Blinde Verzweiflung - Renate Gatzemeier - E-Book

Blinde Verzweiflung E-Book

Renate Gatzemeier

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Beschreibung

Der unbeherrschte und skrupellose Rüdiger Holm, erwischt seine Frau Linda im Park bei einem Flirt mit einer Zufallsbekanntschaft. Um sich an ihr zu rächen und sie für immer an sich zu binden, schüttet er ihr nachts Schwefelsäure ins Gesicht, sodass sie erblindet. Als man seiner Tat auf die Schliche zu kommen droht, schreckt er auch vor Mord nicht zurück.

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Seitenzahl: 183

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Blinde Verzweiflung

Eine dramatische Geschichte

von

Renate Gatzemeier

Impressum:

Copyright Text: Renate Gatzemeier Copyright Bild: Renate Gatzemeier, Am Mönchberg 17 A,

37115 Duderstadt

E-Mail-Adresse: [email protected]: +49 175 42 90 513

Homepage: https://autorinrenategatzemeier.jimdo.com/

Die Personen und die Handlung sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit ist rein zufällig und nicht gewollt.

Vita:

Die Buchautorin Renate Gatzemeier wurde am

30. April 1951 in Herzberg am Harz geboren. Seit Anfang der achtziger Jahre lebt sie mit ihrem Mann in Duderstadt, einer mittelalterlichen Kleinstadt im Untereichsfeld. Ihre Leidenschaft zum Schreiben hat sie erst mit 59 Jahren entdeckt. Seitdem sind mehr als 40 Bücher entstanden, die aber nicht alle veröffentlicht wurden.

In erster Linie sind es Thriller die sie faszinieren und die sie zu Papier bringt, aber manchmal auch einfach nur ganz normale Geschichten mitten aus dem Leben für Groß und Klein.

Einleitung:

Jeden Morgen von montags bis freitags klingelte pünktlich um vier Uhr fünfundzwanzig der Wecker des neunundvierzigjährigen Rüdiger Holm. Ganz egal, ob er Frühschicht oder Spätschicht hatte, es war immer der gleiche Ablauf. Laut und schrill forderte das Geräusch seine Ehefrau Linda auf endlich wach zu werden. Hastig sprang sie aus dem Bett und tastete sich um das Fußende des Bettes herum zu seinem Nachtschrank.

Zitternd glitten ihre Hände über die glatte Oberfläche auf der Suche nach dem Wecker. Noch nie hatte dieser zwei Tage hintereinander

an ein und derselben Stelle gestanden. Sobald sie ihn gefunden hatte, betätigten ihre Finger den kleinen Schalter, der den durchdringenden Lärm verstummen ließ. Das Herz der Sechsundvierzigjährigen schlug laut und heftig, bis das Prozedere beendet war. Sie ahnte, dass ihr Mann sie bei diesem Unterfangen beobachtete und ihre Unbeholfenheit auskostete. Oftmals hörte sie beim Loslaufen das Klicken seiner Nachttischlampe, doch um seinen Unmut nicht unnötig herauszufordern, beklagte sich Linda nicht ein einziges Mal.

Bislang hoffte sie noch immer, dass der Wecker eines Tages auf ihrer Seite des Bettes stehen durfte.

Ein wohliges Kribbeln in der Magengegend übermannte Rüdiger Holm beim Anblick seiner demütigen Frau, die nicht immer ein derart unterwürfiges Verhalten an den Tag gelegt hatte. Früher verhielt sie sich ihm gegenüber ausgesprochen aufmüpfig und rücksichtslos, aber das war lange her und entsprach nicht mehr den aktuellen Gepflogenheiten.

Heutzutage musste Linda ihm ihre Dankbarkeit täglich aufs Neue beweisen. Dafür, dass er sie und ihren dämlichen Köter weiterhin hier wohnen ließ. Während sie das Bad aufsuchte,

um sich frischzumachen drehte er sich noch einmal genüsslich auf die Seite und schloss die Augen wieder. Er wusste, dass er sich auf Linda verlassen konnte, auch wenn sie in letzter Zeit sehr zerbrechlich wirkte und keinen Wert mehr auf Äußerlichkeiten zu legen schien. Ihre schulterlangen, schwarzen Haare hingen kraftlos herab und verdeckten das einst hübsche Gesicht, dessen braune Augen hinter einer dunklen Brille jeglichen Glanz verloren hatten.

