Silver Smoke - Helia James - E-Book

Silver Smoke E-Book

Helia James

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Beschreibung

Als Kind des Wassers findet sie erst durch einen Zauberer an der Akademie in Oboros Anschluss: Lyra. Durch ihn erfährt sie auch was Liebe ist. Nach ihrer Flucht gibt es für sie nur zwei Dinge: Sie will die Akademie brennen sehen und ihren geliebten Ehemann wieder in die Arme schließen können. Mit Adams und Crowleys Hilfe ist ihr Ziel zum Greifen nah. Doch in ihrem Kampf gegen den Dekan der Akademie steht schon bald mehr auf dem Spiel als bloß ihre Magie. Kann ein Herz alles verzeihen? Oder bleibt am Ende nur Asche?

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Seitenzahl: 323

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Anna, die mir Motivation gegeben hat durchzuziehen und der ich jetzt auch noch den dritten Teil schulde - I guess.

Und für meine Testlester, ohne die dieses Buch niemals zu dem geworden wäre, was ihr im Moment in den Händen haltet. @ luzi.morgenstern5 @ hina_the_author @ vee.punz

Triggerwarnungen für die gesamte Buchreihe:

Vergewaltigung, Missbrauch, Emotionale Manipulation, Genozid, Religiöse Trauma, Folter, explizite sexuelle Handlungen, Kindermord, Menschenexperimente

Playlist

Spotify:

Inhaltsverzeichnis

PROLOG

DOMINIQUE

ADAM

CROWLEY

DRACHEN JUNGES

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

DOMINIQUE

CROWLEY

DOMINIQUE

CROWLEY

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

CROWLEY

DOMINIQUE

CROWLEY

ADAM

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

ADAM

CROWLEY

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

CROWLEY

ADAM

CROWLEY

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

CROWLEY

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

ADAM

DOMINIQUE

ADAM

EPILOG

PROLOG

Kann ein Herz wirklich verzeihen?

Man sagt, das Herz kennt keine Bedingungen – es liebt, es verzeiht, es hofft.

Aber was, wenn genau das sein Fluch ist?

Was, wenn das Herz sich nach jemandem sehnt, der es zerbrochen hat? Wenn es sich weigert, loszulassen, selbst wenn alles Verstandene, alles Logische dagegen spricht? Ist das noch Stärke? Oder bloß Dummhei?

Man sagt – Liebe macht blind.

Doch für Dominique ist Liebe das Einzige, das ihr die Kraft gibt, weiterzumachen. Die Liebe an ihre Schwestern, an den Coven, der ihr ein Zuhause geboten hat als niemand sonst sie aufgenommen hat.

Ihre Liebe zur Magie, die schon immer ein Teil von ihr gewesen ist. Selbst als Andere sie aufgrund ihrer magischen Kräfte als Außenseiterin und Ausgestoßene gebrandmarkt haben.

Und ihre Liebe zu ihrem Ehemann Lyra, der in ihr immer schon mehr gesehen hat als eine Hexe. Der junge Mann mit den feuerroten Haaren und dem schelmischen Ausdruck in den Augen.

Ihr war klar, dass sie für ihre Liebsten die Welt in Schutt und Asche legen würde, wenn es darauf ankäme.

Und genau diese Liebe lässt sie weitermachen.

Dominiques Herz brennt und vielleicht wird sie es eines Tages vin Innen heraus verzehren. Aber bis es soweit ist, muss sie lernen, dass ein liebendes Herz auch verletzt werden kann.

Vielleicht verzeiht ein Herz nicht, weil es muss. Sondern weil es hofft. Weil es glaubt, dass hinter der Lüge noch Wahrheit ist.

Die Frage ist, wie oft ein Herz gebrochen werden kann, bis nichts mehr übrig ist als Asche?

Bis es nicht mehr heilt.

Wie oft kann man verzeihen, bis man sich selbst verliert?

DOMINIQUE

»Du bist eine Hexe.«

Das waren die ersten Worte, die Dominique zu hören bekam, als sie mit sieben zum ersten Mal zur Schule gehen durfte.

Zuhause fragte sie ihre Lumithra, was eine Hexe denn überhaupt sei.

Die alte Frau mit dem silbernen Haar, aber dem junggebliebenen Gesicht sah das kleine Mädchen nur grimmig an und Dominique durfte danach nie wieder zur Schule gehen.

Damals hatte sie nicht verstanden, was passiert war. Sie hatte doch nur wissen wollen, was eine Hexe ist. Erst Jahre später hatte man ihr erklärt, dass nur neidische Menschen die Kinder des Wassers so nennen würden.

Hexen, Kinder des Wassers, Teufelinnen - das waren alles Begriffe, die Dominique bereits genannt worden war. Die meisten wussten nicht, wie sie jemanden wie Domi oder ihre Lumithras nennen sollten. ›Hexe‹ schien sich bei den meisten Menschen durchgesetzt zu haben.

Als Erwachsene verschwendete Dominique nicht mehr so viele Gedanken daran, wie ihresgleichen genannt wurde.

Wenn Domi heute an ihren Coven zurückdachte, erinnerte sie sich immer zuerst an ihre Lumithra, ihre große Schwester. Nicht blutsverwandt sorgten Lumis trotzdem für ihre kleinen Sprösslinge.

Niemand wusste, wie ein Kind des Wassers gezeugt wird. Irgendwann brachte eine Lumithra ein Baby in einem feuchten Tuch eingewickelt zum Coven zurück. Damit wurde es wortlos Teil der Gemeinschaft und stand unter ihrem Schutz.

Domis Lumithra hieß Anya. Eine der ältesten in ihrem Bund. Trotz ihres Alters war ihr Gesicht jung geblieben und die hellen Haare ließen sie beinahe aussehen wie eine Göttin. Nicht, dass Domi oder die anderen Kinder an so etwas wie Götter glaubten. Das überließen sie dann doch lieber den Menschen.

Die Kinder des Wassers glaubten an die Ewigkeit des Regens, dem beständigen Fließen der Flüsse und der angeborenen Kraft ihrer Magie, die wie Ebbe und Flut mal stärker und mal schwächer durch ihre Adern floss.

