Bonsai Beasts - Eichherzchen - Kaye Alden - E-Book

Bonsai Beasts - Eichherzchen E-Book

Kaye Alden

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Beschreibung

Kleine Wandler - große Herzen. Joggen ist gesund ... außer, man begegnet einem streitbaren Grizzly. Todesmutig wirft sich Wandler Cayden in seiner Eichhörnchenform zwischen den Bären und einen rothaarigen Jogger, der riecht wie das Paradies auf Beinen. Selbst noch, als der ihm vor Angst auf den plüschigen Schwanz kotzt. Keine Frage, er muss ihn kennen lernen! Und zwar als Mann. Als eindeutig lästiges Hindernis erweist sich jedoch, dass der Rotschopf sich gerade aus einer Beziehung befreit hat, in der er nach Strich und Faden betrogen wurde. Lawrence steht der Sinn nach allem, aber nicht nach einer Partnerschaft. Irgendwie muss Cayden ihn überzeugen. Mit Geduld. Und einer leidenschaftlichen Affäre, die nicht einmal den Anschein von Romantik erwecken darf. Dumm nur, dass Geduld nicht gerade seine Stärke ist. Und Lawrence bald Lunte zu riechen beginnt. Der Roman ist in sich abgeschlossen.

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Eichherzchen

Bonsai Beasts 2

 

 

 

 

Kaye Alden

 

 

 

 

 

Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Epilog

 

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Glossar: Das Vancouver-Universum
Und jetzt?

Kapitel 1

 

Dieser biestige Scheißkerl! Wütend zwitschernd schoss Cayden den Baumstamm empor, blieb auf der ersten Astgabel sitzen und starrte zu dem Fuchs hinunter, der enttäuscht zu ihm hochsah. Kleiner grüner Drecksack!

Cayden musste selbst lachen über den Gedanken. Für seine Eichhörnchenaugen gab es keine Unterscheidung zwischen Rot und Grün, das Fuchsfell verschwamm mit dem Grün des Grases und des Farns. Der scharfe Gestank hingegen war zum Glück ebenso wie das Tappen der Pfoten und das Rascheln im Unterholz deutlich wahrzunehmen gewesen.

Verärgert tänzelte Cayden auf der Stelle und zwitscherte weiter, während sein plüschiger Schwanz sich zuckend selbständig machte. Cayden wollte zurück zu den Beeren, die dort unten im Überfluss wuchsen. Wilde Heidelbeeren, so geil. Außerdem lagen reichlich Bucheckern herum.

Zwar brauchte Cayden keine Vorratslager, das war der Vorteil von Wandlern. Denen stand wie allen Menschen jeder Supermarkt der Welt zur Verfügung. Dennoch lockten ihn die Bucheckern, sich lauter kleine Verstecke anzulegen.

Aus einem unerfindlichen Grund schien der Fuchs jedoch trotzdem die Hoffnung zu hegen, dass Cayden ihm möglicherweise ins Maul fiel. Denn er rührte sich nicht und bewachte den Baum.

Stinker. Soll ich mich verwandeln? Dann bist du aber ganz schnell verschwunden.

Ungnädig schimpfte Cayden weiter. Vom Baum nebenan nahm ein zweites Eichhörnchen sein Zwitschern auf. Gut, das war jetzt ebenso gewarnt wie die anderen Kleintiere, zum Beispiel Mäuse und Vögel.

Cayden erkannte die Stimme. Mit dem Kerl war er vorhin aneinandergeraten. Er hatte eine Weile gebraucht, um dem Kleinen klarzumachen, dass er nicht hinter den Weibchen her war. Grundsätzlich war er das nie, Weibchen schon mal gleich gar nicht. Paarungszeit im Wald konnte jedoch echt lästig sein. Weibliche Wandler flüchteten vor liebestrunkenen Tieren, männliche durften sich mit Rivalen herumschlagen.

Für gewöhnlich begriffen Tiere recht schnell, dass selbst in einem Eichhörnchenkörper nicht unbedingt immer ein hundertprozentiges Eichhörnchen steckte. Entsprechend waren sie entweder entspannt oder sogar hilfreich. Doch die Hormone zur Paarungszeit vernebelten eindeutig so manches Gehirn.

Zugegeben, nicht nur bei Tieren. Der Duft nach Gefährte brachte auch die meisten Wandlerköpfe zum Schmelzen. Caydens bester Freund, ein Hamsterwandler, hatte darüber glatt eine sich anpirschende Katze ignoriert.

Mann, wie gerne hätte Cayden genau diese Probleme! Verdammt, er wurde alt. Mit über dreißig hatte er ein Großteil seines Lebens hinter sich. Zumindest, wenn er ungebunden blieb. Kleintierwandler wurden kaum älter als vierzig, fanden sie ihren Gefährten nicht. Das Leben konnte verflucht unfair sein.

Knacken im Unterholz lenkte Cayden von den unschönen Gedanken ab und ließ ihn gleichzeitig mit dem Fuchs den Blick dorthin wenden. Gemächlich trottete ein Grizzly auf die kleine Lichtung. Ein schöner Kerl und hier, so weit südlich in British Columbia, ein durchaus seltener Anblick.

Vorsichtig zog sich der Fuchs zurück.

Ja, verschwinde du nur, dachte Cayden zufrieden und kletterte den Baum Kopf voran hinab. Solange er sich nicht unter die riesigen Tatzen begab, war ein Bär für ihn ungefährlich. Auf keinen Fall schaffte der es, sich an ihn anzuschleichen, und generell standen Eichhörnchen eher nicht auf dessen Speiseplan. Nicht, dass er ihn verschmähen würde, sollte Cayden sich direkt vor die große Schnauze begeben.

