Bist du noch wach? - Elisabeth Rank - E-Book

Bist du noch wach? E-Book

Elisabeth Rank

0,0
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mit wem soll man darüber reden, dass es niemanden mehr gibt, mit dem man über alles reden kann? Rea und Konrad sind Mitbewohner – und die allerbesten Freunde. Doch je näher Reas 30. Geburtstag rückt, desto deutlicher spürt sie ihre Unzufriedenheit: Sie hat das Gefühl, alle Clubs gesehen, alle Erfahrungen gemacht und alle wilden, schönen Sonnenuntergänge erlebt zu haben. Permanent muss sie sich hinterfragen: Kommt jetzt der nächste Schritt? Was hat ihr die Stadt noch zu bieten? Konrad scheint seinen Weg bereits geplant zu haben: ohne Rea. Und er hat plötzlich eine Freundin; die erste in all den Jahren. Rea erträgt die neuen Schritte in der Wohnung nicht, die neuen Geräusche. Also flüchtet sie in die Sorglosigkeit eines Urlaubs – nur, um dort die Verfahrenheit ihrer Lage noch deutlicher zu spüren. Freunde: sie sind die Familie, die wir uns selbst aussuchen. Ihnen vertrauen wir oft mehr an als jedem anderen. Aber wie stabil sind unsere Wahlverwandtschaften? Elisabeth Rank schreibt nicht über den großen Streit, sondern über eine langsame Entwöhnung, ein Sich-Auseinanderleben mit dem eigenen Lebensplan.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.berlinverlag.de

Für C. & L.

Vollständige E-Book-Ausgabe der bei Bloomsbury Berlin erschienenen Buchausgabe

1. Auflage 2013

ISBN 978-3-8270-1095-7

© 2013 Bloomsbury Verlag GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Rothfos & Gabler, Hamburg

Datenkonvertierung: Greiner & Reichel, Köln

When I see you again

And I’m greeted as a friend

It is understood

That we did all we could

(Sunset, The XX)

Ich wache auf und es ist kalt, so kalt, dass ich Gänsehaut auf dem Kopf bekomme und Haare spüre, dort, wo sonst keine Haare wachsen, Haare wie Nadeln nach innen und außen. Ich habe große Steine im Rücken und kleine stecken in der Elefantenhaut an den Ellbogen, und außerdem habe ich Durst. Mein ganzer Körper ist eingeschlafen und wacht gerade wieder auf, mein Blut rast durch jeden Zentimeter meines Körpers, und ich kann jede Kurve hören, die es macht, jeden Knochen, an dem es vorbeifährt. Ich setze mich auf und bemerke ganz feine Risse an den Gelenken meiner Finger, winzige Kiesel auch dort, wo die Lebenslinie beginnt, in meinem Kopf wummert es, und die Gegenwart aus französischen Pinien vermischt sich mit den lauten, bunten Träumen der letzten Minuten. Der letzten Stunden? Hier ist sonst niemand außer mir, ich drehe vorsichtig den Kopf und sehe mich um, meinen Nacken hat auch irgendetwas getroffen, aber das Schlimmste ist wirklich der Kopf. Es fiept im rechten Ohr und rauscht im linken, hinter meiner Stirn klopft es, als wolle jemand hinaus, als hätte ich jemanden darin vergessen. Meine Beine kann ich bewegen, welch ein Erfolg, Rea, welch ein Erfolg, alle Zehen, die Knie lassen sich beugen, der Rücken auch, ich zupfe ein paar der kleinen Steine mit zwei Fingern von mir und blinzele gegen die dunkelgrauen Wolken an, die über mir stehen und glotzen wie Ärzte in zu lange getragenen Kitteln. Der Versuch aufzustehen bleibt ein Versuch, in die Hocke komme ich nicht, weil die Knie bluten, also rolle ich mich über die Seite in den Stand. Irgendwo hinter den Bergen donnert es, mir ist schlecht, und mein Mund fühlt sich an, als hätte ich soeben einmal mit Elan in den Boden gebissen; abschüssiges Geröll, der Staub ist überall, und als ich mir über das Gesicht wische, klebt er zusammen mit Blut und Schweiß an meinen Händen. Ich trage nur einen verdammten scheiß Schuh. Der Wind weht, als würde er Schafe treiben wollen.

