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David Bosshart

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Beschreibung

Wer zu viel bezahlt, ist blöd! Der Druck, immer billiger zu werden, ist zum Markenzeichen globaler Wirtschaftsprozesse geworden. Wal-Mart, der einflussreichste Händler der Welt, hat nur ein Motto: "Want more for less" - fordere mehr für weniger. Die Möglichkeiten des Global Sourcing und des Internet wirken in die gleiche Richtung. Wir alle lassen uns auf "Billig" trainieren - doch der Preis dafür ist hoch, denn tiefe Preise bedeuten auch tiefe Einkommen. Und das Grundprinzip, alles immer schneller, besser und gleichzeitig billiger anzubieten und zu konsumieren, lässt sich nicht endlos steigern - einer der drei Aspekte wird immer leiden. Wir haben an einer Spirale zu drehen begonnen, die sich nicht so leicht stoppen lässt. Aber wohin führt uns der Billigtrend? David Bosshart zeigt: Der Weg in die Dienstleistungsgesellschaft ist ein Trugbild, solange wir nicht bereit sind, für Dienstleistungen zu zahlen. Ein spannendes Buch zu einem brandaktuellen Thema!

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David Bosshart

Wie die Lust am DiscountWirtschaft und Gesellschaft verändert

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

[email protected]

2., aktualisierte Auflage

Nachdruck 2012

© 2004 by Redline Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlag: INIT, Büro für Gestaltung, Bielefeld

Satz und Gestaltung: Beate Soltész, Wien

Druck: Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN Print 978-3-86881-381-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86414-036-5

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86414-774-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

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Inhaltsverzeichnis

1.The Age of Cheap

Warum (fast) alles billiger wird

1.1.Warum der Billigtrend unser Leben verändertDer Zusammenhang von Wohlstand, Demokratie und Preisorientierung

1.2.Die vier Stufen der Entwicklung im Kundenverhalten

1.3.Das Panorama von Billig

(I) Cheap Fashion – Mode wird billiger

(II) Cheap Food – Essen wird (noch) billiger

(III) Cheap Computers – Computer am Ende des Computerzeitalters

(IV) Cheap Home Improvement, Cheap Consumer Electronics – zu Hause sein und Unterhaltung genießen: fast gratis

(V) Cheap Mobility, Cheap Travel – Bewegung im Discount

(VI) Cheap Money, Cheap Riskmanagement – Geld im Wandel

(VII) Cheap Know-how, Cheap Consulting – Wissen als Billigware

(VIII) Cheap Beauty – Körpergestaltung mit der Regel von McBody

(IX) Cheap Porn, Cheap Death, Cheap Morals – Verbilligung der Intimität

(X) Cheap Cities – Downgrading von Innenstädten

(XI) Cheap Chic – Cheap Brands? Billig heißt nicht einfach lausig!

2.Die Achse des Bösen in der Wirtschaft

Wal-Mart, China und das Internet

2.1.Erste Achse: der Handel – Wal-Mart und die Botschaft: „Fordere mehr für weniger!“

2.2.Zweite Achse: die Hersteller – China und die Möglichkeiten des Global Sourcings

2.3.Dritte Achse: der Kunde – Das Internet und das globale Kundenkartell

2.4.Welche Faktoren beschleunigen den Trend zu Billig?

(I) Liberté, Egalité, Portemonnaie – politisch-demokratische Gründe

(II) Deterritorialisierung des Wettbewerbs – ökonomische Rationalisierung

(III) Bevölkerungsrückgang in der Ersten Welt – demographische Zeitbomben

(IV) White-Collar-Work-Offshoring – die Migration von hochwertigen Dienstleistungen in Tiefkostenländer

(V) Reglobalisierung – Globalisierung funktioniert!

(VI) Die informationstechnische Revolution – das Preisbewusstsein steigt

(VII) Der Druck zur ständigen Optimierung der individuellen Risikoallokation

2.5.Der Traum wird billiger – der Bulldozer fährt weiter

3.Die Wal-Martisierung der Gesellschaft

Wie wir alle Wal-Mart werden

3.1.Warum Wal-Mart uns alle betrifft

3.2.Was heißt Wal-Martisierung?

(I) Alles dreht sich um „Preis“ und „Value“ als den Motor der Entwicklung

(II) Der Wandel in der Arbeiterschaft

(III) Der Wandel hin zu einer deutlichen Trennung von einer Low-Cost/Low-Wage-Welt und einer Premium-Welt

(IV) Der Wandel zur Standardisierung und Verbilligung des Alltagstraums des „american way of life“

(V) Die Steuerung von Freizeit- und Kulturangeboten

(VI) Die mediale Bedeutung der Kommunikation wird verändert

(VII) Ökonomisch herausragend ist die Vorreiterrolle für „schneller, besser, billiger“ und „größer, globaler, standardisierter“

(VIII) Eine Ikone der Globalisierung mit den Paradoxien des Guten und des Schlechten

4.Die Modelle der gegenwärtigen Rationalisierung

Aldisierung, McDonaldisierung, Starbuckisierung etc.

