Bildungsbereiche in der Kindheitspädagogik -  - E-Book

Bildungsbereiche in der Kindheitspädagogik E-Book

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Beschreibung

Die Bildungsbereiche sind ein zentraler Baustein des Bildungsauftrages von Kindertageseinrichtungen, Kindertagespflege, Grundschule und Hort. Mit ihnen werden die konkreten Erfahrungen, die Kinder in den verschiedenen Lebensbereichen und Wissensfeldern machen sollen, beschrieben. Damit bilden die Bildungsbereiche zugleich das Gerüst für die inhaltliche Gestaltung der pädagogischen Arbeit. Der Band gibt einen Überblick über die verschiedenen Bildungsbereiche. Dazu werden zu jedem Bereich theoretische und didaktische Grundlagen vorgestellt und anschließend anhand von alltagsintegrierten und projektorientierten Beispielen Umsetzungsmöglichkeiten verdeutlicht.

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Seitenzahl: 309

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Titelei

Von Astronaut bis Zucchinipuffer. Bildungsbereiche und ihr Potenzial zur Anregung vielfältiger Lerngelegenheiten

1 Qualitäten des Phänomens Bildungsbereiche – Bildungsbereiche als analytische Kategorie?

1.1 Bildungsbereiche als kindheitspädagogisches Ordnungsmuster

1.2 Bildungsbereiche als systematischer Ordnungsversuch: Die Welt strukturieren, ohne sie zu zerstückeln

1.3 Bildungsbereiche und der kindheitspädagogische Bildungsbegriff

1.4 Bildungsbereiche als Anknüpfungspunkt für Individualität und Gemeinschaft

2 Bildungsbereiche im Studium

3 Über dieses Buch

Literatur

I Alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Kommunikation

Brotmänner und Himmelsautos: Sprache & Kommunikation

1 Theoretische Grundlagen des Bildungsbereichs

1.1 Sprache und Kommunikation

1.2 Ausgangslage und aktuelle Diskurse

1.3 Grundlagen einer alltagsintegrierten Sprachbildung

1.4 Mehrsprachigkeit

2 Umsetzung in der kindheitspädagogischen Praxis

2.1 Beobachtung und Dokumentation als Ausgangspunkt für eine gezielte Sprachbildung nutzen

2.2 Von der Beobachtung zur sprachförderlichen Haltung

2.3 Sprachbildungsstrategien

2.4 Gezielte Sprachbildung

2.5 Sprachbildung im Rahmen der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft

2.6 Sprachbildungsimpulse – auf einen Blick

3 Hochschuldidaktische Impulse

3.1 Bildungsbereich Sprache und Kommunikation

3.2 Pädagogische Handlungskompetenz aufbauen und weiterentwickeln

3.3 Praxisbeispiele

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

II Personale und sozial-emotionale Entwicklung, Werteorientierung und Religiosität, kultursensitive Kompetenzen

Leben und lernen in der Kita – divers und plural

1 Gelingendes Zusammenleben in einer heterogenen Gesellschaft als Bildungsziel

2 Zusammenleben in einer Migrationsgesellschaft

3 Kulturelle Bildung als Schlüssel zur Auseinandersetzung mit dem »Eigenen« und dem »Fremden«

4 Implikationen für die pädagogische Praxis in Kindertagesstätten

5 Hochschuldidaktischer Impuls

5.1 Impuls zur sozialen Bildung

5.2 Impuls zur inter- bzw. transkulturellen Bildung

5.3 Impuls zur kulturellen Bildung

5.4 Impuls zu diversen Spielmaterialien

Literatur

Wertebildung

1 Theoretische Grundlagen des Bildungsbereichs

1.1 Worum geht es in diesem Bildungsbereich?

1.2 Warum ist dieser Bildungsbereich bedeutend?

1.3 Bezüge zur pädagogischen Psychologie

1.4 Was ist das Bild des Kindes, das in diesem Bildungsbereich vertreten wird?

1.5 Von freier Entfaltung, Ethik und interkulturellem Lernen profitieren alle

1.6 Was wird in diesem Bereich zukünftig wichtig sein?

2 Konkrete Umsetzung in der Praxis

2.1 Spezifische Kompetenzen und Fähigkeiten von pädagogischen Fachkräften

2.2 Partizipation

2.3 Philosophieren

2.4 Material und Raum

3 Hochschuldidaktischer Impuls

3.1 Wie kann dieser Bildungsbereich sinnvoller Gegenstand der kindheitspädagogischen Lehre sein?

3.2 Seminarmethoden zur Demokratiebildung und zur Stärkung von Argumentationskompetenz

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

III MINT – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik

Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik

1 Theoretische Grundlagen des Bildungsbereichs

1.1 Was bedeutet MINT und warum ist es bedeutsam?

1.2 Frühe MINT-Bildung vom PISA-Schock bis heute

1.3 MINT in den Bildungsplänen für den Elementarbereich

1.4 Allgemeine Kompetenzen

1.5 Spezifische Kompetenzen und Inhalte der MINT-Bereiche

1.6 Bild des Kindes

1.7 Interaktionsstile pädagogischer Fachkräfte

1.8 Das Potenzial von MINT für Kinder und ihre Entwicklung

2 Konkrete Umsetzung in der Praxis

2.1 Einstellungen, Kompetenzen und Qualifikationsziele pädagogischer Fachkräfte im MINT-Bereich

2.2 Alltagsintegrierte MINT-Bildung

3 Hochschuldidaktischer Impuls

3.1 MINT als Gegenstand kindheitspädagogischer Lehre

Literatur

Mathematik lernen im Elementarbereich – Wie Kinder spielerisch und alltagsnah mathematische Konzepte entdecken

1 Grundlagen des Bildungsbereichs Mathematik

1.1 Mathematik von Anfang an

1.2 Erste mathematische Erfahrungen im Umgang mit Mengen – Logische Grundoperationen nach Piaget

2 Kindliche Kompetenzen zu den mathematischen Leitideen

2.1 Zahl und Operation

2.2 Größen und Messen

2.3 Raum und Form

2.4 Daten und Zufall

2.5 Muster und Strukturen

3 Mathematiklernen in der Kindertagesstätte: Konkrete Umsetzungsmöglichkeiten in der Praxis

3.1 Alltagssituationen aufgreifen

3.2 Bilderbücher vorlesen

3.3 Regelspiele spielen

4 Frühes Mathematiklernen im Studium der Kindheitspädagogik

4.1 Alltagssituationen aufgreifen mit Erzählbildern

4.2 Bilderbücher analysieren

4.3 Regelspiele analysieren

5 Fazit

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

IV Medien und digitale Bildung

Produzieren statt konsumieren – der Bildungsbereich Medien und Digitalität

1 Theoretische Grundlagen des Bildungsbereichs (Theorien, Diskurse, Ziele, Umgang mit Heterogenität)

1.1 Medien und Digitalität

1.2 Pädagogische Perspektiven auf Medien und Digitalität

1.3 Ziele des Bildungsbereichs

2 Konkrete Umsetzung in der Praxis

2.1 Prinzipien der Medienbildung in kindheitspädagogischen Institutionen

2.2 Alltagsintegriert und Projektorientierung: Zugänge zur Medienbildung der kindheitspädagogischen Arbeit

3 Hochschuldidaktischer Impuls

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

V Ästhetische Bildung

Sinnliche Wahrnehmung und künstlerisches Experimentieren als Bausteine frühkindlicher Bildung

