Bonsai Beasts - Hamsterherz - Kaye Alden - E-Book

Bonsai Beasts - Hamsterherz E-Book

Kaye Alden

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Beschreibung

Hamsterwandler Joshua stolpert nachts auf dem Nachhauseweg unvermittelt über seinen Gefährten. Zehn Sekunden lang wähnt er sich im Himmel – bis ihn eine Hauskatze zum Mitternachtssnack erwählt und die Verwandlung in einen Menschen vor Schreck nicht funktioniert. Glücklicherweise rettet Nick ihn. Der sanfte Krankenpfleger bringt ihn nicht nur in eine Tierklinik, sondern nimmt ihn anschließend liebevoll bei sich auf – in einem artgerechten Hamsterkäfig. In dem Joshua sich nicht verwandeln kann. Dumm gelaufen. Noch dümmer, dass Nick ihn „Fluffi“ tauft und ihm fortan bei jeder Gelegenheit sein Herz ausschüttet. Joshua muss entkommen, um jeden Preis, um Nick als Mann und nicht als Hamster für sich zu gewinnen!

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Epilog

Und jetzt?

Danke

 

Kapitel 1

 

Einzelgänger hatten nichts in Pubs verloren. Die meisten Wandler um Joshua herum waren dementsprechend Rudel-, Schwarm- und Gruppentiere: Mäuse, Ratten, Chinchillas, Spatzen. Alles, was klein war, fand im Bonsai Beast nach Feierabend ein zweites Zuhause.

Hamster wie er waren eher selten anzutreffen. Aber manchmal zog es auch Joshua hierher. Besonders nach einer zu langen Woche mit viel zu vielen Stunden im Krankenhaus, davor waren selbst Personalsachbearbeiter nicht gefeit.

Ebenso wenig wie dagegen, im trüben Sumpf zu versinken, weil er seinen Gefährten noch immer nicht gefunden hatte. Joshua fühlte sich wie ein Fehlschlag. Seine Zwillingsschwester war mit ihrer Gefährtin glücklich in Toronto, seine großen Brüder wohnten mit ihren Gefährtinnen nun an der Ostküste.

Nur er hing nach wie vor allein herum und wurde bedrohlich älter. Dreißig schon, vor einer Woche geworden. Sein Verfallsdatum rückte näher. Ungebundene Wandler wurden nicht alt, kurzlebige wie Hamster noch viel weniger.

Joshua trank einen Schluck Bier. Two Wolves. Die meisten Kleinwandler mochten es, den Spieß einmal umzudrehen und große Raubtiere zu fressen. Selbst wenn es nur in Form von veganer Flüssigkeit war. Joshua auch.

Er hätte bei Cayden anklingeln sollen, ob der Lust hatte, eben mitzukommen. Mit seinem besten Freund ließ es sich viel besser gegen Frust antrinken, und als Eichhörnchenwandler konnte der natürlich ebenfalls ins Bonsai Beast. Jetzt war es zu spät und Joshua müde. Kein Wunder nach der Woche.

Er gähnte und leerte sein Glas. Zeit, zurück ins Krankenhaus zu huschen, sich anzuziehen und nach Hause zu fahren. Zum Glück hatte er das Wochenende frei. Da durfte er endlich wieder ausschlafen, statt um fünf Uhr morgens – also mitten in seiner Nacht – auf der Matte stehen zu müssen. Joshua war Nachtmensch, und meistens gab das keine Probleme, denn viele Kollegen wollten lieber Frühschichten arbeiten. Doch es klappte eben nicht jedes Mal.

»Noch eins, Josh?« Oscar, der glatzköpfige Ochsenfrosch-Wandler und Besitzer des Pubs, schenkte ihm von hinter der Theke ein breites, sonniges Grinsen. Seine hervorstehenden Augen schienen immer in unterschiedliche Richtungen zu schauen, obwohl er kein Chamäleon war.

Joshua schüttelte den Kopf. »Das war’s für mich. Danke. Zieh’s von der Kreditkarte ab, okay?« Das war ein großer Vorteil hier – viele Wandler kamen in Tierform und damit ohne Geld. Wenn man seine Daten hinterließ, ging das Bezahlen ab dem zweiten Besuch jedoch sehr unkompliziert ohne Hickhack.

Oscar nickte und machte sich eine Notiz. »Komm gut heim, pass auf dich auf.«

»Immer.« Joshua grinste. »Schönen Abend noch und nur nette Gäste.«

Bis zum Krankenhaus war es nicht weit. Was sollte da schon passieren? Inmitten von Vancouver gab es kaum freilaufende Hunde und Katzen, und gegen anderes Kleingetier wie Ratten kam er gut an. Kampfhamster hatte ihn Cayden einmal genannt. Und im Zweifelsfall konnte er sich immer noch verwandeln. War zwar nicht toll, splitterfasernackt auf der Straße zu stehen, aber ein Ausweg.

