Bloody Marry Me 4: Morgenstund hat Blut im Mund - M. D. Hirt - E-Book

Bloody Marry Me 4: Morgenstund hat Blut im Mund E-Book

M. D. Hirt

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Beschreibung

**Im Licht der Morgensonne verblasst selbst Vampire-Glamour**  Auch ein Schloss und der damit verbundene Prunk kann Holly nicht über die Schattenseiten des Vampirdaseins hinwegtäuschen. Eines mörderischen Verbrechens beschuldigt, versuchen sie und die Nachtwesen der Band »Bloody Mary« Hollys Namen reinzuwaschen und den wahren Täter zu finden. Ray würde alles tun, um Holly vor der Gefahr zu retten. Doch das Sonnenlicht hat Einzug gehalten in die Stadt der Vampire und nichts verbirgt die Schatten der Gefahr besser… »Grandios«, »wunderbar« und »einzigartig« sind nur einige Worte, die Leserinnen gefunden haben, um diese Fantasy-Reihe zu beschreiben. //Dies ist der vierte Band der außergewöhnlichen Vampirreihe. Alle Bände der Fantasy-Buchserie: -- Bloody Marry Me 1: Blut ist dicker als Whiskey -- Bloody Marry Me 2: Rache schmeckt süßer als Blut -- Bloody Marry Me 3: Böses Blut fließt selten allein -- Bloody Marry Me 4: Morgenstund hat Blut im Mund -- Bloody Marry Me 5: Abwarten und Blut trinken -- Bloody Marry Me 6: Ende gut, alles Blut -- Sammelband der Rockstar-Vampire-Romance »Bloody Marry Me«// Diese Reihe ist abgeschlossen.

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Dark Diamonds

Jeder Roman ein Juwel.

Das digitale Imprint »Dark Diamonds« ist ein E-Book-Label des Carlsen Verlags und publiziert New Adult Fantasy.

Wer nach einer hochwertig geschliffenen Geschichte voller dunkler Romantik sucht, ist bei uns genau richtig. Im Mittelpunkt unserer Romane stehen starke weibliche Heldinnen, die ihre Teenagerjahre bereits hinter sich gelassen haben, aber noch nicht ganz in ihrer Zukunft angekommen sind. Mit viel Gefühl, einer Prise Gefahr und einem Hauch von Sinnlichkeit entführen sie uns in die grenzenlosen Weiten fantastischer Welten – genau dorthin, wo man die Realität vollkommen vergisst und sich selbst wiederfindet.

Das Dark-Diamonds-Programm wurde vom Lektorat des erfolgreichen Carlsen-Labels Impress handverlesen und enthält nur wahre Juwelen der romantischen Fantasyliteratur für junge Erwachsene.

M. D. Hirt

Bloody Marry Me 4: Morgenstund hat Blut im Mund

**Im Licht der Morgensonne verblasst selbst Vampire-Glamour** Auch ein Schloss und der damit verbundene Prunk kann Holly nicht über die Schattenseiten des Vampirdaseins hinwegtäuschen. Eines mörderischen Verbrechens beschuldigt, versuchen sie und die Nachtwesen der Band »Bloody Mary« Hollys Namen reinzuwaschen und den wahren Täter zu finden. Ray würde alles tun, um Holly vor der Gefahr zu retten. Doch das Sonnenlicht hat Einzug gehalten in die Stadt der Vampire und nichts verbirgt die Schatten der Gefahr besser …

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Vita

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© Shattered Light Photography

M. D. Hirt wurde in Barcelona geboren und bereiste mit ihren Eltern die ganze Welt. Heute lebt und studiert sie in Berlin und liebt es, mittlerweile selbst Pläne zu schmieden, um ferne Länder zu erkunden. Ihre Freizeit verbringt sie entweder in ihrer Werkstatt, in der sie an allem herumtüftelt, was ihr in die Finger kommt, oder an ihrem Schreibtisch. Dort ist auch ihr vampirisch-schöner Debütroman entstanden. 

1. Kapitel

Sie haben das Recht zu schweigen

Warum nur versank alles immer wieder in Chaos? Hatten CSI: Miami und Navy: CIS Winterpause, sodass sich mein Leben in einen Kriminalfall verwandelte?

Ich wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, seit der Verhaftung. Es hätten Minuten, Tage oder Stunden gewesen sein können. In meinem geschockten Zustand bekam ich ohnehin kaum etwas mit. Nachdem Markus und Morgana ins Zimmer geplatzt waren, ging alles ganz schnell. Man hatte uns getrennt und auf dem Weg erklärt, dass Morgana die Ermittlungen und Markus den rechtlichen Prozess einleiten würde. Sonst nichts. Egal wie viele Fragen ich gestellt hatte, nachdem man mich in Handschellen gelegt und abgeführt hatte, keine wurde mir beantwortet.

Sam war in das unterirdische Gefängnis von Vistren gebracht worden, ich dagegen ins Sorinsche Schloss. In einen Raum ohne Fenster und mit einer dauerhaft geschlossenen Tür. Alohomora, lautes Klopfen und Sesam öffne dich zeigten keine Wirkung. Das einzige Möbelstück, das mir Gesellschaft leistete, war ein Bett, welches schmucklos im winzigen eichengetäfelten Raum stand.

Mein Magen knurrte und ich hatte Kopfschmerzen, vermutlich weil ich seit der Stürmung von Sams Zimmer nichts mehr getrunken hatte. Oder ich war immer noch verkatert. So genau wusste ich das nicht. Ich wusste nicht mal, was mir zur Last gelegt wurde. Auch der berühmte Anruf, den man in den Filmen sah, wurde mir verwehrt.

Aber wen hätte ich auch anrufen können? Ray ignorierte mich, Sam war ebenfalls verhaftet und Alice würde, sobald sie von meiner Situation etwas mitbekäme, mit Pflöckchen und Fackeln vorm Sorinschen Tor stehen, um meine Freilassung zu erwirken. Einen Anwalt hatte ich aus dem Stegreif gar nicht in Petto. Vielleicht hätte ich das Auswärtige Amt angerufen? Tat man so etwas nicht in so einem Fall?

Ich rieb mir grummelnd die schmerzenden Handgelenke. Wenigstens hatte man mir die Handschellen abgenommen. Es war erst das zweite Mal in meinem Leben, dass sich eine solche Metallfessel an meinem Arm befunden hatte, das letzte Mal war es jedoch deutlich weniger bedrohlich gewesen. Immerhin war ich da nur mit Ray zusammengekettet worden.

Ray …

Ich spürte dieses dumpfe Pochen in meiner Brust, sobald mir sein Name durch den Kopf ging. Er hatte mich verlassen. Wenn er zurückkam, würde er mich hier rausholen? Würde er mir glauben, dass ich nicht … ja warum war ich überhaupt verhaftet worden?

Durch mangelndes Zeitgefühl hatte ich sehr viel Zeit, darüber nachzudenken. Was konnte es gewesen sein? Dass ich in Sams Zimmer geschlafen hatte? Oder dass ich auf dem Ball nicht höflich genug und zu früh gegangen war? Hatte Taylor wieder etwas damit zu tun? Immerhin war er für das letzte Mal verantwortlich gewesen, als ich in Ketten gelegt wurde.

Oder war es, weil mein Mann gar nicht mein Mann war und mich allein in Vistren sitzengelassen hatte, während er nach Brasilien abdüste? Doch keine dieser Möglichkeiten schien einleuchtend. Ich würde wohl einfach abwarten und Däumchen drehen müssen, bis mich jemand aufklärte. Die Bilanz der Grübelei war ziemlich ausgewogen.