1 »Von der Muse geküsst« oder »einfach ästhetisch«? – einführende Begriffsklärung

2 Theoretische Koordinaten

3 Empirische Forschung im Bereich musisch-ästhetischer Bildung

4 Bildungspotenziale ästhetischer und künstlerischer Praxis

5 Zur Rolle der Fachkräfte im musisch-ästhetischen Bildungsbereich

6 Umsetzung in der Praxis: Klingender Alltag oder doch lieber ein Theater-Projekt?

6.1 Musik

6.2 Bildende Kunst

6.3 Literatur

6.4 Theater

6.5 Tanz

7 Gelingensbedingungen musisch-ästhetischer Bildungsarbeit

8 Hochschuldidaktischer Impuls

9 Ausblick

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

VI Körper, Bewegung, Gesundheit, Prävention

Bewegung: Motor der kindlichen Entwicklung und Zugang zur Welt

1 Sich die Welt aneignen – Bewegung als Zugang zur Welt

1.1 Funktion der Bewegung

2 Bewegung als Grundlage für eine gesunde Entwicklung

2.1 Empfehlungen der WHO zur körperlichen Aktivität von Kindern

2.2 Bewegungsmangel und seine Folgen

3 Bewegung als Grundlage für Bildungsprozesse

3.1 Erwerb personaler Kompetenzen

3.2 Erwerb sozialer Kompetenzen

3.3 Erwerb kognitiver Kompetenzen

4 Bewegung in Kindertageseinrichtungen

4.1 Didaktisch-methodische Überlegungen

4.2 Psychomotorik und Inklusion

5 Didaktische Prinzipien der Bewegungserziehung

5.1 Kindgemäßheit

5.2 Offenheit

5.3 Freiwilligkeit

5.4 Erlebnisorientiertheit und Sinnhaftigkeit

5.5 Entscheidungsmöglichkeit

5.6 Selbsttätigkeit

6 Hochschuldidaktischer Impuls

6.1 Beispiel für eine Lehrveranstaltungskonzeption

7 Fazit

Literatur

Gesundheitsförderung und Prävention als Herausforderung kindheitspädagogischen Handelns

1 Grundlagen von Gesundheit und Krankheit

2 Gesundheit und gesundheitsbezogene Herausforderungen in der Kindheit

3 (Krankheits-)‌Prävention und Gesundheitsförderung als wichtige Ansatzpunkte für die Kindheitspädagogik

3.1 Krankheitsprävention

3.2 Gesundheitsförderung

4 Gesundheitsförderung und Prävention in der kindheitspädagogischen Hochschullehre

5 Fazit

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

VII Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung

Durch gute Bildungsarbeit tragen Kindertageseinrichtungen zur Nachhaltigkeit bei – eine Kritik an einem Bildungsbereich BNE in der frühen Kindheit

1 Annäherung an den Begriff Nachhaltigkeit

2 Eine kleine Geschichte der Nachhaltigkeit

3 Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) in der frühkindlichen Bildung

3.1 Konzeptionelle Grundlagen von BNE

3.2 Kritische Perspektiven auf BNE in der frühkindlichen Bildung

3.3 BNE im Spannungsfeld von Theorie und Praxis

4 Wie könnte Nachhaltigkeit und nachhaltige Bildung angemessen in Einrichtungen der frühen Kindheit umgesetzt werden?

5 Hochschuldidaktischer Impuls: Planspiel nachhaltige Kita

Literatur

Websites mit Praxis-Ideen und Hintergrundinformationen

Verzeichnis

Die Autorinnen und Autoren

Die Herausgeberinnen

Dr. Juliane Gerland ist Professorin für Musikpädagogik mit dem Schwerpunkt sonderpädagogische Förderung und Inklusion an der Universität Münster. Sie forscht zu Inklusion und Diversität in der Musikalischen Bildung sowie zu pädagogischer Professionalisierung im Musikschulkontext.

Dr. Helen Knauf ist Professorin für Bildung und Sozialisation im Kindesalter an der Hochschule Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Digitalität und Digitalisierung in Kindertageseinrichtungen sowie Bildungsdokumentation.

Juliane Gerland, Helen Knauf (Hrsg.)

Bildungsbereiche in der Kindheitspädagogik

Grundlagen – didaktische Impulse – Praxisbeispiele

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2025

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Heßbrühlstr. 69, 70565 [email protected]

Print:ISBN 978-3-17-044617-5

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-044618-2epub:ISBN 978-3-17-044619-9

Von Astronaut bis Zucchinipuffer.Bildungsbereiche und ihr Potenzial zur Anregung vielfältiger Lerngelegenheiten

Juliane Gerland & Helen Knauf

1 Qualitäten des Phänomens Bildungsbereiche – Bildungsbereiche als analytische Kategorie?

Die Formulierung verschiedener Bildungsbereiche in der Kindheitspädagogik hat verschiedene Funktionen. Im Folgenden wird deutlich, dass sie zur Strukturierung der pädagogischen Arbeit dienen, sie können aber auch als kindheitspädagogische Ordnungsmuster verstanden werden. Sowohl im historischen als auch im internationalen Vergleich lassen sich unterschiedliche Vorläufer bzw. vergleichbare Strukturen erkennen. So orientierte sich die Pädagogik der frühen Kindheit in Deutschland vor dem »Gemeinsamen Rahmen« bzw. den Bildungsplänen der Bundesländer in der Hauptsache an den allgemeinen Zielsetzungen im SGB VIII, in vielen anderen Staaten gibt es ebenfalls Curricula, die sich entweder an inhaltlichen Sachbereichen (wie in Deutschland) oder an Auseinandersetzungsmodi (wie in Neuseeland) orientieren.