4.1.Die Modelle der Rationalisierung

(I) McDonaldisierung: die Basis des modernen Ernährungsstils

(II) Wal-Martisierung: die Basis des modernen Einkaufens

(III) Southwesternisierung: die Basis der modernen Mobilität

(IV) Starbuckisierung: die Basis der modernen Vorstellung von Convenience

(V) Aldisierung: die Hardcore-Version von Wal-Mart

(VI) Disneyisierung: die Basis der Modernisierung der Unterhaltung für Kinder

(VII) Vegasisierung: die Basis der Modernisierung der Unterhaltung für Erwachsene

(VIII) Venezianisierung: die Basis der Modernisierung der Unterhaltung für erwachsene Europäer

4.2.Was macht die Rationalität und den Erfolg dieser Modelle aus?

(I) Effizienzsteigerung und Einfachheit

(II) Kalkulierbarkeit und No Frills

(III) Vorhersehbarkeit und keine bösen Überraschungen

(IV) Kontrolle und Wiederholung

(V) Rationalisierungsmodelle haben Grenzen – und werden zu Irrationalisierungsmodellen

5.„Schneller, besser, billiger“

Intensivierte Zeitmärkte bringen das Zeitalter von Billig voran

5.1.Die Ökonomisierung der Zeit schreitet voran

5.2.Steigerungslogik (Logik Nr. 1)

5.3.Reale Märkte imitieren Finanzmärkte

5.4.Die missachteten persönlichen Ressourcen – Steigerungslogik bringt für Kunden höhere versteckte Kosten

5.5.Differenzierungslogik (Logik Nr. 2) – Was passiert, wenn unkontrollierbare Nebenfolgenkosten die Kosten übersteigen

6.„No Frills“

Über die Illusionen der Dienstleistungsökonomie

6.1.„Outsourcing to the customer“: Mythen der Dienstleistungen

6.2.„Marketing heißt, Waren zu verkaufen“: Mythen der Kundenorientierung

7.Was ist was wert?

Preise im Zeitalter von Billig

Zur zweiten Auflage 2004

Die neue Normalität in den sich globalisierenden Märkten

1. The Age of Cheap

Warum (fast) alles billiger wird

„Consumer Democracy is the gasoline for the bulldozer of globalization.“1

„Billig“ ist die wichtigste Entwicklung hin zur nächsten Etappe in der Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Billig meint nicht einfach „billig“ – es geht um eine grundsätzliche Einstellung von Menschen in einer Zeit, in der alles, was man haben kann, sofort verfügbar ist. Dass wir uns heute vorwiegend um Discount- und Schnäppchenjäger-Themen kümmern, ist eine logische und wichtige Folge der Entwicklung in satten Märkten. Wir können davon ausgehen, dass der Preis in den kommenden Jahren eine noch dominantere Rolle spielen wird – beim Einkaufen, in der Politik, in der Moral, in der Familie, in der Ausbildung, in der Freizeit. Erfolg hat mit Popularität und Prominenz zu tun, alles andere – wie Privilegien oder Tradition – kommt nachher. Das Populärste und Prominenteste in einer reifen, voll entwickelten demokratischen Marktwirtschaft ist der Preis.

1.1. Warum der Billigtrend unser Leben verändert

Der Zusammenhang von Wohlstand, Demokratie und Preisorientierung

Discount wird also zum wichtigsten und maßgebenden Lebensstil. Daraus wachsen neue, legitime Verhaltensweisen hervor:

Die „neue Bescheidenheit“ nobilitiert Knausrigkeit.

Armut verlangt nach billigen Produkten.

Geiz ist geil.

Wer zu viel bezahlt, ist blöd.

Was einst als Untugend galt, prägt heute ungeniert unseren Lebensstil. Wir entwickeln uns zu einer billigen Gesellschaft.

Für die Anbieter-Seite lauten daher die Fragen: 1. Wer ist besser? 2. Wer ist unter den Besten der Billigste? 3. Wer gewinnt den Zeitkampf? Also: Wer ist der Schnellste? Auf diese Modernisierung müssen wir uns in freieren Märkten einstellen. Für den Kunden ergeben sich dadurch billigere Preise.

In dieser Stufe der Marktdemokratie stellt sich auch die Frage nicht mehr, was zuerst da war, das Angebot oder die Nachfrage. Sicher scheint auf jeden Fall: Das Discount-Phänomen ist da, und es wird sich durch Konjunkturresistenz auszeichnen. Wir haben an einer Spirale zu drehen begonnen, die sich nicht so leicht stoppen lässt. Tiefere Preise bringen tiefere Löhne. Tiefere Löhne bringen tiefere Preise. Das Vabanquespiel zwischen Lust am Discount und Frust am Discount ist losgetreten und wird die Effekte von Dominosteinen erzielen. Es wird unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft nachhaltig verändern und damit auf bislang ungeahnte Weise modernisieren.

