Bissige Küsse - Dania Mari Hugo - E-Book

Bissige Küsse E-Book

Dania Mari Hugo

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Beschreibung

Vampirküsse machen süchtig. Schon davon gehört? Im Verborgenen und doch mitten unter uns lebt eine Gesellschaft von Vampiren in einer beinahe perfekten Symbiose. Als Chenna und Sonny der Gesellschaft beitreten, bringen sie jedoch so einiges durcheinander. Ganz unbeabsichtigt natürlich.

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Bissige Küsse
Bissige Küsse
Snappy Kisses - Band 1
1
Fahr zur Hölle, du Idiot!
2
Und wenn ich dich bitte, zu bleiben?
3
Vielleicht merkst du dir meinen Namen auch so
4
Hat er sie gebissen?
5
Das muss ich doch hoffentlich nicht trinken
6
Schlaft ihr am Tag?
7
Ich will heute Abend schön aussehen
8
Er ist nur ein Vampir von vielen
9
Ich gehe das Risiko ein
10
Ich bin ein Vampir, vergiss das nie!
11
Er ist dein Ex?
12
Du solltest niemals einem Vampir trauen
13
Vampire sind immer hungrig
14
Ich wollte nie ins Haus 1 zurück
15
Das ist ein Vampirkater
16
Wer bitte ist Aric?
17
Du kannst mich nicht zwingen
18
Du kannst mich sehen, oder?
19
Ich habe gehört, wie sie dich 'Monster' nennen
20
Trag die Phiole!
21
Eine Fehlermeldung!
22
Ich war im Kino
23
Dein Lippenstift ist verschmiert
24
Ich gehe nicht mehr in die Häuser zurück
25
Seht nur, sie will spielen
26
Lebt sie noch?
27
Ich liebe dich, Sonny
28
Es ist strahlender Sonnenschein
29
Weißt du denn deinen Namen noch?
30
Ich geh allein
31
Ich will einen anderen Vampir
32
Mistkerle!
33
Ist das dein letztes Wort?
34
Das war sehr mutig und auch sehr dumm
35
Ich wusste nicht, dass man sie töten kann
36
Hast du vergessen, was er dir angetan hat?
37
Ich habe ein Geschenk für Haus 4
38
Und wie geht es jetzt weiter?
Liste der Charaktere

Bissige Küsse

Dania Mari Hugo

Buchbeschreibung:

Vampirküsse machen süchtig. Schon davon gehört?

Im Verborgenen und doch mitten unter uns lebt eine Gesellschaft von Vampiren in einer beinahe perfekten Symbiose. Als Chenna und Sonny der Gesellschaft beitreten, bringen sie jedoch so einiges durcheinander.

Ganz unbeabsichtigt natürlich.

Über den Autor:

Dania Mari Hugo ist mit Stift und Papier zur Welt gekommen. Schon als Kind hat sie mit größter Fantasie Geschichten erfunden. Die Begeisterung fürs Schreiben hat sie nie im Stich gelassen. Sie lebt allein mit ihren Figuren in einem Penthouse in Salina.

Bissige Küsse ist der erste Band der Snappy-Kisses-Reihe.

Von ihr ist außerdem der Liebesroman 'Emerald Beach' erschienen.

Hinweis:

Zur Übersicht der Vampire, Clans und Häuser befindet sich am Ende des Buchs eine Liste der in diesem Band vorkommenden Charaktere.

Triggerwarnung:

Folgende Themen kommen in diesem Buch in unterschiedlicher Intensität vor: Alkoholkonsum, sexuelle Handlungen, sexuelle Übergriffe, Verführung, Blut, Gewalt, Androhung von Gewalt, Stalking, Liebeskummer, Tod.

Bissige Küsse

Snappy Kisses - Band 1

Dania Mari Hugo

Books on Demand GmbH

22848 Norderstedt

[email protected]

2. Auflage, 2023

© 2023 Dania Mari Hugo. Alle Rechte vorbehalten.

Books on Demand GmbH

22848 Norderstedt

Books on Demand GmbH, Norderstedt

[email protected]

www.daniamarihugo.de

Umschlaggestaltung: inspirited books Grafikdesign | www.inspiritedbooks.at

Lektorat: Manu Hansen

Bild: Kapitelzierden gestaltet von Sora

ISBN: 978-3-7568-9128-3

Jahrelang hast du im Dunkeln gesessen. Eingesperrt. Vergessen. Traurig.

Der kleine Vogel in dir hat endlich ein winziges Loch gefunden, hat sich hindurchgezwängt und ist aufgeflogen.

Der Sonne entgegen.

Dieses Buch ist für dich.

1

Fahr zur Hölle, du Idiot!

»Das Shoppen war echt anstrengend. Gehen wir noch 'ne Pizza essen?« Chenna Park stellte ihre Einkaufstaschen ab und zog ihr Handy hervor. Während die junge Studentin draufblickte, fuhr sie sich mit den Fingern gedankenverloren durch ihr kurzes, blondes Haar. »Es ist gleich neun. Wieso meldet Mike sich schon wieder nicht?«

Die etwas größere, dunkelhaarige Sonny Kim sah sich um. »Neben dem Kino hat eine neue Pizzeria aufgemacht. Wollen wir die mal ausprobieren?«

Die Abenddämmerung setzte ein und die Straßenlaternen sprangen an. Chenna seufzte und ließ das Handy zurück in ihre Tasche gleiten. »Ich hab ihm geschrieben. Vielleicht kann er ja noch dazukommen.«

»Och nö. Warum können wir zwei nicht einmal einen einzigen Tag allein verbringen?« Sie versteckte ihren Frust nicht vor ihrer besten Freundin. Ihre braunen Augen blickten missmutig zu ihr rüber.

»Jetzt sei nicht so. Wir hatten doch schon den ganzen Tag.« Es summte in ihrer Tasche und sie zog das Handy erneut heraus.

»Ja, und Mike verdirbt jetzt wieder alles.«

Chenna verzog den Mund. »Du kannst dich beruhigen, er hat mir gerade geschrieben, dass er noch etwas für seine Oma tun muss.«

Sonny schnaufte: »Wer glaubt das denn?« Sie sah Chenna direkt an: »Also, Pizzeria? Oder was?«

Diese nickte und die beiden setzten ihren Weg fort. Gegenüber vom Kino überquerten sie die Straße und gingen direkt auf den Eingang zu. Chenna ließ ihren Blick im Vorbeigehen über die wartenden Besucher schweifen. Dann stutzte sie kurz und sah noch einmal hin. War das Mike? Sie blieb stehen.

Sonny, die schon weitergegangen war, kam zu ihr zurück. »Ist was?« Sie folgte ihrem Blick und schnappte leise nach Luft. Die beiden starrten auf ein Pärchen, das vor dem Eingang auf Einlass wartete. Er hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt. Und als er sich jetzt umdrehte, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben, fiel sein Blick nach hinten und er entdeckte die beiden Frauen. Seine Augen wurden groß. Für einen Moment sah er recht unentschlossen von seiner Begleitung zu Chenna. Dann zog er seinen Arm zurück.

Chenna setzte sich in Bewegung und stapfte auf ihn zu. Mike sah sie kommen und trat einen Schritt zurück. Die Begleiterin blickte erst jetzt überrascht auf, ohne zu verstehen.

»Hey, Chen«, stammelte Mike kleinlaut.

Sie kam direkt auf ihn zu und versetzte ihm eine satte Ohrfeige. Das klatschende Geräusch ließ alle Umstehenden aufblicken.

»Was soll das denn?«, fuhr seine Begleitung sie an, doch Chenna schob sie mit dem Ellenbogen rabiat zur Seite und baute sich vor ihm auf: »Deine Oma also, ja?«

»Du musst da was missverstanden haben–«, druckste er herum.