1.1 Bildungsbereiche als kindheitspädagogisches Ordnungsmuster

Frühstückszeit in der Kita. Neben Obst, Marmelade, Butter und Käse steht ein Brotkorb mit verschiedenen Brotsorten. Zwischen der pädagogischen Fachkraft Katharina und den beiden 5-jährigen Rafi und Alisia entspinnt sich eine Unterhaltung: »Rafi, welches Brot magst du am liebsten?« – »Das mit den Körnern drin, das ist so weich.« – »Stimmt, das mag ich auch gerne. Und du Alisia?« – »Ich mag lieber das Brot, das es zuhause gibt. Das ist ganz schön weiß und man kann sich einfach ein Stück abbrechen.« – »Aber man kann es nicht zusammenklappen«, sagt Rafi. »Kann man doch«, ruft Alisia empört. Katharina schlägt vor, dass Alisia mal ein Brot von zuhause mitbringt: »Und dann probieren wir, was man damit machen kann!«. An den nächsten Tagen bringen auch andere Kinder das Brot mit, das es bei ihnen zuhause gibt. Ein Kind bringt auch Kuchen mit, weil in der Familie gar kein Brot gegessen wird. So entstehen viele kleine Gespräche darüber, welche Brotsorten es gibt, wie man sie am besten isst und was Brot eigentlich ist. Die Kinder machen Fotos von den verschiedenen Arten von Brot und ihren Zubereitungsformen. Alisia erzählt, dass man »ihr« Brot ganz leicht selber backen kann; zusammen mit Katharina und zwei anderen Kindern probieren sie das aus. Sie gehen gemeinsam einkaufen, um die Zutaten für Alisias Rezept zu besorgen, wiegen ab, setzen den Teig an. Am Ende duftet es in der ganzen Kita verführerisch nach frisch gebackenem Brot, von dem nun viele Kinder kosten möchten.

Die Szene aus dem Kita-Alltag zeigt, auf welchen Pfaden sich Bildungsprozesse in den ersten sechs Lebensjahren vollziehen: In Gesprächen unter den Kindern und zwischen Kindern und Erwachsenen, durch Ausprobieren und Entdecken, durch Erfahrungen mit allen Sinnen. Vor allem knüpfen sie an den Alltagserfahrungen der Kinder an. Diese enge Verbindung zu den Alltagserfahrungen der Kinder führt auch dazu, dass in einzelnen Bildungssituationen unterschiedlichste Lebensbereiche angesprochen werden. In der oben beschriebenen Szene spielen sozio-kulturelle Erfahrungen und Zusammenhänge eine wichtige Rolle, wenn die Kinder die Arten und Verwendungsweisen von Brot in ihrer Familie einbringen. Auch geht es um Ernährung, um die Dokumentation mit Fotos (Medienbildung), um mathematische Bildung, wenn Zutaten eingekauft, bezahlt und abgemessen werden. Beim Backvorgang können chemische Prozesse beobachtet und erfahren werden (naturwissenschaftliche Bildung). Sicher würden sich hier noch weitere Anschlussmöglichkeiten finden, wie etwa Gesundheitsfragen, die Bedeutung von Brot in religiösen Zusammenhängen oder Darstellungen von Brot in Kinderbüchern. Das Zulassen und Fördern dieser vielfältigen Anschlüsse in Form von Bildungsbereichen sind typische Kennzeichen der kindheitspädagogischen Praxis. Deshalb sind sie im »Gemeinsamen Rahmen der Länder für die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen« (KMK & JMFK, 2004/2022) verankert und in der Folge in den Bildungsplänen der 16 Bundesländer. Der »Gemeinsame Rahmen« gibt in seiner Fassung von 2022 sieben Bildungsbereiche vor:

Alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Kommunikation

Personale, sozial-emotionale Entwicklung, Wertevermittlung, Religiosität, kultursensitive Kompetenzen

MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik

Medien und digitale Bildung

Ästhetische Bildung

Körper, Bewegung, Gesundheit, Prävention

Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung

Die Bundesländer definieren zwar auf dieser Grundlage eigene Bildungsbereiche; das Prinzip der Bildungsbereiche wird dabei jedoch durchgängig umgesetzt: Ausgangspunkt ist eine ganzheitliche und inklusive Bildungsunterstützung aller Kinder (KMK & JMFK, 2004/2022, S. 8). Bildungsbereiche sollen ausgehend von den Erfahrungen der Kinder beschrieben werden, um so die Bildungs- und Erziehungsarbeit in Kindertageseinrichtungen konkretisieren, dokumentieren und analysieren zu können, ohne das Kind und seine individuellen Bildungsprozesse aus dem Blick zu verlieren. Vergleicht man die einzelnen Papiere der Bundesländer zur frühkindlichen Bildung untereinander und diese auch mit dem »Gemeinsamen Rahmen« wird deutlich, dass durch den »Gemeinsamen Rahmen« die wesentlichen Eckpunkte definiert sind. Ob die individuellen Ausbuchstabierungen auf Landesebene (und die hierfür aufgewendeten Ressourcen) einen tatsächlichen entsprechenden Mehrwert für die frühkindliche Bildung bedeuten, sei dahingestellt – insbesondere, da sich die Länder mit zwei Ausnahmen inhaltlich und strukturell sehr dicht am Rahmenpapier orientieren: Mecklenburg-Vorpommern übernimmt die Bildungsbereiche des »Gemeinsamen Rahmens« komplett und individualisiert sein Papier nur in den Einzelheiten der inhaltlichen Ausgestaltung, Baden-Württemberg wiederum orientiert sich an bestimmten kindlichen Entwicklungsfeldern und nicht zuvorderst an Sachbereichen.

Deutlich wird auch, dass sich zwei unterschiedliche Zieldimensionen in den Bildungsbereichen abbilden. Zum einen gibt es die Dimension des inhaltlichen Lerngegenstands, in der die Kinder fachspezifisches Wissen und entsprechende Kompetenzen erwerben. Zum anderen gibt es die Dimension eines indirekten Erziehungsziels, in der die Kinder sich mit bestimmten Werten und Normen auseinandersetzen. Prinzipiell sind beide Dimensionen in allen Bildungsbereichen erkennbar, sie sind jedoch nicht immer gleichermaßen präsent. So liegt der Fokus im Bildungsbereich MINT deutlich auf dem Erwerb von Wissen und Kompetenzen, im Bildungsbereich Personale, sozial-emotionale Entwicklung, Wertevermittlung, Religiosität, kultursensitive Kompetenzen steht eher die Auseinandersetzung mit Werten und Normen sowie die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit im Vordergrund. In anderen Bildungsbereichen, beispielsweise Ästhetische Bildung oder Medien und digitale Bildung, wirken die beiden Dimensionen in einem dynamischen Wechselspiel zusammen, abhängig von der jeweiligen Situation und den beteiligten Akteur*innen.