Wir haben in den letzten Jahren viel gehört über Globalisierung und zuletzt in den depressiven Post-New-Economy-Jahren 2001 bis 2003 noch mehr über Deglobalisierung. Anfang des Jahres 2003 hat uns der Ahold-Skandal mit seinen gar zu kreativen Accounting-Techniken erschüttert und vermeintlich bestätigt, was wir nach dem Börsenhype und den Übertreibungen in der Telekom-Industrie vermutet haben. Doch Deglobalisierung wäre die Rücknahme des Begonnenen, die Rückkehr zu so genannten „guten alten Zeiten“ national orientierter Ökonomien. Lassen wir uns aber nicht beirren. Jeder Megatrend hat einen Gegentrend. Globalisierung wird weiterschreiten, es gibt keine Anzeichen, dass dem nicht so wäre. Denn Globalisierung bringt vor allem eine Verheißung: Consumer Democracy. Das ist das Versprechen, dass die Menschen Zugang haben zu einer unglaublichen Vielfalt von Angeboten, dass sie daraus frei wählen können, das zu kaufen, was sie wirklich wollen. Consumer Democracy macht die Menschen erst wirklich gleich, unabhängig von Klasse und Rasse. Und das erst noch zu einem günstigen Preis. Was könnte man dem schon vernünftigerweise entgegensetzen?

Was aber ist Consumer Democracy? Consumer Democracy ist eine logische Weiterentwicklung aus der politischen Demokratie. Fast alle entwickelten Länder sind heute Demokratien. Die Grundrechte sind gegeben, Teil einer Tradition geworden, die man gar nicht mehr zur Diskussion stellen will, weil sie so selbstverständlich geworden ist. Dass die Menschen politisch Einfluss nehmen können mit ihrem Wahlzettel, ist für sie „geschenkt“, in positivem Sinne gegeben. Sie haben auch gelernt, dass das wichtig ist, aber nicht alles. Sie sind klug genug, diese Rechte zu schätzen. Sie wissen aber auch: Politische Macht in einer modernen Demokratie ist indirekt, relativ schwach und vor allem langsam. Die Menschen lernen heute, dass sie auf andere Weise Einfluss nehmen können, und zwar direkt, unmittelbar und mit sofortiger Wirkung auf ihr eigenes Leben. Und dass diese Wirkung durchaus auch politischer Natur sein kann. In der heutigen Consumer Democracy können sie mit ihrem Portemonnaie oder vielmehr mit Plastikgeld, mit ihrer Kreditkarte abstimmen: Ich wähle diesen Anbieter und nicht jenen. Consumer Democracy ist niemals ausschließend, sie eröffnet Optionen. Die Menschen haben gesehen, wie ihre Freiheit dadurch steigt. Heute lernen sie aber auch die Kehrseite kennen: Mehr Freiheit braucht auch mehr persönliche Verantwortung. Eine dank wachsender Angebotsvielfalt auch immer individualistischere Welt mit immer neuen Ansprüchen und Wünschen funktioniert nur, wenn jeder Einzelne die Verantwortung, statt sie in Systeme abzuschieben, selbst übernehmen kann.

Je mehr die Vernetzung erleichtert wird, je einfacher Informationen abgeholt werden können, desto mehr sind nämlich die Individuen auch aufgefordert, ihr Lebensarrangement selbst zu gestalten und das Richtige zu wählen. Sie können sich dabei also nicht mehr auf Traditionen verlassen (Wie haben wir es früher gemacht?), sondern müssen sich an der Vielfalt der Möglichkeiten der globalen Informationskanäle orientieren, den Trends, die sich als Kreuzung oder aktuelle Konstellation von Netzwerken ergeben. Trends ersetzen Traditionen. Das betrifft auch die persönliche Risikoallokation. Letztendlich lernen wir, dass uns im Notfall nicht mehr der Staat (siehe soziale Sicherheit), nicht mehr das Unternehmen (siehe Pensionskassen und die Frage nach den Renditen) oder andere Institutionen (z. B. NGOs) helfen, sondern wir für uns selbst verantwortlich sein werden. Wenn ich also keine verlässliche Abfederung von Risiken mehr habe, dann muss ich mich auf mich selbst verlassen können. Und das heißt: Die Menschen verhalten sich wie ein Unternehmen, das Gewinne maximiert. Verdeutlichen wir uns das mit drei Fragen, die jeder Leser selbst beantworten kann:

Wie viele von Ihnen möchten morgen lieber einen höheren Lohn als heute?

Wie viele von Ihnen möchten lieber tiefere Preise als höhere Preise, wenn Sie einkaufen und shoppen gehen?

Wenn Sie zu den Privilegierten gehören, die zusätzlich Geld sparen können, möchten Sie lieber eine höhere oder tiefere Rendite erzielen?