Auf der positiven Seite: Ich war am Leben.

Auf der negativen Seite wusste ich nicht wie lange noch. Vampire waren relativ pragmatisch, was ihren Umgang mit dem Leben anging.

Ich ließ mich in einem Anflug von Entsetzen auf die Pritsche sinken, nachdem ich einige Minuten … oder Stunden … hin und her gelaufen war. Wobei nein, die Kerzen, die die einzige Lichtquelle in meinem Gefängnis darstellten, waren noch nicht sonderlich weit heruntergebrannt. Ihr Wachs tropfte langsam und stetig an den Seiten herunter, auf die Teller der Wandhalterungen, in der sie befestigt waren. So viel Zeit konnte also nicht vergangen sein.

Plötzlich horchte ich auf. Hatte ich schon Halluzinationen oder war da wirklich das Geräusch von herannahenden Schritten gewesen?

Meine vermeintliche Halluzination manifestierte sich im nächsten Augenblick deutlich handfester, als die Tür aufgerissen wurde und ein streng aussehender Markus in den Raum stapfte. Er trug immer noch seine Uniform und diese schreckliche Frisur. Doch ich hatte Dringlicheres zu tun, als mich über das mangelnde Style-Verständnis meines untoten Schwagers zu mokieren.

Oder auch Nicht-Schwagers, ich kniff die Lippen zusammen, als ich spürte, wie mein Herz wieder dumpf pochte. Jetzt bloß nicht wieder anfangen zu weinen. Ich richtete mich kerzengerade auf und sah ihm unnachgiebig in die Augen.

Ein letztes Mal biss ich mir auf die Lippen, ehe ich noch einmal tief durchatmete und die Worte nur so aus mir heraussprudelten. »Warum haltet ihr mich hier fest? Lasst mich sofort mit Ray sprechen oder gehen!«, verlangte ich, so wie ich es in den letzten Stunden geübt hatte. Ich hatte mit Alice nicht umsonst alle Staffeln von Law and Order geguckt. Mehrmals.

Meine Stimme war fest, aber ich scharrte unruhig mit den Füßen, was meine Nervosität vielleicht verriet. Die Wahrheit war, ich hatte Todesangst. Für ein Verbrechen verhaftet worden zu sein, von dem man nicht mal wusste, was es war, war schlimm genug. Aber wenn das auch noch in einer Stadt voller Vampire geschah, die mich teilweise als Blutbeutel, wertlosen Spender oder Ähnliches betitelt hatten, dann war die Kacke so richtig am Dampfen.

»Wir können Sie nicht gehen lassen, da gegen Sie eine Ermittlung läuft«, erwiderte Markus ruhig, schloss die Tür hinter sich und sorgte so für ein noch viel stärkeres Gefühl der Unbehaglichkeit bei mir. So schnell würde ich meinen neuen Freund, die Pritsche, also nicht verlassen können.

»Was zur Hölle soll ich überhaupt getan haben?«, fragte ich zurück und schaute wohl ziemlich ungläubig drein. Dabei tat es gut, die Frage auszusprechen, die mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrte und sich mir permanent wieder aufdrängte, wie eine Platte auf einem Grammophon, die einen Sprung hatte. Was hatte ich falsch gemacht?

Markus hatte immer noch denselben unergründlichen Gesichtsausdruck, den er bei Eintritt des Raumes an den Tag gelegt hatte. Keine Emotionen schienen sich auf seinem Gesicht zu spiegeln. Wie Ray es beschrieben hatte, ließ Markus sich ausschließlich vom Gesetz, nicht von Gefühlen oder eigenen Gedanken leiten. Es war ihm egal, was mit mir passierte, solange nur alles seine Ordnung hatte.

»Die Pfählung eines Vampirs des Hohen Hauses der Rechtsprechung – also Hochverrat an Ihrem eigenen Haus.«

»Wie soll ich das denn getan haben? Vor allem wann? Und wen? Und seit wann bin ich denn offizieller Teil eures Hohen Hauses?«, stammelte ich, ehe mir der Mund fassungslos offen stehen blieb. Was zum? Ich sollte einen Vampir gepfählt haben? Ein übernatürliches Wesen, das deutlich stärker, schneller und geschickter war als ich? Vielleicht hätte ich mich geschmeichelt fühlen sollen, dass man mir so viel zutraute, doch die Absurdität der Anschuldigung machte das unmöglich.

»Tagsüber, mit der Hilfe des Lykanthropen Sam Keith. Am Tatort wurde ein Stein gefunden, der aus dem Armband stammt, welches Ray Ihnen vermacht hat, sowie ein Pflock mit Spuren von Ihrem Geruch«, beantwortete Markus jede Frage in einem distanzierten Ton.

Das erklärte zumindest etwas. Tagsüber waren Vampire etwa so dynamisch wie tote Fische, wenn auch wesentlich entflammbarer und vor allem pfählbarer.

»Seid ihr euch sicher, dass jemand gestorben ist? Ihr werdet doch zu Staub, vielleicht hat da nur einfach jemand schlecht geputz…«, gab ich zu bedenken, doch stockte dann. Markus wühlte in seiner Uniformtasche. Anschließend hielt er zwei Plastiktütchen in die Höhe. Eins mit einem winzigen Diamanten, der unheilvoll im Kerzenlicht schimmerte und ein anderes, deutlich größeres Tütchen mit einem blutverschmierten … Malerpinsel.

»Das ist ein Malerpinsel!«, rief ich völlig entgeistert auf und benannte das Offensichtliche, während mir die Kinnlade herunterfiel. Markus studierte meine Reaktionen aufmerksam und wertungsfrei, wie ein Roboter, der seiner Programmierung folgte und Daten sammelte. Meine Augen mussten sich geweitet haben, als ob ich einen Geist gesehen hätte.

»Das ist ein Malerpinsel mit Holzstiel, den wir auf einem Häufchen Staub, eindeutig vampirischen Ursprungs, gefunden haben«, bemerkte Markus nur staubtrocken.

»Markus! Wie zur Hölle soll ich mich an Werwolfwachen vorbeigeschlichen haben? Du glaubst doch nicht wirklich, ich hätte jemanden mit einem Pinsel zur Ölmalerei gepfählt! Der hat nicht mal eine Spitze! Ich krieg nicht mal ein Marmeladenglas auf, wenn der Deckel klemmt, wie zur Hölle sollte ich dann …«

Doch Markus überging meinen Einwand und fuhr mit der Beantwortung meiner ursprünglichen Fragen fort, während ich meinen Blick auf das Armband senkte, welches sich immer noch um mein Handgelenk schmiegte. Tatsächlich knapp neben einem der Opale war eine kleine, kahle Stelle. Wenn ich es nicht gewusst hätte, dann wäre es mir niemals aufgefallen. Der Stein stammte wirklich aus meinem Armband.

»Was Ihren Status angeht, so wurden Sie mit der Eheschließung mit meinem Bruder Teil des Hohen Hauses Sorin.«

Offenbar hatte es sich also noch nicht rumgesprochen, dass die Ehepapiere anscheinend nicht rechtsgültig waren. Vielleicht war das gerade mehr Segen als Fluch … oder anders herum. Was wäre gewesen, wenn sie mich einfach für irgendeinen dahergelaufenen Menschen erklärt hätten? Wäre ich dann schon tot oder würde ich gar nicht erst in Schwierigkeiten stecken? Schwer zu sagen. Die Vampire drehten meinen Status anscheinend sowieso so, wie es ihnen gerade passte.