Im Zuge der Entwicklung von Curricula für die frühe Bildung in den 1990er und 2000er Jahren haben viele Länder nach Möglichkeiten gesucht, die Bildungsinhalte sinnvoll und dem Alter der Kinder entsprechend zu strukturieren. In Neuseeland entstand mit dem »Te Whariki« das erste Curriculum für die Zeit vor der Schule (May & Carr, 2016). Es diente als Impulsgeber und Vorbild für ähnliche Vorhaben weltweit. Dort jedoch hat man sich gegen eine inhaltliche bzw. domänenspezifische Struktur entschieden. Stattdessen charakterisieren insgesamt vier Prinzipien das »Te Whariki«, nämlich eine ganzheitliche Entwicklung, Stärkung, Beziehungen sowie Familie und Gemeinschaft (Ministry of Education, 2017). Außerdem werden fünf Stränge als wesentlich angesehen: Wohlergehen, Zugehörigkeit, Beitragen, Kommunikation und Exploration (Ministry of Education, 2017). Auch das schwedische Vorschul-Curriculum orientiert sich an Prinzipien, die das pädagogische Handeln prägen sollen, nämlich einer ganzheitlichen Sichtweise, dem Spiel als Grundlage von Entwicklung, an Lernen und Wohlbefinden, Kommunikation und Gestaltung sowie Nachhaltiger Entwicklung, Gesundheit und Wohlbefinden (Skolverket, 2019).

Andere Länder hingegen formulieren, ähnlich wie Deutschland, Bildungsbereiche. In Finnland beispielsweise werden die folgenden Lernbereiche (»learning areas«) definiert: Die reiche Welt der Sprachen, vielfältige Formen des Ausdrucks, Ich und unsere Gemeinschaft, Entdecken und Interagieren mit meiner Umgebung sowie Ich wachse, bewege und entwickle mich (Finish National Agency for Education, 2018). Außerdem werden im »National Core Curriculum for Early Childhood Education and Care« Kompetenzbereiche genannt: Denken und Lernen, Kulturelle Kompetenz, Interaktion und Selbst-Ausdruck, auf sich selbst achten und den Alltag bewältigen, Multi-Literalität und Kompetenz in Informations- und Kommunikationstechnologie sowie Partizipation und Beteiligung (Finish National Agency for Education, 2018). Im Gegensatz zu den Bildungsbereichen in den deutschen Bildungsplänen fällt jedoch auf, dass sich auch hier die Lern- als auch Kompetenzbereiche deutlich von Schulfächern unterscheiden.

1.2 Bildungsbereiche als systematischer Ordnungsversuch: Die Welt strukturieren, ohne sie zu zerstückeln

Legt man der institutionalisierten Bildung ein Stufungsprinzip zugrunde, können Bildungsbereiche auch als eine Vorform von Schulfächern verstanden werden. Mit den Bildungsbereichen wurde versucht, eine offenere und entschieden alltagsbezogene Struktur zu bereitzustellen, als dies beispielsweise durch Schulfächer geschieht. Hartmut von Hentig beschreibt die Schule als »Brücke zwischen der kleinen und der großen Welt« (1993, S. 228): Mit zunehmendem Lebensalter werden den Kindern komplexere und abstraktere Gliederungen und Strukturen zugemutet. Auf der ersten Stufe sieht Hentig den Lebensraum, der aus Familie, Wohnumgebung, Straße und Nachbarschaft sowie der Natur besteht. Auf der zweiten Stufe folgen Erfahrungsbereiche (Umgang von Menschen mit Menschen, Umgang mit Sachen, Umgang mit dem eigenen Körper, Umgang mit Gesprochenem, Geschriebenem, Gedachtem). Erst danach folgen als dritte Stufe die Schulfächer, die jedoch implizit bereits in den Erfahrungsbereichen enthalten sind. Auch wenn die kindheitspädagogischen Bildungsbereiche (schon in ihren Formulierungen) stärker an den Schulfächern orientiert sind, haben sie doch einige Gemeinsamkeiten mit Hentigs Erfahrungsbereichen und verdeutlichen wesentliche Grundprinzipien der Gliederung in Bildungsbereiche:

An erster Stelle ist hier die Alltags- und Lebensweltorientierung zu nennen, die allen Bildungsbereichen zugrunde liegt. Ziel ist es nicht, Kindern etwas beizubringen, sondern ihnen Erfahrungen zu ermöglichen, die mit ihrem Alltag verbunden sind und die sie für das Zurechtfinden in der Welt benötigen. Im oben genannten Beispiel sind es alltagspraktische Tätigkeiten wie Einkaufen, ein Rezept umsetzen oder ein Brot belegen.

Zweitens ist die Ganzheitlichkeit ein zentrales Prinzip. Im »Gemeinsamen Rahmen« heißt es deshalb: »Die inhaltlichen Bildungsschwerpunkte in den Bildungsplänen stehen nicht isoliert, sondern durchdringen sich gegenseitig und sind nicht fächerorientiert zu handhaben. Durch ganzheitliche Bildungsangebote ist es möglich, mehrere Bildungsbereiche gleichzeitig umzusetzen. Die pädagogische Praxis wahrt und gestaltet gezielt diese Verbindung und gegenseitige Durchdringung der Bildungsbereiche« (KMK & JMFK, 2004/2022, S. 8). Die Bildungsbereiche verbinden deshalb die verschiedenen Fächer oder Domänen des Wissens.

Schließlich liegt den Bildungsbereichen drittens das Prinzip der Projektorientierung zugrunde. Zwar kann und soll nicht jede Situation als Teil eines Projektes verstanden werden. Grundsätzlich kann aber gerade das Projekt als zeitlich befristete Auseinandersetzung mit einem Thema die vertiefte Bearbeitung ermöglichen und sicherstellen (Katz & Chard, 2014). Das Projekt bietet einerseits einen Rahmen, der Verbindlichkeit schafft und den Kindern verdeutlicht, dass sie an etwas arbeiten. Andererseits ist das Projekt offen genug, um an den aktuellen Themen, Interessen und Bedürfnissen der Kinder anzuknüpfen.