2

Das muss man nicht weiter erklären, denn die Antworten sind evident. Dass ich das Erste erreiche, ist nicht (mehr) selbstverständlich. Dass ich Letzteres erreiche, auch nicht (mehr). Aber das Zweite ist sehr wahrscheinlich. In der Consumer Democracy geht es darum, dass viele Menschen Zugang haben zu den Früchten der Zivilisation. Und es werden immer mehr. Es war noch nie so einfach, Zugang zu haben zu Produkten und Dienstleistungen, die man gerade will. Das bringt das Gefühl: Eigentlich ist alles da. Wir leben in der besten aller Welten. Wir brauchen es nur abzuholen. Die Consumer Democracy ist letztendlich ein gigantisches Buffet mit erlesenen Speisen, zu denen man unabhängig von Klasse, Rasse oder Tradition Zugang hat. Dank dem Zeitalter von Billig können sich selbst einkommensschwache Haushalte Champagner und Lachs leisten – man denke an Aldi und Lidl. Unser Freiheitsverständnis hat sich dahin entwickelt, dass mehr Auswahl immer besser ist als weniger Auswahl. 10 TV-Kanäle sind besser als 5, 50 sind besser als 20. Und 30 Erdbeerjoghurtsorten sind besser als 20. Wie noch nie zuvor gilt in der Consumer Democracy: Wir sind frei zu tun, was wir wollen. Wir sind frei zu sein, was wir wollen. Wir sind frei zu wissen, was wir wollen. Und vor allem: Wir sind frei, dahin zu gehen, wohin wir wollen. Aber wiederum mit der Konsequenz, dass wir mehr Verantwortung für uns selbst übernehmen. Denn wir müssen selbst wählen. Keine Tradition hilft uns mehr dabei.

Erleichterte Zugänglichkeit bringt aber auch als weitere Konsequenz die erhöhte Austauschbarkeit. Ich kann nun noch mehr wählen – oder negativ formuliert: Es gibt einen Zwang, ständig Optionen auszutesten. Vielfalt kann auch mühsam werden, ein Stressfaktor. Soll ich nach Ibiza in die Ferien gehen oder doch wieder einmal nach Rimini, oder ist das Last-Minute-Angebot nach Belek nicht noch viel besser? Wenn ich Biofood nicht mag, kaufe ich Labelfood. Und wenn ich mein Aussehen nicht mag, kaufe ich Skin Care oder gehe zum Chirurgen. Wenn mir die Heirat nicht mehr passt, wähle ich die Scheidung. Wenn ich Kinder bekomme, kann ich das Mercedes-Coupé nicht mehr finanzieren. Was ist die Konsequenz? Dadurch gewinnt das in reifen Ländern stärkste Argument an Gewicht: der Preis.

Obwohl Preise relativ sind, gewinnen sie als Orientierungspunkt immer größere Bedeutung. Je mehr Auswahl, je größer die Volatilität, desto größer auch die potenzielle Konfusion der Menschen. Da alles verfügbar und austauschbar ist, reduziert sich das Preisthema auf die Kernfrage: Was ist was wert? Die letzten Jahre und Jahrzehnte in unseren satten Marktdemokratien, in denen die Austauschbarkeit zugenommen hat, haben gezeigt: Menschen wollen vor allem eines: billige Preise. Preis ist das einfachste und zuverlässigste Unterscheidungskriterium geworden. Billig entwickelt sich zum Synonym für „gut“. Die Entwicklung der Demokratie, von den USA über Spanien und Deutschland bis zum neuen Europa, bestätigt überwältigend, dass ein Leben in Frieden ein Leben ist, das sich über Werte der Consumer Democracy definiert.3 Teilhabe heißt Teilhabe an politischen Prozessen und an konsumistischen Wahlmöglichkeiten.

Die Menschen wünschen sich eine materielle Basis, die ihnen ein Minimum an Wohlstand und Wahlfreiheit bringt. Die wirtschaftlich führenden Nationen des Westens – man nehme die USA und Deutschland – sind die Länder, in denen der Preis das herausragende Instrument ist und in denen Demokratie und Konsum radikal zusammengehören. Zugleich sind die demokratischsten Länder der Welt – und dazu gehören sicherlich Deutschland und die USA – auch die härtesten Länder, wenn es um den Erfolg geht.4 Wir können ein Lied singen von ausländischen Händlern, die in Deutschland den Erfolg gesucht haben. Die Franzosen schaffen es nicht, und sogar Wal-Mart hat größte Mühe, dieses Land zu verstehen und seine Geschäfte profitabel zu entwickeln. Und die USA sind das härteste Land für Europäer – denken wir auch hier wieder an den Handel: Ahold, bis Anfang dieses Jahrhunderts der Börsenliebling im Handel in Europa, ist über den eingangs erwähnten Skandal gestolpert, weil man die Mentalität und Härte des Marktes nicht richtig einschätzte, man betrachte auch die bescheidenen Schritte europäischer Giganten wie Auchan oder Sainsbury’s. Erfolg scheint es nur in Nischen zu geben – etwa im Bereich Fashion, wo der Luxus mit seinen hohen Margen eine hohe Attraktivität hat. Aber für die Massen und das Massengeschäft ist Amerika ein steinhartes Land.

Fassen wir die für die Consumer Democracy wichtigsten Punkte in drei „A“ zusammen:

Accessability

– Der Zugang ist leicht und vor allem nicht mehr über bestimmte traditionelle Kriterien definiert. Wann immer, wo immer ich etwas wünsche – ich kann es bekommen, wenn ich es will.

Affordability

– Ich muss nicht Millionär sein, um teilhaben zu können. Ich kann es mir leisten. Die finanziellen Schranken sinken. Wenn ich mir etwas wünsche, kann ich es bekommen zu einem Preis, der meinen Möglichkeiten entspricht.

