Black Ember - Helia James - E-Book

Black Ember E-Book

Helia James

0,0

Beschreibung

Adam hat die Welt der Menschen nie richtig gehört, oder verstanden. Gehörlos, doch fest entschlossen, begibt er sich auf eine gefährliche Reise: Er muss das Gold eines Drachen finden, um eine Schuld zu begleichen und endlich seinen Platz in der königlichen Garde zu verdienen. Als er jedoch auf den geheimnisvollen Drachen Crowley trifft, stellt sich heraus, dass die Mission ganz anders ist, als Adam dachte. Ein uralter Fluch bindet die beiden ungleichen Wesen aneinander, und bald erkennen sie, dass nicht nur Gold, sondern uralte Geheimnisse und unausgesprochene Wünsche ihr Schicksal lenken.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 409

Veröffentlichungsjahr: 2024

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ich widme diese Geschichte meiner Muse, die mir von Anfang bis zum Ende zur Seite stand.

Außerdem widme ich besonders diesen Teil zwei jungen Frauen, die mir die Chance gegeben haben Black Ember endlich ans Tageslicht zu bringen.

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

ADAM

CROWLEY

DRACHEN JUNGES

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

DRACHEN JUNGES

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

DRACHEN JUNGES

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

DRACHEN JUNGES

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

EPILOG

Vorwort

Die Charaktere sind frei erfunden und jegliche Ähnlichkeiten zu existierenden Personen sind reiner Zufall.

Der Autor selbst ist nicht taub, jedoch wurde das Buch vor Veröffentlichung einem Sensitivity-Leser übergeben.

Triggerwarnungen für die gesamte Buchreihe: Vergewaltigung, Missbrauch, Emotionale Manipulation, Genozid, Religiöse Trauma, Folter, explizite sexuelle Handlungen

Playlist

Folgende zur Geschichte, Lieder geben sind einen emotionalen Background Spektrum an Emotionen aber nicht nötig das volle genießen zu können.

(du kannst sie als Playlist auf Spotify finden):

PROLOG

Wovor fürchten sich Drachen am Meisten?

Es ist leicht zu glauben, dass Drachen, diese mächtigen, uralten Wesen, keine Furcht kennen. Ihre Schuppen sind undurchdringlich, ihre Kräfte unaufhaltsam. Egal, ob sie Feuer aus ihren Kehlen spuckten oder der Donner und die Blitze ihnen gehorchten. Sie sind die Verkörperung von Kraft, von Majestät, und doch … was, wenn auch sie Ängste haben? Es wäre töricht zu glauben, dass sie, weil sie stark sind, nichts fürchten. Jede Kreatur, egal wie groß oder mächtig, hat etwas, das sie in ihrem tiefsten Inneren erschüttert.

Crowley schwor sich nach seiner Flucht auf die Jenseitsinsel, dass er nie wieder vor etwas Angst haben würde. Seine Angst hatte ihn gelähmt, ihn schwach gemacht.

Und doch fürchtete er die Menschen? Was er als junger Drache geliebt hatte, war ihm zum Verhängnis geworden. Die Narben auf seinem Fleisch waren nichts gegen die Narben auf seiner Seele. Menschen haben die Macht, ihre Mythen zu erschaffen, sie zu vergrößern und zu zerstören. Ein Drache kann eine Armee besiegen, aber Crowley hatte sich noch nie so verletzlich und schwach gefühlt, wie in dem Moment, in dem seine Angst geboren worden war.

Er würde sich von den Menschen fernhalten, so wie andere Négul es taten. Er würde nie wieder zulassen, dass er vor irgendjemandem oder irgendetwas Angst hatte.

ADAM

War es das alles wert?

Vor einigen Tagen hätte Adam diese Frage sofort mit einem eindeutigen „Ja“ beantwortet. Sein Blick wanderte zurück über die Schulter, während er sich schwer atmend an einem der wenigen Bäume lehnte, welche seinen Pfad den Berg hinauf säumten. Sein Blick glitt über den steinigen Weg, auf den er die letzte Stunde hochgeklettert war. Nachdem er das Latu-Gebirge erreicht und den Aufstieg begonnen hatte, waren ihm die ersten Zweifel gekommen.

War er denn verrückt geworden?

Auf der Suche nach einem Drachen war er blind losgegangen. Zwar wusste er, dass es eine Höhle im nördlichen Teil des Latu-Gebirges geben soll, doch wie weit nördlich sollte er denn noch wandern? Vielleicht war er auf einen miesen Trick hereingefallen und die letzten Wochen waren umsonst gewesen. Erschöpft blinzelte er gegen die Sonne, um abzuschätzen, wie lange er noch zum Gipfel benötigen würde. Da die Steine entlang des engen Passes vor ihm immer grober und kahler wurden, könnte er nach Mittag den höchsten Gipfel erreichen. Danach ging es nur bergab und er würde bei Einbruch der Nacht die Eiswüste erreichen. Dann würde er umkehren müssen, denn für eine Reise durch den nördlichsten Teil des Kontinents war er mit seiner Stoffhose, seinem Leinenhemd und dem Wollmantel um die Schultern nicht ausgerüstet. Er begann bereits jetzt zu frösteln, weil das Hemd wegen seines Schweißes am Rücken klebte. Entschlossen rollte der blonde Mann die Schultern. Was würde er tun, wenn er den Gipfel erreicht hatte und sich dort oben nichts außer noch mehr Steine und Geröll befand?

Plötzlich spürte Adam ein leichtes Beben und fiel automatisch auf die Knie. Dabei presste er die Hände flach gegen den steinernen Boden. So schnell wie das Beben gekommen war, verschwand es auch wieder. Er blieb noch einen Moment in seiner Position am Boden, bis er sicher war, dass es nur bei dem einen Beben blieb. Die lange silberne Kette war aus seinem hellen Leinenhemd gerutscht und baumelte beinahe schon verhöhnend vor Adams Nase.

Langsam schloss er eine Hand um den gläsernen Anhänger und stand auf. Er schob die Kette zurück, unter sein Hemd und seufzte. Es war klar, dass er vor dem Gipfel keinen Rückzieher machen würde, also gab es nur einen Weg: Weiter hinauf!

Seine Augen wanderten über die Umgebung, doch nichts bewegte sich. Er spürte auch kein weiteres Beben unter seinen Stoffschuhen. Nachdem er seit Wochen unterwegs war und nur zum Schlafen und Essen gerastet hatte, brannten seine Fußsohlen bei jedem Schritt. Zwar hatte er den größten Teil der Reise auf dem Wagen eines fahrenden Händlers mitfahren dürfen, doch der Weg durch das Latu-Gebirge war ein Marsch über Stock und Stein. Die letzten Meter waren die Schlimmsten. Adam hatte sich seine Finger an den spitzen Steinen bereits wund gerissen, doch er zog sich auch noch das letzte Stück unter leisem Ächzen hoch.

Die Temperatur sank, je höher er den Berg hinaufstieg. Je höher er stieg, desto schneller kühlte der Schweiß auf seiner Haut und ließ ihn zittern. Adam spürte seine Zähne gegeneinander schlagen und rieb sich über die Oberarme. Sein durch den Aufstieg aufgeheizter Atem wanderte in gut sichtbaren Wolken in den Himmel. Dabei fiel ihm eine Öffnung oberhalb eines Felsvorsprungs auf. Ein Höhleneingang!