Für den Weg zum Bäcker um die Ecke benötigte Linda durch viel Übung mittlerweile nur noch dreißig Minuten für beide Strecken insgesamt. Hier besorgte sie in aller Eile drei Brötchen, zwei für Rüdiger und eins für sich. Nach ihrer Rückkehr weckte sie ihn um fünf Uhr fünfundvierzig mit seiner geliebten Marschmusik vom CD-Player. Zackig vollführte er die Morgengymnastik am offenen Fenster, um anschließend pfeifend das Bad aufzusuchen. Wenn er sich beim Rasieren schnitt gehörte seine gute Laune danach oftmals schon der Vergangenheit an. Punkt sechs Uhr setzte er sich an den Küchentisch, um die belegten Brötchen und das 5-Minuten- Ei in aller Gemütsruhe zu verzehren. Die

Tageszeitung hatte Linda bereits nach dem Einkaufen aus dem Briefkasten genommen und fein säuberlich neben der Kaffeetasse platziert. Jeden Morgen, wenn er sie aufschlug, stellte er ihr die gleicheFrage.

„Hast du heute eigentlich schon einen Blick in

die Zeitung geworfen?“

Beim ersten Mal hatte Linda noch vorsichtig protestieren wollen in dem Glauben, er könne ihr Handicap für einen Moment vergessen haben, aber sein hämisches Gelächter brachte sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Seither zuckte sie nur noch leicht zusammen, wenn er diesen boshaften Satz von sich gab.

Weil Rüdiger Holm beim Frühstück nicht gestört werden wollte begab sich Linda währenddessen in das angrenzende Schlafzimmer, um die Betten zu machen. Sie würde ihr Brötchen zu einem späteren Zeitpunkt essen, wenn er das Haus verlassen hatte. Im Keller wartete Baldo schon sehnsüchtig auf sein Frauchen. Der einzige Gefährte den Rüdiger Holm noch in der Nähe seiner Ehefrau duldete, alle anderen Freunde

und Bekannten hatte er längst vergrault. Selbst den Umgang mit den Nachbarn wusste er ihr zu verbieten, konnte aber nicht verhindern, dass sich die Frauen gelegentlich zufällig trafen.

„Guten Morgen, mein Süßer“, begrüßte Linda den siebenjährigen Mischlingsrüden. „Hast du gut geschlafen?“ Schon beim Öffnen der Kellertür war er aus seinem Körbchen gesprungen und eilte freudig auf sie zu. Um sein Frauchen nicht zu erschrecken wartete er geduldig ab, bis sie seinen Kopf zu fassen bekam, um ihn hinter den Ohren zu kraulen.

Für Linda Holm gab es neben ihrer Blindheit nichts Schlimmeres, als Unpünktlichkeit und die Angst davor, einen Termin nicht rechtzeitig wahrnehmen zu können. Ihr Ehemann wusste um diese Sorge und schürte diese, indem er alle anfallenden Tätigkeiten auf den letzten Drücker erledigte. Er sah es als sein ganz persönliches Vergnügen an, Linda mit Verspätungen absichtlich zu quälen. Ein krankhaft eifersüchtiger Despot und Sadist, wie er im Buche steht, zumindest was die letzten drei Jahre betraf. Vor dieser Zeit war er lediglich egoistisch und unausgeglichen, aber auch dieses Verhalten war damals schonnur

