Blackout, Bauchweh und kein' Bock - Timo Nolle - E-Book

Blackout, Bauchweh und kein' Bock E-Book

Timo Nolle

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Beschreibung

Ob Schule, Studium oder Ausbildung: Viele junge Menschen stehen unter enormem Druck. Sie fühlen sich hilflos gegenüber den fachlichen Anforderungen, sie wissen nicht, wie sie sich auf Prüfungssituationen optimal vorbereiten können, verlieren die Motivation und haben Prüfungsangst. Häufig sind ihre Schwierigkeiten auch mit den sozialen Beziehungen in Familie und Freundeskreis verbunden. Durch die gestiegenen Leistungsanforderungen wird die Unterstützung der Lernenden bei diesen Schwierigkeiten immer wichtiger. Für das Gelingen von Therapie und Coaching ist es entscheidend, sich im individuellen Geflecht der Themen zurechtzufinden. Einerseits, um schnell und ergebnisorientiert bei einer Prüfung helfen zu können. Andererseits aber auch, um den persönlichen Entwicklungsprozess der Betroffenen zu unterstützen, denn Prüfungen bieten eine wertvolle Möglichkeit zur Reflexion, zum Lernen und zum Wachsen. Der erfahrene Prüfungscoach Timo Nolle stellt in diesem Band ein wissenschaftlich fundiertes und langjährig praxiserprobtes Prüfungs- und Auftrittscoaching vor. Sein Konzept zeigt die Zusammenhänge zwischen Emotion, Motivation und Pädagogik einleuchtend auf und geht differenziert sowohl auf psychologische Aspekte wie auf Lerntechniken ein. Das Buch ermöglicht damit Lehrkräften an Schulen und Hochschulen, (Studien-)Berater:innen, Coachs, Psychotherapeut:innen und Sozialarbeiter:innen in all diesen Bereichen wirksam zu werden.

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Die Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Die Bücher der petrolfarbenen Reihe Beratung, Coaching, Supervision haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben das weite Feld des »Counselling«. Sie fokussieren zwar unterschiedliche Kontexte – lebensweltliche wie arbeitsweltliche –, deren Trennung uns aber z. B. bei dem Begriff »Work-Life-Balance« schon irritieren muss. Es gibt gemeinsame Haltungen, Prinzipien und Grundlagen, Theorien und Modelle, ähnliche Interventionen und Methoden – und eben unterschiedliche Kontexte, Aufträge und Ziele. Der Sinn dieser Reihe besteht darin, innovative bis irritierende Schriften zu veröffentlichen: neue oder vertiefende Modelle von – teils internationalen – erfahrenen Autoren, aber auch von Erstautoren.

In den Kontexten von Beratung, Coaching und auch Supervision hat sich der systemische Ansatz inzwischen durchgesetzt. Drei Viertel der Weiterbildungen haben eine systemische Orientierung. Zum Dogma darf der Ansatz nicht werden. Die Reihe verfolgt deshalb eine systemisch-integrative Profilierung von Beratung, Coaching und Supervision: Humanistische Grundhaltungen (z. B. eine klare Werte-, Gefühls- und Beziehungsorientierung), analytisch-tiefenpsychologisches Verstehen (das z. B. der Bedeutung unserer Kindheit sowie der Bewusstheit von Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt Rechnung trägt) wie auch die »dritte Welle« des verhaltenstherapeutischen Konzeptes (mit Stichworten wie Achtsamkeit, Akzeptanz, Metakognition und Schemata) sollen in den systemischen Ansatz integriert werden.

Wenn Counselling in der Gesellschaft etabliert werden soll, bedarf es dreierlei: der Emanzipierung von Therapie(-Schulen), der Beschreibung von konkreten Kompetenzen der Profession und der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Psychosoziale Beratung muss in das Gesundheits- und Bildungssystem integriert werden. Vom Arbeitgeber finanziertes Coaching muss ebenso wie Team- und Fallsupervisionen zum Arbeitnehmerrecht werden (wie Urlaub und Krankengeld). Das ist die Vision – und die politische Seite dieser Reihe.

Wie Counselling die Zufriedenheit vergrößern kann, das steht in diesen Büchern; das heißt, die Bücher werden praxistauglich und praxisrelevant sein. Im Sinne der systemischen Grundhaltung des Nicht-Wissens bzw. des Nicht-Besserwissens sind sie nur zum Teil »Beratungsratgeber«. Sie sind hilfreich für die Selbstreflexion, und sie helfen Beratern, Coachs und Supervisoren dabei, hilfreich zu sein. Und nicht zuletzt laden sie alle Counsellors zum Dialog und zum Experimentieren ein.

Dr. Dirk RohrHerausgeber der Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«

Timo Nolle

Blackout, Bauchwehund kein’ Bock

Therapie und Coaching bei Prüfungsangst, Prokrastination und Leistungsdruck

Mit einem Geleitwort von Olaf-Axel Burow

2021

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Beratung, Coaching, Supervision«

hrsg. von Dirk Rohr

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: Heinrich Eiermann

Umschlagfoto: B. Charlotte Ulrich

Redaktion: Dr. Nicola Offermanns

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2021

ISBN 978-3-8497-0395-0 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8343-3 (ePUB)

© 2021 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. + 49 6221 6438-0 • Fax + 49 6221 6438-22

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Inhalt

Geleitwort

Vorwort

Die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie

Die Entstehung des Prüfungscoachings

Lesehinweise

1Grundlagen des Prüfungs- und Auftrittscoachings

1.1Rolle und Selbstverständnis

1.2Drei Perspektiven und Rollen des Prüfungscoachings

1.2.1Lerntechnik und Arbeitsverhalten

1.2.2Selbstregulation

1.2.3Motivation und Blockaden

1.3Zirkuläre Wechselwirkungen

1.4Viele Ansätze, eine Haltung

1.5Selbstbestimmung als Kompass im Prozess

1.5.1Autonomie-Erleben

1.5.2Kompetenz- und Selbstwirksamkeits-Erleben

1.5.3Soziale Eingebundenheit und Beziehung erleben

1.6Selbstbestimmung als Ziel und Prozess

1.7Erleben verstehen

1.8Die Kunst der konstruktiven Haltung

1.9Problem-Erlebensmuster: Kunden, Klagende, Besucher

1.10Phasenmodell

1.10.1Stabilisierung (1. Phase)

1.10.2Empowerment (2. Phase)

1.10.3Integration (3. Phase)

1.11Zwei Arbeitsrichtungen: top-down und bottom-up

1.12Fragen und Aussagen als Intervention

1.13Selbstwertkongruenz

1.14Affirmationen als Integrationsmittel für Veränderungen

1.14.1PAC goes digital: die App »PACffirmation«

2Lerntechnik und Arbeitsverhalten

2.1Theorie

2.1.1Zusammenhang zwischen Lernverhalten und Prüfungsangst

2.1.2Lerntechnik und Arbeitsverhalten in der Psychotherapie?

2.1.3Wie funktioniert Lernen?

