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Nach einem Anschlag auf ein Therianer-Jugendzentrum gerät nicht nur das Team Destructive Delta unter Druck – auch zwischen Dex und Sloane läuft nicht alles rund. Während der fanatische »Orden von Adrasteia« mit Gewalt und Propaganda für Unruhe sorgt, kommen Geheimnisse aus der Vergangenheit ans Licht, die mehr als nur den Einsatz gefährden. Im Kampf gegen eine Organisation, die immer einen Schritt voraus zu sein scheint, zählt jede Entscheidung. Und vor allem eines: Vertrauen.
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Seitenzahl: 437
Veröffentlichungsjahr: 2025
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CHARLIE COCHET
BLOOD & THUNDER
THIRDS 2
Aus dem Englischen von Kira Wolf-Marz
Über das Buch
Nach einem Anschlag auf ein Therianer-Jugendzentrum gerät nicht nur das Team Destructive Delta unter Druck – auch zwischen Dex und Sloane läuft nicht alles rund. Während der fanatische »Orden von Adrasteia« mit Gewalt und Propaganda für Unruhe sorgt, kommen Geheimnisse aus der Vergangenheit ans Licht, die mehr als nur den Einsatz gefährden.
Im Kampf gegen eine Organisation, die immer einen Schritt voraus zu sein scheint, zählt jede Entscheidung. Und vor allem eines: Vertrauen.
Über die Autorin
Charlie Cochet ist die Bestsellerautorin der international beliebten THIRDS-Serie, die Romantik, Humor und Spannung miteinander verbindet. In ihren Geschichten trifft kubanisches Temperament auf amerikanischen Charme – mit viel Herz und lebendigen Figuren.
Sie lebt in Zentralflorida und liebt Classic Rock und kubanischen Kaffee. An ihrer Seite: ein aufgeweckter Doxiepoo und ein ziemlich meinungsfreudiger Deutscher Schäferhund. Wenn sie nicht gerade schreibt, liest sie gern oder schaut Filme.
Charlies Geschichten laden dazu ein, dem Alltag zu entfliehen – unterhaltsam, gefühlvoll und mit einem Augenzwinkern.
Die englische Ausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Blood & Thunder«.
Deutsche Erstausgabe August 2025
© der Originalausgabe 2019: Charlie Cochet
© für die deutschsprachige Ausgabe 2025:
Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,
Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg
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Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder
auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten
mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Die Nutzung des Inhalts für Text und Data Mining
im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.
Umschlaggestaltung: Juliana Fabula
Lektorat: Rieke Conzen
Satz: Second Chances Verlag
ISBN: 978-3-98906-098-2
ISBN E-Book: 978-3-98906-097-5
Auch als Hörbuch erhältlich!
www.second-chances-verlag.de
Titel
Über die Autorin
Impressum
Hinweis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
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Protagonisten
Glossar
Am Ende dieses Buches findest du ein Personenverzeichnis und ein Glossar.
»Sicher, dass wir hier richtig sind?«
Dex schob seine Waffe beiseite und trat hinter seinen Bruder, der an der Überwachungskonsole saß. Das restliche Team stand am anderen Ende des BearCats und überprüfte ein letztes Mal die Ausrüstung. Cael tippte auf die Tastatur ein, rief einen Plan der Gegend, eine Satellitenkarte und eine Reihe Aufnahmen von Überwachungskameras umliegender Geschäfte auf, die er sich ausgeliehen hatte.
»College Point, Queens. In der Nähe der Abfüllanlage von Canada Dry. Das war die Aussage.«
»Ist die Quelle zuverlässig?«, fragte Dex.
Cael nickte knapp. »Hat uns noch nie hängen lassen.«
Dann war heute hoffentlich nicht das erste Mal. Das Letzte, was sie gebrauchen konnten, war eine weitere Sackgasse. Vier Monate lang hatten die Intel und die Recon von Unit Alpha Hinweise gesammelt und Erkundigungen eingezogen. Jetzt konnten sich die Agents der Defense, der Einsatzkommandos, auch endlich nützlich machen und die Spur des Ordens von Adrasteia verfolgen, selbst wenn sie nach wie vor nicht wussten, wie groß und wie weit verbreitet die Organisation war.
Obwohl sich hinter dem Orden Menschen verbargen, die normalerweise unter die Gerichtsbarkeit der Human Police Force, kurz HPF, gefallen wären, bedrohten sie therianische Bürger. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie den THIRDS offiziell den Krieg erklärt hatten, indem sie einen ihrer Agents exekutiert hatten. Das Video von Agent Morellis Tod war viral gegangen und zwei Tage vor Weihnachten im Fernsehen gezeigt worden. Dex hörte die Worte des Dreckskerls noch so deutlich in seinem Kopf, als hätte er sie erst gestern ausgesprochen, bösartig und voller Gift.
»Um unsere Stadt von ihrer Erkrankung zu heilen, müssen wir die Überträger beseitigen, angefangen bei der Organisation, die diese Pest auch noch unterstützt. Wir werden die Hölle entfesseln, um die Sünder unter euch zu bestrafen, und bei den THIRDS fangen wir an.«
Sekunden später hatten die THIRDS Code Red ausgerufen, die höchste Warnstufe. Sie mussten den Orden aufhalten, bevor es weitere Tote gab und sich noch mehr Fanatiker dessen Reihen anschlossen. Seit dem Mord war die ohnehin schwierige Beziehung zwischen menschlichen und therianischen Bürgern mit jedem Tag angespannter geworden, und genau darauf hatte der Orden es abgesehen. Die THIRDS hatten Freiwillige rekrutiert, die in der Stadt Patrouille gingen und die hetzerische Propaganda des Ordens entfernten, aber es war vergebene Liebesmüh. Für jedes Poster mit dem Slogan »Humans 4 Dominance« oder mit dem Symbol von Adrasteia, das die THIRDS entfernen ließen, tauchten drei oder vier neue auf. In den Straßen lagen so viele Flyer, als wäre eine Konfettiparade durch die Stadt gezogen. Überall, wo Dex hinsah, hinterließ der Orden seinen blutroten Stempel, versprach Höllenfeuer und Chaos und nicht aufzugeben, bis er seinen Willen bekommen hatte oder die Stadt in Flammen stand – was immer zuerst der Fall war. Die Medien waren auch keine Hilfe. Wenn man den Fernseher einschaltete, konnte man meinen, dass Präsidentschaftswahlen anstünden, so sehr hagelte es haltlose Anschuldigungen und kindische Versuche, den politischen Gegner in Misskredit zu bringen.
Und die THIRDS waren mittendrin. Seit der Orden aufgetaucht war, hatte man ihnen alles Mögliche vorgeworfen: dass sie sich nicht klar positionierten und zu feige waren, sich für eine Seite zu entscheiden, dass sie ihre Spezies verrieten – je nachdem, zu welcher der Agent gehörte – und selbst die Quelle allen Übels waren. Andere waren der Meinung, dass es einzig ihnen zu verdanken war, dass die Stadt noch stand. Egal, was sie taten, sie sahen sich Vorwürfen ausgesetzt. Entweder sie arbeiteten zu wenig oder nicht schnell genug oder sie interessierten sich nicht ausreichend für ihre Mitbürger. Dex wäre längst ausgeflippt, wenn er das alles an sich herangelassen hätte. Genau deshalb schottete er sich von solchen Aussagen ab. Und auf keinen Fall würde er zulassen, dass sein Team darunter litt.
Sloane kam zu ihnen, hielt Dex seinen Schutzhelm hin und sagte an Cael gewandt: »Was wissen wir über die Gegend?«
Dex riss seinem Partner den Helm aus der Hand und grummelte. »Ich hasse das Ding.«
»Wenn eine Kugel darin einschlägt statt in deinen Schädel, wirst du ihn lieben, Rookie.«
Mist, da hat er wohl recht.
