tausenden von Einwohnern gab es nicht nur in Mesopotamien, im alten Ägypten oder im antiken Griechenland. Im Industal (im heutigen Pakistan) entstand um 2500 v. Chr. Mohenjo-Daro. In dieser Stadt mit gitterförmigem Grundriss sollen etwa 40 000 Menschen gelebt haben; es gab dort sogar Wasserleitungen.

Neue Formen

In der Architektur manifestieren sich religiöse Vorstellungen, militärische Stärke, politische Macht und Bürgerstolz. Zahlreiche Innovationen in der Baukunst verdanken wir den alten Griechen und Römern. Schon die Ägypter hatten als Stütze weitläufiger Hallen die Säule erfunden, die von den Minoern auf Kreta übernommen wurde. Die Griechen entwickelten drei Säulenordnungen, die das Aussehen eines Gebäudes insgesamt prägten. Mit ihren harmonisch proportionierten Tempeln schufen sie eine Ästhetik, die Architekten seither beeinflusst.

Im dynamischen Zusammenspiel von Zweckmäßigkeit und konstruktiver Kühnheit perfektionierten die Römer Kuppeln, steinerne Bögen und Gewölbe. Sie nutzten sie beim Bau anspruchsvoller Tempel, Amphitheater und Badeanlagen, aber auch für Infrastrukturprojekte von beeindruckender Größe, die bei der Erweiterung des Reiches bedeutsam waren. Ihre steinernen, auf Bögen ruhenden Brücken waren stabil genug, um Truppen und Kriegsgerät über Flüsse zu schaffen, ihre Aquädukte transportierten Wasser über große Distanzen. Die römische Erfindung des Gussmörtels, einer Art Zement, ermöglichte erstaunliche Leistungen, wie etwa die enorme Kuppel des Pantheons in Rom beweist.

Der Aufstieg des Christentums ab 313 n. Chr. und die Verlagerung der Hauptstadt nach Byzanz 330 n. Chr. leiteten weitere neue Entwicklungen ein. Unter Kaiser Justinian (reg. 527–565 n. Chr.) entstand in der byzantinischen Hauptstadt Konstantinopel (heute Istanbul) in nur fünf Jahren die Hagia Sophia (göttliche Weisheit). Die Kuppeln und Mosaiken dieser Kirche sind von einmaliger Komplexität und Schönheit. Sie sollte nachhaltigen Einfluss auf die islamische Architektur ausüben.

Architektur des Ostens

Auch in der östlichen Hemisphäre entstanden monumentale Bauwerke, seit 221 v. Chr. etwa die Große Mauer, eine Reihe von Verteidigungsanlagen entlang der Nordgrenze Chinas. Einer der frühesten bekannten Stupas (buddhistischer Schrein) wurde in Sanchi (Indien) um 270 v. Chr. errichtet. Mit der fortschreitenden Ausbreitung des Buddhismus wurden Stupas immer aufwendiger.

In China, wo der Buddhismus im 6. Jahrhundert Staatsreligion wurde, wandelte sich der Stupa zur Pagode. Dieser mehrstufige Turm verbreitete sich auch in anderen asiatischen Ländern. Wie alles in der chinesischen Architektur folgt auch der Stil der Pagode strengen Regeln. Dabei spielt die Bedeutung von Zahlen eine wichtige Rolle. Zuerst aus Holz gebaut, dann aus Ziegeln oder Stein, strebten die Türme himmelwärts, lange vor den gotischen Turmspitzen im mittelalterlichen Europa.

ERHALTUNG DES LEBENS

SCHUTZ

IM KONTEXT

THEMA

Frühe Siedlungen

FRÜHER

vor etwa 1,8 Mio. Jahren Frühe Menschen haben in der Wonderwerk Cave (Südafrika) Steinwerkzeuge hinterlassen.

um 75000–70000 v. Chr. In der Blombos Cave bei Kapstadt sind ockerfarbige Zeichen in den Stein geritzt – der früheste Hinweis auf eine künstlerische Betätigung des modernen Menschen.

SPÄTER

um 4000–3100 v. Chr. In der Uruk-Zeit – benannt nach der gleichnamigen Stadt im heutigen Irak – entwickelt sich städtisches Leben in Mesopotamien.

um 3100 v. Chr. Die ersten Steinkreise entstehen in Stonehenge; sie gehören zu einer neolithischen Siedlung in der Ebene von Salisbury im Süden Englands.

Architektur entsteht aus einem Grundbedürfnis des Menschen: Schutz. Zufluchtsorte bieten Schutz vor dem Wetter oder vor Raubtieren und erlauben es den Menschen, von dort aus die unmittelbare Umgebung zu kontrollieren. Anthropologen nehmen an, dass unsere Vorfahren über wenigstens 90 % der Menschheitsgeschichte solchen Schutz immer nur zeitweise suchten. Sie lebten im Freien, wander- ten in kleinen Gruppen umher und schlugen ihr Lager an Quellen und Flüssen auf. Sie dürften bestimmte Orte saisonal als Ausgangspunkt für die Jagd und die Nahrungssuche genutzt haben. Manche unserer Vorfahren mögen in Wäldern unter dichtem Blattwerk Schutz gesucht haben. Nach Möglichkeit suchten sie aber Zuflucht unter Felsvor- sprüngen und in Höhlen. Darauf deuten Felsmalereien aus der Altsteinzeit hin, wie jene, die in Chau- vet und Lascaux (Südfrankreich) vor 36500–30000 bzw. 17000–15000 Jahren entstanden sind. Höhlen gibt es allerdings nur in felsigem Gelände, und so mussten die Menschen andere Möglichkeiten entwickeln, um sich zu schützen.

»Die erste Tat eines Architekten ist es, das Mikroklima von dem großen Raum außerhalb zu trennen.«

Mario Botta

schweizer Architekt (*1943)

Erste Siedlungen

Für die ersten gebauten Schutzräume verwendete man alle möglichen natürlichen Materialien, die zur Hand waren, wie Steine, Äste, Schilf sowie lange Gräser, Tierknochen und Häute. Als die Menschen sesshafter wurden, legten sie dauerhaftere Behausungen an und verarbeiteten große Steinplatten und später Lehm, der zu Ziegeln geformt und in der Sonne getrocknet wurde. In Dolní Věstonice (Tschechische Republik) haben Archäologen eine große Siedlung unter freiem Himmel an einem Fluss entdeckt. Runde Vertiefungen im Boden deuten auf Hütten hin und es gibt ebenfalls Hinweise auf einen Unterstand, der an eine Böschung gestützt war. Radiokarbondatierun- gen zufolge wurde Dolní Věstonice um 24000 v. Chr. besiedelt.

Ursprung der Architektur

Zu den ersten Erbauern von Behausungen gehören die halbsesshaften Menschen der Natufien-Kultur, die vor etwa 12000 Jahren in der Levante lebten. Im heutigen Israel, im Libanon und in Syrien lebten sie in Dörfern. Die runden Hütten hatten Steinfundamente und wohl ein mit Reisig gedecktes Dach.

Mit dem Ende der letzten Eiszeit setzte der Übergang von der Existenz als Jäger und Sammler zu einem sesshaften Leben in Siedlungen ein. Das bedeutete zwangsläufig, dauerhafte Wohnstätten und andere Bauten zu schaffen und zu Dörfern zu vereinen. In der südlichen Türkei legt die weitläufige neolithische Ausgrabungsstätte Çatalhöyük Zeugnis davon ab. Der Ort war von 7400 bis 5700 v. Chr. dauerhaft besiedelt. Die Häuser waren rechteckig und wie Bienenwaben aneinandergefügt. Sie hatten Fenster, aber keine Haustüren, und es gab auch keine Straßen, die sie trennten – die Menschen betraten das Haus durch eine Öffnung im Dach und kletterten über eine Leiter nach unten.

Mit der Anlage solch dauerhaft bewohnter Siedlungen ging das Bauen weit über die Errichtung eines provisorischen Schutzes hinaus. Und damit begann die Geschichte der Architektur.