Ich drehe mich um und sehe die Mauer, und da kommt die Erinnerung in Schüben zurück, und mein Hals zieht sich zusammen wie vor ein paar Stunden, als Marianne und die anderen nicht aufhören wollten zu fragen – und ich keine Antworten hatte. Die Übelkeit klettert meine Speiseröhre herauf, dort entlang, wo sie schon vor Stunden herumgestochert hatte, als wir durch Grasse liefen, obwohl ich nicht mehr laufen wollte. Die Gedanken an zu Hause hatten sich mit dem Geruch des Mietwagens vermischt und gingen nicht mehr fort, Konrad hatte immer noch nicht auf meine MMS geantwortet, und dann fiel mir ein, dass ich Papa nicht noch einmal angerufen hatte, ja, eine E-Mail, tolles Kind, super Kind aus der Digitalagentur, das den Vater im Krankenhaus nicht anruft, sondern nur eine E-Mail schreibt. Ich taste die Hosentaschen nach meinem Telefon ab, finde aber nichts. Auch in der Jeansjacke ist nichts außer Staub und einem alten Kaugummipapier. Und dann sind da noch Angst und Panik und Sehnsucht und Heimweh und Sorge und ein schmerzhafter Flummi, der zwischen meinen Organen herumspringt, als hätte er nie etwas anderes getan, er springt gegen die Lunge und dann auf dem Magen herum, und dann hängt er sich an die Nieren. Ich rutsche ein Stück bergab, die Augen auf den Boden gerichtet, um das Telefon zu finden und vielleicht auch meinen zweiten Schuh, aber außer Gestrüpp und Geröll und ein bisschen Trockengewächs ist hier nichts. Also wieder bergauf, Schrittchen für Schrittchen, eine Hand an der Stirn, tastend, ob das Blut noch läuft, mit der anderen versuche ich auszugleichen, was die Knie allein nicht balancieren können, ich komme mir so bescheuert vor wie noch nie zuvor, irgendwo in Frankreich herumkrauchend, ohne Telefon und mit nur einem Schuh und grundlos, eigentlich grundlos, denn ich hätte einfach mitgehen können ins Museum, ich hätte einfach mitgehen können, essen und zuhören und den ganzen Kram abschütteln, ich hätte mir zur Not auch irgendwelche Antworten ausdenken können, aber ich bin einfach nicht schnell genug derzeit. Mein Kopf ist nicht schnell genug, und mein Herz hat schwer zu tun, und dann stehe ich da oder sitze im Auto neben Marianne, die mich mitleidig anschaut, und Sarah, deren ungläubigen Blick ich im Rückspiegel sehen kann, und Katrin, die mich mit dem Finger immer wieder in die Seite pikt, weil sie nicht glaubt, was ich sage, weil ich ja selbst nicht glaube, was ich sage, denn ich sage nur, was ist, und nicht, was hätte sein können mit Konrad und mir, aber das spielt auch keine Rolle mehr. Ich hätte einfach mitgehen sollen und den Kopf ausschalten, statt zu versuchen, meinem Körper hinterherzuhechten. Ja, gib ihm Luft, Rea, super. Jetzt siehst du ja, was du davon hast.