2.1.4Drei Säulen der Prüfungsvorbereitung

2.1.5Wechselwirkungen mit anderen Bereichen

2.1.6Haltung im Bereich Lerntechnik und Arbeitsverhalten

2.2Methoden im Bereich Lerntechnik und Arbeitsverhalten

2.2.1Anliegenklärung: Lerntechnik und Arbeitsverhalten

2.2.2Reden über Lernen und Prüfungssituationen

2.2.3Mentale Landkarte

2.2.4Intervall-Lernen

2.2.5Tägliches Lernen

2.2.6Lernzeit greifbar machen

2.2.7I’ll be back – die Terminator-Planungstechnik

2.2.8Psychologisch orientiertes Prüfungstraining

2.2.9Nützliche Rituale für die passende Einstellung beim Lernen

2.2.10Lieblingsprüfungsaufgabe: Steigerung der Selbstwirksamkeitserwartung

2.2.11Strategien für schriftliche Klausuren

2.2.12Miteinander reden: die wichtigste Art zu lernen

3Selbstregulation

3.1Theorien und Modelle von Aufregung und Prüfungsangst

3.1.1Interferenz-Modell und »Choking under pressure«

3.1.2Selbstregulations-Modell

3.1.3Selbstwert-Modell

3.1.4Die Polyvagal-Theorie: ein neuer Blick auf Prüfungsangst

3.1.5Die Bedeutung der Selbstregulation in Prüfungssituationen

3.1.6Prüfungstrauma

3.1.7Selbstwirksamkeitserwartung

3.1.8Inneres Schrumpfen

3.1.9Selbstregulation durch Atmung

3.1.10Embodiment: Wie die Haltung die Emotion verändern kann

3.1.11Die Macht der Erklärung

3.1.12Wechselwirkungen mit anderen Bereichen

3.1.13Haltung im Bereich Selbstregulation

3.2Methoden im Bereich Selbstregulation

3.2.1Anliegenklärung

3.2.2Reden über Angst

3.2.3Stärkende Kommunikation: Selbstwirksamkeit durch Umfokussierung

3.2.4Power-Talk

3.2.5Anti-Blackout-Training (ABT)

3.2.6Mentale-Stärke-Training (MST)

3.2.7Kopf hoch – positives Embodiment

3.2.8Die fliegende Kiste: Intervention bei Prüfungstrauma

3.2.9Beruhigendes Atmen

3.2.10Atemanhalte-Training

3.2.11Klopfen

4Ziele

4.1Theorie

4.1.1Die Suche nach der Wirksamkeit von Zielen

4.1.2Drei Zielebenen

4.1.3Unterschied zwischen Motivation in der Schule, im Studium und in der Ausbildung

4.1.4Intrinsische und extrinsische Motivation und die Bedeutung der Selbstbestimmung

4.1.5Belohnung und der Korrumpierungseffekt

4.1.6Wechselwirkungen mit anderen Bereichen

4.1.7Haltung bei der Arbeit mit Zielen

4.2Methoden für die Arbeit mit Zielen

4.2.1Anliegenklärung

4.2.2Reden über Ziele

4.2.3Zwischenziele beschreiben

4.2.4Sprung in die Zukunft

4.2.5Das anziehende Ziel finden

5Entscheidungen, Prokrastination und Stagnation

5.1Theorie

5.1.1Entscheidungen sind wichtig für Entschlossenheit

5.1.2Prokrastination als Selbstschutz

5.1.3Stagnation: Das Zielgeradensyndrom

5.1.4Haltung bei Entscheidungskonflikten, Prokrastination und Stagnation

5.2Entscheidungsmethoden

5.2.1Anliegenklärung

5.2.2Aktive Nichtentscheidung

5.2.3Nachträgliche Dafür-oder-dagegen-Entscheidung

5.2.4Katastrophenfrage

5.2.5Verdeckte Aufstellung mit verzögerter Rückmeldung

5.3Methoden bei Stagnation und Prokrastination

5.3.1Anliegenklärung

5.3.2Problem-Lösungs-Balance

5.3.3Verfallsdatum von Möglichkeiten

6Loyalitätskonflikte und komplexe Blockaden

6.1Theorie

6.1.1Loyalität

6.1.2Den hemmenden Loyalitäten auf der Spur

6.2Methode: Ambivalenz- und Blockaden-Check (ABC)

6.2.1Wofür kann der ABC eingesetzt werden?

6.2.2Ablauf des Ambivalenz- und Blockaden-Checks

7Leistungsdruck und Gelassenheit

7.1Theorie

7.1.1Kommt Druck von außen oder von innen?

7.1.2Leistungsdruck und Überarbeitung systemisch betrachtet

7.1.3Subjektive Imperative: Wie aus Leistungserwartung Leistungsdruck wird

7.1.4Wo lauert die Gefahr?

7.1.5Versteckte Imperativkonflikte

7.1.6Schuldgefühle als Blockade

7.1.7Die Macht der Haltung

7.1.8Entstehung von Haltungen in Lern- und Leistungskontexten

7.1.9Bewertung im Kontext

7.1.10Der Einfluss von Eltern und Lehrpersonen auf die Entstehung von Misserfolgsängstlichkeit

7.1.11Perfektionismus oder Lust an Höchstleistung?

7.1.12Leistungssituationen als Differenzierungstraining

7.1.13Gelassenheit in Leistungssituationen

7.1.14Grundbedürfnis nach Autonomie und die fünf Freiheiten von Virginia Satir

7.1.15Wechselwirkungen mit anderen Bereichen

7.2Methode: Imperativ-Transformations-Technik (ITT)

7.2.1Ziel und Haltung mit der ITT

7.2.2Vorbehalte gegen die Auflösung von Imperativen

7.2.3Anschlussmöglichkeiten mit anderen Verfahren

7.2.4Trennung verschiedener Ebenen durch Gesten und Bewegungen

7.2.5Ablauf der Imperativ-Transformations-Technik

8Coaching bei Auftritts- und Redeangst

8.1Auftrittscoaching – nicht nur für Profis

8.2Merkmale von Auftrittssituationen

8.3Unterschied zwischen schriftlicher Klausur und mündlicher Prüfung

8.4Beziehungsdynamik auf der Bühne

8.5Vier Seiten der Auftrittsangst

8.5.1Kompetenzbewusstsein

8.5.2Fehlertoleranz

8.5.3Selbstbewusstsein

8.5.4Verletzlichkeit

8.6Dreischritt für eine gute Struktur bei Auftritten

8.7Dreischritt für Präsenz auf der Bühne

Ausblick

Übersicht der Techniken

Danksagung

Literatur

Über den Autor

Geleitwort

Wege zu Lernfreude, Wohlbefinden und Spitzenleistung

In einer sich schnell wandelnden Welt, die zunehmend durch Globalisierung, Digitalisierung, den wachsenden Gegensatz zwischen Arm und Reich sowie die Folgen des Klimawandels bestimmt wird, stehen wir vor der Herausforderung, die nachwachsende Generation so umfassend zu bilden, dass sie in der Lage ist, zukunftsorientiert mit der immer größer werdenden Komplexität umzugehen. Dies kann nur gelingen, wenn sie über die »21st Century Skills« verfügt, die Trilling und Fadel (2012) in ihrer wegweisenden Studie als »Learning for life in our times« beschreiben. Das Lernen für ein Überleben im 21. Jahrhundert basiert demnach auf der Befähigung zu kritischem Denken und Problemlösen, zu Kommunikation und Kollaboration sowie zu Kreativität und Innovation. Hier stellen sich zwei Fragen: Wie werden Schulen, Universitäten und Bildungseinrichtungen diesem umfassenden Anspruch gerecht? Und was können wir tun, damit – wie ich es in Positive Pädagogik (Burow 2011) beschrieben habe – Lernfreude mit Wohlbefinden und Spitzenleistungen verbunden wird?