Der Bär war jedoch an den Beeren interessiert. Schnaubend und schmatzend mümmelte er sie von den Büschen. Dem Geruch nach war er offenkundig ein Männchen. Stank aber nicht so sehr wie der Fuchs. Was eindeutig Caydens eigenem Interesse geschuldet war. Raubtiere, die Jagd auf ihn machten, rochen schlimmer als andere.

Cayden blieb am Fuß seines Rettungsbaums sitzen, angelte eine Buchecker zu sich und betrachtete das massige Tier, während er das Nüsschen aufknabberte. Noch ein Vorteil seiner kleinen Gestalt. Wildtiere durfte er jederzeit beobachten; die fanden ihn nicht bedrohlich und ließen ihn nah an sich heran. Und falls Gefahr drohte, war er flugs in sichere Höhen geklettert.

Wenn es nach Cayden ging, hatte er die beste Wandlergestalt der Welt abbekommen. Scharfäugig, mit feinen Ohren, einer empfindlichen Nase. Flink, behände, unauffällig. Und klettern konnte er auch. Schade, dass Joshua das nicht ebenfalls von sich sagen konnte. Zusammen in Tierform durch den Wald zu streifen, fiel flach. Obwohl Cayden das echt gerne mit ihm gemacht hatte. Als Hamster war Josh jedoch eher unbeholfen und gefährdet und …

Schritte näherten sich, knirschten auf dem Weg, der von hier aus nicht einsehbar war. Aufmerksam richtete Cayden die Ohren auf den gleichmäßig schnellen Laut. Ein Jogger, wenn er nach der Geschwindigkeit ging.

Zum Glück fraß der Bär unbeirrt weiter. Gut.

Doch als der Jogger näher kam, schnaufte der Bär und sah irritiert in die Richtung. Seine Ohren spielten unschlüssig.

Nee, du, bleib mal schön entspannt. Beeren, Bucheckern, was willst du mehr? Weißt ja, Menschen sind weder Futter noch Feind.

Trotzdem kletterte Cayden vorsichtshalber seinen Baum wieder hoch, kaum dass er sein Nüsschen verzehrt hatte. Über einige Queräste sprang er drei Tannen weiter, um Bär und Weg gleichermaßen im Blick zu haben.

Oh, nett! Unwillkürlich grinste Cayden in sich hinein. Der Mann, der sich da näherte, fiel vielleicht nicht in das Beutschema des Bären, allerdings entschieden in seines. Hochgewachsen, gut gebaut und ein verdammt hübsches Gesicht mit großen Augen. Das grüne Haar war kurzgeschnitten, die helle Haut glitzerte von Schweiß. Die recht weite Hose reichte bis zu den Knöcheln, betonte jedoch mit jedem Schritt lange Beine, wohingegen sich das Shirt angenehm eng an einen schlanken Oberkörper schmiegte. Nur 'ne Wäsche konnte das Zeug mal wieder vertragen. Das sah Cayden sogar mit seinen farbbeeinträchtigten Eichhörnchenaugen von hier oben.

Aber oha, ansonsten war der Kerl echt süß! Je näher er kam, desto deutlicher konnte Cayden das erkennen. Zarte Züge, die allerdings nicht sonderlich entspannt wirkten. Eher so, als wälzte der Mann die Probleme der Welt in seinem Kopf umher. Verquollene Augen. Mit Grünschimmer, also vermutlich gerötet. Volle Lippen. Geschwungene Brauen. Auch die waren grünlich. Entweder war der Mann besonders sorgfältig beim Färben gewesen, oder er hatte rote Haare.

Caydens Aufmerksamkeit wurde abgelenkt, als der Bär dunkel brummte und in Richtung des Weges witterte. Uh-oh, nicht gut. Er klang, als fühlte er sich gestört. Dummerweise begann er dazu, den Schädel zu wiegen und zu gähnen. Gar nicht gut. Das war ein Zeichen von Stress.

Warnend zwitscherte Cayden.

Der Jogger reagierte nicht, kam nur gleichmäßig näher. Er hatte Stöpsel im Ohr, der Idiot.

Jetzt bemerkte Cayden die Kabel, die im T-Shirt verschwanden. Mann, damit lief man doch nicht im Wald! Zumindest nicht, wenn Bären Paarungszeit hatten. Gut, es war so ziemlich am Ende der Saison, aber eben nur ziemlich! Spatzenhirn! Unruhig zwitscherte Cayden lauter, und als das keinen Effekt hatte, pfiff er, keckerte, schimpfte …

Keine Reaktion.

Nur der Bär sah zu ihm hoch. Ob der das gerade als Warnung vor dem Menschen verstand?

Unsicher trippelte Cayden den Ast entlang, dann wieder zurück zum Stamm. Hätte er mal eine Buchecker mit hochgenommen! Die hätte er jetzt werfen können. Doch dafür war der Mensch ohnehin noch zu weit entfernt. So viel Kraft hatte Cayden nicht in seinen Ärmchen.

Warnend stampfte der Bär mit den Vordertatzen auf einen kleinen Busch. Mittlerweile sah er richtig angespannt aus, volle Aufmerksamkeit auf den Weg.

Verdammt. Cayden flitzte den Stamm hinab. Okay, also anders. Funktionierende Ohren hatte der Mann keine, aber Augen, die auf den Weg gerichtet waren. Dann würde er sich ihm eben in den Weg stellen. Auch gut.

Dummerweise setzte sich der Bär zeitgleich mit ihm in Bewegung.

Scheiße!

Kapitel 2

 

Scheiße. Lawrence bekam den Kopf nicht frei, so sehr er es versuchte. Musik half da auch nicht, die hatte er schon ausgeschaltet. Er atmete im gleichmäßig schnellen Rhythmus seiner Schritte, lauschte auf das Knirschen der Schuhe auf dem Weg, hörte die Vogelstimmen um sich. Und doch nahm er nichts wahr.