Cael versuchte erst gar nicht, seine Belustigung zu verbergen, als er Sloanes Frage beantwortete. »Ein Gewerbegebiet, dazu ein paar Baufirmen. Die Fifteenth Avenue endet am East River, aber es gibt eine Schotterstraße, die zum Parkplatz einer Fabrik für Schilder und Fenster führt – falls man diesen Trampelpfad überhaupt als Straße bezeichnen kann.« Er wurde ernst, die Pupillen in seinen silbrigen Augen, die ihn als Therianer auswiesen, wurden groß. »Aber außen herum liegen Wohngebiete. Das Popps ist nur ein paar Blocks entfernt.«
»Was ist das Popps?«, fragte Dex. Er kannte die Gegend nicht, und nachdem sie monatelang durch die ganze Stadt gehetzt waren, sah allmählich alles gleich aus.
»Das Poppenhausen Institute. Ein Gemeindezentrum mit Angeboten für Kinder und Familien.«
Ash schloss sich ihnen an und stieß wie üblich ein Knurren aus. »Na toll. Die Scheißkerle wissen genau, was sie tun. Im Gewerbegebiet finden sie jede Menge Rückzugsorte, aber durch die Wohngebiete in der Nähe können wir nicht aggressiv vorrücken. Wir wollen nun wirklich nicht, dass irgendein armes Kind eine Kugel abkriegt.«
Sloane nickte zustimmend, bevor er auf den großen Flachbildschirm der Konsole zeigte. »Haben wir einen genauen Standort?«
»Hier.« Cael deutete auf ein Grundstück am Flussufer ganz am Ende der Fifteenth Avenue. Auf dem Bildschirm waren zwei kleinere Gebäude auf Schotterboden zu sehen, die von vorn durch einen Maschendrahtzaun und von hinten durch den East River abgeschirmt wurden. »Der Laden ist als IGD Construction Supply Services eingetragen, doch das ist eine Fassade. Jetzt zumindest. Ich habe einen Suchlauf nach Firmen und Personen gestartet, die mit ihnen gearbeitet haben, und es gab jede Menge Treffer. Aber alle Aufträge sind schon mindestens seit einem Jahr abgeschlossen, seitdem hat sich nichts Neues getan. Ich habe von einer der geschützten Leitungen in der Recon bei ihnen angerufen und mich als Kunde ausgegeben. Die ›Sekretärin‹ hat behauptet, die Firma wäre gerade in der Umstrukturierung und würde momentan keine Aufträge annehmen.«
»Wie ist die Bude gesichert?«
»Ziemlich mies, die Sicherheitsvorrichtungen sind unterstes Niveau. An der Nordseite hängt eine Kamera, an der Südseite auch, dazu eine in dem Gebäude da drüben. Das ist das Büro. Ich kann mich schneller in die Dinger einhacken, als Dex den Refrain von Alice Coopers ›Poison‹ singen kann.«
Dex öffnete den Mund, und Sloane legte die Hand darüber. »Nein. Cael, stachel ihn nicht auch noch an. Ash, wie kommen wir da rein?«
»Die Sache gefällt mir nicht.« Ash musterte den Bildschirm und verschränkte die muskulösen Arme vor der Schutzweste. »Ziemlich eng da. Wenn sie wirklich da drin sind, sind sie vorbereitet. Das zweite Gebäude dürfte unser Hauptangriffsziel sein, da hocken sie wahrscheinlich. Es hat keine Fenster, zwei Türen an der Seite und drei Garagentore nach vorn raus. Die gute Nachricht ist, dass das Ding aus Aluminium besteht und wir es problemlos in die Luft jagen können.« Er runzelte die Stirn. »So oder so, die 110th Street kommt nicht infrage. Da würden sie uns sehen. Ich würde sagen, wir teilen uns in drei Teams auf. Team eins rückt von der Fifteenth Avenue an, geht an der Abfüllanlage vorbei und sammelt sich dort«, fuhr er fort und zeigte auf ein Backsteingebäude mittlerer Größe. »Es kann die Einfahrt nehmen. Der Holzzaun und das Haus sollten genug Deckung bieten. Von da gehen sie nach hinten, schneiden den Maschendrahtzaun auf und betreten das Grundstück der IGD von der Rückseite aus. So können sie sich anschleichen, etwaige Zielpersonen im Bürogebäude ausschalten und dann von vorn eindringen. Das sollte gut klappen, weil die Fenster mit Gittern gesichert sind und verhindern, dass die Zielpersonen dadurch entwischen. Wenn das Team angegriffen wird, kann es die Typen gern in den Fluss schmeißen, aber das ist nur meine persönliche Meinung. Team zwei nimmt dieselbe Route, nähert sich von hinten dem Hauptziel und dringt über dieses Tor hier drüben ins Gebäude ein. Da sollte es ausreichend Platz geben, um sich frei zu bewegen, falls die Mistkerle durch eine der weiteren Garagen oder die Seiteneingänge rauskommen. Und wo wir gerade dabei sind: Team drei hält sich auf der anderen Straßenseite bereit und rückt über den Hinterhof der Fensterfabrik vor. Da liegen genug Baumaterial und Abfall herum, um sich zu verstecken.«
Sloane nickte kurz und verpasste Ash einen Klaps auf die Schulter. »Gute Arbeit. Ihr habt es gehört, Leute. Cael, du hältst die Augen offen. Sag uns Bescheid, wenn sich was tut.«
»Verstanden.« Cael widmete sich wieder der Konsole, während Sloane sich an die anderen wandte.
»Letty, Rosa, ihr seid Team eins. Ihr übernehmt das Bürogebäude. Calvin, Hobbs, ihr seid Team zwei. Nähert euch von hinten dem Zielobjekt, sprengt das Tor auf und räuchert sie aus.«
Calvin nickte und ging los, um die benötigten Sprengkörper und nicht tödlichen Waffen vorzubereiten. Hobbs folgte ihm dichtauf.
»Ash, Dex, ihr kommt mit mir. Wir gehen über die Fensterfabrik rein.« Sloane tippte auf sein Headset. »Agent Stone, Agent Taylor, hier ist Agent Brodie.«
Die heiseren Stimmen der anderen Teamleiter ertönten in ihren Ohrhörern.
»Agent Stone hier. Wie lauten die Befehle, Agent Brodie?«
»Agent Taylor hier. Dieselbe Frage.«
Sloane verdrehte die Augen. »Agent Stone, ich will Beta Pride an der Ecke 110th Street und Fourteenth Road haben. Seht zu, dass keiner entkommt. Das Team soll sich bereithalten und auf Zivilisten achten.«
»Verstanden.«
»Agent Taylor, Beta Ambush geht an der Ecke 112th Street und Fifteenth Avenue in Stellung. Ihr wisst, was ihr zu tun habt. Bleibt auf Stand-by und behaltet die Zivilisten im Auge. Versucht heute, zur Abwechslung mal keine Kinder zu erschrecken.«
Ein tiefes Lachen ertönte. »Und Keeler den Spaß verderben? Auf gar keinen Fall.«
»Leck mich am Arsch, Taylor.«
»Komm ruhig her und bück dich schon mal, Keeler. Dann haben wir ein bisschen Spaß unter Jungs. Taylor out.«
»Pussy«, murmelte Ash.
»Das ist das Gegenteil von dem, was mich an dir interessieren könnte«, gab Agent Taylor lachend zurück.
Ash öffnete den Mund, um etwas zu erwidern – zweifelsohne etwas, was obszön genug war, um ihnen die Ohren klingeln zu lassen. Aber Sloane war schneller, tippte gegen Ashs Headset und wies mit dem Finger auf ihn. »Du kannst ein anderes Mal mit Taylor hohle Sprüche klopfen.« Ashs finsteren Blick ignorierend, widmete er sich wieder dem Team. »Okay, passt auf euch auf und zeigt diesen Arschlöchern, was passiert, wenn sie unsere Stadt auf den Kopf stellen. Letty, Rosa, lasst uns fünf Sekunden Vorsprung.«
»Alles klar.« Rosa setzte den Schutzhelm auf und senkte das Visier, das restliche Team tat es ihr nach.
Sloanes Stimme hallte laut und deutlich über die Headsets: »Ausrücken.«
Das BearCat von Destructive Delta stand an der Ecke 112th Street und Fifteenth Avenue. Sie winkten dem Fahrzeug von Beta Ambush kurz zu, als es ein paar Meter entfernt auf den Bürgersteig rollte. Alle sprangen ins Freie und bewegten sich auf ihre jeweiligen Ausgangspositionen zu.
