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In New York tobt ein Bandenkrieg zwischen verfeindeten politischen Gruppen, und die Straßen der Stadt werden zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen. Für die THIRDS spitzt sich die Lage zu: Ein Maulwurf in den eigenen Reihen spielt der Ikelos-Koalition geheime Informationen zu. Das Einsatzteam Destructive Delta steht vor einer schweren Mission. Alte Wunden aus dem verheerenden Anschlag auf das Therianer-Jugendzentrum sind noch längst nicht verheilt, als eine Begegnung mit Mitgliedern der Koalition alles verändert. Agent Dex Daley stößt auf eine Wahrheit, die alles infrage stellt – und die Gewalt in einem neuen Licht erscheinen lässt. Während Dex und Sloane um Antworten ringen, geraten nicht nur ihre Beziehung, sondern auch ihr Leben in Gefahr. Wie hält man einen Feind auf, der immer einen Schritt voraus ist?
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Seitenzahl: 383
Veröffentlichungsjahr: 2025
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CHARLIE COCHET
RACK & RUIN
THIRDS 3
Aus dem Englischen von Kira-Wolf Marz
Über das Buch
In New York tobt ein Bandenkrieg zwischen verfeindeten politischen Gruppen, und die Straßen der Stadt werden zum Schauplatz blutiger Auseinandersetzungen. Für die THIRDS spitzt sich die Lage zu: Ein Maulwurf in den eigenen Reihen spielt der Ikelos-Koalition geheime Informationen zu.
Das Einsatzteam Destructive Delta steht vor einer schweren Mission. Alte Wunden aus dem verheerenden Anschlag auf das Therianer-Jugendzentrum sind noch längst nicht verheilt, als eine Begegnung mit Mitgliedern der Koalition alles verändert. Agent Dex Daley stößt auf eine Wahrheit, die alles infrage stellt – und die Gewalt in einem neuen Licht erscheinen lässt.
Während Dex und Sloane um Antworten ringen, geraten nicht nur ihre Beziehung, sondern auch ihr Leben in Gefahr. Wie hält man einen Feind auf, der immer einen Schritt voraus ist?
Über die Autorin
Charlie Cochet ist die Bestsellerautorin der international beliebten THIRDS-Serie, die Romantik, Humor und Spannung miteinander verbindet. In ihren Geschichten trifft kubanisches Temperament auf amerikanischen Charme – mit viel Herz und lebendigen Figuren.
Sie lebt in Zentralflorida und liebt Classic Rock und kubanischen Kaffee. An ihrer Seite: ein aufgeweckter Doxiepoo und ein ziemlich meinungsfreudiger Deutscher Schäferhund. Wenn sie nicht gerade schreibt, liest sie gern oder schaut Filme.
Charlies Geschichten laden dazu ein, dem Alltag zu entfliehen – unterhaltsam, gefühlvoll und mit einem Augenzwinkern.
Die englische Ausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Rack and Ruin«.
Deutsche Erstausgabe November 2025
© der Originalausgabe 2019: Charlie Cochet
© für die deutschsprachige Ausgabe 2025:
Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth,
Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg
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auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten
mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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im Sinne von § 44b UrhG ist ausdrücklich verboten.
Umschlaggestaltung: Juliana Fabula
Lektorat: Rieke Conzen
Satz & Layout: Mo Kast
Druck: Bookpress, Olsztyn, Polen
ISBN: 978-3-98906-106-4
ISBN E-Book: 978-3-98906-105-7
Auch als Hörbuch erhältlich!
www.second-chances-verlag.de
Am Ende dieses Buches findest du ein Personenverzeichnis und ein Glossar.
Titel
Über die Autorin
Impressum
Hinweis Glossar und Personenverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Personenverzeichnis
Glossar
»Der rennt weg.«
Dex nahm seinem Partner die Schutzweste ab und reichte sie an seinen Bruder weiter. »Meinst du?«
Er spähte aus den Panzerscheiben des BearCats, aber so spät in der Nacht konnte er nicht das Geringste erkennen, besonders da ihr kleiner Freund sich im Grün des Central Parks versteckt hatte.
Dass es Hobbs irgendwie geschafft hatte, ihr schwarzes Einsatzfahrzeug in einem Dickicht aus Bäumen zu parken, die genug Schatten warfen, um Dex das Gefühl zu geben, er wäre in ein schwarzes Loch geraten, war keine Hilfe. Aber eins musste er seinem therianischen Teamkameraden lassen: Hobbs könnte das BearCat sogar auf einem verdammten Flaggenmast parken, wenn er müsste. Vielleicht fiel es einem gigantischen Therianer einfach leichter, mit gigantischen Fahrzeugen fertigzuwerden. Die Parkverwaltung würde stocksauer sein, falls sie herausfand, dass sie abseits der Straßen herumgekurvt waren.
»Das macht er jedes Mal.« Als Nächstes legte Sloane sein Oberschenkelholster ab und reichte es Dex, der es sofort seinem Bruder hinhielt. Cael schnaubte, nahm es aber klaglos entgegen. Zweifelsohne wusste er, dass Dex ihn nur ärgern wollte. Ach ja, es war immer wieder schön, mit der Familie zusammenzuarbeiten.
Rosa schaute ihnen von ihrem Platz auf der Bank aus belustigt zu, während sie ihr PWV-Set überprüfte. Hobbs saß vorn auf dem Fahrersitz und nervte seinen Partner Calvin. Der Agent mit der blonden Stachelfrisur hockte missmutig auf dem Beifahrersitz und reinigte den Sucher seines Scharfschützen-Betäubungsgewehrs.
Dex hatte keine Ahnung, warum Calvin so ein langes Gesicht zog. Es würde ihn aber nicht wundern, wenn es etwas mit seinem besten Freund neben ihm zu tun gehabt hätte. Entweder Hobbs hatte Calvins schlechte Laune nicht bemerkt, oder er ignorierte sie absichtlich. Angesichts der Tatsache, dass er nur wenige Zentimeter von der Mündung des Betäubungsgewehrs seines Partners entfernt saß, war es wahrscheinlich in Hobbs’ bestem Interesse, nett zu bleiben.
Dex hatte die beiden im Krankenhaus beim Knutschen erwischt, nachdem Hobbs bei dem Anschlag auf das therianische Kinder- und Jugendzentrum verletzt worden war. Der Anblick hatte ihn gewaltig überrascht, zugleich erklärte das Ganze das merkwürdige Verhalten der zwei vor dem Zwischenfall. Danach hatte sich die Lage zwischen den beiden schnell normalisiert. Irgendwie jedenfalls.
Wenn Dex gern wetten würde, hätte er behauptet, dass genau das das Problem war: Hobbs machte weiter, als wäre nichts geschehen, doch Calvin hatte gehofft, dass sich durch den Kuss etwas ändern würde. So viel hatte er Dex im Krankenhaus anvertraut. Was auch immer mit den beiden los war, Dex hoffte, dass sie es bald klären konnten.
Letty überprüfte die Magazine ihrer diversen Waffen, und Ash … Dex hatte keine Ahnung, wo zum Geier Ash steckte. Eine ganz normale Schicht für Destructive Delta.
Sloane zog sich die Stiefel aus, und als er aufstand, um das Uniform-Hemd abzulegen, konnte Dex sich nicht länger bremsen und wagte erneut einen Vorstoß. »So gern wir dir auch alle beim Ausziehen zuschauen, Partner, ich wünschte, du würdest wenigstens darüber nachdenken …«
»Nö.«
»Alter, dein restlicher Kram ist schwer genug«, jammerte Dex und hob die Arme, um auf die verschiedenen Ausrüstungsgegenstände hinzuweisen, die daran baumelten. Der schwerste war das PWV-Set, das er mitnehmen musste, um sich nach einer Wandlung um seinen Partner zu kümmern.
