Bildersturm - Ulrike Mirjam Wilhelm - E-Book

Bildersturm E-Book

Ulrike Mirjam Wilhelm

0,0
6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Kunstakademie ist ein Ort, an dem das Schöne täglich neu erfunden wird. Jedenfalls nach außen hin. Unter der Oberfläche aber brodelt es: Neid, Missgunst, Lügen und Intrigen stehen auf der Tagesordnung. Als die neue Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule ihre Aufgabe übernimmt, hat sie alles andere als einen leichten Start. Am Abend ihres Dienstantritts geschieht ein Verbrechen: Der Hausmeister wird tot aufgefunden. Was steckt dahinter? Kommissarin Vera Kolditz nimmt die Ermittlungen auf – und wird selbst in private Verstrickungen hineingezogen. Wie weit darf eine Polizistin gehen? Ein Roman, der ein lebendiges Bild der Kunstszene zeichnet, wie die Autorin sie selbst erlebt hat.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 366

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ulrike Mirjam Wilhelm

Bildersturm

Roman

1. Teil

1

Etwas lag in der Luft. Der feierliche Anlass, ein hanseatisches Ereignis – die Spannung im großen Saal der Hamburger Kunsthochschule war fast zu greifen. Vielleicht, sollte Max später denken, war es eine Vorahnung gewesen. Die elektrisierte Atmosphäre, bevor sich das Gewitter entlädt.

Die gespannte Atmosphäre in der dichtbesetzten Aula rührte nicht allein daher, dass die in Reihen aufgestellten Klappstühle für die Gäste nicht ausreichten und viele der Honoratioren entlang der Wände stehen mussten. Es lag auch nicht an den unbarmherzigen Scheinwerfern, die das Podium in gleißendes Licht tauchten.

Die Energie im Raum schien konzentriert auf eine zierliche Frau, die sich jetzt von ihrem Platz erhob. Mit kurzen, energischen Schritten ging sie an Fernsehkameras, Pressefotografen und Tonleuten vorbei zum Rednerpult.

Sie zog das Mikrofon zu sich heran, hielt jedoch den Kopf einen Moment gesenkt, als höre sie in sich hinein. Sie schien zu warten, bis Stimmengewirr und Stühlerücken verklangen, bis Professoren und Studenten, Politiker und Medienleute ihre Aufmerksamkeit völlig auf sie konzentrieren würden, auf Katharina Diehl, die nach langen Monaten der Grabenkämpfe und Intrigen in diesen Minuten endlich offiziell ihr Amt als Präsidentin der Hochschule für bildende Künste antreten würde.

»Liebe Frauen, meine Herren!«

Mit kalkulierter Langsamkeit hob sie den Kopf mit den schwarzen, wie gelackt glänzenden Locken. Die Art, wie sie in das grelle Licht starrte, wirkte auf Max selbstbewusst, fast aggressiv.

»Ich bin keine Künstlerin und habe nicht Kunstgeschichte studiert. Trotzdem sind Sie bereit, mir zuzuhören. Denn ich soll nun das verwalten, was die Gesellschaft Kunst nennt.«

Max blickte zu Ava, die aufrecht im Stuhl saß und mit beiden Händen die Armlehnen umklammerte. Für einen Moment überließ er sich dem Duft ungewisser Versprechungen, den ihre Haut verströmte. Als sie seinen Blick bemerkte, konnte er ihre Missbilligung fast körperlich spüren. Er räusperte sich entschuldigend und versuchte, sich wieder auf die Rednerin zu konzentrieren.

Max wusste nicht viel mehr über Katharina Diehl, als dass ihr Name durchs Nachrichtenloch der vergangenen Sommermonate gegeistert war: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik sollte eine Frau zur Präsidentin einer Hochschule ernannt werden. Doch sowohl Professoren als auch Kunstkenner bezweifelten, dass die Karrierepolitikerin und studierte Psychologin den Anforderungen genügen konnte. Auch für Max war nicht ganz klar, warum sie das hohe Amt erhalten hatte.

Zerstreut wischte er einen Fussel von seinem Jackett, als die Rednerin etwas theatralisch ihre Stimme hob. Er fühlte sich ertappt und schaute hoch.

»Seit Heinrich Heine dürfte bekannt sein, was für ein Verhältnis Hamburg zur Kunst hat. Die Pfeffersäcke haben sich doch noch nie für die Kunst interessiert –«, sie genoss sichtlich das leise Raunen der Empörung im Saal, »höchstens als Kapitalanlage!«

Noch bevor die Honoratioren auf die provozierenden Worte mit einem Murren reagieren konnten, öffnete sich die Flügeltür zum Foyer. Ein kleiner, grauhaariger Mann trat ein und steuerte auf einen Platz in der ersten Reihe zu. Das musste Professor Dr. Kahnweiler sein, der ehemalige Präsident, schloss Max aus der Tatsache, dass im überfüllten Auditorium ein so prominenter Platz für ihn freigehalten worden war. Katharina Diehl ließ sich jedoch nicht irritieren.

»Hamburg muss begreifen, dass die Kunsthochschule ein Ort der Innovationen ist, eine Spielwiese der Kreativen.«

Leichter Applaus. Max bemerkte, dass Ava als Einzige in den ersten Reihen, die für die Lehrkräfte reserviert waren, applaudierte. Ein Mann mit Hornbrille und Trenchcoat wandte ihr den Kopf zu, ein eiskalter Blick. Max wurde es unbehaglich zumute, er schaute nach oben und betrachtete die Malereien an der Decke.

»Auch nicht neu!«, rief ein älterer Mann mit Häkelmützchen und Flickenpullover, der auf Max wie das Klischeebild eines Künstlers wirkte. Ein Junge mit buntgefärbten Haaren nutzte die Gelegenheit, um ein Transparent aufzurollen:

»Mrs. President, go home.«

Max, gelangweilt von den plump anarchischen Störversuchen, riskierte einen Seitenblick zu Ava hinüber. Ihr war an zusehen, dass sie sich Sorgen machte: Würde der Vortrag im Tumult untergehen? Aber die neue Präsidentin tat ihren Kritikern nicht den Gefallen, sich provozieren zu lassen. Im Gegenteil. Mit noch leiserer Stimme fuhr sie fort.

»Der Senat hat kein Geld. Drastische Sparmaßnahmen werden auch dieses Haus nicht verschonen. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, muss man in der Stadt über die Schule reden!«

Ava lehnte sich vor, um zu klatschen. Zunächst hatte es den Anschein, als würde sie allein damit bleiben, dann fielen, erst zögernd, und schließlich immer lauter, auch andere ein. Ihr kleiner Erfolg, sie wandte sich zu Max und lächelte. Ein schwacher Glanz, jedoch genug, um ihn zu versöhnen: Ava war der Grund, warum er hier saß. Und sich den ersten freien Abend seit Wochen mit einer Rede verdarb. Dabei hatte er sich noch gestern Abend geschworen, nicht mitzukommen. All der Small-Talk, die feinsinnigen Lügen und Intrigengespinste waren ihm ein Gräuel. Aber dann hatte Ava diesen verzweifelt-schmollenden Blick aufgesetzt:

»Bitte, Max. Tu mir den Gefallen. Ich brauche deine Unterstützung. Du hast keine Vorstellung, wie gemein die Leute an unserer Hochschule sind.«

Jetzt begann Max zu ahnen, was sie damit gemeint hatte.