Wieder und wieder kreisten seine Gedanken um den Vortag. Um Owen. Seinen verdammten Ex. Warum mussten sie bei der gleichen Firma beschäftigt sein? Zwar arbeiteten sie nicht in derselben Abteilung, Lawrence hatte seinen Wirkungsbereich als Physiotherapeut im unteren Bereich des Krankenhauses und Owen saß als Personaler im Seitenflügel. Nur hinderte sie das nicht, sich manchmal über den Weg zu laufen.

Besonders, wenn Owen es darauf anlegte. Was er gestern getan hatte. Um ihn anzubaggern. Um ihn erneut in sein Bett zu bekommen.

Verdammt, der Sex mit ihm war generell echt gut gewesen. Darüber konnte sich Lawrence wirklich nicht beschweren. Was er hingegen sehr wohl beanstanden konnte, waren all die anderen Dinge. Dass Owen darauf bestanden hatte, ihre Beziehung geheimzuhalten, weil er nicht wollte, dass seine übelst konservative Familie herausfand, dass er schwul war. Hatte er zumindest behauptet. Theoretisch verstand Lawrence das; der Ärger, den sein bester Freund Nick mit seiner Familie hatte, hatte ihn da durchaus geprägt. Nur mittlerweile war er am Argwöhnen, dass Owen schlicht gelogen hatte.

So, wie er ihm Treue vorgegaukelt hatte, während er von Bett zu Bett gesprungen war. Lawrence hatte viel zu lange gebraucht, um herauszufinden, dass das angeblich tarnende Flirten ernsthaftes Flirten gewesen war. Owen war ein Meister darin, Frauen schöne Augen zu machen. Vermutlich auch Männern, aber denen wohl nur, wenn sie allein waren. So, wie das mit Lawrence und ihm angefangen hatte.

Ein Fuß vor den anderen. Knirschender Kies. Lawrence zog das Tempo an. Als könnte er den Gedanken davonlaufen.

Nach wie vor tat es einfach weh, wenn er daran dachte, dass all die Liebesschwüre nicht mehr als Lügen gewesen waren. Die Zärtlichkeiten, die sie geteilt hatten, nur Mittel zum Zweck. Die Küsse lediglich Berührungen von Lippen.

Tief atmete Lawrence die klare Waldluft ein, als könnte ihn das reinigen. Von all den Lügen, dem Betrügen, den Falschheiten. Es roch nach Moos, Erde und Pilzen. Die kühle Luft prickelte auf seiner schweißfeuchten Haut, vertrieb jedoch weder die Kopfschmerzen, die ihn mit jedem Schritt begleiteten, noch das Schwappen in seinem Magen und das latente Gefühl der Übelkeit.

War ein scheiß Einfall gewesen, sich gestern die Kante zu geben. Das half nie. Aber ihm war das für einen viel zu langen Moment – okay, den gesamten Abend über – als gute Idee erschienen. Hätte er stattdessen mal besser Nick angerufen und sich bei dem ausgeheult. Doch der hatte sich echt schon genug deswegen von ihm anhören dürfen.

Ja, Lawrence hatte ihm davon erzählt, obwohl Owen es hatte geheimhalten wollen. Weil er nicht geoutet werden wollte. Nur nach all dem, was vorgefallen war? Lawrence hatte wirklich mit irgendjemandem darüber sprechen müssen, und dieser Jemand war nun mal sein bester Freund. Selbst schuld, Owen, wärst du nicht so ein Arsch, wäre das nicht nötig gewesen.

Und wegen dieses Arschlochs versuchte Lawrence nun, seine samstägliche Joggingrunde mit einem fiesen Kater hinter sich zu bringen. In einem versifften Trainingsanzug, der noch vom letzten Lauf stank und über den er irgendetwas gekippt haben musste, was er nicht bemerkt hatte. Zumindest nicht, bevor er losgefahren war. Deswegen war er nun hier, weitab seiner gewohnten Strecke, weil er so – verheult, unappetitlich, verkatert – echt niemandem über den Weg stolpern wollte.

Irgendwo zeterte ein Eichhörnchen.

Ja, kleiner Freund, ich verstehe dich. Lawrence grinste in sich hinein. Na, vermutlich verstand er eher gar nicht. Eichhörnchen machten das schon richtig. Eine Saison ein Partner, dann lebten beide wieder ihr eigenes Leben. Dummerweise konnte Lawrence das nicht. Entweder One-Night-Stands, bei denen die Fronten von vorneherein komplett geklärt waren. Sex und nicht mehr. Oder eben Partnerschaft. Treu und bitte für möglichst immer. Das war zumindest das ideelle Ziel, mit dem er in eine Beziehung ging.

Lawrence schnaubte. Oder vielmehr, das war es gewesen. Gerade hatte er wirklich die Nase gestrichen voll von Männern. Von Romantik. Außerdem war sein Reservoire für Vertrauensvorschuss, das man nun mal vor einer echten Beziehung brauchte, restlos aufgebraucht.

Sein Magen rebellierte mit dem nächsten Schritt, als er sich auch nur vorstellte, sich auf einen weiteren Mann einzulassen. Denn umgehend sah er Owen vor sich, der mit einer Frau herumknutschte und die Hände überall hatte, aber nicht in unschuldigen Regionen.

Neben dem Weg brachen krachend Zweige. Laut genug, dass es Lawrence aus den Gedanken um seine Misere riss. Er zuckte zusammen, verlangsamte seinen Schritt, als sein Gehirn sofort bedrohliche Szenarien abspulte. Bären, Elche, Pumas.

Quatsch, wie häufig passiert das? Die Paarungszeit war fast vorbei, also hielten sich die meisten Bären lieber irgendwo im Hintergrund und wichen Menschen weiträumig au…

Ein pelziger Kopf tauchte aus dem Unterholz auf, gefolgt von einem massigen Körper. Dieser Bär hatte offensichtlich nichts davon gehört, dass seine Schwestern und Brüder sich von Menschen fernhielten!