Zwischen Adam und dem Vorsprung lag eine kleine Kluft, doch ohne auch nur einmal nach unten zu sehen, sprang der blonde Mann auf die andere Seite. Grob prallte sein Körper gegen die Steinwand und diese presste dem Blonden fast die Luft aus den Lungen. Doch seine blutigen Finger fanden gerade so Halt an der Kante. Mit beiden Händen zog er sich auf den Felsvorsprung und erlaubte sich erst dann auf den Boden zu sinken und erst einmal durchzuatmen. Dabei bemerkte er einen merkwürdigen Geruch. Aus dem Höhleneingang wehte ein warmer Wind und jagte Adam eine Gänsehaut über den Rücken. Doch alles war besser als die eisigen Winde in seinem Rücken, deshalb drückte er sich vom Boden weg, um tiefer in die Höhle vorzustoßen.

Je tiefer er in die Höhle vordrang, desto dunkler wurde es. An einer der kantigen Steinwände gelehnt, wartete er, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Sand unter seinen Füßen war weich und es roch eigenartig. Ein scharfer, beißender Geruch nach Schwefel und verbranntem Holz. Dieser Geruch erinnerte Adam an eine Mischung aus Asche und Kohle. Überrascht schlug er sich eine Hand vor Mund und Nase. Seine Augen geisterten durch die Höhle, doch außer Steinen und Sand konnte er nichts erkennen.

Ohne sein Gehör waren Adams andere Sinne umso stärker. Über die Jahre hinweg hatte er einen beinahe sechsten Sinn für Gefahren entwickelt. Dieser meldete sich, als sich die kurzen, blonden Haare in seinem Nacken aufstellten und ein warmer Wind um seine nackten Fußgelenke wehte, die von seiner Hose nicht bedeckt waren.

Als könnte er mit der Wand in seinem Rücken verschmelzen, drückte er sich gegen die spitzen Steine und hielt den Atem an, doch nichts passierte.

Langsam löste er sich aus seiner Starre und bewegte sich weiter vom Höhleneingang fort. Ohne ein Feuer würde er irgendwann in völliger Dunkelheit sein, denn das Tageslicht war nicht stark genug, die gesamte Höhle zu erleuchten. Doch er musste nicht mehr viel weiter in die Dunkelheit vordringen, als sich etwas in seinem Blickfeld bewegte.

Mit halbem Herzen hatte Adam nicht daran geglaubt, dass er einem echten Drachen begegnen würde. Dafür war die Vorstellung zu fantastisch. Aus diesem Grund hatte er außer seinem Reiserucksack nichts mitgenommen .

Ein Schatten wanderte an der Wand entlang, wie der einer riesigen Schlange. Sofort begann Adams Herz wie wild zu schlagen und das Blut rauschte in seinen Ohren, doch er zwang sich zur Ruhe. Was auch immer sich in dieser Höhle befand, könnte ihn mühelos fangen und töten, noch bevor er den Höhleneingang erreicht hatte. Warum auch immer, hatte es ihn bisher noch nicht angegriffen, also blieb er wie versteinert stehen.

Weglaufen hätte sich ohnehin als schwierig erwiesen, denn seine Beine waren vor Angst taub geworden und wollten sich nicht vom Fleck bewegen. Seine Kehle schnürte sich zu, und sein Herz begann wild gegen seine Brust zu hämmern. Kalter Schweiß brach auf seiner Stirn aus, und die Beine fühlten sich schwer und schwach an, als ob sie jeden Augenblick unter ihm nachgeben würden. Jeder Atemzug wurde zur Herausforderung. Langsam löste sich eine riesige Gestalt aus den Schatten und wirkte wie ein Wesen aus purer Dunkelheit. Es trat nun nahe genug an den Höhleneingang heran, damit das schwache Licht seine Gestalt ausleuchten konnte. Der Anblick des Drachen ließ alles andere verblassen. Es gab nichts mehr – nur die Realität dieses Wesens, das sich langsam auf ihn zubewegte. Das Tageslicht reflektierte auf den schwarzen Schuppen und Adams Blick fiel sofort auf die goldenen Augen, kalt und durchdringend, die wie zwei Edelsteine leuchteten.

Schlussendlich gaben seine Knie nach, und er fiel zu Boden, den Blick immer noch an das monströse Wesen geheftet, das vor ihm stand. Eine Hälfte seines Herzens war von Anfang an von Angst erfüllt. Jede Faser seines Seins hatte nur noch aus Furcht bestanden. Nur die erdrückende, unentrinnbare Gewissheit, dass er einem Drachen hilflos ausgeliefert war. Diese Angst hätte ihn beinahe davon abgehalten, seinen Aufstieg überhaupt zu starten. Doch die andere Hälfte seines Herzens starrte jetzt gebannt auf die riesige Gestalt, die sich aus den Schatten gelöst hatte. Die Hälfte, die sich entschieden hatte, diesen Berg zu besteigen und langsam beruhigte sich sein aufgeregtes Herz. Da war er.

Adam würde seinen Teil der Vereinbarung einhalten. Jetzt musste er nur noch dieses riesige Wesen dazu bringen, mit ihm zu kommen.

Ohne einen richtigen Plan stand er meilenweit von zu Hause entfernt in der Höhle dieses Monsters.

„Du kannst vielleicht nichts hören, aber du bist nicht auf den Kopf gefallen, Adam. Zeit, dein Köpfchen einzuschalten!“, hallte Silas‘ Stimme in seinem Kopf und wie von selbst wanderte Adams Hand an seine Brust, wo er unter dem Hemd die harten Umrisse des Anhängers spüren konnte.

Hierfür würde er mehr als nur ein bisschen Köpfchen benötigen, vielleicht würde noch ein Wunder geschehen. Bis es so weit war, würde Adam aushalten und vor allem am Leben bleiben, so viel stand fest.

Eine Gänsehaut lief seine Arme hinab, und er spürte, wie eine weitere Welle der Angst über ihn hinwegrollte. Mit tiefen Atemzügen versuchte er sich zu beruhigen. Der Drache starrte ihn wortlos an. Wenn er ihn bisher nicht angegriffen hatte, war die Wahrscheinlichkeit, dass er es jetzt noch tun würde, gering. An diesen kleinen Hoffnungsschimmer klammerte sich der Blonde, während seine Angst ihm beinahe die Luft zum Atmen nahm.

CROWLEY

Für den Drachen Crowley gab es keine Antwort auf diese Frage. In all den Jahren, Jahrzehnten, die er bereits auf dieser Welt lebte, gab es nichts, was für ihn eine besondere Bedeutung hätte. Alles war vergänglich. Vielleicht hatte er deshalb den jungen Menschen, den er gerade in seiner Höhle erwischt hatte, bisher nicht getötet. Ein Menschenleben zu nehmen, ging so schnell. Ein Hieb mit seiner Klaue und es wäre vorbei. Mit einem Biss könnte er ihm den Kopf von den Schultern beißen.

Doch der junge Mann vor ihm hatte Mut gezeigt, überhaupt in seine Höhle zu kommen. Allerdings hatte er sich dabei nicht gerade leise verhalten und obwohl Crowley keinen Wert daraufgelegt hatte, sich bedeckt zu halten, hatte er den jungen Menschen anscheinend überrascht. Da saßen sie nun, der junge Mann vor Angst zitternd am Boden und der Drache, der sich trotz seiner Größe mühelos durch seine Höhle bewegte.

Beide ließen den jeweils anderen nicht aus den Augen. Crowleys große, goldene Augen blinzelten langsam, als er sich über den steinernen Boden bewegte.