Er gähnte. Und streckte die Beine aus. Zwei Wochen Urlaub lagen vor ihm wie ein fremder Kontinent, den es zu erobern galt. In den letzten Wochen und Monaten war kaum einmal Zeit zum Luftholen gewesen. Ein langer, verregneter Sommer, der manche Menschen trübsinnig, andere gereizt und gefährlich machte. Ein arbeitsreicher Sommer für Polizeibeamte, besonders bei der Mordkommission.

Vorn am Pult hob Katharina Diehl energisch die Stimme. »Ich hoffe auf eine Hochschule, die Widersprüche fruchtbar hält. Ich hoffe darauf, dass wir den Geist der Revolte wiederbeleben. Und so einen Ort der Aufmerksamkeit schaffen. Ich hoffe …«

Sie verstummte und blickte zur Tür, die aufflog und gegen die Wand schlug. Ein weißhaariger Mann im Drillichanzug war eingetreten. Er starrte die Präsidentin an, sie hielt dem Blick stand. Ein Duell, bei dem es keinen Sieger gab. Steif setzte sich der alte Mann in Bewegung. Erst kurz vor dem Rednerpult blieb er stehen:

»Mantala, meine Süße,wärst du ein Junge, ich hätte dich zu meiner Frau gemacht.Aber dich zu fragen,ist gleich lieb wie quälend und süß,wie Mantala, was heißt Mantala?«

Max beobachtete fasziniert das Gesicht der Präsidentin.

Eine tödliche Blässe breitete sich langsam über ihr Gesicht, in dem die dunklen Augen standen wie zwei kaltglänzende Jettperlen. Der alte Mann breitete seine Arme aus und rief noch einmal mit donnernder Stimme:

»Mantala, oh Mantala!«

Ein Hauch Parfüm, Max konnte Ava dicht an seinem Ohr spüren:

»Weber, unser Hausmeister. Er trinkt.«

Der Mann mit dem Trenchcoat stand auf; Präsident a. D. Kahnweiler tat es ihm gleich. Wie auf ein geheim verabredetes Zeichen traten sie beide nach vorn. Die Männer fassten den alten Mann unter und führten ihn hinaus.

Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, war es in der Aula totenstill. Ein kurzer Moment der Unschlüssigkeit, dann zog Katharina Diehl das Mikrofon wieder zu sich heran. Ihr Lächeln ließ kleine Zähne aufblitzen.

»Da sehen Sie mal live, was kreatives Chaos bedeuten kann.«

Leises Gelächter, leiser Applaus. Aber Max lachte und klatschte nicht. Er glaubte, einen kalten Luftzug am Arm gespürt zu haben.

2

Eine halbe Stunde später schlenderten Max und Ava am Alsterufer entlang. Ein Mann joggte in der Dämmerung vorbei, blieb stehen und pfiff nach seinem Hund. Avas Gesicht wirkte im Gegenlicht kantig, fast scharf. Max vermutete, dass sie über die Schule nachdachte. Sie hatte ein Talent zum Grübeln.

Er legte den Kopf in den Nacken, um in den Abendhimmel zu blicken: ganz hoch, ganz hell, fast gläsern. Ein nördlicher Himmel.

»Hamburg.« Ava klang melancholisch. »Vermutlich komme ich nie von hier los.«

Jenseits der Alster illuminierten Strahler das »Atlantic«; die letzten Jollen steuerten mit schlaffen Segeln auf die Bootsverleihe zu. Max sagte nichts zu ihrer Bemerkung. Immer wieder war sie in den letzten Jahren zurückgekehrt, zurück nach Hamburg, aber auch zu ihm: nichts hatte sie durchgehalten. Nicht die anfangs so leidenschaftlichen Lieben im Süden; nicht die Begeisterung für die Stelle in einem Berliner Verlag; und nicht den Versuch, sich in Paris als Grafikerin niederzulassen. Wie lange würde sie es an der Kunsthochschule aushalten, mit ihrem Lehrauftrag?

Etwas verloren schaute sie jetzt übers Wasser. »Diese Szene, vorhin. Ich kann mir keinen Reim drauf machen. Warum hat der Hausmeister dieses seltsame Gedicht vorgetragen? Hast du das Gesicht der Präsidentin gesehen?« Sie drehte den Kopf zu ihm, blickte ihn aus geweiteten Pupillen an.

Wie bei einer Katze, dachte Max. »Vielleicht solltest du das alles nicht überbewerten«, erwiderte er beschwichtigend.

Als sie mit den Schultern zuckte, sah er auf ihrer Stirn eine Querfalte, die er nicht kannte. Dann hatten sie »Bollnows Bootssteg« erreicht. Vor dem Eingang trat er einen Schritt beiseite, damit sie vor ihm hergehen musste. Von hinten musterte er ihre langen, braunen Beine. Ein flatterndes Seidenkleid umspielte ihre Schenkel, das an ihr nach Haute Couture aussah. Max war sich darüber im Klaren, dass sie ihm auch in einem Jutesack gefallen würde. Ihm erschien sie wie eine Südseeschönheit aus einem Gemälde von Paul Gauguin.

*

Sie bestellten Wein und redeten, doch je länger der Abend dauerte, desto unwohler fühlte sich Max. Er versuchte, sich abzulenken, indem er ein Haus aus Bierdeckeln baute. Ava trank ungewöhnlich schnell. Als die Sonne versunken war und der Wirt die Schiffslaternen angezündet hatte, begann ihr Blick zu verschwimmen. Dabei hatte er sie in all den Jahren bisher nicht einmal betrunken gesehen. Er studierte ihr vertrautes Gesicht, das heute Abend eine Spur von Fremdheit angenommen hatte, mit dunklen Monden unter den Augen, den scharfen Kerben um ihren Mund.

Die sonst so zurückhaltende Ava lachte zu laut, um dann wieder auf irritierende Weise zu schweigen. Und immer wieder glitt ihr Blick von ihm ab. Dann starrte sie übers nächtliche Wasser.

»Du machst dir Sorgen.«

»Diese Szene geht mir nicht aus dem Kopf. Es ist kein gutes Omen, nein, nein. Weißt du, ich brauche die Präsidentin. Ohne Katharina wird meine Stelle nie in eine Professur umgewandelt. Und ich brauche den Job, Max. Du kennst meine Familie.«

Natürlich musste sie ihm nicht sagen, wie deprimiert sie allein der Gedanke ans elterliche Seedorf machte. Er sah sie vor sich. Diesen dickfelligen Onkel. Tante Amalie mit ihrem Hochmut. Und Avas Mutter, die in einer Welt aus Wodka lebte. Für Ava war die Kunst geblieben.

