Bittersüß - berührt - Adele Mann - E-Book

Bittersüß - berührt E-Book

Adele Mann

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Beschreibung

Eine bittersüße Leidenschaft, die das Herz berührt. Cami möchte einen Neuanfang. Der Job als Grafikerin bei Veith Media scheint dafür perfekt. Nur mit Connor Veith, dem Besitzer der Agentur, hat sie dabei nicht gerechnet. Als der attraktive Connor Cami in seine Agentur holt, sprühen die Funken von Anfang an. Connor wahrt Distanz. Bis ein Ereignis klarmacht, dass er die gegenseitige Anziehung nicht länger leugnen kann. An einer Beziehung ist Connor nicht interessiert. Cami kann der Versuchung dennoch nicht widerstehen. Sie lässt sich auf die Leidenschaft, die zwischen ihnen ist, ein. Je näher sie sich kommen, desto klarer wird, Connor verbirgt etwas. Werden Connors leidenschaftliche Berührungen Cami genügen? Oder ist sein Herz einfach nicht bereit, sich auf jemanden einzulassen?

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Seitenzahl: 466

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Adele Mann

Bittersüß - berührt

Erotischer Liebesroman

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Bücher von Adele Mann

Rechtliches & Informationen:

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Impressum neobooks

Kapitel 1

Cami

Ich hasse Bewerbungsgespräche.

Besonders dieses hier. Und mehr noch hasse ich meine Nervosität und Unsicherheit. Da hilft es auch nicht, dass ich als Einzige ein Kleid trage, während meine Mitbewerber allesamt in schwarze Anzüge gekleidet sind. Mal ehrlich, wir bewerben uns hier um eine Stelle als Grafiker. Da sollte Kreativität an oberster Stelle stehen. Und für mich spiegelt ein biederer dunkler Anzug so einiges wider, aber bestimmt nichts, das mit einem guten Auge oder mit ungewöhnlichen Designs zu tun hat. Vielleicht bin ich aber auch nur nervös und mir der Tatsache schrecklich bewusst, dass jeder hier ein Profi ist und eine reelle Chance auf diesen Job hat, bloß ich nicht. Um mich ein wenig zu beruhigen, umklammere ich meine Arbeitsmappe und atme tief durch. Doch es hilft nicht. Je mehr ich versuche, meinen Konkurrenten mit einem höflichen Lächeln zu begegnen, desto abwertender werden ihre Blicke mir gegenüber. Sie scheinen mir zu sagen: „Was macht die denn hier? Weiß sie nicht, dass Veith Media die aufstrebende Werbe- und Kreativagentur Wiens ist?“

Das Schlimme daran ist, ich weiß es, und ich bin mir sehr wohl im Klaren darüber, dass dieser Job eine Nummer zu groß für mich sein könnte. Aber genau deshalb will ich ihn. Unbedingt. Ich will endlich vorankommen, nicht mehr um jeden Auftrag bangen oder als zweite Wahl abgestempelt werden. Dieser Job ist ein Sprungbrett, eine Chance, die so schnell nicht wiederkommt. Schmerzlich spüre ich, wie sich mein leerer Magen regt. Wieso nur gehöre ich zu den letzten Bewerbern, die an die Reihe kommen?

Gerade wird die Tür des schmalen, aber eleganten Flurs aufgerissen, in dem wir links und rechts aufgefädelt wie auf einer Perlschnur sitzen. Ein junger Mann mit dicker Brille und dunklen Haaren kommt herein. Er spricht kurz mit der rothaarigen Sekretärin, die uns vermutlich alle empfangen hat, und setzt sich dann auf den letzten leeren Stuhl mir gegenüber. Vorsichtig lächelt er mich an. Abgesehen von mir ist er der Einzige, der nicht im Anzug gekommen ist. Er trägt eine graue Stoffhose und ein ziemlich auffälliges Hemd mit geometrischen Figuren darauf. Erleichtert erwidere ich sein Lächeln und nicke ihm als Gruß zu, bis ich sehe, dass seine Arbeitsmappe mindestens doppelt so dick ist wie meine. Scheiße, der Einzige, der aussieht, als hätte er Kreativität im Leib, und dann muss er auch noch viel mehr Erfahrung mitbringen als ich. Mir dämmert, dass diese Sache hier wohl gelaufen ist, ehe ich überhaupt eine Chance bekomme. Immerhin bin ich vor ihm dran. Das heißt, ich muss einen bleibenden Eindruck hinterlassen, bevor er mit seiner Mappe protzen kann. Na klar, ich bin ja auch so gut darin, mich selbst zu verkaufen. Genau deshalb habe ich beinahe meine kleine Firma verloren, die auch jetzt nur schleppend läuft. Aber sie läuft dennoch, beruhige ich mich.

Die milchige Glastür, die zu den Firmenbüros führt, geht auf und die letzte Bewerberin, die hineingerufen wurde, kommt wieder heraus. Sie wirkt geschafft. Vorhin noch, als sie hineingerufen wurde, strotzte sie vor Selbstbewusstsein und Zuversicht. Jetzt hingegen atmet sie lange und geräuschvoll aus, schnappt sich ihre Tasche und verschwindet auffällig schnell.

Wenn schon diese Amazone scheitert, wie soll ich dann vor dem Eigentümer glänzen, der als brillanter Profi und geschäftstüchtiger Aufsteiger gilt.

Verdammt! Ich hätte doch mein schwarzes Kleid anziehen sollen, auch wenn ich es langweilig und altmodisch finde. Vielleicht hätte ich dann seriöser und etwas älter gewirkt. Immerhin bin ich erst sechsundzwanzig und sehe leider kein Stück älter aus als Mitte zwanzig, von erfahren ganz zu schweigen. Im Hinterkopf höre ich die Stimme meiner Mutter, die mich mit spitzer Zunge zurechtweist:

„Du hättest dir wenigstens die Haare zusammenbinden können. Schließlich bist du ja kein Hippie!“

Normalerweise würde ich mit ihr über eine derartige Bemerkung streiten, ihr erklären, dass mein Stil mehr Boho ist, was sie natürlich nicht verstehen würde. Doch im Moment bin ich versucht, ihr vollkommen recht zu geben.

Ein erschreckender Gedanke.

„Camilla Johansson?“, dröhnt es aus dem Seitenbüro.

Scheiße. Das bin ich!

„Ähm … ja“, flüstere ich und klinge dabei, als wäre ich mir nicht sicher, ob ich das bin.

Super gemacht. Toller erster Eindruck.

„Sie sind als Nächste an der Reihe. Gehen Sie bitte durch die Büroräume bis zum Ende des Gangs. Dort finden Sie das Büro des Chefs.“ Die Rothaarige, die nicht viel älter sein kann als ich, deutet gleichgültig auf die Tür.

„Danke.“ Ich suche meine Sachen zusammen. Arbeitsmappe, Bewerbungsunterlagen und meine Jacke, die ich hätte anziehen sollen. Da mir gerade der Schweiß ausbricht, lasse ich es lieber sein. Ich öffne die Tür und befinde mich in einem Großraumbüro, in dem hektisch gearbeitet wird. Einige Augenpaare mustern mich beiläufig, wie ich unsicher meinen Weg durch Veith Media finde, jene Agentur, für die ich nur allzu gerne arbeiten möchte. Ein junger Typ sieht von seinem Computer hoch, taxiert mich von oben bis unten, ehe er mit einem amüsierten Grinsen zu seiner Arbeit zurückkehrt. Ist das Kleid wirklich so kurz? Oder hat er bloß eine Schwäche für Beine? Gott, bin ich nervös. Mir ist schlecht, und ein Teil von mir möchte umdrehen und wieder nach Hause gehen, in die kleine Wohnung, die noch nicht einmal eingerichtet ist und die ich vielleicht nicht länger bezahlen kann, wenn ich nicht bald mehr Arbeit finde.

Ich brauche diesen Job, ich will diesen Job, sage ich mir immer wieder, während ich den hellgrauen Teppich mustere, der mich zuerst an ein paar kleinen Büros vorbeibringt und schließlich am Ende des Gangs vor einer weiteren Tür aus Milchglas endet. Auf ihr steht der Name des Agenturinhabers: Connor Veith – Geschäftsführer.

Ich klopfe. Während ich auf eine Antwort warte, fließen binnen Sekunden sämtliche Informationen, die ich über Veith Media recherchiert habe, zusammen mit der Strategie, die ich mir für dieses Gespräch überlegt habe, aus meinem Hirn.

„Herein“, höre ich eine leise Männerstimme.