Dex nahm sofort hinter Sloane die Formation ein, gefolgt von Ash. Sie hielten die Gewehre in der Hand, als sie den Gehweg entlangtrabten und in die Fourteenth Street abbogen. An der Ecke stand das BearCat von Beta Pride. Sie liefen darauf zu und sahen sich wachsam um, während sie mehrere zweistöckige Häuser mit weißem Holzzaun passierten. Der Himmel war blau, nur wenige dünne Wolkenschleier hingen über ihnen, es waren um die achtzehn Grad, und in der Umgebung war um diese Zeit alles ruhig. Keiner der Bewohner würde ahnen, dass irgendetwas nicht stimmte, es sei denn, sie schauten aus dem Fenster und sahen drei schwer bewaffnete THIRDS-Agents vorbeistürmen.
Noch bevor sie das BearCat der anderen erreicht hatten, bedeutete Sloane ihnen, dass sie die Straßenseite wechseln sollten. An der Ecke zur 110th Street blieben sie stehen. Auch wenn sie einen ganzen Block von IGD entfernt waren, wollte Sloane nicht das Risiko eingehen, dass man sie entdeckte. Sie gingen um die Ecke und folgten seinen wortlosen Anweisungen, indem sie sich hinter ein paar geparkten Autos versteckten und warteten. Sobald sie das Go bekamen, hasteten sie auf die andere Seite der Straße, seitlich an einem der Gebäude entlang und nach hinten zum dazugehörigen Parkplatz.
Ein Mann in grauem Anzug mit einer Mappe und einem Arm voll Unterlagen blieb wie erstarrt stehen und riss die Augen auf. Dex wies ihn wortlos an, ins Haus zu gehen, aber er brauchte drei Versuche, bevor der Zivilist sich einkriegte und reagierte. Dann stürzte er wie angestochen zurück zum Gebäude und rannte in seiner Eile beinahe gegen die Glastür.
Sloane bedeutete ihnen, weiter vorzurücken, und Dex bereitete sich innerlich auf das Kommende vor, indem er langsam Luft holte und sie wieder ausstieß. Er war inzwischen seit acht Monaten beim Team, und trotzdem konnte er manchmal immer noch nicht glauben, dass er jetzt ein THIRDS-Agent war. Die Hundemarken, die unter der Uniform auf seiner Haut lagen, erinnerten ihn daran, dass er nicht mehr bei der Mordermittlung war. Erst nachdem er seine sechsmonatige Probezeit mit Bravour hinter sich gebracht hatte, hatte man sie ihm überreicht.
Trotz seines anfänglichen Widerwillens, sich den THIRDS anzuschließen – die Bürokraten der HPF hatten ihn praktisch dazu gezwungen –, war Dex nie zufriedener mit sich gewesen als in dem Moment, in dem sein Lieutenant ihm die Hundemarken umgelegt hatte. Sein Dad und sein Bruder waren dabei gewesen und wären vor Stolz beinahe geplatzt. Die Marken erinnerten ihn nicht nur daran, dass er jetzt ein ganz neues Leben führte, sondern auch an alle, die sich auf ihn verließen. Destructive Delta hatte ihn willkommen geheißen, und selbst wenn der Neustart ein bisschen ruckelig ausgefallen war, wusste er eines ganz sicher: Er hatte nicht die Absicht, sie je zu enttäuschen.
Sie erreichten den Holzzaun hinter der Fensterfabrik. Sloane trat beiseite und nickte Dex zu. Als Rookie war es seine Aufgabe, ihnen den Weg frei zu machen. Der Spaß ging los.
Dex drehte sich um, sodass Sloane an seinen Rucksack und an das Halligan-Tool darin kam. Ein paar Sekunden später reichte sein Partner ihm eine kleine Brechstange, und Dex rammte den Kuhfuß zwischen zwei Bretter, bevor er kräftig am Griff zog. Das Holz knarrte und zersplitterte. Er packte auch das lose Brett und riss es raus. Sobald das zweite Brett ab war, wurde es leichter, das nächste zu entfernen. Er drehte sich um, um Sloane die Brechstange wiederzugeben, nur um sich gleich zwei finsteren Mienen ausgesetzt zu sehen.
»Was?«
Ash zeigte auf den Zaun. »Du passt da mit dem dürren Menschenarsch vielleicht durch, Daley. Aber wir müssten schon Glück haben, da auch nur die Schulter durchzukriegen.«
Echt jetzt? Dex wandte sich wieder dem Zaun zu und grummelte in sich hinein, während er die Brechstange zwischen die nächsten Bretter klemmte. Es war schließlich nicht seine Schuld, dass seine therianischen Teamkameraden wie Kleiderschränke gebaut waren. Wahrscheinlich sollte er froh sein, dass er nicht den halben Zaun abbauen musste. Er musste sich immer noch nicht nur daran gewöhnen, Teil eines Einsatzteams zu sein, sondern auch daran, dass er mit Therianern zusammenarbeitete. Unauffällig zu sein, während man bis an die Zähne bewaffnet war, war eine Herausforderung. Aber nicht weiter aufzufallen, obwohl man an die 2,15 Meter groß war, fast 135 Kilo wog und bis an die Zähne bewaffnet war, erforderte schon Voodookräfte. Er versuchte immer noch, dahinterzukommen, welche Art von Zauber Hobbs eingesetzt hatte, damit er während ihres letzten Einsatzes hinter einem Mini Cooper verschwinden konnte.
»Beweg den Hintern, Rookie«, knurrte Ash.
»Das würde dir gefallen, was?«, erwiderte Dex ächzend und zerrte an einem besonders störrischen Brett. »Du musst echt aufhören, mir auf den Arsch zu starren, Mann, sonst komme ich noch auf komische Gedanken.« Er lachte leise, als Ash ihn halblaut verfluchte.
Nachdem er seine Aufgabe erledigt hatte, reichte er Sloane die Brechstange, der sie schnell wieder im Rucksack verstaute. Er klopfte Dex kurz auf den Arm, um ihm zu signalisieren, dass er fertig war. Sofort trat Dex beiseite, um erneut die Formation einzunehmen. Dann hielt er inne und zog an Ash gewandt vielsagend eine Augenbraue hoch.
»Ich glotz dir garantiert nicht auf den Arsch, Daley. Nicht mal, wenn du das letzte fickbare Wesen auf der Welt wärst.«
Dex grinste breit. »Oh, du hältst mich also für fickbar?« Gott, er liebte es, Ash aufzuziehen. Es war so verdammt leicht.
Ash schubste ihn durch die Öffnung. »Ich sag dir eins: Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, schaue ich mir deinen Arsch demnächst noch mal ganz genau an, und zwar dann, wenn ich darauf ziele und dir eine Kugel in den Pelz brenne.«
»Noch mal?« Dex lachte. »Scheiße, Keeler hat mir auf den Hintern gestarrt.«
»Sloane …«, grollte Ash.
Sloane schüttelte den Kopf. Sie versteckten sich hinter den schweren Maschinen im Hinterhof der Fensterfabrik. »Dex.«
Es war nicht unbedingt eine Warnung, eher eine freundliche Erinnerung, besser den Mund zu halten. Nichtsdestotrotz grinste Ash selbstgefällig. Dex formte wortlos das Wort »Petze«, woraufhin aus Ashs Grinsen ein finsteres Grollen wurde. Das gefiel ihm schon besser.
Sie hasteten seitlich am Gebäude entlang, den Blick fest auf das Ziel auf der anderen Straßenseite gerichtet. Ein paar Meter entfernt stand ein kleiner Bulldozer vor dem Hintereingang, und sie kauerten sich daneben in den Schmutz und das vertrocknete Unkraut. Er hörte Sloanes leise Worte durch das Headset.
»Letty, Rosa, wie ist euer Status?«
»Wir nähern uns dem Bürogebäude.«
»Verstanden. Calvin?«
»Wir bringen gerade die Zündschnüre an. Sollen wir …« Ein Schuss unterbrach Calvins Antwort.