»Ich trenne mich nicht von meinen Sneakern.«
Dex ließ die Arme sinken. »Sie gehören nicht mal offiziell zur Ausrüstung!«
Sloane zuckte mit den Schultern. »Ist mir wurscht.«
»Du musstest dir in den letzten vier Monaten gleich zweimal neue kaufen.«
Sloane hielt beim Aufknöpfen seines Hemds inne, um vielsagend eine Augenbraue hochzuziehen. »Und wer ist daran schuld?«
»Das war ein Versehen.« Dex blinzelte unschuldig. Sloanes Miene verriet ihm, dass sein Partner ihm das nicht abkaufte. Verdammt. Man sollte meinen, dass man als geheimer Freund des Teamleiters wenigstens hier und da mit etwas durchkam, das sich die Übrigen nicht leisten konnten. Aber in Dex’ Fall lief es darauf hinaus, dass er sogar mit weniger durchkam, weil Sloane ihn besser kannte als jeder andere – außer seiner Familie – und es liebte, ihn auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
»Du hast meine Sneaker aus Versehen die Brooklyn Bridge runtergeschmissen?«
Dex gab sein Bestes, empört zu wirken. »Was willst du andeuten? Es war windig.«
»Seltsam, dass sonst nichts runtergeweht worden ist«, grummelte Sloane, riss sich das Hemd runter und warf es Dex an den Kopf. Er kam sich vor wie ein Kleiderständer. Der Rest des Teams war auch keine Hilfe, sondern lachte leise vor sich hin.
Mit einem lauten Klonk landete etwas zu seinen Füßen, und Dex zog das Hemd vom Kopf, um einen Stiefel aufzuheben.
»Größe 48, Mann!« Dex wedelte mit Sloanes riesigem schwarzen Stiefel vor dessen Nase herum. »Irgendwo im Hudson treibt gerade eine Ente und benutzt deinen Sneaker als Schwimmhilfe.«
»Enten können von allein schwimmen.«
»Ja, aber ihre kleinen Füßchen werden bestimmt mal müde vom vielen Paddeln.« Dex wackelte mit Zeige- und Mittelfinger, um Entenfüße nachzuahmen.
Sein halb nackter, teuflisch scharfer Freund hob eine Hand, um jeden weiteren Protest zu unterbinden. Dex wünschte, das BearCat wäre leer, sodass er einen Angriff der anderen Art auf seinen Jaguar-Partner starten könnte.
»Was dagegen, wenn ich diesen inadäquaten Austausch über Wasservögel unterbreche, um unsere Zielperson zu fangen?«
Dex unterdrückte ein Lächeln. »Oh, hat da wieder jemand mit Cael Online-Scrabble gespielt? Wie viele Punkte hat dir inadäquat eingebracht?«
Als Sloane nicht antwortete, drehte Dex sich zu seinem Bruder um.
»Dreiundzwanzig«, verriet Cael gut gelaunt und fing sich einen finsteren Blick von Sloane ein.
Dex schüttelte den Kopf. »Bei Words With Friends wären das sicher dreißig gewesen.«
»Woher …«
Rosa unterbrach Sloane, indem sie auf den großen Monitor der Überwachungskonsole zeigte, über den sie per Infrarot-Video ihre Zielperson im Auge behalten hatte. »Sieht so aus, als hätte Sloane recht. Der cabrón hat seine Tiergestalt angenommen.«
»Das war’s mit dem Striptease«, ließ Sloane sie wissen und schlug auf den großen Knopf in der Seitenverkleidung des BearCats, damit der Sichtschutz vom Dach des Fahrzeugs fiel und er sich in Ruhe zu Ende ausziehen und wandeln konnte.
Seiner Lieblings-Peepshow beraubt, wandte Dex sich an seinen Bruder, der ein wenig neben sich zu stehen schien. Das ging schon seit Wochen so, und allmählich machte Dex sich Sorgen.
»Was für ein Therianer ist unser Freund?«, fragte er. Als Cael nicht reagierte, stupste Dex ihn an. »Alles okay bei dir?«
»Ja, alles bestens. Austen Payne ist ein Gepard-Therianer.«
Also hatte sein Bruder ihn doch gehört? Und dann? Hatte er ihn etwa bewusst ignoriert? »Cael …«
Cael schüttelte den Kopf. Seine ernste Miene verriet, dass ihm nicht nach Reden zumute war. Dex überlegte, trotzdem nachzuhaken, kam aber zu dem Schluss, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war. Irgendetwas stimmte mit Cael nicht, und zwar schon, seitdem er nach dem Bombenanschlag mit Hobbs im Krankenhaus gelegen hatte.
Was immer vor sich ging, es hatte etwas mit seinem Partner zu tun. Ash hatte sich heute Morgen krankgemeldet, was offensichtlich erst das zweite Mal war, seit er sich vor über zwanzig Jahren den THIRDS angeschlossen hatte. In letzter Zeit ließ Cael sich leicht ablenken und war mit den Gedanken sonst wo, was nicht nur für ihn, sondern auch für das übrige Team gefährlich war.
Ja, Dex würde sich definitiv mit seinem kleinen Bruder unterhalten. Aber fürs Erste richtete er seine Aufmerksamkeit auf Rosa. »Dann erzähl mir mal was über diesen Austen.«
»Er ist ein schlüpfriger kleiner Scheißer«, erklärte Rosa, auch wenn sie dabei liebevoll lächelte. »Und verdammt schnell.«
»Ist das deine professionelle Meinung?«, zog Dex sie auf und bekam dafür ein paar nett gemeinte spanische Kraftausdrücke um die Ohren. »Wie zum Teufel soll Sloane ihn kriegen?«
Wenn ein Gepard-Therianer nicht erwischt werden wollte, bekam man ihn auch nicht zu fassen, solange er keinen Fehler machte. Was ihre Schnelligkeit anging, hatte Rosa ganz recht, egal ob in menschlicher oder in Tiergestalt. Dex erinnerte sich gut an all die Gelegenheiten, bei denen er als Kind versucht hatte, seinen Bruder einzuholen. Er hatte Cael nie zu fassen bekommen, obwohl er älter war und längere Beine hatte – zumindest in menschlicher Gestalt. Das einzige Problem für Gepard-Therianer stellten längere Strecken dar. Sie konnten nur kurzzeitig mit voller Geschwindigkeit rennen. Wenn Austen floh, konnte Sloane ihn vielleicht erwischen, sobald der Flüchtende müde war. Jedenfalls, solange sie wussten, wo er zum Teufel hingelaufen war.
»Sloane wird ihm nicht nachhetzen.« Ein teuflisches Funkeln trat in Rosas Blick. »Er wird ihn jagen. Und niemand pirscht sich so geschickt an wie unser Teamleiter.«
»Wem sagst du das?«, murmelte Dex. Sloane hatte die Eigenart, lautlos einen Raum zu betreten und Dex zu Tode zu erschrecken. Es war nicht richtig, dass ein Mann seiner Größe auch in menschlicher Gestalt beim Gehen keinerlei Geräusche verursachte. Er war wie ein sexy Ninja.
