Black Dog - Cat Grant - E-Book

Black Dog E-Book

Cat Grant

0,0

Beschreibung

Seit mehr als fünfzehn Jahren bekämpfen sich Danny Bannon und Eddie Roscoe innerhalb und außerhalb des Rings, zusammengehalten von gegenseitiger Anziehungskraft und durch die Kleinstadtbande und doch bleiben sie distanziert voneinander durch eine gemeinsame Tragödie, die sie noch immer verfolgt. Ihre ständige On-Off-Beziehung wird aufgerüttelt durch die Ankunft von Tom Delaney, einem jugendlichen Ausreißer, der versucht, seiner angespannten Situation zu Hause und seinem schlagfreudigen Vater zu entkommen. Der dürre Junge entpuppt sich als Box-Ausnahmetalent. Seine Ausbildung bringt Danny und Eddie näher, als sie es jahrelang waren. Es scheint, als würden die drei, und Eddies Mutter Gloria, eine neue Familie bilden, die viel enger ist als alles, was Tom aus seiner schwierigen Vergangenheit kennt. Doch nicht nur Danny und Eddie haben eine dunkle Vergangenheit, die sie wieder einholt …

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 192

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Cat Grant

BLACK DOG

Bannon’s Gym Band 1

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2019

http://www.deadsoft.de

© the author

Titel der Originalausgabe:

Black Dog, Bannon’s Gym 1

Übersetzung: Janina Steves

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© KieferPix – shutterstock.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-295-3

ISBN 978-3-96089-296-0 (epub)

KLAPPENTEXT

Seit mehr als fünfzehn Jahren bekämpfen sich Danny Bannon und Eddie Roscoe innerhalb und außerhalb des Rings, zusammengehalten von gegenseitiger Anziehungskraft und durch die Kleinstadtbande und doch bleiben sie distanziert voneinander durch eine gemeinsame Tragödie, die sie noch immer verfolgt. Ihre ständige On-Off-Beziehung wird aufgerüttelt durch die Ankunft von Tom Delaney, einem jugendlichen Ausreißer, der versucht, seiner angespannten Situation zu Hause und seinem schlagfreudigen Vater zu entkommen. Der dürre Junge entpuppt sich als Box-Ausnahmetalent. Seine Ausbildung bringt Danny und Eddie näher, als sie es jahrelang waren. Es scheint, als würden die drei, und Eddies Mutter Gloria, eine neue Familie bilden, die viel enger ist als alles, was Tom aus seiner schwierigen Vergangenheit kennt.

Ein Stammesältester der Ureinwohner Amerikas erzählte: »In mir gibt es zwei Hunde. Der schwarze Hund versucht mich dazu zu bewegen, die falschen Entscheidungen zu treffen. Der schwarze Hund ist fies, böse, egoistisch, voller Überheblichkeit und Stolz. Der schwarze Hund ist negativ. Der weiße Hund ermutigt mich, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Der weiße Hund ist mitfühlend, gut und bescheiden. Der weiße Hund ist positiv. Der schwarze Hund bekämpft den weißen Hund den ganzen Tag lang.«

Von einem Freund wurde er gefragt, welcher Hund siegen würde.

Der Stammesälteste dachte einen Moment nach und antwortete: »Derjenige, den ich am meisten füttere.«

Dieses Buch ist für mich.

Kapitel 1

Die Bremsen meines Ford F-150 quietschten, als ich in eine Gasse einbog und durch eine Pfütze fuhr. Wasser spritzte die Motorhaube und die Windschutzscheibe hoch. Es machte nichts angesichts der Wolken, die aussahen, als würden sie jede Sekunde erneut aufbrechen.