Als der Mensch langsam seine Hände hob, zog Crowley seine Lefzen hoch und entblößte eine Reihe scharfer Zähne. Eine stumme Warnung, jetzt nur nichts Unüberlegtes zu tun. Doch die zitternden Hände des jungen Mannes hatten nach keiner Waffe gegriffen und formten auch keine alchemistischen Zeichen, sie formten Worte. Eine Art und Weise, die Crowley in seinem Leben schon einmal untergekommen war.

Crowleys Begegnungen mit Menschen waren kurz und oftmals nicht von der gesprächigen Sorte. Viele Drachen waren von Natur aus neugierig. Und wie viele von ihnen hatte auch er selbst schmerzlich die Auswirkungen, ein Négul zu sein, erfahren müssen. Négul waren unter vielen Namen bekannt: Fabelwesen, mystische Gestalten oder einfach Monster.

Die Erinnerung an die Dinge, die Crowley angetan worden waren, ließ einen kalten Schauer über den gewaltigen Rücken des Drachen wandern. Weil er als ein solches „Monster“ geboren worden war? Die dunklen Schuppen entlang seines Rückenkamms begannen zu vibrieren. Crowley war seit diesem Tag vorsichtiger geworden.

Damals war er ein Junges gewesen, als er gelernt hatte, wie grausam Menschen sein konnten. Seitdem ließ er keinen von ihnen lebend seine Höhle verlassen, wenn sich eine dumme Seele zu ihm verirrte. Besser, er tötete zuerst, bevor einer dieser Sterblichen eine Waffe ziehen konnte.

Er war kein Monster, aber er würde nie wieder zulassen, dass ein Mensch die Chance bekommt, ihn verletzen zu können. Doch der junge Mann vor ihm hatte immer noch keine Waffe gezogen. Er kannte zwar einige der Zeichen, die der blonde Mensch vor ihm formte, doch warum nutzte er nicht einfach seine Stimme?

„Also willst du mir sagen, hier sei kein Gold?“, formte der Mann zu Crowleys Füßen mit zitternden Fingern. Für einen Moment musste Crowley mit einer Antwort zögern. Vielleicht hatte er die schnellen Handbewegungen falsch gedeutet. Nein, das Zeichen für Gold war nicht schwer. Mit ausgestrecktem kleinem Finger und Daumen hatte der junge Mann das Wort vor seiner Brust geformt. Eindeutig Gold. Weshalb sollte gerade Crowley Gold besitzen? Nach kurzem Überlegen bediente er sich der leichtesten und in diesem Fall wohl auch der angenehmsten Form der Verständigung und schickte seine Antwort auf telepathischem Wege in den Kopf seines Gegenübers.

Normalerweise sprachen Drachen über ihre Gedanken miteinander, und Crowley hatte bisher nicht die Notwendigkeit darin gesehen, mit einem anderen Wesen so zu sprechen. Drachen hatten keine Stimmbänder so wie Menschen, und wenn sie durch den Himmel flogen, war es einfacher, über ihre Gedanken in Kontakt zu bleiben. Er war sich nicht einmal sicher, ob er mit einem anderen Wesen auf diese Art sprechen konnte. Nachdem der Mann vor harmlos aussah und Crowley außer ihm auch keine anderen Menschen gerochen hatte, würde er eben mit diesem Jungen seinen Wissensdurst stillen. Warum war dieser Junge hergekommen? Weshalb trug er weder Rüstung noch Waffe? Und vor allem, wie hatte er ihn gefunden?

DRACHEN JUNGES

„Weshalb müssen wir schon wieder hier weggehen?“, fragte das Drachenjunge den schneeweißen Drachen über sich, bevor sich ihre Schnauzen berührten.

„Weil es nicht sicher ist.“ Ihre Stimme klang so hell wie ein Glockenspiel. Der weiße Körper leuchtete in der Sonne wie Diamanten. Das Drachenjunge wusste, dieser Drache war etwas Besonderes für ihn. Später würde er ihn „Mutter“ in seinen Erinnerungen nennen. Als es geboren worden war, hatte es noch mehr Drachen gegeben. Doch nun waren nur noch drei um ihn herum übrig. Neben dem gewaltigen, weißen Drachen gab es einen weiteren Drachen mit schwarzen Schuppen, die den Schuppen des Drachenjungen zum Verwechseln ähnlich sahen. Das war der letzte Tag, an dem das Junge seine Mutter sah.

Je größer das Junge wurde, desto mehr lernte es über die Welt, auf der es lebte. Lernte so banale Dinge, wie, was essbar war und was nicht. Und wichtige Dinge, wie die Bedeutung eines Namens.

„Du kannst ihn dir frei aussuchen oder dir von jemandem einen geben lassen. Namen sind Macht“, hatte ihm der andere, schwarze Drache erklärt, dessen eigener Name Orion war. Damals hatte das Junge nicht verstanden.

„Dann such du mir einen aus. Ich kenne noch nicht so viele Worte und weiß nicht, was ein Name sein könnte.“

Die beiden Drachen badeten gerade in der Sonne, der Körper des Drachenjungen bereits halb so groß wie der des ausgewachsenen Drachens. Orion machte ein Geräusch, das sich anhörte wie ein Lachen.

„Dann nenne ich dich einfach Crowley!“

Das Drachenjunge mochte den Namen. Es begann, allen Namen zu geben, und wenn Dinge bereits einen Namen hatten, wies Orion den jungen Drachen geduldig darauf hin. Crowley lernte, dass der weiße Drache aus seiner Vergangenheit seine Mutter gewesen war. Ihr Name war Indina gewesen. Was genau eine Mutter war, wusste er nicht, doch Orion brachte ihm nur wichtige Dinge bei. Also musste eine Mutter wichtig sein. Außerdem erklärte er Crowley, dass sie Brüder waren. Crowley wusste nicht, was Brüder waren, doch auch dieses Mal vertraute er Orion, dass sein Wissen absolut war.

Eines Tages beobachteten die beiden Brüder Wesen, die Crowley noch nie zuvor gesehen hatte: Menschen. Orion hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt, sich ihnen zu nähern, und Crowley hielt sich daran. Doch sein Versprechen hielt den jungen Drachen nicht davon ab, die merkwürdigen Kreaturen aus der Ferne zu beobachten. Wie sie auf zwei Beinen liefen und miteinander umgingen. Es war so anders als das Verhalten eines Drachen. Crowley war fasziniert von diesen kleinen Wesen, sodass er sich ihnen von Mal zu Mal mehr näherte.

Er bemerkte, dass die Menschen miteinander redeten, indem sie ihre Münder bewegten. Die Laute aus ihren Mündern machten die ersten Jahre über keinen Sinn, doch je länger er sie beobachtete, desto mehr verstand Crowley, worüber sie miteinander sprachen.

Er wurde mutiger, beobachtete die Menschen länger, lernte, wie Menschen miteinander umgingen, wenn sie sich mochten und auch, wenn sie sich nicht mochten.

Eines Sommers beobachtete er das erste Mal, wie ein Mann eine Frau totschlug. Er lernte von der Grausamkeit der Menschen, doch seine Faszination konnte er dadurch nicht abschütteln.

Orion war nicht begeistert über die Vorliebe seines Bruders, doch solange er sich selbst oder sie beide nicht in Gefahr brachte, mischte sich der große Drache nicht weiter ein.