»Calvin?« Sloane kroch geduckt zur Vorderseite des Bulldozers. Über ihre Headsets hörten sie leises Stöhnen, Dex schlug das Herz bis zum Hals. Sloane fluchte vor sich hin, während er versuchte, ihren Teammitgliedern eine Reaktion zu entlocken. »Gottverdammt noch mal, Calvin. Red mit mir. Was zum Teufel ist bei euch los?«
»Jemand hat auf mich geschossen«, keuchte Calvin. Er hatte hörbar Mühe zu sprechen. »Alles okay. Hat die Weste erwischt. Fuck, tut das weh. Wir stehen unter Beschuss.« Just in dem Moment ertönten ganz in der Nähe weitere Schüsse.
Sloane spähte um den Bulldozer, um die Schützen ausfindig zu machen. »Ich habe Sichtkontakt. Vor uns steht ein Reisebus, ausgeschlachtet und alle Fenster zerschlagen. Ich sehe zwei Zielobjekte.«
»Da war wohl jemand nicht zufrieden mit dem Service«, murmelte Ash.
»Cael, ist ansonsten alles sauber?«, fragte Sloane.
»Abgesehen von euren Schützen ja. Keine Zivilisten zu sehen.«
»Agent Stone, Agent Taylor?«
»Stone hier. Alles gesichert.«
»Taylor. Alles sauber.«
»Verstanden. Destructive Delta, wir greifen jetzt ein. Los, los, los!« Sloane schoss hinter dem Bulldozer hervor, Dex und Ash folgten ihm auf dem Fuß. Ein Wirrwarr aus Gewehrfeuer, Explosionen und Schreien brandete an allen drei Standorten auf. Sie rannten auf den schwarz-goldenen Reisebus zu, und Sloane schleuderte mehrere Rauchbomben durch eines der eingeschlagenen Fenster, bevor sie durch eine Öffnung in der Fahrerseite eindrangen.
»Auf den Boden! Sofort!«, schrie Sloane. Die beiden menschlichen Schützen warfen die Gewehre beiseite.
Ash war bereits bei ihnen, packte sie und schleuderte sie gewaltsam zu Boden. »Hände auf den Rücken«, fauchte er, riss die Kunststoffhandschellen vom Gürtel und sicherte ihre Handgelenke.
Über die Headsets erreichte sie Calvins Warnung. »Gleich knallt’s!«
»Dex, zur Seitentür.« Sloane schubste Dex aus dem Bus. Sie liefen auf das Aluminiumgebäude zu, als das dritte Garagentor in einer Rauchwolke aus den Angeln gerissen wurde und durch den Dreck schlitterte, bevor es in den Fluss fiel. Als würde darin nicht schon genug Müll rumschwimmen.
Dex und Sloane positionierten sich rechts und links der kleineren Zugänge und gingen mit dem Rücken an der Aluminiumwand in Stellung. Sie mussten nicht lange warten. Die Türen flogen auf, neben Dex tauchte ein Gewehrlauf in der Öffnung auf. Er packte ihn mit der rechten Hand und rammte dem Schützen den linken Ellbogen ins Gesicht, sodass dessen Kopf zurückflog und Blut aus seiner Nase schoss. Mit einer Hand beförderte Dex die Waffe neben ihm ins Gras, mit der anderen richtete er das Gewehr auf die hustenden, keuchenden Menschen, die aus dem Gebäude kamen. Ihre Augen waren blutunterlaufen und tränten vom Rauch.
»Auf den Boden! Sofort auf den Boden!«, befahl Dex. »Und die Hände dahin, wo ich sie sehen kann!«
Einer der Bewaffneten wollte unter sein offenes Flanellhemd greifen, aber Dex stieß ihm den Stiefel in den Rücken und trat kräftig zu, sodass der Mann flach auf dem Bauch im Dreck landete. »Ich habe gesagt, die Hände dahin, wo ich sie sehen kann!« Er nahm eine Handvoll Kunststoffhandschellen vom Gürtel, hockte sich hin und hob das Hemd des Manns an. Darunter verbarg sich ein Revolver. Dex schleuderte ihn weg, dann fesselte er dem Kerl die Handgelenke und zog die Kabelbinder so fest, dass der Typ aufzischte. Sobald er alle drei Gegner auf weitere Waffen überprüft und sie gesichert hatte, stand er auf und tippte gegen sein Headset. »Ich habe drei in Gewahrsam.«
Rosas angestrengte Stimme antwortete ihm: »Wir haben vier.«
»Und wir fünf«, fügte Calvin heiser hinzu, bevor er einem der Täter irgendetwas entgegenbrüllte. Ihr Teamkamerad klang ungehalten, aber wem würde es nach einem Treffer in die Weste anders gehen?
Dex trat einen Schritt zurück und sah belustigt zu, wie Ash die beiden Bewaffneten aus dem Bus zerrte. Ihre Füße hingen praktisch in der Luft. Die therianischen Agents von Unit Alpha waren alle Raubtiere, die ganz oben in der Nahrungskette standen, in ihrem Fall große Raubkatzen, und jeder von ihnen war so stark wie zwei menschliche Agents. Wenn die Teams sich therianischen Tätern gegenübersahen, war das Kräfteverhältnis relativ ausgeglichen, obwohl die Agents je nach Gestalt, die sie gerade angenommen hatten, hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und Intelligenz meistens im Vorteil waren. Bei einer Auseinandersetzung mit Menschen gerieten sie nicht einmal ins Schwitzen. Das kam Dex sehr entgegen.
Sloane trat zu ihm und klopfte ihm zufrieden den Rücken. Gleichzeitig gab er seine Befehle durch: »Beta Pride, Beta Ambush, vorrücken. Ich will unsere Gefangenen alle in einer Reihe haben, mit dem Arsch auf dem Boden. Agent Taylor, Agent Stone, seht zu, dass ihr irgendwas aus ihnen rausbekommt.«
Sobald die Agents der anderen Defense Teams da waren, überließen sie ihnen die Gefangenen, und Sloane winkte Dex, ihm zu folgen. Unterwegs setzten sie die Schutzhelme ab und reichten sie einem der übrigen Agents. Sie betraten das Hauptgebäude, in dem nach der Explosion, die Calvin und Hobbs ausgelöst hatten, immer noch Rauch waberte.
»Was haben wir?«, fragte Sloane, während sie sich umsahen. Das Aluminiumgebäude war eigentlich eine Garage, groß genug für drei Autos. Doch irgendjemand hatte sie zu einer Basis umgebaut, die Wände isoliert und an zweien davon reihenweise Metallregale aufgestellt. Eine dritte Wand war von Pinnwänden mit Karten, Zeitungsartikeln, Rechnungen und einer Menge anderem Papierkram bedeckt. In der Mitte des Raums standen drei große Metalltische mit Bauteilen, Kartons, Wegwerfhandys, Maurerwerkzeug und Waffen.
Dex bemerkte Hobbs’ Blick und sah am Finger des schweigenden Agents entlang zu einem der hohen Regale. Calvin schloss sich seinem Partner an und rief sie zu ihnen.
»Schwefelsäure, Nitroglyzerin, Batterien und Zeitschaltuhren.« Calvin griff nach einer Schachtel besonders robuster Nägel. »Und wie es aussieht, haben sie es nicht nur auf Gebäude abgesehen.«
Diese widerlichen Scheißkerle. Als wäre es nicht schlimm genug, Bomben zu legen. Mussten sie es auch noch eigens darauf anlegen, unschuldige Bürger zu töten und zu verstümmeln? Wie konnte man sich so sehr verrennen, dass man tatsächlich glaubte, dass bei so was etwas Gutes rauskam? Sie hatten schon genug mit der Kriminalität in der Stadt zu kämpfen, aber das hier war ein ganz neuer Tiefpunkt an Scheißdreck, mit dem sie sich herumschlagen mussten.
»Irgendwo fertige Sprengkörper zu sehen?«, fragte Sloane.
Calvin schüttelte den Kopf. »Nein, nur Komponenten. Aber Hobbs sagt, sie brauchen mehr als das hier. Er glaubt, dass sie vielleicht erst ganz am Anfang stehen und noch alles zusammensuchen müssen, um tatsächlich Bomben zu bauen.« Er warf Hobbs einen kurzen Blick zu, der ernst nickte.
»Okay, danke, Jungs.« Sloane seufzte.