Er schob sich durch den vollen Schankraum, während Stimmengewirr um ihn herumwusch, gedämpfter als in normalen Kneipen. Wandler hatten fast durch die Bank weg feine Ohren. Er winkte einem Bekannten zu, dann bog er in den Gang ab, der zu den Toiletten und den Umkleiden führte. Männer und Frauen brav getrennt, weil das die Vorgabe der Behörden war, obwohl die meisten Wandler ein sehr unkompliziertes Verhältnis zu Nacktheit hatten. Ging wohl mit der Wandlung einher. Zusätzlich gab es einen dritten Raum für alle, die sich weder dem einen, noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlten, und für jeden, der wollte.

Er war ganz vorne, also nahm Joshua diese Tür. Gähnend warf er den Kaftan, den das Bonsai Beast für in Tiergestalt ankommende Gäste bereithielt, in einen der Wäschekörbe. Auch das eine Vorgabe der Behörden; nicht zu viel Nacktheit. Er stellte die Leih-Schlappen daneben ab und wandelte.

Der Raum um ihn verlor an Farbe, schien zu wachsen. Alles, was sich weiter als einen Meter von seiner Nase entfernt befand, wurde unscharf. Dafür nahmen die Gerüche drastisch zu. Joshua roch, dass vor kurzem ein Fuchs hier gewesen war, mehrere Ratten und ein Tier, das er nicht einordnen konnte. Außerdem gewann jedes Geräusch an Lautstärke.

Fröhlich wackelte er einmal mit den Ohren. Dann huschte er zu dem Tunnel hin, der den Keller, in dem das Bonsai Beast lag, mit der Straße verband. Wandler, die größer als kleine Katzen oder Hunde waren, passten schlicht nicht hindurch. Diese zugegebenermaßen nicht wirklich faire Vorsortierung machte das Publikum familiär. Alle waren mehr oder minder gleich. Menschliche Gefährten oder Freunde konnte man durch den Hintereingang mitnehmen.

Zwei Mäuse huschten an ihm vorbei, sie hatten die Schwänze miteinander verwunden. Ganz offensichtlich frisch verbunden, die beiden, der Geruch war eindeutig.

Joshua unterdrückte ein fröhliches Schnattern. Er liebte es, vereinigte Gefährten zu sehen. Klar machte es ihn ein wenig neidisch, aber mehr noch freute es ihn. Gefährten gehörten einfach zusammen, und irgendwann würde er seinen eigenen auch finden. Jawohl.

Am Eingang hielt er an und schnupperte nach draußen. Asphalt, Abgase, abgeschabtes Gummi von Reifen, Diesel, Hundeurin. Nichts Ungewöhnliches. Dazu natürlich der Geruch der zahlreichen Tiere, die hier aufgrund des Pubs verkehrten. Wachsam drehte und wendete er die Ohren. Motorenbrummen, trotz der späten Stunde. Schritte und leicht trunkene Stimmen einer Gruppe Menschen weiter weg, vermutlich auf dem Weg zum nächsten Club.

Er huschte nach draußen, aus dem Schutz des Ganges, und flink am Haus entlang. Joshua liebte es, als Hamster unterwegs zu sein. Die Welt wurde eine andere, zeigte neue Facetten durch seine schärferen Sinne und dadurch, dass er nicht viel sah.

Er schnupperte. Mmh, Körner. Geröstet. Fast wäre er abgebogen und dem verlockenden Duft gefolgt. Bestimmt hatte sie jemand von einem gesunden Burger verloren. Aber das hieß nicht, dass sie von der Straße gefuttert gesund blieben. Trotzdem hatte er immer das Bedürfnis, Essen in die Backentaschen zu stopfen, sobald er an etwas vorbei kam, das gut roch.

Als er Schritte hinter sich hörte, wuselte er hastig hinter einem Blumenkübel in Deckung. Ratten und Mäuse wurden von Menschen ignoriert und in Ruhe gelassen. Hamster hingegen schienen greifende Hände und Rufe wie »Oh, wie niedlich! Das arme Kerlchen!« magisch anzuziehen. Als wollte er von jedem angefasst werden!

Die Schritte kamen näher.

Etwas über Joshua raschelte. Er zuckte zusammen, hob den Kopf, schnupperte. War das …

Im nächsten Moment stieg ihm ein verlockender, herber Duft in die Nase, der jeden anderen Sinneseindruck überlagerte. Sein Fell richtete sich auf, bis er sich wie ein kleiner Plüschball fühlte. Aufgeregtes Zittern erfasste ihn, alle Zellen in ihm begannen zu kribbeln.