schwer zu ertragen gewesen. Seit er mit der Tyrannei begonnen hatte, bestand bei Linda der dringende Wunsch sich von ihm zu trennen. Doch wagte sie nicht ihn zu verlassen, da er ihr geschworen hatte, zuerst ihren Hund und danach ihren angeblichen Geliebten zu töten. Später gedachte er auch sie aus dem Weg zu räumen. Linda glaubte ihm diese Worte, denn sobald sie sich seinen Anweisungen widersetzte erfolgte die Strafe auf dem Fuß. Immer wieder ließ er sich neue Bosheiten einfallen, um ihr das Leben zu erschweren. Beispielsweise räumte er absichtlich irgendwelche Gegenstände in den Weg, von denen sie nicht ahnte, dass sie dort standen. Im günstigen Fall stolperte sie nur darüber und kam mit kleinen Blessuren davon, doch gelegentlich fielen ihre Verletzungen derart heftig aus, dass sie einen Arzt konsultieren musste. Fürsorglich begleitete Rüdiger seine Ehefrau bei diesen Besuchen und führte sie liebevoll am Arm in das Sprechzimmer des Hausarztes. Vor dem Mediziner mimte er stets den rührend besorgten Ehemann, zu Hause jedoch strafte er sie mit Nichtbeachtung. Erst vor wenigen Wochen war Linda beim morgendlichen Aufstehen in eine Glasscherbe getretenund

hatte sich dabei die Fußsohle aufgeschnitten. Es gab keine Erklärung dafür, wie dieser Splitter dort hingelangen konnte. Nach diesem Vorfall träumte sie mehr als je zuvor von einem Fortgang. Doch abgesehen von den Drohungen, die er immer wieder ausstieß, stellte sie es sich sehr schwierig vor, im Alter von Mitte vierzig noch einmal ganz von vorn zu beginnen. Vor allem nicht in ihrem Zustand der Hilflosigkeit, wie er immer betonte. Allein der Gedanke daran, dass sie fliehen könnte, wenn nur der Mut dazu vorhanden wäre, ließ sie ihr Schicksal in seiner Gegenwart ein wenig leichter ertragen. Solange noch ein Fünkchen Hoffnung bestand, wollte sie den Glauben an eine bessere Zukunft nicht aufgeben.

Irgendwann einmal hatte sie ihren Mann geliebt, aber das war lange her. Sie sprachen schon seit langer Zeit nur noch das Notwendigste miteinander, hatten sich nicht mehr viel zu sagen. Sarah, ihr einziges Kind, war mittlerweile erwachsen und bereits vor fünf Jahren aus dem Elternhaus ausgezogen. Zu Lindas großem Leidwesen wohnte sie zusammen mit ihrer kleinen Familie mehrere hundert Kilometer von ihrem ehemaligen Zuhause entfernt. Wenn Linda sie und die Enkelkinder sehen wollte, musste sie zu ihnen

reisen, denn Sarah weigerte sich konsequent hierher zu kommen. Sie mochte ihrem sogenannten Vater nie wieder begegnen, weil er ihr schon als Kind zu wenig Beachtung schenkte. Außerdem gab sie ihm die Schuld an der Erblindung ihrer Mutter und deshalb existierte Rüdiger Holm für sie von heute auf morgen nicht mehr. Die starke Sarah hatte es geschafft sich innerlich und äußerlich von ihrem Erzeuger zu distanzieren. Kurz nach dem Wegzug ihrer einzigen Tochter waren Linda und Rüdiger ein einziges Mal zu ihr und ihrem Mann Julius gereist. Unmittelbar nach der Geburt von Fabius, SarahsÄltestem.

Während Linda ihnen einen Besuch abstattete, hatte Rüdiger das städtische Fußballstadion begutachtet. Ihre Enkelin Felizitas, die nur ein Jahr später zur Welt kam, kannte sie nur vom Erzählen am Telefon. Fotos sagten ihr seit dem Vorfall mit den Augen nichts mehr. Immer wieder riet Sarah ihrer Mutter, sich von ihrem aufbrausenden Mann zu trennen und zu ihnen zu ziehen. Aber stets hatte Linda abgelehnt und ihr zu verstehen gegeben, wie zufrieden sie mit ihrer Situation sei. Sarah durfte auf gar keinen Fall von den Morddrohungen ihres Vaters erfahren. Manchmal, wenn Rüdigers Schikanen überhandnahmen, wurde Lindavon

unendlicher Sehnsucht überwältigt, die für den Bruchteil einer Minute hässliche Gedanken in ihr aufkeimen ließen. Einerseits handelte es sich um Selbstmordgedanken, die Linda ein rasches Ende ihres elendigen Daseins versprachen und andererseits sah sie vor ihrem inneren Auge, wie ihr Ehemann in einen tiefen Abgrund stürzte. Diese Art von Geistesblitzen flößte ihr Unbehagen ein und führte zu großen Schuldgefühlen.

