Boabdil - Andrej Melehin - E-Book

Boabdil E-Book

Andrej Melehin

0,0

Beschreibung

Eine Geschichte von wahrer Treue und einer Freundschaft, welche alle Grenzen des Vorstellbaren sprengt, einer Reise, die im Aussen stattfindet und im innersten Kern der Wahrheit endet. Sie handelt von Verantwortung, Vertrauen und Respekt in reinster Form und von einer Verbindung zwischen Mensch, Tier und Natur, wie sie grossartiger nicht sein könnte. In einer dreitägigen, abenteuerlichen Reise durch die spanische Sierra Nevada, offenbaren sich dem Autor unvorhergesehen seine eigene Kraft, spirituelle Führung und magische Momente. Unter dem zeitlosen Sternenhimmel erlebt er, wie die Dimensionen zusammenrücken und erfährt die tiefe Verbundenheit allen Lebens.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 98

Veröffentlichungsjahr: 2018

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„Kannst du den Menschen berichten, wovon du hier gehört hast?“, fragte mich einer der drei vor mir sitzenden Ältesten des Pferdevolkes. Sie hatten mir gerade eben von der Geschichte der Freundschaft zwischen unseren Völkern erzählt. „Um eure Worte weiterzugeben, muss ich erst erklären, dass ich in eurer Welt sein, dies hier alles wahrnehmen kann“, warf ich skeptisch ein. „Erzähle ihnen deine Geschichte der Kraft“, sprach der mittlere Älteste, der bis zu diesem Punkt sehr wortkarg gewesen war, „dann können deine Mitmenschen selbst entscheiden, ob sie dir Glauben schenken wollen oder nicht.“

Aus unserem Gespräch im Sommer 2015

Der zweite Tag

Nacht

Die Sterne standen faustgroß über meinem Kopf. Das Leuchten der Milchstraße schien mir wie ein silberner Fluss, in der Unendlichkeit schwebend. Es war still.  So still, dass ich jede Bewegung der Luft spüren konnte. Plötzlich wurde es heller. Ich sah, wie ein riesiger Komet auf die Berge zuraste, in deren Schutz Boabdil und ich unser Lager aufgeschlagen hatten. Angst fuhr mir in die Glieder. „Rette dich!“, schrie mein Körper. Doch mir wurde schlagartig bewusst, dass man seinem Schicksal nicht entfliehen kann. Ich sah zu Boabdil hin. Er blieb gelassen, suchte meine Nähe. Ein Hengst, dessen große Augen Vertrauen und Zuversicht ausstrahlten. Meine Angst wich und ich begann, das einmalige Schauspiel zu genießen.

Es wurde heller als am hellsten Tag. Jeder Millimeter der Landschaft war mit grellstem Licht erfüllt, verdrängte die Dunkelheit für einen Moment vollständig und absolut. Was ich sah, übertraf alle meine Vorstellungen. Die Berge wurden von einem Licht beleuchtet, das weder von der Sonne noch vom Mond herrührte. Die Gebirgskette strahlte in einem Blau wie ein gewaltiger Diamant, der die Welten trennte: dort das Fremde, schwarz und grenzenlos, und hier die blaue Erde, auf der wir lebten. Es gab in diesem Moment nur zwei Farben. Ich wartete auf einen gewaltigen Knall. Stattdessen wurde es wieder so still und dunkel wie zuvor. Nur die Milchstraße mit allen Sternen schimmerte hell und klar, als wäre nichts geschehen – wie die Ewigkeit selbst. „Wie groß das alles ist“, sagte ich zu mir. „Wie gewaltig groß.“

Da wusste ich noch nicht, dass ich am kommenden Tag mit gebrochenen Knochen in den Bergen liegen, mein Geist auf eine harte Probe gestellt werden und ich Freundschaft und Treue in anderen Dimensionen erleben würde. Nichts davon konnte ich erahnen. Die faustgroßen Sterne waren das Letzte, was ich vor dem Einschlafen sah. „Wie groß“, dachte ich, „wie gewaltig groß.“