Das war der Mensch, der da gerade an ihm vorbei ging! Ein Mann, sowohl vom Geruch als auch von der verschwommenen Gestalt her. Himmel, der duftete besser als die süßesten Körner, besser als Geschwisterkuschelhäufchen, besser als alles, was Joshua je erschnuppert hatte! Sein Herz begann zu pochen.

Er konnte nicht widerstehen, huschte dem Mensch hinterher. Er musste näher an ihn herankommen, musste mehr von diesem Duft einatmen. Der Mann roch wie ein Aphrodisiakum mit umgehendem Suchtfaktor. Das war es, genau! Unglaublich, dass jemand so einen Eigengeruch haben konnte. Absolut unmöglich eigentlich. Aber da lief der Kerl vor ihm her und hinterließ diese Duftspur, ohne zu ahnen, dass ein kleiner Hamster hinter ihm gerade beschloss, dass das Paradies zwei Beine hatte und …

Ein dumpfes Pochen von Pfoten auf Asphalt brachte den scharfen Gestank nach Katze mit sich.

Erschrocken quiekte Joshua auf, fuhr herum. Im nächsten Moment spürte er brennenden Schmerz, als Krallen seine Flanke aufschlitzten. Der Schlag hob ihn an, schleuderte ihn durch die Luft. Hart landete er auf dem Boden, der Atem wurde in einem lauten Quietschen aus seinen Lungen gepresst.

Scheiße, verdammt! Wo kam diese Pest her? Und wieso hatte er sie nicht bemerkt? Fuck, tat das weh! Joshua kämpfte sich zurück auf die Pfötchen, taumelte herum und starrte in ein Maul voll riesiger, gebleckter Fangzähnen unter gelben Augen.

Verwandeln. Jetzt! Egal, ob der Mensch ihn dabei sah! Stattdessen schnatterte er wütend und hilflos die Katze an, ehe er reflexartig die Backen aufplusterte, um größer zu wirken. Der Schmerz in seiner Seite machte es ihm schwer, sich zu konzentrieren. Irgendwie war das nicht das, was er sich vorgestellt hatte im unwahrscheinlichen Falle eines Angriffs. Verdammt! Er musste …

Die Katze zuckte mit der Pfote vor, und Joshua biss beherzt zu. Leider war das Monster schneller. Joshua schaffte es nicht, die Zähne in einen empfindlichen Ballen zu schlagen. Das hätte sie bestimmt auf Abstand gebracht. Wollte die ihn fressen? Wollte die spielen? Warum war die überhaupt auf der Straße? Das war gefährlich! Die konnte ruckzuck unter ein Auto geraten! Was für unverantwortliche Besitzer ließen diese Pest nach draußen?

Sie duckte sich, der Hintern ging hoch, der Schwanz peitschte aufgeregt hin und her. Stinkender Atem erreichte Joshua, bereitete ihm Übelkeit.

Scheiße, verdammt! Jetzt! Verwandeln! Jetzt! Er konzentrierte sich auf seinen Menschenkörper, auf lange Beine, kräftige Arme, einen gestreckten Körper und glatte Haut … Schmerz in seiner Seite. Adrenalin in seinen Adern. Der Gestank nach Katze. Ein Fauchen, das Summen von sich anspannenden Muskeln.

 

Kapitel 2

 

Ein hartes Klatschen ließ ihn und die Katze gleichermaßen zusammenzucken. Laute Schritte trampelten heran.

»Hey! Weg von dem kleinen Kerl!«, dröhnte eine endlos süße Männerstimme irgendwo weit über Joshua.

Trotz aller Schmerzen und all des Adrenalins war ihm klar, dass er noch nie eine schönere gehört hatte. Nie! Oder vielleicht auch genau deswegen. Denn die Katze wich fauchend zurück. Okay, eventuell war es doch nicht so schlecht, dass Hamster zugreifende Hände anzogen. Eine Ratte hätte der Mann bestimmt nicht verteidigt.

»Wo bist du denn ausgebüchst, du Flauschkugel?« Der Mann lächelte, Joshua konnte es hören. Der Mensch ging in die Hocke, dann schlossen sich behutsam schlanke Finger um Joshua. »Alles in Ordnung mit dir?«

Joshua hatte gleichermaßen das Bedürfnis, warnend zu schnattern und sich in die warmen Handflächen zu schmiegen. Doch im nächsten Moment überwog das Gefühl von vollkommener Geborgenheit. Als könnte ihm nichts mehr geschehen, weil ein Wildfremder ihn hochgehoben hatte.