Die Wände der Gebäude in Çatalhöyük (Türkei) bestehen aus Lehmziegeln, die mit einer Putzschicht überzogen waren.

DIE VERBINDUNG ZWISCHEN HIMMEL UND ERDE

DIE ZIKKURAT

IM KONTEXT

THEMA

Geburt der Architektur

FRÜHER

5. Jt. v. Chr. Tempel auf erhöhten Plattformen werden in ganz Mesopotamien (Irak) errichtet.

4. Jt. v. Chr. Die Stadt Uruk in Mesopotamien wird gegründet – eine der ersten Städte der Welt und Standort einer sehr großen Zikkurat.

SPÄTER

331 v. Chr. Als Alexander der Große, mazedonischer Herrscher von 336–323 v. Chr., die Stadt Babylon in Mesopotamien erobert, ist die dortige Zikkurat bereits eine Ruine.

1975 In der irakischen Hauptstadt Bagdad entsteht das Al Zaqura Building. Es hat die Form einer Zikkurat und ist im Stil des Brutalismus gebaut – einem Architekturstil, der von geometrischen Formen und Sichtbeton geprägt ist.

Nachdem für den ersten Schutz gesorgt war – in manchen Fällen vielleicht auch schon zuvor – schufen die frühen Menschen Gebäude, die rituellen oder religiösen Zwecken dienten. Pfeiler und kreisrunde Fundamente, 11 000 Jahre alt und in Göbekli Tepe in der Türkei ausgegraben, deuten auf solche Funktionen hin, ebenso wie viele Megalithe (große Steine) und Steinkreise, verstreut über ganz Europa, die zumeist aus dem späten Neolithikum (um 6400–4500 v. Chr.) stammen. Die eigentliche Architektur aber begann dort, wo auch die Zivilisation ihren Ursprung hatte: im alten Mesopotamien, im heutigen Irak. Dort errichteten die Menschen erste technisch und ästhetisch geplante Bauwerke mit repräsentativer und schützender Funktion.

Mesopotamien

Den Mesopotamiern wird die Erfindung der Schrift, der Zahlen, der Astronomie und des Rades zugeschrieben, und sie waren die Ersten, die in planvoll angelegten Städten lebten. Wichtiger Bestandteil dieser Städte war die Zikkurat – eine massive, pyramidenförmige Ziegelkonstruktion mit mehreren Stufen, die nach oben immer kleiner werden. Jede Zikkurat gehörte zu einer Tempelanlage mit weiteren Gebäuden. Archäologen datieren die ersten Zikkurats – etwa Tepe Sialk bei Kaschan – auf um 3000 v. Chr.

Die Lehmziegelmauern der Zikkurat neigen sich nach innen und lenken den Blick des Betrachters nach oben.

Monumentale Ausmaße: Die Zikkurat von Ur war 62,5 m lang und 43 m breit und könnte etwa 25 m hoch gewesen sein.

Material und Form

Das reichlich vorhandene Baumaterial in der Region war Lehm, daher wurden die Zikkurats aus Lehmziegeln errichtet und außen mit einer Schicht Backstein verkleidet. Die Backsteine waren oft in unterschiedlichen Farben glasiert und zu Mustern angeordnet. Die Zikkurats, der Wohnort der Götter, ragten zwei bis sieben Stufen empor, auf einer Plattform ganz oben gab es Schreine für die Gottheiten. Außentreppen führten nach oben, in einigen Fällen so angelegt, dass man die gesamte Plattform umkreisen musste, um die Treppe zur nächsten Stufe zu erreichen. Das Fortschreiten von Stufe zu Stufe sollte möglicherweise die Distanz zwischen der Welt der Menschen und dem Reich der Götter verdeutlichen. Den Schrein ganz oben durften nur Priester und Herrscher betreten.

Die Zikkurat von Ur

So wie jeder Pharao in Ägypten im Alten Reich eine Pyramide baute, so bauten die wichtigeren mesopotamischen Könige eine Zikkurat. Die Zikkurat Nebukadnezars in Babylon – möglicherweise die Inspiration für die Geschichte vom Turmbau zu Babel in der Bibel – war eine der größten. Im Lauf der Jahrhunderte wurde sie durch Erosion und Zerstörung bis auf die Grundmauern abgetragen.

Unter den erhaltenen Zikkurats beeindruckt vor allem die Zikkurat von Ur, in der Nähe von Nasiriya (Irak). Entstanden um 2125 v. Chr. und dem Mondgott Nanna gewidmet, wurde sie im 6. Jahrhundert v. Chr. von Grund auf erneuert. In den 1980er-Jahren wurden die Fassade und die Treppen restauriert.

Moderne Zikkurats

Als Archetyp der Architektur ist die Zikkurat auch heute noch beliebt. Eine ganze Reihe von Gebäuden des 20. Jahrhunderts sind von diesem alten historischen Vorbild inspiriert. So entwarf der gefeierte amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright 1925 eine – nicht ausgeführte – runde Zikkurat für die Spitze des Sugarloaf Mountain in Maryland. Eine spiralförmige Rampe aus dem Plan übernahm er später in seinem Entwurf für das Guggenheim Museum in New York, das 1959 vollendet wurde.

»Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche.«

Die Bibel, Genesis 11,4

SIE ÜBERTRAFEN ALLES

DIE PYRAMIDEN

IM KONTEXT

THEMA

Entstehung der Pyramiden

FRÜHER

um 3200 v. Chr. Newgrange, ein großer, runder Grabhügel in County Meath (Irland), wird aus Schichten von Stein und Erde angelegt.

um 2686 v. Chr. Nach der Vereinigung von Ober- und Unterägypten, möglicherweise durch König Djoser, beginnt eine Zeit architektonischer Innovationen.

SPÄTER

um 921–944 n. Chr. Im Reich der Khmer, in der Stadt Koh Ker (Kambodscha), entsteht eine siebenstufige Pyramide.

1551 Der Turm der Kathedrale von Oviedo (Spanien), wird mit einer oktogonalen Pyramide abgeschlossen.

1930 Vollendung des Mausoleums für den Sowjetführer Wladimir Lenin (1870–1924). Es greift Elemente der Stufenpyramide des Djoser in Ägypten auf.

1993 In Las Vegas eröffnet das Luxor, ein dreißigstöckiges Hotel mit Kasino in Form einer gigantischen Pyramide.

Aus archäologischen Funden lässt sich schließen, dass die ersten Zikkurats im Süden Mesopotamiens, um 3000 v. Chr. erbaut, etwa 300 Jahre älter sind als die ersten ägyptischen Pyramiden. Die Ägypter allerdings entwickelten ein differenziertes Repertoire architektonischer Elemente und Stile, das großen Einfluss auf viele der folgenden Kulturen hatte, besonders auf die griechische und römische.

»Der Mensch fürchtet die Zeit, die Zeit aber fürchtet die Pyramiden.«

Arabisches Sprichwort

Der lang anhaltende Einfluss der ägyptischen Architektur lag unter anderem in dem Umstand begründet, dass die Mesopotamier den vergänglichen Baustoff Lehm bevorzugten, während die Ägypter als eines der ersten Völker den widerstandsfähigen Stein verwendeten.

Die erste Pyramide

Die Stufenpyramide des Djoser, um 2650 v. Chr. erbaut, ist der erste noch existierende Steinbau Ägyptens. Bis dahin waren die Pharaonen in großen rechteckigen Mastabas aus Lehmziegeln beigesetzt worden. In Sakkara, der Nekropole der alten Königsstadt Memphis, befindet sich das Grab von König Djoser, der um 2686–2648 v. Chr. regierte. Es besteht aus sechs aufeinandergeschichteten steinernen Mastabas, die nach oben immer kleiner werden. Daraus ergibt sich so etwas wie das Urbild einer Pyramide mit Stufen.