Nein, ich darf mich auf derartige Hirngespinste gar nicht erst einlassen, dachte sie, sondern muss durchhalten, bis eines Tages Licht am Ende des Tunnels zu sehen ist. Ich will doch noch leben, möchte irgendwann einmal für immer zu Sarah ziehen. Wenn ich nur sicher sein könnte, dass Rüdiger Damian und Baldo nichts antut, dann fiele mir die Entscheidung wesentlich leichter. Ist er wirklich so böse, wie Sarah vermutet? Oder bin ich selber gar der gleichen Meinung und schiebe diese Eingebungen nur immer möglichst weit von mir fort, um mich damit nicht auseinandersetzen zu müssen? Ich weiß es selber nicht mehr. Bitte, lieber Gott, so hilf mir doch.

Zu Rüdigers ungeheuerlichsten Befriedigungen gehörte, Hoffnung zu wecken, um sie wieder

zu zerstören, wenn sie am größten war. Wie oft schon hatte er Linda beteuert, sich mit Sarah versöhnen zu wollen und sie zu besuchen, aber bislang war nie etwas darausgeworden.

Sobald der Reisetermin in greifbare Nähe rückte und Linda Koffer zu packen begann, wurde sie von zunehmender Angst begleitet. Furcht und Sorge davor, dass er ihr letztendlich doch wieder einen Strich durch die Rechnung machen könnte. Etwa vor einem Jahr waren sie einmal mit dem Auto Richtung Frankfurt losgefahren, bis kurz hinter dieStadtgrenze.

Hier steuerte Rüdiger einen Parkplatz an und begann hemmungslos zu lachen, weil Linda in ihrer Naivität nur an eine kleine Pause glaubte. Doch als sie aussteigen wollte, vollführte er stattdessen eine Kehrtwendung, um mit überhöhter Geschwindigkeit wieder zurück in die Garage zu fahren. Nur ihrer schnellen Reaktion zufolge, hatte sie die Beine noch rechtzeitig zurück in das Wageninnere gezogen und danach eine ganze Stunde lang voller Zuversicht auf dem Beifahrersitz verbracht, bevor sie sich zum Aussteigen bewegen konnte und die Kleidung nach dem Auspacken wieder in den Schränken verstaute. Sarah wartete an diesem Tag vergebens auf die Ankunft ihrer Eltern, aber Lindaschämte

sich dermaßen, dass sie nicht einmal in der Lage war, ihre Tochter anzurufen.

Wie schön wäre es in der nächstgrößeren Stadt am Bahnhof in den Zug steigen zu können, ganz allein auf sich gestellt, ohne ein Gefühl von Furcht und Enttäuschung in sich zu spüren. Linda würde sicher nette und hilfsbereite Menschen treffen, die ihr beim Ein- und Aussteigen behilflich wären. Nicht nur, dass Rüdiger sie bezüglich diverser Unternehmungen schikanierte, indem er anberaumte Termine platzen ließ. Nein, selber erwartete und verlangte er absolute Pünktlichkeit in jeglicher Hinsicht. Von ihr forderte er, wozu er selber nicht in der Lage sein wollte. Das war in der Vergangenheit nicht immer so gewesen, auch wenn ihre Ehe nie wirklich glückliche Zeiten erlebt hatte und er schon immer egoistische Veranlagungen in sich trug.

Damals, drei Jahre zuvor, an einem Samstagnachmittag im Sommer

„Rüdiger, du hast mir ganz fest versprochen, dass wir heute zur Feier des Tages etwas zusammen unternehmen werden.“ Bittend sah

Linda ihren Ehemann an, der es sich in seinem Sessel bequem gemacht hatte und mit der Fernbedienung in der Hand von einem Fernsehprogramm zum nächsten wechselte.

