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Um den Tod ihres Mannes besser verarbeiten zu können, lässt die achtundfünfzigjährige Josefine Decker sich auf eine psychosomatische Reha ein. Die für sie zuständige Psychologin merkt beizeiten, dass Josefine an einem Trauma leidet. Viele Jahre verdrängte, schreckliche Kindheitserlebnisse gelangen durch die Therapie plötzlich ans Tageslicht. Wieder zu Hause in der gewohnten Umgebung spielt sie mit dem Gedanken, sich an dem Verantwortlichen für seine Missetaten zu rächen ... Ein Schrankenwärter nutzt seine Position skrupellos aus, um kleine, unbedarfte Mädchen für sexuelle Handlungen zu missbrauchen. Schwere Schuldgefühle, Scham und die Angst vor Strafe hindern die Kinder daran ihren Eltern davon zu erzählen. Mann, Pädophiler, Täter, Kind, Mädchen, Opfer, sexueller Missbrauch, Angst, Scham, Rache,
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Der Schrankenwärter
Öffne deine körpereigene Kellertür und du wirst sehen, dass sich schreckliche Erinnerungen dahinter verbergen. Doch wenn du glaubst, dass es damit getan ist, indem du diese Tür einfach wieder hinter dir verschließt, dann hast du dich gewaltiggeirrt. Das Gesehene lässt dich fortan nicht mehr los und du sinnst nur noch auf Rache…
Copyright Text: Renate Gatzemeier, Am Mönchberg 17 A, 37115 Duderstadt
Copyright Cover: Renate Gatzemeier E-Mail: [email protected]
Homepage: http://autorinrenategatzemeier.jimdo.com/
Die Personen und die Handlung sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit ist rein zufällig und nicht gewollt.
Ich wurde am 30 April 1951 in Herzberg am Harz geboren. Seit Anfang der achtziger Jahre lebe ich mit meinem Mann in Fuhrbach, einem beschaulichen Ferienort in der Nähe der mittelalterlichen Kleinstadt Duderstadt. In meiner Freizeit schreibe ich leidenschaftlich gerne Thriller, aber manchmal auch Geschichten für Groß und Klein.
Gute Leseunterhaltung wünscht Ihnen Ihre Renate Gatzemeier
Nachdem die achtjährige Josefine Eichholz ihren Ranzen zu Hause abgeliefert hatte, begab sie sich in aller Eile zu dem nahegelegenen alten Eisenbahnwaggon, vor dem sie mit dem Schrankenwärter verabredet war. Obwohl die Eltern ihr das Betreten des Bahngeländes untersagt hatten, wollte sich das Mädchen dieses geheimnisvolle Treffen nicht entgehen lassen. Die Vorfreude auf ein versprochenes Geschenk übertrumpfte das schlechte Gewissen. Schon von Weitem erkannte sie den Mann, der sie dort hinbestellt hatte. Er schien bereits auf siezu warten und machte einen ungeduldigen Eindruck.
„Los, komm endlich rein, es muss uns hier ja nicht gleich jeder zusammen sehen.
Außerdem ist meine Mittagspause bald vorbei und ich muss zurück an meine Arbeitsstelle.“ Hastig zog er das Mädchen in
den räderlosen Güterzug und verschloss die Tür von innen sorgfältig hinter sich.
Erwartungsvoll blickte das Kind mitgroßen Augen zu dem Mann auf, der für sie kein Fremder war.
„Eigentlich darf ich gar nicht hierher“,wollte sie sie ihr unerlaubtes Handeln zu rechtfertigen.
„Es ist ja nur dieses eine Mal“, versuchte er ihr zu erklären und streichelte Josefines schwarzes schulterlanges Haar. Trotz ihres vorlauten Mundwerks wirkte sie zart und zerbrechlich, das gefiel ihm.
„Was hast du denn für eine Überraschung, Herr Habicht?“ Verwundert bemerkte Josefine den geöffneten Reißverschluss seiner Hose, dachte sich aber nichts dabei und schaute nur schnell wieder weg. Sein stoßweise zu vernehmender Atem irritierte sie ebenso wie der wässrige Blick seiner Augen. „Bist du krank?“
„Da drüben an der Wand steht eine Kiste mit einem Hasen“, gab er keuchend von
sich und schob das plappernde Kind ungehalten vor sich her.
„Oh, wie niedlich“, rief Josefine entzückt, nachdem sie den Karton entdeckte hatte.