»Ach, wirklich?« Sie trat einen weiteren Schritt auf ihn zu, doch Sonny warf sich beherzt dazwischen und murmelte nachdrücklich: »Wir gehen jetzt besser!«

Die beiden Mädchen funkelten Mike böse an. Während Sonny Chenna aus der Menge herauszog, konnte Chenna sich nicht zurückhalten und rief ihm nach: »Fahr zur Hölle, du Idiot!«

Als die beiden die Straße weiter entlangliefen, schimpfte Chenna immer noch wutschnaubend vor sich hin. Vor der Pizzeria blieben sie stehen und sahen sich an. Chenna warf sich gegen die Hausmauer und blickte in den schwarzblauen Himmel. Sonny stellte sich wortlos vor sie und schirmte sie von den vorbeilaufenden Passanten ab. Sie wartete geduldig, bis sie von sich aus zu sprechen begann.

»Warum hab ich nicht schon früher auf dich gehört?«

Sonny schüttelte den Kopf und zog sie in den Arm. Sie hielten sich eine ganze Weile fest, dann löste Chenna sich aus der Umarmung. »Mir ist so gar nicht mehr nach Essen gehen.«

»Natürlich nicht, ChenChen. Wollen wir uns was für Zuhause einpacken lassen?«

Chenna schüttelte den Kopf. »Mir ist der Appetit vergangen. Aber mach du nur. Ich warte hier.«

Sonny sah sie prüfend an, dann nickte sie und verschwand im Inneren der Pizzeria. Chenna ließ sich wieder gegen die Mauer fallend. Sie sah abwesend über die Menge der Leute um sich. Es war inzwischen dunkel geworden und in diesem Viertel begann um diese Zeit das Leben. Das Kino, Kneipen, Clubs und Restaurants zogen ein vielfältiges Publikum an.

Ihr zitterten die Knie und der Sturm in ihrem Bauch beruhigte sich nur langsam. Sie konnte einfach nicht fassen, was sie gerade erlebt hatte. Mike und sie waren seit fast einem Jahr ein Paar. Hatte er sie etwa schon die ganze Zeit hintergangen? Sonny hatte ihn und seinen besten Freund Brodie von Anfang an nicht gemocht, aber sie hatte sich mit Kritik immer zurückgehalten. Jetzt stellte Chenna plötzlich die ganze Beziehung in Frage.

Sie spürte einen kalten Windhauch. Fröstelnd verschränkte sie die Arme umeinander und sah sich um. Niemand sonst schien es bemerkt zu haben. Manche standen in Gruppen mit Gläsern in der Hand, Paare liefen vorbei. Wohin sie schaute, alle waren in Gespräche vertieft. Kein Mensch achtete auf sie. Und doch hatte sie das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Sie suchte die Szenerie noch einmal ab. Das Gefühl blieb und bescherte ihr eine weitere Gänsehaut.

Hinter einer Gruppe von Leuten, die einem Straßenmusiker zuhörten, stand ein Mann in Schwarz und fing ihren Blick auf. Die Zuschauer um ihn herum lauschten der Musik, bewegten sich im Takt und klatschten mit. Einige tanzten sogar ausgelassen. Dieser Mann stand einfach nur da und sah sie an. Sie konnte zwar sein Gesicht nicht richtig erkennen, er war zu weit weg und seine Mütze warf einen Schatten über den größten Teil des Gesichts, aber sie konnte seinen Blick auf sich regelrecht spüren.

Chenna schluckte und sah sich nach rechts und links hilfesuchend um. Menschen liefen an ihr vorbei. Als sie wieder zu der Gruppe rübersah, war er verschwunden. Er hatte nicht nur aufgehört, sie anzusehen. Er war weg. Sie suchte die Straße noch einmal ab, aber sie konnte ihn nicht mehr entdecken. Das hatte sie sich doch nicht eingebildet? Sah sie jetzt schon Gespenster? Sie war froh, als Sonny mit ihrer Schachtel aus der Pizzeria kam.

»Soll ich dich nach Hause bringen?«, fragte Sonny besorgt.

Chenna winkte ab und sah sich ein letztes Mal um. »Ist schon gut. Wir trennen uns wie immer am Brunnen. Es ist ja nicht weit.«

Als sie sich verabschiedet hatten, setzte Chenna ihren Weg durch die dunkle Stadt fort. Sie wohnte vom Brunnen nur drei Straßen entfernt in einem Wohngebiet. Hier war es ruhiger. In ihrem Kopf wiederholte sich die Szene vor dem Kino in Dauerschleife. Ihr war immer noch auffällig kalt und sie beeilte sich, nach Hause zu kommen. Dann hörte sie die Schritte hinter sich.

Zunächst dachte sie, es wäre nur der Widerhall ihrer eigenen Schritte, doch der Rhythmus war ein klein wenig anders. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Wurde sie verfolgt oder war es nur ein Zufall, dass jemand in genau die gleiche Richtung ging? Hätte sie doch nur Sonnys Angebot angenommen. Sie wagte es nicht, zurückzublicken, aber bei einem unauffälligen Blick nach links erschien ein deutlicher Schatten in ihrem Augenwinkel. Nur wenige Meter hinter ihr.

An der nächsten Straßenecke bog sie ab und versteckte sich sofort hinter einem Toreingang. Sie lauschte auf die Schritte, aber alles blieb still. Das konnte doch gar nicht sein. Wo war der Verfolger geblieben? Er hätte längst an der Ecke vorbeikommen müssen. Wie gelähmt drückte sie sich gegen den Torpfosten und wartete weiter auf ein Geräusch. Das Quietschen eines Gartentors, das Klicken eines Feuerzeugs oder das Starten eines Motors, das erklären würde, wo die Person auf einmal abgeblieben war. Sie hatte sich doch nicht geirrt. Sie wagte kaum zu Atmen, aus Angst, jemand würde um die Ecke auf sie lauern.

Nach Minuten der Stille – irgendwo in der Ferne bellte ein Hund – wagte sie es endlich, wieder aus ihrem Versteck zu kommen. Sie warf einen vorsichtigen Blick um die Straßenecke. Weit und breit war niemand zu sehen. Sie schüttelte nervös lachend den Kopf. Offensichtlich hatte sie sich die Schritte und den Schatten doch eingebildet. Wer konnte sich schon einfach in Luft auflösen? Der Abend hatte ihr ganz schön zugesetzt. Eilig rannte sie den Rest des Weges nach Hause.

Es war am nächsten Tag, als die beiden Mädchen sich in der Eisdiele an einen sonnigen Tisch gesetzt hatten. Sonny war der Meinung, dass Chenna heute der größte Eisbecher mit Extra-Sahne zustand. Chenna fand keine Widerworte.

Sie diskutierten den gestrigen Abend durch und beide beschlossen, dass sie sich von jetzt an nicht mehr von den Männern täuschen lassen wollten.

»Wie geht es dir denn heute damit?«

Chenna überlegte sich ihre Antwort gut: »Witzigerweise hatte ich heute Morgen beim Aufwachen so ein eigenartiges Gefühl der Erleichterung. So als hätte ich das schon lange geahnt und nur nicht wahrhaben wollen.«

»Du hast was Besseres verdient!«

Chenna lächelte zuversichtlich. »Wir beide haben das.«

Sonny nickte und griff nach ihrer Hand, um sie zu drücken.

In diesem Moment trat eine junge Frau an ihren Tisch. »Entschuldigt bitte, darf ich euch kurz mal stören?«

Die beiden blickten neugierig auf. Die Frau war nicht viel älter als sie selbst und hielt zwei Flyer in der Hand. »Ihr seht so aus, als hättet ihr mal wieder richtig Spaß verdient. Und ich möchte euch gerne auf eine besondere Party einladen.«

»Was ist das für eine Party?«, wollte Sonny wissen.