Möglich ist, dass der Architekt sich angesichts der neuartigen Form des Bauwerks genötigt sah, anstelle der für Gebäude üblichen Lehmziegel den härteren Stein zu verwenden – eine der großen natürlichen Ressourcen Ägyptens. Die Historiker glauben, dass Imhotep der Baumeister war, ein Wesir (hochrangiger Berater) König Djosers und auch Hohepriester und Arzt. Seinen Namen fand man auf einer Statue am Eingang zur Stufenpyramide. Er ist damit der erste namentlich bekannte Architekt der Geschichte.

Die Stufenpyramide hatte eine praktische Funktion als Grab. Welche Vorstellungen mit ihrer besonderen Form verbunden waren, bleibt aber unklar. Mit einer nie dagewesenen Höhe von 62,5m könnte der Bau als Manifestation königlicher Macht gesehen werden, ebenso als Treppe zum Himmel, die der Herrscher emporsteigt. Alternativ könnte er auch den ersten Hügel der Schöpfung repräsentieren, in der Vorstellung der Ägypter zu Anbeginn der Zeit aus den Wassern des Chaos aufgestiegen. Sicher ist indessen, dass die Stufenpyramide als Vorbild für das Bauen in Stein und für viele und weit größere Pyramiden diente.

Zunehmend perfekt

Der Pyramidenbau in Ägypten entwickelte sich durch Versuch und Irrtum. In der königlichen Nekropole von Dahschur, südlich von Sakkara, wurde in der Regierungszeit von König Snefru (reg. 2613–2589 v. Chr.) eine Pyramide errichtet, deren Wände mit einem Neigungswinkel von 54 Grad beginnen. Auf halber Höhe reduziert er sich auf 43 Grad, sodass eine »Knickpyramide« entsteht.

Vermutlich hatten die Erbauer erkannt, dass die Steilheit des vorgesehenen Winkels die Pyramide instabil machen würde und korrigierten ihn daraufhin. Eine zweite Pyramide am selben Ort, unmittelbar danach für denselben Pharao erbaut, weist durchgängig einen Neigungswinkel von 43° auf und erscheint damit insgesamt ausgeglichen.

Die Stufenpyramide des Djoser ist das Grabmal des ägyptischen Pharaos, der in einer Kammer in etwa 30 m Tiefe bestattet wurde.

»Sie [die Chepopsyramide] bestehet aus polierten Steinen, welche auf das Genaueste aufeinanderpassen …«

Herodot

griechischer Historiker (5. Jh. v. Chr.)

Seinen Höhepunkt erreicht der Pyramidenbau auf dem felsigen Plateau von Giseh, nicht weit von Sakkara, wo Pharao Cheops – er soll ab etwa 2589 v. Chr. 30 Jahre lang regiert haben – sich sein Grab errichten ließ. Entstanden um 2566 v. Chr., nur 100 Jahre nach der Stufenpyramide, war die Cheopspyramide mit ursprünglich 147 m doppelt so hoch wie ihre Vorgängerin.

Für höchste Ansprüche

Doch die Cheopspyramide ist nicht nur bemerkenswert hoch, sie ist auch in der Ausführung ungleich anspruchsvoller als alle ihre Vorgängerinnen. Die Steinmetze in Sakkara lernten noch, Steine zu bearbeiten, in Giseh gingen sie bereits mit staunenswerter Präzision zu Werke. Die vier Ecken der Basis entsprechen exakt den vier Himmelsrichtungen, mit einer Abweichung von nur einem Zwölftel Grad auf dem Kompass. Jede der vier Seiten ist 230 m lang, die größte Abweichung beträgt hier 4,4 cm. Der Bau besteht aus 2,3 Mio. Steinblöcken, jeder durchschnittlich 2,5t schwer. Der größte dieser Blöcke, der eine Kammer im Inneren der Pyramide abdeckt, wiegt 80 t.

In 203 Lagen sind die Kalksteinblöcke aufgeschichtet. Heute ziemlich verwittert, waren sie ursprünglich mit polierten Kalksteinplatten bedeckt, die so dicht aneinandergefügt waren, dass kaum eine Kreditkarte dazwischen gepasst hätte. Sie verliehen der Pyramide eine vollständig glatte, weiße Oberfläche.

Neben der Cheopspyramide erheben sich zwei weitere große Pyramiden – und zudem zahlreiche kleinere. Zu den großen Pyramiden gehörten ursprünglich weitere Gebäude, wie Tempel, Kapellen und Rampen, die jeweils einen Komplex bildeten. Die Höhe der Cheopspyramide, ihr Volumen und ihre geometrische Präzision ebenso wie das Geheimnis ihrer Konstruktion und ihre Beziehung zu den Sternen machen dieses Bauwerk zu einem Steinkoloss, der noch heute unsere Vorstellungskraft fesselt.

Nicht nur in Ägypten

In den 400 Jahren nach Vollendung der Cheopspyramide erlebte der Pyramidenbau in Ägypten seine große Zeit, auch wenn die Größe allmählich abnahm und mehr Wert auf die Dekoration der zugehörigen Tempel gelegt wurde. Die letzte bemerkenswerte Pyramide entstand um 1525 v. Chr. Wegen der Bedrohung durch Grabräuber wurden die Pyramiden als königliche Grabstätten schließlich aufgegeben. Als im Mittleren Reich Pharao Amenemhet III. (reg. 1844–1797 v. Chr.) seinen Tempel in Hawara in Auftrag gab, ließ er Gänge einbauen, die plötzlich enden und es gab in der Decke versteckte Klapptüren sowie blinde Schächte – alles nur, um Diebe in die Irre zu führen. Am Ende wählten die ägyptischen Herrscher Felswände in entlegenen Tälern, um ihre Grabstätten anzulegen – in der Hoffnung, dass der Ort geheim bleiben möge.

Größenvergleich der Pyramiden

Seit der Stufenpyramide des Djoser um 2650 v. Chr. – einer Weiterentwicklung der Mastaba – wurden die ägyptischen Pyramiden immer größer, bis hin zur Cheopspyramide um 2566 v. Chr.

Die Nekropole von Giseh, vorn die Pyramide des Mykerinos, in der Mitte die Chephrenpyramide (ganz oben ist die Verkleidung noch erhalten) und ganz hinten die Cheopspyramide.

Doch die ikonische Form der Pyramide blieb weiterhin attraktiv, und um 300 v. Chr.–300 n. Chr. kam sie im nubischen Reich von Kusch (Nordsudan) zu neuer Blüte. Im Lauf der Zeit entstanden etwa 50 Pyramiden in einer Nekropole in der Nähe des Nils. Diese nubischen Pyramiden sind kleiner und steiler als die ägyptischen Pyramiden.

Als die Römer nach dem Tod Kleopatras 30 v. Chr. die Herrschaft über Ägypten übernahmen, waren sie fasziniert von der alten Kultur am Nil. Sie statteten die Stadt Rom mit Obelisken und Sphingen aus – manche gestohlen, andere als Hommage neu geschaffen – und vereinzelten Pyramiden. Bemerkenswert ist die steile Pyramide des römischen Prätors Gaius Cestius Epulo. Sie ist knapp 37 m hoch, besteht aus Ziegeln mit einer Marmorverkleidung und die Wände im Inneren sind ausgemalt.

Konstruktive Schwäche

Die Pyramiden sind staunenswerte Schöpfungen, aber sie haben in der späteren Architektur kaum Spuren hinterlassen. Das mag daher rühren, dass die Pyramide als Bauform nicht zweckmäßig ist – die abfallenden Seitenflächen können kein Gewicht tragen. Deshalb gibt es kaum moderne Pyramiden. Eine große Ausnahme ist die Glas- und Stahl-Pyramide im Hof des Louvre in Paris, entworfen 1984 von dem chinesisch-amerikanischen Architekten I. M. Pei. Aber so eindrucksvoll sie auch sein mag – im Grunde ist sie kaum mehr als das Oberlicht für den Eingangsbereich des Museums im Tiefgeschoss.