Nur mit einer kurzen Unterhose und einem T- Shirt bekleidet, stellte er keine sonderliche Augenweide für seine Frau dar.

„Ach, gleich übertragen sie die Bundesliga, die will ich in Ruhe sehen“, warf er ungehalten ein und griff nach der auf dem Tisch stehenden Bierflasche. „Frag doch unsere Nachbarin, deine Freundin Rita, ob die mitgeht.“

Linda sah in ihrem luftigen, hellblauen Sommerkleid hübsch aus, Es betonte ihre schlanke Figur und harmonierte ausgezeichnet mit ihren schwarzen halblangen Haaren.

Gestern war sie dreiundvierzig Jahre alt geworden und hatte so sehr auf die Erfüllung der angekündigten Einladung ihres Mannes gehofft. Angeblich wollte er ganz allein mit ihr ziemlich groß ausgehen. Doch wie schon all die Male zuvor begnügte er sich mit leeren Beteuerungen, von denen er zum jetzigen Zeitpunkt nichts mehr wissen wollte. Doch bevor Linda aufgab, versuchte sie ihn noch

einmal aus der Reserve zu locken.

„Ach bitte, gib deinem Herzen endlich einen Stoß und lass uns unter Leute gehen, Rüdiger. Draußen ist herrliches Wetter. Wir könnten im Kino einen Film ansehen, einen Stadtbummel machen oder einfach nur gemütlich im Biergarten sitzen.“ Als er nicht antwortete, fügte Linda hastig hinzu … „Meinetwegen können wir auch deinen Kumpel Peter und seine Frau Marina fragen, ob sie mitwollen.“ Wie ein junges Mädchen redete sie mit Händen und Füßen gleichzeitig, um ihn von der Dringlichkeit ihres Wunsches zuüberzeugen.

Ihre Augen leuchteten von dem Glas Sekt, das sie sich beim Zurechtmachen gegönnt hatte.

„Es ist so schön an der frischen Luft.“

„Schön ist es auch hier drin“, erwiderte er trocken. „Und Peter kommt sowieso gleich, aber nicht um wegzugehen, sondern wegen der Bundesliga.

„Kommt Marina auch mit?“, fragte Linda zuversichtlich und lehnte sich an den Türrahmen.

„Nee, die ist zu ihrer Mutter gefahren“, schnaubte er und nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche, bevor er sie lautstark zurück auf den Tisch stellte. „Kannst du jetzt mal ruhig sein, damit ich den Anfang mitkriege?“

Sichtlich enttäuscht verließ Linda das Wohnzimmer und ging über die Terrasse hinaus in den Garten. Dort setzte sie sich traurig auf die Bank neben dem Kellereingang und kraulte ihren Rüden Baldo, der es sich darauf gemütlich gemacht hatte.

„Ach, Baldo“, seufzte Linda. „Gut, dass wenigstens du mir treu ergeben bist und dich über meine Gesellschaft zu freuen scheinst. Was würde ich nur ohne dich tun?“ Als wenn der Hund die Worte seines Frauchens verstanden hätte, stupste er sie mit der Schnauze an und leckte ihr über die Hand.

Dankbar lächelnd ließ sie es geschehen. „Was hältst du davon, wenn wir beide gleich zusammen in den Biergarten gehen? Zuerst in den Park und von dort aus in den Biergarten. Ganz allein, nur du und ich. Vielleicht treffen wir zufälligerweise ein anderes einsames Frauchen samt Hund, mit denen es sich gut

plaudern lässt. Wir werden uns von so einem Stoffel wie Rüdiger nicht den Abend verderben lassen, gelle?“ Bei diesen Worten sprang Linda von der Bank auf und ging noch einmal ins Haus zurück, um vom Garderobenschrank ihre Umhängetasche und die Hundeleine zu holen. Um Rüdiger nicht noch einmal zu begegnen, verließen Linda und Baldo das Grundstück durch den Hintereingang und machten sich auf den Weg in den nahegelegenen Stadtgarten.