Crowley zeigte sich keinem Menschen und mit ihnen sprechen konnte er auch nicht. Es war eine Schande, dass so etwas Faszinierendes wie ein Mensch nicht dieselbe Sprache, wie er sprechen konnte. Orion erklärte ihm, dass Menschen überhaupt nicht so besonders waren, es gab von ihnen doch genug auf der Welt. Das hielt den kleinen Drachen nicht von seiner Faszination ab. Sie waren so ganz anders als Drachen und selbst bei ihrer Menge immer noch einzigartig. Niemals sah Crowley zwei gleiche Menschen, bis er eines Tages bei einem Fest der Menschen zusehen durfte. Unter Orions wachsamen Augen beobachteten die Drachengeschwister eine Beerdigung. Ein junger Mann mit langen, rabenschwarzen Haaren, die zu einem Zopf nach hinten geflochten waren, umklammerte einen anderen Mann. Dieser hatte sich nicht ein Mal bewegt, seit Crowley und Orion dazugestoßen waren. Beide Menschen sahen genau gleich aus.

„Menschen sind wie alle anderen Tiere auch, sie werden geboren, pflanzen sich fort und sterben. Das alles passiert so schnell, es hat keinen Sinn, sich damit näher zu befassen“, hatte Orion geknurrt und sich abgewandt. Crowleys Blick war weiterhin auf das schmerzverzerrte Gesicht des schwarzhaarigen Mannes gerichtet. Bei dem Anblick tat ihm sein eigenes Herz weh. Die leidende Gestalt dieses Menschen prägte sich in seinem Gedächtnis ein. Menschen fühlten so stark für ihre Liebsten, wenn sie diese verloren. Wenn Menschen wie Tiere waren, warum konnten sie dann so starke Gefühle zeigen?

Crowley verstand die negative Einstellung seines Bruders gegenüber den Menschen nicht. Also beschloss er, sie allein weiter zu beobachten. Wie sie lebten, wie sie starben, alles passierte für den jungen Drachen so schnell. Und dennoch war jedes Menschenleben für Crowley ein Ereignis. Niemals würde er den jungen Mann mit seinem Ebenbild im Arm vergessen. Wesen, die einander so innig liebten und sich nur schwer von ihnen trennen konnten, waren es wert, beobachtet zu werden.

Der kleine Drache wurde mutiger und erlaubte sich immer näher an die Menschen. Orion hatte ihm beigebracht, dass nichts im Himmel und auf der Erde stärker war als ein Drache. Von den Worten beflügelt hatte Crowley nichts zu befürchten. Was könnte ihm geschehen? Er war ein mächtiger Drache.

CROWLEY

Vielleicht würde ihm der Sterbliche seine Fragen beantworten. Je nachdem, wie kooperativ er sich zeigte, würde Crowley ihn über die Welt hinter dem Latu-Gebirge ausfragen. Trotz seines Alters hatte er sich die vergangenen Jahre kaum weiter als einige Meilen von seiner Höhle entfernt. Aus den Belangen der Menschen hielten sich Drachen stets raus, da sie nicht in Kriege oder Angelegenheiten verwickelt werden wollten, mit denen sie nichts zu tun hatten. Menschen würden Drachen als Waffen verwenden, als Werkzeug, andere zu verletzen und zu töten. Demnach verließ Crowley seine Höhle nur zum Jagen und um seine Flügel auszubreiten. Alles, was darüber hinausging, war an ihm vorbeigezogen, seit er sich allein in den Norden zurückgezogen hatte.

„Natürlich gibt es hier kein Gold. Ich bin ein Drache, wofür würde ich Massen von Gold benötigen? Ich lebe in einer Höhle fern von allem, was würde ich mit Gold deiner Meinung nach anstellen?“

Anscheinend hatte es den jungen Mann erschreckt, dass plötzlich aus dem Nichts eine Stimme in seinen Gedanken zu ihm gesprochen hatte. Oder aber er war von Crowleys Fragen überrascht. Der Sand knirschte unter den großen, schwarzen Klauen, als Crowley näher an den Menschen herantrat. Er senkte den Kopf, um den anderen genauer ansehen zu können. Seine Augen waren an die Dunkelheit in seiner Höhle gewöhnt, doch er wollte sich den Sterblichen aus der Nähe ansehen. Kein Schwert, kein Schild, absolut nichts, um sich zu schützen. Entweder war dieser Mensch besonders lebensmüde oder nicht hier, um einen Drachen zu erlegen.

Crowley schnaubte einmal kurz, was die blonden Locken des Mannes nur noch mehr durcheinanderbrachten, als sie es bereits waren. Seine Schnauze schwebte knapp über dem Kopf des anderen, während er auf ihn herabsah.

„Weswegen bist du wirklich hier?“, richtete Crowley erneut seine telepathische Frage an den Fremden. Dieses Mal verriet nur ein kurzes Zucken, dass sein Gegenüber vor der fremden Stimme in seinem Kopf erschreckt hatte. Aus der Nähe waren die Handbewegungen des jungen Mannes leichter zu lesen. Crowleys Augen folgten den Zeichen einen kurzen Moment, bevor er stattdessen den Mann an sich musterte. Kurzes, aschblondes Haar, das sich leicht lockte und ein volles Gesicht umrahmte. Ein schlichtes, ausgewaschenes Hemd und dunkle Hosen. Was ihm erst jetzt aus der Nähe auffiel, waren die strahlend blauen Augen. Er konnte sein eigenes Spiegelbild in den geweiteten Augen erkennen. Sein Gegenüber bebte vor Angst, doch er formte weiterhin Worte mit seinen Händen, obwohl Crowley die Antwort in den Gedanken des Mannes hören konnte.

„Ich bin von einer Freundin hergeschickt worden“, waren die deutlichen Worte, an die der blonde Mann dachte. Die Hände des blonden Mannes formten kein einziges Mal das Wort für „Freundin“. Durch ihre telepathische Verbindung konnte sein Gegenüber ihn nicht belügen. Wenn er an die Wahrheit dachte, würde Crowley sie auch hören. Warum log der Mensch, wenn es darum ging, weshalb er hier war? War er von einem der beiden Königshäuser geschickt worden?

Crowley sah sich das Gewand seines Gegenübers genauer an. Einfache Hosen und eine einfärbige Tunika. Er kam also nicht aus dem Osten über den Pass. Wäre er aus Oboros würde er Kleidung tragen, die dem heißen und trockenen Wüstenklima dort angepasst waren. Das ließ nur noch Altos zu, doch von den wallenden Gewändern in leuchtendem Rot war die abgenutzte Tunika, die der blonde Mann vor ihm trug, weit entfernt. Vielleicht ein einfacher Bauer ohne Bezug zur altischen Krone? Doch warum sollte ein unbewaffneter Landarbeiter sich in seine Höhle verirren? Von dem jungen Mann ging momentan keine Gefahr aus, deshalb würde Crowley weiterbohren. Sein Körper entspannte sich sichtlich, doch seine goldenen Augen waren weiterhin aufmerksam auf den Menschen vor sich gerichtet. Fürs Erste würde Crowley merken, ob sich der Sterbliche in ein Netz aus Lügen verstrickte. Die klaren, blauen Augen des anderen beobachteten den Drachen genauso aufmerksam. Ein kehliges Geräusch verließ Crowleys Kehle, seine eigene Version eines Lachens.

„Was für eine nette Freundin du doch hast. Menschen schicken also Freunde wie Feinde in den Tod? Was, wenn ich dich einfach im ersten Moment gefressen hätte? Ich hätte jedes Recht dazu, nachdem deinesgleichen genug von meinen Brüdern und Schwestern getötet haben.“

Die Worte kamen zu schnell, ohne dass Crowley sie hätte aufhalten können. Über ihre Verbindung war nicht nur der junge Mann gezwungen, ehrlich zu sein. Die Telepathie der Drachen war eine direkte Verbindung ihrer beiden Gedanken. Wenn er einen Gedanken an den anderen richtete, würde dieser ihn auch hören, ob nun bewusst oder unterbewusst. Irgendetwas hatte dieser Mensch an sich. Zuerst dachte Crowley, dass er es mit einem Négul zu tun hatte oder zumindest mit einem menschlichen Zauberer. Doch der Sterbliche vor ihm roch nicht nach Magie.