Mit leer gefegtem Kopf öffne ich die Tür und finde mich in einem Vorzimmer wieder, das geschmackvoll und gemütlich eingerichtet ist. Ein junger Mann in den Dreißigern bittet mich mit einer Geste hereinzukommen und verbeißt sich bei meinem Anblick offensichtlich ein Grinsen. Er wirft einen kurzen Blick auf den Computerbildschirm, ehe er mir wieder seine Aufmerksamkeit zuwendet.

„Camilla Johansson … Ich danke Ihnen alleine dafür, dass ich Ihretwegen zum ersten Mal seit heute Morgen eine Pause von billigen schwarzen Anzügen bekomme.“

Ich mag ihn auf Anhieb. Er erinnert mich an Sascha, einen sehr guten Freund, auch wenn ich ihn erst seit ein paar Monaten kenne. Dankbar lächle ich ihn an, weil er einen Teil meiner Nervosität verscheucht hat.

„Dann finden Sie nicht, dass ich vielleicht etwas unpassend gekleidet bin?“, frage ich sicherheitshalber nach. Er wirkt wie jemand mit Stilbewusstsein. Ein Mann, der als Assistent für einen Werbeprofi wie Connor Veith arbeitet und dann noch aussieht wie ein ehemaliges Calvin Klein-Model mit diesen hellblauen Augen und den langen Wimpern – habe ich erwähnt, dass er kornblonde Haare hat, mit Strähnchen? –, kann nicht danebenliegen, wenn es um Mode oder Stil geht.

„Ich finde, Sie können so etwas tragen“, flüstert er mir verschwörerisch mit einem Zwinkern zu. Leider weiß ich mit dieser Antwort nichts anzufangen. Findet er mich lediglich hübsch genug dafür, oder will er damit andeuten, dass ich ihm mutig genug erscheine, so etwas bei einem Bewerbungsgespräch zu tragen?

„Warten Sie einen Moment. Ich kündige Sie schnell an.“

Elegant erhebt er sich und geht nach nebenan. Die Gelegenheit, während er kurz in das angrenzende Zimmer verschwindet, nutze ich, um mir sein Namensschild anzusehen. Daniel Lorenz. Der Mann mit den längsten Wimpern, die ich je gesehen habe, und der Erste, der heute nett zu mir war.

„Sie können zu ihm.“

Erschrocken drehe ich mich um und blicke in humorvolle Augen. Daniel umrundet mich und setzt sich wieder an seinen Schreibtisch.

„Viel Glück“, wünscht er mir mit einem hintergründigen Schmunzeln, das ich nicht einordnen kann.

„Danke“, antworte ich aufgeregt.

Ohne zu klopfen, öffne ich die Tür und sehe einen dunkelblonden, beinahe schon nussbraunen Haarschopf, der sich über ein paar Papiere beugt. Zurückhaltend trete ich ein, schließe leise die Tür hinter mir und warte in der Mitte des Raums. Doch der Mann mir gegenüber blickt nicht auf. Nervosität und Unbehagen kriechen in mir hoch, da der Mann, für den ich arbeiten möchte, nicht mal zu mir hochsehen will.

Das fängt ja gut an.

Als mir die Warterei zu lange dauert, räuspere ich mich vorsichtig. Ein Ruck geht durch seinen Körper, als habe er eben erst die Anwesenheit eines anderen Menschen in seinem Büro wahrgenommen. Was soll das denn? Immerhin hat sein Assistent mich doch gerade eben angekündigt.

Connor Veiths Blick zuckt nach oben. Als er mir in die Augen blickt, sackt mein Magen direkt in den Boden, einfach so. Keine Ahnung warum, aber seine grauen Augen bringen mich von einer Sekunde auf die andere völlig aus dem Konzept. Ich habe mit allem gerechnet, nur nicht mit diesem Mann.

Er sieht mich schweigend von oben bis unten an, so als müsse er sich versichern, dass ich tatsächlich aussehe, wie ich nun einmal aussehe, und hier vor ihm stehe. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber bestimmt habe ich nicht erwartet, ausgerechnet bei einem Bewerbungsgespräch dem attraktivsten Mann gegenüberzustehen, dem ich je begegnet bin. Seine Haare sind blond, eigentlich nussfarben, seine Augen erstaunlich grau. In dem leicht gebräunten Gesicht wirken sie eindringlich und fallen auf. Obwohl er sitzt, sehe ich, dass er schlank und durchtrainiert ist. Sein Anzug sieht an ihm nicht wie eine fade Verkleidung aus wie an den Leuten, die vor seiner Tür sitzen und auf diesen Job hoffen. An ihm wirkt er wie eine zweite Haut. Eine sehr elegant aussehende dunkelblaue Haut. Nur die Krawatte hebt sich ab. Sie ist silbern, fast so wie seine Augen, die gerade sehr eingehend meine Beine mustern. Ich bekomme Gänsehaut davon. Die Tatsache, dass er noch kein Wort gesagt hat, macht mich verlegen und unsicher. Außerdem komme ich mir fast schon nackt und bloß vor ihm vor. Und das liegt nicht nur an dem luftigen Frühlingskleid, das ich trage.

Das Schweigen dehnt sich zwischen uns mehr und mehr aus. Es ist nicht das unangenehme Schweigen zweier Fremder, die sich einfach nicht kennen. Es ist ein energiegeladenes, angstmachendes Schweigen, das ich so überhaupt nicht kenne und das mich langsam, aber sicher panisch werden lässt. Deshalb fühle ich den Drang, endlich etwas zu sagen.

„Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen.“ Vorsichtig trete ich näher, bis ich kurz vor seinem riesigen Glasschreibtisch stehen bleibe. Um meine Nervosität zu überspielen, lächle ich ihn breit an. Leider fällt mir dabei auf, wie schön sein Mund ist, der mein Lächeln aber in keiner Weise erwidert. Immer noch starrt er mich an.

„Camilla Johansson?“, fragt er sichtlich irritiert.

Geradezu geschockt davon, dass er tatsächlich mit mir redet, benötige ich einen kurzen Moment, um zu reagieren. Die Art, wie er meinen Vornamen, den ich eigentlich nicht leiden kann, ausspricht, ist seltsam und irgendwie schön.

„Ja, das bin ich … Aber ich werde Cami genannt“, erkläre ich und versuche nicht darauf zu achten, wie seine Stimme geklungen hat. Ich habe nicht einmal Worte, um zu beschreiben, wie dieser leicht tiefe Ton auf meine Haut und auf meinen Herzschlag wirkt. Das alles ist beunruhigend und es gefällt mir nicht.

Oder etwa doch?Besser nicht darüber nachdenken.

„Gut, Cami also“, murmelt er und wirkt nun völlig gefasst. Mit seiner Hand macht er eine Geste in Richtung des Stuhls neben mir. Als ich mich setze, fällt mir auf, dass meine Bewerbung vor ihm auf dem Tisch liegt.

Hat er etwa darin gelesen, als ich reinkam?

Er lehnt sich in seinem Lederstuhl weit zurück und lässt keine Sekunde die Augen von mir, wie ein Jäger, der auf den noch so kleinsten Fehler seiner Beute wartet. Herrje, kein Wunder, dass die letzte Bewerberin so durch den Wind war, als sie ihm entkommen ist. Was denke ich denn da? Reiß dich endlich zusammen, Cami! Das hier ist ein Jobinterview!

„Wie Sie sicher wissen, bin ich Connor Veith, Inhaber und Geschäftsführer der Agentur.“ Nun klingt seine Stimme ganz anders, beherrscht, kontrolliert, so als könne nichts ihn überraschen oder überrumpeln. Ich nicke.

„Was wissen Sie über Veith Media, Cami?“ Abwartend sieht er mich an. Aus einem unerfindlichen Grund habe ich das Gefühl, trotz dieser unverfänglichen Frage, gerade einer Prüfung unterzogen zu werden.

„Ich weiß, dass Sie im letzten Jahr diverse Preise für Ihre Projekte gewonnen haben und als die Aufsteigeragentur des Jahres in der Branche gelten. Sie haben Veith Media auf eine breite Basis gestellt und bieten nicht nur klassische Werbung an. Sie haben einen guten Ruf in Corporate Design-Erstellung und in Neue Medien“, rattere ich die Informationen, die plötzlich wieder in meinem Kopf auftauchen, herunter.

„Also ein Traum für jeden Grafiker“, schicke ich noch hinterher und versuche mich in einem hoffnungsvollen Lächeln, wie es sich für einen engagierten Bewerber gehört.

