Blutiger Kampf ums Museumsdorf in Oberstdorf - Dieter Krampe - E-Book

Blutiger Kampf ums Museumsdorf in Oberstdorf E-Book

Dieter Krampe

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Beschreibung

Der pensionierte Hauptkommissar Robert Schibulsky konnte im ersten Teil der Trilogie mit dem ehemaligen Lehrer, der nun inkognito als Björn Ringhut für einen Berliner Pharma-Konzern arbeitet, zu Weihnachten in Oberstdorf drei Morde aufklären. Nach einer Odyssee durch mehrere Kliniken, die alle nichts gegen den akuten MRSA-Befall an Roberts Hüfte tun konnten, verschlägt es Schibulsky zu Ostern wieder nach Oberstdorf. Hier soll nun aus dem geplanten kleinen Museumsdorf doch ein großer Freizeitpark errichtet werden. Dieses Mal sind sich die Gesellschafter einig. Aber die lukrative Konzession für das dortige Restaurant möchten mehrere Bewerber erhalten. Da ist Streit und Gewalt vorprogrammiert. Zumal sich auch neue Erpresser für die Familie der Gräfin zu Hohenstein angesagt haben.

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Veröffentlichungsjahr: 2020

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Museumsdorf  in  Oberstdorf

( Ostern 2014 )

GEOCACHING 2.0

in

47.407562  /10.277967

Gedächtnisprotokoll

des pensionierten Hauptkommissars

Robert Schibulsky

- TEIL 2 –

Neufassung

Autor:  Dieter Krampe

gewidmet:

Kommissar Korbinian Hofer

(ZDF: Die Rosenheim Cops)

Impressum       Copyright: © Juni 2016 / September 2020

                                 Dieter Krampe                                 Verlag: epubli GmbH, Berlin        www.epubli.de

WAS BISHER GESCHAH …

Wenn du den ersten Teil der SCHIBULSKY-Trilogie ganz gelesen hast, genügen die folgenden Schlagzeilen zum Verständnis dieses zweiten Teils:

Schlagzeilen zu den Morden in Oberstdorf zur Weihnachtszeit 2013

02.12. „Selbstmord“ des Kaplans Marc Teuffel

25.12. Ermordung des Vorsitzenden des Vereins der     

              Oberstdorfer RECHTLER Xaver Steingasser

 

30.12. GEOCACHING-Rallye in Oberstdorf /     

              Ermordung des Nico Winterscheid

 

01.01. Fund der Leiche des Nico Winterscheid im

              Speichersee an der Nebelhornbahn

 

02.01. Entführung der Gräfin zu Hohenstein

03.01. Geldübergabe / Flucht des „Bobo“ Babayigit

 

* * * * *

Vermutlich hattest du nicht das große Vergnügen gehabt, den ersten Teil von „Tödliche Weihnacht in Oberdorf“ zu lesen. Daher sei dir dieser Allgäu-Krimi nochmals wärmstens ans Herz gelegt.

Um dich aber in das Geschehen einzuführen, biete ich dir hier eine kurze Zusammenfassung der bisherigen Geschehnisse:

 

VORGESCHICHTE

 Tödliche Weihnacht in Oberstdorf

Während des Weihnachtsaufenthaltes in meiner kleinen Ferienwohnung in Oberstdorf wurde ich von meinem alten Freund Toni Endras gebeten, den angeblichen Selbstmord des Kaplans der katholischen Pfarrkirche St. Johannes Baptist zu untersuchen. Dabei konnte ich rasch nachweisen, dass es sich bei Marc Teuffels Ableben hundertprozentig um einen kaltblütigen Mord gehandelt hatte.

Der Kaplan war unglücklicherweise den Machenschaften einer Unternehmergruppe auf die Spur gekommen, die zusammen mit dem Ersten Bürgermeister der Marktgemeinde und dem Gemeinderat einen großen Freizeit- und Vergnügungspark oberhalb der Erdinger Arena plante.

Da die Mordkommission in Kempten nicht sorgfältig ermittelt hatte, wurde ich von der zuständigen Staatsanwältin Dr. Angela Marx überredet, bei der Aufklärung des Mordes an Kaplan Teuffel mitzuhelfen. Am zweiten Weihnachtstag wurde zudem die Leiche des Vorsitzenden des Vereins der RECHTLER in der Nähe der Ziegelbachhütte gefunden, mit einer Sense am Mast des Höllwieslifts aufgespießt. Diesem Verein gehörte das Gelände, auf dem der neue Erlebnispark des Chemiekonzerns CHAT Medical Germany aus Berlin und des bekannten Internethandels EUROMIX Technology aus Lindau entstehen sollte.

Auf Grund von DNA-Analysen und dem Abgleich mit der DAD (DNA-Analyse-Datei) konnte schnell ein 24-jähriger mehrfach vorbestrafter Syrer als Tatverdächtiger festgestellt werden, der in enger Verbindung zum 23-jährigen Juniorchef des EUROMIX Konzerns, Nico Winterscheid, stand. Beide kannten sich aus ihrer Hauptschulzeit in Bielefeld und hatten zusammen mit ihren Mitschülerinnen durch eine falsche Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs inklusive ihrer Falschaussagen ihrem damaligen Klassenlehrer Herrn Schweins die Entlassung aus dem Schuldienst eingebrockt.

Offensichtlich führte Nasreddin Babayigit, genannt „Bobo“, für seinen „Chef“ Nico Winterscheid wichtige Aufträge aus, die auch vor Mord nicht zurückschreckten, wie die zwei Opfer der tödlichen Weihnacht in Oberstdorf bewiesen haben.

Zum Jahreswechsel wurde während einer GEOCACHING Rallye im Dorf dann auch der Juniorchef selbst erschossen und tot aus dem Speichersee an der Mittelstation der Nebelhornbahn gezogen. Da die Kugel, die die Stirn und den ganzen Schädel durchschlagen hatte, nicht aufgefunden werden konnte, fehlte der letzte Beweis, dass sein Kumpel Bobo auch für diesen Mord verantwortlich zeichnete.

Verdächtig war für mich allerdings auch das plötzliche Auftauchen des Ex-Klassenlehrers aus Bielefeld, der jetzt mit neuer Identität als Björn Ringhut die Geocaching-Veranstaltung in Oberstdorf managte und als Sicherheitsmann der CHAT die Silvesterwoche in einem Wohn-Arbeits-Bus auf einem Campingplatz in der Nähe des Kurortes verbrachte.

Die sofort eingeleitete Fahndung nach dem tatverdächtigen Syrer brachte zunächst keinen Erfolg. Im Gegenteil. Der Junge entführte zu allem Überfluss auch noch die Witwe des ehemaligen Porsche-Chefs Franziska Gräfin zu Hohenstein und wollte mit seinem Komplizen zwei Millionen Euro Lösegeld erpressen.

Nach der Geldübergabe floh Bobo mit seiner schwarzen Kawasaki, fuhr mich über den Haufen, nahm meine Enkelin Britta als Geisel und raste in Richtung Oberjoch, um über das Tannheimer Tal in Österreich unterzutauchen.

In Oberjoch wurde er allerdings von zwei GSG 9-Beamten erschossen – so das öffentliche Kommuniqué. Inoffiziell gestand mir allerdings Björn Ringhut, dass er Bobo erschossen hat und somit das Leben meiner Enkelin rettete. Eine Tat, für die ich ihm ewig dankbar sein werde.

Als Andenken an mein erneutes Detektivspiel erlitt ich einen glatten   Oberschenkelhalsbruch, der meinen Urlaubsaufenthalt in Oberstdorf um zwei Wochen verkürzte, den ich dafür im Krankenhaus in meiner Heimatstadt Bielefeld verbrachte.

Dem Versprechen gegenüber meiner Frau Kerstin, mich nun endlich zur Ruhe zu setzen und alle Kriminalfälle auf dieser Erde Kriminalfälle sein zu lassen, die meiner Mitwirkung nicht mehr bedurften, wurde ich allerdings schon sehr bald wieder untreu.

 

In Demut und Reue    Robert Schibulsky

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kapitel 1 - Krankenhaus Bielefeld                       31.01., 17:30

Dicke Regentropfen klatschen an das geschlossene Fenster des Krankenhauszimmers. Draußen werden die kahlen Zweige der Kastanienbäume hin und her geschleudert. Ein Nordwesttief fegt über den Teutoburger Wald und peitscht durch die Straßen der Leineweberstadt. Die Parkplatzlaternen werfen gespenstische Schatten an die gegenüberliegende Wand des Zimmers, die wie Spinnenbeine nach unsichtbaren Gegenständen greifen. Die Rollos an den zwei Kippfenstern sind halb heruntergelassen.