Wo er gerade gedanklich bei seinem sexy Ninja-Partner war: Sobald die Leinwand sich hob, kauerte sich Dex vor den riesigen schwarzen Jaguar und redete leise auf ihn ein. »Sei bloß vorsichtig.«
Sloane musterte ihn aus glühenden Bernsteinaugen.
Dex fixierte ihn misstrauisch. Er kannte diesen Blick. »Tu es nicht. Tu es …« Eine breite Zunge mit der Textur von Sandpapier strich ihm vom Kinn bis ans Ohr. »Verdammt! Mitten ins Ohr! Jedes Mal.« Man sollte meinen, dass er nach den ersten paar Dutzend Gelegenheiten begriffen hatte, dass sein Partner ihn ableckte, um ihn zu ärgern. »Das war – wie üblich – ausgesprochen unangenehm. Vielen Dank. Ich weiß es zu schätzen.«
Dex stand auf und wischte sich mit dem Ärmel Gesicht und Ohr ab. Das Prusten seiner Teamkameraden im Rücken ignorierte er. Letty öffnete eine der Hintertüren des BearCats, aber Sloane musste sich noch kurz an Dex’ Beinen reiben, um seinen Geruch auf ihm zu hinterlassen – als würde Dex nicht sowieso nach ihm riechen –, bevor er nach draußen sprang.
Sobald das erledigt war, ging Dex zu der Konsole, von der aus sein Bruder Sloanes Weg verfolgte. Er sah zu, wie sein therianischer Partner lautlos auf eine Gruppe Büsche zuschlich, bevor er in den Schatten verschwand. Dex hätte schwören können, dass etwas an dessen Hinterpfote baumelte. Aber er würde erst Gewissheit haben, wenn Sloane zurückkam.
»Sicher, dass Sloane ihn kriegt?«
»Tut er immer«, murmelte Cael.
»Warum rennt Austen dann überhaupt weg?«
Cael zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, es gefällt ihm.«
»Wie meinst du das, ›es gefällt ihm‹?«
Sein Bruder lief rot an. Oh, oh. Auch diesen Blick kannte Dex genau. Cael biss sich auf die Unterlippe, und Dex wartete, während sein Bruder sich den niedlichen, kleinen Kopf zerbrach, ob er mit der Wahrheit rausrücken sollte oder nicht. »Austen steht auf Sloane.«
Dex musterte seinen Bruder. Ein wortloser Austausch fand zwischen ihnen statt, wobei Cael die Schultern hochzog und entschuldigend lächelte. Interessant. Dex schürzte die Lippen, sagte jedoch nichts. Stattdessen schob er sich zur Bank durch und quetschte sich zwischen Rosa und Letty. Er hatte fürs Erste nichts anderes zu tun, als zu warten und seinen Teamkameraden weitere Informationen zu entlocken.
»Ist dieser Austen zuverlässig?«, fragte er. »Und wie kommt es, dass ich heute zum ersten Mal von ihm höre?«
Letty legte ihm den Arm um die Schultern, und er lächelte. Er konnte sich darauf verlassen, dass Rosa und Letty ihn immer wieder auf den Teppich holten. Sie waren beide brutal ehrlich und direkt, aber grundsätzlich mit den besten Absichten. Manchmal kam es ihm vor, als wären sie die Einzigen, die dazu fähig waren, eine vernünftige Beziehung zu führen. Rosa war mit ihrer langjährigen Freundin glücklich und Letty mit der Sahneschnitte, die im jeweiligen Monat ihre Welt zum Beben brachte. Zurzeit war es ein Feuerwehrmann aus Brooklyn, der an all den richtigen Stellen Grübchen hatte.
»Austen ist ein feiner Kerl«, sagte Letty. »Er hat bei uns gearbeitet und ist dadurch praktisch bei uns aufgewachsen. Sloane hat den Jungen vor Jahren gefunden und ihm einen Job bei uns besorgt. Ich kann mich nicht mehr an die Geschichte erinnern, aber Sloane erzählt sie dir sicher, wenn du ihn fragst. Austen ist ein THIRDS-SSA – ein Squadron Specialist Agent. Du hast bisher noch nichts von ihm gehört, weil es ihn offiziell gar nicht gibt. Die Jungs arbeiten nicht vom Büro aus. Man muss schon eine sehr hohe Sicherheitsfreigabe haben, um auch nur an eine Akte zu kommen, auf der sein Name steht. Jede Einheit hat ihren eigenen Specialist Agent. Sie fungieren außerdem als V-Leute für uns, deshalb müssen sie sich bedeckt halten. Austen erfüllt gerade irgendeinen Auftrag für Lieutenant Sparks. Er hat echt was auf dem Kasten. Wenn du ihn siehst oder ihn reden hörst, dann nur, weil er es will.«
»Sloane kommt zurück. Und er hat Austen«, rief Cael über die Schulter gewandt.
»Das ging fix.« Dex sprang auf und entschied sich, seinen Partner draußen zu begrüßen; nur für den Fall, dass Austen nicht ins BearCat steigen wollte. Da er keinerlei Erfahrung mit diesem Agent hatte, wusste Dex nicht, wie Austen reagieren würde. Manchmal waren Therianer sehr kooperativ, bis sie in die Nähe ihres großen, beängstigenden schwarzen Fahrzeugs kamen. Die Vorstellung, darin festgesetzt zu werden, gefiel ihnen nicht. Dex konnte es ihnen nicht vorwerfen.
Er sprang nach draußen und ging auf seinen Partner zu, als ihm auffiel, dass Sloane sich merkwürdig bewegte. Erst, als er näher kam, erkannte Dex, was es damit auf sich hatte.
»Ach du Scheiße!« Er krümmte sich vor Lachen.
Sloane kam auf ihn zugehopst, als wäre er betrunken. Zwar strahlte er nach wie vor etwas Wildes aus, nicht zuletzt, da er Austen im Maul hielt. Aber das war nichts gegen seine zum Schreien komischen Versuche, die schwarze Socke loszuwerden, die von seiner Hinterpfote baumelte.
»Oh mein Gott, ich bekomme keine Luft mehr«, keuchte Dex mit Tränen in den Augen.
Sloane grollte und schüttelte immer wieder seine Pfote. Einmal hopste er dafür sogar auf drei Beinen vorwärts. Dex befürchtete, dass Rosa ihm eine Sauerstoffmaske bringen musste. Er hatte recht gehabt: Es hatte wirklich etwas an der Pfote seines Partners gehangen, als er das BearCat verlassen hatte. Wie Sloane es geschafft hatte, eine Socke zu vergessen, war ihm schleierhaft, aber es war das Lustigste, was er je gesehen hatte.
»Warte!« Dex schaffte es, sich lange genug zusammenzunehmen, um zu seinem Partner zu laufen. Sloane blieb stehen und streckte das Hinterbein aus. Grinsend zog Dex ihm die Socke herunter. »Okay.« Zum Dank wurde er angeschnauft.
Dex konnte nicht anders, als den Gepard-Therianer, der zwischen Sloanes tödlichen Fängen hing, zu bemitleiden. Er erinnerte ihn allzu sehr an Cael. Austen war klein, schlank und es anscheinend gewohnt, von Sloane durch die Gegend geschleift zu werden. Er wirkte beinahe gelangweilt von der ganzen Aktion und versuchte kein einziges Mal, sich zu befreien. Er hatte sogar die Vorderpfoten überschlagen, als würde er entspannt daliegen. Für Dex war offensichtlich, dass Austen Sloane vertraute. Jeder andere Therianer hätte sich vor Angst vollgepinkelt.