1.3 Bildungsbereiche und der kindheitspädagogische Bildungsbegriff

Die drei Prinzipien – Lebensweltorientierung, Ganzheitlichkeit und Projektorientierung – korrespondieren mit dem kindheitspädagogischen Bildungsbegriff: In diesem Verständnis sind Kinder aktiv Lernende, die in ihrer je individuellen Auseinandersetzung mit und Aneignung der Welt Bildungsprozesse vollziehen (Schäfer, 2007). Die Bildungsbereiche können als eine Konkretisierung und Operationalisierung von Welt als einer zunächst abstrakten und allgemeinen Vorstellung gesehen werden. Bildungsprozesse werden in diesem Bildungsverständnis insbesondere auch durch ko-konstruktive Interaktionen angeregt und vertieft (Fthenakis, 2003; Übersicht über die Diskussion bei Drieschner, 2010). Kinder sind mit ihren Konstruktionen von Welt nicht auf sich allein gestellt, sondern werden durch Partner*innen begleitet und unterstützt. Typischerweise sind pädagogische Fachkräfte solche Partner*innen und können – mit den Bildungsbereichen als orientierende Struktur im Hintergrund – Impulse für die stattfindenden Bildungsprozesse geben. Voraussetzung hierfür ist die Beobachtung und Wahrnehmung der Interessen, Anliegen und Bedürfnisse der Kinder. Neben den Fachkräften kann auch die physische Umgebung wichtige Bildungsimpulse geben und zum Partner in ko-konstruktiven Interaktionen werden. Räume, die bestimmten Bildungsbereichen oder einzelnen Aspekten der Bildungsbereiche gewidmet sind und als Werkstätten, Ateliers oder Funktionsräume gestaltet werden, können hier einen sinnvollen Ansatzpunkt geben. Lernwerkstätten bieten unterschiedliche Ansatzpunkte für die Gestaltung von Räumen, beispielsweise als Klangwerkstatt, Naturwerkstatt oder Sprachwerkstatt (Pfeiffer, 2017). In der Reggiopädagogik spielen die Ateliers eine zentrale Rolle, die durch Kreativität und Ästhetik neue Perspektiven (für Kinder und Erwachsene) ermöglichen sollen. Idealerweise sind diese nicht auf den Raum des Ateliers begrenzt, sondern können zur Keimzelle für neue Ideen und Inspirationsquelle für die gesamte Kita werden (Chieli, 2016). In den Räumen spielt Material eine zentrale Rolle für die pädagogische Umsetzung der Arbeit in den Bildungsbereichen. Bestimmte Materialien regen zur Auseinandersetzung mit den einzelnen Bildungsbereichen an: Eine Waage provoziert Kinder, das Gewicht von Dingen zu ermitteln und verschiedene Objekte abzuwiegen, ein Regenmacher lädt dazu ein, ihn zu bewegen und dem rieselnden Klang zu lauschen. Andere Materialien, die verwendungsoffen sind, wie etwa Muscheln oder leere Dosen, können die Kreativität von Kindern herausfordern und sie zu einer Verknüpfung mit den Bildungsbereichen anregen: Die leeren Dosen können beispielsweise zu einem Dosentelefon (Bildungsbereich Medien) oder zu einem Klangkörper (Musisch-ästhetische Bildung) werden oder Fragen zum ökologischen Fußabdruck von Konserven anregen (Bildung für nachhaltige Entwicklung und Ökologie).

1.4 Bildungsbereiche als Anknüpfungspunkt für Individualität und Gemeinschaft

In kindheitspädagogischen Zusammenhängen – und insbesondere in der Institution Kindertageseinrichtung – sind die Gruppen typischerweise sehr heterogen. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Kinder vor allem hinsichtlich des Alters, aber auch in Bezug auf andere Heterogenitätsmerkmale wie etwa Geschlecht, Ability, Sprache oder Religion. Und natürlich haben all diese Kinder unterschiedliche Vorlieben, Interessen und Temperamente. Diese Individualität gilt es zu schätzen und zu fördern. Zugleich bedarf es aber auch gemeinsamer Themen, mit denen sich die unterschiedlichen Kinder auseinandersetzen können und wollen. Die Bildungsbereiche bieten durch ihre Offenheit Anknüpfungspunkte für alle Kinder. Ähnlich wie bei dem Prinzip des »Gemeinsamen Gegenstands« bei Feuser (1989, S. 151) können einzelne Themen unterschiedliche Anknüpfungspunkte für jedes Kind bieten. Um auf das Beispiel am Beginn dieses Beitrags zurückzukommen: Das Brot auf dem Frühstückstisch kann für das eine Kind ein altbekanntes und gewohntes Frühstück sein, für das andere Kind ein exotisches und neuartiges Lebensmittel. Das eine Kind mag sich für Brot als ein Lebensmittel interessieren, das andere eher für Brot als ein naturwissenschaftliches Phänomen und ein drittes möchte es einfach nur essen. Im Sinne einer »Pädagogik der Vielfalt« (Prengel, 1995, S. 7) bieten die Bildungsbereiche Anknüpfungspunkte auf unterschiedlichen Komplexitätsniveaus und sprechen Kinder in den verschiedenen Entwicklungsstadien und Kompetenzniveaus an.

2 Bildungsbereiche im Studium

Die Relevanz der Bildungsbereiche in kindheitspädagogischen Studiengängen wird mit einem Blick in die entsprechenden Rahmenpapiere deutlich. So spielt die Begleitung kindlicher Bildungsprozesse im Berufsprofil Kindheitspädagogin/Kindheitspädagoge des Studiengangstags Pädagogik der Kindheit (2015) eine zentrale Rolle – zumal etwa 70 % der Absolvierenden kindheitspädagogischer Studiengänge eine Berufstätigkeit im Arbeitsfeld Kindertagesstätte aufnehmen (Kirstein, Haderlein & Fröhlich-Gildhoff, 2012). Auch aus dem Kerncurriculum Kindheitspädagogik (Studiengangstag Pädagogik der Kindheit, 2022) geht die Bedeutung der Bildungsbereiche für die Studiengänge hervor. In der Studieneinheit »Pädagogische Aufgaben« wird formuliert, dass »Bildungsprozesse in Bildungsbereichen didaktisch und methodisch [zu] begleiten und gestalten« sind (Studiengangstag Pädagogik der Kindheit 2022, S. 3). Damit zeigt sich ein unmittelbarer Bezug der wissenschaftsorientierten Disziplin der Kindheitspädagogik zur pädagogischen Praxis in der Kindertageseinrichtung. Dieser Fokus auf kindliche Bildungsprozesse – insbesondere im beschriebenen offenen und alltagsbezogenen Verständnis, wie es sich in den Bildungsbereichen zeigt – trägt außerdem zu einer fachlichen Schärfung und zu einer Abgrenzung der noch vergleichsweise jungen Disziplin der Kindheitspädagogik bei. In Abgrenzung dazu liegt der Fokus in sozialpädagogischen und sozialarbeiterischen Studiengängen bezüglich der Altersgruppe der 0- bis 10-Jährigen eher auf sozialen und gesellschaftlichen Themen und auf den Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe bzw. in den Lehramtsstudiengängen der Primarstufe auf schulpädagogischen und fachdidaktischen Aspekten.

Eine kindheitspädagogisch geprägte hochschulische Didaktik der Bildungsbereiche erscheint dementsprechend als ein wichtiger Bestandteil kindheitspädagogischer Studiengänge. Gleichermaßen liegt hierin eine Chance zur weiteren Etablierung der berufspraktischen und wissenschaftlichen Disziplin der Kindheitspädagogik.

Mit Blick auf die Kompetenzentwicklung Studierender bieten sich insbesondere folgende Fokussierungen an:

Ein methodisch-didaktischer Fokus, in dem sich die Studierenden mit Fragen zur praktischen pädagogischen Begleitung von Bildungsprozessen auseinandersetzen.

Ein forschungsbezogener Fokus, in dem sich Studierende insbesondere mit forschungsmethodischen und -methodologischen Fragen auseinandersetzen, die im Zusammenhang mit den Bildungsbereichen Bildungsprozesse und ihre Dokumentation betreffen.

Ein systematischer Fokus, in dem sich Studierende mit (internationalen) Vergleichen von Bildungsplänen und Curricula unterschiedlicher Bildungsinstitutionen auseinandersetzen.