Die Notbeleuchtung neben der Zimmertür wirft ein zusätzliches bleiches Licht in den Raum. Nur mühsam lassen sich in der Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht zwei Krankenbetten ausmachen. Das rechte ist leer und frisch bezogen, im linken hebt und senkt sich der Brustkorb eines Patienten, der schwer atmend auf dem Rücken liegt und offensichtlich eingenickt ist. Er scheint einen schweren Traum zu träumen:

Robert Schibulsky dreht sich um. Ein breites Lächeln lockert das ernste Mienenspiel. Die Abendsonne lässt das „Krantor“ erstrahlen. Hier muss der Treffpunkt sein. Er holt seine Lesebrille aus der Westentasche und betrachtet nachdenklich die Gedenktafel. Er steht vor dem Häckertor in Danzig, dem „Brama Straganiarska“, und betrachtet die daran befindliche Gedenktafel:

Zbyszek Cybulski.

Tatsächlich, er traut seinen Augen nicht. Da steht sein Name. Nur in seltsam ungewohnter Schreibweise. Noch ganz in Gedanken versunken, nimmt er plötzlich ein Klicken wahr, ein Klicken aus mindestens fünfzig Metern Entfernung, ein Klicken, das er in seiner Dienstzeit als Hauptkommissar in Bielefeld mehrmals gehört hatte. Irgendwo hinter ihm wird gerade ein zerlegbares Gewehr zusammengesetzt.

Robert dreht sich langsam um und schaut dabei zunächst unauffällig in die Luft. Es sieht so aus, als verfolgt er aufmerksam ein imaginäres Flugzeug, das durch den Abendhimmel schwebt. Dann senkt er blitzschnell den Blick. Auf der anderen Seite des Flusses blitzt im Licht der letzten Sonnenstrahlen direkt neben dem Schiffsmuseum Sołdek ein Gewehrlauf auf. Robert reagiert intuitiv und wirft sich augenblicklich auf die rechte Seite, gleichzeitig peitscht ein Schuss über die Wasserfläche. 

Ein brennender Schmerz durchzuckt seinen rechten Oberschenkel. Schlagartig reißt er die Augen auf. Die Dunkelheit reicht gerade aus, dass Robert realisiert, dass die Türklinke zu seinem Krankenzimmer von außen vorsichtig gedrückt wird. Langsam öffnet sich die Tür mit leichtem Quietschen. Robert hält den Atem an, seine Hirnzellen starten von null auf hundert. Aber er ist noch verwirrt. Was war das gerade - Traum oder Wirklichkeit? Das ist hier die Frage. Er liegt bewegungslos unter seinem schweren Federbett.

Von außen schiebt sich ein massiger Körper in das Zimmer. Die Person trägt offensichtlich eine enganliegende Kappe und einen Mantel. Fast auf Zehenspitzen nähert sie sich dem Krankenbett. Robert lässt ein leichtes Schnarchen ertönen. Jetzt greift die rechte Hand des Unbekannten in Richtung Roberts Nase.

Das ist der Moment. Blitzschnell schnellt Roberts linker Arm nach oben, greift sich den Arm des Unbekannten, zieht ihn nach unten aufs Bett. Gleichzeitig rammt er sein linkes Knie in den Magen des anderen, der vom Angriff des Patienten vollkommen überrascht wird und perplex nach hinten auf den Rücken stürzt. Solarplexus, das haut den stärksten Neger um!

Robert drückt euphorisch den Lichtknopf hinter dem Krankenbett und schwingt sich gleichzeitig mit einem Schmerzschrei auf die Bettkante hoch. Seine linke Hand zieht bereits die oberste Schublade des Krankentischchens auf und greift nach seiner „Notfallwaffe“.

Der am Boden liegende Mann trägt eine grüne Schutzhaube und einen grünen Schutzkittel. Trotz dieser Verkleidung erkennt Robert jetzt den Angreifer; unverzüglich stellt er seine Aktionen ein, kann sich aber trotz des Schmerzes im Oberschenkel ein lautes Lachen nicht verkneifen. Unbemerkt vom Opfer lässt Robert das kleine Küchenmesser, mit dem er stets seinen „apple a day“ schält, wieder ganz in der Schublade verschwinden.

„Baranowski, Mensch, Siggi, was schleichst du denn hier herum?“

Sein Ex-Kollege Siegfried Baranowski, der korpulente 58-jährige Hauptkommissar der Mordkommission in Bielefeld, rappelt sich auf und zieht sich am Bettrahmen hoch.

„Du machst mir Spaß, Robby. Anstatt mir dankbar zu sein, dass ich meinen alten Kumpel hier im Krankenhaus besuchen komme, schlägst du mich selber krankenhausreif.“

Seine ernste Miene kann Siegfried aber nicht lange halten, dann prustet er los und fällt Robert um den Hals.

„Du solltest doch deinen Ruhestand genießen und nicht länger James Bond spielen.“

„Tut mir leid, altes Haus, aber ich hatte wohl gerade einen furchtbaren Traum. Darin wollte mich jemand hinterrücks um die Ecke bringen.“

Baranowski fällt ihm ins Wort. Dabei schüttelt er zunächst den Kopf, dann nickt er:

„Das habe ich mir doch schon immer gedacht. Nach vierzig Jahren Bulle hat jeder ´nen Dachschaden. Auch du, mein Lieber.“

Robert hält inne, dann schüttelt er zunächst den Kopf, um anschließend zustimmend zu nicken.

„Vielleicht hast du ja Recht. Aber du hast mir noch nicht erklärt, warum du hier herumschleichst, und dann in dieser Maskerade.“

„Ich hatte deine Kerstin heute Morgen am Kesselbrink getroffen. Die hat mir erzählt, dass du noch immer hier im Krankenhaus liegst. Da dachte ich, besuch mal deinen armen, alten Kumpel Robby.“

„Das ist ja auch fein von dir.“

Beide schneiden eine Grimasse und strecken sich gegenseitig die Zunge heraus.

„Ich war nach dem Dienst kurz nach fünf hier, aber du hast geratzt, als würdest du gerade den gesamten Teutoburger Wald umsägen. Da bin ich erst mal runter in die Cafeteria im Erdgeschoss und hab mir ein Fläschchen genehmigt. Du weißt ja, die Luft in Krankenhäusern ist überall so furztrocken.“

„Aber, Siggi, Alkohol im Dienst? Du lernst es wirklich nie mehr!“

„Nix da, Alkohol im Dienst, hast du schon mal was von „Erdinger alkoholfrei“ gehört?“

Schibulsky schüttelt ungläubig den Kopf.

„Und weiter jetzt, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.“

„Als ich jetzt gerade zu deinem Zimmer zurückkomme, entdecke ich das Warnschild an der Tür:

Bitte vor Eintritt beim Pflegepersonal melden!

Daneben steht ein Spender mit Hygieneausrüstung. Da weiß natürlich jeder, was das bedeutet. Und ich habe mir rasch den Schutzkittel, die Handschuhe, die Schuhüberzieher und den Mundnasenschutz angezogen.“

„Ja, toll, Siggi, und so schleichst du hier rein wie ein Einbrecher. Hoffentlich hat´s wenigstens weh getan.“

Baranowski reibt sich den Rücken, lässt sich in den Besucherstuhl fallen, wechselt jetzt abrupt das Thema:

„Was ist denn nun mit dir? Ich denke, du hast nur dein Bein gebrochen? Müsstest du nicht längst wieder zu Hause sein?“

„Schön wär´s!“, nickt Robert. „Meine Knochen sind leider morscher als ich gedacht habe. Osteoporose, auf Deutsch: Knochenschwund.“

„Und das bedeutet?“, fragt Siegfried mit großen Augen.