Zauberer, die ihre Magie durch Bücher und Schriften erlernt hatten, rochen immer nach Metall. Vielleicht brauchten sie dieses, um ihre Zauber zu wirken. Wenn Elementarmagier ihre Kräfte nutzten, begann die Luft um sie herum zu vibrieren. Außerdem wusste Crowley, dass Elementmagier Schmuckstücke benötigen, um ihre Magie wirken zu können. Mit bloßem Auge konnte er kein Schmuckstück an dem blonden Mann ausmachen, doch er könnte es ja unter seiner Kleidung versteckt haben. Wäre der junge Mann eine Hexe gewesen, hätte Crowley dies bereits gespürt, bevor der Mensch seine Höhle betreten hätte.

Hexen waren wie Drachen eine alte Blutlinie und lebten genauso versteckt wie sie. Niemand wusste, woher sie ihre Magie nahmen und wozu eine Hexe alles fähig war. Und genau das machte sie so gefährlich.

Crowley schnaubte einmal beruhigt. Sein Gegenüber war weder Magier noch eine Hexe. Also war er lebensmüde, verrückt oder die naivste Person, der Crowley je begegnet war. Unbewaffnet in die Höhle eines Drachen zu steigen, weil eine “Freundin“ ihn hergeschickt hatte? Woher wusste diese Freundin von seiner Höhle?

Was bist du? Beinahe hätte Crowley die Frage gestellt, die ihn von innen heraus auffraß. Stattdessen trat er einen Schritt zurück und hob den Kopf, um wieder etwas Abstand zwischen sie zu bringen, wobei sein Schweif unruhig hin und her peitschte. Die Hände des blonden Mannes hatten langsam aufgehört zu zittern. Anscheinend hatten sie sich unausgesprochen auf einen temporären Frieden geeinigt.

„Du bist mir ein komischer Mensch.“

Ohne Waffen und dem Geruch nach Magie, fühlte sich Crowley nicht genötigt in der niedrigen Höhle seine volle Körpergröße ausnützen zu müssen, um den anderen einzuschüchtern. Im schlimmsten Falle würde er einen unbewaffneten Menschen schon niederstrecken können.

Mit einem dumpfen Geräusch legte Crowley seinen massigen, schuppenbedeckten Körper auf den Boden, sodass er fast auf Augenhöhe mit dem Menschen sein konnte.

„Warum bist du unbewaffnet hergekommen?“, fragte er endlich über ihre Verbindung eine der Fragen, die ihm auf der Zunge brannten.

„Ich sah keinen Grund dafür. Ich habe nicht daran geglaubt, einem richtigen Drachen zu begegnen“, entgegnete der junge Mann. Als er das hörte, entkam Crowley eine leichte Rauchwolke aus den Nüstern.

„Bin ich deiner Meinung nach nicht mehr als eine Fantasiefigur aus einem eurer Märchenbücher?“, fragte Crowley.

Hätte er eine menschliche Augenbraue gehabt, wäre diese in die Höhe gewandert. Dieses Mal nickte der junge Mann. Zornig zeigte der stolze Drache seine Fänge und ein dunkles Knurren entkam seiner Kehle.

„Vorsichtig, nur weil ich dich bis jetzt noch nicht gefressen habe, kann ich das immer noch tun“, knurrte der dunkle Drache warnend. Seine Stimme musste wohl wie ein Donnern im Kopf des armen Menschen geklungen haben. Dieser sackte vor ihm auf die Knie und hielt sich die Ohren zu, als könne er die Stimme des Drachen so aus seinem Kopf verbannen.

Die Reihe spitzer Zacken auf Crowleys Rücken hatten sich in seiner Rage aufgestellt und säumte sein Rückgrat wie die spitzen Felsen das Latu-Gebirge um sie herum. Doch als er das leise, schmerzverzerrte Murmeln hörte, tat ihm der junge Mann fast leid. Crowley schnaubte, beließ es aber dabei und stellte stattdessen seine nächste Frage: „Warum sprichst du nur mit deinen Händen?“

Dieses Mal dauerte die Antwort etwas. Es war sichtbar, wie der Mensch erneut das Zittern seiner Hände unterdrückte und angestrengt den Blick hob, um Crowley direkt anzusehen.

„Ich bin taub. Man hat mir beigebracht, mit meinen Händen zu formen, was ich möchte, wenn nicht gerade Stift oder Papier zur Hand ist.“

Obwohl er noch immer zitterte wie Espenlaub, war sein Blick klar, als er den Drachen ansah. In den blauen Augen war deutlich die Angst zu sehen, aber auch Trotz und war es vielleicht Neugier, die da durchblitzte? Beide Wesen, Négul und Mensch, wollten sich gegenseitig ihre Fragen stellen. Crowley wusste, dass er seinen Argwohn den Menschen gegenüber nicht ablegen durfte, doch dies war vielleicht der einzige Mensch, der ihm Antworten auf seine Fragen geben würde. Kein anderer Mensch, der es in seine Höhle gewagt hatte, hatte gezögert, zu seiner Waffe zu greifen und einen Drachen zu erlegen. Menschen kamen, um zu morden, zu stehlen, sie fragten nicht nach Erlaubnis, sondern nahmen sich einfach, was sie wollten. So viel wusste Crowley. Menschen hielten Drachen für Monster ohne Gewissen. Ihnen wurde der gleiche Stellenwert wie Tiere zugeschrieben. Konntest du einen Drachen fangen, gehörte er dir und du konntest mit ihm tun, was auch immer du wolltest. Drachen waren genauso wenig Monster wie Bären oder Wölfe. Sie jagten, um zu überleben. Crowley hatte es nie genossen, Menschen zu töten, wenn sie in seine Höhle gekommen waren. Die meisten seiner Besucher waren beim Versuch, Crowley zu töten, selbst umgekommen. Solange dieser Mensch ihn nicht angreifen würde, würde auch Crowley nichts dergleichen tun. Stattdessen fragte er: „Wie ist dein Name, Mensch?“

Der junge Mann hob eine Hand und formte langsam vier Buchstaben.

„A-d-a-m“

Die Geste war nett, doch allein der Gedanke an seinen Namen hatte gereicht. Adam.

„Und deiner?“, kam die neugierige Frage des Menschen zurück.

Nach einem kurzen Moment des Überlegens wurde ihm bewusst, dass niemals ein Mensch daran interessiert gewesen war, seinen Namen zu erfahren. Das war nicht ganz richtig. Vor langer Zeit hatte es einmal einen menschlichen Jungen gegeben, doch Crowley hatte ihm damals nicht antworten können, als er nach seinem Namen gefragt worden war. Vielleicht war es seiner Neugier geschuldet, doch er gab dem jungen Mann eine ehrliche Antwort.

„Du kannst mich Crowley nennen.“

Was sollte der Mensch schon mit dem Wissen seines Namens anstellen? Dass seine Stimme über Gedanken an den Sterblichen wanderte, schien dieser inzwischen gut verkraftet zu haben. Neugierig öffnete der blonde Mann den Mund und murmelte dumpf: „Crowley …“

Der große, schwarze Drache blinzelte einmal mit seinen goldenen Augen. Sein Name aus dem Mund des Menschen klang hohl und nasal, als würde er nicht oft Dinge aussprechen. Nachdem sie nun die ersten Formalitäten ausgetauscht hatten, kehrten Crowleys Gedanken zurück zu der Frage nach dem warum. Warum war dieser Mensch hier? Auf der Suche nach Gold, das es nicht gab? Da würde Crowley den jungen Mann leider enttäuschen müssen.