Pyramiden in Mesoamerika

Pyramiden spielen eine bedeutende Rolle in der alten mesoamerikanischen Architektur. Sie ähnelten jedoch mehr den Zikkurats mit Prozessionstreppen auf allen Seiten, die zu den Tempeln auf der abgeflachten Spitze hinaufführten. Wir finden sie in den Stadtzentren der Azteken und Maya, während die ägyptischen Pyramiden außerhalb größerer Siedlungsgebiete lagen.

In Teotihuacán (Mexiko) – in den ersten Jahrhunderten n. Chr. die größte Stadt im präkolumbischen Amerika – wurde um 100 n. Chr. die Sonnenpyramide und um 300 n. Chr. die Mondpyramide erbaut. Die große Pyramide von Cholula (Mexiko), begonnen im 3. Jh. v. Chr. und fertiggestellt im 8. Jh. n. Chr., hatte eine größere Basis als die Cheopspyramide in Ägypten. Die Mayastadt Tikal in Guatemala verfügte über zahlreiche pyramidenförmige Tempel. Einige davon waren in Mustern angelegt, sodass man auch hier vermutet hat, sie könnten astronomischen Zwecken gedient haben.

Die Sonnenpyramide in Teotihuacán (Mexico) ist die drittgrößte der alten Pyramiden.

PROPORTION, STÄRKE UND SCHÖNHEIT

DIE SÄULE

KONTEXT

THEMA

Die Säule und die antiken Ordnungen

FRÜHER

um 4800 v. Chr. Gebäude mit strohgedecktem Dach auf hölzernen Säulen entstehen in der neolithischen Banpo-Sied- lung (China).

um 4000 v. Chr. Palmenstämme werden in Mesopotamien als Stützen genutzt.

SPÄTER

113 n. Chr. In Rom wird die Trajanssäule aufgestellt. Der spiralförmige Fries an der 40 m hohen Säule illustriert den Sieg Kaiser Trajans über die Daker.

320 Alt-St.-Peter, eine Basilika an der Stelle des heutigen Petersdoms in Rom, wird geweiht. Sogenannte salomonische Säulen mit gewundenem Schaft rahmen das Grab des Apostels.

1558 Der italienische Architekt Andrea Palladio, der das Interesse an antiker Architektur neu entfacht, entwirft für die Villa Foscari bei Venedig einen Portikus, getragen von ionischen Säulen.

1793 Grundsteinlegung für das Kapitol in Washington. Der klassizistische Bau folgt der korinthischen Ordnung.

Als tragendes Element, das darüberliegende Bauteile abstützt, ermöglicht die Säule die Anlage großer Räume ohne Mauern. Während die ersten Baumeister Baumstämme, Astwerk und passend geformte Steine als vertikale Stützen einsetzten, waren in der Antike gemeißelte, einheitliche Säulen ein charakteristisches Architekturelement. Die Griechen und Römer betrachteten Säulen als elementaren Bestandteil der sogenannten Ordnungen – der Architekturstile –, die festen Regeln folgten und die Harmonie und Schönheit eines Gebäudes garantieren sollten.

Die ersten Säulen

Vermutlich die ältesten Säulen haben sich in Ägypten erhalten. In Sakkara, einer Nekropole in der Nähe der antiken Stadt Memphis, haben Archäologen ein ausgedehntes ummauertes Begräbnisareal rekonstruiert, zu dem eine Kolonnade mit 20 Paaren gleicher Säulen gehört. An diesen Säulen, um 2650 v. Chr. entstanden, lässt sich ablesen, wie die Steinmetze die alte ägyptische Architektur aus Lehmziegeln, Holz und Pflanzenstängeln in Stein übersetzten: In die Säulen sind Rippen eingearbeitet, die an Schilfbündel erinnern. Ägyptologen nehmen an, dass die Säulen ursprünglich grün bemalt waren, um die Verbindung zu dem früheren organischen Material zu betonen. Sie denken ferner, dass das steinerne Dach der Kolonnade in Stein geformte Holzbalken zeigte.

Um 2000 v. Chr. hörten die Ägypter auf, Stein wie einen Ersatz für natürliche Materialien zu formen und nutzten ihn wegen seiner eigenen Qualitäten. Sie setzten Tempel an Felswände, und Reihen von rechteckigen Pfeilern beziehen sich auf das darüber aufsteigende Gestein. Die Ägypter konstruierten auch Hypostyl-Hallen, deren Dächer von Säulen oder Pfeilern getragen werden. Dabei nutzten sie die Stabilität des Steins, um Räume zu schaffen, wie man sie noch nie gesehen hatte. Der große Hypostyl (um 1290–1250 v. Chr.) im Tempelkomplex von Karnak in Theben – Hauptstadt des alten Ägypten auf seinem Höhepunkt – ist ein gewaltiger, kathedralenartiger Raum mit einem Wald von 134 Säulen, jeweils 21 m hoch. Die Kapitelle (vom lateinischen caput, Kopf) sind wie Papyrusstängel geformt.

Der große Hypostyl in Karnak weist zwölf besonders hohe Säulen auf, die alle anderen überragen. Sie bildeten eine zentrale, überdachte Zone.

Weiterentwicklungen

Manche Säulen sind aus einem einzigen Stein gehauen, doch als die Gebäude in Ägypten immer größer wurden und Ausmaße wie in Karnak annahmen, wurde es notwendig, die Säulen aus sogenannten Trommeln zusammenzusetzen. Diese mächtigen Steinscheiben wurden einzeln bearbeitet und dann mittig mit einem Dübel verbunden. Über ihre Funktion als Bauelement hinaus kam den Säulen auch symbolische Bedeutung zu. Die Kapitelle waren so gestaltet, dass sie an Papyrusoder Lotuspflanzen erinnerten oder die Gesichter von Gottheiten zeigten. Für seinen Totentempel in Theben ließ Pharao Ramses II. (reg. 1279–1213 v. Chr.) Säulen fertigen, die ihn selbst darstellten: Seine Füße bilden die Basis und sein Kopf das Kapitell. Ägyptische Säulen waren oft mit Hieroglyphen beschriftet oder bemalt, mitunter auch beides.

In Europa entstand unter den Minoern auf Kreta die erste Hochkultur. Durch Handelsbeziehungen nahmen sie Einflüsse aus Ägypten auf, entwickelten aber eine eigene Säulenform aus Holzstämmen mit steinerner Basis und steinernem Kapitell. Im Palast von Knossos (um 2100–1800 v. Chr.) finden sich zahlreiche solcher Säulen aus Zypressenstämmen, die umgekehrt aufgestellt wurden, sodass die Säulen oben breiter sind als unten.

Stärker war der ägyptische Einfluss in Persepolis, wo die Perser üppig dekorierte Steinsäulen aufstellten. Für Darius I. (reg. 522–486 v. Chr.) entstand ein Zeremonialzentrum mit der »Halle der hundert Säulen«. Die Kapitelle zeigen jeweils zwei Stierköpfe.

Die klassischen Ordnungen

Im 7. Jahrhundert begannen griechische Architekten, beeinflusst von dem, was Händler in Ägypten gesehen hatten, an Stelle von Holz den haltbareren Stein als bevorzugtes Material für ihre großen Bauten zu verwenden. Sie entwickelten einen Baustil, der ein Bewusstsein für Harmonie und klare Proportionen verrät. Besonders deutlich wird ihre Vision in der Säule und ihren Einzelteilen – Basis, Schaft und Kapitell – und dem Gebälk (Architrav, Fries und Gesims), das von der Säule getragen wird.

»Besinnen Sie sich auf den großen Moment in der Architektur, als die Wände verschwanden und die Säulen geschaffen wurden.«

Louis Kahn

amerikanischer Architekt (1901–1974)

Die griechischen Säulenordnungen

Die Säulenordnungen unterscheiden sich in der Behandlung der Säule mit Basis und Kapitellen und des Gebälks, das von der Säule getragen wird. Dieser Aufbau besteht aus drei Hauptelementen: Architrav, Fries und Gesims. Seine Aufgabe ist es, die Fassade und den dreieckigen Giebel zu stützen oder die Balken, die das Dach tragen.