Ich fuhr auf meinen Parkplatz hinter dem Diner und stieg mit klimperndem Schlüsselbund aus. Der Himmel hatte sich zugezogen und ich rümpfte bei dem vertrauten Fischgestank, der mir von der Bucht her entgegenwehte, die Nase. Meine abgenutzten braunen Timberlands knirschten auf dem nassen Untergrund, während ich auf die Hintertür zuging und abrupt anhielt, als ich sah, wie bei dem Müllcontainer ein paar Meter entfernt zwischen zwei Männern ein Streit begann. Ich erkannte einen von ihnen, einen alten Säufer, den ich einmal wegen Bettelns aus dem Diner geworfen hatte. Doch den anderen, schmaleren Mann hatte ich noch nie gesehen. Er trug Jeans und ein schwarzes Kapuzenshirt. Seine Hände, die in fingerlosen Handschuhen steckten, umklammerten etwas, das wie ein Rucksack aussah. Ja, es war ein großer schwarzer Segeltuchrucksack, dessen Reißverschluss halb aufgezogen war und aus dessen Seite, die der Säufer gepackt hatte, Klamotten quollen. Unterwäsche, Socken und ein T-Shirt fielen zu Boden, während die beiden traten und grunzten. Der Säufer versuchte den Rucksack weiter aufzureißen. Der Reißverschluss gab nach. Noch mehr Kleidung, ein Tablet und ein Handy wurden überall verteilt. Der kleinere Mann in dem Kapuzenshirt sank auf die Knie und begann alles wieder aufzusammeln, während der Säufer nach dem Tablet griff und prompt einen rechten Haken gegen sein Kinn bekam, der ihn zu Boden schleuderte. Der Kapuzenmann ging daraufhin auf ihn los und schlug auf ihn ein. »Lass deine verfluchten Hände von meinen Sachen, du gottverdammter …!«

»Hey, auseinander!«, brüllte ich und rannte auf sie zu, auch wenn es gar nichts brachte.

Der Kapuzenmann drosch weiter auf den alten Säufer ein, der die Arme schützend über sein Gesicht hielt. Ich schlang einen Arm um die Hüften des Kapuzenmanns und zog ihn weg, während der Säufer torkelnd auf die Beine kam. Er schwankte heftig und wäre beinahe wieder auf seinem Hintern gelandet, aber die Gassenmauer fing seinen Sturz ab. Er stöhnte, blinzelte heftig und verschwand dann halb rennend und halb humpelnd die Gasse runter.

Der Kapuzenmann wand sich wild um sich schlagend und tretend in meinem Arm. Er war so schmal, dass ich den zweiten nicht brauchte.

»Was zum Teufel machst du da? Lass mich los!«

Ich tat es.

Er stürmte bis zum Ende der Gasse und kam dann zurück. »Großartig. Er ist entkommen. Danke für gar nichts!«

Dachte er, ich würde einfach danebenstehen und zusehen, wie er den alten Mann wegen eines dämlichen Rucksacks blutig schlug? Der Rucksack enthielt vermutlich alles, was er besaß, aber trotzdem. »Er hat nichts geklaut«, sagte ich und klang nicht gerade überzeugend dabei.

Der Kapuzenmann antwortete nicht, sondern sank auf die Knie und stopfte seinen Kram wieder in den Rucksack. Das Display seines Handys hatte einen großen Sprung. Er versuchte mehrfach es anzuschalten, doch es weigerte sich, aufzuleuchten. »Shit«, murmelte er. Er zog seinen Rucksack, so gut es mit einem kaputten Reißverschluss ging, zu und kreiste grunzend mit den Schultern.

Er war acht oder zehn Zentimeter kleiner als ich und ich konnte durch das dünne Fleece die Umrisse seiner sehnigen, definierten Muskulatur sehen. Seine heruntergezogene Kapuze rutschte ein bisschen nach hinten und ich konnte endlich einen Blick auf sein Gesicht werfen. Er schien nicht älter als achtzehn Jahre alt sein, war blass, hatte ein paar über seine Wangen und Nase verteilte Sommersprossen und ein anschwellendes roten Mal auf seinem linken Wangenknochen. In ein paar Stunden würde es zu einem beachtlichen Veilchen erblüht sein. Das erinnerte mich an die vielen Fäuste, die mir ins Gesicht geflogen waren. Es war ein Hauch der Vergangenheit, auf den ich gut hätte verzichten können. »Alles okay bei dir?«, fragte ich.

»Ich bin gleich weg. Gib mir noch ’ne Minute.« Er warf sich seinen Rucksack über die Schulter.

Ich erkannte das verblasste Wappen darauf, es war das von der St. Patrick’s, der örtlichen katholischen Highschool. Verdammt, ich hatte ihn doch schon einmal gesehen. Er war innerhalb der letzten Woche ein paarmal im Diner gewesen, hatte immer allein in der hintersten Nische über einem Becher Kaffee gebeugt gesessen mit dem Rücken zur Wand und den Augen auf der Tür. »Willst du etwas essen?«, fragte ich.