Sobald Sloane das BearCat erreicht hatte, ließ er Austen los und fauchte. Austen stieß ein hohes Zirpen aus und stupste die Nase gegen Sloanes, der prompt die Ohren anlegte und ein Brüllen ausstieß. Es war kaum eine Überraschung, aber Austen erschrak so heftig, dass er in einem Cartoon sicher alle seine Punkte verloren hätte. Mit aufgestelltem Nackenfell sprang er ins BearCat, Sloane direkt hinter ihm.
Dex folgte ihnen und schloss die Türen. Der Sichtschutz wurde heruntergelassen, und Austen wandelte sich zuerst, während Sloane geduldig neben Dex saß, bis er an der Reihe war. Da Rosa Erfahrung darin hatte, mit Gepard-Therianern zu arbeiten – schließlich war ihr Partner auch einer –, übernahm sie Austens Post-Wandlungstrauma-Versorgung. Sobald er kräftig genug war, um einen Arm hinter der Leinwand hervorzuschieben, reichte sie ihm einen Satz der Wegwerfklamotten, die die THIRDS für Situationen wie diese stellten. Kurz darauf ertönte ein Grummeln, und Rosa verschwand hinter dem Sichtschutz.
Während sie dem SSA-Agent half, wieder wie ein menschliches Wesen zu funktionieren, setzte Dex sich auf die schmale Bank neben den Waffenschränken. Sloane legte ihm sofort den Kopf in den Schoß. Er hoffte sichtlich darauf, hinter den Ohren gekrault zu werden. Dex tat ihm den Gefallen und lächelte, als ein tiefes, kettensägenartiges Schnurren erklang und durch sein Bein vibrierte.
»Wenigstens kann man es nicht sehen, wenn er dich vollhaart.« Calvin warf dem Goldtiger-Therianer an seiner Seite einen vorwurfsvollen Blick zu.
Hobbs setzte sich auf und runzelte die Stirn. Dann streckte er die Hand aus und zupfte sacht an Calvins blonden Haaren.
»Ich fussel nicht!«, protestierte Calvin.
Doch Hobbs nickte. Offensichtlich war er anderer Meinung.
Dex beobachtete amüsiert den Streit der beiden, auch wenn Calvin der Einzige war, der sprach. Es war unglaublich, wie viel Hobbs allein durch Mimik und Gesten ausdrücken konnte.
Ein schlanker, sehniger junger Therianer Mitte zwanzig trat hinter dem Sichtschutz hervor und gähnte ungeniert. Er zerzauste sich die dunklen Haare und trottete zur Bank, bevor er sich breit grinsend neben Letty fallen ließ. Er sah aus, als wäre er gerade aus dem Bett gefallen, nachdem er in der Nacht zuvor einen Rock-Gig gespielt hatte, egal, wie wenig sein Outfit dazu passte.
Dex blieb keine Zeit mehr, den Agent zu mustern, da Sloane hinter der Leinwand verschwand. Inzwischen dachte sich niemand mehr etwas dabei, dass Dex seinem Partner folgte. Sie gingen davon aus, dass es Sloane nach fast einem Jahr enger Zusammenarbeit nicht mehr störte, von seinem Partner nach der Wandlung nackt gesehen zu werden. Natürlich hatten sie keine Ahnung, dass Dex und Sloane viel mehr miteinander anstellten, als nur zu arbeiten, und dass der Anblick seines nackten Partners dazu führte, versaute Dinge zu tun, wenn sie unter sich waren.
Sobald Sloane sich gewandelt hatte, begann Dex mit der Post-Wandlungstrauma-Versorgung. Er betete, dass Sloane die Informationen, die er sich von Austen erhoffte, schnell bekommen würde. Sein Partner brauchte eine deftige Mahlzeit mit jeder Menge Fleisch und Kohlenhydraten, um wieder ganz zu Kräften zu kommen. Sobald er die Energieriegel und eine Flasche Gatorade intus hatte, half Dex ihm in die Uniform. Kurz darauf war Sloane wieder auf den Beinen. Er zwinkerte Dex zu und verpasste ihm einen spielerischen Klaps auf den Hintern, bevor er per Knopfdruck die Leinwand hochgleiten ließ.
»Warum bist du weggelaufen, Austen?«, fragte Sloane, während er den Platz einnahm, auf dem Dex zuvor gesessen hatte. »Mal wieder.«
Austen, der ihm gegenübersaß, blinzelte Sloane an. »Wie meinst du das, ›warum‹? Weil ihr Typen mir eine Scheißangst einjagt. Deshalb. Ich weiß ja nie, wer hinter mir her ist. Im Moment laufen überall riesige Kerle mit Waffen herum und noch größere Therianer mit scharfen Zähnen, die problemlos meine winzigen Knochen zerquetschen können. Außerdem sind wir Gepard-Therianer von Natur aus scheu, weißt du?« Er sah sich zu Cael um und hielt ihm die Faust zum Abschlagen hin. »Stimmt’s, Kumpel?«
Cael sah ihn finster an.
»Junge«, flüsterte Austen heiser. »Du lässt mich vor dem fitten Jaguar-Therianer hängen? Nicht cool.«
Grummelnd stieß Cael seine Faust gegen Austens, dem er damit ein breites Grinsen entlockte.
»Wir kleinen Feliden müssen zusammenhalten.«
»Habt ihr euch jetzt fertig ausgetauscht?«, erkundigte Sloane sich.
»Jepp. Was kann ich für dich tun, Agent Broody?«
Dex biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu lachen. Der Spitzname klang ganz nach etwas, auf das er selbst hätte kommen können, und beschrieb seinen heißen, aber grüblerischen Partner auf den Punkt genau.
»Ich nehme nicht an, dass du noch mal über mein Angebot wegen der privaten Trainingssession nachgedacht hast?«
Cael hatte nicht übertrieben. Austen stand wirklich auf Sloane. Dex versuchte nach wie vor, den neuen Agent einzuschätzen. Ein Teil von ihm wollte den frechen Geparden mögen, doch ein anderer Teil von ihm wollte ihn ablehnen, und das nur, weil er es mit seinen kleinen Grabbelpfoten auf Sloane abgesehen hatte. Er gab sich jedenfalls keine Mühe, sein Interesse an der größeren Raubkatze zu verbergen.
Andererseits war Austen kaum der Erste, der für den Teamleiter von Destructive Delta schwärmte. Dex hörte im Büro genug Gerede von männlichen wie auch weiblichen Kollegen, die etwas für seinen Partner übrighatten, doch niemand hatte Sloane je angebaggert. Scheiße, wenn Dex ihm nicht zufällig an die Seite gestellt worden wäre, wäre er ebenfalls davon ausgegangen, dass Sloane nicht in seiner Liga spielte. Außerdem hatte sein sexy Partner irgendwas an sich, das lauthals schrie: »Mit Vorsicht zu genießen!«
Austen drehte sich zu Dex um, er schien ihn erst jetzt zu bemerken. Er öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch dann hielt er inne und beugte sich näher zu ihm. »Verdammt. Nun sieh dir diese babyblauen Augen an. Willst du mich deinem neuen Partner mit dem Schmollmund nicht vorstellen, Grummelbär?«
»Das ist Agent Daley. Und ich habe dir gesagt, dass ich dir in den Hintern trete, wenn du mich noch mal so nennst. Hörst du eigentlich nie zu?«
Es war, als hätte Sloane gar nicht gesprochen.