„Mit guten Knochen hätte ich bei so einem leichten Oberschenkelhalsbruch ein paar Schrauben bekommen, jetzt haben die mir gleich ein ganz neues Hüftgelenk verpasst“

„Das Ersatzteillager lässt grüßen“, prustet Siggi dazwischen. „Aber das hat mein Vater doch auch, und das mit über neunzig.“

„Damit komme ich ja auch gut klar. Ich muss täglich gehen und mein Bein belasten. Aber meine Operationsnarben wollen nicht richtig heilen. Ich muss mir in Oberstdorf wohl diese MRSA eingefangen haben.“

„Ach, jetzt verstehe ich, was Kerstin meinte“, nickt Siegfried seinem alten Kollegen zu. „denn sie weiß noch nicht, wie lange du hierbleiben musst.“

„Ja, Siggi, das ist eine ganz schöne Scheiße. Die Ärzte haben schon zwei verschiedene Medikamente ausprobiert, aber die Wunden wollen und wollen nicht heilen.“

„Na, immer mit der Ruhe, altes Haus. Das wird schon wieder werden.“

„Dein Wort in Gottes Ohr.“

Robert wundert sich selbst über seine Erwiderung, zumal er doch mit der Kirche nicht mehr viel am Hut hat.

Nach einem Augenblick absoluter Stille beugt Baranowski sich verstohlen vor und flüstert:

„Und wieso hast du diesen Oberschenkelhalsbruch, Robby? Bist du bei einer deiner berühmten Verfolgungsjagden versehentlich gestolpert?“

Dabei lächelt Siggi seinen Kumpel Robby süffisant ins Gesicht.

„Quatsch, du Scherzbold. Dieser Bobo, du weißt schon, dieses Bürschchen aus Münster, über das du für mich recherchiert hattest, wollte mit zwei Millionen Lösegeld mit einem Motorrad abhauen und hat mich dabei rücksichtslos umgenietet. Später wurde er dann auf der Flucht erschossen. Das war die gerechte Strafe, oder?“

„Ja, sicher, Robby, Nasreddin Babayigit, ich erinnere mich, Dreifach-Mörder. Stand sogar hier in unserem Käseblatt.“

Robert nickt.

„Und seinen Komplizen aus Münster haben wir auch gleich einkassiert. Aber von ihren beiden Freundinnen habe ich nichts mehr gehört. Die müssen sich wohl schnell verdünnisiert haben.“

„Keine Ahnung, aber du kannst ja den Hauptkommissar Thiel aus Münster selbst fragen, wenn du wieder auf den Beinen bist. Vielleicht erzählt er dir mehr als mir?“

 

Kapitel 2 - Telefonat mit Münster                     01.02., 10:00

Robert hat nach dem Frühstück einen neuen Verband an der rechten Hüfte erhalten. Er hat sehr unruhig geschlafen, da er nach dem Besuch Siggis immer wieder an die beiden Frauen denken musste, die den Tod des jungen Kaplans Marc Teuffel der Oberstdorfer katholischen Gemeinde St. Johannes Baptist mit auf dem Gewissen hatten. Eine der beiden soll fest mit dem Mörder verbandelt gewesen sein. Mindestens eine von ihnen war auf dem kompromittierenden Nacktfoto des Kaplans abgebildet. Hatten die beiden auch etwas mit der Ermordung durch diesen Bobo Babayigit zu tun. Könnten sie eventuell seinen Tod rächen wollen?

Er greift zu seinem dreizehn Jahre alten Handy, dem Nokia 3310, das seine Enkel Sebastian und Britta despektierlich als Relikt aus der Dinosaurier-Zeit bezeichnen. Siggi hat ihm die Privatnummer von Frank Thiel, dem zuständigen Kriminalhauptkommissar in Münster aufgeschrieben.

Nach dreimaligem Läuten switcht der Ton um. Dann meldet sich eine sonore Stimme:

„Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne, wir wünschen einen schönen guten Tag!“

Schibulsky zuckt zusammen.

„Oh, Verzeihung, da muss ich mich verwählt haben.“

So schnell wie möglich beendet er das Gespräch. Er kontrolliert noch einmal die Ziffernfolge auf der Wahlwiederholung.

„Mmmh, das verstehe ich nicht“, murmelt er in seinen Stoppelbart. „Die Nummer muss doch stimmen.“

Daher wählt er nochmals dieselbe Nummer.

„Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne, wir wünschen einen schönen guten Tag. Was können wir für Sie tun?“

„Entschuldigen Sie die Störung. Hier spricht Robert Schibulsky aus Bielefeld. Ich wollte eigentlich Hauptkommissar Thiel sprechen.“

„Natürlich, ich verstehe“, antwortet der Rechtsmediziner. „Sie wollen meinen Nachbarn sprechen. Wissen Sie, wir haben eine Telefonschaltung zwischen unseren benachbarten Wohnungen. Wenn die gewünschte Person gerade nicht da ist, schaltet unser Computer zum jeweils anderen Apparat um.“

„Ach ja, ich verstehe“, erwidert Robert, obwohl er eigentlich nichts verstanden hat. „Also ist Ihr Nachbar nicht zu Hause, oder?“

„Das würde ich so nicht sagen. Ich glaube, es ist gestern Nacht wieder mal sehr spät bei ihm geworden. Sein Fußballklub FC St. Pauli hat wohl nach langer Zeit wieder mal gewonnen. Dann kommt der Herr Hauptkommissar immer schlecht aus den Federn, wenn Sie verstehen. – Worum geht es denn eigentlich?“

„Wissen Sie, Herr Professor, ich bin auch Hauptkommissar der Mordkommission Bielefeld gewesen. Und ich habe eine eher inoffizielle Frage zu den Ermittlungen der Kripo Münster.“

„Ja, aber, lieber guter Mann, da können Sie doch auch mich fragen. Wir arbeiten immer sehr eng zusammen, Thiel und ich.“

In diesem Augenblick öffnet sich die Tür zu Boernes Wohnzimmer. Verschlafen schaut Frank Thiel um die Ecke. Trotzdem schließt er blitzschnell, dass sein Nachbar sich wie immer in Sachen einmischt, die ihn nichts angehen.

„Mensch, Boerne, halten Sie sofort den Mund und kümmern Sie sich lieber um Ihre Angelegenheiten. Wollten Sie nicht heute Morgen schon die Leiche der jungen Studentin obduzieren, die wir gestern Nacht aus dem Aasee gefischt haben?“

Der Professor wiegelt mit dem linken Arm ab.

„Sie nun aber auch wieder. Ist wohl gestern wieder etwas später geworden? Und die Luft war so trocken, nicht?“

Thiel geht ärgerlich auf seinen Nachbarn zu, deutet mit der rechten Faust auf dessen Kinn und reißt ihm den Telefonhörer aus der Hand.

„Ja, hier spricht Hauptkommissar Thiel, heute ist Wochenende. Was wollen Sie denn?“, blafft Thiel mürrisch in den Hörer.

„Entschuldigen Sie, Herr Thiel. Hier spricht einer Ihrer Ex-Kollegen aus Bielefeld. Ich wollte Sie etwas fragen. Es geht um Mord und Erpressung, verübt von Tätern aus Münster. Vielleicht haben Sie von dem Fall aus Oberstdorf im Dezember gehört?“

„Hmmm, mal überlegen. Wenn, dann aber eher beiläufig, Herr …?“

„Robert Schibulsky.“

„Herr Schibulsky. Ich erinnere mich, dass wir einige Anfragen bezüglich einer Bande von Jugendlichen aus Bielefeld erhalten haben.“

„Genau, Herr Thiel, die kamen von meinem Kollegen KHK Siegfried Baranowski aus Bielefeld. Der Anführer der Bande, namens Nasreddin Babayigit, konnte als Täter bei drei Mordfällen überführt werden. Er wurde übrigens auf der Flucht mit seinem Motorrad in den Bergen bei Oberjoch erschossen. Sein Freund Steffen Herbst wurde wegen Entführung und Erpressung und wahrscheinlich auch wegen Beihilfe zum Mord gefasst. Mich interessieren allerdings auch noch die beiden weiblichen Mitglieder der Bande: eine Charlotta Bernaschek und eine Agneta Kubulus. Alle haben in Münster gewohnt.“

Frank Thiel hat aufmerksam zugehört, aber nicht sogleich alles aufgenommen. Daher fragt er vorsichtig nach:

„Ist denn Ihr Fall noch nicht abgeschlossen?“

„Die Morde von Oberstdorf hat die Kripo Kempten aufgeklärt. Von daher gibt es keinen weiteren Bedarf. Ich habe allerdings das Gefühl, dass die beiden Frauen mit zu den Tätern gehören und sich rächen könnten. Dabei fürchte ich vor allem, dass meine Enkelin Britta Schibulsky bedroht ist, weil sie die Bande schon aus Schulzeiten kannte.“