Was die erste Frage betrifft, kommen wir zu einer desillusionierenden Erkenntnis bezüglich der Zukunftsfähigkeit von Bildungseinrichtungen. Zu viele sind traditionellen Belehrungsformaten verhaftet, setzen nach wie vor auf frontale Vermittlung von Wissen, das nach Fachgebieten aufgeteilt ist und zudem häufig in unpersönlichen Multiple-Choice-Klausuren abgefragt wird. Zeitgemäße, persönlichkeitsbildende, Kreativität und Engagement fördernde Lehre sieht anders aus. Durch die einseitige Fixierung auf unpersönliche, überwiegend kognitive Wissensvermittlung werden Lehrende wie Lernende gleichermaßen überfordert: Während Erstere häufig Schwierigkeiten haben, ihre Adressaten zu erreichen, sehen sich Letztere zu selten in ihren Talenten erkannt, weswegen eine beträchtliche Anzahl Motivations- und Überforderungsprobleme entwickelt. Diese Diagnose gilt gleichermaßen für zu viele Unterrichtsangebote von Schulen wie auch zu viele Studiengänge der Universitäten im normierten Bachelor-Master-Format. Schulen, aber auch Hochschulen folgen – wie es der Theaterpädagoge Ken Robinson in seinem TED-Talk »Changing education paradigms« eindrücklich darstellt hat – nach wie vor Vermittlungsmustern, die sich am Industriezeitalter und an der Massenproduktion orientieren. Personenzentrierte, auf individuelle Neigungen und Talente zugeschnittene Angebote, wie sie die Humanistische Psychologie und die Positive Pädagogik entwickelt haben, bleiben die seltene Ausnahme.

Hinsichtlich der zweiten Frage hat der Chefarzt Michael Schulte-Markwort der kinderpsychiatrischen Universitätsklinik Hamburg unter dem erschütternden Titel Burnout Kids (2016) gezeigt, wie »das Prinzip Leistung unsere Kinder überfordert«. Dort beschreibt er, dass ca. 20 % der Grundschüler psychosomatische Symptome der Überforderung zeigen, die bisweilen bis zur »Erschöpfungsdepression« reichen. Ähnliche Erkenntnisse gibt es im Hochschulbereich, und die Tatsache, dass ca. 1/3 der Studierenden ihr Studium vorzeitig abbrechen, macht deutlich, dass wir zeitgemäße Lehr- und Lernformate, aber auch unterstützende Beratungsangebote benötigen. Die Schulen und Hochschulen tragen einerseits zu dem Leistungsdruck bei, andererseits zeigen sie keine Wege auf, wie die Lernenden damit umgehen können.

Hier setzt Timo Nolle mit seinem wegweisenden Konzept des Prüfungs- und Auftrittscoachings an, mit dem er die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie zu schließen beabsichtigt. Wissenschaftlich fundiert seziert er die komplexen Zusammenhänge zwischen Lehr- und Lernkonzepten, Lern- und Arbeitstechniken, Prüfungsängsten sowie Blockaden und Motivation und bietet ein integratives Arbeitsmodell an, das nicht nur Therapeuten und Therapeutinnen, sondern auch Lehrer und Lehrerinnen hilfreich sein wird. Seine theoretischen Ausführungen münden in einen praxisnahen und vielfältigen Katalog von Methoden und Übungen zur Problembewältigung. Mit der Integration von körperbasierten Elementen in seine Lernmethoden setzt Timo Nolle um, was die Neurowissenschaft schon lange belegt hat – nämlich, dass rationales Denken und intuitive, emotionale und körperliche Prozesse eine Einheit bilden. Die leserfreundlich geschriebene, verständliche und umfassende Darstellung profitiert auch von den Erfahrungen Nolles, die er bei der Konzipierung und Begleitung eines Trainingsprogramms erworben hat, das der Förderung der psychosozialen Basiskompetenzen von Lehramtsstudierenden an der Universität Kassel sowie dem Coaching von Studierenden dient. Wissenschaftliche Hintergründe, Fallbeispiele und praktische Übungen ergeben so eine Mischung, die Therapeuten, Lehrenden und Lernenden gleichermaßen wirksame Hilfe und Anregungen gibt. Die Leser und Leserinnen erfahren, wie sich das Lehren passgenauer und das Lernen effektiver gestalten lässt. Außerdem erhalten sie Einblicke, wie Prüfungs- und Auftrittsängste bewältigt werden können und welche biografischen Hintergründe bei Lern- und Motivationsblockaden wichtig sein können.

Damit ist Timo Nolle zu einem Thema, mit dem vermutlich jeder Mensch im Verlauf seines Lebens zu tun hat, ein wegweisendes Standardwerk gelungen, dem eine weite Verbreitung bei Therapeuten, Lehrenden und Lernenden zu wünschen ist.

Kassel, im Januar 2021

Prof. Dr. Olaf-Axel Burow

Vorwort

Die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie

Ein Schüler sitzt im Klassenraum auf seinem Stuhl. Vor ihm die Klassenarbeit, die maßgeblich über die Einteilung in die Leistungskurse entscheiden wird. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals. Er schwitzt. Das Lesen der Aufgabenstellung wird immer wieder unterbrochen von Fantasien des Scheiterns und Versagens. Hilflosigkeit und Verzweiflung breiten sich in ihm aus.

Eine junge Frau sitzt nachts um 4:30 Uhr vor ihrem Computer. Vier Stunden später soll sie ihre Projektidee vor den Kollegen und Vorgesetzten ihres Unternehmens präsentieren. Sie wünscht sich, dass alle Anwesenden begeistert sein werden, und weiß zugleich, dass dies nicht möglich ist – zu unterschiedlich sind die Vorstellungen von guten Projekten. Sie zweifelt selbst zunehmend an ihrer Projektidee und beschließt, sich für den nächsten Tag krankzumelden.

Eine Studentin lernt für eine Prüfung. Sie wiederholt die Inhalte aus den Lehrveranstaltungen, bis sie diese auswendig wiedergeben kann – genau so, wie sie sich auch in der Schule auf Klausuren vorbereitet hat. Damals war sie mit ihrem Vorgehen sehr erfolgreich, doch im Studium gelingt es ihr meist nur knapp zu bestehen. Sie schlussfolgert, dass sie noch mehr Zeit investieren muss.

Ein Student im 18. Semester verschiebt seit Jahren Prüfungen und Hausarbeiten. Das Studium ist für ihn längst zur Nebensache in seinem Leben geworden. Eine Hauptsache gibt es für ihn allerdings auch nicht, sodass er das Gefühl hat, jemand hätte in seinem Leben die Pausetaste gedrückt.

Prüfungen und Auftrittssituationen gibt es überall: in der Schule, in der Ausbildung, im Studium, in Unternehmen oder in Fort- und Weiterbildungen, im öffentlichen, privaten und institutionellen Raum, in der Fahrschule wie im Sportverein. Es gibt schriftliche Klausuren, Vorträge und Referate, mündliche Prüfungen, Assessments, Leistungstests, Probespiel in der Musik, Reden auf Geburtstagsfeiern, Produktpräsentationen in Unternehmen, Abschlussarbeiten im Studium und Handwerk.

Neben expliziten gibt es auch implizite Prüfungen und Auftrittssituationen. Sie fühlen sich nur für die Person selbst wie eine Prüfung oder ein Auftritt an: das erste Mal alleine Zug fahren, Gedichte vortragen unter dem Weihnachtsbaum, den Computer konfigurieren, die Steuererklärung, sich auf einer Party vorstellen, in der Öffentlichkeit seine Meinung sagen oder in einer Fremdsprache einkaufen. Im Verlauf der Schulzeit schreiben Schüler hunderte Prüfungen und halten Referate. Im Studium oder in der Ausbildung kommen weitere hinzu, die zudem oft deutlich umfangreicher und bei Nichtbestehen mit empfindlichen Konsequenzen verbunden sind.