»Wir sind ein Club von Mädchen, die genug haben von untreuen Jungs, schlechten Küssern und langweiligen Nerds.« Sie hielt ihnen die Flyer hin. »Nur einmal im Monat gibt es eine Veranstaltung für Neulinge. Da könnt ihr ganz unverbindlich reinschnuppern und dann entscheiden, ob ihr dem Club beitreten wollt.«

»Was kostet denn der Beitritt?«, fragte Chenna und blätterte den Flyer auf. Das Papier war schlicht in rot und schwarz gehalten. Die Frontseite enthielt lediglich den Namen des Clubs: »Snappy Kisses«. Im Inneren standen die Uhrzeit und der Ort. Außerdem der Zusatz:

Erste Einladung

gültig nur heute Nacht

»Wir nehmen kein Geld«, lächelte das Mädchen. »Das System funktioniert ein wenig anders. Wenn ihr vorbeikommt, werden wir euch alles erklären.«

Sonny und Chenna wechselten einen Blick. Das kam ihnen doch wie gerufen. Aber der Blick sagte auch noch etwas anderes: Beide wussten, was die andere dachte. Sonny sprach es zuerst aus: »Und was ist der Haken bei der Sache?«

Das Mädchen lachte auf. »Da gibt es keinen Haken. Wir suchen uns nur unsere Partygäste aus. Nicht jeder bekommt so eine Einladung.«

»Wieso ausgerechnet wir?«, wollte Chenna sofort wissen.

»Ihr passt vom Typ sehr gut zu uns. Also, was sagt ihr?«

»Können wir darüber nachdenken?«

Sie nickte. »Ja, natürlich. Ich lass euch die Einladungen da. Wir würden uns sehr freuen, euch heute Abend zu sehen.«

Dann nickte sie noch einmal mit einem breiten Lächeln und ließ die beiden wieder allein.

Chenna legte den Flyer beiseite. »Wow. Gibt es wirklich solche Zufälle?«

Sonny zog die Stirn kraus. »Glaubst du, da ist was faul?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Ich traue Mike schon so einiges zu. Ob er mich zu einem Ort locken will, damit ich wieder mit ihm rede?«

»Du spinnst doch.«

»Die kommt hier zufällig vorbei? Sieht uns und gibt uns jedem eine Einladung? Ist dir aufgefallen, dass sie genau zwei Flyer dabei hatte? Findest du das nicht auch irgendwie verdächtig?«

Sonny dachte darüber nach. »Ich weiß nicht.«

»Mag ja sein, dass nicht jedes Mädchen eingeladen wird, aber man geht doch nicht so gezielt in die Stadt und findet zufällig genau die zwei Mädchen, auf die man schon immer gewartet hat.«

»Ein bisschen komisch ist das schon.« Sonny nahm noch einmal ihre Einladung in die Hand. »Aber glaubst du wirklich, Mike schafft es, mal einfach über Nacht so ausgeklügelte Flyer zu drucken?«

Chenna verzog den Mund. »Da hast du natürlich auch recht. Aber ein wenig komisch finde ich es trotzdem.«

»Also, ich finde, wir sollten einen Blick riskieren. Es ist Freitag Abend. Was bleibt uns sonst? Serien gucken?«

»Einverstanden. Wenn es dort blöd ist, gehen wir einfach wieder.«

»Großartig!«, freute sich Sonny.

2

Und wenn ich dich bitte, zu bleiben?

Chenna las noch einmal flüchtig die Infos auf der Einladung. Uhrzeit, Ort und Anweisungen. Die Party fand in 'Haus 2' statt – was immer das bedeuten mochte. Sie checkte zum wiederholten Mal ihr Spiegelbild, zupfte hier und dort Haare und Kleidung zurecht und dann machte sie sich auf den Weg. Es war nicht allzu weit entfernt und so konnte sie zu Fuß gehen. Am liebsten wäre sie mit Sonny zusammen gegangen, doch diese hatte ihr geschrieben, dass sie spät dran war. Sie würden sich dann dort treffen. Tatsächlich brauchte Chenna nur eine viertel Stunde bis zu der Adresse.

Von außen sah das Haus beinahe unscheinbar aus. Es war zwar groß und alt – eine stilvolle Villa, aber nicht besonders gut ausgeleuchtet. Vor dem Gebäude war nicht einmal zu erkennen, dass hier eine Party stattfand. Keine parkenden Autos, keine laute Musik, keine betrunkenen Gäste auf dem Rasen. Also die Art von Party, die Chenna von ihren Freunden gewöhnt war. Ob man hier überhaupt Spaß haben konnte? Sie sah nach rechts und links die Straße entlang. Sie hätte erwartet, dass noch andere Gäste zu dieser Zeit ankamen. Auch von Sonny war keine Spur zu sehen. Ein wenig unschlüssig blickte sie auf ihre Uhr. Sollte sie warten? Oder schon hineingehen?

Sie trat von einem Bein aufs andere. Es war kalt hier draußen. Erst jetzt bemerkte sie die Nervosität, die in ihr aufstieg. Alleine hineinzugehen kostete sie Überwindung. Aber sie konnte auch im Vorraum auf Sonny warten. Dann war sie nicht zu Eis erstarrt und musste sich trotzdem nicht allein unter die Menge mischen.

Entschlossen ging sie auf den Eingang zu. Im Näherkommen wurde ihr erst bewusst, wie imposant das Haus tatsächlich war. Bis nach hinten hinaus in den weitläufigen Garten gab es mehrere Anbauten. Fast schon ein kleines Schloss. Bereits ein wenig eingeschüchtert von dem Anwesen, blieb sie nun vor der riesigen Eingangstür stehen. In der Mitte der massiven Holztür hing ein fledermausförmiger Türklopfer. Da sie keinen Klingelknopf entdecken konnte, griff sie danach. Das Metall war kalt und der Ring wog schwer in ihrer Hand. Das Klopfen hallte unangenehm laut von innen wider. Ansonsten passierte erstmal gar nichts. Um sie herum blieb alles still. Es war so dunkel, dass sie sich sehr an den vergangenen Abend erinnert fühlte. Und sie fragte sich ernsthaft, ob sie hier am richtigen Ort war.

Etwas huschte hinter ihr vorbei und sie fuhr herum. Sie konnte nichts erkennen, die Straßenbeleuchtung reichte nur spärlich bis auf die Zuwegung zum Eingang. Was war das denn? Eine große Katze vielleicht? Oder einfach nur ein Windhauch? Ihr lief ein kalter Schauer über den Rücken. Das war wirklich unheimlich. Vielleicht nur ein makaberer Begrüßungsscherz? Vielleicht Schlimmeres. Sie hätte sich nicht auf eine Party-Einladung einlassen sollen, bei Leuten, die sie überhaupt nicht kannte. Wie waren sie nur auf diese Idee gekommen? Plötzlich wollte sie nur noch gehen. Sie zog ihr Handy heraus, um Sonny anzuschreiben. Da ging im selben Moment die Tür auf und ein Mädchen mit einem schwarzen, schulterlangen Bob begrüßte sie fröhlich: »Hi! – Chenna?«

Sie starrte sie an. »Äh, ja.«

»Wir haben dich schon erwartet. Komm doch rein!« Sie trat zurück, um ihr Platz zu machen, und Chennas Beine bewegten sich wie von alleine ins Innere. »Ich bin Mailin. Herzlich willkommen!«

»Ja, danke.« Ihre Finger klammerten sich nervös um den Flyer, der nun schon ein wenig gelitten hatte. Mailin nahm ihr die Einladung jetzt ab und legte sie beiseite. »Die nehme ich.«

»Ähm. Meine Freundin Sonny wollte auch kommen. Ist sie schon da?«

Mailin hielt inne und überlegte kurz. »Sonny?« Sie zückte ihr Handy und tippte auf dem Display herum. »Nein, die kommt nicht hierher. Die ist in Haus 4 angemeldet.«

»Was bedeutet das denn?«, fragte Chenna und merkte, wie sich Schweiß in ihrem Nacken bildete. Musste sie jetzt etwa den Abend ganz alleine hier verbringen? Sie wollte lieber wieder nach Hause.

»Unsere Partys finden immer in vier verschiedenen Häusern statt. Beim ersten Mal entscheidet der Zufall, wo du hinkommst. Später kannst du das auch selbst entscheiden«, erklärte Mailin. »Aber keine Angst. Du wirst dich hier nicht langweilen.«

Sie ging mit ihr einen langen Flur entlang, an dessen Seite eine große Flügeltür halb offen stand. Von hier aus konnte man Stimmengewirr und Musik hören. Obwohl sie ein wenig Angst hatte, sich alleine so vielen Fremden auszusetzen, spürte sie auch eine gewisse Neugier. Doch, anstatt sie dorthin zu führen, wo die Musik spielte und offensichtlich viel Spaß vorherrschte, bog Mailin in einen schmalen Gang ab. Chenna versuchte, im Vorbeigehen einen kurzen Blick von dem Geschehen hinter der Flügeltür zu erhaschen, doch sie konnte praktisch nichts sehen. Nur ein paar Rücken, Arme, Hinterköpfe, die zusammenstanden und sich unterhielten.