Die Hände sind wieder da, die eiskalten Hände an meinem Hals, die immer fester zudrücken, wie sonst nur in engen Flugzeugkabinen, aber das hier ist was anderes und mein Kopf fünfmal so schwer wie sonst. Schön erst mal heulen, Rea. Nur weil die Mauer so hoch ist, dass du nicht mehr raufkommst. Heulen macht’s bestimmt besser. Mein Schuh rutscht immer wieder ab, und die Zehen des anderen Fußes tun weh, runter geht’s immer, würde Papa sagen, wenn er hier wäre, runter geht’s immer, und lachen in seinen Bauch rein würde er. Ich folge der Mauer in die Richtung, aus der ich glaube gekommen zu sein. Im Tal unten gehen die ersten Lichter an, man könnte das schön finden, wenn man wüsste, dass um die Ecke das Auto steht, mit dem man hinfahren kann zu den Lichtern. Aber direkt neben mir läuft die Angst und atmet mir ins Gesicht. Scheißangst. Scheißdrecksmistangst. Sie macht, dass ich ins Dunkel zische und meine rechte Hand nicht von den bemoosten Steinen nehme, dass ich mich langsam Stein für Stein voranarbeite, immer erst kurz rüttelnd, um nicht wieder abzurutschen. Glotz nicht so, will ich schreien, geh einfach, will ich brüllen, aber nichts kommt raus außer einem trockenen Husten. Das kann man niemandem erzählen in Berlin, ich würde mich selbst auslachen, und das nicht mal auf die nette Art. Scheißidee, mitzufahren. Scheißidee, Scheißidee. Ich hätte einfach zu Hause bleiben und meinen Job machen sollen, Scheißidee, hörst du? Aber erholen solle ich mich und raus müsse man mal und ach, um weiterzukommen, ja genau, für das große Ganze müsse man auch ans Kleine denken, jaja, scheiß auf das große Ganze. Vor die Füße kotz ich demjenigen, der mir das nächste Mal erzählt, ich solle doch mal das große Ganze betrachten. Das große Ganze ist nämlich eine faule Sau im Vergleich zum Kleinen, das große Ganze lehnt sich nämlich mal schön zurück, wenn ich in den Speichen hängen bleibe, das große Ganze lacht sich auch jetzt wahrscheinlich gerade gepflegt eins ins Fäustchen. Das große Ganze hat’s nämlich immer hübsch gemütlich, weil es sich so fett gefressen hat, dass es die Stuhllehne schon gar nicht mehr spürt, weil es nämlich schlau ist, das große Ganze, das hat auch keine Steine in seiner scheiß Fußsohle und seinen Ellbogen stecken. Es bläst sich auf und flötet davon, und am Ende guck ich blöd aus der Wäsche.

Plötzlich fasse ich ins Leere, keine Steine mehr, keine Mauer mehr, anhalten, einatmen, ausatmen. Die Panik macht ja, dass man wieder wach ist, weil die Panik alles aufrüttelt, jeden Knochen, jede Ader, jedes Haar, dann spürt man sich wieder. Dann tut es zwar weh, aber das ist immer noch besser als die Taubheit, die macht, dass alles davontreibt, mein Körper und all meine Kontrolle. Die Panik schlägt sich mit einer Axt durch den Sand, bis sie trifft.

Das war es nicht. Ich wusste es, und ich wusste auch, dass Albert es wusste. Er steckte seine Nase bei der Umarmung nicht mehr in meine Haare, und ich stellte mich nicht mehr auf die Zehenspitzen, wenn wir uns nach längerer Zeit wiedersahen, wie ich es immer getan hatte, ohne es zu bemerken, bevor er mich einmal darauf aufmerksam machte.

»Hier riecht’s komisch«, sagte er nur und schaute den Flur hinunter.

»Hallo«, sagte ich leise und schloss die Tür hinter ihm. So begrüßte man sich nicht, wenn es das war.

Albert pellte sich umständlich aus seiner Jacke, und ich ging zurück in die Küche, wo ich vor dem Klingeln gewesen war, schaltete vorher noch das Licht im Flur aus, damit ich ihn nicht mehr sehen musste, wie er dastand mit seiner Jacke in der Hand und den Schuhen noch an den Füßen. Ich hörte ihn atmen, zu laut atmen, das war hier doch kein Marathon, das war nur der vierte Stock.