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht“, meint er schlicht und ignoriert meinen Versuch, über den Job zu sprechen.

„Ich möchte ehrlich sein“, beginnt er ernst und sieht mir dabei nicht mehr in die Augen, was mir ein schlechtes Gefühl verschafft. „Ihre Bewerbung unterscheidet sich doch sehr von den anderen.“

Ich habe zu wenig Erfahrung. Er traut mir diesen Job nicht zu. Ich wusste es. Verdammt!

Schnell schlucke ich den dicken Kloß im Hals hinunter, ehe ich fähig bin, darauf halbwegs professionell zu reagieren. Kaum möchte ich dazu etwas sagen, spricht er schon weiter.

„Sie haben nicht gerade viel profunde Erfahrung vorzuweisen. Doch was Ihre Arbeitsproben betrifft … die könnten nicht vielversprechender sein.“

Überrascht sehe ich hoch und entdecke in seinem Gesicht, dass er absolut ernst meint, was er gerade gesagt hat.

„Ich liebe das, was ich tue“, sage ich schlicht. Das ist nicht gerade einfallsreich, dafür aber wahr.

„Das sieht man“, merkt er an und lächelt dabei beinahe, was ihm offenkundig widerstrebt. Connor Veith ist wirklich ein unverschämt attraktiver Mann. Nein, das ist gelogen und sogar untertrieben. Er ist wahnsinnig heiß und so scharf, dass es schwerfällt, ihn nicht ständig anzustarren.

Apropos Starren. Gerade tut er es wieder. Zuerst ist mein Gesicht dran, danach wieder meine Beine. Ich versuche am Saum des Kleides zu ziehen, doch es ist zu kurz. Was ich auch versuche, der Großteil meiner Oberschenkel ist deutlich zu sehen. Was hat mich nur geritten, ausgerechnet dieses Kleid anzuziehen?

„Vielleicht zeigen Sie mir Ihre Arbeitsmappe, dann kann ich mir einen besseren Überblick verschaffen. Mich interessiert ohnehin viel mehr, was nicht in Ihren Bewerbungsunterlagen steht.“ Leider habe ich das Gefühl, dass ich sofort mehr in diese Worte hineindeute, als gemeint war. Etwas eingeschüchtert von seiner männlichen Präsenz und seinem guten Aussehen stehe ich auf und reiche ihm meine Mappe über den Schreibtisch. Während er sich die Ausdrucke meiner Arbeiten ansieht, mustere ich sein Gesicht. Er hat eine deutlich ausgeprägte Kieferpartie und klassisch geschnittene Gesichtszüge. Wenn er nicht Agenturbesitzer und Geschäftsmann wäre, könnte er ohne Weiteres überteuerte Designeruhren oder Anzüge bewerben. Ein Bild von ihm würde so gut wie alles verkaufen. Interessiert blättert er vor und zurück, was mich beruhigt. Doch seine Miene lässt nicht erkennen, was er denkt. Nicht das kleinste bisschen. Als mein Blick von ihm abschweift, fällt mir auf, dass etwas in dem modern und eher männlich eingerichteten Büro nicht passt. Hinter ihm, an der rechten Seite des großen Büros, hängen fantastische Werbefotografien und Schwarz-Weiß-Fotos der Wiener Innenstadt. Zu seiner Linken befindet sich ein sehr großes Bild einer Modeskizze, die ein rotes Abendkleid mit einem folkloreartigen Umhang darstellt. Der Stil kommt mir bekannt vor. Alles in allem finde ich, dass es nicht zu Connor Veith passt, dessen Büro in schwarz und grau gehalten ist, männlich, stilvoll und ohne jeden Schnickschnack. Ich könnte in einem derart ordentlichen Büro nicht arbeiten.

„Sie bewundern den Entwurf?“ Überrascht blicke ich zu ihm. Er hält meine Mappe geschlossen in der Hand, während er auf eine Antwort wartet.

„Ja. Das Motiv kommt mir bekannt vor. Aber ich kann nicht sagen, woher“, gebe ich zu.

„Robyn James“, stellt er klar.

„Natürlich. Die Designerin … Wie sind Sie zu diesem Bild gekommen?“

„Sie ist meine Mutter.“

Verblüfft über diese Tatsache sehe ich ihn an. Das wusste ich nicht. So gut wie jeder weiß, dass er der Sohn des ehemaligen Politikers Julius Veith ist. Aber ich habe nicht einmal geahnt, dass seine Mutter ebenfalls prominent und erfolgreich ist. Wundern sollte es mich nicht. Schließlich sitze ich einem Mann gegenüber, der es mit zweiunddreißig Jahren in die Top-Liga der Agenturen geschafft hat. Als junger Anfänger in der Branche fällt es schwer, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Dennoch mache ich mir lieber meine eigenen Eindrücke von jemandem.

„Dann verdanken Sie Ihre kreative Ader Ihrer Mutter?“, frage ich zurück, weil ich neugierig bin und mehr über ihn wissen will, auch wenn das keine Rolle spielen sollte. Jedenfalls nicht für mich, nicht wenn ich nur für ihn arbeiten möchte.

„Sie ist ein gutes Vorbild“, beendet er das Thema knapp und schnappt sich meine Bewerbungsunterlagen. Es gefällt ihm offensichtlich nicht, dass ich etwas über sein Privatleben wissen möchte.

„Sie haben neben diversen Praktika nur zwei Anstellungen in Ihrer Vita. Wie kommt das? Liegt es an Ihrem Alter?“

„Die erste Festanstellung bekam ich direkt nach meiner Ausbildung, leider nur auf Zeit … Und die zweite habe ich … gekündigt“, gebe ich zu, und die Erinnerung an alles, was mit dieser Stelle zu tun hat, liegt wie ein schwerer Stein in meinem Magen.

„Wieso?“, fragt er verständlicherweise. Und obwohl ich auf diese Frage vorbereitet bin, fällt mir die Antwort schwer.

„Die Wahrheit ist … mein Chef und ich hatten sehr unterschiedliche Auffassungen über meine Arbeit und darüber, wie man eine Frau, die für einen arbeitet, anständig behandelt.“ Finster sieht er mich an, fast schon zornig. Dieser Mann kann einem durchaus Angst machen, wenn er will.

„Wie meinen Sie das? Hat er Sie etwa belästigt?“, verlangt er zu wissen. Er wirkt aufgebracht. Erstaunt über seine Reaktion suche ich nach einer passenden Antwort.

„Er wollte jemanden, der alles so umsetzt, wie er es haben möchte, selbst wenn der Kunde etwas ganz anderes von uns verlangt hat. Deshalb haben wir viele Aufträge und Kunden verloren. Und mein Versuch, Designs nach den Kundenwünschen zu gestalten, hat immer öfter zu Schreianfällen seinerseits geführt. Und in wenig schmeichelhaften Bemerkungen über mich als Frau und den Grad meiner Intelligenz.“ Diplomatischer kann man die Wahrheit kaum verpacken … oder runterspielen.

„Soll heißen, Sie haben fast zwei Jahre für einen Choleriker gearbeitet, der mehr an seinem Ego interessiert war als an der Erfüllung der Kundenwünsche oder dem Erfolg der Firma … Wie schlimm war es für Sie, ehe Sie gegangen sind?“ Er sieht mich mit einem Blick an, der klarmacht, dass er die Wahrheit wissen will. Dieser Zug an ihm gefällt mir und macht mir auch Angst. Denn Lügen liegt mir nicht. Nicht einmal dann, wenn es mehr als angebracht wäre.

Unruhig rutsche ich auf meinem Sitz hin und her. „Sagen wir es so, ich bin gegangen, ehe er mich völlig kleinkriegen konnte.“ Traurigerweise gilt das ebenso für meine letzte Beziehung, die ich kurz nach meiner Kündigung beendet habe.

„Ich denke, ich verstehe.“ Etwas leuchtet in seinen Augen auf, ehe der Geschäftsmann, der gerade eine Bewerberin überprüfen sollte, zurückkehrt, um weiterzumachen.

„Hier steht, Sie haben eine eigene Designfirma. Seit über drei Jahren … Ist das noch aktuell?“

„Ja, ich habe ein Kleinunternehmen und nehme Aufträge an. Ein paar der Sachen in meiner Mappe stammen übrigens von Cami Designs. Wenn ich den Job hier bekommen sollte, werde ich andere Aufträge natürlich nur annehmen, wenn es meine Zeit zulässt“, versichere ich ihm, weil ich weder Cami Designs noch die Chance auf diesen Job aufgeben möchte. Beides bedeutet mir unglaublich viel.