»Was ist mit deinen Kollegen? Was halten die von der Präsidentin?«

»Ach, die Professoren haben sich eingerichtet in der Krise. Sind besorgt, dass die Präsidentin ihnen jetzt Ärger macht. Und geben den Druck nach unten weiter. Das heißt«, sie lächelte bitter, »an mich.«

»Und die Studenten?«

»Die kommen und gehen, wann sie wollen. Jetzt möchten sie auf einmal nicht mehr drucken lernen.« Sie blickte kurz auf. »Weißt du, irgendwo haben sie sogar recht. Es macht keinen Sinn, an einer Druckerpresse zu lernen, die aus der Steinzeit stammt. Inzwischen gibt es Computer – und wir pflegen unsere Holzbuchstaben.«

Er drehte nachdenklich sein Bierglas. »Kannst du nicht einen Sponsor suchen?«

»Freie Wirtschaft? Unter freien Künstlern? Weißt du, was meine Kollegin Claudia sagt? Holzbuchstaben könnten die Handwerklichkeit schützen. Die weiß, warum sie das sagt. Für die alten Herren: Wenn alles bleibt, wie es immer war, braucht sich keiner alt und überholt zu fühlen.«

»Claudia? Muss ich sie kennen?«

Sie nahm einen hastigen Schluck Wein. »Claudia will meine Stelle!«

Erneut griff sie nach ihrem Glas, und er legte seine Hand auf die ihre. Er schob ihr seine Kaffeetasse zu. Sie nippte mit geschlossenen Augen an dem Kaffee und er fühlte, dass ihre Hand kaum merklich zitterte.

»Der alte Präsident hat sie vorgeschlagen.« Sie hielt inne und runzelte die Stirn. »Kahnweiler! Möglich, dass er die Szene eben inszeniert hat. Soweit ich weiß, ist er mit dem Hausmeister immer gut klargekommen. Vielleicht hat der ihm zuliebe den Auftritt gemacht. Kahnweiler hat garantiert gehofft, dass die Antrittsrede der Präsidentin im Skandal endet.«

Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, ihr Seidenkleid schimmerte glatt und kalt: »Ich habe Angst, Max. Die ganze Zeit muss ich auf jeden Schritt achten, darf keinen Fehler machen. Und dann ist da noch Annabella Stein. Die stimmt im Fachbereichsrat garantiert gegen mich.« Ava vergrub ihr Gesicht in den Händen.

Er kämpfte den Impuls nieder, um den Tisch zu gehen, sie an sich zu ziehen und in seine Arme zu schließen.

Da sprang sie plötzlich auf. »Max! Die Papiere! Ich hab die Papiere am Kopierer vergessen!«

»Papiere?« – »Die Papiere von Katharina Diehl. Unterlagen, die sie mir anvertraut hat. Ich Idiotin! Mach schnell, Max, wir müssen zur Schule!«

3

Die Nacht war still in der Hochschule für bildende Künste. Annabella Stein stieß die Tür zu ihrem Atelier auf. Neonröhren tauchten den Raum in ein kaltes Licht. Die blinden Augen der zahllosen Videomonitore waren mit weißen Laken verhängt. Auf dem Parkett lag, hingeweht wie ein vergessenes Wäschestück von einer Leine, ein Stück Papier. Annabella hob es auf und ging damit zu einem der großen Fenster.

Sie musste nicht lesen, um zu wissen, was auf dem Papier stehen würde. Sie drückte die Nase ans Fenster. Ein Auto kam näher, zwei Lichtpunkte in der Dunkelheit. Annabella war wütend. Sie fasste einen Entschluss: einmal musste Schluss sein. Einmal musste der verrückte Junge aufhören, sie mit seiner blindwütigen Liebe zu verfolgen.

Annabella zerknüllte den Zettel, zielte damit nach dem Papierkorb und traf. Bingo. Sie hörte das Echo ihrer eigenen Schritte in dem großen, leeren Raum. Im Vorübergehen strich sie mit der Hand beiläufig über einen der Monitore. Nur noch ein paar Tage bis zur Eröffnung ihrer Ausstellung im Kunstverein. Und bei Sekt und Petits Fours würde ganz Hamburg über die Enthüllungen staunen, die sie so lange und so sorgfältig vorbereitet hatte. Ihr Name würde in aller Munde sein.

Beim Gedanken daran kribbelte es wohlig in ihrem Magen. Dasselbe Gefühl wie damals im Eisenberger Schwimmbad, als sie allein und nur vom Himmel umfangen auf dem Zehn-Meter-Brett gestanden hatte. Ein Gefühl der Angst und Allmacht, als sich die Blicke aller Badenden auf sie geheftet hatten. Damals war sie gesprungen. Und bald würde sie es wieder tun.

Sorgfältig schloss sie die Tür von außen ab, blickte sich noch einmal um und ging in Richtung Treppenhaus. Vermutlich würde Fabian in dem kleinen Raum zwei Etagen tiefer sitzen. Und zeichnen. Nur in dieser Sprache konnte er sich ausdrücken. Mit zarten, kraftvollen, aber auch gewaltsamen Strichen.

Die Tür zu seinem Atelier stand offen, doch es war dunkel. Ein Gemurmel war vom Fotokopierer am Treppenabsatz zu hören. Das Echo drang durch den breiten Schacht des Treppenhauses bis zu ihr herauf. Annabella wusste nach zehn Semestern Studium, dass die Schule um diese Zeit immer wie ausgestorben war. Die Kunststudenten drückten sich jetzt in Kneipen herum. Annabella hatte nichts für sie übrig, nicht einmal Verachtung.

Sie hatte das hohe Treppenhaus mit seinen geschwungenen Geländern erreicht. Das Gemurmel, das sie eben noch zu hören geglaubt hatte, war verstummt. Von unten war das an- und abschwellende Sirren des Fotokopierers zu vernehmen.

Sie fand ihn über das Gerät gebeugt. Er musste ihre Anwesenheit gespürt haben. Mit einer hastigen Bewegung raffte er seine Papiere zusammen, als hätte sie ihn bei etwas ertappt. Er zog die Karte aus dem Schlitz. Wie es ihm gelang, immer wieder in den Besitz der so überaus begehrten Kopierkarten zu gelangen, war ihr ein Rätsel.

»Ich habe Stimmen gehört. Hast du dich unterhalten?«

Er presste die Aktentasche vor seinen Bauch. Ein Zucken um seinen Mund, er blinzelte. Hätte sie nicht gewusst, wie verrückt er nach ihr war, dann hätten ihr seine Grimassen vielleicht Angst eingejagt.

»Hast du meinen Brief gekriegt?« Seine Stimme klang einen Tick zu hoch.

»Bitte lass mich in Ruhe, Fabian. Ich liebe dich nicht. Hör auf damit. Ein für alle Mal.«

Seine Augen weiteten sich hinter der Brille. Es tat ihr schon wieder leid. Aber sie konnte ihm nicht aus Mitleid falsche Hoffnungen machen. Sie musste hart bleiben, auch wenn sie gerade ihn nicht gern verletzte.