In vielen Familien mit schulpflichtigen Kindern oder in Studierenden-WGs hängt der Prüfungsplan am Kühlschrank und gibt den Takt an. Und dieser Takt ist oft gefürchtet: Studien zufolge haben bis zu 52 % der Schüler Prüfungsangst (Fehm u. Fydrich 2011, S. 14). Bei Studierenden ist die Quote etwas geringer, was vermutlich daran liegt, dass sich viele Schüler wegen ihrer Prüfungsangst gegen ein Studium entscheiden.

Die Schulzeit, die Studien- und Ausbildungszeit und die kleinen und großen Alltagsprüfungen hinterlassen bei vielen Menschen psychische Narben. Eine kritische Diskussion der gesundheitlichen Nebenwirkungen von Schule, Studium und Co. findet auf politischer und gesellschaftlicher Ebene leider kaum statt. Obwohl dies auch in diesem Buch nicht im Vordergrund steht, soll es zu mehr Freude und persönlicher Weiterentwicklung in Lern- und Leistungskontexten beitragen.

In Anbetracht der psychischen Belastung durch Prüfungen gibt es erstaunlich wenige spezifische Unterstützungsmaßnahmen – weder innerhalb der Institutionen (z. B. durch die Lehrkräfte) noch außerhalb in Form von Beratungsangeboten. Schüler bekommen in aller Regeln nicht vermittelt, wie sie mit mental belastenden Leistungssituationen oder auch mit Misserfolgserlebnissen gut umgehen können. Meist gibt es nur die Wahl zwischen mehr Lernen oder psychotherapeutischer Behandlung. Prüfungscoaching füllt die Lücke zwischen Nachhilfe und Psychotherapie.

Nachhilfe in Schule und Studium beschränkt sich meist auf eine Wiederholung des Lernstoffs im Einzelsetting oder in einer Lerngruppe, die kleiner als in der Schulklasse oder im Hörsaal ist. Sie wird i. d. R. von Menschen mit hoher Fachexpertise angeboten. Dahinter steht die Idee, dass eine Steigerung der Lernzeit und einer Intensivierung des Lernens durch eine engere Betreuung zur Verbesserung der fachlichen Leistung führt. Das kann stimmen, wenn die Betreffenden die Lerninhalte tatsächlich nicht ausreichend verstanden haben und allein deswegen Ängste in Prüfungen entwickeln. Wenn Nachhilfe jedoch der einzige Lösungsversuch ist und die Ängste und Schwierigkeiten trotzdem bestehen bleiben, wird das Problem-Erleben oft noch größer.

Wenn im nächsten Schritt die Ängste gegenüber Prüfungen als psychische Störung assoziiert werden, kann dies Schamgefühle auslösen. Die Schwelle, sich professionelle Unterstützung zu suchen, steigt. Zudem sind Therapieplätze derart knapp, dass man oft Wartezeiten von mehreren Monaten in Kauf nehmen muss. Für die unmittelbar anstehende Prüfung kommt die Unterstützung oft zu spät, wodurch sich Ausbildung oder Studium deutlich verzögern können.

In diesem Buch geht es mir darum, Ihnen die niederschwellige Denk- und Arbeitsweise des Prüfungscoachings näherzubringen. Ich möchte Ihnen Lust machen, Ihre eigenen Lern- und Leistungssituationen mit mehr Freude sowie persönlicher Weiterentwicklung zu verbinden und dies auch Ihren Klienten, Patienten, Schülern, Kindern oder Partnern zu ermöglichen. Dieses Buch richtet sich daher an alle Menschen, die professionell direkt oder indirekt mit den Herausforderungen in Lern- und Leistungssituationen zu tun haben: Psychotherapeuten, Lehrkräfte, Berater, Schulleiter, Ausbilder, Sozialpädagogen, Coaches, Trainer, Eltern u. v. m.

Die Entstehung des Prüfungscoachings

2014 stand ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Lehrerbildung (später am Service-Center Lehre) der Universität Kassel vor der Aufgabe, ein niederschwelliges Beratungsangebot für Studierende zu entwickeln. Das Ziel sollte sein, bei Schwierigkeiten im Studienverlauf Unterstützung anzubieten. In einer repräsentativen Studie (Ortenburger 2013, S. 103) gaben Studierende damals an, dass Lern- und Leistungsstörungen sowie Überforderung und Ängste für sie die größten Schwierigkeiten darstellen. Zugleich gibt es aus Sicht der Studierenden zu wenige speziell auf Leistungssituationen ausgerichtete Beratungsangebote an Universitäten und Hochschulen.

Ich entschied mich, ein Coaching-Angebot explizit für Prüfungsund Leistungssituationen anzubieten: Lern- und Prüfungscoaching(Nolle 2017a). Damit traf ich offenbar einen Nerv, denn seit 2014 ist dieses Angebot an der Universität Kassel sehr stark nachgefragt. Hinzu kamen auch Anfragen von außerhalb der Universität, weshalb ich zusätzlich eine private Praxis für Systemische Therapie und Prüfungscoaching in Kassel gründete.

Während es 2014 nur sehr wenige vergleichbare Angebote an anderen Hochschulen gab, zeigt sich 2020 ein anderes Bild. An vielen Universitäten und Fachhochschulen wird mittlerweile Prüfungscoaching nach dem Vorbild der Universität Kassel angeboten. Und auch an Schulen ist ein zarter Trend zu beobachten, Lernende nicht nur fachlich zu unterstützen, sondern auch hinsichtlich des Umgangs mit Leistungserwartungen.

In der Entwicklungsphase des Prüfungscoachings recherchierte ich hinsichtlich passender Beratungskonzepte bei Schwierigkeiten in Lern- und Leistungskontexten. Im Buchhandel finden sich diverse Ratgeber zur Bewältigung dieser Schwierigkeiten. Es gibt Bücher zu Prüfungsangst, zu Prokrastination (»Aufschieberitis«) und zu Lern- und Arbeitstechniken. Viele Beratungsstellen an Universitäten und Hochschulen geben dazu eigene Empfehlungen in Form von Broschüren heraus. Auch Selbsthilfeseiten im Internet, Blogs und Youtube-Tutorials gibt es einige.

Ebenso gibt es zwar relativ viele psychologische Studien z. B. zum Zusammenhang zwischen Leistungsrückmeldung und Misserfolgsängstlichkeit (s. S. 204), aber Konzepte für Beratung, Coaching oder Therapie bei Schwierigkeiten in Lern- und Leistungskontexten sind kaum zu finden (Fehm u. Fydrich 2011, S. 4). In einem der wenigen psychotherapeutisch ausgerichteten Werke zum Thema Prüfungsangst merken Fehm und Fydrich an: »Umfassendere psychotherapeutische Ansätze […] zur Intervention bei behandlungsbedürftiger Prüfungsangst wurden bislang nicht publiziert« (ebd., S. 37).

Im Blick auf Prokrastination sieht die Sache etwas besser aus: Zu aufschiebendem Verhalten gibt es neben guten Ratgebern (Rückert 2014) einige Veröffentlichungen für die Therapie, die allerdings überwiegend klinisch aufgebaut sind. Es fehlen minimalinvasive Konzepte, vor allem für Beratungssituationen (Studienberatung, Beratungslehrkräfte, Schulsozialarbeit etc.). Zudem werden die meisten Veröffentlichungen zu Schwierigkeiten in Lern- und Leistungskontexten der Komplexität nicht wirklich gerecht. Prüfungsangst, Motivationsschwierigkeiten und Lerntechniken werden nur selten im Zusammenhang gesehen. Auch die Unterschiede zwischen Schule und weiterführenden Bildungsgängen (Ausbildung und Studium) werden kaum diskutiert.