„Ein eigenes kleines Unternehmen erfordert Eigeninitiative, Geschick und Talent. Nicht viele schaffen es, noch während ihrer Ausbildung so etwas auf die Beine zu stellen.“ Seine Worte fühlen sich unbeschreiblich gut an. Wenn jemand seines Formats einen ernst nimmt und das, was man tut, kann man doch kein Versager sein, egal was andere sagen oder man manchmal selbst fühlt, oder?

„Danke. Es ist schön zu sehen, dass jemand diese Art von Herausforderung versteht und respektiert“, gebe ich zu, obwohl ich einfach nur „Danke“ hatte sagen wollen. Dieser Mann bringt mich dazu, zu viel über mich selbst zu verraten. Das ist eine meiner Schwächen. Ich gebe zu viel von mir preis und achte zu wenig auf die Gefahren dabei. Aber ich arbeite daran. Erfahrung macht schließlich klug, besonders dann, wenn sie einen nicht glücklich gemacht hat.

„Das Einzige, was nicht ins Bild passt“, gibt Connor zu bedenken, „ist Ihr Aufenthalt in Berlin und dieses Kunstpraktikum.“ Langsam atme ich aus und sehe ihm direkt in die Augen. Es ist wie verhext. Aus einem mir unbekannten Grund kann ich diesen Mann nicht anlügen, nicht einmal eine kleine Notlüge, um diesen Job zu bekommen, kommt mir über die Lippen.

„Es war eine Möglichkeit, tiefer in den Kunstbereich einzudringen und … ich habe eine Auszeit gebraucht, um zu überlegen, wie es mit Cami Designs weitergeht und was ich eigentlich als Grafikerin erreichen möchte. Weshalb ich heute hier bin. Ich will diesen Job.“ Unbedingt.

Gott, habe ich gerade das Wort „eindringen“ benutzt?

Wie peinlich. Meine Wangen fangen an zu brennen.

Connor lehnt sich zurück. Abschätzend betrachtet er mich. Aber ich kann beim besten Willen nicht erkennen, ob er mich als Arbeitskraft abschätzt oder als Frau. Sein Blick ist widersprüchlich, unmöglich zu deuten. Was geht hinter diesen sturmgrauen Augen vor sich? Was wird dieser Mann, von dem Brancheninsider behaupten, er wäre fordernd und clever, in Bezug auf mich entscheiden?

Ich spüre ein Ziehen im Bauch, während ich warte. Leider steigt dabei auch eine Hitze in mir hoch, weil ich diesen Mann unleugbar anziehend finde. Etwas, mit dem ich nicht sehr vertraut bin und das mich ziemlich nervös macht, da ich nicht damit gerechnet habe. Es trifft mich unvorbereitet. Eigentlich bin ich nicht gerade die Art Frau, die einfach so scharf auf einen Mann ist oder spontane Anziehungskraft auf täglicher Basis kennt. Und schon gar nicht weiß ich damit richtig umzugehen. Merkwürdigerweise genießt ein Teil von mir das Prickeln, das dieser Mann in mir auslöst, wenn seine Augen über mein langes Haar und meinen Körper wandern, so wie jetzt, als habe er vergessen, dass es sich hierbei um einen Geschäftstermin handelt und er mir eigentlich noch eine Entscheidung mitteilen muss.

Ich zucke zurück, als er sich plötzlich erhebt, um hinter seinem Schreibtisch auf und ab zu gehen. Ein harter Zug überschattet seine attraktiven Gesichtszüge. Und ja, er ist definitiv groß und durchtrainiert.

„Ich verlasse mich im Grunde genommen immer auf meinen Instinkt. Was das Geschäft betrifft, hat er mich noch nie im Stich gelassen. Und mein Instinkt sagt mir, dass Sie genau die Richtige für diesen Job sind. Aber etwas sagt mir, dass ich mit Ihnen ein nicht kalkulierbares Risiko eingehe. Und ich mag keine Risiken, die ich nicht kontrollieren kann.“

Er baut sich förmlich vor mir auf, sieht auf mich herab. Ich muss ein Schaudern unterdrücken, dessen wahre Ursache ich nicht zu ergründen wage.

„Ich werde Ihnen dennoch eine Chance geben, Cami“, verkündet er, und die Art, wie er meinen Namen dabei sagt, ist geradezu intensiv.

„Aber ich werde Sie nicht fest einstellen.“

Überrascht sehe ich zu ihm hoch. Seine Arme hat er vor seiner Brust verschränkt, als müsse er sich vor etwas abschirmen.

„Ich verstehe nicht, wie Sie das meinen.“ Soll ich mich freuen oder nicht? Habe ich den Job nun oder nicht?

„Sie werden als Grafikerin für mich arbeiten … Doch Sie werden keine Angestellte sein und ich nicht Ihr Boss … Ich biete Ihnen einen Vertrag an als Agenturgrafikerin. Das bedeutet, ich wäre Ihr Auftraggeber und Sie würden mir mit Ihrer Firma exklusiv zur Verfügung stehen. Veith Media kommt dabei immer an erster Stelle. Sie können andere Aufträge annehmen, allerdings dürfen Sie nicht in direkter Konkurrenz zu uns oder einem unserer Kunden stehen. Wir vereinbaren einen Rahmenvertrag und eine Honorarbasis, mit der Sie bestimmt einverstanden sein werden. Danach sehen wir weiter.“ Sichtlich zufrieden mit sich und seinem Angebot setzt er sich auf die Schreibtischkante, direkt vor mir.

„Ich würde also für Sie arbeiten als freie Grafikerin, aber dennoch so bezahlt werden, als wäre ich angestellt. Sie wären mein wichtigster Auftraggeber, aber ich wäre dennoch selbstständig. Wieso sollten Sie das tun?“

„Weil ich Ihnen diese Chance geben möchte, und ich denke, Sie und Ihre Arbeit werden Veith Media einen frischen Touch verleihen und die Agentur weiterbringen. Aber als eine meiner freien Mitarbeiter sind Sie mir nicht als Angestellte unterstellt. Das wird uns Zeit geben, auszutesten, was zwischen uns möglich ist.“ Ein merkwürdiger Ausdruck huscht über sein Gesicht, den ich bis tief in den Unterleib spüren kann, auch wenn ich gar nicht weiß, was das genau bedeutet.

„Sie meinen, welche Art von Zusammenarbeit zwischen uns möglich ist?“, werfe ich ein.

„Ja. Auf diese Weise minimieren wir das Risiko.“ Für ihn. Oder? Darum geht es doch. Er will mit mir kein Risiko eingehen, aber mir dennoch eine Chance geben.

Ich kann es immer noch nicht glauben, deshalb muss ich es noch mal genau wissen.

„Dann habe ich den Job also?“

„Sie haben den Job, Cami. Anders als gedacht vielleicht, aber Sie haben ihn“, stellt er klar und schenkt mir ein umwerfendes Lächeln. Mir bleibt förmlich die Luft weg. Wie soll ich bloß denken können, wenn er mich anlächelt?

Ich stehe auf und weiß nicht so recht, wie ich mich nun verhalten soll, also mache ich einen Schritt auf ihn zu und strecke ihm die Hand entgegen.

„Danke“, sage ich und warte darauf, dass er meine Geste annimmt. Als er seine leicht rauen, warmen Finger um meine schließt, fühle ich das Brennen in meinen Wangen nur allzu deutlich.

„Sie werden es nicht bereuen“, verspricht er mir, während er mich mit einem ernsten und eindringlichen Blick bedenkt.

„Ganz bestimmt nicht. Das ist geradezu ein wahr gewordener Traum“, stammle ich. Nachsichtig lächelt er über meine Begeisterung.

„Wir werden sehen, wie traumhaft Sie es finden, wenn ich Ihnen mehr abverlange, als Sie je für möglich gehalten haben.“ Seine halb ernste Warnung löst bei mir ein seltsames Gefühl aus, das mich fast vergessen lässt, dass er immer noch meine Hand in seiner hält. Langsam und sehr ungern ziehe ich meine Hand aus seiner.

„Die Details wird Ihnen mein Assistent Daniel zukommen lassen … Sie fangen nächste Woche an.“ Er fragt gar nicht erst, ob ich damit einverstanden bin. Er nimmt es als gegeben hin. Daran muss ich mich wohl bei ihm gewöhnen.

