Bleibt Menschen! - Burkhard Hose - E-Book

Bleibt Menschen! E-Book

Burkhard Hose

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Beschreibung

In einer Gegenwart, die an vielen Stellen unmenschlich oder entmenschlicht erscheint, fordert Burkhard Hose in seinem neuen Buch nicht weniger als das Eintreten für eine radikale Humanität. Diskriminierung von Minderheiten, die zunehmende Entrechtung Geflüchteter, Hatespeech in sozialen Netzwerken, aber auch das Erstarken rechtsradikaler Kräfte in Deutschland verlangen nach einer grundlegenden Neuausrichtung. Der Autor setzt sich für eine "Zeitenwende" ein, in der es darum geht, sich persönlich für mehr Empathie zu entscheiden und gesellschaftlich Mitmenschlichkeit an die erste Stelle zu setzen – um jeden Preis. Dabei orientiert er sich an der Botschaft Jesu, der den einzelnen Menschen mit all seinen Brüchen und mit seiner Würde in den Mittelpunkt stellte. Was es heißt, in dieser Spur einfach Mensch zu bleiben und entschiedener mitmenschlich zu leben, zeigt Burkhard Hose in diesem Buch und bezieht dabei immer wieder persönliche Erfahrungen aus seinem zivilgesellschaftlichen Engagement für Geflüchtete und gegen Diskriminierung und aus seiner Arbeit mit Studierenden mit ein.

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Seitenzahl: 98

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie. Detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2025

ISBN 978-3-7365-0578-0

E-Book-Ausgabe

© Vier-Türme GmbH, Verlag, Münsterschwarzach 2025

ISBN 978-3-7365-0667-1

Alle Rechte vorbehalten

E-Book-Erstellung: Sarah Östreicher

Lektorat: Marlene Fritsch

Covergestaltung: wunderlichundweigand

Covermotiv: © ilbusca/iStock.com

www.vier-tuerme-verlag.de

Burkhard Hose

Bleibt Menschen!

Plädoyer für eine empathische Gesellschaft

Vier-Türme-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Vorwort Sei ein Mensch!

Kapitel 1 Sichtbar

Kapitel 2 Vielschichtig

Kapitel 3 Verwundbar

Kapitel 4 Empathisch

Kapitel 5 Solidarisch

Kapitel 6 Wahrhaftig

Kapitel 7 Selbstlos

Kapitel 8 Hoffnungsvoll

Kapitel 9 Konkret

Dank

Anmerkungen

Guide

Cover

Impressum

Buchtitel

VORWORTSEI EIN MENSCH!

Was heißt denn Volk? Sind Christ und Jude eher Christ und Jude als Mensch?Ah! Wenn ich einen mehr in Euch gefunden hätte,dem es genügt, ein Mensch zu heißen!

GOTTHOLD EPHRAIM LESSING, NATHAN DER WEISE

Dass große Teile seiner Familie von den Nazis ermordet wurden, erfuhr Marcel Reif von seiner Mutter. Der Vater hatte bis zum Tod darüber geschwiegen: »Er sprach nicht, und ich fragte nicht.« In seiner Rede zum Holocaustgedenktag am 27. Januar 2024 berichtet der Sportjournalist vor den Abgeordneten des Deutschen Bundestags davon, dass sein Vater Leon diese Traumata wohl von ihm fernhalten wollte. Leon Reif wurde als 18-Jähriger von Berthold Beitz, einem deutschen Unternehmer und dem späteren Krupp-Chef, in Borysław direkt aus dem Güterwaggon, der ihn ins Konzentrationslager bringen sollte, gerettet. Über all dies habe der Vater nicht gesprochen, so Marcel Reif. Erst im Rückblick habe er begriffen, dass alles Erlebte und Verschwiegene in einem schlichten kurzen Satz, den ihm sein Vater oft in warmem Jiddisch mitgegeben hatte, immer wieder durchschimmerte »Sej a Mensch« – »Sei ein Mensch!« Dieser Satz, mal als Mahnung, mal als Warnung, mal als Ratschlag oder Tadel ausgesprochen, sei so etwas wie die Essenz aus allem, was dem Vater wichtig geworden war, »destilliert aus all dem Unmenschlichen der Häscher und Mörder, aus dem Übermenschlichen eines so mutigen Berthold Beitz«, wie Reif in seiner Rede sagte, und aus dem, was dem Vater selbst an Menschlichkeit abverlangt worden sei.