„Hören Sie, Herr Schibulsky, im Moment bin ich da überfragt. Aber ich verspreche Ihnen, dass ich mich nochmals um die Sache kümmern werde.“

„Das wäre schön.“

Robert zögert einen kurzen Augenblick. Dann wechselt er das Thema:

„Herr Thiel, ich habe von Ihrem Nachbarn gehört, dass Sie eingefleischter St. Pauli-Fan sind. Ich bin alter Bielefelder Armine. Was halten Sie davon, wenn ich Sie zum Spiel Bielefeld gegen St. Pauli einlade. Ich glaube, die spielen in der nächsten Woche hier in Bielefeld gegeneinander.“

Frank Thiel schießen Tränen in die Pupille. Er muss augenblicklich an seinen alten Heimatort denken. An sein geliebtes Hamburg und seine geliebten Kiez-Kicker. Deshalb stimmt er spontan zu:

„Alte Fußball-Fans müssen zusammenhalten. Ich melde mich bestimmt: wegen der Damen und wegen des Spiels.“

„Wunderbar! Rufen Sie mich an!“

Langsam legt Robert sein Nokia auf den Nachttisch. Irgendwie hat er das Gefühl, einen neuen Freund gewonnen zu haben. Jetzt muss er nur noch schleunigst aus diesem Krankenhaus herauskommen.

 

Kapitel 3 - Polizei Oberstdorf                               04.02., 08:30

Peter Endras leitet die Polizeistelle in Oberstdorf. Nach den Ereignissen in den letzten Weihnachtstagen, bei der er maßgeblich an der Aufklärung dreier Morde in der Marktgemeinde beteiligt war, ist der 42-Jährige gerade zum Polizeihauptmeister befördert worden. PHM, daran muss sich der Oberstdorfer Dorfsheriff erst noch gewöhnen.

Der Polizeianwärter Eckhard Zwanziger sitzt verzweifelt an seinem Computerplatz. Er muss noch die drei kleineren Einsätze vom Wochenende protokollieren: einen Auffahrunfall auf der B19 bei der Zufahrt zu McDonald´s, eine Schlägerei zwischen Eishockeyfans der EISBÄREN Oberstdorf und des EA Schongau, die das enttäuschende Ergebnis der Heimmannschaft von 1 : 5 nachträglich doch noch in einen Sieg umwandeln wollten, und einen Wohnungseinbruch bei der Metzgerei Schweinsteiger, bei dem neben der Geldbörse der Gattin auch zwanzig Weißwürste aus der Tiefkühltruhe im Keller gestohlen wurden.

PHM Endras studiert angestrengt die Allgäuer Rundschau. Als Trainer der Eishockeymannschaft ist er Kummer gewohnt. Aber jetzt fordert sogar der Sportkommentator der Lokalpresse schon seinen Kopf:

EISBÄREN verspielen letzte Aufstiegschance.

Wie lange lässt Vereinsboss Ulrich Winterscheid Trainer Endras noch gewähren?

Kopfschüttelnd flüstert Endras vor sich hin:

„Ja, vielleicht hat  der Schreiberling sogar Recht.“

Ganz langsam setzt sich in seinen Gehirnwindungen fest: Warum soll ich mir den Stress noch länger antun? Nach der Saison ist Schluss!

Die Eingangstür schwingt geräuschvoll auf. Dominik Steingasser und seine Freundin Dorothea Schneider betreten den Raum. Dominiks Vater Xaver war Vorsitzender des Vereins der RECHTLER. Er wurde am ersten Weihnachtstag ermordet, da er sich gegen die Errichtung eines Erlebnisparks oben an der Erdinger Arena ausgesprochen hatte.

„Gut, dass du so schnell kommen konntest, Dominik“, begrüßt Peter Endras den neuen Besitzer des Ponyhofs im Dummelsmoos.

„Was gibt es denn so Dringendes?“, ruft Dorothea ungeduldig dazwischen.

„Ja, genau“, beteuert Dominik. „Ich muss zurück zum Hof. Mutter wird mit der neuen Situation allein nicht fertig.“

„Dann will ich es kurz machen. Wie ihr wisst“, - und dabei schaut er abwechselnd beide mit strengem Blick an – „ist vor zwei Wochen die „Schnatossi-Bar“ beim Hotel Dolde abgebrannt. Die Feuerwehr hat zunächst mal als Grund Brandstiftung ausgeschlossen. Mir liegt jetzt aber ein Brief vor, in dem du beschuldigt wirst, den Brand gelegt zu haben.“

„Ach, geh, was soll denn der Schmarrn. Ich habe doch schon der Kripo aus Kempten gesagt, dass ich an dem Donnerstag schon morgens eine Kutschfahrt bis raus nach Spielmannsau hatte, ich glaube, die war vom Verein der katholischen Landfrauen bestellt und organisiert worden.“

„Richtig, Dominik, so hast du es Hauptkommissar Riethmüller in Kempten erzählt. Ich habe hier allerdings eine Smartphone-Videodatei zugespielt bekommen, da bist du während der Löscharbeiten am Hotel Dolde eindeutig zu erkennen. Und das war am Donnerstag, dem 16. Januar gegen 16:45 Uhr.“

„Von wem hast du das?“

Dominik rastet ohne Vorwarnung aus und greift über den Schreibtisch, um dem Polizisten den Brief und die kleine SD-Karte zu entreißen. Doch Dorothea greift sich reaktionsschnell seinen Arm und faucht ihn an:

„Bist du jetzt total verrückt geworden?“

Sie stößt ihn unsanft zurück und drückt ihn herunter, bis er sich wortlos auf dem Besucherstuhl vor dem Schreibtisch zusammenkauert.

„Danke, Doro“, bedankt sich Endras. „Gut, dass du eingegriffen hast. Ich hätte deinem Freund sonst wehtun müssen.“

„Aber dieses Video, was soll das denn beweisen. Bei dem Feuer standen doch sicherlich ganz viele Gaffer herum“, echauffiert sich Dorothea Schneider. „Außerdem war ich zufällig kurz nach dem Ausbruch des Feuers auch schon dort. Der Dominik ist doch erst nach mir an der Dolde angekommen.“

„Aha“, bemerkt Endras, „habt ihr beiden euch dort verabredet und gemeinsame Sache gemacht?“

„Jetzt reicht`s aber, Polizeiobermeister!“

„Polizeihauptmeister, bitteschön, was Recht ist muss Recht bleiben“, korrigiert Peter Endras.

„Also, entschuldige, Herr Polizeihauptmeister. Ich hatte die katholischen Landfrauen zur Spielmannsau gefahren. Ich saß gerade mit ihnen beim Mittagessen auf der Sonnenterrasse, als ich einen Anruf von meiner Freundin bekam.“

„Du meinst von ihr hier, Dorothea Schneider, unserer Sozialarbeiterin?“

Dorothea schaltet sich erneut ein:

„Stimmt, ich war gerade bei Frau Steingasser draußen im Dummelsmoos, als ein Anruf vom Wirt der Dolde kam: Da soll eine Riesensauerei im Gange sein. Der provisorische neue Vorsitzende eures RECHTLER-Vereins soll das Vereinsstatut ändern wollen, ohne eine Versammlung einzuberufen.“

„Nun lass doch, Doro. Also ja. Herr Polizeihauptmeister. Ich sollte sofort zum Hotel kommen. Ich sollte und ich musste für meinem ermordeten Vater Xaver gegen den angestrebten Vertragsbruch einschreiten, Ehrensache. Deshalb habe ich sofort meinen Kumpel Kevin angerufen, ob er nicht für mich die Rückfahrt mit der Pferdekutsche übernehmen könne.“

Peter Endras schaut von seiner Tastatur hinter dem Computer auf und fixiert den Jungbauern.

„Moment, Dominik, welchen Kevin meinst du?“

„Kevin Brutscher, Weststr. 56, Telefon 08322-55125.“

Endras notiert das sofort in die Protokoll-Maske des PC.

„Also, Kevin kam endlich um kurz vor vier und übernahm das Gespann. Ich bin mit seinem Wagen, so schnell es bei den Straßenverhältnissen ging, zum Hotel gefahren und habe dort sofort die Bescherung gesehen, also den Brand in der Bar.“

Eine Pause von annähernd zehn Sekunden entsteht. Dann nickt der Dorfsheriff, wie sich Peter Endras auch selber betitelt.