Der dritte Tag

Morgen

Das Licht im Tunnel breitete sich aus und mein Gefühl für den Körper kam langsam zurück, begleitet von einem Schmerz, der mich zu einem Schrei zwang und dann in lautes Heulen überging. Ich schrie nach meiner Mutter, betete, dass sie käme. Nichts außer einem Echo antwortete mir. Weder meine Mutter, die mehr als fünftausend Kilometer entfernt lebte, noch sonst jemand würde mich hier hören. Berge sind Orte der Einsamkeit und Stille. Hier kann man sich nur auf sich selbst verlassen und hält – auch um seine Kräfte zu sparen – lieber den Mund. Ich untersuchte meine rechte Körperseite mit keinem guten Ergebnis. Ich konnte weder meine Hand noch das Bein bewegen. Jeder Versuch endete mit kalten Schweißperlen auf meiner Stirn. „Verdammt“, dachte ich, „Verdammt.“

Die Situation war ernst. Mein Pferd, ein Hengst, den ich gerade erst erworben hatte, war mitsamt allen Vorräten verschwunden. Ich lag mit gebrochenen Knochen irgendwo in den Dreitausendern. Aufgewacht war ich in einer Spalte zwischen großen Gesteinsplatten, wo mein Fuß noch immer eingeklemmt war. Stück für Stück wurde mir das Geschehen wieder bewusst: Der Steinschlag auf einem der vielen Felsen, der meinen Boabdil erschreckt hatte. Der Seilknoten, der eigentlich nichts auf meinem kleinen Finger zu suchen hatte. Es geschah alles ganz schnell. Ich verfing mich mit der Leine an einem Pferd, das in vollem Galopp durch die zerklüftete und wilde Landschaft zu flüchten versuchte. Zuerst blieb ich mit meinem rechten Handgelenk irgendwo hängen, danach mit meinem Fuß. Zweimal hörte ich es deutlich knacken. Als Letztes sah ich noch, wie der Knoten sich löste. Dann wurde es dunkel.

„Zum Glück ist der Finger nicht abgerissen“, dachte ich. Allerdings konnte ich bis auf den Knochen sehen, dort, wo Haut und Fleisch durchgescheuert waren. Heftiger Schmerz erfüllte mich. Mein Körper bestand nur noch aus abertausend brennenden, gespannten Fäden. Die kleinste Bewegung wurde unerträglich. Mühsam zog ich meine Glieder aus der Spalte und legte mich zwischen die Steine. Sie hatten scharfe Kanten und unterschiedene Muster, die ich auf diese Entfernung gut erkennen konnte. Und ich hatte Zeit, unendlich viel Zeit, dazuliegen und nachzudenken. Ich schloss meine Augen und ließ mich fallen. Jetzt hatte ich keine Eile mehr, irgendwo hinzugelangen. Dieser Seilknoten, der nur für einen Augenblick auf meiner Hand ruhte, während ich den Proviant am Sattel befestigte, hatte mich aus meinen Plänen gerissen. Vielleicht sogar aus meinem ganzen Leben. In den unwegsamen Weiten eines Hochgebirges braucht es nicht viel, um zu sterben. Schon eine kleine Unachtsamkeit kann den sicheren Tod bedeuten.

Und so lag ich da und sah vor mir das Gesicht eines Freundes, mit dem zusammen ich auf einem Trakehner-Gestüt unweit von Eckern-förde in Schleswig-Holstein gearbeitet hatte. „Lass nie einen Knoten oder eine Schlinge auf deinen Händen. Nie!“, hatte er damals zu mir gesagt. Jahrelang hatte ich seinen Rat getreu befolgt. Aber dieses eine Mal machte ich eine unerklärliche und folgenschwere Ausnahme. „Das ist nur für einen Moment“, dachte ich, als ich den Knoten um meinen Finger sah. Genau da polterten die Steine herunter und mein Pferd ging durch. Zu spät. Die unwiderrufliche Erkenntnis saß so tief, dass meine Seele und die Schmerzen auf seltsame Weise zur Ruhe kamen.