Ich begann also, in verschiedenen therapeutischen, beraterischen und pädagogischen Richtungen und Verfahren zu »wildern«, Methoden zu mischen und weiterzuentwickeln. Ich dokumentierte, testete, verwarf und optimierte. Irgendwann verfügte ich über eine umfangreiche Sammlung von Technik-Skizzen und dazu passenden Fallbeispielen, die ich immer wieder reflektierte und auf musterhafte Zusammenhänge untersuchte. Dabei kamen mir drei meiner persönlichen Hintergründe zugute:

Als Erziehungswissenschaftler mit dem Schwerpunkt Lehrerbildung kenne ich mich mit Lernprozessen und Unterricht aus.

Als Trainer für Sport- und Wettkampfklettern mit eigener jahrzehntelanger Leistungssport-Erfahrung ist mir der Umgang mit mentalen Belastungen sehr vertraut.

Als Systemischer Therapeut interessieren mich die kommunikativen Muster und Beziehungsstrukturen, mit denen subjektive Wirklichkeiten erzeugt und aufrechterhalten, aber auch verändert werden können.

Das daraus entwickelte mehrdimensionale, systemische Verständnis von Schwierigkeiten in Lern- und Leistungskontexten stellt die Grundlage dieses Buchs dar. 2018 konzipierte ich das Fortbildungscurriculum PAC (Prüfungs- und Auftrittscoaching), um dies auch anderen Therapeuten, Beratern und Coaches, aber auch Lehrern und Sozialpädagogen zugänglich zu machen.

Lesehinweise

Das Buch, das Sie in den Händen halten, ist als Lehr- und Lernbuch aufgebaut. Es soll Ihnen die Denk- und Arbeitsweise des Prüfungscoachings näherbringen. Es dient auch zur theoretischen Vertiefung der Fortbildung PAC (Prüfungs- und Auftrittscoaching).

Die Basis des Prüfungscoachings sind drei Perspektiven, die als Dreieck visualisiert werden (s. Abb. 1):

•Lerntechnik und Arbeitsverhalten

•Selbstregulation

•Motivation und Blockaden.

Schwierigkeiten in Lern- und Leistungssituationen werden als eine mehrdimensionale Mischung dieser Themen mit unterschiedlicher Dosierung verstanden. Diese drei Perspektiven sind in Wechselwirkung miteinander verbunden. Sie erfordern unterschiedliche Denkmodelle über die Zusammenhänge, andere Arbeits- und Interventionsformen und verschiedene Haltungen bzw. innere Ausrichtungen bei den Therapeuten, Beratern und Coachs.

Das Buch ist ebenfalls in der Systematik dieses Dreiecks aufgebaut. Es ist daher empfehlenswert, das Dreieck während des Lesens mental oder physisch präsent zu haben, um das Gelesene darin verorten zu können (s. Abb. 1).

Die Buchkapitel, die die einzelnen Aspekte des PAC-Dreiecks abbilden und im Detail behandeln, sind immer in ein Theorie- und ein Methodenkapitel aufgeteilt. In den Theoriekapiteln werden viele empirisch-wissenschaftliche Studien referiert. Bei aller Kritik, die man aus einer konstruktivistischen Perspektive an diesen Studien haben kann, ist deren Kenntnis aus meiner Sicht wichtig, weil die Akzeptanz der beratenden Fachkräfte in akademischen Systemen wie Schule und Universität auch von deren wissenschaftlicher Fach- und Sachkenntnis abhängt. Obendrein kann hierdurch das Verständnis für die Wirkungsprinzipien mancher Methoden steigen.

Die Methodenkapitel sind hingegen weniger wissenschaftlich, sondern mehr »hands-on«. Die Techniken und das Vorgehen sind konkret und bildhaft beschrieben. An vielen Stellen veranschaulichen Fallbeispiele das Geschriebene. Alle Beispiele stammen aus meiner Arbeit als Therapeut/Coach oder als Referent/Dozent. Sie sind anonymisiert, sodass die Personen nicht mehr erkennbar sind. Die Auswahl der Fallbeispiele spiegelt auch die Themenvielfalt wider, die im Kontext Lernen und Prüfung an die Fachkräfte herangetragen wird: von den ganz alltäglichen Stolpersteinen bis zu existenziellen Themen und Symptomen mit »Krankheitswert«, wie es klinisch arbeitende Kollegen nennen würden. Eine Besonderheit, fast schon eine Eigenheit, meiner Arbeit besteht darin, dass ich mit meinen Klienten fast ausnahmslos beim »Du« bin und daher auch die Fallbeispiele entsprechend formuliert sind. Ich bin mir bewusst, dass dies auf manche Kollegen einen unprofessionellen Eindruck macht. Meine Erfahrung ist jedoch, dass dies gut zu meiner Arbeitsweise passt und eine nützliche Nähe herstellt. Es bringt aber zugleich die Herausforderung mit sich, die Professionalität und notwendige Distanz in der Beziehung bewusst auf anderen Wegen herzustellen.

Ansprache von allen Geschlechtern und mehreren Berufsgruppen

Die Herausforderung zu bewältigen, einerseits gendergerecht zu schreiben und damit allerdings keine allzu großen grammatikalischen Probleme aufzuwerfen, ist mir nicht gelungen. Ich habe mich daher sprachlich für die männliche Form entschieden und bitte alle Lesenden eines anderen Geschlechts, sich auch angesprochen zu fühlen. Wo es möglich war, habe ich neutrale Formulierungen wie z. B. Lernende oder Lehrkräfte verwendet. Die dadurch entstehenden Wechsel bitte ich als anregende sprachliche Musterunterbrechung zu verstehen.

Dieses Buch richtet sich an unterschiedliche Berufsgruppen: Therapeuten, Berater und Coachs, aber auch Lehrkräfte, Fachkräfte in der Schulsozialarbeit u. v. m. Aus Gründen der Lesbarkeit nenne ich immer die Berater und bitte die Angehörigen der anderen Berufsgruppen, sich ebenfalls angesprochen zu fühlen.

1Grundlagen des Prüfungs- und Auftrittscoachings

1.1Rolle und Selbstverständnis

Die Anliegen und Themen von Klienten, um die es in diesem Buch geht, beziehen sich fast immer auf Kontexte mit einer klaren Unterscheidung und Vorstellung von richtig und falsch. In Klausuren in der Schule werden Aufgaben als richtig oder falsch bewertet, oder ein Referat im Seminar eines Studiums fällt mehr oder weniger zur Zufriedenheit der Lehrenden aus. Auch wenn keine äußere Bewertung stattfindet, erfolgt im Kopf der Klienten oft trotzdem eine Bewertung nach richtig und falsch. Zudem ist die Freiheit an Schulen, Hochschulen, Universitäten und auch im beruflichen Kontext mehr oder weniger eingeschränkt. Die Schulpflicht zwingt Kinder in die Schule, und wenn sie sich später für eine Ausbildung, ein Studium oder einen Beruf entscheiden, unterliegen sie bestimmten Regeln, die sie nicht selbst aufgestellt haben.

Wenn sich Lernende wegen ihrer Schwierigkeiten Unterstützung suchen – z. B. wegen einer nicht bestandenen Prüfung –, tun sie das einerseits freiwillig, andererseits bestehen diese Schwierigkeiten meist erst vor dem Hintergrund des Bewertungskontextes der jeweiligen Institution, von dem aus die Unterstützung als Notwendigkeit empfunden wird. Der Anlass für die Anliegen der Klienten wird oft erst mit den jeweiligen kontextuellen Regeln und Bewertungsmaßstäben nachvollziehbar. Fast ausschließlich ist der Anlass das mehr oder minder ausgeprägte Scheitern an wie auch immer gearteten Lern- und Leistungsherausforderungen oder die Unzufriedenheit mit bestimmten Ergebnissen. Das, was jemand tut, wie jemand ist, was jemand kann, entspricht innerhalb eines bestimmten Bewertungsschemas nicht den definierten Anforderungen. Analog dazu geht es den meisten Klienten mehr oder minder um die Frage, wie sie diesen Anforderungen entsprechen oder wie sie damit umgehen können. Das Anliegen der Klienten steht damit oft in direkter Korrespondenz zum Bewertungskontext und den darin geltenden Regeln.