Dex wusste genau, was sein Partner dachte. Wenn keiner der Mistkerle da draußen redete, hatten sie nicht viel vorzuweisen. Es war sicher ein Sieg, dass die Arschlöcher nicht mehr frei rumliefen, aber solange sie Isaac Pearce nicht zu fassen bekamen, war die Gefahr nicht gebannt. Wer wusste schon, wie viele Basen wie diese es da draußen gab? Und in wie vielen lagen Bomben, die jederzeit gezündet werden konnten?
In der Hoffnung, auf etwas Brauchbares zu stoßen, ging Dex zu den Pinnwänden. Er suchte irgendeinen Hinweis darauf, wo der Anführer des Ordens sein könnte. »Das wirkt alles so ordentlich.«
»Wie meinst du das?«
Sloane kam zu ihm, und Dex deutete auf eine der Pinnwände. »Die Karten sind alle nigelnagelneu, als kämen sie frisch aus dem Laden, und sie konzentrieren sich nicht auf ein einzelnes Gebiet. Hier hängt eine Karte von Brooklyn, das da drüben ist ein U-Bahn-Plan von New York City, daneben ein Fahrradplan für Manhattan, und wenn ich nicht ganz danebenliege, ist das da drüben eine Karte von dieser Gegend, die jemand aus dem Internet ausgedruckt hat. Die Zeitungsartikel sind alle sauber ausgeschnitten und stammen aus den vergangenen beiden Monaten. Sie haben sogar ihre Rechnungen aufgehängt, verdammt noch mal. Wozu heben Bombenleger die Rechnungen für ihre Materialien auf? Wollen sie sie von der Steuer absetzen, oder was?« Er trat näher an die Wand. »Und sie sind auch alle aus den letzten zwei Monaten.« Er sah sich um und ging zu einem der Regale, um mit einem Finger über eine der Zeitschaltuhren zu streichen. »Auf den meisten Gegenständen ist eine dünne Staubschicht. Als wären die Sachen nie wieder angefasst worden, nachdem sie im Regal verstaut worden sind. Vielleicht haben sie auf Befehle gewartet oder …«
»Oder auf uns«, brachte Sloane den Satz zu Ende. Er strich sich übers Kinn. »Gute Arbeit, Dex. Du hast recht. Das ist irgendwie alles zu … einfach. Hören wir mal, ob jemand eingeknickt ist.« Er berührte sein Headset. »Cael?«
»Soll ich die Spurensicherung rufen?«, antwortete Cael prompt.
»Ja. Ich will, dass sie hier alles auf links drehen, und ich will sofort Bescheid wissen, wenn sie die Inventarliste in die Akte einpflegen.«
»Alles klar.«
Dex folgte Sloane nach draußen. Die vierzehn Gefangenen saßen ordentlich aufgereiht und mit auf den Rücken gebundenen Händen auf dem Boden. Um sie herum standen beinahe doppelt so viele schwer bewaffnete Agents und verhinderten mit ihrer Anwesenheit, dass jemand auf halsbrecherische Ideen kam. Es war unglaublich, was manche Kriminelle anstellten, wenn sie verzweifelt waren.
Dex hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, als einer der Männer aufsprang und losrannte.
Ash starrte ihm nach. »Was zum Henker glaubt der, was er da tut?«
Als sich von überall Agents näherten, blieb der Kerl abrupt stehen und überraschte sie alle, indem er in den East River sprang – und zwar nur, um keuchend, prustend und offensichtlich ertrinkend um Hilfe zu schreien.
»Echt jetzt?« Dex hatte schon viel bizarres Zeug im Dienst erlebt, aber das hier war auf einem Niveau mit dem Typ, der damals in seiner Zeit als Rookie bei der HPF versucht hatte, seinen Einsatzwagen zu klauen, während Dex auf dem Rücksitz saß.
Ash prustete vor Lachen. »Was für ein Flachwichser.«
Nach einer Runde Schere, Stein, Papier begann einer der therianischen Agents von Beta Ambush, sich wild fluchend auszuziehen. Sobald er nur noch bunte Boxershorts trug – und seinen Teammitgliedern den Mittelfinger gezeigt hatte, weil sie ihm nachpfiffen und anzügliche Bemerkungen machten –, sprang er in den Fluss, tauchte ein paar Sekunden später wieder auf und zerrte den keuchenden Gefangenen hinter sich her. Der dunkelhaarige Agent zog sich mit einer Hand ans Ufer und schleuderte mit der anderen den Mann in den Staub.
Anschließend verließ der Agent das Wasser, schnappte sich das Handtuch, das ihm ein Teammitglied entgegenhielt, und warf den Gefangenen finstere Blicke zu. »Das war das letzte Mal. Den nächsten Saftsack, der da reinspringt, lasse ich absaufen. Verdammt, ist das Wasser kalt.« Er schnupperte. »Bah, und es stinkt. Muss ich jetzt in Quarantäne? Das Zeug ist doch garantiert giftig.«
Seine Teamkameraden lachten, bis Sloane die Hand hob und alle zum Schweigen brachte. Er trat zu den ernüchtert wirkenden Gefangenen. Ein paar konnten kaum älter sein als Cael. Tatsächlich fiel Dex einer von ihnen besonders ins Auge. Der Junge war höchstens sechzehn oder siebzehn.
»Wo ist Isaac Pearce?«, fragte Sloane herrisch. Er ging langsam vor ihnen auf und ab, mit eindringlichem, bernsteinfarbenem Blick musterte er die Gefangenen.
Dex war nicht überrascht zu sehen, dass sich bei dem einen oder anderen ein Ausdruck von Angst in die bockige Miene schlich. Sie machten alle nicht den Eindruck hartgesottener Krimineller. Mit seinen 1,95 Metern und knapp 110 Kilogramm plus noch mal über dreißig Kilo an Ausrüstung am Körper wirkte Sloane Brodie selbst dann beeindruckend, wenn er es nicht darauf anlegte, andere einzuschüchtern. Dazu kam die Tatsache, dass ihn sein Registrierungstattoo am Hals als Jaguar-Therianer auswies und er über zwanzig Jahre Erfahrung im Feldeinsatz hatte. Da musste man schon noch naiver sein als der Typ, der gerade kopfüber in den Fluss gesprungen war, um keinen Schiss zu bekommen.
»Begreift ihr den Ernst eurer Lage? Glaubt ihr, die THIRDS nehmen Terrorismus auf die leichte Schulter? Euer sogenannter Anführer hat vor den Augen der ganzen Welt Gesetzesvertreter ermordet. Er hat unschuldige Bürger, unschuldige Kinder bedroht. Wenn er Glück hat, erwartet ihn nur ein Leben im Gefängnis. Das ist eure Chance, das Richtige zu tun und alles zu retten, was von eurer Zukunft noch übrig ist.«
Ein bierbäuchiger Hornochse spuckte Sloane vor die Füße. »Wir reden kein Wort mit dir, du therianischer Freak. Es ist ein Fehler, dass es euch gibt. Die menschliche Art ist euch überlegen. Du bist nicht mehr als ein verhätscheltes Haustier. Man sollte euch zu den anderen Tieren in den Zoo sperren oder einschläfern. Menschen an die Macht!«, rief er, und Dex verdrehte die Augen. »Menschen an die Macht! Menschen an …«
Sloane stupste dem Kerl mit dem Stiefel vor die Brust, sodass er umfiel und auf seinen gefesselten Armen landete. Danach war es mit dem Geschrei vorbei, obwohl es nicht mal ein richtiger Tritt gewesen war. Sloanes leichter Stoß hatte gereicht, um den Gefangenen aus dem Gleichgewicht zu bringen. Jetzt zappelte er herum wie eine Schildkröte auf dem Rücken und versuchte, sich wieder aufzurichten. Dex musste sich die Faust vor den Mund halten, um nicht zu lachen.
»Hat irgendjemand was Nützliches zu sagen?«, wollte Sloane wissen.
Dex betrachtete die schweigende, finster dreinsehende Gruppe. Sein Blick huschte wieder zu dem Teenager. Der Junge schluckte mühsam und sah nicht auf. Ein älterer Mann, der ihm auffallend ähnlich sah, hockte neben ihm.
Dex aktivierte sein Headset. »Sloane.«
Sein Partner sah sich kurz zu ihm um und schloss sich Dex wortlos an, als er ein Stück wegging.