„Gut. Dann gehe ich jetzt.“ Ein Teil von mir freut sich schon darauf, an der Anzugparade vorbeizulaufen in dem Wissen, dass ich, die Trägerin des Frühlingskleides, für die alle nur mitleidige Blicke übrighatten, die Stelle habe. Ich schnappe mir meine Sachen und bin froh darüber, dieses Büro zu verlassen, da Connor Veiths Nähe richtiggehend überwältigend ist. Gerade als ich durch die Tür verschwinden will, hält Connors tiefe Stimme mich nochmals zurück.

„Nur für die Zukunft … An Ihrer Stelle würde ich ein nicht ganz so freizügiges Kleid anziehen, wenn Sie in meinem Namen oder im Namen der Agentur auftreten.“

Mit hochroten Wangen drehe ich mich zu ihm um und kann nicht verhindern, dass mein Mundwerk und meine zwanghafte Ehrlichkeit mich erneut in Schwierigkeiten bringen.

„Ich hatte nicht das Gefühl, dass Ihnen mein Kleid missfällt.“

Amüsiert wirft er mir einen Blick zu und schüttelt dabei leicht den Kopf.

„Dennoch … Ein paar Zentimeter weniger Bein das nächste Mal. Ich sage das nur in Ihrem Interesse.“

Wieder schenkt er mir diesen intensiven Blick, den ein Boss – nein, ein Auftraggeber – für seine neue Grafikdesignerin eigentlich nicht übrighaben sollte.

„Ich werde es mir durch den Kopf gehen lassen.“

Auch wenn er Connor Veith ist, Geschäftsführer einer erfolgreichen Agentur und der anziehendste Mann, der mir je über den Weg gelaufen ist, lasse ich mir von ihm nicht vorschreiben, was ich trage oder nicht. Zu hart habe ich daran gearbeitet, ich selbst zu sein und dazu zu stehen.

Außerdem hat es mir viel zu gut gefallen, wie er mich in dem Kleid angesehen hat. Aber das würde ich niemals vor ihm zugeben.

„Tun Sie das“, höre ich ihn amüsiert murmeln, als ich die Tür hinter mir schließe.

Kapitel 2

Cami

„Ich kann nicht glauben, dass du tatsächlich dieses Kleid getragen hast!“

Meine Freundin Ella wirft einen fassungslosen Blick auf das ziemlich knappe Frühlingskleid, das achtlos über einen Sessel geworfen harmlos aussieht, obwohl es in letzter Zeit für einigen Wirbel gesorgt hat. Für jemanden wie Ella, eine der vernünftigsten Frauen, die ich kenne, ist die Vorstellung, derart gekleidet zu einem geschäftlichen Termin zu gehen, unvorstellbar. Sie arbeitet als Managerin im Hotel No.1 Wien und gehört mehr zu den Befürworterinnen des stilvollen Businesslooks. Ihr steht es auch richtig gut.

Sie sieht darin sexy und kompetent aus, was wohl an ihren ausgeprägten Kurven liegt, auf die ich etwas neidisch bin, zumindest was den Bereich der Oberweite angeht.

„Erde an Cami!“ Ella wedelt amüsiert mit ihren Armen herum. „Hörst du mir zu? Ich sagte, dass ich nicht glauben kann, dass du den Job wirklich in diesem Kleid an Land gezogen hast.“ Noch immer bester Laune schnappt sie sich einen Stapel DVDs und stellt eine nach der anderen auf das noch leere Regal.

„Vielleicht lag es ja nicht am Kleid. Vielleicht verdanke ich den Job meinen ausgezeichneten Grafiken“, halte ich dagegen, auch wenn ich mir da gar nicht so sicher bin.

Nun bin ich an der Reihe, weitere DVDs zu den anderen zu stellen. Viel mehr ist noch nicht in der neuen leeren Wohnung zu sehen. Nur ein paar aufgestellte DVDs, Essenskartons vom Chinesen und ein paar von Ellas alten Möbeln, die hiergeblieben sind. Als ich nach meiner Auszeit in Berlin zurück in meine Heimatstadt Wien kam, wollte ich um alles in der Welt nicht bei meiner Mutter wohnen, und eine lange Wohnungssuche war deshalb unmöglich. Da bot Ella mir an, dass ich ihre alte kleine Wohnung übernehmen könnte. Dafür war ich ihr dankbar und habe natürlich sofort zugeschlagen. Wer schlägt schon eine mietpreisgebundene Wohnung in Wien aus, die auch noch zentral liegt und teilweise eingerichtet ist? Ich jedenfalls nicht. Für Ella war es, wie sie sagt, die optimale Lösung. Sie liebt diese Wohnung, musste sie aber aufgeben, als sie mit ihrem Freund Jan zusammengezogen ist. Ich habe beide in Berlin zusammen erlebt, als Ella und ich uns eine Wohnung geteilt haben. Dabei habe ich zwangsläufig einiges von ihnen als Paar mitbekommen und muss zugeben, dass ich selbst nie eine derartige Beziehung geführt habe, auch wenn ich über zwei Jahre mit jemandem zusammengelebt habe. Ella und Jan lieben sich wie verrückt, haben aber lange gebraucht, um endlich zusammenzukommen. Ella wurde dank meiner Auszeit in Berlin zu einer wahren Freundin, zu einer Zeit in meinem Leben, in der ich dringend eine gebraucht habe, und ich denke, ihr ging es genauso. Seither sind wir beinahe unzertrennlich. Als sie damals ihr schwuler bester Freund Sascha in Berlin besucht hat, hatte ich keine andere Wahl, als auch ihn in mein Leben zu lassen. So ist er nun mal. Zuerst findet man ihn aufdringlich, vielleicht sogar unmöglich, aber wenn Sascha einen mag, wird man ihn nicht mehr los. Und das ist auch gut so.

„Wo bleibt eigentlich Sascha?“, frage ich Ella, die gerade weitere Umzugskartons mit einem Teppichmesser öffnet.

„Er muss für einen kranken Kollegen am Empfang einspringen und schafft es heute leider nicht mehr“, lässt sie mich wissen und streicht sich die Haare aus dem Gesicht.

„Schade, ich hätte gedacht, mein Einzug wäre eine Aktion für die drei Musketiere.“ Ella lacht sofort auf.

„Das stimmt. Aber geben wir es zu! Wir wollen doch nur einen Kerl, der die richtig schweren Kartons hebt, und dafür können wir Jan einplanen … Er kommt später nach.“ Hintergründig lächelnd sortiert sie meine Sachen. Jan und Ella, die mir beim Einzug helfen …

Wenn das mal nicht damit endet, dass die beiden wieder vor mir rummachen.

„Natürlich bin ich für jede Hilfe dankbar … Aber versprich mir, dass du nicht wieder die ganze Zeit mit ihm rummachst. Ich bin Single und brauche Abstand von allem Romantischen, wie du ja weißt.“ Mitfühlend legt Ella ihre Hand auf meinen Oberarm.

„Wir werden uns benehmen.“ Ella setzt sich auf einen der Stühle, die ich gestern Abend noch zusammengebaut habe. Hoffentlich hält er, denn ich habe verdammt lange gebraucht, um das Ding zusammenzubasteln.

„Ich weiß ja, dass es lange gedauert hat, deine letzte Beziehung zu verdauen. Aber gibt es denn wirklich niemanden, an dem du Interesse hast? Romantisch oder auch nicht ganz so romantisch?“, fragt sie mich mit einem Augenzwinkern.

Sofort taucht das Bild eines gewissen Mannes in meinen Gedanken auf, das ich so schnell wie möglich verdränge. Ich muss dabei wohl irgendein Gesicht gemacht haben, denn Ella beginnt gleich darauf breit zu grinsen.

„Oh. Mein. Gott. Kann das wahr sein? Dir gefällt jemand?“

Aufgeregt blickt sie mich an.

„Nein, da gibt es niemanden. Du weißt doch, dass ich die Finger von Männern lasse. Ich konzentriere mich auf meinen Job.“ Ich sage ihr besser nicht, dass besagter Job mit dem heißesten Mann zusammenhängt, den ich je gesehen habe.

„Und bist du deswegen schon aufgeregt?“

„Ja“, gebe ich zu. „Nächste Woche soll ich ein paar Tage lang in der Agentur bleiben, um alles kennenzulernen. Danach kann ich selbst entscheiden, ob ich von Zuhause aus arbeiten oder meine Workstation in der Agentur nutzen will. Beides geht. Ich muss nur einmal in der Woche zum wöchentlichen Agenturmeeting, um auf dem Laufenden zu bleiben. Mal sehen, wie es sich entwickelt.“ Ich schnappe mir meine Klamotten und hänge sie in meinen neuen Kleiderschrank, dankbar dafür, dass Ella einen annähernd gleich großen Bedarf an Platz für ihre Kleidung benötigt hat wie ich.