Die Lehrveranstaltung »Von Astronaut bis Zucchinipuffer –- Bildungsbereiche in der Elementarpädagogik« im Studiengang Pädagogik der Kindheit an der Hochschule Bielefeld hat mit verschiedenen hochschuldidaktischen Methoden experimentiert, um diesen Fokussierungen einen Rahmen zu geben. Zwei davon sollen im Folgen skizziert werden, um einen Eindruck in die hochschulische Lehrpraxis zum Thema Bildungsbereiche zu vermitteln.

PosterausstellungFür die gemeinsame Posterausstellung im Rahmen des Seminars war es Aufgabe der Studierenden, auf einem Poster eine Aktivität aus der kindheitspädagogischen Praxis so darzustellen, dass sowohl eine Beschreibung der Aktivität selbst im Sinne einer methodischen Anleitung als auch die verschiedenen Bildungsbereiche, die diese Aktivität berühren, zu entnehmen sind. Darüber hinaus sollten konkrete Bildungsgelegenheiten für die Kinder und Herausforderungen für pädagogische Fachkräfte benannt werden. Zur Gestaltung des Posters wurden vorab Kriterien erarbeitet, die sich an Postern aus dem Wissenschafts- und Forschungskontext orientieren. Neben der vertieften inhaltlichen und didaktischen Auseinandersetzung mit verschiedenen Bildungsbereichen ergaben sich für die Studierenden so Lerngelegenheiten in Bezug auf Methoden wissenschaftlichen Arbeitens sowie bei der Ausstellung selbst in Bezug auf Präsentations- und Feedbacktechniken.

WasserKinderGartenZiel dieses Formats war es, verschiedene Bildungsbereiche anhand des Materials Wasser zu erschließen. Wasser erweist sich hier als Material, das quer zu den Bildungsbereichen zahlreiche Anschlüsse ermöglicht. Konkret entwickelten die Studierenden in kleinen Gruppen jeweils in sich abgeschlossene Angebote mit dem Material Wasser. Neben der konkreten Entwicklung und Durchführung dieser Angebote im Rahmen eines Tages der Offenen Tür der Hochschule Bielefeld gehörte die Erstellung einer Konzeptskizze zu den Aufgaben der Studierenden. In dieser Skizze war zu erörtern, an welche Altersgruppe sich das Angebot richtet, welche Bildungsbereiche berührt werden, welche Materialien benötigt werden und welche Bildungsgelegenheiten sich bieten. Hier war insbesondere die selbstständige Durchführung des Angebots eine spannende Herausforderung für die Studierenden.

Aus unserer Perspektive hat sich die hochschuldidaktische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex der Bildungsbereiche als ausgesprochen fruchtbar erwiesen, da sich Studierende so anhand von kindlichen Bildungsprozessen grundlegende kindheitspädagogische Orientierungen aneignen können, pädagogisch-praktische Kompetenzen erwerben und Aspekte verschiedener wissenschaftlicher Diskurse kennenlernen können.

3 Über dieses Buch

In diesem Buch werden die Bildungsbereiche von einzelnen Expertinnen und Experten beschrieben. Ziel ist es, die Bildungsbereiche sowohl in ihrem praktisch-pädagogischen Potenzial als auch in ihrer Verbindung zu Forschungsdisziplinen auszuleuchten. Die Bildungsbereiche werden so nicht nur als pädagogischer Gegenstand, sondern auch aus der Perspektive der Forschung behandelt. Diese Verknüpfung von pädagogischem Handeln und Forschung ist aus unserer Sicht ein wichtiges Prinzip einer akademisch geprägten kindheitspädagogischen Ausbildung. Dabei fällt auf, dass im Vergleich zur Grundschulpädagogik auf deutlich weniger Forschung, beispielsweise im Hinblick auf fachdidaktische Forschung oder auch Unterrichtsprozessforschung, zurückgegriffen werden kann – insbesondere seit den 2010er Jahren nehmen die Forschungsaktivitäten der Kindheitspädagogik im deutschsprachigen Raum jedoch deutlich zu. Hier spiegelt sich ein Bewusstsein für die Notwendigkeit, Bildung bereits in der frühen Kindheit (auch) institutionalisiert zu stärken. Die Herausarbeitung verschiedener Forschungsperspektiven innerhalb der einzelnen Bildungsbereiche bietet sowohl Studierenden als auch Lehrenden in kindheitspädagogischen Studiengängen sinnvolle Verknüpfungsmöglichkeiten von Forschung und kindheitspädagogischer Praxis.

Dabei orientiert sich dieser Band strukturell an der Nennung der Bildungsbereiche im »Gemeinsamen Rahmen«. Die dort aufgeführten Bereiche Alltagsintegrierte Sprache und Kommunikation (I), Personale und sozial-emotionale Entwicklung, Werteorientierung und Religiosität, kultursensitive Kompetenzen (II), MINT – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (III), Medien und digitale Bildung (IV), Ästhetische Bildung (V), Körper, Bewegung, Gesundheit, Prävention (VI), Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (VII) bilden die inhaltlichen Abschnitte des Buchs. Jedem Abschnitt ist ein Einleitungsteil vorangestellt, der einen knappen Überblick über den jeweiligen Gegenstand des Bildungsbereichs gibt und erörtert, wie dieser Bildungsbereich in den einzelnen Bundesländern bezeichnet und konzipiert wird. Auf diese Weise möchten wir den Leser*innen ermöglichen, sowohl die übergeordnete Perspektive des »Gemeinsamen Rahmen« als auch die Umsetzung in den jeweiligen Bundesländern in den Blick zu bekommen, um so mögliche interessante Verknüpfungen oder auch produktive Widerstände zu identifizieren und einen frischen Impuls in die akademische und/oder pädagogische Arbeit mit den Bildungsbereichen zu bringen. Herzstück dieser Abschnitte sind die jeweiligen Fachartikel, die sich vertieft mit den einzelnen Feldern befassen. In vier Abschnitten handelt es sich um jeweils einen Hauptartikel, für drei der Abschnitte bot es sich an, zwei verschiedene Schwerpunktartikel aufzunehmen, um der inhaltlichen Breite der Bildungsbereiche besser entsprechen zu können. So bildet der Artikel zu Sprache und Kommunikation von Nadine Madeira Firmino den Einstieg. Für den Bildungsbereich II entwickeln einerseits Güler Arapi und Juliane Gerland Perspektiven auf (Trans-)‌Kulturelle Bildung in einer pluralen Gesellschaft, andererseits setzt sich Alexander Scheidt mit Fragen von Ethik und Wertermittlung in der frühen Kindheit auseinander. Auch im Bildungsbereich III werden zwei Perspektiven ausgearbeitet. Alexander Scheidt setzt einen Schwerpunkt auf die naturwissenschaftliche und technische Bildung, Miriam Lüken und Lena Jäger fokussieren sich auf mathematische Bildung vor dem Schulbeginn. Helen Knauf beschreibt frühkindliche Bildung rund um Digitalität und Medien (IV), bevor sich Juliane Gerland mit der Ästhetischen Bildung auseinandersetzt (V). Für den Bildungsbereich Körper, Bewegung, Gesundheit, Prävention (VI) bietet einerseits Renate Zimmer einen detaillierten Blick auf Bewegung als Bestandteil und Methode frühkindlicher Bildung, andererseits zeigen Thomas Altenhöner und Katja Makowsky mit einer gesundheitswissenschaftlichen Perspektive einen zweiten Schwerpunkt in diesem Bildungsbereich auf. Nachhaltigkeit und die Fragen nach einer Relationierung von frühkindlicher Bildung und nachhaltigkeitsbezogener gesellschaftlicher Transformation beschließen in Marcus Knaufs Beitrag im Bereich Umweltbildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung (VII) diesen Band.