»Denn es kann kein Tempel ohne Symmetrie und Proportion in seiner Anlage gerechtfertigt werden.«

Vitruv

De architectura, 1. Jh. v. Chr.

Der Mensch als Maß

Der römische Architekt Vitruv beschreibt in seinem Buch De architectura (Über die Architektur), wie die von den Griechen entwickelten grundlegenden Proportionen aus der natürlichen Welt abgeleitet sind, insbesondere aus dem menschlichen Körper: »Wenn daher die Natur den Körper des Menschen so gebildet hat, dass die Glieder seiner ganzen Gestalt in bestimmten Verhältnissen entsprechen«, erklärte Vitruv, so gelte bei den alten Griechen »auch bei der Ausführung von Bauwerken ein genaues Maßverhältnis der einzelnen Glieder«. Die Griechen legten fest, dass die Länge eines Männerfußes ein Sechstel der gesamten Körpergröße beträgt. Dieses Verhältnis von 6:1 wandten sie auf die Säule an, indem sie den Schaft mit Kapitell auf das Sechsfache der Säulenbreite am Fuß erhöhten. So entstand die dorische Säule, die das »Verhältnis und die gedrungene Schönheit des männlichen Körpers« widerspiegelt. In der Architektur des griechischen Mutterlands tauchen dorische Säulen im 7. Jahrhundert v. Chr. auf, etwa im Heratempel in Olympia.

Das Gebälk über den dorischen Säulen besteht aus einem Fries mit Metopen – viereckige, manchmal glatte, gewöhnlich aber skulptierte Platten – zwischen vertikal geriffelten Blöcken, Triglyphen genannt. Unter jeder Triglyphe befindet sich eine Reihe kleiner, dekorativer Klötzchen – die guttae –, vielleicht eine Reminiszenz an die Holzpflöcke, die zur Absicherung der Dachbalken gebraucht wurden, als man noch mit Holz baute.

Vitruv schreibt, dass die Griechen für den Bau eines Artemistempels eine Architektur wünschten, die die Weiblichkeit spiegelte und wählten das neue, schlankere Verhältnis von 8:1. Sie gaben der Säule eine dekorative Basis, die der dorischen fehlte, und ein kunstvoll gearbeitetes Kapitell mit Voluten, die an Haarlocken erinnern. Der Schaft hat flache, vertikale Hohlkehlen, Kanneluren genannt, wie Falten in einem Gewand – aber auch dorische Säulen können Kanneluren aufweisen. Mit den Worten Vitruvs gleicht die ionische Ordnung jungen Frauen, »die wegen der Zartheit ihres Alters aus schlankeren Gliedern gebaut« sind. Seine Erklärung ist ansprechend, aber realitätsfremd. Die neue Ordnung entwickelte sich in Wirklichkeit in den griechischen Kolonien in Ionien (an der türkischen Westküste) und wurde ins Mutterland weitergegeben. Ein dritter, späterer Stil, der korinthische – nach der gleichnamigen Stadt – hat ein ähnliches Gebälk wie die ionische Ordnung, aber viel aufwendigere Kapitelle mit skulptierten Akanthusblättern, dem Symbol für Unsterblichkeit.

»Der Parthenon ist der Traum eines Architekten. Er ist, was Architektur war, ist und sein sollte.«

Edward Hollis

britischer Architekt (*1970)

Griechische Tempel

Die griechischen Ordnungen bestimmten nicht nur die Form, die Proportionen und Details der Säulen, sondern das gesamte Gebäude. Die künstlerische Vollkommenheit griechischer Architektur vermitteln am besten die Tempel, allen voran der Parthenon (um 447–432 v. Chr.). Er gilt als Höhepunkt klassischer griechischer Kunst. In Auftrag gegeben von dem Staatsmann Perikles, wurde er von den Baumeistern Iktinos und Kallikrates entworfen.

Wie fast alle Tempel der Zeit weist der Parthenon einen einfachen rechteckigen Grundriss mit Säulenreihen an allen vier Seiten und einem gemauerten, zentralen Schrein (der cella) mit dem Kultbild auf – in diesem Fall ein Standbild der Athena, Schutzgöttin der Stadt Athen. Was den Parthenon so außergewöhnlich macht, sind seine perfekten Proportionen und seine Raffinesse, verstärkt durch die bewusste Nutzung optischer Illusion.

Es ist nicht augenfällig, aber der Parthenon hat tatsächlich nur wenige gerade Linien und rechte Winkel. Die Form eines jeden Elements wurde leicht verändert, um den Betrachter zu täuschen, sodass er etwas sieht, das frei zu sein scheint von visuellen Verzerrungen durch das menschliche Auge, und größte Erhabenheit hervorruft. So wölben sich die Säulen in der Mitte leicht nach außen, damit sie aus gewissem Abstand betrachtet dort nicht schlanker wirken. Sie neigen sich ganz leicht nach innen, um völlig grade zu erscheinen.

Die dorischen Säulen des Parthenons sind ganz leicht nach innen geneigt. So wirken sie von unten betrachtet perfekt vertikal.

Römische Beiträge

Als die Römer im 2. Jahrhundert v. Chr. im Mittelmeerraum zur Großmacht geworden waren, griffen sie auf die Leistungen älterer Kulturen zurück. In Ägypten errichteten sie Tempel, die aussahen wie jene der großen Pharaonen der Vergangenheit, und auf der anderen Seite des Mittelmeers übernahmen sie die Regeln der klassischen griechischen Ordnungen. Welches Bauwerk auch immer, die Römer folgten den griechischen Regeln für Proportion, Harmonie und Schönheit.

Es blieb nicht bei bloßer Nachahmung der Griechen, die Römer entwickelten auch zwei neue Säulenordnungen, die tuskische und die Kompositordnung. Die tuskische ist die einfachste von allen Ordnungen, mit glattem Säulenschaft, einfachem Kapitell und Basis. Mit ihrer kraftvollen Form hat sie fast etwas Militärisches. Im Gegensatz dazu ist die Kompositordnung die kunstvollste der klassischen Ordnungen: Sie verbindet die Voluten der ionischen mit den Akanthusblättern der korinthischen Ordnung und weist mit einem Verhältnis von 10:1 die schlanksten Säulen auf.

Römische Tempel

Wie in Griechenland gehörten auch im alten Rom Tempel zu den wichtigsten Bauten. Alle Städte von gewisser Bedeutung hatten einen Haupttempel. Seine Form folgte dem griechischen Vorbild, mit rechteckigem Grundriss und Kolonnaden an den vier Seiten, die das Giebeldach trugen. Im Inneren befand sich die cella, der Raum mit dem Kultbild der Gottheit, der ein Tempel geweiht war.

Römische Tempel betonen gerne die Vorderseite mit breiten Treppen, die in einen Portikus führen – ein überdachter Vorbau, der den Eingang schützt. Auch der Unterbau, auf dem die Tempel standen, war bei den Römern deutlich höher als bei den Griechen. Seiten und Rückseite waren oft ohne Schmuck und nicht zugänglich – nur die Vorderseite hatte eine Treppe. Das unterscheidet sie von den griechischen Tempeln, die von allen Seiten gesehen werden sollten und zugänglich waren.

»Hier bin ich, Madame, und schaue stundenlang auf die Maison Carrée …«

Thomas Jefferson

Brief an Madam de Tessé, 1787

Beispielhaft für die römische Tempelarchitektur ist die Maison Carrée (»rechteckiges Haus«) in der südfranzösischen Stadt Nîmes, einer der besterhaltenen römischen Tempel. Er wurde um 19 v. Chr. während der Regierungszeit von Kaiser Augustus (reg. 31 v. Chr.–14 n. Chr.) erbaut. Der Tempel erhebt sich auf einem 2,85m hohen Podium, eine Treppe führt durch den Portikus in die große cella. Der Portikus wird von korinthischen Säulen getragen, zusammen mit Kompositsäulen die am häufigsten verwendete Säulenform der römischen Architektur. Die umlaufenden Säulen sind teilweise als Halbsäulen vor die Mauer der cella gesetzt. Der Tempel stand im Herzen des römischen Nîmes auf dem Forum, dem wichtigsten öffentlichen Platz.