„Darf ich den streicheln?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, kniete sie vorder Apfelsinenkiste nieder und schien die Anwesenheit des Schrankenwärters vergessen zuhaben.
„Sieh mal, was ich hier noch habe“, raunte er ihr mit belegter Stimme ins Ohr. Von dem Vorhandensein des Hasen völlig fasziniert reagierte Josefine nicht auf die Worte des Mannes, sondern beschäftigte sich weiter mit dem niedlichen Tier. Erst als sie etwas Hartes in ihrem Rücken verspürte, drehte sie sich erstauntum.
Im Schritttempo bog Josefine Decker von der stark frequentierten Hauptstraße in die mäßig befahrene Nebenstraße ab. Auf der linken Straßenseite gab es nur ein einziges Gebäude, das innerhalb einer riesigen Grünanlage im hinteren Bereich zu erkennen war. Es handelte sich um ein ehemaliges Gutshaus. Rechter Hand waren es insgesamt fünf Häuser, die hinter Bäumen und Büschen verborgen in den Gärten standen. Lediglich die dazwischen hervor lugenden Dächer verrieten dem eingehenden Betrachter das Vorhandensein der alten Wohngebäude, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hatten. Neugierig musterte die achtundfünfzigjährige Altenpflegerin durch die Windschutzscheibe des Golfes die dazugehörigen Hausnummern. Ihre kurzen schwarzen Haare und die sportliche Kleidung ließen
die schlanke Frau jünger erscheinen, als sie eigentlich war.
Das auf der linken Seite befindliche Anwesen verfügte über die Nummer eins, welche in einen Mauerpfosten gemeißelt unübersehbar neben dem Eingangstor zu sehen war. Ein Blick dorthin weckte schmerzliche Erinnerungen in Josefine.
Hastig konzentrierte sie sich auf die gegenüberliegende Seite mit den geraden Zahlen. Während sie an den ersten drei Grundstücken eher desinteressiert vorbeirollte, leuchteten ihre Augen beim Anblick des ehemaligen Forsthauses auf, welches durch ein ausladendes Holzschild und einem darüber befindlichen Hirschgeweih auf seine ursprüngliche Funktion hinwies. Das komplette Areal machte einen heruntergekommenen Eindruck, schien aber dennoch bewohnt zu sein. Eine ältere Frau öffnete soeben das Hoftor, um mit ihrem Fahrzeug das Gelände zu verlassen.
Unmittelbar hinter diesem Grundstück steuerte Josefine ihren Golf über den mit
Gras bewachsenen Randstreifen nach rechts, direkt bis an den Holzzaun, der die beiden Liegenschaften kurz vor dem Wald voneinander trennte. Von hier aus gedachte sie den schmalen Pfad bis zum roten Backsteinhaus zu Fuß zu gehen. Trotz ihrer Entschlossenheit zögerte sie noch einen Moment, bevor sie sich ihren Rucksack umhängte und die letzten hundert Meter auf das einstige Bedienstetengebäude für Bahnbeamte zueilte. Es lag in einer Senke umgeben von Büschen und Bäumen, die zu dieser Jahreszeit in voller Blütenpracht standen. Erstaunt registrierte Josefine das Vorhandensein des riesigen Kirschbaumes, der den nahestehenden Anbau gegenüber dem Haus fast zu erschlagen drohte.
Der Garten insgesamt gesehen lieferte den Anschein von Verwilderung oder Vernachlässigung. Ihr nächster Blick galt den Fenstern im Obergeschoss. Die hölzernen Läden waren von außen verschlossen, so als würde sich in den Räumen dahinter niemand aufhalten. Direkt vor dem Treppenaufgang stand ein
protziger Wagen, den Josefine respektvoll umrundete, bevor sie die acht Stufen zum Eingang emporstieg. Beim Betätigen der Klingel schlug ihr Herz wie wild. Hastigfuhr sie sich mit der Hand durch das Haar und befeuchtete ihre trockenen Lippen noch einmal mit der Zunge, bevor ein dezentes Lächeln ihr Gesichterhellte.
Trippelnde Schritte näherten sich von innen dem Eingangsbereich. Nur wenige Augenblicke später öffnete eine DameEnde fünfzig die Tür. Ihre rote Löwenmähne passte ausgezeichnet zu den grünen Augen und der hellen Haut der auffallend hübschen Person. Ungefähr ebenso groß wie Josefine musterten sich die beiden Frauen einen Augenblick lang, bevor die Rothaarige das Wortergriff.