Bei der Arbeit mit Menschen, die in Lern- und Leistungskontexten Schwierigkeiten erleben, kommt man nicht umhin, sich gegenüber diesen Bewertungskategorien und den gesetzten Regeln und Grenzen zu positionieren. Dies führt zunächst zu der Frage: Wer bin ich? Was soll meine Rolle sein?

Bin ich der gute Mentor, der Mut zuspricht? Der Kontrolleur, der den Fortschritt überwacht? Der Menschenoptimierer? Der verlängerte Arm der jeweiligen Bildungsinstitution? Der weise Therapeut für Wunden und Verletzungen? Der allwissende Experte für perfekte Arbeitsorganisation und Lerntechnik? Der abstinent spiegelnde Supervisor?

Mit dem Begriff Prüfungscoaching ist eine Richtung bereits gebahnt. Jedoch bedeutet dies nicht, dass damit auch zwangsläufig die Rolle eines Coaches verbunden ist. Der Begriff Coaching als Bezeichnung für das Unterstützungsangebot ist zieldienlich gewählt. Er steht gewissermaßen auf dem Türschild und soll Anschlussfähigkeit zu den (Bewertungs-)Kontexten anbieten. Im Alltagsverständnis wird Coaching assoziiert mit Training, Besserwerden, Optimieren, Neues Lernen und Einfinden in neue Rollen. Weil er zunächst kongruent mit den inhärenten Bewertungsschemata ist, passt er auch zu dem Problem-Erleben der Menschen in diesen Kontexten. Der Coaching-Begriff ist ein Beziehungsangebot, er erleichtert den Beziehungsaufbau mit dem Kontext der Person. Hingegen erleichtert er nicht unbedingt den Beziehungsaufbau mit der Person selbst, denn die Personen fühlen sich in den Bildungskontexten mit ihrer Individualität, ihren Bedürfnissen und ihren Talenten oft nicht ausreichend wahrgenommen. Prüfungscoaching ist immer in der Gefahr, sich selbst vor den Karren der gewinnmaximierenden Selbstoptimierung zu spannen oder gespannt zu werden und näher an die Ziele der Institutionen als an die der Menschen zu rücken.

Die Frage nach der Rolle ist mit dem Titel Prüfungs- und Auftrittscoaching also noch nicht beantwortet, und es ist unbedingt zu empfehlen, sich auf keine Antwort festzulegen oder festlegen zu lassen. Zu vielseitig und wechselhaft können die Themen und Prozesse sein, die Menschen in ein Prüfungscoaching einbringen. Entsprechend vielseitig sind auch die Rollen, die wir einnehmen können.

1.2Drei Perspektiven und Rollen des Prüfungscoachings

Der Systematik vom Prüfungscoaching liegt ein mehrdimensionales, zirkuläres Modell von Schwierigkeiten in Lern- und Leistungskontexten zugrunde. Entstanden ist dieses Modell zunächst im Rahmen eines Beratungsangebots für Studierende der Universität Kassel, die Schwierigkeiten im Studium haben. Im Rahmen meiner Selbstständigkeit als Therapeut und Coach habe ich es weiterentwickelt.

Obwohl es sich bei dem Angebot an der Universität Kassel um eine »sortenreine« Beratung zu ganz spezifischen Anliegen handelt, reicht das Themenspektrum der Klienten von konkreten Lernschwierigkeiten über Selbstwertzweifel, Unsicherheit und Sinnkrisen bis hin zu biografischen Familien- und Loyalitätsthemen. Unter dem Deckmantel »Prüfungsangst« verbirgt sich oft ein komplexes Gewebe verschiedenster Themen, die weit über den Schulhof oder den Campus hinausreichen. Die eine Herausforderung besteht darin, methodisch auf der ganzen Klaviatur von Lerntechnik und Arbeitsverhalten über Mental-Training wie im Leistungssport bis zur Reflexion von tradierten Glaubenssätzen sowie Beziehungs- und Familienthemen zu spielen. Eine weitere Herausforderung ist die Geschwindigkeit: Prüfungs- und Auftrittscoaching (PAC) muss häufig extrem schnell wirksam sein. Nicht selten heißt es: heute Coaching, morgen Prüfung. Auch eine einzige Sitzung am letzten Tag vor einer Prüfung sollte nützlich sein.

Nach etwa zwei Jahren Erfahrung mit diesen spezifischen Anliegen beobachtete ich, dass sich Themenkonstellationen bei den Klienten und meine Prozessschritte offenbar wiederholten und einem bestimmten Muster folgten. Bei der Durchsicht Hunderter Beratungsprotokolle identifizierte ich drei zentrale Themenbereiche, die sich getrennt und in Wechselwirkung zueinander betrachten lassen. Diese drei Bereiche bilden ein Dreieck (Abb. 1).

Bei meinem Versuch, die spezifische Dynamik zu verstehen, standen nicht wissenschaftliche Gütekriterien im Vordergrund. Mir ging es darum, ein Prozessmodell zu entwickeln, mit dem sich Beratungs- und Therapieprozesse initiieren lassen.

Die bestehenden theoretischen, wissenschaftlichen Erklärungsmodelle (Fehm u. Fydrich 2011) zum Phänomen Prüfungsangst beruhen meist auf kognitionspsychologischen oder tiefenpsychologischen bzw. psychoanalytischen Ansätzen. Prüfungsangst und aufschiebendes Verhalten werden von vornherein als Problem und Störung definiert und wenig in Wechselwirkung zu anderen Verhaltens- und Erlebensweisen oder in biografischen oder sozialen Zusammenhängen gesehen.

Wissenschaftliche Erklärungsmodelle haben den Anspruch, objektiv richtig zu sein. Die den wissenschaftlichen Studien zugrunde liegenden Erklärungsmodelle stehen daher in Konkurrenz zueinander. Mein Anspruch bestand darin, einerseits die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu nutzen – auch, weil ich dies für die Arbeit in akademischen Kontexten wichtig finde –, andererseits wollte ich die verschiedenen wissenschaftlichen Modelle integrativ nutzen und zu einem Gesamtbild zusammenstellen.

Abb. 1: PAC-Dreieck mit Wechselwirkungen

Das PAC-Dreieck (Abb. 1) ist daher nicht als Diagnoseinstrument gedacht, sondern es ermöglicht die Entwicklung erster nachvollziehbarer und handlungsleitender Arbeitshypothesen über die zirkulären Zusammenhänge. Die Herausforderung liegt darin, wie durch eine Brille mit drei Gläsern zu blicken und die drei Bereiche einzeln und zugleich in ihrer Wechselwirkung zu betrachten. Die sechs Wechselwirkungen sind in Abbildung 1 dargestellt. Die drei PAC-Bereiche sind zugleich mit unterschiedlichen Rollen assoziiert, zwischen denen hin und her gependelt wird.