Wie festgenagelt blieb Lawrence stehen, sein Herz stürzte ab, Adrenalin schoss durch seine Adern. Er mochte Bären. Aber schön weit von sich entfernt, nicht zehn Schritte vor sich! Sein Hirn spulte sofort alle Anleitungen zu Begegnungen mit Bären ab, die er jemals gelesen hatte. Ruhig bleiben, oberstes Gebot!

»Hey, Dicker«, sagte er so gelassen wie möglich, obwohl sein Herz in seine Kehle gesprungen war und dort einen Technobeat zum Besten gab, der es in sich hatte. »Ich bin ein Mensch, okay? Kein Futter und kein Feind.«

Grollend legte der Bär beim Klang der Stimme die Ohren an. Schien ihn nicht im Mindesten zu kümmern, dass ihn Menschen nicht zu interessieren hatten.

Raum geben, das war das nächste Gebot. Gerne doch! Vorsichtig wich Lawrence erst einen, dann einen zweiten Schritt zurück und breitete langsam, um dem Kerl keinen Schreck einzujagen, die Arme aus. Größer machen. Gliedmaßen zeigen und noch mal veranschaulichen, dass er langweilig war.

»An dein Futter will ich nicht, versprochen. Mein Kühlschrank daheim ist voll. Ebenso meine Vorratskammer.« Nicht, dass das den Bären interessierte. Aber sinnloses Brabbeln beruhigte Lawrence nicht. Argumente schon. Ein wenig zumindest.

Kehlig grollende Laute ließen den Grizzly erbeben. Seine Nackenhaare richteten sich auf, bedrohlich schlug er die Kiefer aufeinander. Mehrfach stapfte er mit den Vordertatzen auf, fetzte ein paar Steine beiseite.

Scheiße, hatte der lange Krallen! Und warum musste das ein Grizzly sein? Hätte nicht ein Schwarzbär gereicht? Die waren groß genug, jedoch nicht ganz so massiv und gefährlich!

Das wiederum schien den Bären zu erreichen – dass er gefährlich war. Denn er machte einen Schritt auf Lawrence zu. Der Gestank nach Raubtier wehte zu Lawrence.

Jetzt richteten sich auch Lawrences Nackenhaare auf. »Hey, bleib weg, ich warne dich. Ich bin bewaffnet!«

Langsam tastete er nach dem Hipbag, in dem er das Nötigste beim Joggen mit sich trug. Zum Beispiel das Pfefferspray. Da war die kleine Dose. Das kühle Metall gab Lawrence zumindest einen Hauch Sicherheit. Half nicht gegen seinen rasenden Herzschlag oder seine schweißfeuchten Handflächen, aber senkte den Furchtlevel doch ein Stück.

Wann war der Moment, ab dem man von besänftigen auf bedrohlich umschwenken sollte? Jetzt? Oder erst, wenn der Bär noch einen Schritt auf ihn zukam? Im Kampf sah Lawrence keine Chance. Mann gegen Bär, das konnte nicht gutgehen. Behutsam wich Lawrence zwei weitere Schritte zurück, während er beruhigend auf das Tier einsprach.

Was auch immer daran falsch war, wusste Lawrence nicht. Vielleicht hatte er ihm aus Versehen in die Augen gesehen?

Der Bär spannte sich an und senkte den Kopf.

Das war richtig scheiße! Das war kurz vor Angriff!

Lawrence hob das Pfefferspray und holte Luft, um brüllen und seinerseits zu einem Angriff übergehen zu können. Zumindest so zu tun.

In dem Moment schoss ein schwarzes Eichhörnchen aus dem Unterholz und baute sich zwischen Lawrence und dem Bär auf. Wütend trampelte es mit den Hinterpfoten, zwitscherte empört, als hätte der Bär seinen Kobel bedroht. Der flauschige Schwanz zuckte.

Gleichermaßen irritiert sahen Lawrence und der Bär auf das winzige Wesen. Wenigstens für einen Atemzug. Dann schien der Grizzly zu beschließen, dass es die Aufmerksamkeit nicht wert war und er sich mit einem größeren Problem herumzuschlagen hatte. Mit einem Lawrence-förmigen Problem. Geifernd brüllte er.

Der Laut dröhnte in Lawrences Ohren, ließ seinen Magen vibrieren und sich zusammenziehen. Der stülpte sich um und schickte all das von sich, das Lawrence schon den ganzen Vormittag Probleme bereitete. Er kotzte sich nicht nur vor die Füße, sondern auch auf die neuen Laufschuhe. Und wenn er nach dem Zusammenzucken des Eichhörnchens ging, hatte das ebenfalls ein paar Spritzer abbekommen.

Doch es drehte sich nicht um. Sein Zwitschern wurde schriller, als wollte es alle Aufmerksamkeit auf sich lenken. Im nächsten Moment schoss es nach vorne und auf den Bär zu, als wäre es nicht dreißig Zentimeter groß, sondern drei Meter. Und mindestens eine Tonne schwer, sodass der Bär sich vor ihm zu fürchten hatte.

Hatte das Winzding Tollwut? So benahm sich doch kein Eichhörnchen! Denn das flitzte gerade am Vorderbein des Grizzlys empor, als sei der ein Baumstamm. Dann jagte es über den Rücken, klammerte sich an ein Ohr und biss beherzt zu.

Ach du Scheiße! Machte das den Bär jetzt auch noch wütend? Oder eher – noch wütender?

Kapitel 3

 

Der Bär brüllte auf jeden Fall zornig und wischte mit einer gigantischen Pranke nach dem kleinen Quälgeist.