Aber genauso wie das Wasser der Flüsse aus einer Quelle entsprang, konnte auch ihre Kraft nicht versiegen, solange sie ihre Quelle nicht erschöpften.

Ihre Quelle war die Gemeinschaft. Je größer ein Coven war, desto mächtiger. Wie ein Meer, dass mit großen Wellen Schiffe verschlingen konnte.

Dominqiues Coven gehörte zu den größten, als sie heranwuchs. Sie war sehr stolz auf ihre Herkunft und verleugnete sie auch nicht.

Aber die Menschen waren neidische Wesen und sehr abergläubisch.

Dinge, die sie nicht verstanden, verteufelten sie und an alten Traditionen festgehangen wie an einem Rettungsseil.

Das gebräuchliche Wort ›Hexe‹ war für Dominique keine Beleidigung. Es half Anschluss zu finden, wenn sie es verwendete. Unter ›Kinder des Wassers‹ verstanden Menschen nichts.

Anya war in ihrer Erziehung sehr deutlich gewesen und hatte Domi immer wieder an drei wichtige Dinge erinnert:

Erstens: Verwende deine Magie nicht, um anderen Schaden zuzufügen, außer du musst dich verteidigen.

Zweitens: Hüte deine Magie wie ein Geheimnis und teile es nur mit denjenigen, denen du vertraust.

Drittens: Die Menschen werden die Kinder des Wassers immer mit den Négul vergleichen. Wir haben mit diesen Wesen mehr gemeinsam als mit den Menschen. Trotzdem sind wir weder Mensch noch Négul. Wir werden niemals zu einem von ihnen gehören.

Niemals.

Dominique sammelte das Geschirr ein, als sie an die drei Regeln ihrer Lumi dachte. Während sie die Landkarte zusammenrollte, musste sie lächeln.

Einer dieser Négul schlief keine zwei Räume weiter in ihrem Haus. Sie musste den Drachen einladen, wenn sie ihn für ihren Plan nutzen wollte.

Es war schon lustig. Da waren sie jetzt zu dritt, ein Kind des Wassers, ein Négul und ein Mensch.

Unter anderen Umständen könnte das der Beginn einer schönen Geschichte für Kinder sein. Aber für Dominique war es nur das letzte Puzzlestück, das sie benötigte.

Mit Crowleys Hilfe war die Akademie kein Hindernis mehr und solange sie Adam bei sich hatte, würde ihr die übergroße Echse folgen müssen.

Domis Blick wanderte für einen kurzen Moment in den Gang. Auf der einen Seite war Adam untergebracht und auf der gegenüberliegenden Seite schlief der Drache.

Seine menschliche Gestalt war ansehnlich und auch die Persönlichkeit des Néguls war nicht so furchtbar, wie sie es befürchtet hatte.

Nach dem Treffen mit diesem Einhorn hatte Dominique schon mit allem gerechnet. Es war beinahe unmöglich gewesen, irgendetwas aus diesem arroganten Wesen herauszubekommen. Sie hatte Crowley nicht angelogen: Einhörner waren die kooperativsten Wesen, wenn man etwas hatte, das sie wollten. Leider war es wirklich schwer herauszufinden, was ein Pferd mit einem scharfen Horn auf dem Kopf haben wollte.

Aber Dominique hatte Glück gehabt. Ihr Einhorn hatte sich für ihren Schmuck begeistert. Wenn es weiter nichts war, von diesem alltäglichen Silberschmuck hatte sie sich gerne getrennt, wenn es ihrem Plan helfen würde.

Seit sie sich zum Ziel gesetzt hatte, ihren Mann aus der Akademie zu befreien, hatte sie überlegt, was ihr helfen könnte. Der Plan, die Akademie mit Drachenfeuer in Schutt und Asche zu legen, war ihr vor fast einer Dekade gekommen. Damals war sie noch immer an der Akademie gewesen, und hatte die Experimente über sich ergehen lassen. Danach war es zu ihrer Flucht gekommen. Die letzten Jahre hatte sie mit der Ausarbeitung eines Plans verbracht.

Das letzte fehlende Stück wurde ihr von einer Gruppe Männer vor einem Freudenhaus geschenkt. Einer von ihnen schien Geschichtenerzähler gewesen zu sein. Seine Stimme lud dazu ein, zuzuhören.

In Männerkleidung gehüllt, hatte sich die Hexe an einen der letzten Tische gesetzt und gelauscht. Jede Dirne, die auf sie zu gewackelt kam, schickte sie mit einer einzigen Handbewegung fort.

Der Mann erzählte von Wesen, die seien so groß wie Häuser und so gefährlich wie die Pest. Die Geschichten waren nicht unbedingt neu oder kreativ, aber die Art und Weise, wie der alte Mann sie vortrug, zog einen Zuhörer nach dem anderen an.

Dominique wurde hellhörig, als der Mann begann, über den berüchtigten Nachtgrim zu reden. Ein Händler am Schwarzmarkt, der für das richtige Geld alles heranschaffen konnte. Gerüchten zufolge hatte er sogar einmal einen Drachen gefangen!

Domi kannte den Namen nur aus Geschichten. Irgendwann war es still um den berühmten Händler geworden. Vielleicht war er schlussendlich selbst vom Jäger zur Beute geworden.

Aber wie der Erzähler so von Drachen schwärmte und von deren alles-verzehrenden Flammen, begann es im Kopf der Hexe zu arbeiten. Vielleicht war etwas Wahres an diesen Geschichten dran und es existierte noch irgendwo ein Drache. Wenn dem wirklich so war, dann musste sie diesen auf ihre Seite holen. Sie würde die Akademie brennen sehen, komme was wolle.

Wenn sie auch nur noch ein weiteres Jahr gewartet hätte, wäre ihre Magie womöglich gänzlich verschwunden. Mit einem Finger tippte sie eine Tasse mit Flüssigkeit an. Nichts passierte. Es war beängstigen.