»Du weißt es nur selbst noch nicht«, murmelte er, nahm die Brille mit dem notdürftig zusammengeklebten Bügel ab. Geistesabwesend polierte er die Gläser mit einem Zipfel seines Pullovers. »Du wirst es schon noch einsehen. Gib mir die Zeit.«

4

Minute um Minute verstrich. Max wurde langsam ungeduldig. Er saß in seinem Sportwagen und wartete, dass Ava endlich wieder aus dem Gebäude herauskommen würde. Der düstere Backsteinbau gefiel ihm nicht, ebenso wenig wie der Gedanke, dass sie ganz allein dort drin war. Aber sie hatte darauf bestanden. Er blickte zum leeren Beifahrersitz. Dort lag ihre Lederhandtasche, die sie von einer ihrer Reisen aus Südamerika mitgebracht hatte. Für sie ein Stück Heimat, das sie immer mit sich herumschleppte. Um sich die Zeit zu vertreiben, begann er, die Tasche zu durchsuchen, eine Gewohnheit, die er vor Jahren angenommen hatte. Er fand immer dasselbe darin: Parfümproben, Silbergeld, alte Kassenzettel, Visitenkarten. Dazwischen steckte ein ramponierter Briefumschlag. Seit wie vielen Wochen schleppte sie ihn mit sich herum? Und warum war er nicht geöffnet? Eine männliche Handschrift, kein Absender darauf. Es juckte Max in den Fingern, den Umschlag aufzureißen. Schnell stopfte er ihn wieder in die Tasche.

Er griff ins Handschuhfach, suchte eine Kassette heraus. »Bobby Brown«, er drehte am Lautstärkeregler, »the cutest boy in town.« Die Bässe wummerten los, konnten die Fragen in seinem Kopf aber nicht übertönen: Von wem stammte der Brief? Max hatte sich schon oft gefragt, ob Avas offenherziges Geplapper nicht eine besonders raffinierte Methode war, die wirklich wichtigen Dinge zu verschweigen. Frank Zappa verstummte, Max spulte die Kassette zurück und hörte den Song noch einmal.

Dann endlich sah er das Portal sich öffnen. Er freute sich schon auf ein Glas Portwein am offenen Kamin. Doch als Ava die Treppen herunterkam und ins Licht der Straßenlaternen trat, konnte Max erkennen, dass sie keine Papiere bei sich trug. Sie hielt ihre Arme merkwürdig um den Oberkörper geschlungen, ihre Schultern zuckten. Max stieß die Tür auf, lief auf sie zu.

»Max!«

Sie legte den Kopf an seine Schulter, und als sie zu weinen begann, schloss er sie in seine Arme. Für eine kleine Ewigkeit war es ihm möglich, die ganze Dunkelheit zu vergessen, die sie beide umgab. Dann, als sie sich etwas beruhigt hatte, zwang er sich, sie von sich fortzuschieben. Er legte ihr die Hände auf die Schultern.

»Was ist los?«

»Weber, der Hausmeister, ich glaube, er ist tot!«

5

Der alte Mann lag in der Aula, dem Ort seines letzten Auftritts. Inzwischen waren die Stühle gestapelt, das Rednerpult war fortgerückt. Nur die Lampen brannten noch. Der alte Mann hatte einen blinden Fleck im Glanz des Abends hinterlassen. Und jetzt war er tot.

Sein Genick war unnatürlich verrenkt, der Mund in einem Ausdruck des Staunens geöffnet. Die linke Hand griff in einer unnatürlichen Krümmung ins Nichts. Max machte einen Schritt über die lange Leiter, die neben dem Toten lag. Er trat näher, wobei er sorgfältig darauf achtete, nichts zu berühren. Neben der Leiche kniete er nieder und spürte, dass der Körper noch warm war.

Der Mann war erst vor Kurzem gestorben, doch zweifelsfrei tot. Max stützte das Kinn in beiden Händen ab. Jemand musste die Augen des Toten zugedrückt haben. Noch mehr verwunderte ihn die Szenerie ringsum. Ein Stück blaue Plastikfolie, drei Papierschiffchen, die im Parkett schwammen, fünf volle Fläschchen billigen Wermuts. Die Brust des toten Mannes war mit einem zum Fächer gefalteten Blatt Papier bedeckt. Ein Stillleben, dachte Max, ein Abschiedsgruß des Mörders.

»Ein trauriger Anblick, finden Sie nicht auch? Man muss daran denken, dass man selbst sterblich ist.«

Max fuhr herum. Er hatte die Frau nicht bemerkt. Schneewittchen, dachte er: blasse Haut, dunkles Haar. Ein Nadelstreifenanzug, unter dem sich eine mädchenhafte Gestalt abzeichnete.

»Wir sollten die Polizei holen.«

»Ich bin die Polizei.« Max stand abrupt auf und wischte sich die Hände an den Seiten seiner Jeans ab. Es gab Kollegen, die nach dem Berühren von Toten an Waschzwang litten, die ständig duschten, ohne sich sauber zu fühlen.

»Ich brauche ein Telefon.«

Jetzt verwünschte er sich, dass er privat niemals ein Handy bei sich trug.

»Wir müssen zur Mensa, da sind die Telefonzellen: Eine Verbindung über die Zentrale gibt es jetzt nicht mehr.«

Er folgte ihr, zurück ins Foyer, wo die Treppe zur Mensa hinunterführte, als ihr Schritt sich auf einmal verlangsamte. Sie blickte ihn von der Seite an.

»Sie haben mir keinen Ausweis gezeigt.«

Max unterdrückte einen Fluch, zeigte ihr aber seine Dienstmarke.

»Ich heiße Annabella.« Ihre Stimme klang sanft.

*

Die Telefonzelle war innen über und über mit Graffiti beschmiert. Max starrte auf eine grellrote Schlange, während er dem Diensthabenden im Polizeipräsidium die Situation erklärte.

»An der Kunsthochschule!«, schnaubte der Mann. »Li-La-Lerchenfeld. Moment mal. Bleiben Sie dran. Sekunde.«

Durch die Sprechanlage hörte Max, dass der Blick in den Dienstplan von weiteren Flüchen begleitet war. Dann war der Beamte wieder da, schnarrte, dass er Roeder schicken werde. Und knallte den Hörer auf.

Natürlich musste er Max nicht erklären, was von ihm erwartet wurde: Er musste bis zum Eintreffen der nächsten Funkstreife den Tatort zumindest provisorisch sichern und mögliche Zeugen festhalten. Seine Hand mit dem Hörer verharrte noch eine Sekunde in der Luft. Was tat er hier? Er sollte zu Hause am Kamin sitzen, ein Glas Port in der Hand. Zusammen mit Ava.

Ava! Sie wartete noch immer draußen im Wagen. Er hängte ein und stolperte in das trübe Licht im Vorraum der Kantine. Da berührte eine Hand seinen Arm.

»Was machen wir jetzt?«

Die Hand gehörte der jungen Frau. Max spürte, wie der Ärger in ihm hochstieg. »Ich – mache hier meinen Job!«

»Nur durchs Hauptportal kommt man jetzt noch raus«, sagte sie leise. »Sonst ist überall abgeschlossen. Und die unteren Fenster sind alle vergittert.«

Als sie merkte, dass er sie diesmal nicht unterbrechen würde, fuhr sie mit festerer Stimme fort. »Bis zehn Uhr ist Weber, ich meine, war er immer im Haus. Nach zehn Uhr kommt man nur mit Nachtarbeitserlaubnis rein. Wenn man einen Schlüssel hat. Aber den haben nur die Professoren. Und die Lieblingsstudenten. Wie ich.«

Max dachte darüber nach, dass die Hochschule für ihn wie Feindesland war. Ateliers, Werkstätten. Büros, Gänge, die sich über vier Stockwerke verteilten. Und in denen sich möglicherweise noch Zeugen befanden. »Ich brauche Ihre Hilfe«, sagte er.