„Klingt gut. Und wie ist der Chef so, dieser Veith?“

Connor Veith … Wie soll man ihn bloß jemandem beschreiben, der ihn noch nicht gesehen hat? Fast unmöglich.

„Connor Veith ist … anders, als ich erwartet habe.“

„Soll heißen?“

„Er ist Anfang dreißig, sieht sehr gut aus und gibt tatsächlich jemandem eine Chance, die dieser hoffentlich nicht in den Sand setzt“, antworte ich ausweichend.

„Und … ist er auch ein Fan deines Kleidungsstils?“ Sie zieht mich auf, ohne zu ahnen, dass sie dabei genau ins Schwarze trifft. Ohne es verhindern zu können, erröte ich.

„Du wirst ja rot“, stellt sie erstaunt fest. „Sieht er so gut aus?“

„Es ist nicht nur das“, murmle ich vor mich hin, während ich mich fast schon im Schrank verkrieche.

„Was ist es dann?“ Typisch Ella. Sie lässt niemals locker.

„Keine Ahnung … Der Kerl ist irgendwie … intensiv. Und ich glaube, dass er mir definitiv auf die Beine gestarrt hat.“ Meine Haut prickelt, wenn ich daran denke.

„Natürlich hat er dir in dem Kleid auf die Beine gestarrt. Er ist ein Mann!“ Ich werfe Ella einen genervten Blick zu.

„Sieh mich nicht so an, Cami! Du bist eine der schönsten Frauen, die ich kenne, mit Beinen bis hier.“ Sie macht eine vage Geste in die Höhe. „Den Kerl, der dich in dem Kleid nicht schön und heiß findet, den gibt es nicht. Auch wenn ich mir von einem Agenturbesitzer erwartet hätte, dass er es in einem Bewerbungsgespräch ignoriert oder zumindest so tut, als ob.“ Nachdenklich kaut sie auf ihrer Unterlippe.

„Ignoriert hat er es bestimmt nicht! Er hat mir sogar nahegelegt, mich in Zukunft etwas züchtiger zu kleiden. Ist doch nicht zu fassen!“, stöhne ich. Niemand schreibt mir vor, wie ich mich anziehe. Niemand. So etwas lasse ich nicht mehr zu.

„Ich wette, er dachte sich: Gefahr erkannt, Gefahr besser gebannt“, säuselt Ella neckisch. Amüsiert lacht sie.

„Sehr witzig.“

„Hast du ihn gegoogelt?“ Natürlich habe ich das.

„Vielleicht“, flüstere ich und tue so, als ob das nicht so wichtig wäre.

„Von wegen. Du hast! Was ist dabei rausgekommen?“

„Ich sage es dir“, verspreche ich, „wenn du dafür wieder an die Arbeit gehst. Ich will endlich mal hier wohnen und nicht länger nur hier einziehen.“ Ella erhebt sich.

„Einverstanden.“

Während Ella meine Sachen auf den Schreibtisch packt, setze ich mich und erzähle ihr von meiner nicht besonders erfolgreichen Netzrecherche über Connor.

„Connor Julius Veith. Zweiunddreißig. Sohn von Robyn James, der irisch-englischen Designerin, und dem Politiker Julius Veith. Kennst du sicher … Die Agentur hat er seit ein paar Jahren. Privat ist kaum etwas über ihn im Netz. Ehrlich … Es gibt bloß ein paar Fotos von ihm auf Events, die meisten davon ohne weibliche Begleitung. Er gilt als begehrter Junggeselle. Aber es ist einfach nicht rauszubekommen, ob er vergeben ist oder nicht. Die wenigen Interviews und Berichte, die ich über ihn finden konnte, drehen sich hautsächlich um die Agentur und seine Erfolge oder berichten über seine Unterstützung für Robyn James oder karitative Projekte. Das war’s.“

Fast schon enttäuscht sieht Ella mich an, während sie versucht, Ordnung in meinen Kleiderschrank zu bringen, was ihr nicht gelingen wird. Dazu ist mein Stil zu speziell und vielfältig.

„Das war’s? Keine Infos darüber, was für ein Mann er ist, welche Interessen er hat oder ob er eine wilde Ehe führt? Gar nichts?“ Ich schüttle den Kopf.

„Das ist schon seltsam … Ich meine, heutzutage ist das Internet doch voll mit Infos über bekannte und prominente Leute. Und ausgerechnet bei ihm findet man kaum etwas.“ Misstrauisch blickt Ella in die Ferne. Kurz schaudere ich, als sie mich anblickt und verlangt:

„Zeig mir mal ein Foto von ihm!“

Mit einem mulmigen Gefühl nehme ich mein Smartphone vom Tisch und gebe Connors Namen in die Bildersuche ein. Sofort erscheinen dutzende Bilder von ihm, die mich weder kaltlassen noch das vage Bild, das ich mir selbst von ihm machen konnte, ins Wanken bringen. Er ist unverschämt gut aussehend.

Ella steigt über die Kartons. Ich halte ihr das Handy entgegen. Als sie die Bilder von ihm sieht, weiten sich ihre Augen.

„Cami! Der ist ja ein Bild von einem Mann, ein richtiger Adonis!“, entkommt ihr, woraufhin sie sich nervös über den Nacken fährt. „Sag Jan ja nicht, dass ich das gesagt habe.“

„Immer noch so eifersüchtig?“, ziehe ich sie auf.

„Ich fürchte, ja. Aber ich bin genauso schlimm, also …“ Strahlend errötet sie. Ich freue mich für sie, für sie beide, vor allem nach dem ganzen Drama, das sie hinter sich haben. Aber es ist nicht leicht, eine leidenschaftliche Liebe wie die ihre mit anzusehen, wenn man selbst nie so etwas hatte.

„Aber zurück zum Thema“, ordnet Ella an und lässt einen kleinen Eindruck von ihrer leitenden Tätigkeit durchblicken.

„Wie wirst du es hinbekommen, für einen Mann zu arbeiten, der so gut aussieht und eine offensichtliche Schwäche für deine Beine hat?“

Gute Frage.

„Du übertreibst! Außerdem macht er nicht den Eindruck, als würde er sich an seine Angestellten ranmachen. Als ich ihm gegenüber vage von meinem letzten Chef berichtet habe, hat er sogar angenommen, dass er mich belästigt hätte, und das fand er überhaupt nicht gut. Er hat fast sauer ausgesehen“, versuche ich ihr zu erklären.

„Aber du bist ja nicht seine Angestellte. Du hast selbst gesagt, dass er dich als ‚Freie‘ engagiert hat und damit ist er nur dein Auftraggeber. Ich finde, das klingt … verdächtig.“ Ella setzt sich auf einen der Kartons und blickt mich ernst und ein wenig besorgt an.

„Aber er hat es mir erklärt. Auf diese Weise minimiert er das Risiko.“ Selbst für mich klingt das ein wenig seltsam.

„Vielleicht … Vielleicht hat er aber auch einfach bemerkt, dass du nicht nur eine gute Grafikerin bist, der er eine Chance geben will, sondern auch eine schöne Frau, und er möchte sich Chancen bei dir offen halten.“ Ella grinst mich zweideutig an. Alleine bei dem Gedanken, an dem, was sie sagt, könne etwas dran sein, wird mir ganz warm.

„Das glaube ich einfach nicht“, sage ich dennoch, weil ich mich selbst davon überzeugen möchte. Schließlich würde das alles infrage stellen, was ich für meinen Neustart ins Auge gefasst habe. Das ist kein Teil meines Planes, auch wenn ein Teil von mir sich noch so sehr wünscht, endlich einmal einem Mann zu begegnen, für den ich Leidenschaft empfinde und der in mir das verborgene Feuer entdeckt. Wäre ich Ella und Jan nicht begegnet, könnte ich mich vielleicht weiter damit zufriedengeben, mein Leben in den Griff zu bekommen, alleine glücklich zu sein und als Grafikerin erfolgreich zu werden. Doch seit ich gesehen habe, wie sie sich ansehen und welches Feuer zwischen zwei Menschen brennen kann, will ich auch davon kosten. Ein gefährlicher Gedanke, aber einer, den ich immer schwerer verdrängen kann.

Kapitel 3

Connor

Ihr erster Arbeitstag.

Ich könnte die Wände hochgehen.