Schon von Weitem erkannte Linda Baldos Freundin Tessa, eine aufgeweckte Terrier- Hündin. Doch statt des älteren Herrn, der sie gewohntermaßen ausführte, befand sich das Hundemädchen heute in Begleitung eines etwa fünfzigjährigen attraktiv aussehenden Mannes. Ein südländischer Typ mit dunklem Kurzhaarschnitt. Er saß auf der Bank und warf für die Hündin ab und an ein Stöckchen fort, das sie umgehend zurückbrachte. Als Tessa Baldo erblickte, lief sie laut bellend auf ihn zu und forderte den Rüden zum Toben auf dem Rasen auf.

„Hallo“, grüßte Linda den fremden Mann freundlich und blieb in einiger Entfernung von der Bank stehen. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, dass die beiden ein wenig

miteinander balgen. Sie sind nämlich

befreundet.“

„Hallo“, griente der Unbekannte. „Schön zu hören, dass Tessa einen Kumpel hat. Dann habe ich jetzt ja wohl erst einmal Zeit für angenehmere Dinge und muss mich nicht weiter um das verwöhnte Mädchen kümmern.“ Ungeniert musterte er sein Gegenüber. „Wenn Sie mögen, dürfen Sie gern neben mir Platz nehmen, ich beiße nicht.“ Eilfertig rutschte er ein wenig zur Seite und vollführte mit der Hand eine einladende Bewegung.

„Danke, sehr gern“, entgegnete Linda und ließ sich auf der Bank nieder. „Wie kommt es eigentlich, dass Herr Bogan nicht selber mit seinem Hund unterwegs ist? Ihm ist doch hoffentlich nichts zugestoßen?“

„Nein, ihm ist nichts zugestoßen“, antwortete der Mann bereitwillig. „Er testet an diesem Wochenende ein Seniorenheim, für das er sich seit Neuestem interessiert.“

„Oh, aber er ist doch noch gar nicht so alt, oder?“ Linda schien verblüfft.

„Wie man es nimmt“, schmunzelte der Fremde.

„Mein Vater ist zwar achtzig Jahre alt, aber geistig und auch körperlich noch recht gut beisammen.“ Nach einer gedanklichen Pause fuhr er fort. „Dennoch wüsste ich ihn gern besser versorgt, was Essen und ärztliche Betreuung anbelangt. Mittlerweile hat er nämlich begriffen, dass die angeblichen alten Schachteln im Heim gar nicht so senil und tatterig sind, wie er bislang immer vermutete. Eine Sendung im Fernsehen brachte den nötigen Anstoß, wo fröhliche Heiminsassen putzmunter bei einem gemeinsamen Spielabend unglaublich viel Spaß miteinander hatten und dabei sogar das eine oder andere Gläschen Wein zu sich nehmen durften. Aus diesem Grund möchte er sich jetzt ein persönliches Bild von der Situation machen und probt für ein paar Tage das dortigeLeben.“ Die Augen des Mannes blitzten übermütig. „Na ja, diese Gelegenheit durfte ich mir nicht entgehen lassen und habe mich deshalb angeboten am Wochenende auf Tessa aufzupassen.“

„Das finde ich total nett von Ihnen, dass Sie sich so um das Wohlergehen Ihres Vaters kümmern“, erwiderte Linda und schaute

nachdenklich gen Himmel, ehe sie seufzend hinzufügte. „Meine Eltern sind schon vor vielen Jahren gestorben.“

„Oh, das tut mir leid.“

„Ist schon gut“, winkte sie ab. „Über den Schmerz bin ich längst hinweg. Außerdem habe ich ja noch meinen Baldo.“

„Im Übrigen steht Ihnen Ihr Kleid ganz zauberhaft, es passt wunderbar zu Ihrem dunklen Typ“, lenkte der Fremde das Gespräch geschickt in eine andere Bahn.

„Meinen Sie wirklich?“, fragte Linda errötend und blickte an sich herunter.