Ich hatte natürlich niemals in meinem ganzen Leben einen Vampir gepfählt, ich hatte es nur einmal bei Taylor versucht, war jedoch gescheitert. Dabei hatte er es in dem Moment mehr als verdient gehabt. Jetzt wurde mir ein Mord angehängt und es gab wesentliche Beweise, die gegen mich sprachen.

Markus wertete mein grüblerisches Schweigen als Zeichen dafür, dass es nun Zeit war, seinen Besuch in meiner Zelle zu erklären. »Da Sie Teil eines der Hohen Häuser, aber kein Vampir sind, müssen Sie einen Stellvertreter wählen, der Sie vertritt. Ihr Menschen würdet vermutlich einen Anwalt berufen, aber hier bei uns läuft das mittlerweile ein wenig anders. Wir haben es hier mit einem ungewöhnlichen Fall zu tun, der nicht unseren üblichen Bestrafungsmustern folgen kann. Normalerweise wäre Ray Ihr Vertreter, allerdings ist er ja gerade nicht abkömmlich und bis er zurückkehrt, muss der Prozess schon längst in die Wege geleitet worden sein«, sagte Markus sachlich.

Anscheinend mahlten die bürokratischen Mühlen von Vampiren deutlich schneller als ihre menschlichen Gegenstücke. Dabei hatten sie doch so viel mehr Zeit. Frustriert ballte ich die Hände in meinem Schoß zusammen.

»Also zuerst einmal: Ich habe nichts dergleichen getan. Wenn Ray wieder da ist, wird sich die Sache sicherlich aufklären. Er ist in drei Tagen zurück. Jemand will mir was anhängen«, versuchte ich möglichst ruhig zu erklären, doch meine Stimme zitterte. Die Situation war ernst. Sehr ernst.

»Einem ranghohen Mitglied eines der Hohen Häuser muss der Prozess unverzüglich gemacht werden, nach Paragraf 34 des Vistreschen Gesetzbuches.«

Markus sah mich streng an, als ob ich ein besonders ungezogenes Kind gewesen wäre, was so etwas doch wissen müsste. Dabei fragte ich ihn doch auch nicht kunsthistorische Daten ab und erwartete, dass er sie mir alle aus dem Stegreif nennen konnte. Wobei, vermutlich konnte er das. Vorausgesetzt seine Programmierung enthielt noch andere Software als Jura. Wikipedia vielleicht?

»Ich brauche einen Namen von Ihnen.«

Da mein flehentlicher Blick ihn offenbar nicht erweichen würde, begann ich fieberhaft zu überlegen. Wer wäre ein guter rechtlicher Vertreter für mich. Natürlich kamen mir meine Beschützer in den Sinn. Die Vampire, die einverstanden gewesen waren, meinen menschlichen Hintern zu retten, solange ich mich in Vistren aufhielt. Meine blutsaugenden Power Ranger. Katharina, Solaire, Hekate, Damian, James vielleicht sogar noch Dorian. Wer von ihnen würde mich am besten in so einem Paragrafendschungel schützen können? Ach zur Hölle damit. Ich nannte ihm einfach alle Namen.

»Das geht nicht«, antwortete er schlicht und nun sah ich den Bruchteil einer Sekunde einen Schatten über sein Gesicht huschen. Wieso ging das nicht? War einer von ihnen etwa …? War der gepfählte Vampir etwa einer der Genannten? Mein Magen verkrampfte sich und ich spürte, wie der Raum sich zu drehen begann. Das Blut in meinen Adern rauschte in meinen Ohren, aber schien gleichzeitig um fünf Grad kälter geworden zu sein, weshalb mir schwindelig wurde. Ich klammerte mich an das hölzerne Bettgestell, um nicht wegzusacken, dann fuhr Markus mit seiner Erklärung fort.

»Katharina Lyse, Damian Grellaume, James Jaquard und Dorian Gray gehören alle fremden Häusern an. Sie benötigen einen Vertreter aus Ihrem eigenen Hohen Haus. Hekate Sorin ist durch ihren Gesundheitszustand nicht in der Lage, als vampirischer Vertreter zu dienen, sie wird in rechtlichen Fragen selbst von einem ihrer Brüder vertreten. Der einzige genannte Vampir, der in Frage kommt, ist Solaire Sorin. Ich möchte Sie aber darauf hinweisen, dass er keinerlei Erfahrungen in diesem Gebiet aufweist«, sagte Markus knapp und Erleichterung durchflutete mich. Sie waren also nur nicht als mein rechtlicher Beistand zugelassen, aber ansonsten in Ordnung.

Ich richtete meine Gedanken, die durch die Erleichterung nun etwas besser kooperierten, wieder auf Markus’ Worte. Seine Formulierung ließ mich die Stirn runzeln und warf mehr Fragen als Antworten auf.

»Möchtest du etwa, dass ich dich vorschlage?«, fragte ich zögerlich und Markus hob eine Augenbraue – die erste klare Gesichtsregung, seit er die Kammer betreten hatte. Sieh an, er war also doch kein Cyborg.

»Wenn ich Ihr gesetzlicher Vertreter wäre, würde meine erste Amtshandlung darin bestehen, Sie in einen Vampir zu wandeln, damit Sie nach vampirischen Recht bestraft werden können.« Seine Stimme war kühl und ich schüttelte heftig den Kopf. Das war nun so gar nicht in meinem Sinne. Wenn ich Vampirin werden würde, dann bleiben ja nur noch drei Bestrafungsmöglichkeiten. Tod, Verbannung oder Opferung. Ich würde dann den Prozess nicht so lange hinhalten können, bis Ray mich da rausboxte. Wenn er das überhaupt tun würde. Der Kloß in meinem Hals machte das Schlucken schwer. Rays letzte Worte schwirrten noch immer in meinem Kopf herum.

Leb wohl, Holly …

Markus deutete die Tränen, die mir in die Augen stiegen, jedoch anders. »Ja, ich habe mir schon gedacht, dass Sie Ihre Wandlung lieber von Ray durchführen lassen wollen würden.« Er nickte wissend und zog einen kleinen Notizblock aus seiner Uniformtasche hervor, um sich eine Notiz zu machen.

»Dann Solaire«, wiederholte ich mit fester Stimme den einzigen möglichen Vertreter, bei dem ich mir sicher war, dass er auf meiner Seite war. Wenn ich Denata wählen würde, dann würde sie vermutlich unverzüglich für die Todesstrafe plädieren. Bei Lucy konnte man sich nicht sicher sein, wie sie überhaupt reagieren würde, und bei Chester und Charon wüsste ich nicht mal, welcher der beiden mich denn dann vertreten würde, da ich nicht in der Lage war, sie auseinanderzuhalten. Ganz zu schweigen davon, dass sie es gewesen waren, die mich als Blutbeutel bezeichnet hatten.

Aber wer weiß, vielleicht würde die Strafe, die sie erwirken würden, dann darin bestehen, als lebende Tankstelle durch das Schloss zu wandeln – bis einer von ihnen zu großen Durst bekäme. Wobei das vermutlich unmöglich war, denn angeblich war Ray ja der Einzige, der andere Strafen als Tod, Opferung und Verbannung verhängte.