Trotz dieser Fülle an individuellen Schwerpunktsetzungen im Feld frühkindliche Bildung erheben wir hier keinesfalls einen Anspruch auf inhaltliche Vollständigkeit – es gäbe zu jedem der Bildungsbereich noch so viel mehr zu sagen. Ziel dieses Buches ist es vielmehr, anhand der ausgewählten exemplarischen Einsichten in die Bildungsbereiche ihre große Bedeutung für die frühkindliche Bildung und gleichermaßen ihre Relevanz für die fachspezifische Forschung zu betonen.

Eine Link-Sammlung mit hilfreichen Hinweisen und Anregung zur Vertiefung der Auseinandersetzung mit dem zuvor behandelten Bildungsbereich beschließt jeden Abschnitt.

Auch bezüglich der Reihenfolge der Abschnitte orientieren wir uns am »Gemeinsamen Rahmen« und intendieren keineswegs eine Reihenfolge der Bedeutung oder eine inhaltliche Priorisierung. Ganz im Gegenteil: Die Konzeptionierung des Buches und die zahlreichen Gespräche mit den Autor*innen sowie das großes Engagement und die Begeisterung für ihren Bildungsbereich haben uns einmal mehr davon überzeugt, dass es gerade die inhaltliche Vielfalt der Bildungsbereiche und ihrer möglichen Verschränkungen ist, die das besondere Bildungspotenzial für Kinder und diejenigen, die mit ihnen arbeiten, ausmacht.

Einen besonderen Dank möchten wir an dieser Stelle an Christin Lintker aussprechen, die uns mit hoher fachlicher Kompetenz und bewundernswerter Geduld bei der Manuskripterstellung unterstützt hat.

Literatur

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Drieschner, E. (2010). Bildung als Selbstbildung oder Kompetenzentwicklung? Zur Ambivalenz von Kind- und Kontextorientierung in der pädagogischen Bildungsdebatte. In D. Gaus & E. Drieschner (Hrsg.), ›Bildung‹ jenseits pädagogischer Theoriebildung? Fragen zu Sinn, Zweck und Funktion der Allgemeinen Pädagogik (S. 183 – 220). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Feuser, G. (1989). Allgemeine integrative Pädagogik und entwicklungslogische Didaktik. Behindertenpädagogik, 28‍(1), 4 – 48.

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Katz, L. G. & Chard, S. C. (2014). Engaging children's minds: The project approach. Santa Barbara: ABC-Clio.

Kirstein, N., Fröhlich-Gildhoff, K. & Haderlein, R. (2012). Von der Hochschule an die Kita. Berufliche Erfahrungen von Absolventinnen und Absolventen kindheitspädagogischer Bachelorstudiengänge. (Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte [WiFF]). München: Deutsches Jugendinstitut.

May, H. & Carr, M. (2015). Te Whāriki: A uniquely woven curriculum shaping policy, pedagogy and practice in Aotearoa New Zealand. In T. Davis, K. Goouch & S. Powell (Hrsg.), The Routledge international handbook of philosophies and theories of early childhood education and care (S. 316 – 326). London: Routledge.

Ministry of Education (Hrsg.) (2017). Te Whariki – Early Childhood Curriculum New Zealand. Wellington.

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Schäfer, G. E. (2007): Bildung beginnt mit der Geburt. Ein offener Bildungsplan für Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Berlin: Cornelsen.

Skolverket (Hrsg.) (2019). Curriculum for the Preschool. Lpfö 18. Stockholm. https://www.skolverket.se/publikationsserier/styrdokument/2019/curriculum-for-the-preschool-lpfo-18?id=4049

Studiengangstag Pädagogik der Kindheit (2015). Berufsprofil Kindheitspädagogin/Kindheitspädagoge.https://www.fbts-ev.de/was-wir-tun

Studiengangstag Pädagogik der Kindheit (2022). Kerncurriculum Kindheitspädagogik.https://www.fbts-ev.de/was-wir-tun

I Alltagsintegrierte sprachliche Bildung und Kommunikation

Sprache erweist sich als ein Dreh- und Angelpunkt der Bildungsprozesse von Kindern. Auch wenn grundsätzlich alle Bildungsbereiche verknüpft sind und miteinander in Wechselwirkung stehen, so gilt dies für Sprache in besonderem Maße. Deshalb ist es nicht überraschend, dass der Bildungsbereich Sprache in allen 16 Bildungsplänen der Bundesländer präsent ist und zwar entweder als eigenständiger Bildungsbereich (Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt) oder er wird – wie im »Gemeinsamen Rahmen« – mit dem Bereich Kommunikation als Ganzes verknüpft (Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen) oder noch einmal untergliedert (z. B.: Bayern und Hessen: Sprache und Literacy, Niedersachsen: Sprache und Sprechen, Berlin, Hamburg und Saarland: Kommunikation: Sprachen, Schriftkultur und Medien, Schleswig-Holstein: Sprache‍(n), Zeichen/Schrift und Kommunikation). Sachsen bezeichnet den vergleichbaren Bereich als »Kommunikative Bildung«, Thüringen benennt ihn »Sprachliche und schriftsprachliche Bildung«.

Inhaltlich haben in den vergangenen Jahren alltagsintegrierte Strategien der Anregung von Sprach- und Lesekultur sowie ein ressourcenorientierter Umgang mit Mehrsprachigkeit deutlich an Bedeutung gewonnen. Diesen Fokus nimmt auch der folgende Beitrag von Nadine Madeira Firmino ein.

Brotmänner und Himmelsautos: Sprache & Kommunikation

Nadine Madeira Firmino

Sprache gilt als zentrale Schlüsselkompetenz für den Bildungserfolg und die aktive Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Besonders für Kinder in den ersten Lebensjahren sowie mehrsprachig aufwachsende Kinder ist die Unterstützung sprachlicher Kompetenzen von großer Bedeutung. In den letzten Jahren ist eine Vielzahl von Ansätzen und Programmen mit unterschiedlichen Schwerpunkten entwickelt worden. Der vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über den Bildungsbereich, ordnet diesen wissenschaftlich ein, beschreibt praktische Beispiele für den pädagogischen Alltag und gibt Impulse für die kindheitspädagogische Lehre.