Seit über vier Stunden schwirrt sie durch die Agentur, in Seidenshorts und einer Schluppenbluse. Als wolle sie mich damit an meinen Kommentar unseres letzten Gespräches erinnern, stecken ihre herrlich langen Beine auch noch in High Heels. Welcher Teufel hat mich geritten, diese Frau zu engagieren?

Nein, ermahne ich mich kopfschüttelnd, mein Instinkt lag richtig. Ihre Bewerbung war mit Abstand die einzige, die anders, die tatsächlich interessant und vielversprechend war. Jeder andere erzählte mir nur, was ich hören wollte, oder eher das, von dem sie dachten, es würde mir gefallen. Sie war einfach ehrlich.

Wie erfrischend!

Mal abgesehen davon, dass ihre Arbeiten mehr als überzeugend sind, vor allem wenn man ihren nicht zu leugnenden Mangel an Erfahrung bedenkt. Trotz allem war es die richtige Entscheidung, ihr eine Chance zu geben, Cami eine Chance zu geben. Ich muss endlich anfangen, ihren Namen zu benutzen und sie in meinen Gedanken nur als das zu sehen, was sie ist, eine neue Grafikerin, die für mich arbeitet.

Das erklärt jedoch nicht, warum ich gegen die Tür gelehnt in Daniels Büro herumlungere und Cami seit Minuten beobachte. Es ist schwer zu ignorieren, wie sie alles in sich aufsaugt. Sie ist Feuer und Flamme für diesen Job. Man kann es ihr deutlich ansehen, und genau das gefällt mir, auch wenn es das nicht sollte. Seit sie in meinem Büro gestanden und mich mit diesen grünen Augen angesehen hat, fällt es mir schwer, die Augen von ihr zu lassen. Und das liegt nicht bloß an diesem wunderschönen langen Haar. Ich hatte bisher auch nichts für Blondinen übrig.

Aber wie hätte ich sie nicht anstarren sollen, wo mich bereits das Foto in ihren Bewerbungsunterlagen regelrecht verhext hat.

Seit einer Ewigkeit ist es keiner Frau gelungen, mich derart zu fesseln, dabei kenne ich sie doch gar nicht. Aber mein Instinkt, die Kompassnadel, nach der ich mich richte, zeigt mir klar und deutlich, dass sie gefährlich für mich ist. Ärger, verpackt in die Hülle von Schönheit, Ehrlichkeit und Unschuld. Es gibt kaum eine schlimmere Verführung, keine, die so trügerisch und unwiderstehlich zugleich ist.

So viel weiß ich.

Mein bester Freund Paul kommt gerade mit einem breiten Grinsen im Gesicht den Gang entlang, direkt auf mich zu. Cami, die gerade mit einer meiner Mitarbeiterinnen redet, wirft er einen Seitenblick zu, ehe er mich gut gelaunt fest an der Schulter packt und mich in mein Büro zerrt. Sein Verhalten quittiere ich mit einem finsteren Blick. Wir sind seit Ewigkeiten Freunde, aber sein kindisches Benehmen kann ich in der Agentur nicht ausstehen, und das weiß er, was ihn aber nicht davon abhält. Ganz im Gegenteil. Also schließe ich die Tür hinter mir, in der weisen Voraussicht, dass Paul mir vielleicht ein paar Dinge sagt, die nicht das halbe Büro mithören sollte.

„Du hast ja blendende Laune, mein Freund“, begrüße ich ihn und setze mich dabei auf meinen Stuhl. Seine Sitzgelegenheit ignoriert er und lehnt provokant gegen meine Schreibtischkante. Immer noch grinsend starrt er mich an. Wir beide haben so einige Vaterprobleme gemeinsam, dennoch habe ich mein pubertäres Trotzverhalten inzwischen abgelegt und muss nicht immer auf Konfrontationskurs gehen und jedem zeigen, dass ich nicht auf Autorität stehe. Paul sieht das anders. Und nach knapp zweiunddreißig Jahren wird sich daran wohl so schnell nichts ändern.

„Wie sollte ich nicht bester Laune sein. Ich habe vorhin deine neue Grafikerin kennengelernt … Cami.“ Paul zieht ihren Namen absichtlich in die Länge, als genieße er einen süßen Geschmack, solange es geht, auf der Zunge. Ich würde mich nicht als pubertär bezeichnen, dennoch will ich ihm gerne eine verpassen.

„Du kennst sie jetzt also“, sage ich beiläufig.

„Kennen? Das würde ich nun nicht sagen. Aber sie angesehen habe ich mir auf jeden Fall.“ Das dreckige Grinsen in seinem Gesicht gefällt mir nicht, aber ich lasse das unkommentiert.

„Seit wann stellst du Frauen ein, die so aussehen? Habe ich da etwas verpasst? Ich dachte, du lebst noch immer nach der Devise: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – privat und beruflich.“ Abwartend fixiert er mich und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich kenne ihn. Er wird sich nicht ohne eine Antwort abspeisen lassen.

„Erstens wäre es diskriminierend, wenn ich sie nicht eingestellt hätte, nur weil sie sehr attraktiv ist – sie war immerhin die mit Abstand beste Bewerberin. Zweitens halte ich mich für erwachsen und professionell genug, die Tatsache ihres attraktiven Äußeren, soweit es geht, zu ignorieren. Ich bin schließlich Herr meiner Sinne, mein Lieber! Und drittens weißt du, dass ich mir bisher nie viel aus Blondinen gemacht habe.“ Zugegeben ein wenig arrogant, aber ich habe zumindest meinen Standpunkt deutlich gemacht.

„Bisher?“, zieht er mich auf und presst die Lippen aufeinander.

„Klugscheißer mag niemand!“

„Das kommt ausgerechnet von dir, Connor? Mister Erstens-Zweitens-Drittens …“

„Warum sind wir noch mal Freunde?“, frage ich rhetorisch und schnappe mir ein paar der anstehenden Pitches auf meinem Schreibtisch, um das Thema zu beenden.

„Weil du mich brauchst, mein irischer Freund. Weil ich das Salz in deiner würzfreien Suppe bin … Außerdem mache ich verdammt gute Fotos.“

Das stimmt immerhin. Paul ist einer der besten Fotografen, die ich kenne. Er hat schon unzählige Shoots für Veith Media gemacht. Aber ich sage ihm nie, wie gut er wirklich ist, denn er würde mich das niemals vergessen lassen.

„Ach ja, das“, nuschle ich, was ihn wahnsinnig macht.

„Rede du nur … Aber zurück zum Thema: die umwerfende Blondine – und nein, ich glaube dir keine einziges Wort. Von wegen du stehst nicht auf blond. Bei einer Schönheit wie ihr, die auch noch was auf dem Kasten hat, ist die Haarfarbe doch völlig egal.“

Kopfschüttelnd schnappt er sich die Papiere, die ich mir gerade angesehen habe, und verlangt damit nach Aufmerksamkeit. Pubertär, wie ich sagte.

Jeder andere, der so mit mir umgehen würde, wäre seines Lebens nicht mehr froh. Aber Paul hat nun einmal einen Sonderstatus. Er ist mit mir durch die Hölle gegangen, das vergesse ich nicht. Deshalb lasse ich ihm auch seine Frechheiten durchgehen. Aber wie eng unsere Freundschaft auch ist, ich würde lieber auf glühenden Kohlen laufen, als ihm zu gestehen, dass Camis wunderschöne goldene Mähne mir alles andere als egal ist. Und ihre Beine erst.

„Du bist wie ein Hund mit seinem Knochen“, werfe ich ihm vor und versuche dabei verständnisvoll zu lächeln.

„Ja, weil ich vorhin gesehen habe, wie du sie ansiehst. Und ich kenne diesen Blick, auch wenn ich ihn schon lange nicht mehr gesehen habe.“ Sein plötzlicher Ernst behagt mir ebenso wenig wie das Gesagte selbst.

„Ich bitte dich! Das ist nicht dasselbe. Du irrst dich!“, fahre ich ihn an. „Ich kenne diese Frau doch kaum … Diese ganze Unterhaltung ist einfach nur lächerlich.“ Ich stehe auf, weil ich eine nervöse Unruhe in mir fühle, die mich zur Bewegung zwingt.

„Vielleicht“, meint er ruhig und sieht mir dabei zu, wie ich auf und ab tigere, etwas, das ich in meinem Büro für gewöhnlich nicht tue.

„Aber damals hast du sie auch nicht gekannt. Und ein einziger Blick hat genügt, und du warst Feuer und Flamme.“ Seine Ruhe verwandelt sich in Sorge, nichts ist mehr von der spielerischen Unterhaltung, die er in Gang gesetzt hat, übrig. Während ich seinem Blick standhalte, verdränge ich jede Erinnerung, die, durch seine Worte angelockt, aus meinem tiefsten Inneren hervorzukriechen versucht.