1.2.1Lerntechnik und Arbeitsverhalten

Innerhalb des Bewertungskontextes, in dem die Schwierigkeiten der Klienten auftreten, existieren meist bestimmte Bewertungskriterien und eine Definition von richtig und falsch. Aus dieser Perspektive heraus lässt sich analysieren, ob z. B. die Lernstrategien effektiv sind und zum Lerninhalt passen, ob die für Prüfungen angewendeten Strategien nützlich sind und ob die verfügbaren Ressourcen (z. B. Zeit zum Lernen) zur Bewältigung der gestellten Aufgaben ausreichen. Der Bewertungskontext ermöglicht ein Denken in Ist- und Soll-Kategorien, anhand derer man den Lernfortschritt bewerten kann. Wenn der Lernfortschritt dem Soll nicht entspricht, ist die Wahrscheinlichkeit zum Bestehen einer Prüfung gering.

Wenn wir im Prüfungscoaching in diesen Kategorien denken, stehen technische Aspekte im Vordergrund. Die Schwierigkeiten der Klienten werden zu technischen Schwierigkeiten, für die entsprechende Lösungen gesucht werden. Die gewählte Rolle ist die eines Lehrers und Experten, der zuerst auf Basis der kontextuellen Bewertungskriterien das Verhalten des Klienten begutachtet und anschließend erprobte Lösungen vermittelt. Es besteht keine Neutralität gegenüber dem Ziel, den äußeren Bewertungskriterien zu entsprechen. Die Beziehung zum Klienten ist eher distanziert, weil der Lehrer als Experte für die Probleme des Klienten gilt, und nicht der Klient. Mit dieser Rolle ist man Teil des Bewertungskontexts, es findet keine Selbstbeobachtung von außen statt. Diese Haltung kann für den Klienten entlastend sein, weil das Problem kein Hinweis auf einen psychologischen Defekt ist, sondern sich durch Techniken verändern lässt.

1.2.2Selbstregulation

Selbst, wenn die fachliche Prüfungsvorbereitung optimal erscheint, kann es in einer Leistungssituation zu einer starken emotionalen und körperlichen Erregung der Klienten kommen, wodurch deren kognitive, kreative und koordinative Leistungsfähigkeit eingeschränkt wird. In dem Fall kann das Potenzial in Leistungssituationen nicht genutzt werden. Menschen, die das erleben, wissen und können eigentlich genug, sie versagen jedoch, wenn es darauf ankommt, und berichten hinterher von sogenannten Blackouts. Angst und Erregung können bereits das Lernen und die Vorbereitung auf die Prüfung beeinträchtigen. Die Konzentration beim Lernen ist dann nicht auf den Lernstoff gerichtet, sondern auf die möglichen negativen Konsequenzen der Prüfung. In der Folge sinkt der Lernerfolg, es entstehen reale Wissensund Kompetenzdefizite.

Wenn im Prüfungscoaching diese Aspekte im Vordergrund stehen, passt die Rolle des Coaches. Das übergeordnete Ziel, den Bewertungskriterien des jeweiligen Leistungskontextes zu entsprechen, wird auch als Ziel für das Coaching akzeptiert. Oft wird dies auch gar nicht thematisiert. Diesbezüglich besteht also keine Neutralität. Anders als bei der Rolle des Lehrers ist hier aber eine andere Beziehung zum Klienten erforderlich. Das Erleben der Klienten, z. B. Prüfungsangst, ist das Ergebnis einer selbsterzeugten Wirklichkeit, basierend auf der subjektiven Verarbeitung der lebensgeschichtlichen, affektiven und kognitiven Beziehungserfahrungen. Entsprechend ist der Klient selbst Experte für sein Problem und verfügt über die entsprechenden Ressourcen zur Veränderung. Die Rolle des Coaches besteht darin, den Klienten dabei zu unterstützen, selbst die für ihn passenden Ressourcen und Lösungen zu finden. Aber auch mit dieser Rolle befindet man sich im gleichen Wertekontext wie der Klient. Das Ziel, den gesetzten Erwartungen zu entsprechen, wird mehr oder weniger stillschweigend akzeptiert. Dies kann gerade bei drängenden Anliegen wichtig sein, wenn es heißt: Ärmel hoch, Augen zu und durch!

1.2.3Motivation und Blockaden

In Lern- und Leistungskontexten gibt es meist nicht nur einen bestimmten Bewertungsrahmen, anhand dessen z. B. Prüfungsleistungen bewertet werden, sondern implizit auch eine Entwicklungsrichtung oder einen Wertekanon. In unterschiedlichem Maße gilt, dass das, was Menschen in der Schule, im Studium, in einer Ausbildung oder im Beruf tun, zu ihrer Weiterentwicklung und Bildung beiträgt oder für den Erhalt einer bestimmten Position sorgt. Wenn dies ins Stocken gerät, wird das von den Betroffenen häufig als Blockade oder Motivationsschwierigkeit bezeichnet. Es kommt zu einer Reduktion der Aktivitäten für Schule, Studium oder Ausbildung. Wichtige anstehende Aufgaben werden verschoben (Prokrastination) oder mit vermindertem Engagement erledigt. Oft entstehen diffuse Ängste im Hinblick auf Prüfungen, jedoch nicht nur singulär in einem Fach, sondern eher ein Hadern mit der Schule, der Ausbildung oder dem Studium generell.

Wenn im Prüfungscoaching die Motivation zum Thema wird, ist die passende Rolle die eines Therapeuten oder Beraters – nicht, weil er heilkundlich tätig ist, sondern weil nun Neutralität gegenüber dem Bewertungskontext und der impliziten Entwicklungsrichtung wichtig ist. Damit löst sich das Prüfungscoaching von dem Ziel, den Bewertungskriterien zu entsprechen. Das sogenannte Problem kann eine neue Bedeutung annehmen. Es kann als Ausdruck einer Ambivalenz verstanden werden und wird so zu einem wertvollen Hinweis auf z. B. nicht ausreichend berücksichtigte Bedürfnisse oder existenzielle Fragen (z. B., ob man wirklich den Beruf will, für den man gerade studiert). Im Unterschied zum Coach geht es dem Therapeuten nicht in erster Linie darum, den Klienten in der Aktivierung seiner Ressourcen lösungsorientiert zu unterstützen, sondern im Reflektieren der Ambivalenz. Mit dieser Rolle wird eine Beobachterposition außerhalb des Bewertungskontexts eingenommen.

1.3Zirkuläre Wechselwirkungen

Die drei Bereiche des PAC-Dreiecks stehen in Wechselwirkung miteinander, weshalb wir sie sowohl einzeln mit ihrer spezifischen Dynamik als auch mit ihrer Wechselbeziehungsdynamik beschreiben können. In der Arbeit mit Klienten kann dies bedeuten, dass ein Klient mit seinem Erleben und Verhalten ganz unterschiedlich erscheint und ganz andere Aspekte wichtig zu sein scheinen – je nachdem, durch welche »Brillengläser« geschaut wird. Dies ist besonders in der Anfangsphase und der Anliegenklärung eines Prüfungscoachings wichtig. Ebenso sollte man die Brille mit den drei Gläser putzen und wieder aufsetzen, wenn der Prozess irgendwie stockt oder das diffuse Gefühl entsteht, dass etwas nicht stimmt.

Die Verbindung der Bereiche Lerntechnik und Arbeitsverhalten mit der Selbstregulation zeigt sich z. B. daran, dass viele Klienten mit Lernschwierigkeiten von Prüfungsangst berichten. Der Lernfortschritt ist gemessen an den Anforderungen unzureichend, es entsteht Angst, nicht zu bestehen. Wenn der Fokus im Prüfungscoaching dann auf die Angst gerichtet wird, ändert dies meist wenig an den fachlichen Schwierigkeiten.