»In Ordnung. Ich werde ihn zu einem beratenden Gespräch zu Ihnen bringen lassen, bevor Sie sich endgültig entscheiden müssen.« Markus notierte sich meine Antwort. Anschließend sah er mir wieder fest in die Augen. »Den Vorsitz der Verhandlung wird Moira Sorin führen, als Oberhaupt der Familie Sorin und wegen der Brisanz des Falls, wird sie das endgültige Urteil fällen, sobald die Investigation abgeschlossen ist. Die Verhandlung wird nach der Erklärung des vampirischen Vormundes unverzüglich binnen vierundzwanzig Stunden beginnen. Eine Kopie des Vistreschen Grundgesetzes wird Ihnen zur Verfügung gestellt. Für die Zeit der Verhandlung sowie der Initiation werden Sie diesen Raum nicht verlassen können, dürfen jedoch Besuch empfangen, vornehmlich den Ihres Vertreters.«

Anschließend ratterte er noch eine ganze Liste an Absätzen und Paragrafen runter, die mein Hirn schon gar nicht mehr richtig verarbeiten konnte.

»Wenn ich den Raum nicht verlassen darf, wie soll ich dann meinen menschlichen Bedürfnissen nachgehen?«, fragte ich zögerlich, nachdem ich sichergestellt hatte, dass er nicht nur eine Pause gemacht, sondern tatsächlich seinen Monolog beendet hatte. Meine Blase begann unangenehm zu drücken.

»Ich werde Ihnen einen Nachttopf bringen lassen und etwas zu essen«, sagte Markus knapp und nickte erneut, ehe er sich eine weitere Notiz machte.

Na, vielen Dank auch, Mr Terminator. Die ganze Situation schickte meinen Körper in einen Ausnahmezustand und jede Nervenzelle, die sich in meinem Kopf befand, schrie nach Hilfe und nach einer anständigen Toilette. Ich wollte weg, das alles war ein riesiger Fehler, ein Missverständnis.

Markus warf noch ein besonders dickes, staubiges Buch neben mich auf die Pritsche – das Vistresche Gesetzbuch, was viel eher eine Mordwaffe darstellte als ein Malerpinsel.

Er wandte sich, als er fertig war, jedoch zum Gehen und ignorierte mich und die Tränen, die nun wieder über meine Wangen liefen. Offenbar hatte ich in den letzten vierundzwanzig Stunden noch nicht genug geweint, zumindest schienen sich irgendwo geheime Reservoirs aufzutun und ich musste einen völlig verzweifelten Eindruck vermitteln. Dennoch spiegelte sich kein Mitleid in diesen kalten braunen Augen, bevor ich nur noch auf seinen Hinterkopf starren konnte.

»Warte«, ich griff nach Markus’ Ärmel und war selbst von einer so mutigen Geste meinerseits überrascht. »Wen soll ich überhaupt gepfählt haben?«, fragte ich und er warf mir über die Schulter hinweg einen letzten Blick zu, bevor ich ihn mit zusammengebissenen Zähnen sprechen hörte:

»Gaelicus Sorin, meinen Vater. Ich komme wieder … Leb wohl.«

Diese letzten Worte sorgten dafür, dass sich mein Herz schmerzhaft zusammenzog und ich nach Luft schnappte. Er konnte es zwar nicht wissen aber …

Leb wohl, Holly.

Da war es wieder.

Sprachlos entglitt Markus’ Ärmel meinem Griff, nach zwei Schritten war er bei der Tür, die er leise hinter sich schloss.

Ich sollte das Oberhaupt der Sorinschen Familie getötet haben?

Mein Mund war trocken und das unkontrollierbare Zittern war zurückgekehrt. Angeblich hatte ich meinen Schwiegervater mit einem Malerpinsel umgebracht und jetzt sollte meine Schwiegermutter über mich richten.

Das waren ja fantastische Aussichten.

2. Kapitel

Familie kann man sich nicht aussuchen, Vertreter schon.

»Ich kann das nicht machen«, rief Solaire und fuhr sich mit den Händen durch die dichten roten Locken.

Verständnislos sah ich ihn an. »Du glaubst doch nicht wirklich, dass ich deinen Vater ermordet habe?«, fragte ich entsetzt und der Mund blieb mir offen stehen.

»Was? Nein, natürlich nicht. Mal abgesehen davon, dass er vermutlich nicht mein Vater ist.« Solaire mied meinen Blick und schien die Täfelung an der Wand, die ich die vergangenen Stunden zur Genüge angestarrt hatte, unfassbar interessant zu finden.

»Warum dann, Solaire?« Meine Stimme hatte einen fordernden Unterton angenommen. Im Gegensatz zu Markus war Solaire nicht so einschüchternd, dass ich nicht offen mit ihm reden konnte. Er war schließlich der Einzige, der mir vorerst helfen konnte.

»Weil …«, setzte Solaire an und ich glaubte, Tränen in seinen Augen schimmern zu sehen, auch wenn er es immer noch vermied, mich anzusehen. Innerlich schien er sich zu winden und es kostete ihn sichtlich große Überwindung, die Situation zu erklären. »Ich hätte doch niemals damit gerechnet, dass er … sonst hätte ich … das habe ich nicht gewollt«, stammelte er dann und vergrub sein Gesicht in den Händen. Er quälte sich wirklich, mir das zu sagen, was auch immer ihn abhielt.

Ich rutschte auf der Pritsche etwas näher zu ihm heran und hob langsam die Hand, um ihm den Kopf zu tätscheln. Seine Haare waren so weich, dass es auch für mich eine tröstliche Geste darstellte. Fast so weich wie die seines Bruders. »Wer hat was gewollt?«

»Dorian«, schluchzte Solaire, oder zumindest war es das einzige Wort, was ich zwischen dem ganzen Gemurmel ausmachen konnte.

»Was ist mit Dorian? Kann er uns helfen?«, fragte ich behutsam und strich Solaire nun beruhigend über den Rücken, in der Hoffnung, ihn dazu zu bewegen weiterzureden.

»Nein, er ist schuld an dem ganzen Schlamassel!«, rief Solaire und stand so abrupt auf, dass meine Hand in der Luft hängen blieb. Er wandte sich um und seine rot geränderten grünen Augen sahen nun direkt in meine.

»Dorian hat mich angestiftet sicherzugehen, dass du alleine in Vistren bleibst und Ray mit Taylor nach Brasilien fährt. Er wusste, dass das passieren würde«, gab er zu und ballte die Hände zu Fäusten. Sein Blick wanderte hilfesuchend durch den Raum. Hilfe, die für uns beide vermutlich nicht kommen würde. Mein Magen sackte in die Kniekehlen.

»Aber warum?«, flüsterte ich und konnte den Blick nicht von Solaire wenden. Eine ungute Vorahnung übermannte mich.

»Er … hat etwas gegen mich in der Hand. Dorian ist wie ein Kraken, der überall seine Arme hat und alles mithört, mitbekommt und von jedem die düstersten Geheimnisse aus den Ecken zieht. Wenn das rauskommt, dann bin ich genauso geliefert wie du. Sobald ich dein rechtlicher Beistand werde, lässt er die Bombe platzen. Wenn ich nicht das tue, was er will, ebenfalls. Das kann ich nicht riskieren. Ich weiß, er sieht vielleicht harmlos aus, aber er besteht zu 30% aus vordergründigem Charme und zu 60% aus Intrigen!«, rechtfertigte sich Solaire, doch ich konnte ihm die Schuldgefühle ansehen. Offenbar war ich nicht die Einzige, die eingesperrt war. Auch wenn es bei Solaire weniger ein physisches als ein psychisches Gefängnis war.

»Da fehlen noch 10%«, erinnerte ich ihn trocken.

Solaires klang verzweifelt, als er antwortete. »Das sind 10% Lügen!«

Man sollte wohl immer seinem ersten Eindruck folgen. Wenn ich das bei Dorian gemacht hätte, wäre ich vielleicht jetzt nicht hier und Ray nicht in Brasilien.