Er versteifte. »Ich habe kein Geld.«

Stolz, rauflustig, dickköpfig. An wen erinnerte mich das nur? »Komm mit rein und lass mich dir zumindest etwas Eis fürs Auge geben.«

Mein Schlüssel blieb im Schloss der Hintertür stecken, doch mit ein bisschen Ruckeln klappte es. Die dicke Eichentür mit ihren knarrenden Scharnieren schwang auf, dann gaben meine Schritte auf dem verkratzten grauen Linoleum schlurfende Geräusche von sich. Ich war mir nicht sicher, ob der Junge mir gefolgt war, bis ich ein zweites schlurfendes Paar Schritte hörte. Er wich einen Schritt zurück, als ich mich schwungvoll umdrehte, und sein ganzer Körper wurde so steif, dass es so aussah, als würde er gleich entzweibrechen. Ich hängte meine Jacke an den alten Jackenständer in der Ecke und griff nach meiner Schürze. »Such dir einen Platz an der Theke aus. Ich schmeiß die Kaffeemaschine an.« Ich machte das Licht und die Heizung an.

Der Junge zitterte und rieb immer wieder seine Arme.

Ich versuchte die chaotische Anrichte und die Töpfe und Teller, die sich in der Spüle stapelten, zu ignorieren. Seit Antonio letzte Woche gekündigt hatte, war alles ein Desaster. Ich würde heute Abend lange hierbleiben und alles aufräumen müssen.

Es war immer noch eine halbe Stunde hin, bis wir öffneten, also ließ ich die Vordertür verschlossen. Ich schaltete nur den Grill in der abgetrennten Küche hinter der Theke an und startete die Kaffeemaschine. Trotz des Durcheinanders im hinteren Bereich war ich stolz darauf, dass vorne alles tipptopp war. Niemand würde vermuten, dass das meiste des Equipments und der Einrichtung, inklusive des Grills, des Milchshakemixers, der alten Bunn Kaffeemaschine und der roten und weißen Ledersitzbänke, von meinem Großvater installiert und aufgebaut worden war, als er das Diner in den späten Fünfzigern eröffnet hatte. Nichts Ausgefallenes; nur fünf Plätze an der Theke und eine Handvoll Tische. Mich überkam trotzdem jedes Mal eine Welle der Zufriedenheit, wenn ich das Diner betrat.

Der Junge hatte sich auf einem Hocker am hinteren Ende der Theke niedergelassen.

Ich nahm ein paar Eiswürfel aus dem Minigefrierschrank neben der Eiscremetruhe und wickelte ein Papiertuch darum. »Hier.«

Er warf einen Blick auf die Doppeltüren, immer ein Auge auf seinen Fluchtweg gerichtet, dann drückte er das improvisierte Kühlpack auf seine Wange. »Danke.«

»Wie heißt du?«

Er wand sich auf dem Hocker. »Tom.«

War das sein echter Name? Am besten nicht nachfragen. Ich hatte das Gefühl, dass ich Glück hatte, überhaupt so viel aus ihm herausbekommen zu haben. Nun, das war verständlich. Der Prügelei nach zu urteilen, gab es für ihn wenig Grund jemandem zu vertrauen, besonders einem Fremden, der ihn von der Straße weg hereingebeten hatte. Zeit, das zu korrigieren. »Ich bin übrigens Eddie.«

»Ich weiß.«

»Ach ja?«

»Das ist doch sicher dein Name auf dem Schild da draußen.«

Die Kaffeemaschine entschloss sich in diesem Moment zu stottern, zu zischen und schließlich zu piepen, also goss ich uns Kaffee ein.

Der Junge riss eines der Zuckerpäckchen mit seinen Zähnen auf und kippte den Inhalt hinein, dann umklammerte er den Becher mit seiner freien Hand.

»Weißt du, wenn du trinkst, wird dir schneller warm«, sagte ich.

Er gab dieses Geräusch von sich, das halb ein Schnaufen, halb ein Kichern war, und schob seine Kapuze zurück. Das kastanienbraune Haar passte perfekt zu seinen Sommersprossen. Und, Himmel, er hatte die klarsten, blauesten Augen, die ich je gesehen hatte.