Die Maison Carrée in Nîmes (Frankreich) ist ein römischer Tempel mit korinthischen Säulen, die einen großen Portikus stützen und dann als Halbsäulen die Mauer der cella schmücken.

Die Konstruktion der römischen Tempel ist mathematisch nicht so präzise wie die der besten griechischen und ihre Ausschmückung nicht so raffiniert, dennoch diente die Maison Carrée als Vorbild für eine Vielzahl späterer architektonischer Wahrzeichen. In Richmond (Virginia) wurde nach 1785 das State Capitol nach einem Entwurf des späteren amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson errichtet, der ein Modell der Maison Carrée besaß. Der römische Tempel ist auch das Vorbild für La Madeleine in Paris, auf Geheiß Napoleons 1806 als »Tempel des Ruhms der Großen Armee« begonnen und 1842 als Kirche geweiht.

»Mit den Säulenordnungen kann man nicht herumspielen … Richtig verwendet, sind sie von bezwingender Schönheit, unveränderbar wie pflanzliche Formen.«

Edwin Lutyens

britischer Architekt (1869–1944)

Das Erbe der Antike

Für die Baumeister im antiken Griechenland waren die Säulen tragende Elemente und die Ordnungen hatten ihre besondere Bedeutung. Bei den Römern konnten Säulen ebenfalls als tragendes Element dienen, häufig waren sie aber auch als Halbsäulen den Mauern vorgesetzt, die das Gewicht des Gebäudes trugen. So kam den Säulen eine schmückende Funktion zu. Noch deutlicher lässt sich diese Ästhetik an den Pilastern ablesen – aus der Wand vorstehenden Mauerstreifen als Andeutung von Pfeilern. Die Römer kombinierten auch gerne verschiedene Ordnungen in einem Gebäude, so etwa im Kolosseum in Rom. Dort findet man im Erdgeschoss tuskische Säulen, auf der Ebene darüber ionische, auf der nächsten korinthische und ganz oben Kompositsäulen.

Die griechische Architektur ging nie über das Konzept von Stütze und Last mit einem Sturz als vertikalem Konstruktionselement hinaus. Es blieb den Römern vorbehalten, perfekte Bögen, Gewölbe und Kuppeln zu bauen. Die Griechen aber schufen die logischsten, präzisesten und schönsten Bauwerke, indem sie sich an den Ordnungen orientierten. Sie ebneten den Weg für die Architekten der Renaissance und des Klassizismus.

Vitruv

Vom Leben des Marcus Vitruvius Pollio, meist Vitruv genannt, ist wenig bekannt, außer dass er ein römischer Militärarchitekt und Ingenieur war, der im 1. Jh. v. Chr. lebte. Seine Entwürfe umfassten Sonnenuhren, Pumpen und Katapulte, doch sein Ruhm beruht auf den zehn Bänden der Abhandlung De architectura (Über die Architektur). Sie enthalten Informationen über die antike Baupraxis, über Straßen- und Stadtplanung wie auch die erste Beschreibung der antiken Säulenordnungen.

Vitruv formulierte drei Grundsätze für die Architektur: firmitas (Festigkeit, Stärke), utilitas (Zweckmäßigkeit) und venustas (Schönheit, Anmut). Wie die alten Griechen glaubte er, dass wahre Schönheit aus den Proportionen der Natur abzuleiten ist, wie sie in den antiken Ordnungen überliefert sind. Als einziges erhaltenes antikes Werk zu diesem Thema war Vitruvs De architectura ein Schlüsselwerk für die Architekten der italienischen Renaissance ebenso wie für spätere Revivals der griechischen und römischen Baukunst. Für sie alle galt Vitruv als maßgebliche Autorität.

VERSTÄRKUNG DER STIMME

DAS THEATER

IM KONTEXT

THEMA

Ein Platz für Schauspiele

FRÜHER

um 760 v. Chr. Erste belegte Spiele in Olympia (Griechenland); ein Stadion wurde hier erst im 6. Jh. v. Chr. gebaut.

um 700 v. Chr. Bei Festspielen zu Ehren von Dionysos, dem Gott des Weines, finden in Athen Bühnenaufführungen statt.

SPÄTER

um 240 v. Chr. Erste Theateraufführungen in Rom als Bestandteil öffentlicher Festspiele.

um 75 v. Chr. In Pompeji (Italien) wird ein Amphitheater gebaut – eine runde Arena im Unterschied zum halbkreisförmigen Theater.

um 55 v. Chr. Im Auftrag von Pompeius dem Großen wird in Rom das erste vollständig aus Stein gebaute Theater fertiggestellt.

Außer den Tempeln schufen die alten Griechen eine ganze Reihe von öffentlichen Gebäuden und Plätzen, wie die Agora (Versammlungsplatz und Zentralmarkt), das Stadion (für Leichtathletik), Hippodrome (für Pferde- und Wagenrennen) und Theater unter freiem Himmel. Auf alle diese Bauten wendeten die Griechen dieselben Ordnungsprinzipien an, um jene einheitliche Ästhetik zu erreichen, die das Kennzeichen ihrer Architektur ist. In mancher Hinsicht sind die von den Griechen eingeführten Prinzipien noch heute maßgeblich, vor allem beim Theaterbau.

Grundlagen für den Bau eines Theaters

Mit den Mitteln der Natur

Seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. spielte das Drama eine wichtige Rolle im öffentlichen Leben des antiken Griechenland, und fast jede Stadt hatte ein Theater (von theatron, »Schauplatz«). Griechische Theaterentwürfe gründen auf der Kenntnis von Geometrie, Akustik und Landschaft, um die besten Voraussetzungen für Aufführungen zu schaffen. Der römische Architekt Vitruv erklärte im 1. Jahrhundert v. Chr., wie die Griechen natürliche Erhebungen für ihre Theater nutzten, sorgfältig ausgewählt nach klarer Sicht und klangtragenden Winden. Antike Theater werden oft für ihre gute Akustik gelobt. Dabei mögen die steil ansteigenden Sitzreihen eine Rolle spielen, die höhere Frequenzen in den Stimmen der Schauspieler verstärken, niedrige Frequenzen, wie das Murmeln des Publikums, hingegen ausfiltern. Standorte wurden auch wegen ihrer Naturschönheit gewählt, um den Zuschauern nicht nur den Blick auf die Bühne zu bieten, sondern auch auf die Landschaft dahinter.

Das Theater in Epidauros auf dem Berg Kynortion in der Argolis (Griechenland) fasste etwa 13 000 bis 14 000 Besucher.

Anfangs saß das Publikum vermutlich auf dem Hügel selbst. Später stellte man Steinbänke auf. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand die Spielfläche am Fuß des Hügels, die orchestra. Dahinter befand sich die skene, oft ein Zelt, wo die Schauspieler ihre Kostüme wechselten. Später bot eine flach gedeckte skene eine erhöhte Spielfläche.

Auf dem Höhepunkt

Erbaut im 6. Jahrhundert v. Chr. als Teil eines dem Gott des Weines geweihten Heiligtums, gilt das Theater des Dionysos am südlichen Abhang der Akropolis in Athen als Prototyp des griechischen Theaters. In jedem Frühjahr wurden hier Schauspiele (Dionysien) zu Ehren des Dionysos aufgeführt und die berühmtesten Meister stellten ihre Stücke in einem Wettstreit vor.