Amenity

– Es muss reizvoll, interessant, erheiternd, erhellend sein. Auch günstige Produkte müssen

Werte

anbieten, die mir persönlich wichtig sind und so Teil meines Produktuniversums werden. Am schönsten sieht man das im Premiumbereich: Von unten kommt mit dem Billigtrend die Differenzierung mit Cheap Chic – billig, aber geschmackvoll – als Aufsteiger und bedrängt die Hochpreissegmente, von den Automobilen (Hyundai) über das Gourmet Food (Trader Joe’s) bis zur Mode (Zara, H&M). Und natürlich ist die Qualität in Ordnung.

Welcome to the Cheap Chic World!

Die Menschen der Consumer Democracy gewöhnen sich Schritt für Schritt an die neuen Realitäten in den sich globalisierenden Märkten. Ihr Motto ist ebenfalls ein politisch abgewandeltes, nämlich das berühmte der Französischen Revolution: Liberté, Egalité, Portemonnaie. Du hast Wahlmöglichkeiten, du hast gleichberechtigten Zugang unabhängig von Traditionen, und letztendlich gibt das Portemonnaie den Ausschlag, deine Cash-Ressourcen. Wer zahlt, befiehlt. Wer befiehlt, zahlt. Die Fraternité, die Brüderlichkeit, ohnehin der kritischste Begriff in der berühmten Trilogie, wird ersetzt durch das Portemonnaie. „Was sind deine Cash-Ressourcen?“, lautet die entscheidende Frage. Die Orientierung am Geld bzw. am Preis drückt damit die höchste Form einer entwickelten demokratischen Konsumgesellschaft aus: Freiheit, Gleichheit und Geld. Und damit die größer werdende Unabhängigkeit von politischen Zwängen bei gleichzeitig steigender Eigenverantwortung.5

1.2. Die vier Stufen der Entwicklung im Kundenverhalten6

Fassen wir die Entwicklung hin zur Consumer Democracy der letzten Jahrzehnte in ein einfaches Entwicklungsschema, so können wir vier Stufen unterscheiden.

Stufe 1: „You need it!“ – Economies of Needs

Am Anfang stand die Versorgungsökonomie. Wie kann in der Demokratie eine Grundversorgung garantiert werden? Mit dieser Voraussetzung sind beispielsweise in vielen Ländern die Konsumgenossenschaften bei den Lebensmitteln entstanden. Je besser die Grundversorgung gewährleistet ist, desto mehr entstehen Ansprüche auf einem „höheren“ Niveau, also persönliche Wünsche, exotisches Begehren nach individuellen, maßgeschneiderten Produkten und Dienstleistungen.

Stufe 2: „You want it!“ – Economies of Wants

Bedürfnisse kann man befriedigen, der Wünsche hingegen sind unendlich viele.7 Der Übergang von einer Bedürfnisökonomie zu einer Wunschökonomie ist vielleicht der entscheidende Schritt in der Frage, wie wir uns organisieren, wie wir miteinander kommunizieren und wie wir unser Leben gestalten wollen. Denn es geht heute um die Kunst, Kunden immer wieder neu zu verführen. „Modernity means the freedom of seduction“, sagt der türkische Sozialwissenschaftler Nilüfer Göle. Der Kern der Freiheit in einer Wunschökonomie liegt in der Schaffung immer neuer Begehrlichkeiten. Davon ist natürlich auch eine Consumer Democracy vital abhängig. Ohne diesen Motor kann sie sich nicht entfalten.

Stufe 3: „You deserve it!“ – Economies of Access, Reward and Instant Gratification

Je selbstverständlicher Innovation, Überfluss und Wohlstand werden, desto wichtiger wird der Zugang zum Produkt. Das ist wahrscheinlich die zentrale Erkenntnis der Informationsgesellschaft. Es ist wie beim Web: Wir wollen nicht mehr warten, die Ungeduld steigt. Die Anzahl der Barrieren nimmt ab. Und die Vielfalt der Kanäle, über die ich einerseits einkaufen kann, hat über die letzten Jahre enorm zugenommen. Aber auch die Vielfalt der Kanäle, über die ich andererseits auf einfache und günstige Weise zu guten Informationen komme, hat über die letzten Jahre ebenfalls dramatisch zugenommen.

Stufe 4: „You can!“ – Economies of Discount: You do it because you just can – at lowest price

Wir sind heute am Beginn einer Phase angelangt, in der die Kunden so viel wissen, dass sie Wertschöpfungsketten, Angebote und Dienstleistungen etc. durchschauen können. Es gibt daher streng genommen nur noch B2B-Kunden und keine B2C-Kunden mehr. Wir kaufen, weil wir können. Wenn du es kaufen kannst, kaufe es, und zwar zum günstigsten Preis! Auch diese Entwicklung macht den Innovationen das Leben schwer. Was heute exklusiv und teuer ist und den Status von Luxus hat, ist morgen schon eine banale Commodity, ein banales Tausch- oder Gebrauchsgut. Wir vergleichen alles mit allem, und tendenziell ist alles gleich viel wert! Die gut informierten Kunden wissen von allem den Preis – aber von nichts mehr den Wert.8

Wir können also sagen, dass Discountorientierung, die Suche nach Value, der Fokus auf Preis, politische Sparsamkeit und Geld Teil einer umfassenden Modernisierung sind, die heute, am Beginn einer forcierten Globalisierung, die Mentalität von Kunden und Bürgern verändert.