Niemals zuvor war einem Kind des Wassers die Magie gänzlich versiegt. Das sollte überhaupt nicht möglich sein! Domi lief eine Gänsehaut über die Arme. Rasch blies sie die übrigen Kerzen aus und beeilte sich, in ihr eigenes Zimmer zu kommen. So nah an ihrem Ziel würde sie sich jetzt nicht von ihrer albernen Angst lähmen lassen.

ADAM

Als der Blonde das nächste Mal erwachte, wurde es draußen bereits hell. Das schwache Licht der aufgehenden Sonne fiel durch die schweren Vorhänge und malte orange Muster auf seine Bettdecke.

Er wollte sich gerade umdrehen, um noch etwas weiterzuschlafen, als er einen Schatten durch den Spalt unter seiner Tür vorbeiziehen sah. Waren Crowley und Domi immer noch wach?

Neugierig schwang er seine Beine aus dem Bett. Er zuckte kurz zusammen, als seine nackten Füße den kalten Fußboden berührten. So leise, wie er nur konnte, schlich er sich zur Tür und drückte sie einen Spalt auf.

Der Gang war nicht ausgeleuchtet und die Tür zu dem Zimmer gegenüber von seinem eigenen stand offen. Er konnte Crowleys Figur in dem Bett ausmachen, doch ob dieser schlief oder nicht, konnte er nicht erkennen. Der Drache hatte seine Vorhänge so fest zugezogen, dass es beinahe stockdunkel in dessen Zimmer war.

Der Vorhang, der zurück in Domis Wohnzimmer führte, bewegte sich leicht. Irgendwo war bestimmt ein Fenster geöffnet. Durch den dunklen Stoff fiel etwas Licht auf den hölzernen Fußboden.

Der Blick des Blonden wanderte weiter. Am Ende des Ganges war eine weitere Tür einen Spalt breit geöffnet und flackerndes Licht fiel auf den hölzernen Fußboden. Schritt für Schritt näherte sich Adam der angelehnten Tür und blickte ins Innere.

Domi hob gerade ein gerahmtes Bild vom Boden auf und stellte es mit einem warmen Lächeln auf eine Kommode ab. Das Bild war eine Aquarellzeichnung eines Mannes mit flammend roten Haaren.

Vielleicht war das der Ehemann, von dem sie gesprochen hatte?

Mit zitternden Fingerspitzen strich die Hexe zärtlich über das Bild, als könnte sie die Wangen des abgebildeten Mannes streicheln. Dominique musste ihren Mann sehr lieben, denn während sie das Foto liebkoste, rollten heiße Tränen über ihre blassen Wangen und sie brach neben der Kommode zusammen. Ihre Schultern bebten. Es brach Adam das Herz sie so zu sehen. Ihre komplette Haltung war in sich eingesunken.

Dieses Bild der Hexe ließ das alte Bild einer gefährlichen magischen Frau aus den Märchenbüchern zerspringen. Für Adam war es klar, dass Dominique, genauso wenig wie Crowley, zu den Beschreibungen aus den Schauergeschichten seiner Kindheit passten. Spätestens jetzt wäre es für jeden klar, dass Domi eine einfache leidende, gebrochene Frau war.

Adam wollte schon die Türe aufdrücken, doch was konnte er tun? Stattdessen beobachtete er weiter still, wie Domi sich trotz nasser Augen durch eine Kommode wühlte. Mit zitternden Händen zündete sie, immer noch auf den Knien, eine Kerze nach der anderen an, bis das Licht der kleinen Flammen ihr gesamtes Zimmer ausleuchteten.

Unter dem wachsenden Feuer nahm sie einen verzierten Dolch und schnitt sich über den Handrücken. Sofort floss ihr Blut über ihre Haut. Behutsam tupfte sie ein weißes Stück Stoff über ihre Hand und bewegte ihre Lippen dabei.

Vielleicht betete Dominique zu den alten Göttern? Doch die Hexe hatte nicht gewirkt, als würde sie an die Kraft der Götter glauben. Und wenn sie wirklich so große Zauberkräfte hatte, war sie in Adams Augen bereits selbst so mächtig, wie es die Götter selber waren.

Dominique ging ans Fenster und hängte das blutgetränkte Stück Stoff wie einen Talisman hinaus. Adam zog die Augenbrauen zusammen und machte einen Schritt von der Tür weg. Domi hatte weder ihm noch Crowley bisher Schaden zugefügt.

Es konnte eine Art Schutzzauber sein, so wie die Gläubigen der Götter ihre Schmuckstücke über ihre Betten hängten, damit sie beschützt waren. Zumindest hatte Silas das damals getan. Der Blonde wollte die weißblonde Frau nicht weiter stören und beeilte sich, zurück in sein Zimmer zu kommen.

Crowley war als erster wach, nachdem Adam ein zweites Mal eingeschlafen war. Als der Blonde diesmal sein provisorisches Schlafzimmer verließ stand der Schwarzhaarige über die Karte gebeugt und schien sie zu studieren.

Den Moment nutzend, blieb Adam im Türrahmen stehen und betrachtete den breiten Rücken des Drachen. Durch den Stoff hindurch konnte er dessen Haut nicht sehen, doch mit etwas Vorstellungsvermögen erahnte er in etwa, wo die Flügel des Drachen letzte Nacht herausgekommen waren.

Wenn er allein an das Gefühl zurückdachte, als seine Füße den Boden nicht mehr berührt hatten, kribbelte sein Bauch wieder vor Aufregung. Es hatte sich angefühlt, als ob er an einer Klippe stehen würde, kurz davor, hinunter zu stürzen.

Anscheinend musste er ein Geräusch von sich gegeben haben, denn der Schwarzhaarige drehte den Kopf herum.

»Wie lange stehst du denn da? Ich war ganz auf die Karte konzentriert.«

Mit dem Zeigefinger fuhr der Dunkelhaarige eine Linie einmal das ganze Latu-Gebirge entlang, bevor er vom Tisch wegtrat. Sofort spielte ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel.

»Ich schätze, ich spare mir die Frage, wie du geschlafen hast, deiner Bettfrisur nach zu urteilen«, lachte Crowley und hob die Hand, um sie durch Adams Locken zu streichen. Dieser machte einen Schritt zurück, bevor der andere ihn berühren konnte. Sein Körper war wie von selbst dieser Geste ausgewichen. Fragend hob der Schwarzhaarige eine Augenbraue und ließ die Hand wieder sinken.