Vor einer weiteren Tür blieb Mailin stehen und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Dann öffnete sie die Tür und machte eine einladende Handbewegung. Chenna zögerte kurz, doch sie war so sehr von Neugier getrieben, dass sie sich einen Ruck gab und in den Raum trat. Hinter ihr schloss Mailin die Tür. Keine Erklärung. Chenna blieb ein wenig ratlos stehen. Sie sah sich im Zimmer um. Es handelte sich um eine Art Büro oder Lesezimmer. Es stand ein großer Schreibtisch in der Mitte und an den Wänden waren zimmerhohe Regale angebracht, bis oben hin voll mit Büchern, antiken Uhren und Engelsfiguren. Die Einbände waren alt, aber doch so gut erhalten, als hätte man sie gerade erst gekauft. Sie drehte sich langsam einmal um sich selbst. Erst da entdeckte sie, dass an der Rückseite ein antikes Sofa stand, auf dem jemand lag. Geräuschvoll sog sie die Luft ein.

Es war ein Mann in einem dunkelgrauen Hemd und einem schwarzen Sakko. Auch seine Hose war schwarz, ebenso wie seine Schuhe. Er hatte den Arm so über den Kopf gelegt, dass sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Was sie sehen konnte, war sein kurzes, braunes Haar, schwarz lackierte Fingernägel und eine Menge Schmuck: Ringe, ein Armband und zahllose Ohrringe.

Etwas verunsichert stand sie da und starrte auf ihn. Hatte er sie überhaupt hereinkommen gehört? Sollte sie sich dezent bemerkbar machen? Ein nervöses Kratzen im Hals nahm ihr die Entscheidung ab. Sie räusperte sich. Sofort kam er in Bewegung. Er atmete tief durch, nahm den Arm herunter und setzte sich auf.

Sie blickte in sein Gesicht und ihr blieb der Atem stehen. Es war so ebenmäßig und wunderschön, wie sie es noch nie zuvor gesehen hatte. Sie schätzte ihn auf Mitte zwanzig. So ganz eindeutig war das nicht zu sagen. Seine Augen waren schwarz umrandet, wie geschminkt und wirkten dadurch besonders ausdrucksstark. Dann sah er sie direkt an und sein Blick schien sie förmlich zu durchbohren. »Chenna?«, fragte er mit einer tiefen Stimme, die ihr einen Schauer über den Rücken jagte.

Sie konnte den Blick nicht abwenden. Er legte seinen Kopf schief und während er nun amüsiert lächelte, ging nur einer seiner Mundwinkel nach oben. Dann erhob er sich und kam langsam auf sie zu. Sie wagte es nicht, sich zu rühren. Wie ein Kaninchen vor der Schlange war sie erstarrt. Ihr Herz schlug rasend schnell und sie verstand überhaupt nicht, was hier passierte. Wo war sie hier nur gelandet?

Direkt vor ihr blieb er stehen. »Ich bin Yesse. Ich freue mich, dich kennenzulernen.« Seine Finger strichen ihr zärtlich eine Strähne aus der Stirn. Ihre Blicke trafen sich und für einen Sekundenbruchteil bildete sie sich ein, einen roten Schimmer in seinen Augen gesehen zu haben. Wahrscheinlich eine Lichtspiegelung, dachte sie, denn gleich darauf war es wieder verschwunden.

»Ich verstehe, dass du etwas nervös bist«, begann er jetzt und wieder war es alleine der Klang seiner Stimme, der ihr eine erneute Gänsehaut bescherte. »Du musst dir aber keine Sorgen machen. Ich werde dir alles erklären.« Er machte ein paar Schritte und blieb dann hinter ihr stehen.

Sie räusperte sich erneut. Nachdem sie ihn nun nicht mehr ansehen musste, setzte ihr Verstand wieder ein. Es wurde Zeit, die Fragen aufzuklären, die sich an diesem Abend jetzt schon angehäuft hatten.

»Was gibt es denn an einer Party zu erklären?«, fragte sie und wunderte sich selbst, wie selbstverständlich ihr das über die Lippen kam, wo sie doch gerade noch völlig neben sich gestanden hatte.

»Hier bei uns feiern wir keine gewöhnlichen Partys«, antwortete er ruhig. »Du solltest ein paar Dinge wissen, bevor du dich einverstanden erklärst, mitzumachen.«

Angespannt lachte sie auf. »Was ist das hier? Ein Pornoclub?«

Er lachte auch. »Nein.« Dann sah er sie ernst an. »Was nicht heißt, dass hier niemand Sex hat.«

Sie riss die Augen auf. »Was?«

Er hob abwehrend die Hände. »Nur freiwillig natürlich.«

»Okay, ich verstehe. Ich sollte dann wohl besser wieder gehen, oder?« Sie drehte sich zur Tür, ohne eine Antwort abzuwarten. Doch noch bevor sie zwei Schritte gemacht hatte, stand er auch schon wieder vor ihr.

»Nicht so eilig!« Er musterte sie von oben bis unten. Dann lehnte er sich etwas vor und sog den Duft ihrer Haare ein. Chenna zog es wie ein Blitz durch den Körper. Dieser Mann hatte so eine starke erotische Ausstrahlung, dass es ihr beinahe ein wenig Angst machte, sie aber gleichzeitig anzog wie ein Magnet. Er stand so dicht vor ihr, dass sie seinen Geruch ebenfalls aufnehmen konnte, und der machte sie ganz schwindelig. Es erinnerte sie an Sandelholz, ein wenig holzig mit einer mandeligen Note.

»Also schön, dann erkläre ich dir mal die Fakten: Die Frauen, die du hier im Haus triffst, sind Menschen wie du. Wir Männer aber sind etwas anderes. Wir sind Kinder der Nacht und unser Begehr ist Blut. Menschenblut. Das gilt übrigens für alle vier Häuser.«

Chenna sah ihn mit großen Augen an. Dann prustete sie los. »Ach du meine Güte! Jetzt verstehe ich auch, was das für eine Party ist. Ich hab schon mal davon gehört.«

Yesse sah sie ungerührt an. »Nein, ich denke nicht.«

»Wie nennt man das noch? Rollenspiele?«

Er hielt ihrem amüsierten Blick stand und nun wurden seine Augen tatsächlich rot. Chenna blieb das Lachen im Hals stecken. Auf seinen Wangen bildeten sich unter der Haut die Adern dunkel heraus und als er den Mund öffnete, sah sie zwei kleine, spitze Eckzähne. Er fauchte leise, dann schloss er die Augen und beruhigte sich wieder. Die Zähne bildeten sich zurück und die Haut sowie die Augen nahmen wieder ihre vorherigen Farben an. »Keine Rollenspiele. – Vampire.«

Chenna wurde für Sekunden schwarz vor Augen. Als ihre Beine versagten, war er da und hielt sie fest. Er führte sie zum Sofa und sie setzten sich. Während ihr Kreislauf sich wieder beruhigte, legte er seinen Arm auf der Rückenlehne ab.

»Was passiert jetzt mit mir?«, fragte sie ein wenig panisch.

»Nichts, was du nicht willst.«

»Dann will ich gehen.«

»Und wenn ich dich bitte, zu bleiben?«

»Wieso sollte ich das wollen?« Sie vermied seinen durchdringenden Blick, machte jedoch keine Anstalten, aufzustehen. Da schob er ihr die Hand unter das Kinn und zwang sie, ihn anzusehen.