„Dem Foto nach zu urteilen müssen Sie Frau Decker sein.“ Ohne auch nur eine Antwort abzuwarten, vollführte sie mit der Hand eine einladende Bewegung.
„Kommen Sie herein, damit ich mir ein Urteil über Sie bilden kann.“ Ihre Freundlichkeit wirkte aufgesetzt.
„Guten Tag“, erwiderte Josefine höflich und nickte zustimmend mit dem Kopf. „Ja, ich bin Josefine Decker.“ Obwohl es draußen trocken war, säuberte sie ihre Schuhe sorgfältig auf der Fußmatte, bevor sie das Haus betrat. Eine beklemmende Atmosphäre empfing sie und ließ sie mehrmals trocken hintereinander schlucken. Der unangenehme Geruch nach Schimmel und Moder drang ebenso in ihre Nase, wie der Gestank nach abgestandenem Zigarettenqualm. Beides vermischte sich mit einem Hauch von Kaffeeduft. Der Korridor verfügte nur über ein winziges Fenster im Treppenaufgang, ansonsten schien man hier auf künstliches Licht angewiesen zu sein. Erst beim Schließen der Haustür fiel auf, dass auch dort zwei Butzenscheiben im oberen Bereich vorhanden waren. Fröstelnd zog Josefine die Schultern hoch und klammerte sich an die Gurte ihres Rucksackes, so als könnten die ihr den erforderlichen Halt vermitteln. Noch ehe die Frau ihrgegenüber etwas sagen konnte, ertöntevon
irgendwoher eine resolutemännliche Stimme.
„Wo bleibst du denn, Karla? Habe ich dir nicht ausdrücklich gesagt, du sollst mir Kaffee kochen?“ Zur Unterstreichungseiner Worte schlug der offensichtlichungehaltene Mann mit einem Stock oder ähnlichem gegen die angrenzende Tür, dass es nur so krachte.
„Das ist mein Vater Ludwig Habicht“, seufzte die Rothaarige und reichte Josefine die Hand. Ich bin übrigens Karla Lange, die einzig noch lebende Verwandte dieses Tyrannen.“ Mit gepeinigtem Blick sah siedie etwa Gleichaltrige an. „Und Sie wollen den Job der Hauswirtschafterin wirklich übernehmen?“
„Ja, im Grunde genommen schon“, antwortete Josefine und erwiderte den festen Händedruck. „Wie ich in meiner E- Mail bereits erwähnte, müsste ich allerdings auch die Möglichkeit haben hier zu wohnen. Die ständige Fahrerei von Duderstadt nach Herzberg würde mir auf Dauer zu viel
werden. Es reicht, wenn ich in meiner Wohnung gelegentlich nach demRechten schaue.“ Verunsichert blickte sie sichum.
„Ach, wenn das Ihr einziges Problem ist“, atmete Karla Lange erleichtert auf und winkte ab. „Im Prinzip habe ich Ihnen dafür ja schon eine schriftliche Zusage erteilt.Die komplette obere Etage steht leer und kann von Ihnen nach Belieben genutztwerden.
Mein Vater lebt nur noch in den unteren Räumen, weil er nicht mehr richtig laufen kann. Seit dem Tod meiner Mutter vor einem halben Jahr lässt er sich total gehen und schikaniert mich von vorn bis hinten, wenn ich täglich nach ihm sehe. Ich mag schon kaum noch hierherkommen, aber es ist zum Glück ja nur übergangsweise, bis die Stelle der Hauswirtschafterin durch eine kompetente Person besetzt ist. Auf Dauer halte ich diesen Stress nämlich nichtdurch.“ Entschuldigend fügte sie hinzu: „Na ja, wer weiß, wie wir mal mit achtzig sind.“ Erwartungsvoll blickte sie die andere Frau an.
„Ich werde schon irgendwie mit ihm zurechtkommen“, nahm Josefine der Rothaarigen den Wind aus den Segeln.
„Mein Vater war auch nicht gerade ein leichter Fall und trotzdem habe ich ihn bis zum Ende gepflegt. Immerhin erlernte ich den Beruf der Altenpflegerin einmal aus genau diesen Gründen und sehe ihn mittlerweile als meine Berufung an.“ Freundlich lächelnd schien sie sich gefangen zu haben und erweckte den Eindruck einer Fachkraft. „Und vor Putztätigkeiten und dem Zubereiten von Speisen fürchte ich mich auch nicht“, ergänzte sie abschließend.