Mühelos wich das Hörnchen aus und war mit einem Satz vom Bärenrücken herunter. Laut zeternd und quietschend baute es sich wieder mitten auf dem Weg auf. Dieses Mal nicht mehr zwischen Lawrence und dem Bär, sondern seitlich. Als wollte es die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung lenken.

Das konnte doch gar nicht sein! Lawrence las eindeutig zu viel in das Verhalten hinein. Das Eichhörnchen hatte garantiert Tollwut. Oder irgendwelche Parasiten im Hirn, die es zu artuntypischen Handlungen trieben.

Aber es hatte Erfolg. Der Grizzly dreht sich und brüllte erneut, als sei das Hörnchen eine Gefahr, die es einzuschüchtern galt.

Munter zeterte das flauschige Wesen weiter. Hüpfte auf und ab. Trampelte mit den Hinterpfötchen. Zuckte mit dem Schwanz.

Hätte sich Lawrence in einem sicheren Auto befunden oder hinter anderen fest verschlossenen Türen, hätte er das Schauspiel fasziniert ohne Ende beobachtet. Stattdessen zog er sich so lautlos wie möglich Schritt für Schritt zurück, während der Bär abgelenkt war. Hoffentlich geschah dem armen Hörnchen nichts. Oder vielleicht doch? Falls es wirklich tödlich krank war, wäre so ein Bärenbiss bestimmt schneller als qualvolles Verrecken.

Der Bär drehte den Kopf, und Lawrence verharrte regungslos.

Im nächsten Augenblick schoss das Hörnchen wütend zwitschernd vor und lenkte die Aufmerksamkeit erneut auf sich.

Der Bär sprang mit beiden Vorderpranken vor, als wollte er die lästige Pest plattstampfen.

Lawrences Herz machte einen Satz und beruhigte sich erst wieder, als er den schwarzen Blitz hervorzischen sah, kurz bevor der Bär aufkam. Für einen wilden Moment erwog er tatsächlich, den Bär vom Eichhörnchen abzulenken. Für einen noch wilderen Moment stellte er sich vor, dass sie das Spiel mit gegenseitigem Ablenken spielten, bis der Bär die Nase voll hatte und ging.

Aber das war nur ein Hörnchen, kein Freund, der einen Plan verstand. Wenn das genug hatte, sauste es einen Baum empor und war in Sicherheit, während Lawrence es mit einem richtig zornigen Bären zu tun hatte.

Der Vernunft folgend wich Lawrence mit klopfendem Herzen zurück, bis er die Biegung des Weges hinter sich und Buschwerk und Bäume zwischen sich und den Grizzly gebracht hatte. Das wütende Brüllen klang schon ein wenig gedämpfter. Trotzdem ließ es ihm einen Schauer über den Rücken laufen, als er sich umdrehte und losrannte. Vollkommen ohne Rhythmus und auf Ausdauer aus, sondern einfach nur, so schnell ihn seine Beine trugen. Bloß weg hier!

Verdammt, hoffentlich passierte dem Eichhörnchen nichts. Hoffentlich war das gesund und hatte schlicht einen heldenhaften Moment gehabt. Mist. Das würde er wohl nie erfahren.

 

Endlich!

Wild zeternd sprang Cayden zurück, um ein wenig Abstand zwischen sich und den aufgebrachten Grizzly zu bringen, ohne seine Aufmerksamkeit zu verlieren. Hätte er schwitzen können, wäre er vermutlich gerade schweißgebadet. Adrenalin pumpte durch seine Adern, jeder Muskel schien vor Anspannung zu vibrieren.

Warum hatte der Mann für gefühlte zehn Ewigkeiten zur Salzsäule erstarren müssen? Cayden legte sich hier nicht aus purem Vergnügen mit einem Bären an! Dafür hatte er verdammt noch mal nicht die Statur! Aber zumindest die Geschwindigkeit und die Wendigkeit.

Nicht, dass ihn das aufgehalten hätte, hätte er das nicht gehabt.

Immer mit dem Kopf durch die Wand, hallte die Stimme seines besten Freundes durch seinen kleinen, sturen Eichhörnchenschädel.

Na ja, er hatte ja nicht zusehen können, wie der Mann von einen Bären zerfleischt wurde, der seine Beeren in Gefahr sah! Ein Mann, der …

Der Bär wollte sich umdrehen, in Richtung des flüchtenden Menschen. Vermutlich hörte er die trampelnden Schritte, die sich rasch entfernten.

Mit einem Schlag wandelte Cayden. »So nicht, Kumpel«, knurrte er und hatte sofort wieder die volle Aufmerksamkeit.

Der Bär brüllte, seine Ohren spielten. Geifer spritzte Cayden entgegen. Armer Kerl, der machte gerade etwas mit.

Abrupt wandelte er zurück. Das war sicherer. Deutlich flinker und gewandter, kleinere Angriffsfläche. Mann, er wollte den Bären ohnehin nicht verletzen. Der sollte sich einfach verpissen. Komm schon, geh zu deinen Beeren, du Idiot! Ich muss dem Mann hinterher!

Für genau einen halben Atemzug hatte Cayden einen Duft in die schnuppernde Nase bekommen, der gedroht hatte, ihm die Sinne zu rauben. Und das war nicht der nach Erbrochenem. Das war eklig. Doch er durfte den Jogger nicht verlieren. Noch weniger jedoch durfte er den Grizzly hinter ihm her hetzen.

Okay, neuer Plan. Cayden flitzte um den Bären herum, der sich im Kreis drehte, um dem Plagegeist mit Blicken zu folgen. War dem bestimmt noch nie passiert, von einem Eichhörnchen angefallen zu werden. Cayden musste lachen, es wurde ein Keckern. Hatte er auch nie geplant.