»Alles in Ordnung?«, fragte er den Blonden.

Genau in diesem Augenblick betrat Dominique das Zimmer und bewahrte Adam davor, antworten zu müssen.

Natürlich war er in Ordnung. Doch er hatte letzte Nacht auch noch lange wach gelegen und nachgedacht. Dominiques Worte waren ihm nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

Der Ring bindet euch - aneinander - Wo du hingehst, wird er dir folgen.

Adams Geist hatte ihre Reise durchgespielt, jede noch so kleine freundliche Geste und jedes nett gemeinte Wort. War das alles nur dem Zauber zu verdanken, der auf diesem Ring lag?

Die Steinhöhle.

Das Fest.

Die Art und Weise, wie Crowley ihn danach in Cains Haus angesehen hatte.

Waren alle Handlungen des Drachen nur, weil er an Adam gebunden war und ihm zu folgen hatte? Wenn dem so war, hatte er sich in ein aufgezwungenes Bild des Drachen verliebt. Oder schlimmer: Hatte er Crowley ausgenutzt, weil ihn der Ring an Adam kettete?

Kurz hatte der Blonde im Bett liegend gedacht, dass er sich übergeben müsste. Stattdessen hatte er alle Gedanken verbannt und sich unter der Decke versteckt.

Irgendwann musste er eingeschlafen sein. Doch jetzt im wachen Zustand wollte er nicht, dass Crowley ihn so berührte, solange er den Ring trug. Er wollte nicht, dass sein verkümmertes Herz sich noch einmal einem Mann zuwandte, der nicht wirklich an ihm interessiert war.

Adam schüttelte bloß den Kopf und versuchte Domi ein Lächeln zu schenken. Das Wichtigste war jetzt ihr zu helfen, damit sie ihre Kräfte zurückbekam.

»Oh gut, ihr beiden seid auch schon wach«, stellte die weißblonde Frau fest.

Im Gegensatz zum Vortag hatte sie diesmal kein Kleid an, sondern enge dunkle Hosen mit einem modischen Schnitt und ein helles Hemd. Allein durch die Wahl ihrer Kleidung konnte sie die Art und Weise, wie sie wirkte, beeinflussen. Gestern noch war sie Adam wie eine Puppe erschienen.

Heute wirkte sie wie eine Frau, die sich nicht zu schade war, im Notfall mit einem Schwert umzugehen. Sie war eine kleine Frau, doch ihre gesamte Körperhaltung strahlte Selbstbewusstsein aus, während sie sich anmutig durch ihr Haus bewegte.

Ihre Rundungen füllten die Hose und das Hemd aus und wirkten an ihr außergewöhnlich passend, selbst mit dem männlichen Schnitt.

Dominiques Blick wanderte an Crowley herab und landete dann auf Adam.

»Bevor wir losziehen, möchte ich euch unbedingt etwas anderes zum Anziehen borgen. Ich weiß, dass wir uns momentan nicht in einem offenen Krieg befinden, aber wir sollten trotzdem neutrale Kleidung wählen. Das Haus hier gehört einer alten Freundin aus meinem Coven.

Ihr Ehemann gehörte einer Handelsfamilie im südlichen Oboros an und genießt als solcher Immunität. Ich werde euch alte Sachen von ihm heraussuchen. Wir sollten uns auf unserer Reise als Händler ausgeben, sollten wir gefragt werden, wo unsere Sachen sind, dann kommen wir gerade von einer beendeten Verhandlung über Waren aus Vitris, einverstanden?«

Nur dank Crowleys und seiner Verbindung hatte Adam den Großteil ihres Plans mitbekommen.

Zuerst hatte sie noch Worte mit ihren Händen geformt, doch im Laufe ihres Monologs Schränke aufgerissen und Kleidung hervorgezogen. Ihre gesammelten Stücke ließ sie vor den beiden Männern auf den Tisch fallen und sortierte sie nach Größe. Sie hatte genug zum Anziehen mitgebracht, um die darunterliegende Landkarte fast völlig zuzudecken.

Crowley nahm wortlos die obersten Stücke und begutachtete sie. Adam lehnte sich etwas vor, damit auch er die Kleidungsstücke ansehen konnte. Die Stoffe waren aus den edelsten Materialien und aus mehreren Lagen gewebt.

Der Schwarzhaarige zog sich beinahe beiläufig seine dunkelblaue Tunika über den Kopf. Adam wandte den Blick ab, und spürte, wie es in seinem Bauch warm wurde. Er biss sich auf die Zunge und zwang diese Gedanken zu verschwinden.

Es war schon fast erbärmlich, wie er auf den Körper des Schwarzhaarigen reagierte. Solange er die Gefühle des Drachen ihm gegenüber nicht geklärt hatte, wollte er noch nicht einmal an etwas sexuelles mit Crowley denken.

Er würde sich wohl nie daran gewöhnen, dass der Drache ohne Schamgefühl seine Kleidung an- oder ablegte. Auch Dominique hatte das Gesicht abgewandt und auf ihren blassen Wangen war ebenfalls ein leichter Rotschimmer zu sehen. Adam würde sich erst wieder umdrehen, wenn Domi es tat, um nicht zu riskieren, Crowley offen anzustarren.

Es reichte, dass sein Kopf ihn sehr deutlich daran erinnerte, wie sich diese nackte Haut unter seinen Händen angefühlt hatte. Kaum hatte er sich wieder umgedreht, erwischte er sich dabei, wie er trotzdem starrte. Nicht, weil Crowley so wenig anhatte, sondern weil ihm die Kleidung aus Oboros so gut stand.

Oboros war ein Königreich des Handels, da das Land selbst nicht genügend Rohstoffe produzieren konnte. Viele Familien waren zu fahrenden Händlern geworden und hatten sich so einen Namen gemacht.

Dominique legte den Kopf schief und formte die einfachen Worte: »Steht ihm gut.«

Adams Meinung nach war das eine Untertreibung.