1.3. Das Panorama von Billig

Schauen wir kurz die verschiedenen Branchen und ihre Sparten an. Dadurch gewinnen wir einen Überblick über die verschiedensten Phänomene, die unsere Billig-Zeit ausmachen.

(I) Cheap Fashion – Mode wird billiger

Am weitesten fortgeschritten ist sicherlich der Fashion-Bereich. Die Mode ist gegenüber den Lebensmitteln und allen anderen Nonfood-Bereichen am weitesten, weil sich alles, von der Produktion bis zur Distribution, relativ leicht delokalisieren lässt. Fashion ist der schnellste Bereich. Hier findet man sowohl im Premium- wie im Discountbereich viele Beispiele, dass alles, was mit Mode zu tun hat, vollständig demokratisiert ist. Zara9 und H&M gehören wohl zu den wichtigsten Schrittmachern im Handel. Die beiden schnell wachsenden Ketten haben es geschafft, dass einer trendbewussten Klientel preislich attraktive Angebote gemacht werden können, die jährlich mehrere Male, ja im besten Falle wöchentlich zum Einkauf erscheint.

Es gibt aber ein schnelles Lernen bei den anderen, etwa im Verbraucherund Supermarktbereich, wie z. B. mit George, der Eigenmarke von Asda/Wal-Mart, Cherokee von Tesco oder Jeff’s von Sainsbury’s in den tieferen Preissegmenten. Die Nobelmarken müssen nachziehen und sind dabei, sich rasch zu differenzieren und neue Segmente zu definieren. Armani X/Change oder die Jeans-Couture von Versace sind Beispiele, wie die einstmals luxuriösen Marken, die Kunden abschreckten, nun nicht mehr darum herumkommen, preisbewusste Kunden zu gewinnen, um ihre teureren Angebote von unten her emotional zu stärken und im Massenbewusstsein zu verankern.

Längst haben auch die Harddiscounter das Potenzial von Cheap Fashion erkannt. Aldi macht bereits über eine Milliarde Euro Umsatz mit Bekleidung und ist damit in Deutschland der siebtgrößte Textilhändler. Lidl erreicht ebenfalls schon bald ähnliche Zahlen, und Plus versucht, Ralph Lauren zu verhökern zu Preisen, die um 50% unter dem regulären Verkaufspreis liegen (oder sind es nur geschickte Fälschungen?).10

(II) Cheap Food – Essen wird (noch) billiger

Food ist die Domäne der Harddiscounter, insbesondere der deutschen. Es gibt gegenwärtig kein Land, in dem Aldi oder Lidl auf dem absteigenden Ast wären.11 Dieses Phänomen ist natürlich in Deutschland am weitesten fortgeschritten. Selbst in Ländern, in denen sie bislang wenig prominent waren, holen Aldi und noch aggressiver Lidl auf.12 In den USA machen die sog. Dollar Stores auch noch gegenüber Wal-Mart Terrain gut, indem sie noch schneller wachsen als der Branchenprimus.13 So haben fünf der führenden Ketten, Family Dollar, Dollar General, Dollar Tree, Fred’s und 99 cents only, von 2001 auf 2002 um 15,8% zugelegt, und Experten schätzen, dass bis 2007 ein ähnliches Wachstum möglich ist. Dollar Stores haben heute bereits über 12.500 Läden in den USA, und es gelingt ihnen, was typischerweise guten Discountkonzepten gelingt, nämlich neue Kundensegmente zu erschließen. Sie erreichen heute 52% der US-Haushalte, Tendenz steigend.14 Die Beliebtheit entsteht vor allem durch Glaubwürdigkeit. Da die Preise so tief sind, haben die Kunden den Eindruck, dass ihnen die Anbieter wirklich sparen helfen. Sie bekommen hier vor allem auch ein Gefühl wenigstens minimaler Macht, weil die Dollar Stores auch den Ärmsten einen Mix von Konsumgütern anbieten, den sie sich leisten können. Und sie können vor allem noch wählen. Gegenüber dem Staat fühlen sich die meisten Menschen zunehmend ausgeliefert, machtlos und willkürlich behandelt. Und die viel kleinere Fläche wirkt familiärer und vertrauenserweckender als die großflächigen Big Boxes von Wal-Mart. Die Kunden wollen keine integrierten Pharma- oder Drogeriemärkte, keine Kreditkarten und Dienstleistungen, da sie intuitiv erkennen, dass das alles nur kostet und auf ihre Preise draufgeschlagen wird.