Kaum, dass er wieder zwischen dem Grizzly und der Richtung stand, in die der Mann verschwunden war, wandelte er erneut. Ohne dem Tier eine Möglichkeit zu geben, sich von dem Schreck zu erholen, stürzte er laut brüllend und mit ausgebreiteten Armen auf ihn zu.

Sein Plan sah vor, direkt vor ihm zurück zu wandeln und zwischen den Beinen hindurch zu huschen, um gleich aufs Neue zum Menschen zu werden. Und dieses Spiel so lange zu spielen, bis der Bär bitte das Weite suchte.

Der Bär spielte nicht mit. Der grollte, warf sich herum und galoppierte davon. Zwei Sprünge auf dem Weg, dann wich er seitlich aus und verschwand krachend im Unterholz.

Schwer atmend blieb Cayden stehen. Schweiß lief seinen Rücken und seine Brust hinab, perlte über seine Schläfen. Noch immer hämmerte sein Herz alarmiert, rein zur Vorsicht, falls der Grizzly zurückkehrte und eine Flucht notwendig machte. Doch das Prasseln und Knacken entfernte sich.

Oh, und Caydens Fußsohlen brannten, die mochten es offensichtlich nicht, ohne Schutz über den Kies zu rennen. Blöd, dass er nicht samt Kleidung wandeln konnte. Wäre manchmal echt praktisch.

Zum Beispiel jetzt. Er musste den Mann einholen! Und dann irgendetwas finden, ihn kennenzulernen. Nackt oder als Eichhorn! Da führte kein Weg herum.

Gleich darauf schoss er als Eichhörnchen quer durch den Wald. Über Wurzeln und Pilze hinweg, unter Sträuchern hindurch. Einen Baum empor und über das Astwerk zum nächsten. Er musste den Grünschopf kennenlernen! Zumindest musste er nah genug an ihn herankommen, damit er sich vergewissern konnte, dass dieser köstliche Duft wirklich das bedeutete, was Cayden dachte. Hoffte. Herbeisehnte!

Zum Glück kannte er sich aus. Der Weg beschrieb mehrere Kurven und verzweigte sich an einigen Stellen, aber lediglich eine Strecke führte zum Parkplatz. Garantiert wollte der Kerl dorthin. Nach so einer Begegnung hatte er bestimmt nur noch im Sinn, in Sicherheit zu gelangen.

Selten war Cayden derart durch den Wald gehetzt, blind für alles um ihn außer dem nächsten Zweig, dem nächsten Ast, dem nächsten Sprung. Als hinge sein Leben davon ab, und irgendwie tat es das ja auch.

Er war am Ende seiner Kräfte, als er den Mann einholte. Und allein damit hatte sich die Jagd schon gelohnt. Sein Atem flog, er hatte sogar Schaum vorm Schnäuzchen. Doch er hatte ihn erreicht.

Der Grünschopf rannte nicht mehr, wie von, nun ja, wie von Bären getrieben, sondern joggte nur noch. Immer wieder sah er zurück, als könnte er nicht glauben, dass er den Grizzly tatsächlich abgehängt hatte.

Hatte er aber, Cayden hörte weder Bärentatzen, noch witterte er den durchdringenden Geruch nach Raubtier. Der arme Bär hatte garantiert genug für diesen Tag erlebt.

Hektisch putzte sich Cayden erst das Schnäuzchen, dann die Kotzebröckchen vom Schwanz, während er versuchte, zu Atem zu kommen und gleichzeitig den süßen Mann nicht aus dem Blick zu lassen. Der war wirklich niedlich. So ein hübsches Gesicht! Große Augen, volle Lippen, sanfte Züge. Wenngleich die gerade immer noch angespannt blieben.

Langsamer folgte Cayden ihm von oben in den Wipfeln von Baum zu Baum. Okay, er hatte ihn gefunden. Jetzt brauchte er einen Folgeplan. Ran an ihn flitzen, um einen tiefen Atemzug zu nehmen und sich zu vergewissern, das war einfach.

Doch wie sollte er den Mann dazu bringen, ihm Namen und Adresse zu verraten? Sobald Cayden sicher war, dass der Duft tatsächlich das bedeutete, was er sich so sehr erhoffte. Die Chance, dass der Mann ihm Kontaktdaten gab, wenn Cayden splitterfasernackt vor ihm auftauchte, fiel eher gering aus. Aber als Eichhörnchen überhaupt nur klarzumachen, dass er etwas von ihm wissen wollte, gestaltete sich fast unmöglich. Menschen, die die Anderswelt nicht kannten, waren ziemlich blind für Zeichen.

Klarer Fall, Cayden musste ihn bis nach Hause begleiten. Und dafür gab es zwei Möglichkeiten. Entweder nahm der Mann ihn mit, oder Cayden gelang es, sich unbemerkt in seinen Wagen zu stehlen. Das gefiel ihm. Sich unter dem Auto verstecken, bis eine Tür aufging, und danach … nein, wenn der Mann das bemerkte, war die Heimlichkeit dahin. Vermutlich flog Cayden dann hochkant raus.

Außerdem würde er dabei die gesamte Fahrt, die – wer wusste schon, wie lange – dauerte, in einem Duft nach Verlangen und Nähe sitzen und nichts tun dürfen.

Damit blieb nur noch eines. Und Cayden wusste bereits genau, wie er das anstellen würde.

Kapitel 4

 

Er sauste vorweg und bis zu dem Parkplatz, auf dem nur ein einziges Auto stand, ein blauer Sedan. Gut, dadurch fiel das Raten weg, welcher Wagen wohl zu dem Mann gehörte. Na ja, hätte auch kein großes Hindernis dargestellt.

Kopfüber kletterte Cayden von seinem Baum hinab und versteckte sich unter dem Auto. Uff, stank nach Benzin, Getriebeöl und allerlei anderen unschönen Gerüchen. Egal, da musste er durch. War ja nicht für lange.