Das Gewand, das Crowley trug, bestand aus einem langen, roten Mantel, der seinen Körper umhüllte und bei jedem Schritt um seine Beine floss. Er hatte weite Ärmel, die bei jeder Bewegung elegant schwangen, und einen hohen Kragen, der mit Edelsteinen besetzt war. Dominique trat hinter den Drachen und band dessen Haare hoch. Adam bemerkte, wie dieser sich leicht verspannte, doch er griff die Hexe nicht an.

Anscheinend war für den Moment eine Waffenruhe zwischen den beiden eingekehrt. Das würde ihre Reise erleichtern.

Crowleys braune Augen fanden Adams und mit einem kleinen frechen Grinsen zog der Drache seine Augenbraue hoch, so als ob er sagen wollte: »Gefalle ich dir?«

Mit hochrotem Kopf schnappte sich der Blonde das Bündel, das Domi ihm hingelegt hatte und verschwand zurück in sein Zimmer, um sich in Ruhe umzuziehen.

CROWLEY

Der Schwarzhaarige folgte dem anderen mit dem Blick, bevor er ihn senkte und an sich selbst herabsah. Der Stoff der Tunika war weich gewesen, und das zeremonielle Gewand war mit Metallplatten geschmückt worden. Doch diese Kleidung war noch einmal etwas komplett anderes.

Die Edelsteine und Schmuckperlen entlang der Stickereien und seines breiten Gürtels klickten leise bei jeder Bewegung.

Als Adam zurückkehrte, trug er ein Gewand im selben Stil, doch wo Crowleys blutrot war, leuchtete Adams in einem zarten Grün.

Crowleys Blick landete wieder auf der Hexe.

»Ist dieses Verkleiden wirklich notwendig?«

Wenn er seinen Kopf drehte, hörte er das leise Klingeln von Glöckchen, die sich wohl an seinem Haarschmuck befanden. Der Schwarzhaarige verstand nicht, wofür sie sich so herrichten mussten, wenn sie erst recht wieder tagelang auf der Straße unterwegs waren.

»Ist es, denn mir ist gestern noch eine Idee gekommen«, meinte die hellblonde Frau, während sie das Notwendigste zusammenpackte.

»Crowley, du meintest, dass Tiere Angst vor dir bekommen, richtig? Mir ist ein Kraut eingefallen, aus dem viele Parfum machen, das uns vielleicht helfen könnte.«

Auf der flachen Hand präsentierte Dominique dem Drachen ein kleines Säckchen. Neugierig roch der Schwarzhaarige dran und verzog sofort die Nase bei dem starken Geruch. Eine kleine Menge reichte, seine Nase komplett zu füllen und seinen Geruchssinn zu verwirren. Der Schwarzhaarige nieste einmal hart, wobei sich kleine Rauchfähnchen bildeten.

»Das ist Aurorafleur, eine Blume, deren Geruch so stark ist, dass sie sogar Raubkatzen genug verwirrt, damit sie ihre Beute in Ruhe lassen. Trag das bei dir und ich bin mir sicher, dass wir uns ohne Probleme einer Reiterkarawane anschließen können. Zumindest für eine Weile.«

Adam lehnte sich vor und roch selbst einmal an dem Säckchen. Verwirrt zog er die Augenbrauen zusammen. »Also für mich riecht es einfach blumig und nicht so stark.«

»Das liegt daran, dass du eine menschliche Nase hast«, erklärte Domi. »Für mich riecht sie auch nicht unangenehm, aber Négul und viele Tiere haben bessere Nasen.«

Crowley packte das Säckchen in eine der Innentaschen seiner Kleidung, wo ihm selbst der Geruch nicht allzu viel ausmachte.

»Dann lass uns hoffen, deine Theorie stellt sich als richtig heraus, Hexe.«

Mit Proviant in einem kleinen Beutel auf dem Rücken schloss Dominique hinter ihnen die Tür. Crowley sah sich auf der Straße um. Im Licht des Tages wirkte Vitris auf ihn wie ein Ameisenbau. Jeder musste schnell wo sein und niemand schenkte ihnen mehr Aufmerksamkeit als nötig. Die weißblonde Frau hatte recht behalten.

So früh am Morgen waren eindeutig mehr Menschen unterwegs. Nicht nur einmal wurde Crowley an der Schulter angerempelt oder von der Seite angemault.

Zwar gab sein kräftiger Körper unter den Stößen nicht nach, doch jeder Ellbogen in seine Seite und jede gemurmelte Beleidigung sorgten dafür, dass seine Stimmung immer weiter in den Keller sank.

Als sie an einer Gruppe merklich gelangweilter Ritter vorbeikamen, spuckte einer der Männer vor Crowley auf den Boden. Dieser verzog angeekelt die Nase und funkelte den hageren Mann vor sich an, dessen Rüstung ihn eher trug als umgekehrt.

»Was glotzt du so, Marktschreier? Suchst du Stress?«

Crowley wusste, dass er trotz des eisernen Helms auf dem Kopf des Mannes dessen Schädel mühelos mit einer Hand zerquetschen könnte. Wütend ballte er sie neben seinem Körper. Er würde nicht nur seine Tarnung, sondern auch Adam und die Hexe gefährden, wenn er jetzt unüberlegt einem Menschen den Kopf von den Schultern riss. Dieser Gedanke beruhigte sein kochendes Blut nur mäßig.

Eine warme Hand um seinen Oberarm riss ihn aus dem unangenehmen Starr-Duell mit diesem »Ritter«. Langsam senkte er den Blick und sah Adams Profil und wie dieser nur sanft den Kopf schüttelte. Die blonden Locken hüpften von einer Seite auf die andere und ein leichtes Lächeln umspielte die vollen Lippen des jungen Mannes.

»Vergiss ihn. Den Rittern in der Stadt ist meistens langweilig, wenn nichts zu tun ist.«

Adams blaue Augen waren warm und dämpften die aufkommende Hitze ein wenig. Ohne diesem niederen Pack auch nur noch einen weiteren Blick zu würdigen, gingen die drei an ihnen vorbei in die Richtung des großen Eingangstores. Im Gegensatz zu Adam hörte Crowley jedoch trotzdem ihr Lachen und die größtenteils beleidigenden Worte. Wenn Menschen so wurden, wenn ihnen langweilig war, dann war es um sie schlimmer bestellt als der Drache gedacht hatte.