Über die Jahre waren einige Menschen zu Crowleys Höhle gekommen, ob nun unabsichtlich oder mit der Absicht, einem richtigen Drachen zu begegnen. Noch nie war ihm jemand begegnet, der nach dem Gold eines Drachen suchte. Bestimmt gab es Drachen, die Goldmünzen horteten, weil sie hübsch waren, aber Crowley war keiner von ihnen.

Der schwarze Drache legte langsam den Kopf schief. Ein tauber Mensch, der nicht an die Existenz von Négul glaubte. Geschickt von jemandem, der wusste, dass es Crowley und seine Höhle gab. Auf der Suche nach Gold. Irgendetwas konnte an der ganzen Geschichte nicht stimmen, doch Crowley konnte sich keinen Reim darauf machen. Crowley behielt den jungen Mann genau im Auge und verfolgte jede Bewegung mit seinen goldenen Augen.

„Warum bist du wirklich hergekommen? Du suchst nach Gold, welches es hier nicht gibt, oder war das nur eine Farce? Suchst du nach etwas anderem? Und versuche mich nicht zu belügen“, sprach Crowley direkt in die Gedanken des jungen Mannes. Der blonde Mann zögerte einen Moment. Brauchten Crowleys Gedanken vielleicht etwas länger von seinem Geist in den des anderen? Der Drache erinnerte sich an seine Unterhaltungen mit anderen Drachen, da war es ein flüssiges vor- und zurück gewesen. Es hatte sich natürlich angefühlt, so zu kommunizieren. Jetzt, mit einem Menschen auf diese Weise zu sprechen, war alles andere als natürlich.

„Es ist die Wahrheit! Eine Freundin hat mich hier hergeschickt“, begann Adams Antwort zögerlich, „Zugegeben, ich glaubte nicht an Drachen, da ich nie zuvor einen gesehen habe.“

„Glaubst du denn jetzt daran, dass es Drachen gibt?“, knurrte Crowley warnend und seine Flügel entfalteten sich langsam zu ihrer vollen Länge.

„Natürlich“, war die ehrliche Antwort des Menschen, als er einen vorsichtigen Schritt rückwärts tat bei der imposanten Größe der ledernen Schwingen, die sich hinter Crowleys breitem Rücken ausgebreitet hatte.

„Was wirst du jetzt tun? Wirst du mich fressen?“, fragte Adam mit zusammengezogenen Augenbrauen. Langsam legten sich die ledernen Flügel wieder an den muskulösen, dunklen Körper des Drachen.

„Nein, mit dir würde ich nicht einmal ansatzweise satt werden, außerdem ist das auch eines der Gerüchte über uns Drachen. Wir essen keine Menschen“, erklärte Crowley und zog die Lefzen hoch, wobei er die Reihen seiner spitzen Zähne zeigte. Drachen standen vielleicht formell an der Spitze der Nahrungskette, doch Menschen zu essen gehörte nicht zur Tagesordnung. An den meisten war nicht genug Fleisch dran und bei Tieren löste es keinen Krieg aus, wenn ein Drache ein oder zwei aus dem Flug heraus mitnahm.

„Wofür benötigst du das Gold? Es muss wichtig sein, wenn du dafür einen Berg hinaufkletterst und dich in die Dunkelheit meines Nests gewagt hast.“ Fragend legte Crowley den Kopf leicht schief. Seine Höhle lag knapp unter dem Gipfel. Für einen Menschen war der Aufstieg zu schwierig und um “zufällig” in seiner Höhle zu landen, da der Pass zu weit von den offiziellen Routen entfernt ist.

„Ich brauche das Gold, um eine Schuld zu zahlen“, antwortete Adam schlicht. Das war nicht die Antwort, mit der Crowley gerechnet hatte.

„Dann wirst du wohl für dein Gold arbeiten müssen“, gab Crowley zurück und erhob sich langsam aus seiner liegenden Gestalt.

„Aber es muss das Gold eines Drachen sein!“ Überrascht hielt Crowley mitten in der Bewegung inne.

„Das Gold eines Drachen? Sag mir nicht, dass du einen Handel oder eine Wette eingegangen bist, das Gold eines Drachen zu stehlen?-“, weiter kam Crowley nicht, denn mit einem Mal war es in Adams Kopf still geworden. Er wurde aus den Gedanken des Sterblichen geworfen, ob dieser es nun bewusst getan hatte oder nicht. Dieses Mal schaltete sich sein Dracheninstinkt ein und verunsicherte ihn. Das war kein gemütlicher Plausch mit einem Sterblichen mehr, dieser junge Mann musste etwas anderes als ein Mensch sein. Wie konnte er sonst ihr Gespräch einfach so unterbinden? In Crowleys Kopf schrillten die Alarmglocken. Er war sich sicher, dass es nicht nach Magie roch. Kein Geruch nach Metall, die Luft um sie herum hatte sich nicht verändert. Sein Gegenüber war kein magisches Wesen, doch ein normaler Mensch war er auch nicht, wenn er so einfach ihre Verbindung unterbrechen konnte. Drachen konnten einander “verstummen” lassen, doch Adam war niemals einer von ihnen. Crowley musste schon alle Sinne verlieren, um nicht einen Seinesgleichen zu erkennen, egal ob in einer Menschengestalt oder nicht.

„Wer oder was bist du?“, versuchte Crowley eine erneute Frage über ihre Gedanken, doch sie ging ins Leere. Grimmig zog Crowley die Lefzen hoch und ein dunkles Knurren hallte von den Wänden der Höhle wider, das tief aus seiner Kehle kam.

ADAM

Jetzt war Adam wieder auf seine Hände angewiesen, doch der plötzliche Stimmungswechsel ließ die Angst zurück in seine Knochen wandern. Auch, wenn er das Knurren des Drachen nicht hören konnte, war der Anblick der Reihen weißer Zähne doch genug, seinen Körper in Schock zu versetzen. Alles in ihm wollte aus der Höhle fliehen, solange er noch konnte. Zuerst hatte ihn die tiefe Stimme erschreckt. Wieso war da plötzlich jemand, der in seinem Kopf zu ihm sprach? Doch anscheinend konnten Drachen ihre Gedanken mit anderen auf diesem Weg teilen. Adam war innerlich dankbar gewesen, dass er nicht mehr auf seine Hände angewiesen war.

Er wusste nicht, ob ein Drache die Worte, die er formte, auch verstehen konnte. Außerdem zitterten sie bereits so sehr, dass er selbst Schwierigkeiten hatte. Doch plötzlich war die Stimme weg gewesen und stattdessen starrte er in die unnatürlich goldenen Augen des Drachen vor sich. Mit einer menschlichen Stimme war ihm sein Gegenüber nicht so bedrohlich erschienen. Es hatte dem Ganzen etwas das Monströse genommen, doch jetzt sah er nur das riesige Monster mit den messerscharfen Zähnen vor sich.

Er dachte an Dominique. Sie hatte so dankbar ausgesehen, als er eingewilligt hatte, ihr zu helfen. Dann würde sie ihn bestimmt nicht so offen in den Tod schicken. Bis jetzt war er wie durch ein Wunder noch am Leben.