Während er wartete, putzte er sich erneut. War vielleicht ein wenig kontraproduktiv für seinen Plan, aber hey, man traf seinen Gefährten nicht alle Tage!

Aufgeregt zwitscherte Cayden, als die leichten Schritte näherkamen. Sofort begann sein Herz, ein paar Takte schneller zu schlagen. Eklig vollgekotzte Sportschuhe und Trainingshosen kamen in sein Blickfeld. Gleich darauf streifte ihn ein Duft, der alle seine Sinne aussetzen ließ und jedes Erbrochene überlagerte. Himmel! Mindestens! Oder sogar noch einige Stufen höher.

Das war er! Kein Zweifel möglich. Endlich hatte Cayden ihn gefunden. Seinen Gefährten. Er schoss unter dem Wagen hervor, seine geniale Strategie vollkommen vergessen.

Erst, als der Mann einen Schreckenslaut ausstieß – so süß! –, kam ihm sein Plan ihm wieder in den Sinn. Oh. Mist. Er hatte sich verletzt stellen wollen.

Der Mann lachte. »Meine Güte, hast du mich erschreckt, kleiner Kerl!«

Was für ein zauberhaftes Lachen! Was für eine tolle Stimme! Die war Cayden schon vorher aufgefallen, doch ohne Anspannung und Angst klang die gleich noch einmal so wundervoll. Warm und würzig, wie cremiger Chai. Ja, sorry. War nicht so geplant! Was musst du auch so gut riechen?

Hektisch sah der Mann sich um, vermutlich, um sicherzugehen, dass kein zweiter Grizzly auf ihn lauerte. Dann ging er in die Hocke und lächelte. »Hey. Bin ich heute ein Eichhörnchenmagnet? Erst das Kerlchen, das mir geholfen hat, nun du. Ebenfalls so ein schwarzes Fellbüschel.«

Hey! Empört sah Cayden ihn an und keckerte. Was heißt das? Erkennst du mich nicht?

Na gut, Menschen waren ziemlich unfähig beim Auseinanderhalten von Tieren. War halt so. Aber verdammt, er war nicht einfach irgendein Eichhörnchen! Er war …

Lockend streckte der Mann die Hand nach ihm aus, als würde das irgendetwas bewirken. Na ja, wäre Cayden ein normales Eichhörnchen, wäre er jetzt zurückgewichen. War er jedoch nicht. Seine Sehnsucht flammte auf; sofort hüpfte er näher.

»Du bist ja zutraulich!«, sagte der Mann leise, weil Cayden an seinen Fingerspitzen roch.

Mann, wie sollte er auch nicht? Das machte süchtig! Nach nur einem halben Atemzug! Gleich darauf schmiegte er sich gegen die Hand, als der Mann zu streicheln anfing. Oh, war das klasse! Das war perfekt. Cayden schmolz dahin. So hatte sein Plan nicht ausgesehen, doch das war viel, viel besser! Glücklich gurrte er.

»Mensch, ich kenne mich kein Stück mit Eichhörnchen aus.« Nervös sah sich der Mann erneut um, ehe er seine herrliche Aufmerksamkeit wieder auf Cayden richtete. »Aber das ist kein normales Verhalten. Offensichtlich bin ich heute der Magnet für kranke kleine Eichhörnchen. Warte, bist du jung?« Er legte den Kopf schief und sah Cayden an.

Cayden keckerte vergnügt. Was? Ist das 'ne Frage nach meinem Alter? Dreiunddreißig, nur kann ich dir das jetzt kaum begreiflich machen.

»Du bist bestimmt jung. Ich habe mal gelesen, dass junge Eichhörnchen, die ihre Mutter verloren haben, all ihren Mut zusammennehmen, um Hilfe bei Menschen zu suchen.« Ganz behutsam näherte sich der Mann einen winzigen Schritt in der Hocke und streckte die zweite Hand nach ihm aus.

Du hast echt keine Ahnung von Eichhörnchen. Cayden keckerte aufs Neue, konnte einfach nicht an sich halten. Das war zu lustig! Wenn er eindeutig nicht wie etwas aussah, war das wie ein Junges! Er war zu groß, zu wenig kindlich, hatte einen zu plüschigen Schwanz und … war überhaupt unbestreitbar erwachsen.

Aber gute Güte, wenn das den Mann dazu brachte, ihn mitzunehmen? Dann wollte Cayden auch gerne ein Junges mimen. Besonders, wenn das hieß, ihm nahe sein zu können.

Als der Mann sehr langsam die Hände um ihn schloss, dabei sogar den Atem anhielt, schmiegte Cayden sich begeistert in die warmen Handflächen. Keine Sorge, das ist perfekt, was du machst! Ich will alles, aber ganz bestimmt nicht flüchten. Ankuscheln klang schon eher nach einem Plan.

Mit purem Staunen im Gesicht hob der Mann ihn hoch. Kobel und Kerne, war das süß! Seine Augen wurden gleich noch einmal einen Ticken größer. Der Blick traf Cayden mitten ins Herz. Jetzt teilten sich zudem seine Lippen und formten ein stummes Oh. Sofort erwachte der Wunsch nach Küssen in Cayden. Das ging als Eichhörnchen natürlich gar nicht. Mist.

Sanft umfing der Mann ihn mit einer Hand und drückte ihn liebevoll gegen die Brust. »Hab keine Angst, Kleines«, sagte er leise. »Ich helfe dir. Ich passe auf dich auf und beschütze dich.«

Er kramte in seiner Tasche, Cayden hörte und fühlte es, dann klackten die Schlösser des Autos. Während der Grünschopf sich auf den Fahrersitz setzte, kuschelte sich Cayden weiter ein. Okay, es war offiziell. Hier, exakt hier an der Brust seines Gefährten, war er im Paradies angelangt. Die Wärme, die Nähe, der Duft, die Zärtlichkeit. Alles stimmte. Wieder gurrte er vor Wonne und sah in das schöne Gesicht empor.