»Was gibt’s?«
»Ich glaube, wir sollten es mit dem Dash-Duett versuchen.«
Sloane zog eine Augenbraue hoch. »Meinst du wirklich, das klappt?«
»Der Kleine ist kurz davor, sich in die Hose zu kacken. Ich schätze, der Typ neben ihm ist sein alter Herr. Wahrscheinlich hat er ihn überhaupt erst in die ganze Sache mit reingezogen.«
Sein Partner rieb sich das Kinn, dann nickte er. »Okay.« Er drehte sich um und winkte Ash zu sich.
»Was gibt’s?«, fragte der mürrische Agent.
Dex merkte Sloane an, dass er sich große Mühe gab, nicht zu lächeln.
»Wir versuchen es mit dem Dash-Duett.«
Wie erwartet stöhnte Ash leise auf. »Leck mich doch am Arsch.« Er funkelte Sloane wütend an. »Ich kann nicht fassen, dass du ihm erlaubt hast, eine offizielle Vorgehensweise daraus zu machen. Und musstest du auch noch zulassen, dass er ihr einen Namen verpasst?«
Sloane zuckte mit den Schultern. In seinen Augen blitzte es amüsiert. »Dir ist auch nichts Besseres eingefallen.«
»Weil ich von Anfang an nicht mit diesem Mist einverstanden war.«
»Tja, der Mist funktioniert. Also wirst du damit leben müssen.« Sloane versetzte ihm einen harten Klaps auf die Schulter und lachte angesichts seines schmollenden Kumpels in sich hinein.
»Wer ist die Zielperson?«, grummelte Ash.
»Der Junge.« Dex berührte sein Headset. »Cael, fahr das BearCat vor.«
»Verstanden.«
Dex ging dem näherkommenden Fahrzeug entgegen. Sobald sein Bruder die Hintertüren geöffnet hatte, sprang er rein.
»Was ist los?«
»Wir ziehen das Dash-Duett durch.« Dex positionierte sich auf einer Seite des Fahrzeugs. Er konnte Ash fluchen und grummeln hören, als er sich näherte.
»Ich kann nicht fassen, dass du Sloane überredet hast, das Ganze in den Strategiekatalog aufzunehmen«, sagte Cael lachend und setzte sich vor die Überwachungskonsole. Anscheinend wollte er bleiben und die Show genießen. »Ash hasst das.«
Dex wackelte mit den Augenbrauen. »Ich weiß.«
Allerdings wusste er auch, dass Ashs Ablehnung in erster Linie damit zu tun hatte, dass das Manöver Dex’ Idee gewesen war und dass es überdies funktionierte. Und was ihn erst recht auf die Palme brachte, war die Tatsache, dass Dex bei der Benennung ihre Namen miteinander verbunden hatte, sodass Dash entstanden war.
Aber so sehr Ash sich auch aufregte, konnte er nicht leugnen, dass ihre widersprüchlichen Persönlichkeiten bei gemeinsamen Befragungen Ergebnisse erzielten. Ash war die Art Mann, die Babys zum Weinen brachte, indem er sie nur ansah. Insofern ging es bei dieser Taktik weniger um »Guter Cop, böser Cop« als vielmehr um »Ach du Scheiße, halt ihn mir bloß vom Leib. Okay, mit dir rede ich, du bist wenigstens kein Killer«. Und das Beste daran war, dass sich ihre schauspielerische Leistung dabei auf ein Minimum beschränkte.
»Rein da, verdammt noch mal.« Ash stieß den erschrockenen Teenager so abrupt in das BearCat, dass der Junge taumelte. Dex fing ihn auf, bevor er kopfüber irgendwo gegenknallte und sich selbst ausknocken konnte.
»Mein Gott, Keeler. Lass es locker angehen.« Dex senkte den Kopf, um den Jungen anzuschauen. »Alles okay bei dir?«
Der Junge presste die Lippen aufeinander und runzelte die Stirn.
Dex zeigte auf die lange Bank, auf der das Team sonst saß. »Warum setzt du dich nicht hin, äh … Wie heißt du?«
»Willst du ihm vielleicht auch noch ein Schlaflied singen, Daley?« Ash schnaubte abfällig.
Dex ignorierte ihn und konzentrierte sich auf den Jungen, der zögernd auf der Bank Platz genommen hatte. »Wie heißt du?«, wiederholte er.
Er bekam keine Antwort.
Ash stürmte vor, packte den Jungen am T-Shirt und riss ihn knurrend in die Höhe. »Er hat dir eine verdammte Frage gestellt. Kooperierst du jetzt mit uns oder soll ich mich verwandeln, damit ich deine dürren Knochen als Zahnstocher benutzen kann?«
Dex gab sein Bestes, eine ernste Miene zu wahren und nicht über Ashs alberne Sprüche zu lachen. Der Junge riss die Augen auf, und ihm entfuhr ein Quietschen, als Ash ihn grob zurück auf die Bank schob und über ihm aufragte.
»Du hast fünf Sekunden, uns deinen Namen zu verraten, bevor ich richtig sauer werde. Fünf.«
»Keeler.« Dex seufzte. »So kommen wir nicht weiter.«
Ash fuhr zu ihm herum und boxte ihm gegen die Weste. »Dein Problem, Daley. Zu sehr damit beschäftigt, Gänseblümchen zu pflücken und Witze zu reißen, statt dir die Hände schmutzig zu machen, was?«
»Was zum Teufel soll das heißen?« Dex stemmte die Hände in die Hüften.
Ash kam näher und senkte die Stimme zu einem leisen Knurren, das Dex nicht beeindrucken konnte. »Das soll heißen, dass du nicht die Eier hast, ihn dir richtig vorzunehmen und zu tun, was nötig ist. Dass du immer versuchst, einer von den Guten zu sein.«
»Ich bin einer von den Guten. Das sind wir alle! Leck mich, Mann. Ich weiß, wie ich meinen Job zu erledigen habe. Nur weil ich nicht durch die Gegend renne und alte Damen erschrecke oder den wütenden Rächer spiele, heißt das noch lange nicht, dass ich Angst habe, mir die Hände schmutzig zu machen.«
Mit bebenden Nasenflügeln stürmte Ash zu dem Jungen und riss ihn wieder hoch. »Jetzt hör mir mal zu, du kleiner Scheißer. Jede Minute, die du nicht redest, ist eine, die ich hier mit diesem Gummibärchen fressenden, Käseflips mampfenden Arschloch verbringen muss, das auch noch ständig irgendwelchen Achtziger-Jahre-Dreck jodelt. Davon bekomm ich echt schlechte Laune. Willst du, dass ich schlechte Laune bekomme?«
Der Junge schüttelte hektisch den Kopf.
»Dann beantworte seine verdammten Fragen! Ich schwöre beim Grab meiner Mom: Wenn du nicht endlich redest, sorg ich dafür, dass du dir wünschst, nie geboren worden zu sein.«
»Simon!«, platzte es aus dem Kleinen heraus. »Ich heiße S-Simon Russell.«
Nachdem Ash den Jungen brutal zurück auf den Hintern befördert hatte, wirbelte er zu Dex herum und blaffte: »Jetzt mach gefälligst weiter, Daley.«
Dex setzte sich neben Simon, der reichlich erschüttert und elend dreinsah. Er ließ die Schultern hängen und schaute immer wieder ängstlich zwischen Ash und Dex hin und her.
»Ich entschuldige mich für meinen Kollegen, Simon. Er wird quengelig, wenn man ihm seine Schnabeltasse mit Orangensaft und sein Nickerchen vorenthält.« Dex hätte schwören können, dass Simons Mundwinkel zuckten. »Ich bin Agent Daley, und auch wenn du es nicht glaubst: Ich bin hier, um dir zu helfen.«
Simon sah Dex an, als versuche er, ihn einzuschätzen. »Dad sagt, alle menschlichen THIRDS-Agents sind Verräter an unserer Art.«
Er sprach ganz leise, aber Dex hörte ihm an, wie unsicher er war. Dex hätte sein ganzes Gehalt daraufgesetzt, dass sich der Junge nie auf so etwas eingelassen hätte, wenn ihm dieses Arschloch von einem Vater nicht so viel Hass in den Kopf gepflanzt hätte.