Seine Knie gaben nach und mit einem dumpfen Geräusch fand er sich auf dem warmen Kies unter sich wieder. Seine Stoffschuhe rutschten über den feinen Sand und die Kiesel, während er versuchte, noch etwas mehr Abstand zwischen sich und den Drachen zu bringen. Ohne die direkte Verbindung ihrer Gedanken wusste Adam nicht, ob er in seiner Mission erfolgreich sein könnte. Seine Augen wanderten über die Umgebung, doch es war eine einfache, leere Steinhöhle.

Er und der Drachen standen etwas entfernt vom Höhleneingang im Sand, doch Adam stellte sich die Höhle vor, wie ein großes Labyrinth aus gigantischen Tunneln und Gruben. Wie sonst sollte so etwas wie ein Drache hausen?

Seine blauen Augen weiteten sich überrascht, als sich Crowley langsam umdrehte und auf einen Felsvorsprung weiter hinten in seiner Höhle kletterte. Sofort lief es Adam kalt den Rücken hinunter. Hatte er seine Chance verspielt? Panisch biss er die Zähne zusammen, um das Zittern seines Körpers zu unterdrücken, damit er wieder aufstehen konnte. Der Drache war zurück in die Schatten verschwunden.

„Komm zurüch!“, waren die etwas undeutlichen Worte, die Adam in die Dunkelheit rief. Die heisere Stimme des Menschen hallte von den Wänden wider. Je tiefer er in die Höhle vorstieß, desto dunkler wurde es. Das Tageslicht, das durch den Höhleneingang herein geschienen war, hatte nur den Fleck direkt beim Eingang beleuchtet.

Adams Augen sahen in der Dunkelheit nichts. Er legte eine freie Hand flach gegen die steinerne Höhlenwand. Der Untergrund war kalt und staubig, aber der Stein selbst war glatt, als wäre er über die Zeit abgenutzt worden. Ihm fehlten im Moment zwei seiner Sinne, und die Angst saß ihm in den Knochen. Einerseits sollte er aus der Höhle fliehen, solange er noch konnte, andererseits hatte er Dominique ein Versprechen gegeben. Adams freie Hand fand den Umriss der Halskette durch sein Leinenhemd und drückte den Anhänger. Wenn er doch nur einen Funken erzeugen konnte, damit er etwas sehen konnte.

Plötzlich bemerkte er eine Bewegung in der Dunkelheit. Mit einer Hand an der Wand machte er einen Schritt vor den anderen, um sich darauf zuzubewegen. Je näher Adam der Silhouette kam, desto langsamer wurde er. Zu Beginn war er davon ausgegangen, dass er und der Drache allein gewesen waren. Er hatte nichts Außergewöhnliches gerochen und aufmerksam den Wind beobachtet, falls dieser gedreht hätte und ihm somit vielleicht etwas entgangen wäre.

Doch die Figur, auf die er sich zubewegte, wirkte wie die Gestalt eines Menschen. War vielleicht noch jemand in die Höhle gekommen? Adam beschleunigte wieder seine Schritte und wollte gerade etwas rufen, als die Gestalt den Blick hob und ihn aus goldenen Augen ansah. Der Blonde stoppte mitten in der Bewegung und starrte in die Augen, die plötzlich so viel kleiner und näher wirkten. War das-?

Für einen Moment sah es so aus, als würde sich die Gestalt in den Schatten umdrehen und weglaufen. Adam hob bittend die Hand und zeigte seine Handfläche, als würde er ein wildes Tier beruhigen: „Bleib, bitte.“

Die Silhouette bewegte sich nicht. Ganz langsam nahm Adam auch die zweite Hand von der Wand und formte die Worte: „Warum bist du plötzlich verschwunden?“

Seine Finger zitterten und er wusste nicht, ob der andere ihn gut genug sehen und verstehen konnte. Adam war sich sicher, dass er gegenüber dem Drachen stand, doch er musste seine Gestalt verändert haben. Plötzlich begann ein rötliches Licht aus der Brust des Drachen zu scheinen. Wie eine Welle begann es als dumpfes Glühen, wurde stärker und ebbte wieder ab.

Adam nutzte den kurzen Moment, in dem das rote Licht den Platz, auf dem sie beide standen, genug ausleuchtete. Vor ihm stand ein Mensch, und dann auch wieder nicht. Drachen konnten sich in Menschen verwandeln?

„Kannst du dieses Glühen noch mal machen?“ Adam formte die Worte bewusst langsam. Er wusste weiterhin nicht, ob sein Gegenüber die Zeichen, die er mit seinen Händen formte, verstand. Doch sofort flammte das Licht in der Brust des Drachen erneut auf. Wieder begann es als sanftes Glühen, wurde stärker und verblasste wieder. Doch diesmal wiederholte sich dieses Spiel ein paar Mal. Für Adam wirkte es wie ein Herzschlag, den er sehen konnte.

„Du siehst … menschlich aus?“, formte Adam, wobei das Wort menschlich nicht ganz passen wollte. Unter dem roten Licht konnte Adam die menschliche Gestalt vor sich genauer ansehen.

Crowley hatte die Gestalt eines Mannes gewählt. Er war immer noch größer als Adam. Über seinen Körper waren schwarze Schuppen verteilt, die eindeutig verrieten, was er wirklich war. Sein längeres, schwarzes Haar fiel ihm in dicken Strähnen über die Schultern. Crowley hatte eine schöne Menschengestalt, doch zu viel an ihm zeigte, dass er alles andere als menschlich war. Adam beobachtete, wie sich die Lippen des anderen anfingen zu bewegen, doch er konnte nur die Augenbrauen zusammenziehen. Hatte der Drache etwa vergessen, dass er nichts hörte?

Er hatte gehört, dass Drachen stolze Wesen waren, und er wollte es sich ungern mit dem ersten Drachen, den er je getroffen hatte, verscherzen. Doch vielleicht hatte er das schon, denn plötzlich war das rote Licht, das vorhin einen Augenblick durch die Brust des anderen geschienen hatte, verschwunden.

„Crowley?“, fragte Adam laut in die Dunkelheit hinein. Ohne seine Hand an der Steinwand spürte Adam einen Anflug von Vertigo und sank zurück auf die Knie, damit er die Hände flach auf den Boden legen konnte. Als er erneut aufsah, wurde er fast von dem roten Licht geblendet. Crowley war nahe genug an ihn herangetreten, um jetzt auf ihn herabzusehen. Das rote Licht war aus der Nähe grell genug in der ansonsten pechschwarzen Höhle, dass es fast in den Augen brannte. Crowleys Augen hatten sich nicht wirklich verändert, das unnatürliche Gold leuchtete noch immer in derselben Farbe.

Die hohen Wangenknochen und geschwungenen Augenbrauen gaben dem Drachen einen kalten und distanzierten Ausdruck. Irgendwie passend. Ob er sich sein Aussehen ausgesucht hatte oder war das ein Gesicht eines früheren Besuchers, der nicht so viel Glück wie Adam gehabt hatte?

Mit Crowley direkt vor sich wurde ihm eine weitere Sache bewusst. Der Drache hatte zwar einen menschlichen Körper, jedoch trug er darüber keine Kleidung.

Selbst, wenn ihn das die einzige Art seiner Kommunikation nahm, drehte Adam den Kopf zur Seite. Er spürte, wie seine Wangen warm wurden. Hatte dieser Drache denn kein Schamgefühl? Überrascht spürte Adam, daraufhin, wie sich Daumen und Zeigefinger des anderen um sein Kinn schlossen und er daran etwas grob zurück auf die Füße gezogen wurde.