Viertel vor sieben. Zeit, sich auf die Frühstücksgesellschaft vorzubereiten. Der Junge schaute mir mit auf seiner Handfläche abgestütztem Kinn zu, während ich aus dem Nichts einen Keksteig mixte. White Lily-Mehl, Natron, Backpulver, Salz, Butter und echte Buttermilch, von Hand zusammengerührt.

»Hast du keinen dieser stehenden Mixer?«, fragte er.

»Ich ziehe die klassische Arbeitsweise vor.« Mit einem Grinsen kippte ich den Teig auf die bemehlte Arbeitsplatte, damit er aufgehen konnte.

Sein Blick wanderte durch den Raum. Er ließ die Vintage-Coca-Cola und Coors-Schilder an den Wänden auf sich wirken. »Ach was.«

»Lass dich von der Einrichtung nicht täuschen. Wir servieren hier hochwertige Speisen.« Und es war an der Zeit, dass er das herausfand. Nachdem ich den Teig fertig geknetet und zurechtgeschnitten hatte, schob ich die Schüssel in meinen treuen alten Gasofen und begann Bacon und ein paar Eier zu braten. Auch ein paar Kartoffelpuffer. Wennschon, dennschon, schließlich ging es dem Diner nicht so schlecht, als dass ich es mir nicht leisten könnte, dem Jungen ein warmes Essen zu spendieren.

Trotzdem schüttelte er den Kopf, als ich es vor ihn stellte.

»Iss«, sagte ich.

Er zögerte und seine Nasenflügel bebten bei dem schmackhaften Aroma, während er den Teller anstarrte, als wäre er das Pony, das er sich immer zu Weihnachten gewünscht hatte. Er nahm einen Schluck Kaffee und streifte sich langsam seine Handschuhe ab. Seine Hände sahen schlimm aus, gerötet, angeschwollen und Blut tropfte aus den aufgerissenen Krusten an den Fingerknöcheln. Ein gelb-grüner Fleck umrahmte sein anderes Auge, die Andeutung eines weiteren Veilchens. Dann nahm er eine Gabel und begann sich Essen in den Mund zu schaufeln.

»Wie lange bist du schon auf dich allein gestellt?«, fragte ich. Konnte noch nicht so lange sein. Sein Haar war offensichtlich erst kürzlich geschoren worden und seine Haut war noch nicht rot und gespannt, als wäre sie dauernd der Witterung ausgesetzt.

Tom zuckte mit den Schultern. »Eine Weile.«

Die neue Anspannung, die sein Rückgrat versteifen ließ, sagte mir, dass es Zeit war, das Thema zu wechseln. Ich deutete mit meinem Daumen auf seinen Rucksack. »Trainiert Bruder Tim noch immer Boxen an der St. Pat’s?«

Das ließ ihn aufhorchen. »Du kennst Bruder Tim?«

»Ja. Der rechte Haken, den du an den Tag legst, war eine seiner Spezialitäten.« Ich stöhnte bei der Erinnerung daran. »Er hat mich fertiggemacht in meiner ersten Sportstunde im dritten Jahr. Ich wurde übermütig, prahlte herum, wie ich den alten Mann ausknocken würde. Er hat mich mit einem Schlag flachgelegt. Die ganze Klasse hat sich schlappgelacht.«

»Ohne Scheiß. Er muss an die Sechzig sein und kann mich immer noch in die Knie zwingen.«

»Hat er dir nicht beigebracht, deine Hände einzupacken?«

Er schaute auf seine ramponierten Knöchel. »Es war nicht gerade ein ordnungsgemäßer Kampf.«

»Also, was ist da draußen passiert?«

Die Spur Skepsis in seinen Augen verstärkte sich. Einen Moment dachte ich, er würde abhauen, aber er stieß den Atem aus und spießte den letzten Bissen Kartoffelpuffer auf. »Ich hab zusammengerollt neben der Mülltonne gelegen und mich um meinen eigenen Kram gekümmert, bis dieser alte Obdachlose versucht hat, meine Tasche zu klauen.«

Er hatte da hinten geschlafen? Kein Wunder, dass er aussah, als wäre er rückwärts durch eine Hecke gezogen worden. »Ein paar Blocks weiter ist eine Unterkunft.«

»Die war letzte Nacht voll. Der einzige andere Ort, den ich kenne und an dem ich schlafen könnte, ist die Busstation, und da haben sie mich weggescheucht.«

»Busstation? Willst du irgendwohin?«

»So weit weg von hier wie möglich, sobald ich genug Geld zusammengekratzt habe.«

Der Geruch der Kekse, die kurz davor waren, zu verbrennen, ließ meine Nase zucken. Ich holte sie aus dem Ofen und schenkte dann Kaffee nach. »Verstehe. Ich konnte es nicht erwarten, die Stadt zu verlassen, als ich deinem Alter war.«

»Wo bist du hin?«

Ich zog meinen Ärmel hoch, um ihm mein Tattoo zu zeigen. Es war ein Globus mit Adler, Anker und USMC darunter.