Einerseits fühlte ich mich im Stich gelassen, andererseits verstand ich, dass für Solaire genauso viel auf dem Spiel stand wie für mich. Wir waren beide am Arsch.

»Was hat er gegen dich in der Hand?«, fragte ich.

Solaire ließ die Schultern hängen und setzte sich mit zitternden Knien zurück auf meine Pritsche. Stille senkte sich auf uns herab wie die Staubkörner, die von der Decke rieselten und in den Kerzenflammen tanzten.

Gerade als ich ihm wieder beruhigend den Rücken streicheln wollte, sprach er. »Ich hab in der Vergangenheit Experimente mit Vampiren gemacht«, flüsterte er und seine Schultern waren nun ganz ruhig, obwohl sie sich zuvor unter Schluchzern geschüttelt hatten.

Verstört ließ ich die Hand sinken. Das war wirklich ein ziemlich dunkles Geheimnis.

»Ich weiß nicht, wie er es rausgefunden hat, oder wie lange er es schon weiß. Es war im 17. Jahrhundert, als ich damit begann, Blut zu vermischen und chemisch zu manipulieren, um den Geschmack zu verändern. Ich hatte einige wenige reiche Unterstützer, die die Einzigen waren, die wussten, was ich tat. Wir verabreichten die Mischungen diversen Vampiren und durch einen unglücklichen Zufall habe ich auch das einzige bekannte Gift entdeckt, das einen Vampir töten kann«, sprudelte es nun nur so aus ihm heraus. Offenbar bereute er seine Taten sehr, denn er sah mich völlig verloren an. »Du hast aber nichts mit dem Tod von Ludwig XIV. zu tun?«, fragte ich zögerlich, nachdem ich mich an Damians Erzählungen erinnerte. Doch langsam nickte Solaire und das Herz rutschte mir in die Hose.

»Ich hätte das niemals tun dürfen. Die wissenschaftliche Neugier rechtfertigt nicht alles. Seitdem habe ich alles versucht, um diesen Fehler wiedergutzumachen. So habe ich das geklonte Blut erfunden«, schniefte er und ich glaubte ihm. Auch wenn er vermutlich den Verlauf der Geschichte minimal ungünstig beeinflusst hatte. Was wohl wäre, wenn Ludwig XIV. überlebt hätte?

Hätte, hätte, Fahrradkette … Es brachte nichts, darüber nachzugrübeln, was gewesen wäre wenn.

»Wie viele wissen davon und was passiert, wenn es rauskommt, was du getan hast?«, fragte ich langsam nach ein paar Schluchzern von Solaire, der sich wieder neben mir in eine traurige rote Regenwolke verwandelt hatte.

»Es wird einen Prozess geben. Die Möglichkeiten kennst du. Ich dachte, bis auf Ray und Hekate wären alle Vampire, die davon wussten, längst gestorben«, erwiderte er. »Ich weiß nicht, wie Dorian es herausgefunden hat. Aber er weiß sowieso zu viel. Viel zu viel für einen Vampir in seinem Alter. Er hat mich bei den Tests der Seelenverwandtschaft erst auf die richtige Spur gebracht. Hat behauptet, er hätte es von einem alten persischen Vampir erfahren, aber ich glaube eher, dass er irgendwo noch Schriftstücke besitzt, die den Brand in Alexandria überlebt haben.«

Ich atmete tief durch und biss mir auf die Lippe. Zögerlich lehnte ich mich zu Solaire und schloss die Arme um seinen bebenden Körper. Sein Herz schlug gleichmäßig unter meiner Berührung. Eine Nebenwirkung der nicht ganz so perfekten Seelenverwandtschaft. »Ob dein Herz jetzt für immer schlägt?«

Er erwiderte meine Umarmung. »Vielleicht, vielleicht auch nicht, wir werden Ray fragen müssen, ob seins aufgehört hat, als ihr mehr als einen Kontinent voneinander entfernt wart. Wir wissen einfach noch viel zu wenig und der Einzige, der vielleicht mehr weiß, als er zugibt, ist Dorian.«

Die letzten Worte hatte er gezischt und seine Hände zu Fäusten geballt. Da er mich nun doch etwas fester drückte, als mir lieb war, schob ich ihn vorsichtig von mir.

»Hast du eine Idee, warum er all das tut? Was sein Plan ist?«, fragte ich ihn dann, nachdem er sich wieder etwas beruhigt hatte.

»Ich weiß es nicht genau. Dorian hält sich nicht mit kleinen Intrigen auf. Dorian ist eher der Typ, der Königshäuser stürzt und Revolten anzettelt. Man sagt, er habe Napoleon Informationen über die Aufenthaltsorte von Vampiradeligen gegeben, um seine Freiheit zu erkaufen. Jetzt will er dich. Aber nicht um deinetwillen, sondern wegen Ray. Aber das große Ganze kann ich einfach noch nicht sehen. Ich fürchte aber, es geht um etwas Bedeutendes«, mutmaßte Solaire und wischte sich mit einem Ärmel seines Laborkittels, den er niemals abzulegen schien, die Augen.

Ich erinnerte mich an das, was Ray mir über Dorian und Taylors Feindschaft erzählt hatte. Dorian hatte Emily gewollt, aber nicht bekommen, woraufhin Emily getötet worden war. Zwei Kronprinzen, zwei Seelenverwandte und jedes Mal ein Dorian, der seine Finger im Spiel hatte. Aber ich würde im letzten Punkt nicht in Emilys Fußstapfen treten. Nur über meine Leiche. Wobei das vielleicht etwas zu bildlich gesprochen war.

Solaire schien ebenfalls neuen Mut zu fassen, zumindest lehnte er sich nun von mir weg und richtete sich kerzengerade auf. »Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben«, schloss er.

»Also einem großen Haufen Scheiße?«, fragte ich und hob eine Augenbraue.

»Nein, wir müssen nur genauso intrigant werden, wie Dorian es ist.«

»Ich will dir ja nicht die Hoffnung nehmen, aber er scheint deutlich mehr Erfahrung auf dem Gebiet zu haben. Außerdem ist unsere, beziehungsweise meine Ausgangslage denkbar schlecht. Ich hab keinerlei Expertise in politischen Intrigen. Ich kann ja nicht mal lügen«, erwiderte ich zögerlich, doch Solaire war aufgesprungen.

»Dann wirst du es lernen müssen und zwar schnell. Du musst nach den Regeln spielen – und zwar allen Regeln. Wenn du lernst zu lügen, lernst du auch zu intrigieren.« Hastig blätterte er im Gesetzbuch hin und her. Lügen lernen, wenn man eigentlich die Wahrheit sagen kann? Meine Großmutter würde sich im Grabe rumdrehen.

»Ich lern doch auch nicht ertrinken, weil ich schwimmen kann!«, rief ich.

Doch er ging nicht auf meinen Protest ein. »Wir müssen zunächst eigentlich nur Markus hinhalten, bis Ray zurück ist.«

»Okay, drei Tage werden ja wohl zu schaffen sein.« Entschlossen blickte ich über Solaires Schulter, der abrupt aufgehört hatte, im Gesetzbuch zu blättern.

»Was die drei Tage angeht, gibt es ein kleines Problem«, sagte er zögerlich und wandte sich zu mir herum. »Wir müssen schon mal unverzüglich einen Vertreter für dich bestimmen und in Sao Paolo ist der Flughafen aufgrund von Protesten gesperrt worden. Das Telefonnetz war zwischenzeitlich auch gestört und Ray weiß noch nicht mal, was passiert ist«, erklärte er und klemmte sich seine Zunge zwischen die Lippen, während er wieder fieberhaft in dem Gesetzbuch herumblätterte.