Zum Abschluss seiner Rede, als die Zuhörenden bereits zum Beifall anhoben, setzte Marcel Reif noch einmal zum Sprechen an, beinahe zurückhaltend in der Formulierung, als sei es so etwas wie ein Postskriptum unter seiner Ansprache: »Und wenn Sie es mir erlauben und wenn Sie mögen – gerade heute aus diesem Anlass und gerade hier in diesem höchsten deutschen Hause –, dann lass ich Ihnen den kleinen und doch so großartigen, wundervollen Satz, den mein Vater, Leon Reif, gesagt hat, dann lasse ich Ihnen diesen Satz hier: Sej a Mensch! – Sei ein Mensch!«

Beinahe zeitgleich zu Reifs Rede im Bundestag kam der Film »Zone of Interest« in die deutschen Kinos. Erzählt wird darin das Alltagsleben des KZ-Kommandanten Höß und seiner Familie, die in ihrem »Bilderbuchheim« Mauer an Mauer mit dem Konzentrationslager Auschwitz ein äußerst privilegiertes Leben führten. Der Film zeigt, wie Hedwig Höß den Rosengarten pflegt, Besuch von ihrer Mutter erhält, die Kinder großzieht, für die Gäste ihres Mannes sorgt. Das Leben der Aufseherinnen und Aufseher des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz bewegte sich zwischen Selektion und Morden innerhalb der Lagermauern und freizeitlichen Besuchen von Kulturprogrammen und gemeinsamen Familienfesten außerhalb des Lagers. Der Film führt auf erschreckende Weise vor Augen, wie vermeintlich idyllisch das bürgerliche Leben solcher Familien verlaufen konnte, wenn sie sich hartnäckig genug von Empathielosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber der systematischen Vernichtung jüdischer und nichtjüdischer Menschen leiten ließen. Kaum auszuhalten ist das direkte Nebeneinander von Menschlichkeit im Garten der Familie Höß und Entmenschlichung unmittelbar jenseits der KZ-Mauer. Im Film ist diese menschenverachtende Grausamkeit zwar nicht direkt zu sehen, aber dauernd gegenwärtig, wenn im Hintergrund Schreie der Misshandelten zu hören sind und ab und zu ein rauchender Schlot der Krematorien des Vernichtungslagers auftaucht.

Diese »Normalisierung der Empathielosigkeit« bei gleichzeitiger Sorge für die eigene Familie konnte vermutlich nur funktionieren, weil andere nicht mehr als Mitmenschen gesehen wurden. Der Film führt in erschreckender Weise vor Augen, dass es zu bequem und dabei historisch unzutreffend wäre, sich den Mörder Höß und sein Umfeld als unmenschliche Bestien vorzustellen, die »ganz anders« waren als man selbst. Das Erschreckende ist gerade, dass sie einem in vielem so ähnlich sind. »Ich wollte nicht Massenmörder darstellen, sodass man sich als Publikum davon distanzieren kann und sagen: So bin ich nicht«, sagt der Regisseur Jonathan Glazer im englischsprachigen Trailer des Filmes.

Auschwitz, das größte deutsche Konzentrationslager, ist zum Sinnbild für das Leid geworden, das Menschen anderen Menschen zufügen können. Auschwitz steht dabei nicht nur für das singuläre Verbrechen der Deutschen, sondern auch für den »Zivilisationsbruch«, dessen Möglichkeit jede Gesellschaft in sich trägt. Denn Auschwitz ist ein Produkt der Moderne, erdacht und mit grausamer Präzision realisiert im vielbeschworenen »Land der Dichter und Denker«, im Herzen des »christlichen Abendlands«.