»Na hallo, Agent Daley. Du bist ein Glückspilz. Destructive Delta hat die besten Agents.« Er legte den Kopf in den Nacken und grinste Hobbs breit an. »Und ich meine wirklich die besten.«
Oh Gott, der Typ führte sich auf, als wäre er rollig. Hobbs lächelte schüchtern, bevor er den subtilen, aber finsteren Blick seines Partners bemerkte. Prompt sah er auf seine Uniformhose und wischte ein bisschen Staub ab, von dem Dex bezweifelte, dass er überhaupt existierte.
Sloane lehnte sich zurück und verschränkte die Hände vor dem Bauch. Er streckte die langen Beine aus und überkreuzte die Knöchel. »Muss ich dich kastrieren lassen?«
Austen fuhr so heftig zusammen, dass er beinahe von der Bank gefallen wäre. »Das ist nicht lustig, Mann. Über so was macht man keine Witze.«
Ein teuflisches Grinsen legte sich auf Sloanes Züge. »Wer hat behauptet, dass das ein Witz war?«
»Verstehe. Also alles wie immer. Na gut. Da draußen wird es langsam hässlich. Ich habe echt nichts für die Scheißkerle vom Orden übrig, aber wie die Koalition mit ihnen umgeht, ist ziemlich übel. Die machen keine Gefangenen. Ich meine, sie jagen die Typen, fangen sie ein, schlagen sie grün und blau und lassen sie irgendwo als Warnung für die anderen liegen. Das ist dann normalerweise der Moment, wo euch irgendjemand anruft.«
»Bist du der Koalition auf die Spur gekommen?«, fragte Sloane.
Austen schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht nah genug an sie rangekommen. Die sind nicht wie der Orden. Sie sind ausgebildet. Nicht unbedingt durch die Regierung, sondern eher so, als hätte ihnen jemand, der sich auskennt, die Grundlagen beigebracht. Sie wissen, wie man sich versteckt hält. Egal, was sie machen, es sind immer zwei in Tiergestalt dabei, um Leute zu wittern, die dreist genug sind, ihnen zu folgen. Und bevor du fragst: Es sind nie dieselben beiden. Heißt, wenn ihr versucht, ihre Klassifizierung durch euren schicken Computer zu jagen, habt ihr vermutlich Treffer für jeden einzelnen Therianer-Agent in eurer Organisation.«
»Na toll.«
»Sorry. Ich weiß, das ist eine dicke, fette Nullnummer. Aber ich kann mit Sicherheit sagen, dass ihr einen Verräter in euren Reihen habt.«
Scheiße. Nicht, dass sie das nicht schon gewusst hätten, doch es bestätigt zu bekommen, machte es doppelt ätzend.
»Woher weißt du das?«, fragte Dex.
»Wie schon gesagt: Die Typen sind nicht richtig ausgebildet. Aber sie wurden von jemandem unterrichtet, der es ist. Von einem Agent. Die Koalition wird von zwei männlichen Therianern angeführt. Einer von ihnen kommuniziert mehrfach am Tag und gibt auf Basis der neuen Informationen seine Befehle. Ich habe ein paarmal beobachtet, wie er ans Handy gegangen ist und seinem Team direkt danach befohlen hat, sich zurückzuziehen. Ein paar Sekunden später waren die THIRDS-Agents da.«
Sloane nickte anerkennend. »Konntest du irgendwen identifizieren?«
»Nein. Sie tragen schwarze Masken, die ihren Kopf und ihren Hals bedecken. Dieselben, die Einsatzteams unter den Helmen tragen. Dadurch kann man nicht mal ihre groben Gesichtszüge erkennen. Den Chef habe ich nur ein einziges Mal gesehen. Na ja, eher seine Gestalt. Er ist ein verdammter Riese. Er hatte auch eine dieser Masken auf, dazu ein schwarzes, langärmeliges Hemd mit schusssicherer Weste und eine schwarz-graue Tarnhose. Kein Wunder, dass die Presse sie für THIRDS-Agents halten, so wie sie rumlaufen. Nach allem, was wir wissen, könnte euer Maulwurf sogar mit ihnen unterwegs sein, aber das lässt sich unmöglich sagen. Sie lassen für keine Sekunde ihre Deckung fallen. Ich habe den Eindruck, dass sie niemandem verraten, wer sie sind. Nicht einmal untereinander.«
»Was ist mit Namen?«, fragte Dex. »Sie müssen sich doch zwischendurch mal rufen, oder?«
Austens Stirnrunzeln verhieß nichts Gutes. »Sie benutzen Zahlencodes, so was wie Eins-Elf und Dreiundzwanzig-Sechsundzwanzig. Viel Spaß dabei, rauszukriegen, was es damit auf sich hat.«
Sloane nickte Cael zu, der die Zahlen zu den Notizen hinzufügte, die er sich auf dem Tablet machte. Zweifelsohne würde Cael einen Algorithmus für Themis schreiben, um herauszufinden, worauf die Zahlen sich beziehen könnten. Sie würden sich später damit beschäftigen, auch wenn Austen sicher recht hatte: Die möglichen Bedeutungen waren endlos.
»Irgendeine Ahnung, wie viele es sind?«
Austen beantwortete Sloanes Frage wieder mit einem Kopfschütteln. »Ich glaube nicht, dass sie besonders viele sind. Wenn ich eine ihrer Gruppen sehe, sind sie immer nur zu fünft oder zu sechst. Höchstens. Keine Ahnung, wie viele Gruppen es insgesamt gibt, aber wenn ihr die Tatzeitpunkte mit den Tatorten im Stadtgebiet abgleicht, bekommt ihr vielleicht eine grobe Vorstellung. Es kracht doch nie an mehr als zwei Stellen gleichzeitig, oder?«
Sloane nickte zustimmend, woraufhin Austen breit grinste. »Siehst du? Ich sehe nicht nur gut aus.«
»Okay«, gab Sloane feixend zurück, bevor er die Befragung fortsetzte. »Irgendwelche Neuigkeiten über den Orden?«
»Was das angeht, habe ich ein paar Köder ausgeworfen. Ich sage euch Bescheid, falls jemand zuschnappt.«
Sloane stand auf und hielt Austen die Hand entgegen. »Gute Arbeit. Meld dich bei mir, wenn du mehr rausfindest.«
»Darauf kannst du wetten.«
»Und nächstes Mal …«, sagte Sloane warnend, auch wenn ein Anflug von Frotzelei in seiner Stimme lag, »… versuch nicht wieder wegzulaufen.«
Austen schlenderte zum Ende des Laderaums und drehte sich um, um Sloane zuzuzwinkern. »Warum sollte ich auf die Chance verzichten, mich von einem so heißen Agent jagen zu lassen?« Er salutierte vor Sloane, bevor er eine der Türen öffnete und nach draußen sprang. Noch ehe Dex blinzeln konnte, war er zwischen den Bäumen verschwunden. Rosa hatte nicht übertrieben: Der Kerl war schnell, selbst in menschlicher Gestalt.
»Okay, Leute. Es war ein langer Tag. Fahren wir zurück ins Hauptquartier. Hobbs, bring uns hier weg und halt unterwegs an einem Drive-in. Ich verhungere.« Sloane setzte sich zu Rosa auf die Bank, Dex ließ sich neben ihn fallen. Sie schnallten sich an, und Hobbs fuhr sie aus dem Park heraus.
Dex fiel auf, dass sein Partner sich erst gegen die gepolsterte Innenwand des BearCats lehnte und dann abrupt wieder aufsetzte. Rosa und Letty bemerkten nichts davon, weil sie sich unterhielten, und Cael saß angeschnallt hinter der Konsole und starrte ins Leere. Nun, da Dex darüber nachdachte, hatte er noch nie gesehen, dass Sloane sich gegen die Wand lehnte, wie die anderen es taten.