»In Epidauros … hörte ich das Herz der Welt schlagen.«

Henry Miller

amerikanischer Schriftsteller (1891–1980)

Die Kunst des griechischen Theaterbaus erreicht ihren Höhepunkt in Epidauros auf der östlichen Peloponnes. Das Theater, um 340 v. Chr. errichtet, vermutlich von einem Baumeister namens Polyklet, gilt wegen seiner Akustik und Ästhetik als das perfekte Theater des antiken Griechenland. Im 2. Jahrhundert n. Chr. schrieb der Reiseschriftsteller Pausanias: »Die Epidaurier haben in dem heiligen Bezirk ein Theater, das höchst sehenswert ist … was Ebenmaß oder Schönheit betrifft, welcher Baumeister wäre zum Wettstreit mit einem Polyklétus geeignet?«

Weitere Entwicklung

Die Griechen bauten Theater auch in ihren Kolonien in der gesamten Ägäis. Später führten die Römer diese Tradition fort. Ihre Theater jedoch standen frei und sie waren nicht mehr an eine bestimmte Topografie gebunden. Zum römischen Theater gehörte eine dekorative Bühnenwand (scenae frons), die mit Säulen, Statuen und Reliefs geschmückt war.

ALLÜBERALL MÖGEN STUPAS ENTSTEHEN

DER STUPA

IM KONTEXT

THEMA

Buddhistische Architektur

FRÜHER

um 480 v. Chr. Tod des indischen Religionsstifters Siddhartha Gautama, besser bekannt als Buddha.

268 v. Chr. Ashoka, Förderer des Buddhismus und Erbauer der ersten Stupas, wird Herrscher über fast den gesamten indischen Subkontinent.

SPÄTER

68 n. Chr. Gründung des Tempels des weißen Pferdes bei Luoyang in der Provinz Henan; damit hält der Buddhismus offiziell Einzug in China.

538 Einwanderer aus Korea bringen den Buddhismus nach Japan.

9. Jh. In Borobudur auf Java (Indonesien) entsteht der größte buddhistische Tempel der Welt; seine zentrale Kuppel ist von 72 Stupas mit Buddhastautuen umgeben.

Der buddistische Stupa ist im Grunde ein kuppelförmiger Erdhügel, mit Ziegeln oder Stein verkleidet. Sein Ursprung führt möglicherweise zurück zu den Hügelgräbern, die in vielen alten Kulturen verbreitet waren, auch in Indien, wo der Buddhismus entstanden ist.

Die Stupas symbolisieren den Grabhügel Buddhas. Darum enthalten sie oft Reliquien oder religiöse Objekte. Ein Stupa wird nicht betreten – die Gläubigen umschreiten ihn vielmehr meditierend.

Frühe Stupas

Der früheste bekannte Stupa ist der Große Stupa im zentralindischen Sanchi. Er stammt aus der Regierungszeit König Ashokas (um 269–232 v. Chr.) und besteht aus einer halbkugelförmigen Kuppel (anda, Symbol der himmlischen Sphäre) auf einer kreisrunden Plattform. Im Inneren befindet sich eine Reliquienkammer. Oben auf der Kuppel sitzt ein chhatraveli, ein fialenartiger Aufsatz mit drei Scheiben, die die zentralen Werte des Buddhismus symbolisieren: Buddha, Dharma (die Lehre) und sanga (der Mönch). Um den Stupa zieht sich ein Umgang mit Geländer, die vier Himmelsrichtungen sind jeweils durch ein Zeremonialtor hervorgehoben, bekrönt von Reliefdarstellungen aus dem Leben Buddhas.

Mit der Ausbreitung des Buddhismus über Asien entstanden zahlreiche Stupas als Fixpunkte für die neuen Anhänger der Religion. Mit der Zeit wandelte sich die Form der Stupas, sie wurden höher und schlanker, bisweilen sogar fast pyramidenförmig.

»Mit unseren Gedanken erschaffen wir die Welt.«

Buddha

aus dem Dhammapada, 3. Jh. v. Chr.

ICH ÖFFNETE DIE ADERN DER ERDE

DIE GROSSE MAUER

IM KONTEXT

THEMA

Einigung Chinas

FRÜHER

770–476 v. Chr. In der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen werden viele hohe Verteidigungsmauern errichtet.

475–221 v. Chr. In der Zeit der Streitenden Reiche ist China zersplittert; nach dem Sieg der Qin-Dynastie wird das Reich geeint.

SPÄTER

1210 n. Chr. Mongolische Invasoren – geführt von Dschingis Khan – strömen über die angeblich unüberwindbare Große Mauer, um China zu erobern.

1368–1644 Während der Ming-Dynastie wird die Große Mauer wiederaufgebaut, stärker und höher als zuvor.

1961–1989 Die Berliner Mauer, aus Beton und befestigt, riegelt den Westteil der Stadt hermetisch ab.

Im Jahr 221 v. Chr. ging die Qin-Dynastie als Sieger aus der Zeit der Streitenden Reiche hervor und China war zum ersten Mal unter einer Führung vereint. Qin Shihuangdi, der Kaiser, schuf einen Zentralstaat, teilte ihn ein in Verwaltungsbezirke, standardisierte Maße, Gewichte und Schrift und begann ein großes Programm zum Bau von Straßen und Kanälen. Zum Schutz des Landes vor den Angriffen der Nomaden im Norden ließ er die erste Große Mauer bauen.

Vereint durch die Mauer

Damals gab es bereits eine Reihe von Schutzmauern, die ersten stammten aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. Der Kaiser befahl, sie zu einer Einheit zu verbinden und fehlende Teile zu ergänzen. Die Baumethoden variierten: In bergigen Gegenden wurde Stein verbaut, in anderen gestampfter Lehm. Die Bauleute nutzten die natürlichen Gegebenheiten zu ihren Gunsten und konstruierten so eine Mauer, die sich über Höhen, Bergkämme und Schluchten windet. In regelmäßigen Abständen waren Wachtürme eingefügt, die es den Verteidigern erlaubten, herannahende Gefahren zu erkennen.

Die offizielle Länge der Großen Mauer, einschließlich aller Hauptwege und Abzweigungen, beträgt 21 196,18 km. Das Foto zeigt den restaurierten Abschnitt in Jinshanling.

Die Große Mauer war nicht nur ein Schutz gegen Angreifer, sie markierte auch die Ausdehnung des Reiches und seiner Kultur und damit der Nation. Von der ersten Mauer ist so gut wie nichts erhalten – was wir heute sehen, ist zumeist später wiederaufgebaut worden.

ZWEI SCHWÄCHEN, ZU EINER STÄRKE VEREINT

DER BOGEN

IM KONTEXT

THEMA

Große Bauten abstützen

FRÜHER

2. Jt. v. Chr. In Mesopotamien entstehen gewölbte Tempel und Eingangstore.

um 1850 v. Chr. Die bronzezeitlichen Kanaaniter (Israel) bauen gewölbte Stadttore.

4. Jh. v. Chr. Die Griechen auf Rhodos nutzen für den Bau einer Bogenbrücke Keilsteine.

SPÄTER

3./6. Jh. n. Chr. Der aus gebrannten Ziegeln errichtete Torbogen Taq Kasra im Palast der sassanidischen Könige im mesopotamischen Ktesiphon blieb lange der größte Bogen.

715 Bau der Omaijaden-Moschee in Damaskus (Syrien). Arkaden (Bogenreihen) werden ein Kennzeichen islamischer Architektur.

Römische Ingenieure waren die Ersten, die den echten Bogen aus Stein nutzten, um große Bauten abzustützen und weite Räume zu überspannen. Ein echter Bogen wird aus Keilsteinen gebildet, mit einem Schlussstein oben in der Mitte, der die Konstruktion stabilisiert. Die Römer erkannten das Potenzial des Bogens und waren so in der Lage, komplexere und anspruchsvollere Bauwerke zu errichten als all ihre Vorgänger.

Bereits seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. war der Kragbogen bekannt. Dafür schichtete man nach innen vorkragende Steinblöcke aufeinander, bis sie oben zusammentrafen. Einige wenige echte Bögen, die stabiler und haltbarer waren, kennt man von Tempeln aus Lehmziegeln und Häusern von Wohlhabenden in Mesopotamien (Irak) und ägyptischen Getreidespeichern. Die alten Griechen kannten Bögen, aber ihre Architektur verließ sich zumeist auf Konstruktionen aus Stütze und Sturz, also Pfeiler oder Säulen, die einen aufliegenden Sturz oder Balken trugen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, nutzten sie den Bogen nur in unterirdischen Konstruktionen wie Abwasserkanälen.