Sie überholte ihn auf der Treppe, ging, immer zwei Stufen nehmend, voraus.

»Lässt sich die Tür zur Aula abschließen?«

»Könnte sein, dass der Generalschlüssel passt.«

Zurück im Foyer schalteten sie die gesamte Deckenbeleuchtung an, als könnten sie damit die Gegenwart des Todes überstrahlen. Eine Illumination, die dem Raum mit seiner Empore und den hohen Buntglasfenstern etwas Festliches verlieh. Auch etwas Falsches. Annabella ging zu der Flügeltür, die zur Aula führte.

»Passt.«

Max lauschte dem Echo seiner Stimme nach, das bis hinauf an die meterhohe Decke getragen wurde. Fern hörte man ein Martinshorn. Er machte sich auf den Weg zum Eingang.

»Die Streife ist jeden Moment hier. Ich muss nach jemandem sehen. Bleiben Sie hier und rühren Sie sich nicht von der Stelle.«

6

Annabella horchte seinen Schritten nach. Als sie leiser wurden, löste sie sich von der Wand. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. Der Gang, der ins Innere der Schule führte, erstreckte sich vor ihr wie eine Falle. Sie hastete an den Metallspinden vorbei, in denen die Studenten ihr Arbeitsmaterial aufbewahrten.

Ein dünner Lichtstreifen, das Büro der Studentenvertretung. Sie stieß die Tür auf. Das Erste, was sie sah, war Krischis rotes Haar. Der AStA-Vorsitzende beugte sich über den Schreibtisch. Vermutlich arbeitete er gerade wieder an einem Plakat gegen das Establishment. Jetzt musste er den kalten Luftzug in seinem Rücken bemerkt haben, denn er fuhr herum.

»Annabella! Du hast mich vielleicht erschreckt!«

Der Große Vorsitzende, wie sie ihn bei sich nannte, glänzte nicht gerade durch rasche Auffassungsgabe. Das hatte er nicht nur in endlosen Konzilsitzungen zur Genüge bewiesen. Drei Wochen hatte ihre Affäre gedauert. Damals, am Anfang ihres Studiums. Eine Ewigkeit her. Und doch glaubte sie, ihm etwas schuldig zu sein. Denn sie hatte ihn damals verlassen. Wegen eines anderen.

»Krischi, mach schnell!«, drängte sie. »Deine Leute müssen weg! Schaff sie raus! Los! Bring sie in mein Atelier.« Sie warf ihm den Schlüssel zu, und im Reflex griffen seine Hände in die Luft und fingen ihn auf. »Von da oben müssen sie in den Hof runter. Und dann über die Mauer weg!«

Er starrte sie an, keine Spur des Begreifens in seinem Gesicht.

»Mach schon!«, brauste sie auf. »Tu einfach, was ich dir sage.«

Er öffnete den Mund, klappte ihn wieder zu.

»Bist du übergeschnappt, oder was?«

Schon möglich, dachte Annabella, und ärgerte sich im selben Moment, dass sie für ihn und seine Ignoranz und seine Punker-Freunde, die er illegal in die Hochschule eingeschleust hatte, soviel aufs Spiel setzte.

»Polizei ist im Haus«, verkündete sie im Telegrammstil. »Weber ist tot. Von der Leiter gefallen. Vielleicht ein Unfall. Vielleicht Mord. Alle, die noch im Haus sind, werden einkassiert und verhört. Du kannst dir denken, was das für deine Freunde bedeutet.«

Sie sparte sich weitere Worte. Sie hatte ihn gewarnt. Und wusste, dass sie sich beeilen musste, um noch rechtzeitig zurück zu sein.

»Warte!«, rief Krischi. Und sie dachte: Wie immer zu spät.

7

Max kehrte mit den Streifenpolizisten und Ava ins Foyer zurück. Er fand Annabella so vor, wie er sie zurückgelassen hatte. Allerdings war sie nicht mehr so blass; in ihrem Gesicht bemerkte er eine sanfte Rötung, die sie attraktiver machte.

Der Druck auf seinen Arm verstärkte sich: Ava hatte sich fröstelnd bei ihm untergehakt; suchte nach seiner Wärme. Jetzt deutete sie mit dem Kinn nach oben, auf die Empore über dem Foyer. Dorthin, wo die Präsidentin stand. Ihr Chiffonkleid glitzerte im Licht der Strahler wie Spinnenfäden. Ihre linke Hand ruhte auf dem Geländer, den Kopf hatte sie leicht zurück in den Nacken gelegt.

Max fühlte sich bei ihrem Anblick an etwas erinnert. Die schwarzen Locken. Das spitze Lächeln. Und dieser Ausdruck in ihren Augen: Katharina Diehl glich dem Bild der Salomé von Gustav Klimt.

»Was geht hier vor?«

Die Präsidentin löste die Hand vom Geländer und kam die Treppe herab; ihr Chiffonkleid schleppte leicht über die Stufen nach. Dabei ließ sie Max nicht aus den Augen, als schien sie zu wissen, dass die Erklärung von ihm kommen würde.

»Schlechte Nachrichten«, sagte er knapp. »Ihr Hausmeister ist tot.«

Mit dem Kopf machte er eine vage Bewegung zur Aula. Und zögerte einen Moment, da er unschlüssig war, wieviel er preisgeben sollte. Eine Geste zu den Kollegen in der grünen Uniform. »Die Kollegen hier werden eine Liste aller Anwesenden erstellen. Die Leute von der Mordkommission sind unterwegs.«

Bei dem Wort »Mordkommission« zuckte sie zusammen, als hätte er sie geschlagen. Ihr Mund wurde schmal. Sie blickte von ihm zu den Streifenpolizisten und wieder zurück. Max ahnte, was ihr durch den Kopf ging: Welche Folgen würde das für ihre Publicity haben?

»Ist er da drin?«

Schweigend löste sich Max von Ava, ging zur Aula, schloss auf und hielt die Tür für seine Kollegen und die Präsidentin auf. Als sie an ihm vorbeiging, stieg ihm ein Hauch Parfüm in die Nase, so herb, dass es ihn überraschte. Er blieb stehen, gespannt darauf, ihre Reaktion zu sehen. Als sie den Toten in seiner unnatürlichen Pose auf dem Boden bemerkte, hielt sie kurz inne, steuerte dann aber mit entschlossenen Schritten auf ihn zu.

»Halt! Nicht weiter!«, befahl Max.

Sie blieb stehen. Rührte sich nicht. Ein paar lange Sekunden verharrte sie so, dann riss sie sich los von der Szenerie und kam mit ausdruckslosem Gesicht auf ihn zu.