1 Theoretische Grundlagen des Bildungsbereichs

1.1 Sprache und Kommunikation

Sprache spielt eine wichtige Rolle in der zwischenmenschlichen Kommunikation. Sie ermöglicht den Austausch von Informationen und die Äußerung von Bedürfnissen. Darüber hinaus erfüllt Sprache eine wesentliche Funktion beim Erinnern und Mitteilen von Erlebtem sowie bei der Regulierung von Emotionen. Insbesondere Kinder setzen Sprache nicht nur ein, um ihre Bedürfnisse mitzuteilen, sondern auch, um soziale Kontakte zu knüpfen, Beziehungen aufzubauen und ihre sprachliche Handlungsfähigkeit zu entwickeln. Diese Fähigkeit bildet eine wichtige Grundlage für die aktive Teilnahme von Kindern an Interaktionen in der Kita (Albers, 2009). Darüber hinaus nutzen Kinder Sprache, um Spiel- und andere Aktivitäten zu planen und durchzuführen, wodurch ihnen bedeutende Selbstwirksamkeitserfahrungen ermöglicht werden (Jampert et al., 2006; Zimmer, 2019). Der Erwerb einer oder mehrerer Sprachen ist somit eng mit der sozial-emotionalen und kognitiven Entwicklung verbunden. Sprachkompetenz kann als interner Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung betrachtet werden und ist eine Grundlage für partizipatives Handeln.

Entwicklung

Kinder beginnen nicht um der Sprache willen zu sprechen. Sie erwerben die Sprache, um Beziehungen aufzubauen und Bedürfnisse zu äußern. Sprache wird somit instrumentalisiert – als Mittel zum Zweck eingesetzt. Gleichzeitig muss sie erfahrbar gemacht und mit allen Sinnen erlebt werden; kurz: Sprache muss für das Kind sinnvoll sein: »Worte, die mit sinnlichen Erfahrungen gefüllt sind, sind ein Schatz – ein Wortschatz« für Kinder (Winner, 2007, S. 100). Eigenaktivität und Selbsttätigkeit sind Voraussetzungen zur Entdeckung der Sprache. Nicht nur die passive, auch die aktive Auseinandersetzung mit Sprache im Dialog ist grundlegend für ihren Erwerb. Deswegen ist es wichtig, die kommunikative Funktion von Sprache zu sehen. Kinder lernen Sprache im Dialog, in für sie sinnhaften Kontexten mit Personen, die Bedeutung für sie haben.

Betrachtet man den Spracherwerb aus seiner produktiven lautsprachlichen Perspektive, so beginnt der Säugling nach dem ersten Schrei mit Gurren, Lallen und Vokalisierungen. Es folgen Lallmonologe und -dialoge, und zum Ende des ersten Lebensjahres spricht das Kind in der Regel die ersten Wörter. Diese gewinnen in den nächsten Monaten an Bedeutung und werden zu sogenannten Ein-Wort-Sätzen. An dieser Stelle ist die Interpretationsfähigkeit der Bezugspersonen gefragt: Bedeutet »brumbrum« Auto, Bagger, Laster oder Müllauto? Und wenn der semantische (bedeutungstragende) Begriff geklärt ist, geht die Interpretation auf Satzebene weiter: Bedeutet »brumbrum«: Papa kommt mit dem Auto? Da draußen fährt ein Müllauto? Ich will das Auto haben? Aber woher weiß die Bezugsperson, welches die richtige Antwort ist? Nicht nur der bedeutungsvolle Kontext, in den die spezifische Situation eingebettet ist, hilft bei der Entschlüsselung des Satzes, sondern auch die mimischen und gestischen Ausdrucksweisen des Kindes. Zeigt es auf etwas? Schaut es den Dialogpartner fragend an? Auch die prosodischen Merkmale, wie Betonung und Lautstärke, helfen an dieser Stelle: Hebt das Kind seine Stimme? Wird der Ein-Wort-Satz zur Frage?

Innerhalb des dritten Lebensjahres wächst der Wortschatz rasant weiter. Es kommt zu Wortneuschöpfungen: Der Bäcker wird zum Brotmann, das Flugzeug wird zum Himmelsauto usw. Die grammatikalischen Strukturen bilden sich weiter aus und die Sätze werden länger. Das Kind entdeckt in seinem Alltag viel Neues. Es kann seine Umwelt durch selbstständige Fortbewegung immer weiter und intensiver erkunden. Gegen Ende des zweiten Lebensjahres umfasst der aktive Wortschatz laut Szagun (2016) zwischen 50 und 550 Wörter, der nun neben Nomen und Funktionswörtern viele Verben umfasst. Grimm und Weinert (2002) sowie auch Kauschke & Siegmüller (2010) weisen auf die kritische Wortschatzgrenze hin: Hat ein Kind im Alter von 24 Monaten noch keine 50 Wörter erworben und/oder bildet noch keine Zwei-Wort-Sätze, wird es als Late-Talker bezeichnet. Die Hälfte dieser Kinder holt im Laufe des dritten Lebensjahres diese Defizite im Wortschatz wieder auf. Man bezeichnet sie dann als Late-Bloomer. Kinder, denen das nicht gelingt, können eine spezifische Sprachentwicklungsstörung ausbilden, die sich meist im Alter von 36 Monaten konkretisiert.

Voraussetzungen und Bereiche der Sprachentwicklung

Die Entwicklung sprachlicher Kompetenzen baut auf grundlegenden Voraussetzungen auf, die in engem Zusammenhang zu anderen Entwicklungsbereichen stehen. Diese lassen sich wie folgt unterteilen:

Organische Voraussetzungen (Atmung, Sprechwerkzeuge, Mundmotorik)

Sinneswahrnehmung (auditive Wahrnehmung, visuelle Wahrnehmung, taktile Wahrnehmung, kinästhetische Wahrnehmung)

Kognition

Soziale Beziehungen und Bindungen

Um die Sprachentwicklung, aufbauend auf den Voraussetzungen, gezielt unterstützen zu können, bedarf es eines dezidierten Wissens über die zentralen fünf Sprachbereiche (vgl. u. a. Weinert & Grimm, 2008):

Abb. 1:Sprachbereiche

Somit umfasst eine gezielte Sprachbildung und -förderung nicht nur die Unterstützung der linguistischen Bereiche, sondern setzt bereits bei den Voraussetzungen an und bezieht auch die prosodischen und pragmatischen Kompetenzen mit ein. Denn wie kann ein Kind beispielsweise den Unterschied zwischen den Lauten [g] und [d] wahrnehmen (Phonologie), wenn es bereits in der auditiven Wahrnehmung, insbesondere bei der auditiven Diskrimination (Unterscheidung von Geräuschen) Schwierigkeiten hat?

Literacy