»Deshalb!«, sagte er und senkte seine Lippen auf ihre. Chenna durchfuhr eine Welle magischer Energie und diese breitete sich in ihrem ganzen Körper aus. Er öffnete leicht den Mund und strich mit seiner Zungenspitze über ihre Lippen. Ihre Zweifel und Skrupel waren wie gelöscht. Gleichzeitig konnte sie nicht verhindern, ihm auf dieselbe Art zu antworten. Ihr Körper fühlte sich mit einem Mal von seinem so sehr angezogen, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte, und sie rückte noch ein wenig näher an ihn heran. Ihre Finger fuhren über seinen Arm zu seiner Schulter, dann versenkte sie sie in seinem Haar.

Wow. So war sie noch nie geküsst worden. Weder Mike noch sonst wer, hatte jemals solche Gefühle bei ihr erzeugen können. Das hier war der Himmel auf Erden, jenseits von Raum und Zeit, weit weg von diesem Kosmos, eine unbekannte Parallelwelt. Sie hätte das ewig so weitermachen können.

Doch Yesse riss sich schließlich von ihr los. Ein wenig enttäuscht öffnete sie die Augen und sah wieder diesen rötlichen Schimmer in seinen Augen, kurz bevor er aufsprang. Er wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, während er ihr den Rücken zukehrte. Ein wenig hilflos saß sie da und versuchte, zu verstehen, was geschehen war.

Als er sich wieder zu ihr wandte, war sein Blick hart und seine Stimme heiser: »Vampirküsse«, murmelte er. »Das wird ab jetzt alles sein, was du willst. Du bekommst für die Küsse von uns Karten. Nur mithilfe dieser Karten kannst du dann zur nächsten Party kommen. Da ich dein Einweiser für die erste Nacht bin, darf ich dir heute keine Karte geben.«

Sie erhob sich. Das Gefühl des Kusses brannte in ihr nach. Trotz eines leichten Zitterns fühlte sich dennoch stark und wach.

Er ging zum Schreibtisch und holte eine kleine Packung aus der Schublade. »Aber ich habe ein Begrüßungsgeschenk für dich.« Er reichte es ihr.

Sie nahm es entgegen und öffnete die Schachtel. Aus dem Inneren rutschte ihr eine Halskette mit einem bauchigen Anhänger auf die Hand.

»Das ist eine Phiole. Die wird dich vor Schaden schützen, wenn du wieder herkommst. Wie das geht, erfährst du, wenn du dich für eine Clubmitgliedschaft entscheidest.«

Jetzt kam er noch einmal dicht an sie heran und flüsterte ihr ins Ohr: »Vergiss niemals, sie zu tragen.« Seine Finger glitten leicht über ihren Nacken und sie spürte seinen heißen Atem auf ihrer Haut. Dann seufzte er leise und murmelte noch: »Jetzt geh und hol dir deine Karten. Heute Abend sind die anderen für dich da. Aber ich würde mich freuen, wenn du bald wieder zu mir kommen würdest.«

Damit drehte er sich um und verschwand so schnell durch die hintere Tür aus dem Zimmer, als hätte er sich aufgelöst. Sie musste zweimal hinsehen. Vampirgeschwindigkeit?, staunte sie. Er ließ sie mit einem Gefühl aus Verlangen und Skrupel zurück. Sie blickte noch einmal auf die Phiole in ihrer Hand. Das kleine Glasfläschchen war mit einem feinen silbernen Draht verziert und mit einem winzigen Korken verschlossen. Es war leer, doch selbst ohne weitere Erklärung war ihr auch jetzt schon klar, was sein Inhalt einmal sein würde. Sie ließ es in ihrer Hosentasche verschwinden und wandte sich dann der Tür zu, durch die sie hereingekommen war.

3

Vielleicht merkst du dir meinen Namen auch so

Sonny kam recht abgehetzt an der angegebenen Adresse an. Sie betrat das Grundstück durch ein breites Eisentor und eilte den Weg hinauf bis zum Eingang des Hauses. Es war eine Villa im Altbaustil, atemberaubend schön und gigantisch groß. Sie hatte jedoch keinen Blick für die Details. Nachdem sich vor dem Haus niemand aufhielt, nahm sie an, dass Chenna schon längst drinnen war und dort auf sie wartete. Sie war viel zu spät. Als sie gerade von zu Hause losgehen wollte, hatte sie die Einladung noch einmal genau gelesen. Im Kleingedruckten stand, dass bei dieser Party schwarze Kleidung gern gesehen wurde. So hatte sie das beherzigt und sich noch einmal umgezogen. In aller Eile hinterließ sie Chenna die Nachricht, dass sie sich verspäten würde. Dabei hatte sie allerdings nicht den Grund genannt. Sie hätte ihre Entdeckung über die Kleiderordnung erwähnen sollen, dachte Sonny jetzt, denn sie wusste, dass ihre Freundin eher einen Bogen um längere Texte machte. Chenna hatte das ganz sicher nicht gelesen.

Als sie die Stufen zum Eingang hocheilte, sah sie schon von ferne, dass der Hauseingang offen stand. Neugierig näherte sie sich und schob die schwere Mahagonitür noch etwas weiter auf. Eine imposante Eingangshalle war mit riesigen schwarzen und weißen Kacheln ausgelegt, die Möbel sahen antik aus, waren aber sehr gepflegt. Von hier konnte sie bereits Musik hören und da sonst niemand zu sehen war, ging sie dem einfach nach. Sie durchschritt die Halle, als sich links von ihr eine Tür öffnete und ein Paar herausgestürzt kam, beide sehr aufgedreht und verspielt. Sie hielten Händchen und rannten beinahe in sie hinein. Sie blickten sie überrascht an und er ließ seine Freundin los, um sich Sonny zuzuwenden.

»Hallo!«, begrüßte er sie erfreut und blieb direkt vor ihr stehen. Er war sicher nicht viel älter als sie selbst, recht groß und schlank und trug einen schwarzen Umhang über einem weißen Hemd und einer dunklen Jeans. Um seinen Hals lag ein schwarzes Seidenband. Sein Gesicht wirkte unschuldig, aber sein Blick ließ sie nicht los. Sonny trat einen Schritt zurück. Er war ihr ein wenig zu nahe gekommen.

»Wer bist du denn?«, fragte er neugierig.

»Sonny«, antwortete sie vorsichtig und reichte ihm ihren Flyer. »Ich habe eine Einladung.«

Der Junge ignorierte das Papier. Stattdessen ergriff er ihre Hand und zog sie sogleich wieder dichter zu sich heran. Er beugte sich darüber und hauchte ihr einen Kuss darauf. Sonny kam das äußerst merkwürdig vor.

»Ich freue mich«, lächelte er dann und verbeugte sich tief vor ihr, ohne sie loszulassen. »Ich bedauere, dass ich so in Eile bin, aber wir sehen uns sicher später noch einmal, ja?«

Seine Begleitung kam jetzt auf ihn zu und griff nach seiner anderen Hand. »Komm schon, Holden. Wieso lässt du mich warten?«

»Ich bin ja da.« Während er seine Freundin besänftigte, ließ er jedoch Sonny nicht aus den Augen. Schließlich zog die Andere ihn energisch von ihr weg. Ihr Blick ging dabei recht kritisch, aber auch ein wenig neugierig an ihr rauf und runter. Sonny war es sehr unangenehm, dass er ihr diese Aufmerksamkeit schenkte, obwohl er doch eine Freundin hatte. Sie beschloss, während des Abends gut aufzupassen und ihm vielleicht sogar aus dem Weg zu gehen. Die beiden drehten sich jetzt um und rannten auf die andere Seite in einen Raum, aus dem laute Musik erklang. Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Danach war es wieder beinahe still in der Halle.

Sonny sah ihnen nach. »Was war das denn für eine eigenartige Begegnung?« Sie schüttelte den Kopf und musste darüber lachen. Das konnte ja was geben, wenn die hier alle so schräg drauf waren. Aber das würde sie ja nun gleich feststellen.

Sie zückte ihr Handy und tippte eine Nachricht an Chenna ein, dass sie angekommen war. Die Nachricht ging raus, aber Chenna las sie nicht. Wo war sie nur? Amüsierte sie sich schon mitten im Getümmel? Das wäre sehr ungewöhnlich für sie. Sonny blickte sich noch einmal um. Dann zuckte sie mit den Schultern. Wenn Chenna es sich mal wieder anders überlegt hatte, würde sie hier ewig warten können. Darauf hatte sie keine Lust. Also ging sie den beiden entschlossen nach und betrat ebenfalls den Raum, in dem ganz offensichtlich die Party stattfand.