»Es ist Adam Weber. Der Hausmeister. Wir müssen die Familie informieren – sofern er Familie hat. Sehen Sie, ich kenne das Privatleben meiner Leute noch nicht.« Ihr Blick wanderte von ihm zu Ava und zurück. »Sie wissen, dass heute mein erster offizieller Arbeitstag ist?«

»Ich war beim Vortrag.« Dann schlug er einen geschäftsmäßigen Ton an. »Vorläufig darf keiner die Schule verlassen. Wir brauchen die Personalien aller, die noch im Haus sind.« Er blickte zu seinen Kollegen in Grün. »Lässt sich das machen?«

Max wusste selbst, was das bedeutete. Ein riesiges Gebäude, unzählige Räume, Flure, Gänge. Eine terra incognita in nächtlichem Dunkel. Aber die Präsidentin nickte stumm.

»Kommen Sie mit. Am besten, wenn wir uns aufteilen. Einer kommt mit Ava von der Meyenburg und mir. Der andere mit Annabella Stein.«

8

Frantisek Bocher hörte durch den Schacht die eiligen Schritte, die hektischen Stimmen. Er hatte die Beine hochlegen müssen, auf das rote Plüschsofa, dessen Polster von Motten zerfressen waren und dessen Federn quietschten. Er fühlte sich, als wäre ein Teil seiner selbst in den letzten Stunden gestorben. Die Sturmlaterne warf ein schwaches Licht in den Verschlag, den seine Freunde und er sich vor Jahrzehnten inmitten der Speicherräume zurechtgemacht hatten. Nun lebte er schon seit mehr als zehn Jahren hier. Die Zeit würde für ihn stehenbleiben, hatte er angenommen. Ein Irrtum, wie er sich heute eingestehen musste.

Heute war ein schlimmer Tag. Einer war für immer fortgegangen. Und sie war gekommen. Frantisek wusste, was er von ihr zu halten hatte. Sie hatte noch nicht einmal Kunst studiert. Sie war eine Ignorantin. Und genau das würde sie dazu befähigen, alles durchzusetzen, was sie Modernisierung nannten und was doch nur die widerwärtige Einmischung des Staates in die Kunst war. Dann würde es nie mehr wieder solche Zeiten geben wie sie es zu dritt damals erlebt hatten. Vielleicht würde es überhaupt keine Kunst mehr geben. Das durfte nicht sein.

Nur mühsam schaffte es Frantisek, die Beine vom Sofa zu heben. Mit zitternden Händen rührte er in dem trüben schwarzen Tee, den er sich mit dem neumodischen Wasserkocher bereitet hatte, einem Geschenk des Jungen. Unsanft stieß der alte Mann gegen die Arbeitsplatte, die auf zwei Tischböcken lag. Sie wackelte. Und einmal mehr schimpfte und knurrte er über seine steifen Glieder, die ihm nicht mehr gehorchten und selbst das Malen nicht mehr erlaubten.

Während er an seinem Tee schlürfte, begann er über die Bedeutung der Stimmen zu spekulieren. Sollte das etwa wieder eine Performance sein, wie sie ihren Krawall immer nannten? Nicht, dass es ihn wirklich beunruhigt hätte, denn hier oben würde ihn ohnehin niemand finden. Frantisek, dachte er laut, du bist ein dirty old man geworden. Aber war nicht auch die Welt ziemlich dreckig? Eine Welt, die einen Künstler wie ihn so schnell vergessen hatte?

9

Max schloss die Tür hinter sich, um am Tatort auf die Kollegen von der Mordkommission zu warten. Er steckte das Taschentuch wieder ein, mit dem er die Klinke berührt hatte. Immer noch war die Aula in ein gleißendes Licht getaucht, ein falscher Glanz im Angesicht des Todes. Max machte einen weiten Bogen um die Leiche. Er ging zu einem der Fenster, lehnte sich mit dem Rücken dagegen; die Nacht hing dahinter wie ein schwerer Samtvorhang. Er verschränkte die Arme vor der Brust und ließ das mysteriöse Bild auf sich wirken. Er sah den Toten und das Stillleben, er sah, dass jemand die Augen des Toten zugedrückt haben musste. Eine behutsame Geste, die von Zuneigung oder Liebe zeugte. Hatte dieselbe Hand auch das Stillleben arrangiert? Max betrachtete die Wermutfläschchen und Schiffe, den Fächer, das blaue Band. Auf dem Papier, das die Brust des Toten bedeckte, stand ein seltsames Kunstwort: »Mandaboen«.

Das Gesicht von Adam Weber glich dem einer Wachspuppe. Zwei tiefe Falten durchpflügten das Gesicht von der Nase bis zum Mund. Max sah die Tränensäcke, das schüttere Haar, er sah die tiefen Querfalten auf der Stirn. Weber musste ein Mensch gewesen sein, der viel nachgedacht – und vielleicht auch getrunken hatte. Die Hände, von Arbeit rissig und hart geworden, mochten einmal feingliedrig gewesen sein. Fast so, als verberge sich hinter dem Toten ein anderer. Ein Mensch mit einem Geheimnis.

*

»Herzliches Beileid!?«

Eine sarkastische Männerstimme riss Max aus seinen Gedanken. Irritiert blickte er zur Tür.

»Geruhen Graf Donop zu arbeiten?«

Hauptkommissar Roeder war berüchtigt für seinen ruppigen Umgangston. Und für die Effizienz, die er sich selbst und seinen Untergebenen abverlangte. Max knöpfte seinen Kragen auf, lockerte den Sitz der Krawatte. »Bin nur zufällig hier. Seit Wochen mein erster freier Abend.«

»Frei.« Roeder grinste. »Es ist keine Stunde her, da haben sie auf der Reeperbahn zwei russischen Zuhältern den Kopf mit einer abgesägten Schrotflinte weggeschossen. Dagegen hat das hier schon fast Stil. Aber das«, er machte eine Bewegung durch den Raum, »sollte man an einer Kunsthochschule ja wohl auch erwarten.«

Max wusste, dass Roeder fast ausschließlich im Rotlichtmilieu arbeitete, womöglich, weil er eine heimliche Affinität dazu hatte. Jedenfalls machte er daraus, was er über die feine hanseatische Gesellschaft dachte, nie ein Geheimnis. Max war gespannt zu hören, was er zu dem hier zu sagen hatte.

Der Hauptkommissar stopfte die behaarten Fäuste in die Jackentasche und stapfte zur Leiche, als wäre sie ein Feind, den er nur besiegen konnte, indem er sich ihm entgegenwarf. Er betrachtete das Stillleben, ließ es auf sich wirken, schüttelte den Kopf und beugte sich über die Leiche. Er machte eine Kaugummiblase, ließ sie vor seinem Gesicht platzen.