Dex rückte ein wenig näher an seinen Partner heran. »He, alles klar?«, fragte er leise.
Sloanes Lächeln sorgte sofort für eine Reaktion in Dex’ Schritt. »Ja, wieso?«
»Weil du dich plötzlich gerade hingesetzt hast.«
»Das ist dir also aufgefallen, ja?«
»Jepp.« Es gab nicht viel, was Dex entging, soweit es seinen Partner betraf; sei es während der Arbeit oder wenn sie freihatten. Sie waren zwar noch nicht lange offiziell zusammen, aber sie trafen sich seit fast acht Monaten. In der Zeit hatten sie verdammt viel gemeinsam durchgemacht.
Sloane schien über Dex’ Beobachtung nachzudenken, bevor er antwortete. »Mir wird davon schlecht.«
»Du wirst reisekrank?« Das konnte nicht stimmen. Dex hätte es sicher schon früher mitbekommen, wenn sein Partner dazu neigte.
Sloane schüttelte den Kopf und lehnte sich an Dex. »Es fühlt sich nur zu sehr wie auf diesem Stuhl an.«
Ein Stuhl? Was für ein Stuhl könnte dafür sorgen, dass Sloane schlecht wurde?
Ein Bild tauchte vor Dex’ innerem Auge auf, und er zuckte zusammen. Ach, richtig. Der Stuhl.
Man hatte Sloane in der FirstGen-Forschungseinrichtung jahrelang immer wieder an einen gepolsterten Stuhl gefesselt und ihm genau wie zahllosen anderen Therianer-Kindern sonst was angetan, um mehr über die Therianer herauszufinden. Dex konnte sich allenfalls vorstellen, was die Regierung Sloane zugemutet hatte. Aber der Schmerz in den Augen seines Partners verriet ihm, dass es grauenvoll gewesen war.
Dex hatte vor Kurzem selbst Erfahrungen mit dem verfluchten Stuhl gemacht, und obwohl er überzeugt war, dass der Zwischenfall im Vergleich zu Sloanes Leid kaum der Rede wert gewesen war, fiel es ihm immer noch schwer, ihn zu vergessen. Man hatte ihn an Knöcheln, Handgelenken und Kopf an dem Stuhl fixiert. Das war das Letzte, woran er sich von dem Tag in der Forschungseinrichtung erinnerte. Danach hatte Isaac Pearce ihm eine Nadel in den Hals gerammt und anschließend an seinen Fäden gezogen, als wäre er eine Marionette. Dex war seinen Einflüsterungen willenlos gefolgt.
Instinktiv rieb er die kleine, frisch verheilte Narbe an seinem Bein. Wenn Sloane ihn nicht niedergeschossen und ausgeschaltet hätte, hätte Dex genau das getan, was dieser Scheißkerl Isaac von ihm verlangt hatte: Er hätte einen Unschuldigen getötet und anschließend sich selbst.
Obwohl der Vorfall Monate zurücklag, konnte er sich immer noch nicht daran erinnern, so sehr er sich auch bemühte. Er wusste nur das, was Sloane ihm erzählt hatte. Das frustrierte ihn tierisch.
»Dex?«
Aus seinen Gedanken gerissen merkte er, dass Sloane ihn besorgt ansah.
»Bist du okay?«
»Tut mir leid. Hab nur nachgedacht. Mein nächster Zahnarzttermin dürfte interessant werden.«
Sloanes Miene wurde sanfter, und er tätschelte Dex das Bein, wobei er seine Hand ein wenig länger liegen ließ als nötig. »Es wird irgendwann leichter.«
»Danke.«
Fünf Minuten später hielten sie an einem Fast-Food-Drive-in, und Dex dankte Austen im Stillen dafür, dass er Sloane zur Wandlung gezwungen hatte. Die einzigen Gelegenheiten, zu denen sein Partner auch nur ansatzweise ungesundes Essen zu sich nahm, waren direkt nach einer Wandlung, wenn sein Therianer-Körper nach Fleisch und jeder Menge Kalorien verlangte.
Hobbs wartete geduldig, während Dex auf seinem Schoß saß, sich zum Drive-in-Lautsprecher lehnte und die Bestellung des Teams durchgab. Diese spezielle Fast-Food-Kette hatte Post-Wandlungs-Menüs im Angebot, zu denen genug Burger gehörten, um einem Menschen einen Herzinfarkt zu verpassen.
Dex gab die Bestellung der anderen durch, bevor er sich an Hobbs wandte. »Was möchtest du haben, Großer?«
Hobbs zeigte auf die Therianer-Specials und auf ein Menü mit einem Angus-Burger, der aussah, als wäre er so groß wie Dex’ Kopf.
»Bekommst du. Und du, Cal?«
»Hab keinen Hunger«, murmelte Calvin.
Dex drehte sich zu ihm. Calvin starrte trübsinnig aus dem Fenster. Dex sah Hobbs an und zog fragend eine Augenbraue hoch, doch Hobbs schüttelte den Kopf. Er zeigte auf die normalen Menüs für Menschen und hob vier Finger.
»Und dann noch die Nummer vier«, bestellte Dex.
Calvin hinter ihm protestierte. »Verdammt noch mal, Ethan. Ich habe gesagt, ich habe keinen Hunger.«
Aus dem Augenwinkel bemerkte Dex, dass Hobbs Calvin einen vielsagenden Komm-mir-nicht-so-Blick zuwarf. Nun, da er darüber nachdachte, konnte Dex sich nicht erinnern, ob Calvin vorhin etwas gegessen hatte, als sie Mittagspause gemacht hatten. Sie waren zu einer Koalitionssichtung gerufen worden, aber wie Austen so richtig erkannt hatte, war die Gruppe längst fort gewesen, als sie angekommen waren.
»Na gut«, grummelte Calvin, zog sein iPhone aus der Tasche und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren.
Dex verließ seinen Platz, damit Hobbs zum Ausgabefenster vorfahren konnte.
»Was ist mit ihm los?«, fragte Dex ihn leise. »Habt ihr zwei eure Probleme immer noch nicht geklärt?«
Hobbs schüttelte mit besorgter Miene den Kopf, »sagte« darüber hinaus aber nichts. Er deutete nur nach vorn, um Dex darauf hinzuweisen, dass es vor ihnen weiterging. Er war unübersehbar nicht bereit, sich mitzuteilen.
»Okay, aber falls du jemanden zum Reden brauchst, sag einfach Bescheid.«
»Reden« war relativ, wenn es um Hobbs ging. Doch inzwischen wusste Dex, dass Hobbs problemlos mit wenigen bis gar keinen Worten ausdrücken konnte, wozu die meisten Leute ganze Gespräche brauchten. Er war gern in Hobbs’ Nähe. Das Schweigen zwischen ihnen war nie unangenehm, und obwohl Dex zu den Menschen gehörte, die eher zu viel redeten, wusste er Hobbs’ ruhige Art zu schätzen.
Nachdem sie ihre Bestellung entgegengenommen hatten, parkte Hobbs das BearCat quer auf ein paar freien Parkplätzen, und alle stürzten sich aufs Essen. Dex bemerkte, dass Hobbs die Hand ausstreckte und den Kopfhörer aus Calvins nächstgelegenem Ohr zupfte. Das brachte ihm einen finsteren Blick ein, aber Hobbs lächelte nur. Es war die Art schiefes Schuljungenlächeln, bei dem es jedem schwerfiel, sauer zu bleiben. Dex war froh, dass auch Calvin nicht immun dagegen war. Die Stirn des blonden Agents glättete sich, dann lachte er und nannte seinen Kumpel liebevoll ein Arschloch, bevor er ihm eine seiner Pommes klaute.