Und so etwas war Adams Ziel? Ein Ritter zu werden. Ungeniert, selbstverliebt und jedem guten Kern beraubt? Das wollte so gar nicht in Crowleys Weltbild passen. Adams warme Seele war wie eine kleine Lampe in der Dunkelheit. Würde er zu diesen Rittern gehören, würden sie sein Licht in die Fluten werfen und es für immer mit ihrer widerwärtigen Dunkelheit löschen. Das konnte und wollte er nicht erlauben.

Mitten in der Bewegung fror der Schwarzhaarige für einen Moment ein, bevor er seine Füße zwang weiterzugehen. Weder Dominique noch Adam schienen von seinem Straucheln etwas bemerkt zu haben. Wie kam er darauf, dass es in seiner Macht stand Adam etwas zu erlauben oder zu verbieten? Wenn dieser Ritter werden wollte, dann würde er ihm nicht im Weg stehen, welches Recht dazu hatte er?

Missmutig presste Crowley die Lippen aufeinander und folgte seinen Gefährten weg von dem Platz, an dem die Ritter standen und immer noch lachten.

Aus dem Augenwinkel sah er den Blonden an. Die Farben der Händlerkleidung, die Dominique ihm geborgt hatte, passten schon recht gut zu ihm. Trotzdem stellte Crowley sich den jungen Mann in wallenden, roten Gewändern vor. Oder der blau-silbernen Kombination, die Menschen aus Oboros bevorzugten.

Während er so darüber nachdachte, fiel sein Blick auf eines der bestickten Tücher, das umringt von kleinen Statuen und Blumen an einer der Häuserwände hing. Darauf war ein Mann abgebildet, der dem Drachen irgendwie bekannt vorkam. Dieser trug ein langes Gewand aus roter Seide, das mit goldenen Ornamenten verziert worden war. In so etwas konnte er sich Adam vorstellen.

»Was hat es damit auf sich?«, fragte der Schwarzhaarige an Dominique gewandt. Diese sah nur einmal zum Gesicht der Person auf dem Wandteppich, bevor sie sich den offenen Toren der Stadt zuwandte.

»Bald feiern die Einwohner von Vitris dem Allkönig zu Ehren ein Fest. Ich bin froh, dass ich nicht dabei sein muss. Letztes Jahr war es so laut, dass ich kaum ein Auge zu machen konnte.«

Crowley betrachtete das Bild des Mannes. Das war also der Allkönig?

Letzte Nacht waren ihm die verteilten Abbildungen kaum aufgefallen, aber im Licht der Sonne konnte er jedes bestickte Detail erkennen. Er studierte das Gesicht und die Kleidung des Königs auf dem bestickten Stück Stoff. Dabei erinnerte er sich an Dominiques Worte der vergangenen Nacht. Was wäre, wenn die Gerüchte stimmen würden?

Der Schwarzhaarige hatte im Dorf von Cain erfahren, dass Adam von seinem Onkel großgezogen worden war. Hatte Adam nicht das Recht zu erfahren, dass er vielleicht königliches Blut in sich trug? Doch er hatte Dominique versprochen, nichts zu erzählen. Nicht nur, dass er damit ihre Mission in Gefahr brachte, er würde damit auch Adams Weltbild einreißen. Und die Geschichten mussten auch nicht wahr sein.

Die Kohlezeichnung hatte ein Kind abgebildet, das Adam sehr ähnlichgesehen hatte, doch viele Menschenkinder sahen einander ähnlich. Crowley wollte nicht riskieren, dass er Dominique als temporäre Verbündete verlor. Sie kannte die Akademie und war sein einziger Funken Hoffnung, doch noch Rache an der Familie Nachtgrim nehmen zu können.

Rubertus Nachtgrim war damals das Familienoberhaupt gewesen und derjenige, der Crowley über Monate hinweg gequält und beinahe getötet hatte.

Es hatte Jahre gedauert, bis er nach seiner Gefangenschaft heraugefunden hatte, wem das Schiff, in dessen Bauch er nächtelange Albträume durchstehen musste, gehörte. Dieser verfluchte Nachtgrim war ein Kuriositätenhändler, der mit Körperteilen gefangener Négul handelte.

Vielleicht lagen Crowleys Schuppen bei irgendeinem verrückten Sammler zuhause in einer Kiste. Allein der Gedanke daran ließ einen kalten Schauer über seinen Nacken rieseln.

Er würde jeden übrig gebliebenen Nachtgrim jagen und genauso ausbluten lassen, wie er selbst geblutet hatte.

Der Gedanke an das Monster seiner Gefangenschaft, ließ seinen Geist zurückwandern. Zurück in den Schiffsbauch, in den viel zu kleinen Käfig, wo Stunden zu Tagen wurden und Wochen zu Monaten.

Zeit hatten Drachen genug, aber allein zu sein, umgeben von nichts als dem Rauschen der Meere, dem Geruch nach Seetang und verbranntem Fleisch ließ auch den Stärksten unter ihnen als gebrochenes Wesen zurück.

DRACHEN JUNGES

Die Dunkelheit war überall. Sie kroch Crowley in den Kopf, legte sich auf seine Brust und drückte unerbittlich zu.

Sein Körper war bereits taub und der Geruch nach verbranntem Fleisch und Blut hatte ihm die Sinne vernebelt. Er war sich sicher, dass er in diesem Käfig sterben würde. Noch nie zuvor hatte er solch eine Angst vor dem Tod gehabt.

Die Menschen kamen, um ihm diese schrecklichen Dinge anzutun und verschwanden wieder. Dann war er allein in der Dunkelheit und nur das sanfte Hin- und Herwiegen des Schiffes hielt ihn bei Bewusstsein. Durch die monotone Bewegung klirrten seine Fesseln laut, wenn sie gegen die Eisenstäbe seines Käfigs schlugen.