»Wow.« Ein Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Es war, als würde man die Sonne über den Hügeln aufgehen sehen. Wie lange war es her, dass er so gelächelt hatte? »Du hast bestimmt viele coole Orte gesehen. Wie bist du wieder hier gelandet?«

Die Doppeltüren knarrten und Gloria trat ein. Sie hatte die Schürze schon halb um ihre Taille gebunden und zog eine perfekt nachgezeichnete Augenbraue in Richtung des Jungen hoch. »Wer ist das?«

Der Junge warf einen nervösen Blick zu mir, also antwortete ich für ihn. »Das ist Tom.«

»Schön, dich kennenzulernen, Tom. Ich bin Gloria, Eddies Mutter. Komisch, aber niemand hat mir gesagt, dass wir heute Morgen früher öffnen.«

Der letzte Teil war an mich gerichtet zusammen mit einem scharfen Funkeln grünäugiger Neugier. Sie schob ihren Bestellzettelblock in ihre Tasche und ging dann die Vordertür aufschließen. Einige Stammgäste warteten draußen, so wie ein älteres Ehepaar, das zwei- bis dreimal die Woche morgens vorbeischaute. Sie brachte sie zu ihrem Lieblingstisch vorne vor dem Fenster und unterhielt sich noch etwas mit ihnen.

Ich kannte ihre Bestellung bereits: Belgische Waffeln.

Tom schob seinen Teller von sich und stieß auf. Zwei leuchtend pinke Flecken erschienen auf seinen Wangen. »Das war wirklich gut. Was kann ich tun, um dafür zu zahlen?«

»Das geht aufs Haus.«

Seine Augen weiteten sich. »Ernsthaft? Ich soll nicht einmal kehren oder das Geschirr spülen oder so was?«

Ich nahm ein Pfund Waffelbutter aus dem alten grünen Kühlschrank und drehte mich um, um ihn zu mustern. Er erinnerte mich an mich selbst in seinem Alter: voll schlummernder Stärke und mit einem Hauch blanker Panik unter der Oberfläche. Genau wie bei jedem anderen Jugendlichen, der gezwungen war, alleine loszuziehen. Eines war sicher: Er kam aus einem reichen Elternhaus. St. Pat’s war nicht günstig, und niemand hatte solche geraden weißen Zähne, ohne ein paar Jahre eine Zahnspange getragen zu haben. Und wie er redete ... Er war kein Dummkopf. Was trieb einen Jungen wie ihn zu einem Leben auf der Straße? Ich mochte nicht reich auf die Welt gekommen sein, aber ich wusste, wie er sich fühlte. Dieser dumpfe innere Schmerz, die Panik und die Befürchtung, dass jede fremde Person eine Bedrohung sein könnte. Was wäre aus mir geworden, wenn mir niemand eine helfende Hand gereicht hätte? Und, nein, eine lausige Mahlzeit zählte nicht. »Lass deinen Kram hinten«, sagte ich. »In dem Wandschrank findest du einen Besen und eine Schürze. Fang mit der Vorratskammer an. Da drin herrscht Chaos.«

»Okay.« Er sprang auf und ging nach hinten an Gloria vorbei, die gerade zurückgekommen war, um einen Stapel Papierservietten zu holen.

Ihr Blick folgte ihm durch die Schwingtüren. »Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«

Das fragte sie immer, aber sie wusste, dass sie mich nicht davon abbringen konnte. »Wenn du da hinten aufräumen willst, dann nur zu.«

»Du und deine Wohltätigkeitsfälle«, sagte sie, hustete ein heiseres Marlboro-Lachen aus und drückte mir einen Kuss auf die Wange.