»Also, wie lange feiert dein Bruder schon Vor-Geburtstagsparty-Partys?«, fragte Sloane Cael.
»Seit er ein Kind ist.«
»Und das hat Maddock mitgemacht?«
»Wir reden hier von Dex. Es ist leichter, einfach nachzugeben und mitzuspielen, statt ihn von etwas abzuhalten, was er will. Oder etwa nicht?« Cael lächelte ihm wissend zu.
Sloane ließ den Kopf hängen, als würde er sich schämen. »Da hast du wohl recht.«
»Du bist total am Arsch.« Rosa kicherte teuflisch.
»Heißen Dank, Rosa. Echt nett von dir.«
»Willkommen in meiner Welt«, fügte Cael hinzu.
Dex fuchtelte mit der Hand vor ihnen herum. »Euch ist aber schon klar, dass ich hier sitze, oder? Obwohl, eigentlich höre ich gern, für wie großartig ihr mich haltet.«
»Eher für tierisch nervig.« Cael schnaubte.
»Aber ich bin dabei niedlich. Gib es zu. Schau dir mal diese Grübchen an.« Dex deutete auf seine Wangen und grinste.
Bevor Sloane sich bremsen konnte, lachte er. »Scheiße. Ich bin am Arsch.«
Rosa, Cael und Letty lachten ebenfalls über Dex’ Albereien. Und als Dex sich über Sloane lehnte, um seine Ehre zu verteidigen, spürte er auf einmal, wie Sloane eine Hand unter seinen Hintern schob und zudrückte. Dex fuhr zusammen und blinzelte seinen Partner an.
Mit einem verdorbenen Lächeln rückte Sloane näher. »Ich bin vielleicht am Arsch, aber heute Abend kümmere ich mich um deinen Arsch«, flüsterte er.
Dex setzte sich wieder und gab sein Bestes, um gegen die Erektion anzukämpfen, die Sloanes geknurrte Warnung ihm verpasst hatte. Dieser Mistkerl. Er wusste genau, dass sie erst zusammen zurück ins Hauptquartier fahren, duschen und sich umziehen mussten, ehe sie nach Hause konnten. Es würde bestimmt noch zwei Stunden dauern, bevor Sloane seine Ankündigung wahr machen konnte.
Dex sagte sich, dass das schon okay war. Das gab ihm immerhin Zeit, sich zwei Stunden lang bei seinem Partner zu revanchieren. Bei der Vorstellung musste er grinsen.
Jepp, Sloane war eindeutig am Arsch.
»Oh ja. Genau so, Baby.« Dex tänzelte zu Sloane und stieß ihn mit der Hüfte an. »Komm schon, Mann.«
Sloane schüttelte lächelnd den Kopf und trank einen Schluck von seinem Bier. »Nope.«
Er konnte die Hartnäckigkeit seines Partners nur bewundern. Ob auf der Arbeit oder in ihrer Freizeit, wenn Dexter J. Daley etwas wollte, blieb er am Ball, bis er es bekam, und dafür war ihm jedes Mittel recht. Wenn jemand am ersten Tag ihrer Bekanntschaft auf Dex gezeigt und Sloane gesagt hätte, dass sie irgendwann zusammen sein würden, hätte er denjenigen sofort für eine psychologische Einschätzung angemeldet. Inzwischen fiel es ihm schwer, sich ein Leben ohne das schiefe, jungenhafte Grinsen oder das ansteckende Lachen vorzustellen.
»Kannst du nicht oder willst du nicht?« Dex vollführte ein paar bizarre Disco-Moves, die jeden anderen Mann wie ein Riesenrindvieh aussehen lassen würden, aber nicht seinen Freund. Seinen festen Freund. Sloane musste sich immer noch an diese Bezeichnung gewöhnen. Sein fester Freund war jedenfalls der einzige Mensch, der Vor-Geburtstagsparty-Partys feierte.
Dex lehnte sich näher zu ihm und murmelte: »Komm schon, Mann. Alle sind stockbesoffen. Es wird keinen interessieren, ob wir miteinander tanzen. Ich habe schon mit dem halben Defense Department getanzt. Sogar mit Hobbs.«
Sloane wand sich bei der Erinnerung. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein erbärmlicher Versuch, ihm den Running Man beizubringen, nicht unter Tanzen läuft. Abgesehen davon ist Ash nicht betrunken.« Er achtete darauf, dass niemand sie beobachtete, bevor er subtil Dex’ Seite drückte und ihm ein heiseres Lachen entlockte, das direkt in Sloanes Schwanz widerzuhallen schien. Aber um ehrlich zu sein, machte so gut wie alles an seinem sexy Freund Sloane hart. Normalerweise brauchte es nicht mehr als sein entwaffnendes Lächeln. Dieses Lächeln war gefährlich. Dazu noch die hellblauen Augen und die vollen, weichen Lippen … Sloane musste sich wirklich zusammenreißen.
»Das liegt nur daran, dass Ashs Blut aus Säure oder irgendwas anderem Giftigem besteht.« Dex nahm Sloane das Bier ab und ließ ihn nicht aus den Augen, während er die Flasche an die Lippen setzte. Beim Trinken legte er wie zufällig den Kopf in den Nacken und die Kehle frei. Diese kleine Kröte. Er wusste genau, was er da tat.
»Verdammt noch mal, Dex.« Sloane zwang sich, den Blick abzuwenden. Das Letzte, was er in einer Wohnung voller Kollegen gebrauchen konnte, war ein Ständer.
»Tanz mit mir.«
»Ich tanze nicht.« Warum versuchst du überhaupt, dich zu wehren? Du weißt doch, dass er seinen Willen bekommt. Er bekommt immer seinen Willen. Sloane schätzte, er sollte es wenigstens so aussehen lassen, als hätte er es versucht. Er machte Anstalten, seinem Partner das Bier wieder abzunehmen.
»Ash ist damit beschäftigt, den Gästen ihr sofortiges Ableben anzudrohen, falls sie seinen Fußboden vollkotzen. Ich kann immer noch nicht fassen, dass er angeboten hat, meine Vor-Geburtstagsparty-Party in seiner Wohnung zu veranstalten.« Dex verengte misstrauisch die Augen, und Sloane gab sich Mühe, nicht zu lachen. Sein Partner hatte nicht aufgehört, Ashs Motive zu hinterfragen, seitdem ihr mürrischer Freund seine Wohnung für die Party angeboten hatte. Ash war ein echter Putzteufel und hasste es, wenn man seinen Kram anfasste.
»Er hat gemeint, hier ist mehr Platz.« Und das stimmte. Aber es war eben immer noch Ashs Wohnung.
Wie die meisten Löwe-Therianer kam Ash nicht gut damit zurecht, wenn Fremde in sein Revier eindrangen. Sloane versuchte, sich an eine Gelegenheit zu erinnern, zu der irgendjemand außerhalb ihres Teams eine Einladung in die große, modern eingerichtete Wohnung bekommen hatte.
Sie war sehr geräumig und offen gestaltet. Die Wände waren cremefarben gestrichen. Die Ausnahme bildete die Wand am Ende des Raums. Sie bestand aus Ziegelsteinen und war mit zwei riesigen Fenstern bestückt, die vom Anfang der dunklen Holztreppe bis hinauf zur Decke reichten. Von der höchsten Stufe aus konnte man über die ganze Stadt sehen. Oberhalb der schlichten Treppe schloss sich Ashs Büro an, gefolgt von einem Flur, über den man das Bad und das Schlafzimmer erreichte.