Wenn er allein war, begannen seine Gedanken zu kreisen. Manchmal schloss er die Augen und stellte sich den Himmel vor, das weite Meer und die Wälder, die ihm so sehr fehlten. In diesen Momenten beschleunigte sich sein Herzschlag.

Die Bilder der weiten Ebenen unter ihm, wenn er durch die Lüfte flog. Der Schatten seines Bruders neben seinem.

Sein Bruder. Sein Beschützer.

Es begann als ein leises Flüstern in seiner Brust. Ein winzige Funke, der seinen Kern wieder aufs Neue entzündete. Der Muskel in seiner Brust begann in einem stärkeren Rhythmus zu schlagen, als ob es sagen würde: Nein. Ich sterbe hier nicht.

Seine Klauen krallten sich in den Boden. Er biss die Zähne zusammen, und drückte seinen massigen Körper gegen die Eisenketten. Sie gaben nicht nach und schnitten ihm sogar in die vielen offenen Wunden entlang seines Körpers, doch Crowley biss sich durch den Schmerz und spannte seine Beinmuskeln an, um sich gegen den kalten Käfigboden zu stemmen. Ein leises Geräusch entkam seiner Kehle.

In ihm regte sich etwas - eine Wut, eine Art Trotz. Die Menschen hatten alles getan, um ihn zu Boden zu werfen, ihn zu erdrücken, ihn zu brechen. Aber irgendetwas in ihm weigerte sich zu sterben.

Sein Atem ging stoßweise, schwer, aber er atmete. Solange er noch atmete, gab es eine Chance, einen Weg. Egal, wie schwach er sich fühlte, egal, wie unmöglich der nächste Schritt erschien. Der Gedanke war wie ein Lichtstrahl in der Dunkelheit. Winzig, kaum zu sehen, aber er war da.

Dann war da ein Geräusch in der Dunkelheit, das den Drachen innehalten ließ. Waren die Menschen zurückgekommen, damit sie ihn weiter quälen konnten? Sofort jagte ein Schauer der Angst durch seinen Körper und seine Beine zitterten.

Doch aus den Schatten löste sich nur eine einzige Gestalt. Ein junges Mädchen, mit dreckigen Wangen und Kleidung, die an ihrem dünnen Körper herunterhing. Ihre blauen Augen lenkten die Aufmerksamkeit des Drachen auf ihr Gesicht. Sie gehörte nicht zu den Menschen, die immer wieder kamen. Er hatte sie noch nie zuvor gesehen.

Langsam trat sie näher an den Käfig heran und der Drache knurrte warnend. Mit zitternden Armen hob das Mädchen die Hände, sie war unbewaffnet und Crowley roch ihre Angst durch den dicken Nebel aus Blut und Eisen um ihn herum.

Vorsichtig deutete sie mit einem Finger auf die schweren Ketten, die den schwarzen Drachen am Boden hielten, und die dicken Gitterstäbe des Käfigs. Was wollte sie ihm damit sagen?

Crowley gurgelte ein leises Geräusch durch seine Fesseln um die Schnauze.

Das Mädchen warf einen schnellen Blick über seine Schulter, bevor es die Holztreppe entlang nach oben lief zu der Luke, aus der die grausamen Menschen immer kamen.

Für einen Moment befürchtete der Drache, dass sie seine Peiniger hereinlassen würde, doch kaum hatte das schmächtige Wesen die Holztür aufgedrückt, hörte er Singen und Gelächter. Ein leicht säuerlicher Geruch breitete sich im Bauch des Schiffes aus.

Das Mädchen kam zurück an den Käfig und legte einen Finger an ihre Lippen.

»Sie feiern gerade oben. Ich konnte Herrn Nachtgrim die Schlüssel abnehmen und werde dich hier rausholen. Aber du musst schnell sein, hörst du? Wenn sie dich noch einmal fangen, werden sie dich töten.«

Ihre Stimme war ein heiseres Krächzen und passte so gar nicht zu dem lieblichen Gesicht, das unter der Schicht aus Staub und Dreck steckte. Crowley sah sein eigenes Spiegelbild in den blauen Augen des Mädchens. War das ein Trick und sie steckte mit seinen anderen Peinigern unter einer Decke?

Doch sein Herz klammerte sich an den letzten Funken Hoffnung, die Freiheit war so nah. Er hörte das Meeresrauschen jetzt deutlich durch die geöffnete Luke.

»Wir müssen schnell sein, bevor sie die offene Luke bemerken«, ermahnte das Mädchen und begann an den schweren Schlössern rund um seinen Käfig zu hantieren.

Sie hatte schnelle Finger und konnte schon bald ihr Gewicht gegen die schwere Eisentür stemmen, die den Käfig verschloss. Als nächstes waren die Ketten dran.

Crowley zuckte leicht zusammen als das Mädchen zu ihm in den Käfig trat. Dieser war gerade so hoch, dass er den Kopf nicht heben konnte und sie war so klein, dass sie ihren Kopf nicht einziehen musste. Seine Augen verfolgten ihre Bewegungen, zu sehr fürchtete er wieder diesen stechenden Schmerz zu spüren, wann immer sich ihm ein Mensch in der letzten Zeit genähert hatte. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen spürte er den Druck der Ketten um seinen Körper leichter werden, bis sie mit einem viel zu lauten Geräusch zu Boden fielen.

Die Luke fest im Blick, drängte er sich aus dem engen Käfig, ohne dabei große Rücksicht auf seine Retterin zu nehmen, und steuerte die Holztreppe, die nach oben führte, an. Sein massiger Körper presste sich durch die Luke und passte gerade so durch die Öffnung.

Endlich konnte der Drache seine Flügel wieder ausbreiten und schwang sich ohne zwei Mal darüber nachzudenken in die Luft.

Sein linker Flügel war immer noch nicht verheilt, was ihm erst bewusstwurde, als er versuchte mit kräftigen Flügelschlägen an Höhe zu gewinnen. Er zwang seine Muskeln zu gehorchen, doch seine linke Seite war wie taub. Mit nur einem Flügel war sein Gleichgewichtssinn außer Gefecht gesetzt und mit einem lauten Platschen fiel der schwarze Drache ins Meer.