»Das kann doch nicht dein Ernst sein? Geht jetzt einfach alles schief? Ein Unglück kommt wohl wirklich selten allein«, stöhnte ich und schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Wie lange würde es dauern, bis Ray wieder hier wäre?

»Murphys Gesetz«, erwiderte Solaire.

»Was?«, fragte ich entgeistert zurück.

»Murphys Gesetz. Was schiefgehen kann, wird schiefgehen.«

»Ja danke Solaire, gibt es auch irgendein Gesetz, das dafür sorgt, dass ich bis zu Rays Rückkehr irgendwie überlebe?«, herrschte ich ihn vielleicht etwas ungeduldig an, zumindest tat es mir im nächsten Augenblick schon wieder leid. Ich wusste nur einfach nicht wohin mit meiner Angst und Frustration. Ich war mit meinem Latein, das ich sowieso nicht sprach, am Ende. Aber dennoch hatte Solaire so etwas nicht verdient.

Gerade als ich mich jedoch entschuldigen wollte, hob er die Hand. »Schon okay. Ich bin dabei«, erwiderte Solaire und hatte nun seine Nase in dem staubigen Buch versenkt.

»Wenn ich doch irgendwie mit Ray reden könnte«, sagte ich seufzend. Er würde vielleicht wissen, was zu tun wäre oder ich könnte ihm wenigstens vorwerfen, dass er in seinem Anflug von Bindungsangst schuld an der ganzen Misere war. Ob ich mich daraufhin jedoch besser fühlen würde, war zweifelhaft. »Dann könnte ich ihm zumindest sagen, was hier los ist. Aber Morgana musste mir ja das verdammte Handy abnehmen. Oh, Gott, Alice ist sicherlich krank vor Sorge.«

Als ich bemerkte, dass meine Atmung sich beschleunigte und ich wieder kurz davor stand zu hyperventilieren, schüttelte ich meinen Kopf. Tief durchatmen. Noch war nicht aller Tage Abend.

Solaire senkte seine Stimme verschwörerisch, aber eindringlich. »Ich habe es eben schon mal probiert, aber ein neuer Versuch schadet sicherlich nicht! Wir sind nah genug an meinem Labor, dass es Empfang geben sollte, und die Zeitverschiebung passt auch.« Er schien zu erröten, schob seine Hand in den Hosenbund und zog ein brandneues Handy daraus hervor. »Die Werwölfe im Gang haben es nicht gefunden, als sie mich durchsucht haben«, flüsterte er.

Mit einem geschickten Wischen entsperrte er es, wählte eine Nummer und reichte mir das Telefon. Mit spitzen Fingern nahm ich es entgegen, kniff die Augen zusammen und hielt es mir ans Ohr, ohne Solaires fragwürdige Handy-Aufbewahrung zu kommentieren.

»Taylor Lyse am Apparat, Vampirprinz, Rockstar, Sexgott, was kann ich heute für dich tun, Solaire?«, fragte ein unbekümmerter Taylor. Natürlich konnte er sich nicht einfach normal melden. Ich verdrehte die Augen. Im Hintergrund vernahm ich das Stimmengewirr einer belebten Straße und ein ziemlich vertrautes Lallen.

»Taylor, ich bin es, Holly«, sagte ich, kam jedoch nicht weiter.

»Holly?«, fragte Taylor vernehmlich laut, ehe er sich scheinbar in einen ruhigeren Bereich zurückzog und ich im Rauschen der Leitung ein »Was? Holly ruft an?« hörte, was eindeutig von Ray stammte. Dann war es plötzlich ganz still und ich hörte erneut Taylors Stimme. »Holly? Es ist grad wirklich schlecht, wir …«

»Sam und ich sind verhaftet worden! Markus und Morgana wollen uns den Prozess machen, weil wir Gaelicus getötet haben sollen.«

Stille am anderen Ende der Leitung, nur leise durchbrochen durch ein Klopfen auf Taylors Seite.

»Wow. Das ist echt scheiße«, kommentierte er und ich nickte, bis ich bemerkte, dass er das durchs Telefon natürlich nicht sehen konnte.

»Äh. Ja!«, rief ich aufgebracht.

»Und, hast du ihn umgebracht?«, fragte er dann und ich hätte am liebsten das Telefon gegen die Wand geschmissen.

»Natürlich nicht! Dorian will mir das anscheinend anhängen! Zumindest glauben Solaire und ich das.«

Meine Stimme wurde so laut und aufgebracht, dass Solaire verstohlen zur Tür sah und mich mit einem auf die Lippen gelegten Finger zur Ruhe ermahnte, bevor rauskam, dass ich doch mehr Kontakt zur Außenwelt hatte, als für Gefangene vorgesehen war.

»Okay, scheiße«, wiederholte Taylor.

»Wir brauchen Ray und dich hier, so schnell es geht!«, flehte ich leise, aber dennoch möglichst eindringlich. Ich wusste, was ich da verlangte.

Er sollte seine Suche nach Emilys Wiedergeburt, seiner Seelenverwandten aufgeben, um mir den Arsch zu retten – mal wieder. Seufzend wollte ich das Unterfangen schon für hoffnungslos erklären, doch dann zögerte ich. Auf der anderen Seite der Leitung erklang ein Quietschen, dann wieder das Lallen.

»Ist das Ray?«, fragte ich und meine Stimme schnellte unwillkürlich ein paar Oktaven nach oben.

»Ja«, bekam ich eine äußerst knappe Erklärung serviert. Dennoch glaubte ich, ein Grinsen in Taylors Stimme zu hören.

»Warum lallt er? Ist er betrunken?« Meines Wissens nach konnten Vampire eigentlich nicht alkoholisiert sein.

»Nein, auf Drogen.«

»Was?«, fragte ich entsetzt und Solaire war angesichts meines Ausbruchs drauf und dran, mir die Hand vor den Mund zu halten.

»Er verkraftet die Trennung von dir nicht sonderlich gut.« Taylor klang etwas verbittert, ehe er aus tiefster Seele seufzte und fortfuhr. »Wir machen uns auf den Weg zurück. Vorausgesetzt wir kommen irgendwie durch diesen Protest durch«, sagte er beschwichtigend, doch mein Herz flatterte nun nur noch nervöser, vor allem da ich Ray erneut im Hintergrund »Holly!« lallen hörte. Es scharrte in der Leitung, offenbar war er dabei, Taylor das Telefon wegzunehmen.

»Bring Ray das Ganze schonend bei!«, bat ich ihn noch, als ich eine Hand an meiner spürte.

Doch es war bereits zu spät, als ich Taylor rufen hörte: »Ray, dein Dad ist tot.«

Ich kniff die Augen zusammen.

Solaire nahm mir ebenfalls das Telefon weg. »Ich muss mit Ray sprechen, ich habe eine Idee, wie wir etwas Zeit schinden können, aber es wird nicht besonders einfach«, erklärte er und widerwillig ließ ich das Handy, welches in mittlerweile fest umklammert hatte, in Solaires Hand gleiten, während Taylor und Ray am anderen Ende der Welt offenbar noch um die Herrschaft über das Gegenstück der Leitung kämpften.