„Okay, Dominik und Dorothea, das wäre es vorerst. Ich werde das überprüfen.“

Dorothea zupft Dominik am Oberarm, um ihn zum Aufstehen zu bewegen.

„Halt, halt, wer hat denn so einen Blödsinn über mich verzapft?“, reißt sich Dominik los. „Welches Schwein hat euch das Video eigentlich zugespielt?“

Endras schaut den jungen RECHTLER mitleidsvoll an.

„Das kann ich natürlich nicht sagen. Aber ich werde den Zeugen auch hierher zitieren, das ist versprochen.“

 

Kapitel 4 - Pfarramt Oberstdorf                      04.02., 14:30

Dr. Georg Altmayer macht sein Mittagsschläfchen. Er liegt im Wohnzimmer des Pfarrhofes der katholischen Gemeinde St. Johannes Baptist. Der 64-jährige Pfarrer führt seine Gemeinde nach dem Mord an seinem Kaplan Marc Teuffel seit zwei Monaten allein, erwartet aber bald die aus Augsburg versprochene Hilfe.

Die Türglocke geht. Altmayer wacht augenblicklich auf. Er reibt sich verschlafen die Augen und steht von seinem Ledersofa auf. Seine Haushälterin Eva-Maria Brutscher hat die Wohnräume nach dem Mittagessen und dem Abwasch schon lange verlassen. Somit muss sich Altmayer selbst zur Haustür bewegen. Er öffnet die Tür. Draußen steht ein schwarz gekleideter Mann, zwei alte braune Lederkoffer zu beiden Seiten. Der erwartete neue Kaplan stellt sich vor.

„Grüß Gott, Dr. Altmayer, nehmen ich an.“

Der nur ca. 1,70 m große, schlanke Kirchenmann macht einen tiefen, fast unterwürfigen Diener.

„Kommen´s herein.“

Georg Altmeier geht erfreut auf seinen unbekannten neuen Mitarbeiter zu und umarmt ihn.

„Treten´ s näher, Herr …, entschuldigen Sie, aber mit Ihrem Namen habe ich beim Lesen noch Schwierigkeiten.“

Er zieht ihn mit in den Flur, vor das Foto der Kirche und das des toten Kaplans, das Altmayer im neuen Jahr aufhängen ließ, nachdem sich der Tod des Vorgängers nicht mehr als Selbstmord herausgestellt hat..

„Mieczyslaw Kaczmarek, können mir aber auch einfach „Mischko“ nennen.“

„Sehr schön, wenn man den Namen hört, ist´s ganz einfach, nicht wahr, Herr Katsch…“

„Kaczmarek“, lächelt der neue Kaplan.

„Herr Katschmareck, sehr schön. Bevor ich Sie in mein Büro führe, möchte ich Ihnen noch diese beiden Fotografien zeigen. Hier links ist ein Luftbild Ihres neuen Arbeitsplatzes“, lacht Altmayer und Kaczmarek lacht laut mit. „Das ist die Kirche St. Johannes Baptist und links davon der Pfarrhof mit meiner Wohnung und daneben das Johannisheim. Beides wurde bei einem großen Brand im Dorf 1865 zerstört und wiederaufgebaut.“

Mischko nickt und wendet den Blick vom Bild wieder auf den Pfarrer.

„Und das hier ist Ihr Vorgänger, Kaplan Marc Teuffel. Er war besonders erfolgreich in der Jugendarbeit. Er hat aus meiner kleinen Computer-AG eine richtige Informatikgruppe geformt mit einem eigenen Internetcafé im Johannisheim, gleich hinter Ihrer neuen Wohnung. Er wurde Anfang Dezember von einem Auftragskiller ermordet, wahrscheinlich, weil sich der Marc zu sehr gegen die Interessen zweier Wirtschaftsunternehmen gewehrt hat, die hier einen Freizeitpark errichten wollten. Im Übrigen ist auch der Vorsitzende unserer ALLGÄU-Piraten umgebracht worden.“

Kaczmarek schaut den Pfarrer mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Oh je, wollen wir hoffen, dass das nicht ist schlechtes Omen für mich. So viel Tote in so ein kleines Dorf.“

„Na, na, da brauchen´s nun keine Befürchtungen mehr haben. Die Wogen im Dorf sind, nicht zuletzt meines Einwirkens wegen, wieder geglättet. Oben neben der Schanze bei der Erdinger Arena soll jetzt nur noch ein kleines, ruhiges Museumsdorf mit einigen traditionellen Originalbauernhöfen aus dem letzten Jahrhundert gebaut werden. Dagegen hat hier keiner was, sogar die Besitzer des Landes sind jetzt einverstanden.“

„Nicht missverstehen, Dr. Altmayer. Zuletzt in Polen gab auch manchmal Stress, aber oft mit Pfarrer. Er wollte nicht, dass ich viel mit Kinder und Jugendliche beschäftige. Da war ich froh, als ich Ihr, wie sagt man in Deutsch? – Ihr Anspruchsprofil für diese Stelle in Internet gelesen hatte.“

„Sehr schön, Herr Katschmareck, kümmern Sie sich auch hier bei uns im schönen Oberstdorf vor allem um die Kinder und bringen unser Internetcafé und die Computergruppen wieder auf Vordermann.“

Kaczmarek schaut etwas düpiert:

„Was bedeuten „Vordermann“? Kann ich nicht das machen, was ich richtig dafür halte?“

„Doch, doch“, wiegelt Altmayer ab. „Das ist in Deutschland nur so eine Redensart.“

Er deutet auf die Koffer.

„Oh, ich werde ja langsam vergesslich. Natürlich zeige ich Ihnen zuerst mal Ihr Zimmer, drüben im Nebenhaus. Danach unterhalten wir uns beim Nachmittagskaffee. Dann kann ich Ihnen auch Frau Brutscher vorstellen, unsere Haushälterin. Sie ist die gute Seele der Pfarrei.“

 

Kapitel 5 - Lindau, Friedhof                                 04.02., 16:30

Am heutigen Dienstagnachmittag findet die Beerdigung Nico Winterscheids im ganz engen Kreise statt. Die Leiche des während einer Geocaching-Rallye in Oberstdorf erschossenen Juniorchefs des Internet-Versands EUROMIX Technology Germany war letzte Woche seitens der Staatsanwaltschaft Kempten, namentlich einer Frau Dr. Angela Marx, freigegeben worden. Ulrich Winterscheid, der Vater des Erschossenen und Geschäftsführer der EUROMIX, und dessen Zwillingsschwester und Besitzerin dieses Internet-Versands, Franziska Gräfin zu Hohenstein, hatten trotz der Aussagen während einer Pressekonferenz vor vier Wochen im Oberstdorf Haus ihre Meinung geändert. Nach reiflicher Überlegung, nicht zuletzt wegen anhaltender Verdächtigungen gegen Nico in der Marktgemeinde, er hätte jemanden zum Mord am Oberstdorfer Kaplan Teuffel und des ortansässigen Vorsitzender des Vereins der ehemaligen RECHTLER, Xaver Steingasser, angestiftet, wollen sie doch ihren Wohnsitz hier in Lindau am Bodensee beibehalten, zumal die Bauarbeiten an den Anbauten an ihrer alten Villa Lindenhof demnächst fertiggestellt sein werden.

Nachdem ihr Entschluss gefasst war, bemühte sich Franziska zu Hohenstein um einen herausragenden Grabplatz und wurden im Süden des Alten Aeschacher Friedhofs fündig. Diese Begräbnisstelle wurde schon im Jahr 1512 angelegt, da man die vielen Toten der damaligen Pest nicht mehr auf der Lindauer Insel unterbringen konnte.  Die neu gebaute Kapelle neben dem Friedhof blieb aber ungenutzt und diente anschließend der Patrizierfamilie Krell als Wohnung, so zum Beispiel Oswald Krell, der durch das Porträt des berühmten deutschen Malers Albrecht Dürer in die Kunstgeschichte einging. Daher wird die Kapelle bis heute die Krellsche Kapelle genannt.

Im Jahr 1915 war auch der Alte Aeschacher Friedhof zu klein und wurde aufgelassen, kam 1921 vom kirchlichen in städtischen Besitz und wurde zum Park umgewandelt. Seit 2010 sind dort jetzt wieder Urnengräber erlaubt.

Das war die Chance für die Gräfin, die das Grab ihres Neffen unbedingt möglichst in ihrer Nähe haben wollte.