Alles war besser, als in diesem Käfig eingesperrt zu sein. Sein Herz schlug schwer in seiner Brust, wie eine Trommel, die ihn dazu antrieb, sich zu bewegen.

Weiter.

Doch er war ein Feuerdrache, er konnte nicht schwimmen. Hilflos bewegte er seinen Körper, bis sein Kopf aus dem Wasser schaute. Panisch blähte er die Nüstern und sah sich einen Moment lang um, bevor die Wellen ihn wieder unter Wasser zogen.

Seine Flucht war bemerkt worden, doch es würde seine Zeit dauern das große Schiff für ihn zu wenden. Das musste er ausnutzen. Lieber würde er ertrinken als noch einmal in einem Käfig zu landen.

Noch einmal durchbrach er die Wasseroberfläche, lange genug, damit er sicher sein konnte, dass der Nebel um ihn herum, seine Flucht gut versteckt hatte. Hechelnd beobachtete er die Silhouette des Schiffs, bis sie von den Nebelschwaden verschluckt wurde. Auch die Rufe seiner Jäger wurden immer leiser und leiser.

Er war entkommen. Jetzt musste er nur überleben.

CROWLEY

Draußen vor den Stadttoren hatte sich eine kleine Menschenschar versammelt. Viele von ihnen trugen ähnliche Roben und Mäntel so wie Crowley und Adam es taten. Anscheinend war das die Händlerkarawane, von der Domi ihnen erzählt hatte. Mit der Hand gab sie den beiden Männern an ihrer Seite ein Zeichen zu warten und ging allein zu einer Gruppe rüber.

Crowley wackelte mit einem spitzen Ohr unter dem Stirnband, das ihm Adam kurz vor ihrer Abreise umgebunden hatte. Seine Ohren waren zu auffällig gewesen, deshalb hatte der Blonde ein Stück Stoff, das wohl als Dekoelement vorgesehen war, umfunktioniert, so wie zuvor den Gürtel seiner Tunika.

Trotz des provisorischen Stirnbands hörte er deutlich Dominiques Stimme, wie sie in einer anderen Sprache mit dem Anführer der Gruppe verhandelte. Es dauerte einen Moment, bis ihm der Dialekt bekannt vorkam und er die Sprache der Wüstenbewohner aus Oboros heraushören konnte.

Der Schwarzhaarige lehnte sich etwas zur Seite, wobei seine Schulter die des Blonden berührte. Dieser trat sofort einen Schritt zur Seite und verschränkte die Arme vor der Brust. Verwirrt hob Crowley eine Augenbraue. Das war nun schon das zweite Mal, dass Adam ihm so offensichtlich auswich, wenn er ihn berührte.

Bevor er den Blonden hätte fragen können, ob etwas nicht in Ordnung war, richtete dieser einen einfachen Gedanken an ihn.

»Fass mich bitte nicht an.«

Der Gedanke sorgte dafür, dass Crowley den Kopf drehte und Adam direkt ansah. Ihm war egal, dass es für Außenstehende komisch wirken musste, da sie ihre Gedanken ja nicht hören konnten. Doch er musste das Gesicht des Blonden sehen, ob dieser ihn nur auf den Arm nahm. Aber nichts dergleichen.

Adams Gesicht war eine gleichgültige Maske, lediglich eine kleine Falte war zwischen seinen schön geschwungenen Augenbrauen zu sehen.

»Wo kommt das denn her?«, fragte der Schwarzhaarige verwirrt.

»Ich will einfach nicht, dass du mich für den Rest der Reise so vertraut berührst«, entgegnete der Jüngere und spannte unter den langen Ärmeln seine Oberarme an, als müsste er sich zurückhalten, jetzt nichts Unüberlegtes zu tun.

Sein Kern drohte unter den Schichten an Kleidung, die er trug, aufzuflammen.

»Woher kommt diese plötzliche Einstellung? Bloß weil Dominique dabei ist?«

Crowleys erste Überlegung war, dass es ihm unangenehm sein könnte, wenn jetzt jemand mit ihnen reiste.

Adams Blick wanderte zu der Hexe, die sich soeben von den Händlern abgewandt hatte und wieder zu ihnen zurückkam.

»Lass es einfach sein, Crowley, okay?« Diesmal klang Adam irgendwie… enttäuscht.

Der Schwarzhaarige wurde aus dem jungen Mann einfach nicht schlau. Er dachte seit dem Darshin Devi hätte sich etwas zwischen ihnen verändert. Crowley wollte Adam nach ihrer Aufgabe besuchen. Zumindest mit dem Gedanken spielte er, jetzt da er sich so langsam an seinen Menschenkörper gewöhnte.

Aber ohne Antworten fühlte er sich vor den Kopf gestoßen. Was brachte ihnen ihre Art der Kommunikation, wenn er Adam nicht lesen und somit nicht einschätzen konnte? Er war frustriert, genervt und überreizt. Normalerweise entlud er sich dieser Fülle an Gefühlen durch sein Feuer oder durch einen langen Flug. Beide Möglichkeiten waren gerade außer Frage.

Mit zusammengebissenen Zähnen schluckte er kräftig und löste seine Hände, die sich zu Fäusten geballt hatten. Mit einem Schnauben wandte er sich von Adam ab, gerade als Dominique sie erreichte.

Anscheinend konnte er seine Gesichtszüge nicht schnell genug unter Kontrolle bringen, denn die Hexe zog eine Augenbraue hoch und fragte: »Was ist dir denn über die Echsenleber gelaufen?«

Sie bekam einen finsteren Blick des Drachen zur Antwort. Um die Situation etwas zu entschärfen, hielt sie beiden Männern rasch jeweils einen Holztoken hin und wechselte das Thema.

»Bindet euch das an die Gürtel. Damit könnt ihr euch als Händler dieser Karawane ausweisen, wenn uns jemand aufhält.«

Dominique war keine Strategin, doch anscheinend hatte die blonde Frau noch das eine oder andere Ass im Ärmel. Gemeinsam stiegen sie auf den letzten Wagen und setzten sich auf die dafür vorgesehenen Stoffkissen.