„Ganz sicher.“

„Tja, eigentlich habe ich mich für meinen Mann hübsch gemacht und wollte mit ihm zusammen in den Biergarten gehen, aber er hatte sich bereits etwas anderes vorgenommen.“

„Ich finde es gar nicht so schlecht, dass Ihr Mann keine Zeit hat“, freute sich der Sohn des alten Herrn Bogan. „Somit ergibt sich für mich

und Tessa eine Chance, endlich einmal wieder in den Biergarten zu kommen. Ich war schon eine Ewigkeit nicht mehr dort und kenne außer Ihnen vermutlich niemanden. Was also spricht dagegen, dass wir vier gemeinsam dorthin gehen?“

„Aber, wir wissen doch überhaupt nichts voneinander, wie soll das funktionieren?“, wagte Linda einzuwenden und wusste nicht recht, wie sie sich dem Fremden gegenüber verhalten sollte, den sie auf Anhieb sehr sympathisch fand.

„Ganz einfach“, lachte der. „Rufen wir die Hunde und marschieren los.“ Mit einem Ruck stand er auf und streckte ihr wie selbstverständlich die Hand entgegen. „Mein Name ist übrigens Damian, Damian Bogan.“

„Oh, und ich heiße Linda, Linda Holm.“ Sichtlich verlegen ließ sie sich hochziehen. In aller Seelenruhe spazierten sie nebeneinander durch den Park in Richtung

Biergarten. Die Hunde sprangen munter umher und gebärdeten sich, als würden sie nur auf diese Unternehmung gewartet haben. An einem freien Tisch unter einer riesigen

Kastanie ließen sich Linda und Damian nieder und bestellten beide ein Weizenbier. Von Beginn an herrschte zwischen ihnen ein Gefühl der Vertrautheit. Linda erfuhr, dass Ihr Gegenüber genauso wie sie verheiratet war und im dreihundert Kilometer entfernten Berlin lebte. Die Stunden des Miteinander vergingen wie im Flug und am Ende des Abends verabredeten sie sich noch einmal für den nächsten Tag. Nicht nur den Hunden fiel die Trennung schwer.

Als Linda gegen zweiundzwanzig Uhr nach Hause kam, wartete Rüdiger betrunken im Wohnzimmer auf sie. Umgeben von zahlreichen leeren Bierflaschen hing er wie ein nasser Sack in der Sofaecke und beäugte sie misstrauisch.

„Wo hast du dich denn solange rumgetrieben? Bist doch sonst nie mehr als zwei Stunden weg. Und das mit den nuttigen Klamotten.“ Abfällig betrachtete er sie von oben bis unten.

„Ich war mit Baldo unterwegs“, erwiderte sie

hastig und vermied es, ihn dabei anzusehen.

„Du hattest ja weder Zeit noch Lust, um mit mir

auszugehen.“

„Warst du allein?“

„Nein, ich habe eine ehemalige Schulfreundin getroffen“, kam es nach anfänglichem Zögern über ihre Lippen. „Sie besitzt auch einen Hund.“

„Kenne ich die Alte?“, erkundigte sich Rüdiger Holm scheinbar gelangweilt und trank einen ordentlichen Schluck aus seiner Bierflasche, dem ein langgezogener Rülpser folgte.

Nebenbei schaltete er anhand der Fernbedienung die Programme rauf und runter.

„Nein, ich glaube nicht, dass du sie kennst“, antwortete Linda herzhaft gähnend und zog sich die Schuhe aus. Insgeheim hoffte sie, dass Rüdiger nicht weiter bohren würde. Sie hasste es zu lügen. „Ich bin müde und will nur noch ins Bett.“

„Wie heißt denn die angebliche

Schulfreundin?“

„Ich, ich weiß nur ihren Vornamen“, druckste

Linda herum und stellte ihre Schuhe in den

Schuhschrank auf dem Flur.

„Sag mir endlich den Namen!“, brüllte er

hinterher.

„Anne, sie heißt Anne.“ Lindas Herz hämmerte wie wild gegen die Rippen, während sie die Treppe nach oben hastete. Im Schlafzimmer angelangt konnte sie ihren Mann noch immer schimpfen hören. Eilig schlüpfte sie aus dem Kleid und warf sich ein luftiges Nachthemd über. Aus Angst, er könne noch etwas von ihr wollen, ließ sie das Licht aus und stellte sich schlafend.