In die Totenmesse in der Krellschen Kapelle sind nur wenige Personen eingeladen, vornehmlich Katharinas Schwägerin Maria Magdalena, die mit ihren Söhnen Gregor-Maria und Lukas-Fridolin aus München angereist ist, und einige höhere Angestellte und Vertreter der Geschäftsleitung der EUROMIX und des Betriebsrates. Sogar der Butler der Gräfin, Jérôme, steht an der Eingangstür, beide Arme in weißen Oberarmschlingen, die sich besonders von seinem schwarzen Jackett abheben. Die tiefen Wunden, die ihm Nicos Kumpel während der Entführung seiner Herrschaft am 2. Januar zugefügt hatte, sind noch nicht verheilt. Dennoch verbeugt sich Jérôme mit leichtem Schmerz im Gesicht, wenn jemand die Kapelle betritt. Zur Überraschung aller erscheint sogar Xenia Winterscheid-Abt, Ulrich geschiedene Frau und deren drei kleine Töchter. Xenia hatte sich nach der Trennung vor zehn Jahren nicht ein einziges Mal um Nico gekümmert. Daher hatten die Winterscheids sie auch gar nicht vom Tod ihres Sohnes informiert. Außer einem kurzen „Hallo, wie geht´s“ ist ihr auch heute nicht viel zu entlocken.

„Ich habe aus der Zeitung vom Tod meines Sohnes erfahren“, wendet sich Xenia daher auch schnell pikiert ab.

Nach der kurzen Ansprache des Pfarrers wird die Urne mit Nicos Asche schnörkellos in die vorbereitete ausgehobene Grube hinabgelassen. Die kleine Trauergemeinde verharrt nur kurz vor der Einsenkung, fast scheint es, als würdige niemand die Urne eines Blickes – und löst sich danach binnen weniger Minuten auf. Auch Xenia verschwindet samt Anhang gleich wieder so schnell, wie sie gekommen ist.

Als alle den Friedhof verlassen haben, löst sich eine Frauengestalt oberhalb der Baumgruppe an der Ulrichskapelle. Sie ist ganz in Schwarz gekleidet und trägt einen großen Lilienstrauß in der rechten Hand. Am frischen Grab angekommen, wirft sie die Blumen hektisch hinein, wischt sich trotzig Tränen aus dem Gesicht und stapft auf demselben Weg zurück zum nördlichen Ausgang des Alten Aeschacher Friedhofs.

Aus ihrem Mund kann man vernehmen:

„Nico, mein Liebster, ich verspreche dir, ich werde dich rächen!“

Katharina zu Hohenstein und ihr Zwillingsbruder Ulrich besteigen im Süden des Friedhofs den weißen Mercedes-AMG S63, den sie ihrem EUROMIX-Geschäftsführer zu Weihnachten geschenkt hat. Auf schnellstem Wege kehren sie zurück zur Villa Lindenhof am Ufer des Bodensees, um die persönlichen und geschäftlichen Folgen zu besprechen, die sich zwangsläufig durch den Tod Nico Winterscheids ergeben werden.

Der Justiziar des Internethandels, Dr. Werner Brandenburg wartet schon auf die Gräfin vor der Villa. Jérôme öffnet das große Eingangstor.

„Bonjour, Monsieur, sehr gut. Madame erwartet Sie bereits.“

„Ich bin ganz überrascht“, wundert sich der Notar. „Kann wirklich jeder so einfach auf das Gelände der Lindenvilla kommen?“

„Excusez-moi, was bedeuten „Gelände“, s´il vous plaît?“

Brandenburg ist eine Erklärung zu umständlich. Er zeigt nur mit der rechten Hand auf die verbundenen Oberarme des Butlers.

 

Kapitel 6 - Fiskina in Fischen                                    06.02., 21:30

Herbert Vasiljevs, der 60-jährige Besitzer des Restaurants im Kurzentrum „Fiskina“ in Fischen, erhebt sich von seinem geschnitzten Lehnstuhl im Kaminzimmer und rutscht bedächtig neben seinen Gast auf der Kaminbank.

Mit Dr. Bettina Ziebach, der Notärztin aus der Klinik Oberstdorf, verbindet ihn eine rein platonische Freundschaft, nachdem sich beide während einer Kreuzfahrt in die Karibik im letzten Oktober kennengelernt hatten.

Die 38-Jährige hatte nach ihrer Scheidung ihre Heimatstadt Hamburg verlassen und Hals über Kopf eine Stelle hier im Allgäu angenommen. Außerberuflich hatte sie kaum Kontakte aufbauen können, so dass ihr die Bemühungen ihres „väterlichen“ Freundes gefielen, sie durch gemeinsame Ausflüge, Theaterbesuche und Essen aufzumuntern.

Aber jetzt legt er zärtlich den linken Arm um ihre Schultern. Sie lässt es zu, wirft ihm aber einen fragenden Blick zu. Herbert greift nach dem Glas Rotwein, einem Château Mouton Rothschild 2012, von dem er für besondere Anlässe sechs Flaschen für den Vorzugspreis von 2500 € extra aus Bordeaux einfliegen lassen und eingekellert hat. Sie erhebt ebenfalls ihr noch halb gefülltes Glas, und sie stoßen an.

„Bettina, bitte entschuldige meine Anzüglichkeit, aber ich glaube, ich habe eine tolle Neuigkeit für dich.“

Die Ärztin dreht ihren Oberkörper erwartungsfroh weiter zu ihm herum.

„Kannst du endlich deinen Traum wahr machen und eines der großen Hotels in Oberstdorf übernehmen?“

„Das vielleicht auch. Aber ich habe Kontakt zu der Sponsorin des neuen Museumsdorfes „Hohenstein“ drüben in Oberstdorf aufgenommen, besser gesagt mit ihrem Justiziar, einem Dr. Werner Brandenburg aus Friedrichshafen. Er glaubt, dass ich beste Aussichten habe, die Konzession für die Restauration im Freilichtmuseum erteilt zu bekommen. Ich müsste mich nur noch mit einem der Mitbewerber einigen.“

„Schön für dich, Herbert, aber warum sollte das eine gute Nachricht für mich sein? Das klingt doch eigentlich nur nach noch mehr Arbeit und somit noch weniger Freizeit für dich.“

„Versteh doch, der Park „Hohenstein“ wird eine Goldgruppe werden, das spüre ich bis in den letzten Zeh. Und mit den Einnahmen richte ich dir deine eigene Praxis ein, so wie du dir das schon immer gewünscht hast.“

Mutig neigt er seinen Kopf zu ihr und gibt ihr einen Kuss auf ihre rechte Wange. Sie schaut ihn nicht an, ist zu überrascht und weiß nicht, wie sie reagieren soll.

In diesem Augenblick klopft es an der Tür zum Kaminzimmer, ungewöhnlich, da dieser Raum ja auch als normaler Gästeraum zur Verfügung steht.

Isabella, Vasiljevs schöne italienische Servierkraft, tritt ein:

„Entschuldige, Chefe, isse Monsignore Gruber jetze da. Solle reinlasse?“

Herbert löst sich von Bettina:

„Ist schon gut, Isabella. Sag ihm, ich komme sofort. Er soll kurz am Tresen warten.“

Unaufgefordert erhebt sich Bettina Ziebach augenblicklich, geht zum Garderobenständer und nimmt ihren schwarzen Lodenmantel vom Haken. Herbert folgt ihr wie ein Schatten und hilft ihr in den Mantel.

„Tut mir leid, Bettina. Aber der Michi ist etwas zu früh gekommen. Meine Verhandlung mit ihm ist sehr wichtig, wirst sehen, auch für dich und deine zukünftige Privatpraxis.“

Bettina öffnet eher teilnahmslos die Tür zum Flur und geht durch den Hintereingang zu ihrem roten Toyota RAV4. Beim Aufschließen der Fahrertür mit ihrem elektronischen Schlüssel dreht sie sich kurz um. Mit einem kaum erkennbaren Winken mit der linken Hand steigt sie ein, startet den Motor und rollt auf die Bahnhofsstraße Richtung Oberstdorf.

„Aha, also dieser Wirt aus der Dolde ist Herberts Rivale beim Wirtshaus im neuen Museumsdorf“, flüstert sie sich selber zu.

Herbert winkt ihrem SUV hinterher, ist aber mit seinen Gedanken schon beim Gruber, Michi. Er geht um das Kurhaus herum und betritt sein Restaurant durch den Haupteingang. Die Begrüßung der beiden Gastwirte ist eher kühl. Der Besitzer der Dolde in Oberstdorf folgt Vasiljevs ins Kaminzimmer, das bereits von Isabella wieder tadellos hergerichtet ist.