»Sej a Mensch!« – »Sei ein Mensch!« Da steht er nun, dieser Satz, gleichsam abgelegt auf der Schwelle des Deutschen Bundestags. Der Auftrag richtet sich aber nicht nur an die Abgeordneten. Als ich die Rede im Fernsehen mitverfolge, landet das Schlusswort auch bei mir. Und das in einer Zeit, in der ich den Eindruck gewinne, dass die Entmenschlichung zunimmt. Es ist in meinen Augen kein Zufall, dass ausgerechnet »Sei ein Mensch!« zum »Satz des Jahres 2024« erklärt wurde. Die Jury der Aktion »Satz des Jahres« wählt seit 16 Jahren eine prägnante Formulierung aus, die repräsentativ für ein Jahr steht und die vor dem Vergessen bewahrt werden soll. Der Appell sei angesichts zunehmender Intoleranz und Aggressivität »eine ebenso schlichte wie eindringliche Mahnung zu mehr Menschlichkeit«, so das Auswahlgremium. Dass die »Gesellschaft für deutsche Sprache« gleichzeitig den Begriff »Biodeutsch« zum »Unwort des Jahres 2024« kürte, ist ebenso wenig zufällig. Das Wort werde vor allem in den sozialen Medien in rassistischer und nationalistischer Weise gebraucht, teilte die Jury der Sprachaktion zur Begründung ihrer Wahl mit. Die mit dem Gebrauch des Begriffs einhergehende Unterteilung in angeblich »echte« Deutsche und in Deutsche zweiter Klasse sei eine Form von Alltagsrassismus. Die beiden Entscheidungen über den »Satz des Jahres« und das »Unwort des Jahres« zeigen für mich, wie zentral die Frage der Mitmenschlichkeit beziehungsweise der Entmenschlichung gegenwärtig unsere Gesellschaft bestimmt. Denn die Sprache ist Ausdruck der Wirklichkeit. Zugleich wird mir bewusst: Die Wahl unserer Worte prägt umgekehrt auch die Wirklichkeit. Wie wir in einer Gesellschaft voneinander reden, erzeugt Bilder und letztlich Realitäten.

In der ZDF-Dokumentation »Ich bin! Margot Friedländer« richtet die Schoa-Überlebende ähnlich wie Marcel Reif einen eindringlichen Appell an die Nachgeborenen. Es ist ein Resümee aus ihrem Leben und gleichzeitig eine Mahnung in den gegenwärtigen Konflikten: »Wir sind alle gleich – es gibt kein christliches, muslimisches, jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Ihr habt alle dasselbe. Wir kommen alle auf diese Art und Weise auf diese Welt. Wir sind Menschen, nichts anderes. Seid doch Menschen!«

Aber was bedeutet das schon, ein Mensch zu sein? Es sind Menschen, die morden, immer schon. Tiere verüben keine Verbrechen. Der Appell, »menschlich« zu sein, genügt genau genommen nicht. Was den Menschen im Sinne Leon Reifs ausmacht, ist die Mit-Menschlichkeit. Wer kein Mitgefühl mehr zeigen kann, wer aufhört, sich für das konkrete Schicksal eines anderen zu interessieren, wer gleichgültig bleibt, hört letztlich auf, Mensch zu sein.

Inmitten einer Gesellschaft, in der völkische Ideen, Rassismus und Antisemitismus zunehmen, die zunehmend gespalten ist und darüber den Einzelnen unsichtbar macht, suche ich nach dem Verbindenden. Ich will all das in mir und in anderen stark machen, was die Mitmenschlichkeit stärkt. Inmitten einer zunehmend entmenschlichenden Art, übereinander zu reden, suche ich auch nach einer alternativen Form des Sprechens.