Der Mann lächelte. »Ja, mach's dir bequem, Mini. Du bist in Sicherheit und darfst dich jetzt entspannen. Ich kümmere mich um alles. Als Erstes mal um Informationen, wie ich dir helfen kann. Und ich weiß sogar schon, wo genau ich die bekomme. Nick hat zwar eher Erfahrung mit Hamstern als mit Eichhörnchen, aber der wird uns bestimmt weiterhelfen, was einen Tierarzt oder so betrifft.«

Nick. Vergnügt zuckte Cayden mit der Nase. Er kannte auch einen Nick. Den Gefährten seines besten Freundes. Doch das wäre ja wohl zu viel verlangt, dass es sich um ein und dieselbe Person handelte.

Der Mann holte sein Handy hervor und wischte einhändig darauf herum.

Mit halb geschlossenen Augen beobachtete Cayden ihn. Hm, gerne hätte er jetzt irgendetwas gemacht. Nur würde das seine Tarnung auffliegen lassen. Und im schlimmsten Fall dazu führen, dass der Mann ihn aus dem Auto warf und auf Nimmerwiedersehen verschwand. Dumm, dass Geduld nicht gerade zu Caydens Stärken gehörte. Aber für seinen Gefährten würde er das schaffen! Und es gab wirklich schlechtere Orte als …

»Hallo, Schnucki!«, tönte eine fröhliche Stimme gedämpft aus dem Hörer. »Was verschafft mir die Ehre zu so ungewöhnlicher Stunde?«

Abrupt setzte Cayden sich auf. Den Mann kannte er! Das war Nick! Sein Nick! Oder eher Joshuas Nick. Woah!

Sacht schloss sein Mensch die Hand fester um ihn. »Shhh, Kleines, alles gut«, murmelte er, ehe er lauter sagte: »Süßer, ich brauche deine Hilfe. Ich habe ein junges Eichhörnchen aufgesammelt, glaube ich. Das hat sich quasi an mich angeschlichen und kuschelt nun mit mir. Weißt du, wohin ich mich damit am besten wende?«

»Ernsthaft, Lawrence?« Nick lachte leise. »Weil wir hier Hamster haben, bin ich jetzt Kleintierspezialist? Warte mal eben, ich googel schnell nach entsprechenden Fachleuten in der Nähe. Gibt bestimmt eine Art Joshua der Eichhörnchen irgendwo in Vancouver!«

Cayden zwitscherte amüsiert. Ja, theoretisch wäre das eine exzellente Idee. Joshua sammelte Hamster in Not ein, päppelte sie auf und vermittelte sie dann in gute Hände weiter. Theoretisch hätte Cayden seinem Gefährten da mindestens zwei geeignete Stellen nennen können. Er selbst hatte nicht die Geduld, sich um Babys zu kümmern. Doch wenn er über so kleine, verlorene Hascherl stolperte, konnte er die natürlich nicht ihrem Schicksal überlassen.

Nur er selbst hatte wenig Interesse daran, bei einer Pflegestelle zu landen. Die ihn zudem als erwachsenen Eichhornmann klassifizieren und zum nächsten Tierarzt bringen würde, weil er sich atypisch verhielt.

Aber Lawrence! Theoretisch kannte Cayden Lawrence. Nur gesehen hatten sie sich bisher noch nicht, was für eine Schande!

Glücklich schmuste er das Gesicht gegen die warme Brust. Der war Nicks bester Freund und damit alles, aber nicht aus der Welt. Cayden konnte ihn kontaktieren! Und das Tollste war, dass Nick dank Joshua bereits in die Anderswelt eingeführt war. Vielleicht hatte Lawrence etwas mitbekommen? Zumindest würde Cayden Schützenhilfe beim Einweihen seines Gefährten bekommen können, sollte etwas schiefgehen. Nicht, dass er gedachte, etwas schiefgehen zu lassen.

Im Hintergrund zählte Nick mehrere Anlaufstellen auf, die er offensichtlich gerade herausgesucht hatte. Heimlich kommentierte Cayden die mit ja, gut, auch gut, gar nicht gut, sehr gut, bis ihm aufging, dass er sich langsam auf die Pfoten machen sollte. Bevorzugt, ehe Lawrence eine Auffangstation auswählte.

Lawrence. Bis eben hatte Cayden nicht geahnt, wie wunderschön dieser Name war. Lawrence. Oder eher der ganze Mann. Selbst objektiv betrachtet war Lawrence unglaublich hübsch! Vermutlich. Wenn Cayden versuchte, durch den benebelnden Duft von Gefährte zu schauen. Okay, okay, das ging nicht, aber er hatte ihn immerhin schon attraktiv gefunden, bevor er gewusst hatte …

»Die letzte Stelle klingt am besten«, entschied Lawrence gerade. »Mann, wenn ich das hinter mir hab und das Kleine versorgt ist, rufe ich dich noch mal an, ja? Das ist nicht das Einzige, was passiert ist. Ich habe viel zu erzählen, ich warne dich vor!«

Oh. Mist. Jetzt musste Cayden wirklich weg. Obwohl er so gern einfach bei seinem Gefährten geblieben wäre! Doch da wäre die Trennung auch nur aufgeschoben. Half ja nichts. Vorsichtig robbte er sich in eine ein wenig bessere Position, dann sprang er mit einem Satz aus Lawrences Hand und auf sein Knie, von dort direkt auf den Boden.

Der erschrockene Ausruf seinen Gefährten hätte ihn fast gestoppt.

---ENDE DER LESEPROBE---