„Gott sei Dank, dass ich Sie gefunden habe.“ Dankbar drückte Karla Lange die Hand der Dunkelhaarigen, als auch schon wieder das Gezeter ertönte.
„Karla, wenn du mich noch lange warten lässt, zerschlage ich die komplette Einrichtung, damit du es nur weißt. Mit wem quatschst du da eigentlich die ganze Zeit?“
„Oh je, hoffentlich vergrault er Sie mit seinem Gezeter nicht gleich am erstenTag“, stöhnte Karla und öffnete die Tür zum angrenzenden Zimmer, das einer Räucherkammer glich. Sanft schob sie Josefine vor sich her über die Schwelle zu dem verdutzt dreinschauenden alten Mann im Sessel, der einen überquellenden Aschenbecher neben sich auf einem kleinen Beistelltisch stehenhatte.
„Was will denn die alte Gewitterziege hier?“, wetterte er ihr entgegen und glotzte Josefine von oben bis unten an.
„Vater, das ist Frau Decker, deine neue Pflegerin.“
„Was, so eine alte Tusnelda willst du mir andrehen?“, schnaubte er und steckte eine Zigarette in Brand.
„Vater, bitte“, flehte Karla und presste die Handinnenflächen vor der Brust gegeneinander. „Frau Decker ist deine einzige Chance, überhaupt noch jemanden zu bekommen. Alle anderen Damen hast du
ja bereits erfolgreich vertrieben. Überleg dir gut, wie du dich ihr gegenüber verhältst, sie ist der letzte gutgemeinte Versuch, dich auch weiterhin in diesem Haus wohnen zu lassen. Du kommst allein nicht zurecht, sondern bist auf fremde Hilfe angewiesen und wenn es diesmal nicht mit der Verständigung klappt, dann wirst du wohl oder übel in ein Seniorenheim müssen. Also reiß dich zusammen und mach das Beste aus der Situation.“
„Wieso kümmerst du dich eigentlich nicht selber um mich?“, maulte er und schlug mit seinem Gehstock auf der Sofalehne herum.
„Weil ich einen anstrengenden Beruf habe und fünfzig Kilometer von hier entfernt lebe und dort auch arbeite, du alter Sturkopf. Ich kann beim besten Willen nicht täglich hierherkommen, auch wenn das in deinen Schädel nicht rein will. Aber das haben wir doch alles schon hinlänglich besprochen.
Du willst hier nicht weg und ich kann und will keinesfalls mein Geschäft aufgeben, also müssen wir uns auf einen Kompromiss einigen. Du hast mir doch versprochen,
diesmal etwas zugänglicher zu sein.“ Sie holte tief Luft, bevor sie Josefine einen Platz auf dem Sofa anbot und sich direkt neben sie setzte.
„Ist ja schon gut“, herrschte er seineTochter mit donnernder Stimme an und fixierte Josefine ungeniert. Seine schlohweißen Haare bedeckten die Ohren und standen wirr vom Kopf ab, während er seine grauen Augen zu Schlitzen zusammengezogen hatte, um scheinbar besser sehen zu können. „Wenn die Tusnelda mich nicht beklaut, kann sie vorerst bleiben“, brummte er und trommelte mit den knochigen Fingern seiner linken Hand auf der Armlehne des Sesselsherum.
„Vater!“, empörte sich Karla und bekam zu ihren roten Haaren auch noch ein knallrotes Gesicht. „Wie kannst du nur derart unverschämt sein, ich fasse es nicht. Setz lieber deine Brille auf, damit du sehen kannst, wie hübsch Frau Decker ist.“
„Halte die Luft an und benimm dich nicht wie ein trotziges Kind“, lamentierte der alte
Mann und bewegte die Spitze seines Gehstocks auf Josefine zu, die bislang keinen Ton von sich gegeben hatte. „Ich benötige keine Sehhilfe, komme auch ohne so ein lästiges Ding gut zurecht. Man wird doch wohl noch ein wenig Spaß machen dürfen, oder was sagen Sie dazu, Frau Wecker?“
„Ich heiße Josefine Decker“, gab Josefine in aller Seelenruhe von sich und hielt seinem stechenden Blick stand.
„Na bitte“, dann ist doch alles geklärt“, erwiderte er grinsend und zeigte eine Reihe gelber Zähne. „Allerdings werde ich Sie der Einfachheit halber Josef nennen, gelle.“ Mit dem Stock betatschte er ihre Oberschenkel und glitt dabei scheinbar zufällig auf ihren Schoß. „Ich würde jetzt gerne einen Kaffee trinken, sofern Sie nichts dagegen haben.“
„Wenn Sie mir sagen, wo er steht, hole ich ihn sofort“, beeilte sich Josefine zu sagen und machte Anstalten aufzustehen.