Sie blieb zunächst dicht bei der Tür stehen. Die Partygäste standen herum, tranken, redeten, lachten. Es wurde auch vereinzelt geknutscht. Hier herrschte eine ausgelassene Stimmung. Allerdings fiel ihr auf, dass eindeutig mehr Mädchen als Jungs anwesend waren. Lief denn irgendwo ein Fernseher mit einer Sportsendung? Ansonsten konnte sie sich das nicht wirklich erklären. Eine Kellnerin blieb mit einem Tablett vor ihr stehen und bot ihr Champagner an. Sonny staunte über das exquisite Angebot. Sie nahm sich ein Glas. Noch bevor sie daran nippen konnte, kam ein junger Mann mit hohen Wangenknochen und schwarz geschminkten Augen an ihr vorbei, blickte sie kurz an, stutzte und kam dann wieder zurück. Er blieb bei ihr stehen, beugte sich ohne ein Wort vor, ergriff ihre Schultern und küsste sie mitten auf den Mund.

Sonny war so verdutzt darüber, dass sie nur dastehen und das Champagnerglas möglichst gerade halten konnte. Ihre Augen waren weit geöffnet und sie rang nach Luft. Erst als sie mit der freien Hand auf seine Schulter zu klopfen begann, ließ er von ihr ab und sah sie zufrieden an. »Wow. Das war mal ein Kuss«, grinste er und hielt ihr ein kleines Kärtchen hin, das auf den ersten Blick wie eine Visitenkarte aussah. Sie nahm es entgegen und während sie noch ein bisschen benebelt war, verschwand er schon wieder in der Menge. Sie war verwirrt. Der Kuss hatte sie beinahe ein wenig trunken gemacht. Was hatte das zu bedeuten?

Sie blickte auf die Karte. Die sah aus, wie die schlichteste Visitenkarte, die sie je gesehen hatte. Sie war weiß und in schwarzen Buchstaben standen nur der Name Aaron und eine Nummer drauf, die nicht wie eine Telefonnummer aussah. Sie hielt die Karte zwischen Zeige- und Mittelfinger hoch und sah sich um. Mit einem Schluck kippte sie den Champagner herunter. Wo war Chenna? Die steckte doch mit Sicherheit dahinter? Ein kleiner Rache-Scherz, weil sie sie warten gelassen hatte. Zugetraut hätte sie es ihr. Sie blickte hier im Raum aber nur in unbekannte Gesichter. Die Musik war ansteckend und einige tanzten sogar. Ob es noch etwas zu trinken gab? Die Kellnerin war nicht mehr zu sehen.

Sonny steckte die Karte erst einmal in ihre Tasche und drehte sich um. Sie schrak leicht zusammen, als unerwartet jemand direkt neben ihr stand. »Neu hier?«

»Was zum–?«, sie verkniff sich den Rest und musterte den Typen, der nicht viel größer war als sie selbst. Er hatte hellblonde, fast weiße Haare, die ihm mädchenhaft lang in die Augen hingen. An seiner Nase befand sich ein kleiner Ring, an dem eine feine Kette befestigt war, die zu seinem Ohrring mit einem herunterhängenden Kreuz führte. Seine hellbraunen Augen fixierten sie eingehend. Sie wusste nicht, was sie von ihm halten sollte. Er war noch ein wenig sonderbarer als der Erste aus der Eingangshalle. War das hier eine Kostümparty? Hatte sie das mit dem Schwarz missverstanden?

»Ja, das wusste ich gleich«, sprach er weiter, ohne auf ihre Antwort zu warten. »Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Rafal.«

»Sonny«, murmelte sie automatisch, blieb jedoch ein wenig skeptisch. Irgendwas war doch hier faul.

»Darf ich dich umarmen?«, bat er sie. Sie zögerte und sah sich um. Natürlich war das ein Scherz von Chenna. Es konnte gar nicht anders sein. Aber davon würde sie sich nicht abschrecken lassen. Sie beschloss, den Spaß mitzumachen, und nickte tapfer. Also hielt sie die Arme auf. Rafal legte seine um sie und sofort spürte sie seinen Atem an ihren Hals. Doch was war das? Seine Zunge fuhr über ihre Haut und ließ sie erschauern. Gleichzeitig fühlte sie seine Hand fest auf ihrem Hintern. Sie reagierte sofort und stieß ihn von sich. Was für ein Freak?, dachte sie angewidert, der hatte sie doch nicht mehr alle.

Ein muskulöser Mann mit blau-grauem Haar kam von der Seite hinzugestürzt und packte Rafal am Kragen. »Was soll denn das? Benimm dich gefälligst!« Er zog ihn von ihr fort und drohte ihm mit der Faust. »Sieh zu, dass du Land gewinnst, Maknae!«

Sonny sah dem ein wenig entsetzt zu und verschränkte die Arme vor der Brust. Die beiden mussten nach ihrer Schätzung etwa Mitte zwanzig sein. Rafal verzog sich und verschwand in der Menge.

Der Größere hob entschuldigend die Hände, als er sich ihr zuwandte: »Du musst es meinem Freund nachsehen. Er ist noch sehr jung und unerfahren. Er weiß noch nicht, wie man sich in Gegenwart einer Lady benimmt.« Seine extrem tiefe Stimme wirkte beruhigend auf sie und als er dann ihre Hand nahm und diese galant küsste, war sie sich sicher, dass sie auf einer Mottoparty gelandet war. »Ich bin Jackson und freue mich, dich kennenzulernen, ähm–?«

»Sonny«, beendete sie seine angedeutete Frage.

»Sonny – was für ein wunderschöner Name«, schmeichelte er ihr und schloss kurz die Augen, so als würde er den Klang ihres Namens in vollen Zügen genießen. »Du hast ja gar nichts mehr zu trinken.« Er deutete auf das leere Glas, das sie immer noch in der Hand hielt und nahm es ihr ab. In Windeseile tauchte er in der Menge unter und war nur Augenblicke später mit zwei vollen Gläsern zurück. Eines reichte er ihr. »Bist du zum ersten Mal hier?«

Sonny nickte und wunderte sich wieder, wie gut sich hier alle zu kennen schienen, wenn doch jeder sofort wusste, dass dies ihr erster Abend war.

Jackson redete wie ein Wasserfall. Er erzählte so viel, dass Sonny einfach nur dastehen und nicken konnte. Aber er war charmant und seine Stimme war einfach ein Traum. Auch wenn sie nicht weiter zu Wort kam, empfand sie seine Gegenwart als äußerst angenehm.

»Weißt du was?«, fragte er sie plötzlich drei geleerte Gläser später, »genug geredet.« Er beugte sich vor und küsste sie schnell. Dann sah er sie an. Sie starrte zurück. Was war das denn?, dachte sie, schon wieder? Er küsst mich einfach? Noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, beugte er sich erneut vor und küsste sie noch einmal. Diesmal machte er es richtig. Seine Lippen waren leicht geöffnet, als er sie auf ihre senkte, und seine Hände legten sich auf ihren Rücken. Er hielt sie fest, war dabei aber nicht grob. Es traf sie wie ein Blitz. Ihrer beider Zungen kamen sich wie selbstverständlich entgegen und er lächelte im Kuss. Er schaffte es, dass ihr ein wenig schwindelig wurde. Sie hielt sich an ihm fest. Es fühlte sich einerseits falsch an, mit einem Wildfremden so hemmungslos herumzuknutschen, sie wollte andererseits dennoch nicht aufhören. Ihr Körper stand unter Strom, ihr Bauch und ihre Beine begannen zu kribbeln und dieser Kuss fühlte sich an wie eine elektrische Aufladung direkt vor einem Kurzschluss. Schließlich riss sie sich mit Gewalt von ihm los. Sie keuchte, als sie sich ansahen.