»Ein Tod, der die Form wahrt.« Kurz wich Roeders Stirnrunzeln einem Lächeln, das seine durchdringenden, hellblauen Augen für einen Moment fast menschlich aussehen ließ. »Jetzt mal ganz von vorn. Was liegt hier an?«

So knapp wie möglich fasste Max, der wusste, dass Roeder viele Worte hasste, die Vorgänge des Abends zusammen. Schließlich nickte Roeder und brachte Max mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Gut, gut. Und jetzt – auf Wiedersehen.« Abermals blitzte in seinen Augen dieses unerwartete Leuchten auf: »Es ist ein arbeitsrechtliches Problem. Wenn du im Urlaub arbeitest, bist du nicht versichert.«

»Wenn du meinst –« Max zögerte, »also, wenn du was weißt …«

»Dann habe ich ja deine Nummer«, beendete Roeder den Satz für ihn. Damit öffnete er die Tür zum Foyer und wartete demonstrativ darauf, dass Max hinausging. Aber der blieb noch einmal stehen:

»Was ist mit Ava? Darf sie mitkommen? Eh, eine gute Freundin …«

»Haut schon ab«, knurrte Roeder. »Ich kann sie mir morgen vornehmen. Schönen Urlaub!«

*

Draußen hatten die Leute von der Spurensicherung mit Stativen und Absperrgittern ihre Arbeit begonnen. Jeden Moment würde auch die Presse kommen. Von einer Gruppe wild gestikulierender Künstler umzingelt versuchten zwei übermüdete Kollegen, die Personalien aufzunehmen. Max kannte sie aus dem Polizeipräsidium am Berliner Tor. Ein paar Worte, ein paar Erklärungen, dann ging er zu Ava, die in ein Gespräch mit der Präsidentin und einer Begleiterin vertieft war. Mit ihrem schmutzigblonden Lockenkopf und den alten Jeans wirkte die Unbekannte grau und unscheinbar zwischen den zwei charismatischen Frauen.

»Hoffentlich ist das hier bald vorbei!« Max blickte Katharina Diehl mit einem Anflug von Sympathie in die Augen, wurde aber von ihrem schwarzen, kühlen Blick abgeschmettert. »Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen«, fügte er hinzu.

»Dito«, murmelte die Präsidentin. »Dito.«

»Komm!« Er berührte Ava leicht am Arm. »Wir gehen.«

»Hat sie eine Sondergenehmigung?«, fragte die Unbekannte. Max schrieb die Reaktion der Abneigung zu, die manche Frauen gegen junge, schöne Rivalinnen hegten.

Ava überhörte die Bemerkung und bat: »Max, lass uns gehen.«

Er hatte schon den Blinker gesetzt, um in die Reeperbahn einzubiegen, als ihm klar wurde, weshalb Ava immer noch so bedrückt wirkte.

»Meine Papiere, Max. Ich hab sie nicht gefunden. Sie sind fort. Jemand muss sie fortgenommen haben.«

2. Teil

1

»Transbaltica«, konnte Max auf dem Bug des Containerschiffs erkennen. Eine Wolldecke auf seinem Schoß, saß er in der Veranda seines Blankeneser Kapitänshauses und nippte an seinem Kaffee, während seine Katze Schira die Krallen an seinen Beinen schärfte. Die Bilder der Nacht stiegen vor seinem inneren Auge auf: Mit Ava bei Bollnow, ihre Nervosität, der viele Wein. Das Warten im Auto. Der Anblick des Toten und Roeders Grinsen. Im Mund hatte er einen faden Nachgeschmack, wie nach einem Alptraum in einem stickigen Zimmer.

Ein Glück, dass es im Haus noch still war. Aus dem Jungenzimmer in der Mansarde war kein Laut zu hören. Womöglich hatten seine kleinen Neffen die sturmfreie Bude für eine Zapping-Nacht genutzt. Seit einem Jahr wohnten die Söhne seiner jüngeren Schwester bei ihm. Rafaela, die mit ihrer Hochsteckfrisur und den Fransenröcken wie ein spätes Hippiemädchen aussah, verdiente sich ihren Lebensunterhalt mit Gartenkunst und Dekoration. Wenn sie unterwegs war, passte Max auf seine Neffen auf.

Im Arbeitszimmer läutete schon wieder das Telefon. Er schubste Schira von seinem Schoß und tapste nach nebenan. Selten war ihm sein Kopf so dick, die Welt so feindlich vorgekommen. Ava und er waren schließlich in der Bahnhofskneipe versackt. Sie musste mit dem Taxi nach Hause gefahren sein. Schade eigentlich.

Dann hatte er endlich seinen Schreibtisch erreicht, eine Festung aus der Gründerzeit. Das Telefon hatte aufgehört zu läuten; dafür blinkte der Anrufbeantworter, das Display zeigte mindestens ein Dutzend Nachrichten an. Max zog die Schlaufe seines Bademantels fest, als könne sie ihn stützen. Dann drückte er auf die Play-Taste.

*

Als die Stimme von Hauptkommissar Roeder verklungen war und das Band sich zurückspulte, zog Max sich einen Stuhl heran und setzte sich. Lange starrte er auf die Elbe in ihrem trügerischen Glanz. Minuten verstrichen, bevor er es über sich brachte, im Polizeipräsidium anzurufen.

*

Roeder meldete sich kurz angebunden. Knapp berichtete er, dass Ava am Morgen vor dem Eröffnungsvortrag einen schlimmen Streit mit Weber gehabt habe. Die beiden hätten sich angebrüllt und wüste Drohungen ausgesprochen. Auch Avas verlorene Papiere seien wieder aufgetaucht. Interessanterweise in Webers Schreibtisch. Zwei Fotokopien, auf denen ihr Name stand, lagen bei der Leiche: das Kunstwort »mandaboen« war auf eine Rückseite geschrieben; aus der zweiten Kopie war der Fächer gefaltet, der die Brust des Toten bedeckte.

Roeder brauchte Max nicht zu erklären, was das zu bedeuten hatte. Ava würde verhört werden müssen. Und in die Mühle der Fragen und Verhöre, der Unterstellungen und Anfeindungen geraten.

»Du sagst, sie war allein in der Schule?«, fragte Roeder. »Wie lange?«

»Wie lange?«, fragte Max zurück.

»Du sagst, du hast im Auto auf sie gewartet. Wie lange?«

Max konnte es unschwer rekapitulieren. Zweimal Bobby Brown angehört; das Band zurückgespult; die Handtasche durchstöbert. Mindestens zehn Minuten. Als er es ausgesprochen hatte, dehnte sich das Schweigen aus.

»Sie hat den Toten gefunden«, bemerkte Roeder.

Niemand brauchte Max zu erklären, was er unterstellte – unterstellen musste. Eine alte Geschichte, die sich oft genug ereignet hatte: Der Täter selbst holt die Polizei, um den Verdacht von sich abzulenken.

»Todeszeit?«, fragte Max.

»Zwischen 22 und 23.30 Uhr, schätzt Dr. Herzog. Also genau in der fraglichen Zeit. Natürlich warten wir jetzt erst noch die Obduktion ab.«

Und das würde dauern, wie Max vorhersehen konnte. In dieser Zeit würde er Ava nicht aus den Ermittlungen heraushalten können. Es würde Fragen geben, Denunziationen, Gerüchte, und am Ende würde doch irgendein Schatten an ihr haften bleiben. Jetzt, wo über ihre Professur entschieden werden sollte, konnte so etwas alles verderben.