»Ich bin kein Verräter, Simon. Ich bin ein ganz normaler Typ, der versucht, das Richtige zu tun. Es ist mein Job, unschuldige Bürger zu beschützen und allen zu helfen, die sich verloren fühlen. Ich glaube, dass jeder eine Chance auf Sicherheit und Glück verdient hat, egal, welcher Spezies man angehört. Weißt du, ich war bei der HPF, bevor ich zu den THIRDS gegangen bin. Genau wie mein Dad.«
Simon legte den Kopf schief und regte sich leicht. Das verriet Dex alles, was er über den jungen Mann wissen musste, und er redete weiter, solange er sich Simons Aufmerksamkeit sicher sein konnte.
»Mein Dad war Mordermittler auf dem Sechsten Revier. Sein bester Freund Tony und er, sie waren die Besten weit und breit. Ich war so stolz auf ihn. Ich habe meinen Freunden so oft vorgeschwärmt, wie toll mein Dad ist, dass sie es nicht mehr hören konnten«, sagte er leise lachend. Beim Gedanken an seinen Vater zog sich in seiner Brust immer noch alles zusammen. Es verging kein Tag, an dem ihm seine Eltern nicht fehlten. »Er war mein Held.«
»War?«, fragte Simon stirnrunzelnd.
»Ja, er ist während der Aufstände getötet worden, zusammen mit Mom.« Dex seufzte und schüttelte den Kopf. »Er war damals immer wieder im Dienst, aber eines Abends war er mit meiner Mom im Kino. Sie wollten nur ausgehen.« Er schluckte mühsam und richtete den Blick auf seine Handschuhe und seine ineinander verschränkten Finger. »Und dann gab es ausgerechnet im Kino eine Schießerei. Mein Dad hat versucht, alle sicher nach draußen zu bringen. Mom … ist ins Kreuzfeuer geraten. Mein Dad hat versucht, sie zu retten, und ist in die Brust geschossen worden.«
»Tut mir leid«, murmelte Simon. Er wirkte noch niedergeschlagener als zuvor.
Dex schniefte und blinzelte, um das Brennen in seinen Augen zu vertreiben. Achtundzwanzig Jahre, und es fühlte sich immer noch an, als wäre es gestern gewesen. »Ja, sie fehlen mir, sehr sogar. Aber kurz danach hat Tony mich adoptiert, und ein paar Monate später habe ich einen kleinen Bruder bekommen. Ich würde ihn für nichts in der Welt hergeben. Hast du auch Geschwister?« Er wusste nicht, was ihn geritten hatte, Simon zu erzählen, was mit seinen Eltern passiert war. Aber sobald er einmal ins Reden gekommen war, war alles aus ihm herausgepurzelt. Simon war jung. Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich, wenn er nur für das einstand, was er wollte. Nicht für das, was sein Vater von ihm erwartete.
Simon nickte. »Einen älteren Bruder. Matthew. Er wohnt jetzt in Boston.«
Wenigstens war dieser Matthew davongekommen.
»Ist er ein guter großer Bruder?«, fragte Dex. Ihm fiel auf, wie sehr Simons Augen aufleuchteten, und unterdrückte einen Fluch. Der Kleine war jünger als anfangs vermutet. Höchstens fünfzehn.
»Er ist toll. Er passt immer auf mich auf und zockt mit mir. Wir streiten uns auch, aber so ist das bei Brüdern eben. Er hat sich nie für zu cool gehalten, um mit mir rumzuhängen. Nicht mal, als seine Kumpels ihn deshalb aufgezogen haben. Und du?«
Dex lächelte breit. »Ob ich ein guter großer Bruder bin? Keine Ahnung. Ich schätze, da müssen wir mal fragen.« Er sah sich um und grinste Cael an. »Was meinst du? Sei bloß nett.«
»Abgesehen davon, dass du einem manchmal echt auf den Sack gehen kannst …«, antwortete Cael. Sein Lächeln ließ seine Augen strahlen. »Ja, du bist ein toller großer Bruder.«
Dex wandte sich wieder an Simon, der den Mund weit aufgerissen hatte. Sobald er sich erholt hatte, stammelte er: »Der ist dein Bruder? Aber … aber das ist ein Therianer!«
»Verrat mir mal was, Simon. Wenn dir irgendetwas passieren würde und du auf einmal … anders wärst, würde Matthew sich von dir abwenden?«
Simon öffnete den Mund, um zu antworten, schien sich aber plötzlich anders zu entscheiden. Er ließ die Schultern sinken und schüttelte den Kopf. »Nein. Er würde mich weiter lieb haben, egal, was kommt. Das weiß ich genau.«
»Also warum sollte ich meinem kleinen Bruder so was antun? Er ist ein ganz normaler Typ, genau wie du.« Dex zuckte mit den Schultern. »Okay, seine DNA ist vielleicht ein bisschen anders, aber ich habe ihn genauso lieb wie dein großer Bruder dich. Außerdem ist er der Einzige, der es beim Zocken schafft, mich fertigzumachen. Er ist der totale Nerd.«
»Das sagt der Richtige.« Cael schnaubte.
Dex legte Simon eine Hand auf die Schulter. »Irgendwas sagt mir, dass Matthew mit den Ansichten eures Dads nicht einverstanden ist.«
»Nein. Sie haben dauernd gestritten. Dad hat uns immer gesagt, dass Therianer schlecht sind. Ungeheuer aus der Hölle, die die Kinder Gottes verderben. Anfangs hat Matthew ihm geglaubt.«
»Und dann?«
»Dann hat er Jenny kennengelernt.«
»Ah.« Dex lächelte vielsagend. »Dein Bruder hat sich in eine Therianerin verliebt.«
»Ja. Ich hatte solche Angst um ihn. Dad ist ausgerastet, als er dahintergekommen ist. Er hat Matthew gedroht, aber Matthew hat sich geweigert, Jenny zu verlassen. Deshalb hat Dad ihn rausgeschmissen und ihm gesagt, dass Matt für ihn gestorben ist. Und hinterher hat er mir gesagt, dass ich keinen Bruder mehr habe, aber ich konnte das nicht. Ich konnte nicht so tun, als ob Matt tot ist. Ich wollte so gern mit ihm mitgehen, aber Matt war erst sechzehn, und Dad hat ihn ohne einen Penny vor die Tür gesetzt. Er hat ihm nicht mal genug Zeit gelassen, seine Klamotten zu holen.« Die Falte auf Simons Stirn wurde tiefer und seine Stimme wütender. »Wie konnte er das tun? Wie konnte er Matt einfach rauswerfen? Ich wollte ihm wehtun, aber ich war klein und hatte solche Angst. Ich habe ihn gehasst.« Er senkte den Kopf, in seinen Augen standen Tränen. »Gott, ich bin so ein Weichei.«
»He.« Dex drückte ihm die Schulter. »Sei nicht so hart zu dir. Du konntest nicht viel tun, und dein Dad ist selbst für seine miesen Entscheidungen verantwortlich. Es ist okay, Angst zu haben, aber du bist kein Kind mehr, Simon. Du kannst jetzt eigene Entscheidungen fällen. Das, worauf dein Dad sich hier eingelassen hat, wird ihn lange Zeit hinter Gitter bringen. Er will unschuldigen Therianern wehtun, Therianern wie Jenny oder meinem kleinen Bruder.«
Simon sah sich kurz zu Cael um, bevor er schuldbewusst den Blick abwandte.
»Ist es das, was du willst? Willst du dir jede Chance auf eine Zukunft verbauen, jede Chance, Matt wiederzusehen, und das alles nur, weil dein Dad Fehler gemacht hat?«
Simon biss sich auf die Unterlippe. Eine gefühlte Ewigkeit später schüttelte er den Kopf. »Nein, ich will nicht ins Gefängnis, nicht für dieses Arschloch. Ich wollte nicht mitmachen. Aber er hat gesagt, dass ich verschwinden kann und besser verrecken soll, wenn ich auch Therianer ficken will wie mein Bruder.« Ihm lief eine Träne über die gerötete Wange, dann sah er zu Dex auf. »Kannst du mir wirklich helfen?«
Dex nickte. »Ich verspreche es dir, Simon. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit du zu Matt kannst, aber vorher brauche ich deine Hilfe.«
»Okay.« Simon nickte ihm kurz und mit entschlossener Miene zu. »Was soll ich tun?«
»Du musst mir alles erzählen, was du über Isaac Pearce weißt.«
»Wie sieht es mit dem Sprengstoff aus?« Isaac Pearce trat neben seinen Jünger und legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter.