Er nickte ihr anerkennend zu. »Ist dies wirklich dein erster Abend?«, fragte er. »Hier, die ist für dich.« Er zog eine Karte aus seiner Innentasche, genau wie die, die sie bereits von Aaron erhalten hatte, und reichte sie ihr, während er ihr noch einen weiteren Kuss auf die Wange drückte. »Du musst einfach zu uns in den Club kommen. Das will ich unbedingt nochmal machen.«

Damit drehte er sich um und ließ sie verwirrt zurück. Sie blickte auf die Karte, auf der sein Name und wieder so eine Nummer aufgedruckt waren. Was für eine merkwürdige Angewohnheit? Sie steckte die Karte zu der ersten. Dieser Abend war etwas anders, als sie erwartet hatte. Aber langsam gefiel ihr das Spiel, dachte sie, noch immer ein wenig außer Atem. Doch nun musste sie sich erst einmal bemühen, Chenna zu finden. Ob sie auch schon jemanden gefunden hatte, der mit ihr knutschte? Offensichtlich war das hier gang und gäbe, denn je genauer sie hinsah, umso mehr stellte sie fest, dass es doch so einige Jungs hier gab. Die waren nur alle mit Küssen beschäftigt. Noch bevor sie durch den ganzen Raum gekommen war, wurde sie schon von dem Nächsten angesprochen. Sie wollte ihn zunächst vertrösten, um Chenna weiter zu suchen, doch er ließ sich nicht abwimmeln und so landete sie kurz darauf Arm in Arm mit ihm auf einer Couch. Er konnte erstaunlicherweise genauso gut küssen, wie Aaron und Jackson. Nachdem sie sich dann eine Stunde später in einer Zimmerecke mit dem Jungen aus dem Eingang wiederfand, war ihr endgültig klar, dass sie auf einer Knutschparty gelandet war. Und alle hatten sich heute verkleidet. Die Frauen in Schwarz und die Männer leicht verrucht. Sie konnte jedoch nichts dagegen machen: Es gefiel ihr. Sie trank ein Glas nach dem anderen und als sie spät in der Nacht dann zusehen musste, wie sich die Reihen der Gäste langsam lichteten, entschied auch sie, den Abend zu beenden. Von Chenna war keine Spur gewesen. Sonny war inzwischen überzeugt, diese hatte kurzfristig Muffe bekommen und gekniffen. Wahrscheinlich saß sie in ihrem Zimmer und sah sich Zombiefilme an. Das tat sie immer, wenn sie frustriert war.

Sonny saß noch immer auf dem Sofa, auf dem sie zuletzt mit einem Typ namens Sheridan herumgemacht hatte. Sie holte den Stapel Karten hervor, den sie über den Abend gesammelt hatte. Die Karten waren alle gleich designt. Überall standen nur der Name und eine Nummer drauf. Sie blätterte sie einzeln durch und las noch einmal die Namen: Aaron, Jackson, Kiniah, Holden, Rafal (ja, mit dem hatte sie auch noch einmal das Vergnügen gehabt und es war tatsächlich ein ziemlich heißes Vergnügen gewesen) und Sheridan. Sechs verschiedene Typen an einem Abend. Zeit, sich zu schämen. Aber sie schämte sich nicht. Sie zog ihre Schuhe wieder an und erhob sich dann von der Couch. Als sie gerade hinausgehen wollte, kam ihr ein Mann entgegen, den sie bisher nicht gesehen hatte. Er war dünn und ein Stückchen größer als sie mit einem länglichen Gesicht. Sein Lächeln war überwältigend. Er blieb vor ihr stehen und betrachtete sie nachdenklich. Dann fragte er: »Sonny?«

Sie stutzte. Woher kannte er ihren Namen? Sie war sicher, ihn bisher nicht kennengelernt zu haben. In ihrem Kopf arbeitete es langsam, weil sie eine Menge Alkohol zu sich genommen hatte. Denk schneller, dachte sie, und steh nicht da, wie ein kompletter Trottel. »Ja«, sagte sie schließlich.

»Seit wann bist du denn hier?«

»Ähm, schon den ganzen Abend.«

Er blickte auf die Karten in ihrer Hand und nickte. »Ich sollte dich heute begrüßen und dir alles erklären, aber ich habe nicht bemerkt, wann du reingekommen bist. Tut mir leid.«

»Die Tür war offen, als ich kam. Ich wusste nicht, dass ich mich anmelden muss.«

»Das ist bei uns so üblich«, erklärte er, »aber wie ich sehe, bist du ganz gut klar gekommen.« Er zeigte auf die Karten. »Ich hoffe, die Jungs haben sich anständig benommen.«

Sie seufzte, als sie an die Küsse dachte. »Ich kann nicht klagen.« Der Abend war so erotisierend gewesen, dass sie das Gefühl immer noch nicht loslassen konnte. Sie blickte zu ihm auf und bekam augenblicklich eine unbändige Lust, auch ihn zu küssen.

»Aber wie's mir scheint, haben sie ihren Job nicht ganz erfüllt.« Er lächelte spöttisch.

Sie fühlte sich ertappt. Das konnte er doch jetzt nicht von ihrem Gesicht abgelesen haben, oder etwa doch? »Was meinst du?«, fragte sie unschuldig.

Statt zu antworten, nahm er ihr Gesicht in seine Hände und beugte sich zu ihr herunter. Seine Lippen waren sanft und zärtlich, sie spielten mit ihr, indem er den Kuss immer wieder unterbrach, um dann erneut anzufangen, und schließlich – als sie schon weiche Knie bekam – öffnete er den Mund und seine Zunge erforschte ihre. Er brachte sie damit zum Beben und elektrisierte sie von Kopf bis Fuß. Sie explodierte innerlich und in ihrem Kopf gingen für Sekunden die Lichter aus. Als sie merkte, dass sie noch immer auf dieser Erde weilte und noch immer vor ihm stand, wurde ihr bewusst, dass dieses Erlebnis eine kosmische Begegnung gewesen sein musste. Sie öffnete nur langsam die Augen und blinzelte ihn an. Er stand da und hielt sie im Arm. »Noch Wünsche offen?«, fragte er gelassen.

»Wow!«, machte sie nur. Mehr ging nicht.

Er lächelte zufrieden. »Meine Karte kann ich dir nicht geben, denn ich wäre heute Abend eigentlich dein Einweiser gewesen und die dürfen keine Karten an Neulinge vergeben. Aber vielleicht merkst du dir meinen Namen auch so?«

»Wie ist dein Name?«, fragte sie heiser.

»Mark.«

4

Hat er sie gebissen?

Vor der Tür wartete Mailin schon wieder auf Chenna und ging mit ihr den Flur zurück bis zur großen Flügeltür. »So lange du keine Phiole trägst, bist du eine sogenannte Debütantin und darfst dich nur hier im Hauptraum aufhalten, verstanden? Falls du gehen möchtest, bittest du jemanden, dich zum Ausgang zu begleiten, okay? Ich werde den ganzen Abend auch hier sein.«

Chenna nickte und folgte ihr in den Raum. Die Musik war funkig und die Bässe gingen ihr durch und durch. Überall standen Leute, redeten, tanzten, tranken und küssten. Ihr fiel auf, dass sich im ganzen Raum die Paare ohne Skrupel ihren Gefühlen hingaben. Waren diese Jungs wirklich alle Vampire? Obwohl sie es mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte sie es aber dennoch kaum glauben. Wie es wohl Sonny ging, dachte sie flüchtig. Sie war sehr begeisterungsfähig und vermutlich sogar total hingerissen davon.

Eine Kellnerin bot ihr etwas zu trinken an und sie nahm sich ein Glas vom Tablett. Was auch immer darin war, sie trank es mit einem Zug leer. Es half ihr, Mut zu schöpfen. Dann ging sie weiter durch die Menge. Im Vorbeigehen sah sie sich die Gäste genauer an. Die Jungs waren alle ohne Ausnahme auffällig attraktiv. Sie hatte mal gelesen, dass dies eine spezielle Eigenschaft von Vampiren war. Aber das war zu einer Zeit, als sie noch geglaubt hatte, dass Vampire nur eine Legende seien. Und eigentlich sollten sie das auch sein. Doch hier und jetzt konnte sie sich davon überzeugen, dass es sie wirklich gab, und offensichtlich waren die angeblichen Vampir-Eigenschaften nicht aus der Luft gegriffen.