Der Traum

„Wir kaufen heute einen Hengst“, war mein erster Satz, als mich vor einigen Tagen die Sonnenstrahlen frühmorgens geweckt hatten. Meine Freundin, aufgewacht von der Lautstärke, mit der ich das aussprach, schaute noch verschlafen durch halb geöffnete Lider zu mir herüber. Ihre Augenbrauen wölbten sich in einer Fragehaltung. „Ich habe ihn im Traum gesehen. Und ich weiß auch, wo er steht“, antwortete ich im Tonfall eines Clowns, bereits aufrecht im Bett sitzend und bewegte meine Augenbrauen genau wie sie. Innerlich so aufgewühlt vom Traumerlebnis, sprang ich, ohne eine weitere Reaktion von Natalja abzuwarten, aus dem Bett und ging in die Küche, um Kaffee zu kochen.

Nach einigen Minuten verbreitete sich das verführerische Aroma frisch gemahlener Kaffeebohnen im von goldenem Licht besonnten Haus. Ich brachte den Kaffee zu Natalja, holte eine Landkarte aus dem Auto und setzte mich im Schneidersitz direkt neben sie aufs Bett. Jetzt war mein Blick ernst. „Er ist auf der anderen Seite“, sagte ich und deutete mit leichter Kopfdrehung zum Fenster, wo die Sierra Nevada mit ihren teilweise noch verschneiten Spitzen zu sehen war. Dabei faltete ich die Karte auseinander und studierte aufmerksam die Ortschaften auf der anderen Seite der Bergkette, um etwas aus dem Traum wiedererkennen zu können.

„Kommt dir etwas bekannt vor?“, fragte Natalja, meine Absichten richtig deutend. „Nein“, erwiderte ich, „aber irgendwo hier“, mein Zeigefinger zog dabei einen kleinen Kreis auf der Karte, „muss er sein.“ In meiner Stimme lag so viel Überzeugung, dass Natalja konzentriert auf das von mir angedeutete Gebiet schaute, prüfende Blicke auf unsere Seite der Bergkette warf, einen Schluck Kaffee nahm und dann sagte: „Das sind mehr als drei Stunden Fahrt, wollen wir gleich los?“ Wir tauschten Blicke und ich nickte.

Als wir mehrere Stunden später auf der anderen Seite der Sierra Nevada hin- und herfuhren, damit ich in dieser Realität etwas aus meinem Traum fühlen oder erkennen konnte, bemerkte ich in einer kleinen Ortschaft auf einmal ein gelblich getünchtes Haus, farblich absolut untypisch für diese Region der spanischen Provinz. Es kam mir merkwürdig bekannt vor. „Natalja, du sprichst besser spanisch als ich“, sagte ich zu ihr, nachdem ich das Auto direkt vor dem Haus geparkt hatte. „Frag bitte die Leute, ob jemand hier im Dorf Pferde verkauft. Ich habe intuitiv das Gefühl, dass sie wissen, wo er steht.“ Damit meinte ich natürlich den gesuchten Hengst und bemerkte wieder dieselbe Überzeugungskraft in meiner Stimme, wie ich sie schon am frühen Morgen hatte. „Bist du dir sicher?“, fragte Natalja und musterte das Haus aufmerksam. Sie fragte ganz sachlich, ohne Misstrauen. „Nein“, antwortete ich lächelnd und dachte dabei an die Gesetze menschlicher Logik. Natalja beugte sich zu mir, quittierte meinen Satz mit einem Kuss auf meine Wange und stieg aus. Vom Auto aus sah ich, wie gleich, nachdem Natalja die an der Hauswand befestigte Klingel betätigt hatte, eine ältere Spanierin öffnete. Ich konnte nichts hören, dafür beteiligten mich die ausgeprägte Mimik und Gestik der südländischen Frau ungewollt am Gespräch.

Die Begegnung