»Hallo?«, fragte Solaire und bekam offenbar eine Antwort. Das tiefe Brummen der Stimme am anderen Ende sorgte dafür, dass meine Eingeweide sich verknoteten. »Ray, du musst mir helfen, könnte Holly mich als ihren Vertreter ablehnen und sich auf Paragraf 23 und anschließend in Kombination mit Paragraf 46a berufen?«, fragte Solaire und fuhr mit dem Finger die entsprechenden Paragrafen im Gesetzbuch nach.

»Was? Ja, das muss ein … Ist doch jetzt egal … Hörst du mir überhaupt zu? Funktioniert das oder nicht?«, hörte ich das Gespräch einseitig aus Solaires Mund.

Wieder vernahm ich Rays Stimme durch das Telefon, allerdings nur als tiefes Brummen, da ich die einzelnen Worte nicht ausmachen konnte. Zusätzlich begann Solaire jetzt wieder fieberhaft in dem Buch hin und her zu blättern, wodurch das Rascheln der Seiten die Stimme, nach der ich mich so sehr sehnte, noch weiter überdeckte.

»Okay, alles klar. Gib mir bitte nochmal Taylor«, bat Solaire und kniff die Augen zusammen, als ein quietschendes Geräusch aus dem Telefon drang. Nach ein paar weiteren Worten, die ich gar nicht mehr richtig wahrnahm, beendete Solaire das Gespräch und verstaute das Telefon wieder dahin, wo er es zuvor hervorgezaubert hatte.

Ich biss mir abermals auf die Lippe und kämpfte wieder mit den Tränen. So nah und doch so fern. Jetzt hatte ich keine Gelegenheit mehr erhalten, mit Ray zu sprechen, der, und das war mein einziger Hoffnungsschimmer, die Trennung ebenso schlecht verkraftete wie ich. Außerdem hätte ich Taylor noch ins Gewissen reden wollen, damit dieser auf Ray aufpasste, da er offenbar nicht mehr so ganz in der Lage schien, auf sich selbst aufzupassen.

»Hier, das ist es«, unterbrach Solaire meine Gedanken und hielt mir das staubige Buch dicht unter die Nase, woraufhin ich niesen musste. »Wir können froh sein, dass Ray diese ganzen Gesetzesbücher als Kind so hart eingetrichtert bekommen hat. Er kennt sie anscheinend immer noch genug, selbst wenn er sich selbst etwas eintrichtert«, sagte Solaire, doch das Grinsen auf seinen Lippen erstarb, sobald er mein Gesicht sah. Andere Kinder lernten die ersten 150 Pokémon auswendig, Ray die ersten 150 Paragrafen des Vistreschen Grundgesetzes.

Dann erklärte er mir, deutlich ernsthafter, den Plan. Ungläubig hob ich eine Augenbraue. »Wird das funktionieren?«

»Ich hoffe es, aber zusätzlich zu beten wird sicherlich nicht schaden.«

***

Solaire war gegangen, um Markus erneut zu mir zu schicken, sein Handy hatte er mitgenommen, also hatte ich keinen weiteren Kontakt zur Außenwelt. Ich hatte nicht einmal mehr den Kopf gehabt zu fragen, wie es Sam ging und ob ihm auch irgendjemand half, schließlich steckte er in derselben Situation wie ich.

Die Zeit hatte ich dazu genutzt, um die mir vorgebeteten Paragrafen immer und immer wieder zu wiederholen. Wir hatten nur diesen Plan und der musste funktionieren. Wobei Plan … Solaire hatte mit dem Beten nicht ganz unrecht gehabt. Wir würden ein kleines Wunder brauchen.

Zerknirscht ließ ich mich auf die Pritsche nieder, nur um im nächsten Augenblick wieder aufzuspringen, als Markus, wie schon beim letzten Mal, unangemeldet hereinplatzte.

Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, ratterte ich los: »Nach Paragraf 23, 46a und d berufe ich mich darauf, einen ungeeigneten vampirischen Vertreter abzulehnen und ein Beratungsgespräch mit einem oder mehreren weiteren potenziellen Vertretern zu führen. Anschließend fordere ich Bedenkzeit, um meinen endgültigen Vertreter zu bestimmen.«

Keuchend machte ich eine Pause und sah in Markus’ Gesicht. Als er in den Raum gestürmt war, hatte ich eigentlich mit einer Rüge gerechnet, da er tatsächlich eine Spur aufgebracht wirkte. Jetzt jedoch, nachdem ich ihm meinen Standpunkt auswendig gelernt vorgebetet hatte, schien er sich wieder zu entspannen. Wie bei einem Kind, dem man statt eines Schlafliedes Gesetzestexte vorsang. Er musterte mich mit unbewegter Miene.

»Solaire hat mich gerade schon informiert, dass er nicht Ihr Vertreter werden wird. Da war ich mir nicht sicher, ob Sie den Ernst der Lage begreifen, aber Ihre Sachkenntnis über Ihre Rechte und Pflichten hat mich ja nun eines Besseren belehrt«, merkte er schlicht an. »Welchen potenziellen vampirischen Vorstand ziehen Sie nun in Erwägung?«

Ich holte nochmal tief Luft, obwohl ich meinen Atem wieder unter Kontrolle gebracht hatte. Die nächsten Worte würden mir nicht leicht über die Lippen kommen.

»Lucy, Chester und Charon«, sagte ich und mühte mich damit, dem Blickkontakt zu Markus nicht abbrechen zu lassen. Ich konnte es kaum glauben, dass das unser Plan war. Außerdem, in welcher Welt hatte ein Kind wie Lucy mehr Rechte als eine ausgewachsene Frau wie Hekate, die nicht mal ausreichend für voll genommen wurde, um jemanden rechtlich zu vertreten? Das zeigte doch nur, wie verrückt das vistrische Gesetz war und auf was für wackeligen Beinen es stand.

Ich würde es zum Einsturz bringen, wenn ich nur die Gelegenheit dazu bekam. Ich würde zusehen, wie es über ihren eigenen Köpfen zusammenbrach, und hoffentlich würde sie das zum Nachdenken anregen. Keine Schwäche zeigen, dachte ich mit zusammengebissenen Zähnen.

Markus sah mich forschend mit einer Spur Skepsis an. Immerhin hatte ich gerade Vertreter vorgeschlagen, die genauso qualifiziert wären wie Cruella De Ville und die Zwillinge aus The Shining. Eine wollte mir vielleicht an den Kragen und die anderen waren einfach nur gruselig.

Wir lieferten uns ein Starrduell, was eine Ewigkeit anzudauern schien. Fingerhakeln mit Blicken – Wer als Erstes wegsah, hatte verloren. Meine Augen begannen zu Tränen, vom krampfhaften Nichtblinzeln.

»Gut«, sagte Markus schließlich knapp und sah auf seinen Notizblock, den er aus seiner Tasche gezogen hatte.

Innerlich streckte ich triumphierend die Faust in die Luft. Ein Teil des Plans hatte immerhin schon mal funktioniert. Jedoch war das wirklich der Einfache gewesen. Jetzt würde es zum schweren Teil übergehen.

»Ich nehme an, Lucy wird unabkömmlich sein, zu Ihrem Raum zu kommen, weswegen wir Sie zu ihr bringen müssen«, grummelte Markus. Offenbar passte ihm so ein Verstoß des Protokolls, dass ich mein Gefängnis nicht verlassen durfte, so gar nicht. »Ich werde Sie darüber informieren, sobald der Transport vorbereitet wurde«, sagte er und stand auf, um die Tür anschließend hinter sich zufallen zu lassen.

Jetzt hieß es nur noch abwarten und zwar möglichst lange. Wie bei einem umgekehrten Wettlauf gegen die Zeit.