Die Porta all’Arco, ein etruskischer Steinbogen in Volterra. Die Keilsteine bestehen aus lokalem Kalkstein, verwitterte Köpfe aus Basalt stellen wohl etruskische oder römische Gottheiten dar.

Das etruskische Tor

Vermutlich lernten die Römer die Konstruktion des Bogens von den Etruskern, die seit etwa 900 v. Chr. im Gebiet des westlichen Italien siedelten und im 1. Jahrhundert v. Chr. ins Römische Reich integriert wurden. Die Porta all’Arco (»Bogentor«) im toskanischen Volterra ist ein etruskisches Eingangstor aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. und ein echter Bogen. Ziemlich sicher beeinflusste er die Römer, die das Tor im 1. Jahrhundert v. Chr. teilweise umgestalteten.

Der Triumphbogen

Einige der eindrucksvollsten römischen Bögen sind die Monumente, die zu Ehren siegreicher Generäle im Krieg errichtet wurden. Solche Bögen waren von beeindruckender Größe und standen auf wichtigen Straßen. Sie waren von einem Aufbau bekrönt, der attica, auf der Skulpturen standen. In den ersten Triumphbögen war die Person, die damit geehrt wurde, auf der attica in einer Quadriga dargestellt, einem von vier Pferden gezogenen Wagen. Spätere Bögen zeigen meist den jeweils herrschenden Kaiser.

Rom erhielt seinen ersten Triumphbogen 196 v. Chr., in Auftrag gegeben von Lucius Stertinius, dem aus Hispania Ulterior (Südspanien) zurückkehrenden Prokonsul. Im 4. Jahrhundert n. Chr. gab es 36 solcher Monumente in der Stadt. Der größte von allen war der Konstantinsbogen, vor dem Kolosseum am Ende der Via Triumphalis auf dem Weg zum Forum, im Jahr 315 dem Kaiser gewidmet. Den weiten mittleren Bogen flankieren zwei kleinere, schmalere. Die Konstruktion besteht aus Gussmörtel, einer Art Beton, mit Ziegeln verkleidet und mit Steinreliefs und Skulpturen verziert. Der Konstantinsbogen diente als Vorbild für spätere Bauten wie Marble Arch in London (1833), den Arc de Triomphe in Paris (1836) und das Theodore Roosevelt Memorial (1936). Es bildet den Haupteingang des Museum of Natural History in New York.

»Ferner ist es so einzurichten, dass Bogensprengungen mit dem Keilschnitt ihrer Steine … die Last der Wände erleichtern.«

Vitruv

römischer Architekt und Ingenieur (1. Jh. v. Chr.)

»Das Monument [der Pont du Gard] … erhebt sich majestätisch mitten in der tiefsten Einsamkeit. Die Seele wird in ein tiefes und lang anhaltendes Erstaunen versetzt.«

Stendhal

französischer Schriftsteller (1783–1842)

Brückenbau

Der Brückenbau spielte eine Schlüsselrolle bei den römischen Siegen und der Ausdehnung des Imperiums. Die Truppen waren sehr beweglich und in den eroberten Gebieten schufen die Ingenieure die erforderliche Infrastruktur, um Flüsse und Täler zu überqueren.

Die erste römische Bogenbrücke aus Stein datiert aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. Die älteste noch bestehende ist der Pons Fabricius in Rom, 62 v. Chr. über den Tiber gebaut und bis heute in Gebrauch. Die Wölbung dieser frühen Bögen beschreibt einen perfekten Halbkreis. Spätere römische Steinbrücken ruhten auf halbkreisförmigen Bögen, getragen von Pfeilern, oder auf Segmentbögen mit einer Krümmung von weniger als 180 Grad.

Römische Ingenieure erkannten als Erste, dass sich durch die Reihung von Stützbögen große Distanzen überbrücken ließen. Die Trajansbrücke über die Donau, erbaut 105 n. Chr. im heutigen Rumänien und Serbien, ist 1135 m lang. Entworfen hat sie der Baumeister Apollodoros von Damaskus. Sie war für die folgenden 1000 Jahre die längste Brücke der Welt, wurde jedoch im 3. Jahrhundert zerstört, um eine Invasion der Barbaren zu verhindern. Die Brücke bei Alcántara in Spanien, dem römischen Kaiser Trajan gewidmet, ist 194 m lang und bis heute in Gebrauch. Sechs weite Bögen überspannen den Fluss Tajo und tragen etwa 48 m über dem Fluss eine Straße.

Wasserleitungen

Die Römer bauten auch lange, von Bögen gestützte Wasserleitungen, die Aquädukte. Sie übertrafen als technische Meisterleistungen noch die Brücken. Der Pont du Gard in der Provence (Frankreich) etwa mit seinen drei Ebenen, um 60 n. Chr. errichtet, um Nîmes mit Wasser zu versorgen, ist etwa 48 m hoch und damit der höchste römische Aquädukt. Er ist das Herzstück einer Wasserleitung von 50 km Länge. Ebenfalls im 1. Jahrhundert n. Chr. entstand der kleinere Aquädukt in Segovia (Spanien), der immer noch genutzt wird. Er besteht aus zwei Bogenreihen, die in einer Art Gusstechnik errichtet wurden.

Ein Bogen kann schwere Bauteile stützen, weil er die Last von oben über die bogenförmig gesetzten Keilsteine in den Boden ableitet. Neben dem Druck, der nach unten wirkt, erzeugt die Last auch Schub, der seitlich und diagonal wirkt und von dem umgebenden Mauerwerk aufgenommen wird.

Die Arkaden waren ursprünglich mit heimischem Marmor verkleidet. Im Lauf der Jahrhunderte wurde er abgenommen und zu Kalk gebrannt.

Amphitheater

Das Kolosseum in Rom ist das größte Amphitheater, das die Römer gebaut haben. Die Fassade ist in vier Zonen unterteilt, die drei unteren weisen Arkaden auf. Die Form leitet sich vom griechischen Theater her. Im Unterschied zu diesem, dem die Lage in einem Hügel zusätzliche Stabilität verlieh, ist das Kolosseum ein freistehendes elliptisches Bauwerk. Seine kraftvollen, eleganten Bögen tragen die aus Ziegeln gemauerten Sitzreihen im Inneren.

Nach acht Jahren Bauzeit wurde es in der kurzen Regierungszeit von Kaiser Titus im Jahr 80 n. Chr. vollendet. Die Grundfläche des Bauwerks beträgt etwa 24 000 m2 und ursprünglich war es 48 m hoch. Die drei unteren Zonen der Fassade weisen jeweils 80 Arkaden auf, die oberste ist eine Mauer aus römischem Travertin. Die Arkaden werden durch Halbsäulen gegliedert. Die unterste Säulenreihe zeigt die dorischer Ordnung, die mittlere die ionische und die dritte die dekorativere korinthische – die Reihenfolge spiegelt die Hierarchie der Stile wider, wie sie in der Antike üblich war. Aber nicht die Säulen übernehmen hier die tragende Funktion, sondern die Arkadenreihen.

Massenveranstaltungen

In der unteren Zone des Kolosseums trägt jeder der 80 Bögen eine eingemeißelte römische Ziffer. Wie bei Theatern heute hatten die Zuschauer ein nummeriertes Ticket und betraten das Kolosseum durch den entsprechenden Eingangsbogen. Von dort gelangte man in die Korridore, die die Arena umliefen. Über diese Innengänge tragen weitere Gewölbekonstruktionen das Gewicht der Zuschauer und der Sitzreihen. Der gesamte Bau war so konstruiert, dass er schnell gefüllt und geräumt werden konnte und die Zuschauer von ihren Sitzplätzen aus einen ungestörten Blick auf das Spektakel des Tages hatten – Gladiatorenkämpfe oder simulierte Seeschlachten.

Zu den besten Zeiten fasste das Kolosseum etwa 55 000 Zuschauer, etwa so viele wie ein mittelgroßes modernes Stadion heute.

Das Gewölbe