Eine wesentliche Ressource ist für mich auf diesem Weg die biblische Tradition. Das sage ich auch in dem Bewusstsein, dass im Namen dieser Tradition so viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Es gibt wohl kaum ein dramatischeres Beispiel für die Entmenschlichung wie die Missbrauchsverbrechen, die unter dem Dach der Kirchen und durch die Kirchen begangen und vertuscht wurden, weil die Unversehrtheit der einzelnen Person weniger wert war als die Befriedigung persönlicher Machtgelüste oder als die vermeintliche Heiligkeit der Kirche. Gleichzeitig ziehen viele aus uralten biblischen Worten und aus der christlichen Botschaft die Kraft, um gegen Unrecht und Entmenschlichung vorzugehen, sich zu solidarisieren und für die Achtung der Würde eines jeden Menschen einzusetzen. Dieser Spur will ich folgen und der Frage nachgehen, wie sich der Satz »Sei ein Mensch!« füllen lässt. Es ist eine Frage, die ich mir auch ganz persönlich stelle, also nicht nur im Blick auf das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Was bedeutet es für mein Sprechen und für die Art, wie ich anderen begegne, ein Mensch zu sein oder menschlich zu bleiben?

KAPITEL 1SICHTBAR

Alan Kurdi war ein zwei Jahre alter kurdischer Junge, der mit seiner Familie aus Syrien geflüchtet war und am 2. September 2015 tot an der türkischen Küste gefunden wurde. Er ist ertrunken – wie so viele Menschen bei dem Versuch, nach Europa zu gelangen. Sein kleiner Körper wurde an den Strand nahe Bodrum geschwemmt. Neben Alan verloren auch sein fünfjähriger Bruder Ghalib und seine Mutter Rehanna ihr Leben. Nur der Vater Abdullah überlebte.

Ein Kind liegt tot am Strand. Eine kurze blaue Hose, ein rotes T-Shirt, sein Gesicht im nassen Sand, von sanften Wellen umspült. Das Bild des auf dem Bauch liegenden kleinen Jungen wurde eine Zeit lang zur grausamen Ikone des Versagens europäischer Flüchtlingspolitik und zum Symbolbild für das Leid, das diese Politik so vielen Menschen zufügt. Bis auf den heutigen Tag ist das so. Unverändert. Aber es ist viel unsichtbarer geworden. Nicht nur, weil es nicht mehr die Cover vieler Zeitschriften ziert.

Eines der Schiffe der privaten Seenotrettungsorganisation »Sea-Eye« bekam 2019 den Namen »Alan Kurdi«. Der Junge sollte nicht vergessen werden und zumindest in dem Bemühen derer, die in Privatinitiative Menschen retten und damit immer wieder in Konflikt mit staatlicher Gewalt geraten, in Erinnerung bleiben. Auf ihrer Website erinnert die Seenotrettungsorganisation daran, dass Abdullah Kurdi am 10. Februar 2019 das Schiff auf den Namen seines jüngsten Sohnes taufte und erklärte, wofür dieser Name steht: »Der Schiffsname erinnerte daran, was wirklich zählt: Menschenleben retten.« Bis die »Alan Kurdi« 2021 außer Dienst gestellt wurde, konnten in zwölf Einsätzen 927 Menschen aus Seenot gerettet werden.

Das Bild des kleinen Alan Kurdi stammt von der türkischen Fotojournalistin Nilüfer Demir. Sie hat es um sechs Uhr morgens aufgenommen. Ein Kind, das eigentlich noch sein ganzes Leben vor sich hatte – ertrunken. Als sei mit ihm nicht nur ein einzelnes kostbares Leben ausgelöscht worden, sondern die Humanität gestorben. Die Aufnahme ist eine Zumutung für all jene, die versuchen, Fassbomben, islamistischen Terror und Fluchttote auf Statistiken zu reduzieren, oder sich hinter Begriffen wie »Dublin-Abkommen« und »Königsteiner Schlüssel« verstecken. Dass in den vergangenen 25 Jahren bis zu 50.000 Menschen auf ihrer Flucht im Mittelmeer ertrunken sind, ist unfassbar. Die Einzelnen mit ihrer Geschichte und mit ihren Hoffnungen auf ein besseres Leben verschwinden hinter der nüchternen Zahl, so erschreckend sie auch ist. Dass Menschen an den Außengrenzen Europas in riesigen Flüchtlingslagern leben oder hierzulande außerhalb der Städte in sogenannten Ankerzentren untergebracht werden, ist nur ein Teil der Strategie, sie im wörtlichen Sinn unsichtbar zu machen und damit ihr Leid zu dethematisieren.