3. Kapitel

Kindermund tut Wahrheit kund

Es dauerte nicht lange, bis Markus zurückkehrte. Ich widerstand dem Drang, ihm vor lauter Frustration in die Seite zu boxen. Denn die Zeit, die er für jeden Botengang und jedes Gespräch, zu dem ich ihn schickte, brauchte, war Zeit, die ich gewann, um ihn hinzuhalten, bis Ray und Taylor zurück waren. Aber vielleicht hatte er ja Solaires und meinen Plan schon längst durchschaut und beeilte sich deshalb so sehr.

Nachdem Markus mit seinem üblichen monotonen Gesichtsausdruck eingetreten war, ließ er diesmal nicht einfach die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Stattdessen folgten ihm zwei bullige Männer, von denen ich annahm, dass es Werwölfe waren, in den Raum und schlossen erst danach die Tür. Einer von ihnen hielt einen Elektroschocker griffbereit, der andere ließ ein paar Handschellen von seinem Finger baumeln.

Ich schluckte schwer und streckte meine Hände bereitwillig aus. Einerseits dachte ich, es wäre sicherlich das Klügste, so gut es ging zu kooperieren, andererseits fragte ich mich erneut, wie viel Markus mir zutraute, dass er diese zwei Schränke benötigte, um eine Studentin Mitte zwanzig in Schach zu halten.

»Wie ich sehe, verhalten Sie sich tadellos«, bemerkte er meine ausgestreckten Arme. »Ich werde das positiv in Ihrer Prozessakte vermerken.«

Ein schwacher Trost. Vermutlich war die Todesstrafe dennoch nicht vom Tisch. Widerstand wäre eh zwecklos gewesen. Deswegen nickte ich nur grimmig, als der Werwolf mit den Handschellen vortrat und sie mir etwas ruppig anlegte. Anschließend zog er an der feinen Kette zwischen den Ringen und ich beeilte mich, auf die Füße zu kommen, um nicht einfach von ihm mitgeschleift zu werden.

Als wir der Kammer, die ich seit meiner Verhaftung nicht verlassen hatte, endlich den Rücken kehrten, spürte ich erst, wie beklemmend diese Erfahrung wirklich gewesen war.

Mondlicht fiel durch die Fenster auf den schmalen mit Teppich versehenem Gang, an dessen Ende wir standen, und mischte dem Licht der kerzenbestückten Kronleuchter über unseren Köpfen einen kühlen Ton bei. Mit einem Seitenblick auf den bewaffneten Werwolf widerstand ich dem Drang, zu einem der Fenster zu eilen, es zu öffnen und die kühle Nachtluft einzuatmen. Oder rauszuspringen.

Es schneite wieder und der fallende Schnee erinnerte mich an die Federn des zerrissenen Kopfkissens, als Ray und ich das letzte Mal …

Aber das gehörte nun wohl der Vergangenheit an. Er würde zwar kommen und mich hier rausholen, aber was dann? Konnte ich wirklich einfach nach Berlin zurückkehren und alles wäre genau wie vorher? Bevor ich ihn kennengelernt hatte? Bevor ich mich in ihn verliebt hatte?

Ein Stoß in meinen Rücken ließ mich straucheln und als ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, gab ich mir Mühe, den Werwölfen keinen weiteren Anlass zu geben, mich zu schubsen. Ich musste die Gedanken an Ray zumindest so lange verdrängen, bis ich außer Lebens- und Verurteilungsgefahr war.

Nachdem wir mehrere Gänge, Korridore und Treppen hinter uns gelassen hatten, hielten wir vor einer schweren bordeauxroten Holztür. Markus trat vor und pochte in einem gleichmäßigen Rhythmus kurz über dem Schlüsselloch. Der Knauf wurde gedreht und ich ließ meinen Kopf nach unten wandern, nur um einem Blick aus blutroten Kinderaugen zu begegnen und zu erschaudern.

»Herein«, sagte Lucy und ging einen Schritt zur Seite, um uns einzulassen.

Nachdem ich in den kreisrunden Raum geschoben worden war, verschlug es mir die Sprache. Jeder Quadratzentimeter schien mit Büchern bedeckt zu sein. Die Wände säumten deckenhohe Regale und den Boden bedeckten Stapel von Papieren und Werken, die offenbar keinen Platz mehr an den Wänden gefunden hatten.

Noch etwas war seltsam an dem Boden. Er war weich. Als ich mich traute, den Blick von dem Kindervampir vor mir abzuwenden und nach unten zu sehen, stellte ich fest, dass er aus gepolstertem Samt bestand und eine einzige, riesige Matratze bildete. Auf einer Insel in der Mitte, die ein dunkles Parkett als Boden aufwies, stand ein Tisch mit Stühlen, einer Teekanne, Tassen und einer Etagere mit Keksen und Maccarones. Das Wasser lief mir im Mund zusammen, als ich die Köstlichkeiten erspähte. Wie lange hatte ich nichts mehr gegessen? Zur Bestätigung knurrte mein Magen und ich sah, dass Lucy lächelte.

»Da hat aber jemand Hunger. Ich glaube, ihr könnt gehen und sie mit mir alleine lassen. In einer halben Stunde sollten wir fertig sein«, sagte sie mit ihrer glockenhellen Stimme und die Härchen in meinem Nacken richteten sich auf.

»Lucy, dir ist klar, dass sie möglicherweise die Mörderin unseres Vaters ist«, gab Markus ernst zu bedenken und ich sah Sorge in seinem Blick aufflackern.

Lucy winkte jedoch ab und hatte eine trotzige Miene aufgesetzt. »Ich werde schon mit ihr klarkommen. Wir werden etwas spielen!«

»In Ordnung, aber die Handschellen bleiben dran«, sagte Markus mehr zu mir als zu Lucy, weshalb ich nur mit den Schultern zuckte. Ich hatte nichts anderes erwartet.

Markus war bereits in den Flur zurückgekehrt, als der Werwolf mit dem Taser ihm folgte. Der andere Werwolf, der mich immer noch am Arm gepackt hatte, ließ mich los, doch ich lehnte mich vorsichtig zu ihm herüber.

»Geht es Sam gut?«, fragte ich, aber erhielt keine Antwort. Der Mann sah mich mit einem strengen Blick an, doch ich glaubte, ihn kaum merklich nicken zu sehen. Vielleicht bildete ich es mir allerdings auch nur ein, weil ich es so sehr hoffte.

Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und ich fuhr in der nächsten Sekunde auf dem Absatz herum, um Lucy nicht in meinem Rücken zu haben. Sichtlich nervös rieb ich mir, so gut es ging, die Handgelenke unter den stramm eingestellten Handschellen.

Ohne die Stille zu durchbrechen, wies Lucy zum Tisch und ich nahm unsicher Platz. Ich wusste nicht, ob ich meine gefesselten Hände lieber über oder unter der Tischplatte platzieren sollte und legte sie dann, mit einem Rasseln, unschlüssig neben der Tasse nieder.

Als ich den Blick vorsichtig nach links und rechts wandern ließ, fiel mir auf, dass wir den Tisch mit einem Teddybären und zwei Puppen teilten. Irgendwie saß ich anscheinend mitten in einer kindlichen Tee-Party. Ich hoffte nur, dass in der Kanne tatsächlich Tee war und nicht …

Ein Schauer überkam mich. Ich erinnerte mich an Rays Worte und es dämmerte mir immer mehr, was er gemeint hatte. Lucy war unberechenbar. Ich wusste, dass das Manöver riskant war, aber langsam zweifelte ich daran, ob es wirklich sicherer war als andere Optionen – wenn wir welche gehabt hätten.