„Ja, und dieses Feuer hat mich verzehrt. Das wird nicht noch einmal geschehen. Ich sorge seit Jahren dafür. Nichts wird das je ändern“, lasse ich ihn wissen. Und ich meine jedes Wort verdammt ernst. Ich kenne mich, und ich kenne die Grenzen, die ich mir setze. Ich alleine habe die Kontrolle darüber, und das lasse ich mir nicht nehmen – von niemandem.

„Ich glaube dir, Connor. Das tue ich wirklich.“

Ich atme tief ein und aus, ehe ich mich wieder setze. Die Unruhe ist weg. Die Kontrolle kehrt zurück.

„Gut.“

„Aber eins musst du mir dennoch erklären“, verlangt Paul. Ich nicke, denn er kann fragen, was er will.

„Wieso zum Teufel hast du sie dann nicht angestellt?“

Da ist sie nun, die Frage, die ich mir selbst nicht ganz ehrlich beantworten kann. Warum habe ich Cami nicht richtig angestellt, wie es eigentlich geplant war? Ich habe ihr und mir versucht zu erklären, dass ich das Risiko minimieren möchte, dass es für sie und ihre Firma gut wäre und ebenso für mich. Eigentlich eine optimale Lösung für eine aufstrebende Agentur wie Veith Media und eine junge Grafikerin, der es noch an Erfahrung fehlt. Das ist auch die Wahrheit. Irgendwie. Es gibt aber noch einen anderen Grund, einen Grund, für den ich mich schämen sollte, einen Grund, der all die Worte über erwachsenes Verhalten und Kontrolle wie üble Heuchelei aussehen lässt. Denn ein Teil von mir, der Teil, der sich wahnsinnig zu ihr hingezogen fühlt, will nicht zulassen, dass sie tatsächlich meine Angestellte ist, der ich unter keinen Umständen näherkommen darf. Und alleine dafür könnte ich mir in den Hintern treten. Selbst Paul sage ich nicht die Wahrheit. Denn mich selbst zu belügen, passt sehr viel eher zu meinem Plan, mich von Camilla Johansson fernzuhalten.

„Ich hatte meine Gründe“, ist alles, was ich ihn wissen lasse.

„Gute Gründe?“ Skeptisch zieht er eine Braue nach oben.

„Manche davon besser als andere.“

Kapitel 4

Cami

Die Zeit vergeht wie im Flug. Heute ist mein vierter Tag in der Agentur, und mir schwirrt der Kopf von all den neuen Eindrücken, den Brandbooks der Stammmarken, die wir betreuen, und von den vielen Namen, die ich mir kaum alle merken kann.

Bereits am zweiten Tag habe ich ein paar kleinere Arbeiten erledigt, die einer der Art-Direktoren überprüft und einer der drei Grafiker namens Marco mit mir besprochen hat. Da es gut gelaufen ist, waren die ersten Tage zwar anstrengend, aber zufriedenstellend. Ich fühle mich wohl und versuche zu ignorieren, dass ich Connor seit meinem ersten Tag, als ich ihn kurz dabei ertappt habe, wie er mich beobachtet, nicht mehr gesprochen habe. Ehrlich gesagt habe ich ihn kaum zu Gesicht bekommen und wenn, dann ging er nur an mir mit einem knappen Nicken vorbei und wirkte stets sehr beschäftigt. Daher bin ich umso nervöser, dass ich heute ein paar Plakate und eine kurze Präsentation für einen Pitch nicht mit David, einem der leitenden Art-Direktoren, durchgehen soll, sondern direkt mit ihm. David versuchte mich zu beruhigen, es sei so üblich. Aber die Nervosität, wieder in Connors Nähe zu sein, bleibt.

Ich habe noch eine Stunde, ehe der Termin beginnt. Ich möchte sie nutzen, um mir einen Kaffee zu machen und mir Mut zuzusprechen. In der kleinen Teeküche begegne ich Charlotte, einer der Texterinnen, mit der ich mich bisher gut verstehe. Sie ist nett und sehr neugierig, was zur Folge hat, dass sie viel über die Leute hier weiß und auch sehr viel über den Boss zu erzählen hat. Ich glaube, sie tratscht ganz gerne. Da sie es aber nie auf eine unangenehme oder gar gehässige Weise tut, stört es mich nicht, ganz im Gegenteil. Ihre braunen Augen strahlen mich an, als ich mich mit dem Kaffee zu ihr setze.

„Na, läuft es immer noch gut?“, fragt sie mich.

„Ja. Auch wenn ich mich nie an diese komische Vorgabe gewöhnen werde, dass wir uns siezen und gleichzeitig beim Vornamen anreden sollen.“ Sie lacht und ihre rotbraunen Locken wippen dabei vergnügt.

„Keine Sorge. Das geht allen so. Außerdem …“, beginnt sie zu flüstern, „… hält sich kaum jemand daran, wenn er länger hier ist. Connor sieht darüber hinweg, obwohl es seine Vorgabe ist. Nur gegenüber den Kunden verlangt er es strickt … Das ist so typisch für ihn!“ Kopfschüttelnd pustet Charlotte auf ihren Tee.

„Wie meinst du das?“,

„Na ja, diese ganze Mischung aus beinahe lockerer Nähe und professioneller Distanz.“ Nachdenklich kaue ich auf meiner Lippe. Sie hat recht. Mein erster Eindruck untermauert das. Da wir gerade beim Thema Connor sind, versuche ich ihr noch mehr aus der Nase zu ziehen, weil ich verdammt neugierig bin, was ihn betrifft.

„Mal ehrlich, es ist schon ungewöhnlich, dass ein männlicher Geschäftsführer einen männlichen Assistenten hat. Bisher ist es mir noch nie untergekommen. Nicht gerade typisch hier in Wien.“ Sie schmunzelt und schluckt meinen Köder.

„Das hat gute Gründe … Die Agentur gibt es jetzt seit über drei Jahren und bisher hat er es mit drei Assistentinnen versucht. Es endete immer auf dieselbe Weise …“

Anzüglich hebt sie die Augenbraue. Sofort fühle ich ein ungutes Gefühl im Bauch. Sie will doch nicht andeuten, dass Connor mit jeder etwas hatte! Das glaube ich nicht. Nein, schlimmer. Ich will das nicht glauben. Unbewusst halte ich die Luft an und lasse sie erst wieder raus, als Charlotte weiterspricht.

„Sie kommen, werden eingestellt, verlieben sich in ihn und sind nicht einmal in der Lage, es zu verbergen. Anfangs ignoriert er es genervt. Irgendwann langt es ihm und dann gehen sie. So war es jedes Mal.“

„Daher Daniel.“

„Daher Daniel“, bestätigt sie mit einem Augenzwinkern.

Die Erleichterung, die ich darüber empfinde, dass Connor den eindeutigen Avancen seiner bisherigen Assistentinnen keine Beachtung geschenkt hat, gibt mir zu denken. Schließlich ist sie fehl am Platz, absolut unangebracht.

„Schön zu wissen, dass er nicht dem typischen Klischee eines erfolgreichen Mackers entspricht.“

Als ich ein Räuspern hinter mir vernehme, trifft mich fast der Schlag, und ich bete, dass ich mich irre und Connor Veith nicht hinter mir steht und gehört hat, was ich gerade von mir gegeben habe. Doch als ich in Charlottes aufgerissene Augen sehe, ist jede Hoffnung dahin.

„Gut zu wissen, dass Sie so eine hohe Meinung von mir haben. Obwohl ich es begrüßen würde, wenn Sie mich hinter meinem Rücken nicht unbedingt als Macker bezeichnen würden.“

Mir sackt das Herz in die Hose, als ich mich langsam umdrehe und Connor im Türrahmen entdecke, der mich mit einer Mischung aus Heiterkeit und Missbilligung ansieht. Oh Gott!Wieso konnte ich nicht die Klappe halten? Ich möchte im Erdboden versinken und senke meinen Blick genau dorthin, so peinlich ist mir das Ganze.

„Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass mein Termin nicht erschienen ist und wir unseren deshalb schon jetzt abhalten können. Wenn Sie dann so weit wären“, lässt er mich wissen, dreht sich um und verschwindet einfach.

„Ich glaube, ich bin gerade vor Scham um Jahre gealtert“, gibt Charlotte mit großen Augen von sich.