Wenigstens konnte er dadurch Crowley direkt ins Gesicht sehen. Mit der freien Hand deutete der Drache auf seinen eigenen Mund und hob fragend eine Augen-braue. Adam musste einen Moment überlegen, was der andere von ihm wollte, bis er verstand. Crowley fragte ihn, ob er Lippenlesen konnte. Das wäre jetzt mit dem Licht aus seiner Brust und der Tatsache, dass der Drache als Mensch überhaupt Lippen besaß, um einiges einfacher. Adam nickte und fügte ein leises „bisschen“ dazu. Der Blonde sah den tiefen Seufzer des anderen an seiner Brust, die sich hob und senkte. Crowley ließ sein Kinn los und sprach langsam, damit die Worte deutlich seine Lippen verließen: „Miteinander zu sprechen scheint für uns beiden ein deutliches Problem darzustellen. Vielleicht vereinfacht diese Methode unser Gespräch?“

Allein der Fakt, dass Crowley weiter mit ihm sprechen wollte, erleichterte Adam ungemein. Er rieb sich mit der Faust über die Brust.

„Vielen Dank, ich weiß das sehr zu schätzen.“

Adams Blick fiel wieder auf das rote Leuchten in Crowleys Brust.

„Ist das dein Herz, das so leuchtet?“

Adam wusste nicht, ob Crowley ihn überhaupt verstand, doch als er mit dem Zeigefinger auf das Licht deutete, schüttelte dieser nur den Kopf und sein Gesichtsausdruck wurde grimmig.

„Nein, und bevor wir dieses Gespräch weiterführen, habe ich eine Warnung an dich. Kein Mensch darf wissen, dass wir Drachen uns in Menschen verwandeln können. Außerdem bin ich wohl an der Reihe, eine Frage zu stellen.“

Adam nickte nur als Antwort. Lippenlesen war für Adam die einfachste Methode, wenn jemand mit ihm sprach. Jedoch musste er sich auch ganz besonders konzentrieren. Für einen Moment wunderte sich Adam, weshalb Crowley nicht mehr über seine Gedanken mit ihm sprach, als er plötzlich die dunkle Stimme wieder in seinem Kopf vernahm.

„Sag mir, wieso du einen Deal mit dem Gold eines Drachen als Belohnung eingegangen bist?“ Adam weitete überrascht die Augen. Da war die Stimme wieder. Seit er sein Gehör verloren hatte, waren die einzigen männlichen Stimmen, an die er sich noch genau erinnern konnte, die seines Onkels und die von Silas gewesen. Crowleys Stimme klang ganz anders und Adam war tatsächlich froh, sie wieder in seinem Kopf zu hören. Er wusste nicht, ob der andere seine Gedanken ebenfalls wieder hören konnte, deshalb ließ er die Hände sinken und dachte stattdessen an seine Antwort.

„Eine Hexe versprach mir, dass ich endlich hören könnte und dann in der königlichen Garde aufgenommen und ausgebildet werden könnte.“ Das Geständnis kam zögerlich und Adams Blick senkte sich für einen Moment. Doch als er seinen Blick wieder hob, war es zumindest klar, dass Crowley seine Antwort gehört hatte. Okay, damit konnten sie wenigstens weiterhin miteinander reden, sollte der Drache nicht doch die Geduld verlieren und ihn angreifen. Adam war trotzdem stolz, dass er bisher noch nicht gestorben war.

„Die königliche Garde in Altos?“, fragte Crowley neugierig. Adam nickte und dachte unweigerlich an das letzte Gespräch mit dem Obmann der Garde. Es war offensichtlich, dass er Adam nicht leiden konnte und ihn als Gefahr für die gesamte Garnison sah. Nur, weil er nichts hörte? Nur, weil er eine Beeinträchtigung hatte, war er doch noch lange keine Gefahr für den Rest der Gruppe. Er konnte Befehle ausführen, solange er die anderen Ritter kopierte oder die Lippenbewegungen des Offiziers der Garnison lesen konnte. Es war einfach ungerecht. Dabei verlangte Adam nicht viel. Er wollte keinen Ruhm und keinen Reichtum. Das ganze Gold, dass er als Ritter unter der Krone erhalten würde, käme direkt seinem Onkel und dem Dorf zugute.

Adam spürte in diesem Moment den Anhänger auf seiner Brust. Es war bestimmt Einbildung, doch es fühlte sich an, als würde der Anhänger warm werden, als er an Silas dachte. Auch für ihn würde er seinen Traum erfüllen, um jeden Preis. Es fehlte Adam im Alltag nicht wirklich, dass er nichts hören konnte. Er hatte sich über die Jahre daran gewöhnt.

Diesmal zuckte er nicht zusammen, als die tiefe Stimme in seinem Kopf wieder begann: „Und sie wollte dafür das Gold eines Drachen?“ Adam nickte. Er versuchte sich daran zu erinnern, wie genau Dominique die Hände bewegt hatte. Er sah auf seine Hände herunter und formte die Worte, die Dominique geformt hatte.

„Bring mir das Besondere des Drachen-“

Er unterbrach sich selbst und sah auf seinen eigenen ausgestreckten Daumen, als er die Worte formte.

„Ich dachte damit, sie meinte das Gold, das Drachen angeblich in ihren Höhlen horten. Deshalb bin ich überhaupt erst hergekommen. Anscheinend kann man sich auch, ohne miteinander zu reden, missverstehen“, dachte Adam und hob den Blick, um Crowley wieder anzusehen. Dabei spielte ein leichtes Lächeln um seine Lippen. Die ganze Geschichte wäre einmal eine lustige Anekdote in der Zukunft, wenn er nicht immer noch in der Höhle eines echten Drachen wäre. Sein Onkel würde wahrscheinlich im ersten Moment an Adams gesunden Verstand zweifeln, aber danach würden sie sicher herzhaft darüber lachen. Adam wusste nicht, ob der andere ihn tötete, wenn er keine Fragen mehr hatte. Im Moment fühlte sich ihre Unterhaltung wie ein Verhör an. Dominique hatte genau diese Geste geformt, aber „Gold“ und „besonders“ waren zwei Zeichen, die wohl nicht so häufig verwendet wurden und deshalb hatte sie die Worte wohl vertauscht. Immerhin hatte sie Adam sogar einen Goldring mitgegeben, damit er im Notfall den Ring einfach gegen das „Gold eines Drachen“ hätte eintauschen können.

Adam zog die Augenbrauen zusammen und griff in seine Hosentasche.

„Sie gab mir sogar einen goldenen Ring mit, damit ich Gold mit Gold vergleichen könnte.“ Mit einer Hand hielt er den kleinen Ring zwischen Daumen und Zeigefinger hoch.

„Ich war davon ausgegangen, dass euch Drachen egal ist, welches Gold ihr in eurem Nest hortet.“ Dabei wanderte Adams Blick noch einmal durch die ziemlich karge Höhle.

„Zumindest bin ich davon ausgegangen, dass ihr Drachen Gold hortet.“

Weshalb hatte Dominique ihm einen Goldring mitgegeben, wenn sie doch überhaupt kein “Gold“ suchte? In den Büchern für Kinder wurde oft von Wesen geschrieben, die Gold horteten und denen aufgrund ihrer Gier schreckliche Dinge passierten. Solche Geschichten sollten Kindern wohl als moralischer Kompass dienen. Jetzt gerade hatten diese Geschichten Adam in eine leere Höhle gelockt. Und jetzt? Er war davon ausgegangen, dass das “Besondere“ eines Drachen die Goldsucht war.