„Geh, Michi“, eröffnet Herbert die Verhandlung. „Wie groß ist denn der Schaden an deinem Hotel? Und wie kann ich dir helfen?“

Michael Gruber geht nicht auf die Frage ein und schaut sein Gegenüber kurz mit grimmiger Miene an.

„Meine Frau, die Rosi, hat mir gesagt, du wolltest mit mir über die Konzession für das neue Museumsdorf sprechen. Aber da gibt´s eigentlich nichts zu besprechen. Der Investor hat mir sie fest versprochen und ich werde sie auf Teufel komm raus annehmen.“

„Trotzdem bist du meiner Einladung gefolgt. Schau, ich weiß, dass du durch den Brand finanziell in Nöten bist. Willst du dir wirklich noch die Investitionen für die Museumsrestauration ans Bein binden?“

„Woher hast du denn den Blödsinn? Unser Hotel läuft prima.“

„Ach, Michi“, wendet Herbert herablassend ein, „wir leben doch hier auf dem Land. Da pfeifen die Spatzen so einiges vom Dach.“

„Bei mir pfeifen sie dann aber nur Schwachsinn!“

Michael möchte das Gespräch augenblicklich beenden. Ihm ist jetzt ganz klar geworden, der Fiskina-Wirt will ihn über den Tisch ziehen, egal wie er sich auch verhält. Dabei hatte er noch vor wenigen Minuten gedacht, er könne sich im Guten mit ihm einigen. Jetzt dreht er sich demonstrativ um und wendet sich zur Tür.

„Und du kriegst von mir bestimmt gar nichts!“

Vasiljevs haut plötzlich mit der rechten Faust auf den Tisch, das friert jede Bewegung des Oberstdorfers abrupt ein.

„Willst du dich und deine Familie wirklich unglücklich machen? Die abgebrannte „Schnatossi-Bar“ muss dir doch eine Lehre sein.“

Gruber dreht sich langsam um.

„Was willst du damit andeuten? Der Brand der Pistenbar ist durch einen Gasheizer entstanden, den einer meiner Barleute unbeaufsichtigt gelassen hat.“

„Du glaubst wirklich der Feuerwehr? Diese Ursache war für sie am einfachsten. Aber ich weiß, dass da jemand von außen seine Hände im Spiel hatte. Und wer weiß, ob der nicht noch einmal bei dir vorbeischaut?“

Ohne Erwiderung ergreift Gruber die Türklinke und eilt hinaus.

 

Kapitel 7 - SchücoArena Bielefeld                     09.02., 13:15

Robert Schibulsky wartet seit einigen Minuten am Bürgerpark in Bielefeld an der Stadtbahn-Station der Linie 4 Richtung Lohmannshof. All dressed in blue-white-black, den Vereinsfarben des DSC Arminia Bielefeld, mit Winterjacke, Fan-Schal und Cap und natürlich dicken Wollhandschuhen. Das Thermometer im heimischen Garten hatte nur 6° C angezeigt.

Nachdem er ein Treffen mit Hauptkommissar Thiel aus Münster vereinbart hatte, hat er sich trotz der Bedenken der behandelnden Ärzte schon nach drei Tagen aus dem Evangelischen Krankenhaus entlassen lassen. Seither muss seine Frau Kerstin die Wundversorgung des MRSA-Befalls übernehmen.

Der pensionierte Hauptkommissar der Bielefelder Kripo hat gestern Abend die Zusage von Frank Thiel aus Münster erhalten, dass sie das Fußballspiel der 2. Bundesliga gemeinsam schauen können. Der eingefleischte St. Pauli-Fan hat allerdings vor 30 Minuten angerufen, dass er wahrscheinlich etwas zu spät kommen werde. Sein Vater, der als Taxifahrer auch in Münster arbeitet, hat ihn zwar pünktlich zum Hauptbahnhof nach Münster gebracht. Die Regionalbahn nach Bielefeld kann aber noch nicht abfahren, da durch den Sturm in der Nacht einige Bäume die Schienen blockieren, aber in Kürze weggeräumt sein sollen. Thiel rechnet mit einer Stunde Verspätung, will aber in jedem Fall zur Halbzeit da sein.

Schibulsky hat ihm versprochen, seine reservierte Sitzplatzkarte, Block I, Reihe 5, Platz 15, am Eingang für Rollstuhlfahrer bei „Benno“ Winkelmann, dem Behindertenbetreuer des DSC Arminia, abzugeben.

Da Thiel noch nicht angekommen ist, geht Robert die fünf Minuten durch den Park, am Max-Planck-Gymnasium vorbei, an dem sein Enkel Sebastian in wenigen Wochen hoffentlich sein Abitur ablegen wird, zum Südeingang der SchücoArena.

„Hallo, Robert“, begrüßt ihn Jörg  „Benno“ Winkelmann. „Ich hoffe, du hast Weihnachten gut verlebt.“

„Frag´ lieber nicht, ich habe mir in meinem Ferienort einen Oberschenkelhalsbruch eingefangen, jetzt habe ich ein neues Hüftgelenk. Aber wie du siehst, klappt es schon wieder einigermaßen.“

„Du machst aber auch Sachen, Robert. Als Pensionär sollst du es doch ruhig angehen lassen.“

„Du, Benno, ich habe heute noch einen Gast. Er kommt extra aus Münster. Aber die Bahn verspätet sich, kannst du ihm diese Karte  geben, wenn er hier ist?“

Bei Arminia Bielefeld bekommt Robert wegen des Schwerbehindertenausweises eine Sitzplatzkarte für nur sechs Euro, inklusive eine kostenlose Karte für einen Begleiter.

„Geht klar, Robert.“

Benno wendet sich schon dem nächsten Fan zu, der ihn mit seinem schweren elektrischen Rollstuhl fast umfährt.

Robert eilt nun so schnell es geht zum Eingang zur Westtribüne. Das Spiel Arminia Bielefeld gegen St. Pauli wird in wenigen Minuten angepfiffen. Er nimmt sogleich seinen Sitzplatz ein und bekommt gerade noch die aktuell einstudierte Choreografie der Südtribüne mit. Zum Schluss wird ein Banner ausgerollt, mit dem an das Stadtjubiläum Bielefelds – 800-jähriges Bestehen – erinnert wird.

Fast 24.000 Zuschauer wollen heute das erste Spiel im neuen Jahr des Tabellensechzehnten gegen den Sechsten sehen.

In den ersten vierundzwanzig Minuten plätschert die Partie dieses 20. Spieltags eher ereignislos dahin, viel Kampf und Krampf im Mittelfeld. Die Akteure scheinen noch nicht aus ihrem Winterschlaf aufgewacht zu sein.

Nach fünfundzwanzig Minuten betritt Frank Thiel das Stadion durch den Seiteneingang. Robert erkennt ihn sofort. Sein dunkelbraunes St. Pauli-Trikot trägt er über einem Norweger-Pullover und sticht damit deutlich aus dem Einheitsblau der DSC-Fans heraus. Er sprintet die Treppe zur Reihe 5 hoch, ignoriert manche Bemerkung, ob er sich nicht in der Tribüne geirrt hätte, und hangelt sich zum Platz neben Schibulsky durch. Die beiden Kriminalen begrüßen sich freudig mit Handschlag.

In dem Augenblick fällt das 0:1. St. Pauli scheint durch das Erscheinen seines eingefleischten Fans plötzlich motivierter und erzielt durch Lennart Thy den Treffer.

„Ein Glück, dass ich endlich da bin. Ansonsten würde ja die Kiez-Glücksgöttin fehlen!“, ist Thiels überschwänglicher Kommentar.

Zur Halbzeitpause diskutieren Schibulsky und Thiel das, was ihnen bisher geboten wurde. Thiel sieht eindeutige Vorteile für die Hamburger, Schibulsky tröstet sich mit einer Bratwurst und holt für sie noch zwei Bierbecher.