„Wir werden ihn gemeinsam besorgen“, erwiderte Karla und erhob sich ebenfalls von ihrem Platz. „Im Anschluss daran bietet es sich quasi an, Ihnen das Haus zu zeigen und auch der finanzielle Aspekt dürfte noch zu klären sein.“ Lächelnd forderte sie die Pflegerin auf ihr zu folgen. In der Küche angelangt, erweckte sie einen peinlich berührten Eindruck. Das Verhalten ihres Vaters schien ihr ausgesprochen unangenehm zu sein. „Bitte, Frau Decker, tun Sie mir den Gefallen und nehmen die Worte eines alten Mannes nicht ganz ernst, er meint es nicht so.“ Seufzend schenkte sie den Kaffee in eine hohe Tasse und gab zwei Stücke Süßstoff und etwas Milch hinzu. Mit einem Löffel rührte sie den Inhalt um und meinte: „Gießen Sie sich auchruhig eine Tasse ein, es dauert nämlich einen Moment bis ich wieder zurück bin. Muss eben mal den alten Brummbären zur Raison rufen.“
„Lassen Sie sich nur Zeit, ich bin nicht in Eile“, lächelte Josefine und warf einen Blick aus dem Küchenfenster. Von hier aus
konnte man wunderbar auf den kleinen Bahnhof sehen, der nur wenige Meter vom Haus entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite lag. Unmittelbar hinter dem alten Bahnwärterhaus führte die eingleisige Bahnstrecke entlang, die heutzutage wohl nicht mehr genutzt wurde. Von dort waren es nur etwa achtzig Meter bis zum Wald, an dem die eigentliche Straße endete und nur noch Fußgänger und Radfahrer auf einem schmalen Pfad durchließ. Früher konnte man den Berg mit dem Auto hinauffahren, aber das war lange her. Versonnen schaute Josefine zum Gipfel hinauf. Völlig in Gedanken versunken, bemerkte sie die Rückkehr von Karla Lange erst, als diese unmittelbar vor ihr stand.
„So, da bin ich wieder“, atmete sie erleichtert auf und nahm Josefine gegenüber auf einem Stuhl Platz. „Mein Vater ist mit seinem derzeitigen Leben extrem unzufrieden. Er hasst es, auf andere Personen angewiesen zu sein, das macht ihn so verbittert“, versuchte sie sein garstiges Verhalten zu rechtfertigen.
„Er wird sich an mich gewöhnen, dessen bin ich sicher“, gab Josefine zuversichtlich zu verstehen. „Ich habe schon mit wesentlich schwierigeren Menschen als mit ihrem Vater zusammengearbeitet.“
„Oh, dann bin ich aber beruhigt, dass Sie offensichtlich wissen, auf was Sie sich da einlassen. Insofern fällt mir ehrlich gesagt ein riesiger Stein vom Herzen. Zumal mein Bekannter und ich in den kommenden drei Wochen unseren alljährlichen Urlaub in der Türkei verbringen und nicht ständig erreichbar sein werden.“ Sichtlich verlegen schob sie ihre Tasse hin und her. „Ich liebe meinen Vater auf meine ganz persönliche Weise, möchte mich allerdings nicht zu seiner Sklavin machen, wenn Sie verstehen was ich meine. Deshalb ist es mir auch wichtig, ihn während meiner Abwesenheit gut versorgt zu wissen.“ Nach kurzem Zögern fügte sie hinzu: „Es bleibt doch bei unserer Absprache, dass Sie gleich morgen Ihren Dienst antreten können, oder?“
„Ja, es bleibt dabei“, erwiderte Josefine und drückte herzlich die Hand der attraktiven
Frau. „Und machen Sie sich bitte keine Sorgen, ich habe durchaus Verständnis für Ihre Situation und den Wunsch, den Vater so lange wie möglich in seiner gewohnten Umgebung zu lassen. Bitte zeigen Sie mir einfach alles Erforderliche und instruieren mich über die Gewohnheiten Ihres Vaters, damit ich über das wesentliche Wissen verfüge, um ihm und seinen Anforderungen gerecht zu werden. Alles andere können wir nach Ihrer Rückkehr aus ihrem Urlaub besprechen.“
„Genauso werden wir es handhaben“, nickte Karla. „Hier,