Ich hatte noch etwas anderes in den Augen des Jungen gesehen: Frustration, Entschlossenheit, Wut, die Art von Gefühlsmix, die ihn dazu verleitet hatte, dem Betrunkenen eine Tracht Prügel zu verpassen. Er hatte ziemlich nüchtern über seine Kratzer und blauen Flecken gesprochen, doch die übrigen Male auf seinem Gesicht … nun, die hatte er nicht vom Rennen gegen eine Tür bekommen.

***

Ungefähr drei Stunden später ging Gloria nach hinten, um mir etwas Rinderhack aus dem begehbaren Gefrierschrank zu holen, und kam mit einem Grinsen zurück. »Komm, das musst du dir ansehen.«

Ich ging durch die Doppeltüren und blieb wie angewurzelt stehen. Der Junge hatte nicht nur den Boden der Vorratskammer gefegt, sondern auch die Sachen darin geordnet, die Arbeitsfläche geputzt und alle Töpfe sowie das Geschirr gespült. Himmel, ich hatte noch nie so viel glänzend weißes Formica gesehen. Der frische Kiefernduft verriet mir, dass er sogar den Boden gewischt hatte. »Das nenne ich meine kühnsten Erwartungen übertreffen«, sagte ich.

Er senkte den Kopf. »Danke.«

»Willst du einen Job?« Die Frage rutschte heraus, bevor ich die Gelegenheit hatte, darüber nachzudenken. Aber warum auch nicht? Der Junge hatte eine bessere Arbeitsmoral als die letzten zwei, drei Geschirrspüler, die ich angestellt hatte. »Du müsstest auch die Tische abräumen und früh anfangen, um mir bei den Vorbereitungen zu helfen. Es ist Scheißarbeit, aber sie wird dir dabei helfen, das Geld für dein Busticket zusammenzubekommen.«

Sein Blick huschte mit aufblitzender Panik zur Hintertür, was mir verriet, dass ich ihm den Ausgang blockierte.

Ich trat zur Seite. »Aber wenn es dir lieber ist, zu verschwinden, halte ich dich nicht auf.«

Er hob die Hand und berührte den blauen Fleck an seiner Wange, der seine volle Blüte erreicht hatte. Die Seife und das heiße Wasser hatten seinen roten, geschwollenen Knöcheln keinen Gefallen getan. Ich würde ihm ein paar Gummihandschuhe besorgen müssen, die er tragen konnte, während er spülte und putzte. »Okay«, antwortete er. »Aber ich weiß nicht, wie lange ich hierbleiben werde.«

»So lange, wie du aushelfen möchtest. Es gibt keine Mindestanforderung.« Ich hatte mich bereits umgedreht, als mir noch etwas einfiel. »Es gibt eine Couch im Büro, auf der du heute Nacht schlafen kannst, wenn du willst.«

Er starrte mich an und nickte, sein Adamsapfel bebte. »Ähm, danke.«

***

Es fühlte sich für Tom gut an, beschäftigt zu sein, in Bewegung zu bleiben, auch wenn jeder Muskel in seinem Körper stöhnend Einspruch erhob. Es fühlte sich für ihn gut an, Essen im Magen zu haben, richtiges Essen; keine Chips oder Schokoriegel von verfluchten Süßigkeitenautomaten. Das wärmende Sättigungsgefühl ließ seine Augenlider schwer werden, doch er exte einen Kaffee und ignorierte den Schmerz in seinen Armen und Schultern, als er eine weitere Wanne voll mit dreckigem Geschirr schleppte. Die Zeit verging schneller, wenn er etwas zu tun hatte. Die Mittagsstoßzeit, falls man es denn so nennen konnte, wenn ein Haufen alte Käuze gegrillte Käsesandwiches und Hühnersuppe vertilgten, verging wie im Flug. Eddie machte ihm einen Cheeseburger mit Pommes, der heiß, saftig und blutrot in der Mitte war. Gott, wenn das nicht der beste Burger war, den er je gegessen hatte ...

Der Himmel war bereits dunkelblau, als er den Abfall nach draußen zum Müllcontainer brachte und dabei die Augen nach dem Säufer in dem fleckigen Parka offen hielt. Er wäre beinahe mit Gloria zusammengestoßen, die durch die Hintertür kam, als er wieder reingehen wollte. Sie hatte ihren Mantel an. »Gehst du nach Hause?«, fragte er.

»Ist nicht genug los, als dass ich nach sieben noch hierbleiben müsste.« Ihr Mund mit dem orangenen Lippenstift verzog sich zu einem schiefen Lächeln. Sie fasste sachte unter sein Kinn.