Auf einem Sessel, dicht am Fenster, entdeckte sie jemanden, der einen Zylinder und eine Brille trug. In seinen Händen hielt er Messer und Gabel und spielte ununterbrochen damit herum, während er etwas Unverständliches vor sich hin murmelte. Als er ihren Blick auf sich gerichtet spürte, fuhr er hoch und nahm sie ins Visier. Ganz langsam und messerwetzend kam er auf sie zu. Es schien ihr, als wollte er mit seinem Besteck etwas aus ihr herausschneiden und sie Stück für Stück verspeisen. Sie ging unsicher ein paar Schritte rückwärts und rempelte in einen anderen Partygast, der ganz in Schwarz gekleidet war. Sie drehten sich überrascht zueinander. Seine dunklen Haare waren aus dem Gesicht gegelt. Es sah aus, als hätte er getrocknetes Blut auf seinen Wangen. Es blieb ihr nicht viel Zeit, sich darüber zu wundern, denn der Bestecktyp kam schnell näher. Der Andere entdeckte ihn und donnerte los: »Was tust du denn hier, Terry? Wieso bist du heute überhaupt hier unten? Verschwinde sofort!«

Terry hielt inne und betrachtete die beiden im Wechsel einen Moment lang. Dann deutete er einen Biss an und seine Zähne klackten zweimal zusammen. Trotzdem zog er sich zurück, fuchtelte dabei aber weiter mit seinem Besteck herum.

»Es tut mir leid, wenn er dich erschreckt hat. Terry ist harmlos, aber manchmal geht es einfach mit ihm durch.«

»Danke für deine Hilfe.« Sie war von seinen großen, schwarzen Augen fasziniert und konnte nicht aufhören, ihn anzustarren. »Ich bin heute zum ersten mal hier. Ich heiße Chenna.«

Seine Augen wurden immer dunkler, bis das Schwarz den gesamten Augapfel eingefärbt hatte. »Ich bin Samuel. Ich bin der Anführer des Tomtog-Clans. Ich kann dir gerne zeigen, was wir hier so machen.« Er reichte ihr die Hand und sie griff danach. Seine Haut fühlte sich überraschend warm an. In ihrem Kopf herrschte ein leichtes Chaos. Sie musste immer wieder daran denken, wie gigantisch der Unterschied zwischen den Küssen von Mike und dem von Yesse gewesen war. Sie musste unbedingt wissen, ob das nur ein Zufall war oder ob Vampire wirklich immer so gut küssten, wie Yesse behauptet hatte.

»Hast du Hunger oder Durst?« Sie gingen durch den Raum und er blieb neben einem reichhaltigen Buffet stehen. »Wonach steht dir der Sinn?«

Sie blickte über den langen Tisch voller Speisen. Hier gab es beinahe alles, was man sich vorstellen konnte. Aber sie war viel zu aufgeregt, um etwas zu essen. So schüttelte sie leicht den Kopf. »Vielleicht später.«

Samuel griff nach einer Rispe Trauben und pflückte eine dunkelrote Weinbeere ab. Er hielt sie ihr entgegen. Ohne darüber nachzudenken, öffnete Chenna den Mund und ließ sich von ihm füttern. Noch bevor sie wusste, wie ihr geschah, hatte er sich zu ihr heruntergebeugt und küsste sie ungestüm. Die restlichen Trauben fielen zu Boden und er legte seine Hände auf ihre Schultern.

Schon kehrte diese gewaltige Welle der magischen Energie wieder in sie zurück. Beinahe so stark, wie bei Yesse. Es war also ganz und gar kein Zufall. Auch Samuel konnte so gut küssen, als wäre er nicht von dieser Welt.

Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und drückte ihren Körper gegen seinen. Seine Hände fuhren hinab auf ihren Rücken und verstärkten noch das glühende Gefühl.

Nach einer Weile trennten sie sich und sie blickte ihm fragend in die Augen. Beide waren außer Atem. Er lächelte sie keck an. »Ich denke, wir sollten es beim ersten Mal nicht übertreiben.« Dann zog er eine Karte aus der Innentasche seiner Jacke und reichte sie Chenna. Sie nahm sie und blickte sie genau an. Sein Name stand drauf und eine zehnstellige Nummer. Das war eine dieser Karten, von denen Yesse ihr erzählt hatte. Da sie wohl recht wertvoll waren, steckte sie sie sofort gut weg.

Von der anderen Seite kam ein Mädchen im knallroten Minirock angelaufen und stürzte sich auf ihn. »Hey, Samuel! Da bist du ja. Ich habe schon den ganzen Abend nach dir gesucht«, verkündete sie so laut, dass jeder es hören konnte. Samuel strahlte breit und streckte seine Arme nach ihr aus. Sie ergriff seine Hände und zog ihn von Chenna fort. Samuel drehte sich noch einmal nach ihr um und schenkte ihr ein bedauerndes Lächeln. »Bis hoffentlich bald, süße Chenna.« Dann folgte er dem anderen Mädchen.

Sie blickte den beiden ein wenig ungläubig nach. Hier wurde offensichtlich nicht lange gefackelt. Sie ging weiter durch die Reihen. An einem Tresen gab es Getränke und sie holte sich einen kräftigen Drink, den sie in der Hand behielt, um immer wieder daran nippen zu können. Irgend woran musste sie sich schließlich festhalten, bis das Zittern aufhörte. Ihre Aufregung wollte sich einfach nicht legen, so sehr sie sich auch bemühte, sich innerlich zu beruhigen. Sie fühlte sich unsicher so allein hier. Wäre doch nur Sonny bei ihr.

Viel Zeit, darüber zu grübeln, blieb ihr nicht. Jemand kam an ihr vorbeigeschlendert und griff sich ihr Glas. Überrascht blickte sie ihm nach, doch er war schon nicht mehr dort, wo er nach physikalischen Gesetzen eigentlich hätte sein müssen. Stattdessen wurde sie nun von der anderen Seite herumgerissen und der Unbekannte lehnte sich, ihr Glas in der Hand, lächelnd gegen den Tresen und nippte an ihrem Drink. Dann beugte er sich dicht zu ihr.

»Hey, schönes Wesen. Du kannst heute nicht gehen, ohne Kai kennengelernt zu haben. Das wäre eine gnadenlose Schande.«

»Ach, ist das so?«, fragte sie verdattert. Er sah ungewöhnlich jung aus. Wie alt waren eigentlich diese Vampire wirklich?

»Du bist doch neu, oder nicht?« Er setzte ihr Glas an und trank es in einem Zug leer.

Sie wusste nicht, was mit ihr geschah, aber entweder hatte der Alkohol, die Stimmung hier im Haus oder die bisherigen Küsse sie in eine Art Rausch versetzt, denn sie spürte in sich das unbändige Verlangen, ihn zu küssen.

»Ja, bin ich. Kannst du mir zeigen, was ihr hier so macht?« Diese dreiste Lüge kam ihr so leicht über die Lippen, dass sie über sich selbst staunte. Ihre Finger legten sich wie zufällig auf seinen Unterarm. Kai sprang sofort darauf an. Er küsste sie, ohne eine weitere Aufforderung abzuwarten.

Mit jedem Kuss, den sie hier erhielt, schien die magische Kraft in ihr stärker zu werden, bis sie eine Explosion fühlte, die ihren Kopf in die Weiten des Universums katapultierte.

Als sie in ihre Welt zurückkehrte, schlug sie die Augen auf und sah, dass Kai weiterhin dicht vor ihr stand. Er lächelte sie zufrieden an. »Das war ein fantastisches erstes Mal, Täubchen. Ich hoffe, wir wiederholen das bald.«

Er tippte ihr sanft auf die Nase und reichte ihr seine Karte. Sie musste sich kurz festhalten. Er verbeugte sich vor ihr. Dann verschwand er so schnell in der Menge, wie Yesse vorhin das Zimmer verlassen hatte: in Vampirgeschwindigkeit. Sie schüttelte lächelnd den Kopf und steckte die Karte weg.