Ich kochte Reis, weil nichts anderes da war, Reis mit Gemüsebrühe und Gemüseresten, man hätte es Risotto nennen können, Konrad sagte meistens Reis mit Scheiß dazu, und gleichzeitig rührte ich meinen eigenen Magen um, so fühlte es sich an, wie Albert da hinter mir auf dem Sofa saß, den Kopf in die Hände gestützt, die Augen ganz glasig.

»Wir brauchen neues Salz«, sagte ich. »Und Petersilie auch«, denn es war nur noch das getrocknete Zeug aus dem Plastiktopf da, das Pelle immer kaufte, obwohl Konrad und ich es nicht aßen, es normalerweise gar nicht erst versuchten, aber manchmal waren alle frischen Kräuter verwelkt, und dann grinste Pelle jedes Mal stolz. Albert sagte nichts, hatte den Kopf nun an die Wand gelehnt und die Augen geschlossen, er hätte auch fragen können, ob das Salz noch für das Risotto reichte oder ob er noch einmal losgehen solle zum Kaiser’s am Kotti, der hatte lange auf.

»Ist nicht wichtig«, murmelte er dann, und ich sah seine Augen nicht mehr, aber er legte seine Stirn in die Art von Falten, die man bekam, wenn im Kopf schlimme Dinge passierten, irgendetwas, das weh tut, so sah er aus, dabei konnte ich mir gar nicht vorstellen, was in seinem Leben das sein sollte, er hatte doch alles, was man sich wünschen konnte. Er war gerade in eine neue Wohnung gezogen, und er hatte den Job in der neuen Agentur bekommen, die Kollegen waren nett, er bekam mehr Geld als vorher, und er hatte eine passable Freundin oder so was in der Art – jedenfalls jetzt noch. Darüber, fand ich, konnte man sich doch ein bisschen freuen und nicht so schauen, wie er es tat, an mir vorbei und zum Toaster. Alberts Eltern waren gesund, seine Freunde harmlos, aber nett, sie ließen sich blicken, wenn der Kalender es vorsah, und manchmal sogar einfach so, er hatte Freunde, die spontan vorbeikamen, ohne anzurufen, einfach weil sie in der Nähe waren, Freunde, die ihm beim Umzug halfen, obwohl sie sich zwei Jahre nicht gesehen hatten, er hatte immer Koks fürs Wochenende und zum Ausgehen, er konnte Urlaub machen, wann er wollte, und musste nicht immer hin und her rechnen, so wie ich, seit ich nur noch vier Tage die Woche in der Agentur war, um einen Tag mehr fürs Malen zu haben. Manchmal fragte ich mich, ob vielleicht genau das sein Problem war. Vielleicht ging einem das Gleichgewicht verloren, wenn alles seinen Platz hatte, dann war ein kleiner gebrochener Zeh vielleicht wirklich schon eine große Sache. Das war Albert vor drei Wochen im Watergate auf der Treppe passiert. Er hatte danach viel geseufzt, die Ärztin in der Notaufnahme war sehr nett gewesen und hatte ihm noch Tabletten aus der Schublade mitgegeben, »abwarten« hatte sie gesagt und dass er vor allen Dingen einfach vorsichtig laufen solle, eine Schiene hatte sie ihm nicht verpasst, und auch sonst war nichts weiter zu tun. Aber jedes Mal, wenn er vom Bett aufstand, schnaufte er, als sei sein Körper viermal schwerer als sonst, Treppen ging er langsam. Ich hatte nichts gesagt, aber manchmal musste ich mich zusammenreißen, um ihm nicht auf den Fuß zu springen. Er kaufte sich eine Salbe, und er übernachtete in dieser Zeit nicht bei mir. Einmal hatten wir Sex, bei dem ich mich kaum bewegte, weil Albert ständig zusammenzuckte, obwohl sich unsere Füße nicht einmal berührten. Wir ließen es dann bleiben, und am Morgen sah ich, dass sein rechter Fuß auf dem linken lag, während er schlief, der Zeh irgendwo dazwischen, ohne dass die Welt unterging. Ich war leise aufgestanden, hatte Kaffee gemacht und ihn nicht geweckt.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!