Allerdings sind auch die Dollar Stores ein sozial nicht unbedenkliches Phänomen. Wenn hier nur noch die Armen bzw. die Allerärmsten einkaufen, verstärkt das die soziale Segregation. Was wir bei den oberen Schichten feststellen können, nämlich eine zunehmende Homogenisierung des gesellschaftlichen Lebens in immer den gleichen Gruppierungen – man kauft am selben Ort ein, man legt das Geld gleich an, man schickt die Kinder in die gleichen Schulen, man wohnt in denselben Vierteln, man benutzt die gleichen Kanäle –, trifft auch für die unteren Schichten zunehmend zu.15

Wal-Mart nimmt die Dollar Stores übrigens ernst. Das beweist die Tatsache, dass der Gigant seine eigene Version des Harddiscounts zu testen beginnt. Unter dem Namen „Hey Buck“ wird getestet, wie mit Shop-in-Shop-Konzepten dem Aufstieg der hoch konzentrierten Billiganbieter entgegengetreten werden kann. Kroger war übrigens der erste große Supermarkt-Anbieter in den USA, der dieses Konzept systematisch entwickelt und als Corner-Konzept in seine Läden integriert hat. Einmal mehr aber hat ein Schweizer Unternehmen zuerst den Trend erkannt, nämlich der Super- und Verbrauchermarkthändler Migros. Mit der Einführung der Linie M-Budget, also ein Sub-Brand der Eigenmarke mit klarem Discount-Profil, konnte schon in der zweiten Hälfte der 90er Jahre mit mehreren Dutzend Artikeln, vor allem mit Food- und Nearfood-Artikeln, Kultstatus erworben werden. Aber wie so typisch bei einem Schweizer Unternehmen, wurden Trends nicht konsequent umgesetzt, und der – erfolgreiche – Ansatz blieb eher ein Nischenphänomen. Doch das kopieren heute viele der großen Anbieter von Kroger bis Wal-Mart.

Aber auch regionale Anbieter haben Chancen mitzuziehen. In der Schweiz wächst Denner sehr rasch, und in Belgien schreibt Colruyt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte.17 Es legen die Formate zu, die übersichtliche Angebote, keine verwirrende Vielfalt und vor allem natürlich eine No-Frills-Kostenstruktur aufweisen können. Den Billig-Foodanbietern kommt auch die Größe und die Lage zugute. Während klassische Formate wie Supermärkte und vor allem Hypermärkte (Verbrauchermärkte) zu kompliziert und zeitaufwändig werden – sie dürften insgesamt ihren Zenit in reifen Märkten überschritten haben, Indiz ist die Schwierigkeit, vor allem Hypermärkte neu zu erfinden –, legen die Harddiscounter weiter zu.18

(III) Cheap Computers – Computer am Ende des Computerzeitalters

Larry Ellison, der charismatische CEO von Oracle, geht davon aus, dass die gesamte Computerindustrie im Reifestadium angelangt und gezwungen ist, immer billiger zu werden. Denn The Next Big Thing kommt nicht mehr aus dem IT-Sektor, sondern aus der Biotechnologie. Daher werden billigere Computer, die freie Linux-Software benützen, kombiniert mit Effizienzgewinnen, die Preise und Margen weiter nach unten drücken. Die IT-Branche wird mehr standardisieren und ihre Produkte und Dienstleistungen radikal vereinfachen müssen, will sie den Kampf gegen die Zeit und gegen vorschnell erodierende Margen nicht schon jetzt verlieren. All das kommt den Kunden zugute.19 Wo wird gespart? Mit Vorteil bei den Dienstleistungen, bei den Beratungsangeboten. Denn diese sind kaum durchschaubar, kaum einschätzbar. Nur noch wenige Firmen leisten sich den Luxus, zuvorderst dabei zu sein, wenn kein nachweislicher Produktivitätsgewinn mit der Implementierung von IT-Prozessen verbunden ist.

(IV) Cheap Home Improvement, Cheap Consumer Electronics – zu Hause sein und Unterhaltung genießen: fast gratis

Nehmen wir noch ein weiteres Beispiel: den ganzen Bereich der Appliances, der Haushaltsgeräte, der Möbel. Firmen wie Media Markt, Saturn, Best Buy, Home Depot oder Ikea können trotz ihrer relativ komplexen Organisation weiter billiger werden – oder zumindest den Kunden das Gefühl vermitteln, dass sie billig sind. Nicht zufällig war die Saturn-Kampagne „Geiz ist geil!“ eine der erfolgreichsten der letzten Jahre überhaupt. Der Spruch drückt natürlich eine Mentalität aus, die den Zeitgeist besser nicht auf den Punkt bringen könnte.