Ebenso gibt es eine Verbindung zum Bereich Motivation und Blockaden. Unpassende Lern- und Arbeitstechniken können frustrieren, weil trotz Anstrengung der Erfolg ausbleibt. In einem solchen Fall suchen Klienten meist wegen der Motivationsschwierigkeiten Unterstützung und zweifeln daran, »auf dem richtigen Weg zu sein«, weil sie nicht vorankommen.

Der Zusammenhang zwischen Selbstregulation und der Lern- und Arbeitstechnik kann sich darin zeigen, dass ein starkes Erregungs-Erleben das Lernen und Verstehen hemmt. Wenn Lernende dies bei der Vorbereitung auf Prüfungen erleben, ist ihr Anliegen im Prüfungscoaching oft, effektiver zu lernen. Damit würde jedoch der Fokus auf (lern-)technischen Aspekten liegen und von der Regulation innerer Prozesse abgelenkt werden.

Hohe Erregung und Prüfungsangst kann sich auch auf den Bereich Motivation und Blockaden auswirken. Die Beschäftigung mit der Prüfung und dem Lernstoff wird reduziert oder abgebrochen, weil damit Angst getriggert wird. Auf diese Weise kann Prüfungsangst zu einem Vermeidungsverhalten führen. Wenn den Klienten ihre Angst peinlich ist, tendieren sie dazu, sie zu verbergen, und zeigen sich stattdessen mit anderen Schwierigkeiten, die ihnen sozial akzeptabler vorkommen. In Therapie, Coaching oder Beratung kann es daher leicht passieren, dass die Prüfungsangst übersehen wird.

Der Bereich Motivation und Blockaden steht ebenso in Verbindung mit dem Bereich Lerntechnik und Arbeitsverhalten. Motivationsschwierigkeiten führen oft dazu, dass die Konzentration beim Lernen schwindet; die Ablenkbarkeit nimmt zu, woraufhin der Erfolg in Prüfungen abnimmt.

Eine Wechselbeziehung mit dem Bereich Selbstregulation besteht, weil der geringe Erfolg in Prüfungen und die Verständnisschwierigkeiten oft in Gefühle von Angst und Versagen münden.

Das Ziel von Beratung im Bereich der Motivation kann es sein, die Klienten in der Reflexion ihres Erlebens und ihrer Situation zu unterstützen. Als hilfreich erweist sich dabei die systemische Grundhaltung, dass man die Angst oder die innere Blockade nicht als Problem oder Defizit definiert, sondern als unbewussten Lösungsversuch der Person in einer komplexen persönlichen Entwicklungsphase mit inneren und äußeren Erwartungshaltungen, die oftmals nicht miteinander vereinbar sind (Mücke 2019).

1.4Viele Ansätze, eine Haltung

Die thematische und methodische Vielfalt im Prüfungscoaching birgt die Gefahr eines inkonsistenten und eklektizistischen Arbeitens, woraus für die Klienten hinderliche Widersprüche entstehen können. Daher ist es wichtig, sich bei aller mentaler Flexibilität an bestimmten Grundhaltungen zu orientieren, die in der Beratung als innerer Kompass dienen.

Selbstbestimmung: Die Förderung der Selbstbestimmung und insbesondere der psychologischen Grundbedürfnisse Autonomie-Erleben, Kompetenz-Erleben und Erleben von sozialer Eingebundenheit ist ein elementarer Bestandteil des Prüfungscoachings (s. S. 31). Auch wenn einige Techniken, wie z. B. das Entwickeln und Nachsprechen von Affirmationen, auf den ersten Blick direktiv und wenig selbstbestimmt anmuten, so ist gerade hierbei die Ausrichtung der Berater auf die Selbstbestimmung der Klienten enorm wichtig. Ob eine Affirmation passt, wird ausschließlich durch die Klienten bestimmt. Somit kann auch eine grammatikalisch falsche und für den Berater inhaltlich nicht nachvollziehbare Affirmation für den Klienten überaus wirksam sein.

Respekt vor dem subjektiven Erleben: Menschen konstruieren ihr Erleben durch die Fokussierung ihrer Aufmerksamkeit. Dieses Erleben ist ihre Realität, in der sie selbst vorkommen und in der sie selbst real sind. Ein Anzweifeln dieser subjektiven Realität würde auch die Person selbst infrage stellen (s. S. 37). Berater können daher höchstens Angebote machen, die eigene Aufmerksamkeit zu explorieren und umzulenken, den inneren Scheinwerfer größer oder kleiner einzustellen und Dinge in ein anderes Licht zu setzen.

Body first: Die psychologische und psychotherapeutische Forschung, wie sie überwiegend an Universitäten gelehrt wird, hat bis vor einigen Jahren den Eindruck vermittelt, der Mensch hätte nur ein kognitiv rational denkendes Gehirn, die Beteiligung des Körpers an emotionalen, motivationalen und kognitiven Prozessen wurde hingegen übersehen. Ebenso wurden Zusammenhänge zwischen psychischen Schwierigkeiten und körperlichen Prozessen wenig berücksichtigt. Lange Zeit waren chemische Prozesse im Gehirn die einzigen körperlichen Vorgänge, die bei psychotherapeutischen Behandlungen berücksichtigt wurden. Dies hängt auch mit der Trennung der Wissenschaftsdisziplinen Physiologie und Psychologie zusammen. Die Erkenntnisse der Polyvagal-Theorie von Stephen Porges (s. S. 85) bieten für zentrale psychologische Phänomene und insbesondere für Ängste und passives, depressives Verhalten physiologische Erklärungs- und Handlungsansätze. Die zentrale Aussage der Polyvagal-Theorie lautet, dass der Zustand des Organismus die Fähigkeiten zum Aufbau von Beziehungen, zum Lernen, zur Kommunikation und zur Nutzung des kognitiven, emotionalen und kreativen Potenzials limitiert. Solange die körperlichen Voraussetzungen nicht passen, kann weder gelernt, noch beraten, gecoacht oder therapiert werden. Emotionale Veränderung ist daher vor allem eine körperliche Veränderung.

Lernen und Entwicklung sind artgerecht: Lernen und Entwicklung sind die natürlichen Richtungen des Lebens. Motivation zum Lernen oder zur persönlichen Entwicklung ist daher nichts, wofür man Energie aufbringen und sich zusammenreißen muss. Motiviert zu sein und sich zu entwickeln ist der Normalzustand. Wenn eine Entwicklung stagniert, jemand also unmotiviert ist, dann liegen psycho-logisch gute Gründe dafür vor, die innerhalb des Systems schlüssig sind.

Potenzialentfaltung: Schule wird von vielen Schülern als ungeheure Last und Qual erlebt. Die als Leistungsdruck erlebten Anforderungen versetzen oft ganze Familien in Aufregung. Eine Klassenarbeit kann Endzeitstimmung am Frühstückstisch erzeugen. Oft leiden die Eltern ähnlich wie die Kinder. Olaf-Axel Burow, der Begründer der Positiven Pädagogik und Autor des Geleitworts zu diesem Buch, weist daraufhin, dass das Glück aus der Pädagogik und Schule unserer heutigen Gesellschaft förmlich verdrängt wurde (Burow 2011). Während Glückseligkeit in früheren pädagogischen Schriften noch als explizites Erziehungsziel auftaucht, sehen wir in heutigen Schulen, in erziehungswissenschaftlichen Veröffentlichungen und auch in der Lehrerbildung andere Schwerpunktsetzungen. Würde es in Schulen, Hochschulen etc. in erster Linie um die Entfaltung des individuellen Potenzials der Menschen gehen, gäbe es andere Schulen mit anderem Unterricht und dieses Buch wäre nicht nötig.