Unten befand sich das Wohnzimmer, das in dunklen Braun- und Rottönen gehalten war. Daneben lag die offene Küche, deren Schränke die dunkle Farbpalette aufnahmen. Die Armaturen bestanden aus Edelstahl, dasselbe galt für die Stühle an der Kücheninsel und die Griffe an den Schranktüren. Die Böden waren aus Holz, und hier und da standen Topfpflanzen. Insgesamt war die Einrichtung minimalistisch, aber verwegen. Genau wie ihr Besitzer.
Sloane war genauso neugierig wie Dex, was es mit Ashs freundlicher Geste auf sich hatte. Natürlich hatte er ein paar Regeln festgelegt. So hatte Ash Cael die Kontrolle über die Musik überlassen, was bedeutete, dass es weder Billy Ocean noch Hall & Oates und erst recht kein Journey gab. Dex hatte bei dieser Entscheidung getan, als würde er in Ohnmacht fallen, und Sloane hatte seinen Partner beruhigt, indem er ihm selbst ein bisschen was vorgespielt hatte – zum Beispiel, dass es wirklich schade sei, dass Cael die Prä-1989-Playlist abgeschmettert hatte.
Letztendlich hatte Sloane teuer dafür bezahlt. Dex hatte wie üblich geschmollt, und ein paar Minuten später hatte Sloane sich sagen hören, dass Dex seinen Lieblingssender Retro Radio in seinem Impala einschalten durfte. Außerdem hatte sein Partner es irgendwie geschafft, den Sender zur Grundeinstellung zu machen. Nun war es völlig egal, ob Dex mitfuhr oder nicht: Es war das Erste, was Sloane hörte, wenn er im Auto das Radio anmachte.
Dex klatschte im Rhythmus zu etwas, das verdächtig nach einem Achtzigerjahre-Song klang, und sang irgendwas darüber, dass man Freunde, die nicht mit einem tanzen wollten, verlassen sollte. Er grinste wissend. »Einen hat er mir gelassen.«
»Und ausgerechnet den hast du dir ausgesucht?«
»Ich fand ihn passend.«
»Ich bleibe bei meinem Nein.«
»Na gut«, seufzte Dex. »Dann werde ich wohl mit Taylor tanzen müssen.«
Sloane konnte nicht anders, als leise zu knurren. »Echt jetzt? Das ist dein Schlachtplan?«
»Ich kann ja nicht ewig Nein sagen. Abgesehen davon liefert mir das eine Ausrede, ihm eine reinzuhauen, falls er mir wieder an den Hintern fasst.«
»Er hat dir an den Hintern gefasst?« Dieses schmierige Arschloch.
Dex grinste heimtückisch. »Hat dir schon mal jemand gesagt, wie attraktiv du bist, wenn du eifersüchtig bist?«
Sloane packte Dex am Handgelenk und führte ihn in die Mitte des Wohnzimmers, wo sich alle tummelten, miteinander tanzten und sich in einer betrunkenen Orgie der Leichtsinnigkeit aneinander rieben. Die Mehrheit des Teams stand inzwischen total neben sich und hatte sich so eng aneinandergedrängt, dass sicher kaum jemand auch nur erkannte, mit wem Sloane tanzte. Er bezweifelte, dass sich am nächsten Morgen irgendwer daran erinnern würde.
Sloane drehte sich um und zog Dex dicht an sich, die Hand auf dessen Hüfte gelegt. Dex sang zu dem schwungvollen Daft-Punk-Song mit, der inzwischen lief, und wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, als der Text anzüglich wurde.
Sloane liebte es, Dex beim Tanzen zuzusehen. Er liebte es, mit welcher Leichtigkeit er sich bewegte und sein Körper auf die Musik reagierte, fast, als wäre es ein angeborener Instinkt. Einer, gegen den er sich nicht wehren konnte. Sloane ertappte sich beim Lächeln, wenn er Dex zusah, seine Bewegungen studierte und wie problemlos er sich an Rhythmuswechsel anpasste.
Dex vollführte wieder ein paar Disco-Moves, die zum Song passten, und Sloane lachte.
»Wie lange tanzt du schon?«, fragte er. Ihm war sehr bewusst, dass Dex ständig näher rückte.
»Seit ich ein Kind war. Meine Mom ist beim Backen früher immer mit mir durch die Küche getanzt. An den Wochenenden hat mein Dad seine Platten aufgelegt, und wir sind so lange durchs Wohnzimmer gesprungen, bis wir vor Erschöpfung zusammengebrochen sind. Dann hat Mom uns Limonade gebracht. Sie konnten beide super tanzen. Swinging Sixties und so.«
»Dein Dad auch?«
»Soll das ein Witz sein? Er hat zu allem abgerockt, zu British Invasion, den Beatles, den Rolling Stones, den Kinks, Dusty Springfield, The Who. Ich habe Fotos von meiner Mom und ihm. Du hättest ihn mal sehen sollen mit seinem schwarzen Rollkragenpulli und dem Mopp auf dem Kopf.« Dex lachte leise und schüttelte den Kopf, doch Sloane sah ihm an, wie sehr ihn der Verlust immer noch schmerzte. Sein Partner vergötterte Tony und Cael – seinen Adoptivvater und -bruder –, aber das machte den Tod seiner leiblichen Eltern nicht leichter für ihn.
Sloane stupste Dex spielerisch gegen den Bauch. »Sie wären stolz auf dich.«
»Danke.« Dex strahlte, doch sein Lächeln verblasste in dem Moment, in dem Taylor den Arm um seine Schultern legte.
Der Kerl konnte es einfach nicht lassen. Er machte sich immer wieder an Dex ran. Und das, obwohl Sloane nicht nur offensichtlich ein Problem damit hatte, sondern ihn sogar schon davor gewarnt hatte, irgendwelchen Unsinn zu machen.
Agent Ellis Taylor war ein fähiger Teamleiter, aber er machte keinen Hehl daraus, dass er nach dem Motto »Vögeln und verlassen« lebte. Er arbeitete sich quer durch seine Teamkameraden, ohne sich um die Konsequenzen zu scheren. Solange seine Karriere keinen Schaden nahm, war es ihm egal, was aus den anderen wurde.
Taylor riss die Arme hoch und zog wie üblich alle Aufmerksamkeit auf sich. »Ach du Scheiße, sag mal einer der Presse Bescheid. Sloane Brodie auf einer Tanzfläche.«
Betrunkener Jubel stieg auf, und Sloane grinste schief, bevor er den Übrigen den Mittelfinger zeigte.
»Wie hast du das geschafft, Daley?« Taylor legte wieder den Arm um Dex, nur um sofort weggeschubst zu werden.
»Ich habe meine Methoden.«
»Darauf wette ich.« Taylor betrachtete ihn schamlos von oben bis unten. »Du hast bestimmt jede Menge Überraschungen in petto. Vielleicht leiht Brodie dich mir ja einen Song lang aus.«
Unglaublich. »Vielleicht erinnert Taylor sich ja an unser kleines Gespräch, das wir neulich in der Umkleide geführt haben«, gab Sloane durch zusammengepresste Zähne zurück.
Taylor blinzelte, als hätte er Schwierigkeiten, sich zu erinnern. »Frisch noch mal mein Gedächtnis auf.«