Wenn Ikea in der Schweiz ankündigt, ein Sofa für 30 Franken zu verkaufen, dann übernachten inzwischen auch in diesem Land, in dem die Kunden dafür bekannt sind, gute Margen zu bezahlen20, Menschen vor der Eingangstür des Unternehmens, um am Morgen eines der begehrten Aktionsobjekte ergattern zu können. Wichtig scheint hier zu sein, dass das Ausstatten von Wohnungen billiger wird. Da Menschen heute immer weniger wissen, wie lange sie sich an einem Ort aufhalten, müssen sie die geforderte Flexibilität auch im eigenen Haushalt steigern. Das macht man natürlich mit billigen Einrichtungsgegenständen. Ikea erlaubt mir nicht nur, günstige Möbel zu kaufen, sondern auch mich einem sich wandelnden Geschmack wieder anzupassen, ohne dass ich gleich ein Vermögen ausgeben muss. Ikea-Deutschland-Chef Werner Weber sagt denn auch konsequenterweise: „Wir werden uns im Preis weiter nach unten positionieren.“21

Und in jeder Wohnung gehören heute Unterhaltungssysteme zur Standardausrüstung. Die Entwicklung der Consumer Electronics zeigt uns eindrücklich, wie rasch heute Innovationen unter Preisdruck kommen. Nach der Schallplatte und Vinyl kam die CD. Die Videoindustrie hat ihre beste Phase längst hinter sich, und wir wollen DVD-Qualität. Die Flachbildschirme sind faszinierend. Wir gehen Richtung Konvergenz der Medien, und die Integration von Ton, Bild und Film erlaubt einfachere Anschaffungen von billigen Unterhaltungselementen.

(V) Cheap Mobility, Cheap Travel – Bewegung im Discount

Am eindrücklichsten ist aber sicherlich der emotionale Bereich des Reisens. Wenn es etwas gibt, was die wohlstandsgesättigten Menschen der westlichen Welt – und mit ihnen die der folgenden Schwellenländer – nicht aufgeben wollen, dann ist es das Reisen. Freiheit und das Recht auf Reisen, wann immer man will und wohin immer man will, scheinen unlösbar zusammenzugehören. Wird nun der Reisebereich und die grenzenlose Mobilität zum Schrittmacher für „Billig“, so haben wir den Kern unseres gegenwärtigen Freiheitsverständnisses getroffen. Denn nichts ist sozial akzeptabler als grenzenlose Mobilität zu unschlagbaren Preisen.

Wie stark und vor allem wie rasch die discountgetriebene ökonomische und soziale Modernisierung alte Traditionen aufheben kann, haben unübertreffbar die Fluggesellschaften gezeigt. In kaum einem anderen Bereich ist die Preissensibilität in den letzten Jahren so stark gestiegen wie beim Fliegen. Während man bis vor kurzem – wie etwa in der Schweiz bei Swissair – nationalen Stolz und Prestige mit dem nationalen Carrier verband und hohe Akzeptanz auch bei Nichtfliegern verbuchen konnte, schmilzt dieser Zusammenhang mit den heutigen Voraussetzungen auf den Märkten im Nu zusammen. Billigfliegen hat fast schon den Status eines Menschenrechts erreicht.

Das Phänomen ist international, und es ist klassenübergreifend. Auch verwöhnte Business-Class-Reisende steigen massenweise auf Billiganbietern um, nicht nur Economy-Class-Passagiere. Wer heute in Europa unterwegs ist, ob zwischen Berlin und Zürich, Hamburg und London oder Frankfurt und Paris – die Business-Class-Sitze haben sich geleert. Genauso wie wir in der Gesellschaft eine rasche Veränderung der Business-Klasse beobachten können, sehen wir bei den Kurzstrecken ihr eigentliches Verschwinden. Die Fluggesellschaften haben weiterhin in Kategorien des Prestiges gedacht, während inzwischen für die meisten Business Travellers, insbesondere auf Kurzstrecken, der Zeitfaktor längst vordringlich geworden ist. Man nimmt Einbußen beim Komfort in Kauf, aber man will dafür Zeit sparen, sprich rechtzeitig abfliegen und ankommen. Und genau darin sind viele Billigflieger inzwischen zuverlässiger als die nationalen Fluggesellschaften. Selbst bei der Beinfreiheit macht man Abstriche, solange man weiß, dass der Flug nur 55 Minuten dauert und man vor dem Abflug in der Lounge noch in Ruhe Telefonate führen und E-Mails checken kann.

Ebenfalls große Änderungen sind bei den Langstrecken im Gang. Dass hier die First Class auf immer mehr Strecken mehr oder weniger klammheimlich am Verschwinden ist, ist ebenfalls kein Zufall. Parallel rüstet die Lufthansa für einzelne Langstreckenflüge in die USA Typen von der Boeing 737 oder dem Airbus A319 zu C-Class-only-Flügen mit der smarten Sitzzahl von 48 um. So wird wenigstens wieder etwas Stammesgefühl inszeniert.

Und was passiert nun mit der First? Während die First-Class-Kabine sich in den letzten Jahren immer mehr zum Refugium einer eigenen Business-Upgrade-Klasse entwickelte, also statt Normalzahlende Bonusmeilen-Einlöser bediente, ist die alte Elite längst im Privatjet unterwegs. Auf den Linienflügen wird weiter gespart, und der verwöhnte Kunde der letzten Jahre wird sich umgewöhnen müssen. Während es bei den nationalen Fluggesellschaften ein generelles Downgrading in Richtung No-Frills-Angebot zu beobachten gibt, das in Konkurrenz mit den Discountern steht, wird, wer es sich leisten kann, sich ausklinken und ganz auf den regulären Flugbetrieb der Fluggesellschaften verzichten – und mit seinen wichtigsten Businesspartnern privat unterwegs sein.