So treu. Seine kleine Schafherde war jederzeit bereit, überall hinzugehen, wo er sie hinführte, und jeden seiner Befehle zu befolgen. Es war leicht gewesen, Anhänger zu finden. Er hatte nur die richtigen Knöpfe entdecken und drücken müssen.
»Wir sind fast fertig, Sir. Wir warten nur noch auf den letzten Rest C4.«
»Hervorragend. Sag mir Bescheid, wann wir loslegen können.« Mit einem Lächeln und einem Klaps auf den Rücken setzte Isaac seine Runde durch die kleine, ehemals verlassene Fabrik fort und überprüfte, ob an allen Plätzen die notwendigen Vorbereitungen liefen.
Es hatte ein paar Monate gedauert, seine Herde aufzubauen, die nötigen Materialien zu besorgen und seine nächsten Schritte zu planen. Er hatte zwei voll funktionsfähige Basen geschaffen, die die neuesten Rekruten des Ordens beherbergten. Die in der IGD sollten die THIRDS inzwischen dichtgemacht haben. Es war faszinierend, wie leicht man diese Zirkustiere durch strategisch platzierte Reifen springen lassen konnte, wenn man nur an den richtigen Stellen Informationen durchsickern ließ. Er hatte dadurch wahrscheinlich ein paar Anhänger verloren, aber im Krieg waren Kollateralschäden nicht zu vermeiden. Es war ein Opfer, das seine Gefolgschaft und er für das größere Ganze zu leisten bereit waren.
Zweifelsohne gingen diese Bastarde bei den THIRDS davon aus, dass er nicht den Mumm hatte, durchzuziehen, was er angefangen hatte. Doch sie würden schon bald begreifen, dass er auf Zeit gespielt hatte. Als ehemaliger HPF-Detective war er mit der hohen Schule der Geduld bestens vertraut. Es hatte ihn Monate gekostet, die Morde an diesen HumaniTherian-Kakerlaken zu planen, gefolgt von der Entführung von Agent Brodie.
Isaac schloss die Augen und erinnerte sich an den kurzen, seligen Moment, als er diesen Therianer-Abschaum foltern konnte. Brodie sollte von seiner Hand sterben. Es sollte nicht mehr als eine blutige, zerstückelte, verbrannte Leiche von ihm übrig bleiben. Doch Isaac war gezwungen gewesen, auf seinen Notfallplan zurückzugreifen und die geschickt unterhalb der Metro-Trasse platzierten Sprengkörper zu zünden.
Bei der Erinnerung lächelte er breit. Sie hatten ihn für tot gehalten, hatten geglaubt, ihn los zu sein. Aber stattdessen war er wie der Phönix aus der Asche auferstanden und als bescheidener Diener der großen Göttin Adrasteia zu ihnen zurückgekehrt, bereit, seine Bestimmung zu erfüllen. Die ganze menschliche Art stand auf dem Spiel, und er würde sich nicht geschlagen geben, ohne sich den Kampf seines Lebens zu liefern.
Stundenlang hatte er überlegt, wo er als Nächstes zuschlagen sollte – oder vielmehr bei wem. Wenn seine Art und er auch nur die geringste Chance haben wollten, diesen Krieg für sich zu entscheiden, musste er die THIRDS ausschalten, und dank Agent Morelli hatte Isaac einen brauchbaren Ansatz gefunden. Der Therianer-Abschaum hatte es tatsächlich geschafft, sich noch mal nützlich zu machen, bevor Isaac ihn wie den Köter, der er war, abgeknallt hatte. Jedem anderen hätte die Information nicht viel gebracht, aber er hatte schon Fälle gelöst, bei denen er weniger in der Hand gehabt hatte.
Zuversichtlich, dass alles nach Plan lief, zog Isaac sich in sein Büro im zweiten Kellergeschoss zurück, um nicht gestört zu werden. Er schaltete den Monitor an, seufzte auf und schalt sich innerlich, weil er so ein sentimentaler Vollpfosten war. Wie konnte er den Verlust eines Freunds betrauern, den er nur so kurz gehabt hatte? Natürlich fühlte es sich an, als hätte er den Mann viel länger gekannt. Isaac hatte ihn über Monate beobachtet und studiert. Wie naiv war er gewesen zu glauben, dass er jemanden gefunden hatte, der ihn verstand und sich möglicherweise auf seine Seite schlagen würde? Einen Partner, dem er vertrauen konnte und der die Position einnahm, von der er immer gehofft hatte, dass sie eines Tages von seinem Bruder Gabe besetzt werden würde?
Stattdessen hatte Dexter J. Daley sich für diesen kranken Freak Sloane Brodie entschieden, genau wie Gabe vor ihm. Isaac ballte die Faust auf dem Schreibtisch, während er in Dex’ lächelndes Gesicht und seine blauen Augen sah.
Dex wäre der perfekte Anhänger gewesen. Er war loyal bis zum Umfallen, klug, mutig, kompetent, und wenn er sich etwas vorgenommen hatte, setzte er Himmel und Hölle in Bewegung, um es zu ermöglichen.
Dieser verfluchte therianische Scheißkerl. Er hatte Dex genauso korrumpiert wie vorher Gabe.
Isaac sprang auf und begann, hin und her zu wandern. Wenn Brodie Dex nicht zuerst in die Finger bekommen hätte, hätte Isaac schon eine Möglichkeit gefunden, ihm seinen Wert begreiflich zu machen und ihm zu zeigen, wo er wirklich hingehörte – zu ihm und zu seiner eigenen Art, nicht zu diesen Tieren. Aber ihm blieb noch etwas Zeit. Er hatte Dex noch nicht ganz verloren, auch wenn seine Chancen mit jedem Tag weiter abnahmen.
Isaac unterbrach sein rastloses Umhertigern und kehrte an den Schreibtisch zurück, um den Grundriss ihres ersten Ziels aufzurufen. Wenn alles nach Plan lief, musste er sich anschließend keine Gedanken mehr um Sloane Brodie machen. Endlich hatte er, was er brauchte. Brodie umzubringen reichte ihm nicht mehr. Isaac wollte ihn vernichten, ihm alles nehmen, bis nichts mehr von ihm übrig war als eine zerschmetterte Hülle. Erst dann würde er ihn töten.
Aber zunächst würde er sich zurücklehnen und dabei zuschauen, wie die THIRDS zu Staub zerfielen, während die Stadt im Chaos versank. Danach, wenn kein Stein mehr auf dem anderen stand und die Krankheit geheilt war, würde Isaac es noch einmal bei Dex versuchen. Und falls er sich wieder weigern sollte, sich ihm anzuschließen, konnte Dex Gabe im Jenseits Gesellschaft leisten.
***
Heute war sein Glückstag.
Dex’ Zielperson war erledigt. Der Kerl wusste es nur nicht.
Vorsichtig näherte er sich dem Türrahmen, die Waffe fest gegen die Schutzweste gedrückt. Ein Schuss. Mehr brauchte er nicht. Er konnte das. Lautlos kauerte er sich hin und neigte den Kopf, um so viel wie möglich zu erkennen, ohne selbst eine Angriffsfläche zu bieten. Als die Bahn frei schien, stürmte er auf die Barrikade zu, glitt dahinter und drückte sich mit dem Rücken an die glatte Oberfläche.
Tief durchatmen.
Jetzt oder nie. Am Ende würde nur noch einer von ihnen stehen, und er hatte die feste Absicht, selbst derjenige zu sein. Er sprang aus dem Schutz der Barrikade hervor und hob im selben Moment wie sein Gegner die Waffe. Mit knirschenden Zähnen gab er ein paar Schüsse ab und traf sein Ziel genau ins Herz. Sein Gegner wurde nach hinten geschleudert und sackte auf dem Boden in sich zusammen.