Nach 61 Minuten markiert Christopher Nöthe sogar das 0:2; das Spiel ist damit praktisch entschieden. Als Reaktion darauf wechselt der Bielefelder Trainer Stefan Krämer endlich den zweiten Stürmer ein. Dem polnische, 20-jährigen Eigengewächs, Kacper Pryzbylko, der gerade wieder vom 1. FC Köln zurückgekommen ist, gelingt aber acht Minuten später per Kopfball das 1:2. Danach werfen die Arminen alles nach vorne, holen die berühmte „Brechstange“ raus, und die Zuschauer erleben nun einen wahren Krimi. Und tatsächlich, die 92. Minute ist bereits angebrochen. Wie ein Déjà-vu kommt es erneut zur Flanke über die linke Seite der Bielefelder. Und wieder steht Pryzbylko richtig und wuchtet das Leder unhaltbar zum 2:2-Ausgleich mit dem Kopf in die Maschen.

Schiedlich, friedlich Unentschieden. Auf dem Rasen war es ein wahrer Kampf, die beiden Kommissare aber sind letztlich ob des Remis zufrieden und gratulieren sich gegenseitig.

Robert bringt den Münsteraner nach der Partie per Stadtbahn zum Bahnhof. Dessen Zug fährt erst in vierzig Minuten. Daher betreten sie das „Bierstübchen“, das gegenüber dem Hauptbahnhof liegt. Beim zweiten Pils sind sie beim „du“ angelangt.

Da Frank bisher noch kein Sterbenswörtchen zu seinen Recherchen in Münster gesagt hat, spricht Robert ihn jetzt direkt darauf an:

„Sag´ mal, Frank, hast du eigentlich nichts Neues in der Sache Charlotta Bernaschek herausbekommen?“

„Ach, das hätte ich bei aller Freude auf das Spiel des FC St. Pauli ja fast vergessen. Dir zuliebe habe ich ihren zuletzt bekannten Aufenthaltsort aufgesucht und bin mit meinem Fahrrad zur Avendruper Str. 13 im Münsteraner Norden rausgefahren. Das liegt übrigens idyllisch direkt am Flüsschen Werse und wird von ein paar Studenten der Westfälischen Wilhelms-Universität bewohnt.“

Thiel zieht jetzt einen winzigen Notizblock aus der Hosentasche und referiert weiter:

„Deine Charlotta hat tatsächlich mit ihren Freund Nasreddin bis kurz vor Weihnachten ebenfalls dort gewohnt. Dann sind sie von heute auf morgen verschwunden. Allerdings kamen dann vorübergehend deren beiden Freunde Agneta Kubulus und Steffen Herbst in die WG, wobei sie kurz nach Silvester ebenfalls wieder ohne Abmeldung plötzlich weg waren.“

„Steffen Herbst wurde ja kurz darauf wegen Entführung und Erpressung festgenommen und sitzt noch in Untersuchungshaft im Allgäu“, erklärt Robert.

„Eine der Studentin erzählte mir, sie habe vor zwei Wochen eine Ansichtskarte aus Gdansk in Polen erhalten. In ihr haben sich die beiden Mädels gemeldet. Sie wären gut angekommen, hätten einen neuen Schutzengel gefunden und müssten nicht mehr auf der Straße arbeiten.“

Robert fragt dazwischen:

„Du meinst, beide sind jetzt in Polen und gehen auf den Strich?“

„Du sagst es, wahrscheinlich Edelnutten, für ausländische Geschäftsleute in gehobenem Etablissement.“

„Hat sonst noch jemand etwas gesagt?“

„Einer der Informatikstudenten, der sich übrigens besonders witzig vorkam, erzählte mir, ohne dass die anderen etwas hören konnten, dass einige Wochen vorher ein polnischer Mann, so Anfang dreißig, fast 2 m groß und mindestens 120 kg schwer, bei ihnen aufgetaucht wäre. Er glaubte sogar, dass da was zwischen ihm und Charlotta gelaufen wäre.“

„Hat er auch den Namen des Mannes gesagt?“

„Er war sich nicht sicher. Christof oder Christian oder so. Alle anderen konnten mir überhaupt nichts sagen.“

„Danke, Frank, da sich die Freundinnen der Täter von Oberstdorf im Ausland untergetaucht sind, dürfte der Fall ja abgeschlossen sein. Ich hatte nämlich die Befürchtung, dass der Rest der damaligen Gruppe, die ihren Hauptschullehrer in Bielefeld vors Gericht gebracht hatten, ihre Kumpel vielleicht rächen wollen.“

„Nun mal langsam mit den jungen Pferden, Herr Ex-Hauptkommissar, du hast wohl zu viel Fernsehen geguckt.“

„Nee, das ist es nicht. Aber meine Enkelin Britta kannte die Truppe aus der Schule. Und die war bei der Tötung diese Bobos in Oberjoch dabei. Als Geisel.“

Thiel zuckt beim Namen Britta mit beiden Augenlidern:

„Ich weiß nicht, ob das was bedeutet, Robert, aber mir fällt gerade ein, dass diese Sarah, die mir von der Ansichtskarte erzählt hat, erwähnte, dass Charlotta sich mal fürchterlich über einen Anruf aufgeregt hat und sie zu Agneta sagte, es sei diese blöde Britta gewesen.“

 

Kapitel 8 - Oytalhaus, Oberstdorf                                    09.02., 15:45

Das Oytal liegt oberhalb der Erdinger Arena im Osten der Marktgemeinde Oberstdorf und wurde in Vorzeiten durch den Oybach als nach Osten abzweigendes Tal zwischen Schattenberg, Nebelhorn und Riffenkopf eingeschnitten. Über die Oystraße erreicht man in 1010 m Höhe nach ca. 6 km das Oytalhaus, das in seinen Gasträumen bis zu 120 Personen bewirten kann.

Die letzten Sonnenstrahlen fluten von Westen her das einsame Tal; ein Steinadlerpaar zieht hoch oben seine Kreise, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Abendschmaus.

Pächter Xaver Leitner feiert heute seinen 75. Geburtstag. Nach dem Tod seiner Frau Josefine im letzten Sommer ist die Gastwirtschaft leider ziemlich heruntergekommen. Die starke Hand seiner Frau führte die vier 450-Euro-Jobber am kurzen Zügel. Nun wurde das Personal immer phlegmatischer, der Service begann offensichtlich schlechter zu werden. Das vergangene Wintergeschäft sank um fast 35 %.

Dem alten Leitner schwindet zudem der Lebensmut, seine Kinder sind früh in die USA ausgewandert. Daher will er seine Pacht an den Verein der RECHTLER zurückgeben. Eine grundlegende Veränderung steht hier folglich in Kürze an. Wehmütig sitzt der Alte allein auf der Bank im Wintergarten und prostet sich mit einem halb gefüllten Weißweinglas selber zu.

Aus diesem Grund hat der provisorische neue Vorstandsvorsitzende der RECHTLER, Sägewerksbesitzer Ludwig Geiger aus Dietersberg, zu einem quasi geheimen Treffen ins Oytalhaus eingeladen. Von Seiten der RECHTLER sind der 61-jährige Landwirt Wilhelm Gruber aus Gerstruben und die nach der Ermordung des alten Vorsitzenden aufgerückte Kreszentia Schönauer, die Frau vom Förster aus Anatswald, anwesend. Die Delegation der Marktgemeinde Oberstdorf führt der Erste Bürgermeister Korbinian Einödhofer an. Dazu kommen seine Stellvertreter Pia Zorn-Teuffel und Wilhelm Hintertupfer.

Überraschend haben sich auch die Finanziers des Museum-Projektes angekündigt. Etwas verspätet fahren ein weißer Mercedes-AMG S63 und ein dunkelblauer Lexus NX 300h Hybrid mit der Aufschrift „Projektentwicklung PROFORMA“ vor. Aus dem ersten steigen Katharina Gräfin zu Hohenstein, ihr Bruder Ulrich Winterscheid und beider Justiziar und Anwalt Dr. Werner Brandenburg aus Lindau bzw. Friedrichshafen aus. Der Fahrer des SUV ist der Landschaftsplaner Kurt-Georg Freiwasser aus München, der aus dem Kofferraum des Lexus neben seinem Laptop noch einen Beamer zaubert.

Xaver Leitner hat kurzfristig den Raum mit dem großen, grün gefliesten Kachelofen herrichten lassen. Vor den Fenstern der gegenüberliegenden Wand ist sogar eine weiße Leinwand aufgestellt. Der Architekt schließt sogleich seinen Laptop und den Beamer ans Stromnetz an.

Nach dem allgemeinen Händeschütteln platzieren sich alle so, dass sie freie Sicht auf die Leinwand haben. Dr. Brandenburg ergreift das Wort und stellt sich vor die Anwesenden.