Was zur Hölle? Dachte sie, er wäre fünf Jahre alt oder so was?

»Du hast ein hübsches Gesicht, Schatz. Lass nicht zu, dass es jemand verunstaltet.«

Wenn sie das so formulierte, war es ziemlich schwer, weiterhin sauer auf sie zu sein. Sie erinnerte ihn an seine Großmutter, wäre seine Großmutter eine blauhaarige Dinerbedienung gewesen. Hitze stieg in sein Gesicht, seine lädierte Wange pulsierte schmerzhaft.

Die letzten Kunden machten sich gegen neun auf den Weg. Eddie schloss hinter ihnen ab und begann den Grill zu reinigen, während Tom die Tische und Theke abwischte. Sein Puls beschleunigte sich und hämmerte in seinem Schädel wie ein verfluchter Gong. Sein inneres Alarmsystem ging schon wieder los. Was zur Hölle war los mit ihm?

Du weißt, was es ist. Das Angebot auf der Couch im Büro zu schlafen, so lange wie du ihm den ein oder anderen Gefallen tust.

Eddie hatte nichts von einem “kleinen Gefallen“ gesagt, doch das musste er auch nicht. Niemand hatte Tom je etwas Gutes getan, ohne etwas im Gegenzug zu erwarten. Zumindest wirkte Eddie nett, ordentlich, und gutaussehend. Er war groß, schlank und muskulös, hatte kurz geschorene, rote Haare und eine Spur Bartstoppeln. Es mit ihm zu treiben, wäre nicht unerträglich. Und doch zitterten Toms Hände, als er den letzten Stapel Geschirr abwusch. Als die Doppeltüren aufschwangen, zuckte er zusammen.

»Alles okay, Junge?«, fragte Eddie.

»Ja, alles gut. Bin nur müde.« Er blinzelte und hoffte, der Raum würde dadurch endlich aufhören, sich zu drehen. Er konnte es nicht erwarten, sich hinzulegen. Alles, was er wollte, war, eine Nacht irgendwo zu verbringen, wo es ruhig und warm war und er nicht befürchten musste, ausgeraubt oder verprügelt zu werden.

»Los, rein mit dir, und mach es dir gemütlich«, sagte Eddie. »Ich muss nur noch die Belege von heute in den Tresor legen. Bin gleich zurück.« Er verschwand durch die Hintertür und schloss sie hinter sich.

Kein verräterisches Klicken eines Schlosses. Er konnte immer noch verschwinden, wenn er das wollte. Und für einen Moment ließ die Irritation, die Eddies Erwähnung eines Tresors in ihm hervorrief, seine Hände zu Fäusten ballen.

Sei kein Idiot. Er hat dich heute Morgen buchstäblich vom verdammten Boden aufgelesen. Natürlich traut er dir mit seinem Geld nicht über den Weg.

Er schnappte sich seinen Rucksack aus dem Wandschrank und ging in Richtung Büro. Es musste die Tür direkt hinter der Vorratskammer sein. Seine einzige andere Wahl war der begehbare Gefrierschrank. Er schaltete das Licht an, bevor er eintrat, und fiel trotzdem fast über einen Stuhl, auf dem sich Akten und Papiere stapelten. Sonst gab es nichts in dem beengten Raum außer einen Schreibtisch mit einem veralteten Acer-Computer, einen Aktenschrank und die Couch. Sie war ein graues, leinenbedecktes Ding, das schon bessere Tage gesehen hatte. Er setzte sich behutsam darauf und war überrascht, dass ihm nicht ein halbes Dutzend Federn in den Hintern piksten. Nicht übel. Verlumpt, in der Mitte ein bisschen durchhängend, aber damit konnte er leben.

Seufzend stand er auf, um sich auszuziehen. Nun, da er zur Ruhe kam, tat jede kleine Bewegung weh. Seine Hände pochten. Sein Rücken und seine Schultern schmerzten. Der blaue Fleck unter seinem Auge war so sehr angeschwollen, dass es besser war, das Auge geschlossen zu halten. Vielleicht sollte er es noch einmal kühlen. Doch dann müsste er sich wieder anziehen und das Zimmer verlassen, um das Eis aus dem Gefrierschrank zu holen, und … Ach, scheiß drauf.