»Ich werde mit ihr reden«, versprach er.

*

Zehn Minuten später war er angezogen und stürmte durch die Gässchen des Blankeneser Treppenviertels den Elbhang hinauf. Er stemmte sich dem Wind entgegen, der ausnahmsweise aus Süden kam und einen Geruch nach Brackwasser und Fäulnis in die Stadt trug. Ava mochte ihre kleinen Geheimnisse haben. Aber jetzt, schwor er sich, würde sie ihm die Wahrheit sagen müssen: Was hatte sie in der Schule gemacht?

*

Als er den Aufzug des Hochhauses an der Palmaille betrat, kehrten seine Kopfschmerzen zurück. Er fühlte sich wie betäubt. Er drückte auf den Knopf, 11. Stock, und starrte auf einen Kaugummi, der in Augenhöhe an der Wand klebte. Bis zur Hafenstraße waren es von hier nur ein paar Schritte. Einem der ersten Räumungsversuche der besetzten Häuser hatte Max noch als Privatmann zugesehen. Auch aus diesem Grund hatte er nie verstanden, warum Ava hier wohnte. Was wusste er überhaupt von ihr?

Der Fahrstuhl kam zum Stehen, eine schwangere Frau in rotem Leinenkleid bugsierte zuerst eine Umhängetasche und dann sich selbst herein. Max zwang sich zu dem Lächeln, das von ihm erwartet wurde.

»Puh, die Hitze macht mir zu schaffen«, erklärte sie mit einem Ernst, der ihr Gesicht sehr jung aussehen ließ. »Und das im Oktober.«

Ein paar Belanglosigkeiten und zwei Etagen mehr, dann stieg sie wieder aus. Max hatte das Gefühl, als wäre ein Hauch von Babypuder und Glück im Fahrstuhl zurückgeblieben. Nicht schon wieder. Und nicht hier, versuchte er einen Anflug von Melancholie zu unterdrücken.

Stattdessen konzentrierte er sich darauf, wie er Ava zur Rede stellen würde. Aber mit jedem Stockwerk, das in der Leiste blinkte, kam er sich alberner vor. Als die Tür sich in der elften Etage öffnete, war er zu dem Schluss gekommen, dass ein Streit sie jetzt nicht weiterbringen würde. Ava musste ihn nicht über jedes Detail ihres Lebens informieren. Oder?

Max betrachtete das Spiegelbild, das die Aluminiumwand zurückwarf. Ein müder Mann mit blondem Haar. Sieben Schritte, und er drückte auf die Klingel. Einmal, zweimal, ihr Code. Als sich nichts rührte, drückte er sein Ohr an die Tür. Er hörte das Gurgeln der Toilettenspülung. Er wartete. Dann klingelte er erneut.

*

Weil er direkt vor der Tür stand, wäre sie fast in ihn hineingerannt. Mit dem wirren Haar, dem verquollenen Gesicht, dem Morgenrock sah sie heute nicht gerade wie die Gauguin-Schönheit aus.

»Hi! Bin noch ein bisschen derangiert.« Sie raufte sich durchs Haar, versuchte ein Lächeln, das ihm falsch erschien. »Komm doch rein.«

»Danke«, sagte er sarkastisch.

»Was ist los, Max? Bist du sauer auf mich?«

»Das wirst du gleich hören. Darf ich erstmal herein?«

Sie blickte ihn fragend an, führte ihn jedoch ohne Widerspruch in den Salon mit den naturweißen Polstermöbeln und dem Philodendron monstera. Von hier oben hatte sie einen weiten Ausblick über den Hafen und über die Elbe, die wie ein blaues Seidenband glänzte. Ein Bild, das er heute Morgen kitschig fand.

»Ich mach uns Kaffee«, murmelte Ava.

Max hörte, wie Geschirr klirrte, wie die Espressomaschine zischte, dann kehrte sie zurück und stellte zwei schokoladenbraune Tässchen auf den Tisch, die er ihr von einer Reise durch Nordafrika mitgebracht hatte.

Er beobachtete, wie sie sich setzte. Sprungbereit vorn auf der Kante, sodass sich ihre Knie berührten, eine mädchenhafte Pose, die in skurrilem Widerspruch zu ihrem Aussehen stand.

»Du bist nicht sehr offen«, sagte er kühl.

Sie blickte aus dem Fenster, in Richtung Speicherstadt, wo die Bananen- und Teppichimporteure und Kaffeeröster ihre Warenlager hatten. Aber von dort würde keine Hilfe kommen, dachte Max. Ihr Vater hatte sie nie als seine Tochter akzeptiert. Er war der einzige Sohn reicher Kolumbianer, der nicht nur Plantagen, sondern auch klare Vorstellungen über uneheliche Kinder besaß.

»Unsere Leute werden dich ganz schön in die Mangel nehmen. Du kannst dich auf einiges gefasst machen.«

Immer noch keine Reaktion. Nur dieser leidende Blick. Es war wie in einem seltsamen Film: mit leisen Gesten und kaum einer Ahnung, worum es überhaupt ging. Müsste sie nicht neugierig sein, worauf er hinauswollte? Und wenn sie es war, warum zeigte sie es nicht?

Max hob unwillkürlich die Stimme, was er noch im selben Moment bereute: »Was hast du gestern so lange in der Schule gemacht? Ich wollte nicht fragen. Jetzt hat sich die Lage verändert. Ich muss es wissen.«

Sie stellte die Kaffeetasse vorsichtig auf dem Glastisch ab.

»Ich hab die Papiere gesucht. Was willst du überhaupt von mir?«

Er schob die Hände in die Hosentaschen, ging zum Fenster und schaute auf die Landungsbrücken, die in einen goldenen Sonnenschleier gehüllt waren.

»Euer Hausmeister ist tot«, leierte er herunter, ohne den Blick von der idyllischen Kulisse abzuwenden. »Es gibt Spuren von Gewalteinwirkung und dieses seltsame Stillleben am Tatort. Zum Teil besteht es aus deinen Papieren. Um es mal brutal zu sagen: du warst am Tatort. Du hattest ein Motiv. Und die Gelegenheit. Du stehst unter Tatverdacht.«

Er wusste, dass es ein Verstoß gegen die Dienstvorschrift war, ihr diese Informationen zu geben. Doch er konnte nicht anders.

Mit leiser Stimme erklärte er ihr, was gegen sie vorlag und was er ihr vorwarf. Es kam ihm seltsam vor, dass es die Welt da draußen so gar nicht berührte. Ein Lotsenschiff der Reederei Bugsier schipperte über die Elbe; an den Anlegestellen für die Hafenbarkassen standen Touristen an, mit blassen Beinen unter hellen Shorts. Er sah die Hafenkräne in der Ferne, von denen sich keiner bewegte.

»Max«, hörte er in seinem Rücken. Als er sich zu ihr umdrehte, sah er ihre gespenstische Blässe.

»Meine Stelle!«, fuhr sie mit steigender Hysterie fort. »In zwei Wochen tagt die Berufungskommission. Was, wenn die Sache bis dann nicht ausgestanden ist? Meine Güte, Max! Mir wird schlecht.«

*