Aus der Nähe war der Duft noch viel berauschender. Wenn nur nicht gerade alles so höllisch schmerzen würde! Es fühlte sich an, als sei seine linke Seite komplett aufgerissen.

Der Man hob ihn dichter an sein Gesicht. Er lächelte wirklich, jetzt konnte Joshua es erkennen. Und wie er lächelte! Mit sanft geschwungenen, energischen Lippen, die Joshua selbst als Hamster echt küssenswert fand. Hätte es nicht so wehgetan, hätte er sich aufgerichtet, um ihm noch ein wenig näher zu kommen.

Dunkle Augen schimmerten. Fältchen zeichneten sich in den Augenwinkeln ab, die zeigten, dass der Mann gerne lachte. Warmer Atem streifte Joshuas aschblondes Fell und brachte unvergleichliche Süße mit sich. Himmel, mit was putzte der Kerl die Zähne? So gut, wie das roch, musste da Magie mit im Spiel sein! Vor allem, da das anhielt, obwohl Joshua Cocktails wittern konnte.

»Ach, du Scheiße, du blutest ja, Fluffi! Hat dich die Katze doch erwischt?« Der Mann hob ihn noch näher an sein Gesicht.

Küss es weg? Joshua hob den Kopf und schaffte es, die Nase des Mannes mit seiner anzustoßen. Ein Prickeln rann durch seinen Körper. Oh Mann, der Kerl musste etwas im Deo haben, das ihn umnebelte! Das war doch nicht normal!

Als der Mann lachte, fühlte er das Kribbeln erneut. Heftig. Das war aber auch schön, dieses Lachen! Warm und klar und einfach perfekt.

»Du bist ja ein Süßer. Halbtot und trotzdem total zahm. Mensch, erst mal müssen wir jetzt schauen, dass wir dich versorgt bekommen.« Sacht hielt der Mann ihn mit einer Hand gegen die Brust gedrückt, während er mit der anderen sein Handy hervorholte.

Joshua hörte das leise Streichen seiner Fingerkuppen auf dem Display. Mmh, die sollten lieber durch sein Fell streicheln. Nein, was dachte er da! Ein Arzt war wichtiger. Der Blutverlust musste größer sein, als er gedacht hatte, so leicht, wie sich sein Kopf anfühlte und so dumme Gedanken, wie er hatte. Bestimmt lag er schon halb im Delirium. Aber was für ein tolles Delirium. Das durfte gerne noch ein wenig anhalten.

Eingehüllt in die Wärme und den Duft des Fremden, sicher gehalten von einer sanften Hand konnte er fast ignorieren, dass er offensichtlich gerade im Sterben lag. Dumm nur, dass ihn der Schmerz immer wieder daran erinnerte, sobald sich einer von ihnen bewegte. Joshua oder der Mann.

»Ah, da ist eine Tierklinik nur zwei Straßen weiter, Fluffi. Die haben einen Notdienst, perfekt. Halte durch, ja? Gleich bekommst du Hilfe.« Der Mann starrte auf sein Handy, orientierte sich kurz und marschierte los.

Uh, vorsichtiger. Autsch, das tut weh! Joshua ächzte, unhörbar für einen Menschen mit dessen unempfindlichen Ohren. Das Gefühl von sicherer Geborgenheit verflog. Jede Erschütterung jedes Schrittes riss an seiner Seite. Scheiß Katze! Drecksvieh!

Der Weg war nicht weit, aber er wurde zur Hölle. Mit jedem Meter schien Joshuas Flanke tiefer in Feuer getaucht zu werden. Da half auch der süße Duft des Fremden nicht viel. Joshua war ihm endlos dankbar, dass er den Aufzug in den zweiten Stock zur Praxis nahm und nicht die Treppen.

»Ist sanfter für dich, denke ich mal«, murmelte der Mann. »Halte durch, Kleiner, ja? Nicht aufgeben. Aufgeben gilt nicht.«

Joshua nickte schwach. Natürlich würde er nicht aufgeben. Kam gar nicht in Frage. Er hatte zwölf Pflegehamster daheim, die warteten auf ihn. Die brauchten ihn. Außerdem wollte er diesen gut duftenden Mann kennenlernen. Das ging nicht, wenn er jetzt an ein paar Kratzern verreckte.

»Ich fasse das als eine Zustimmung auf, Flauschkugel!« Der Mann lächelte und strich ihm sehr behutsam mit einer Fingerkuppe über den Kopf.

Toll. Herrlich. Mehr! Wenn nur diese Schmerzen nicht wären! Dennoch tat es gut, weil der Mann einfach weitermachte. Es war tröstlich und irgendwie beruhigend. Da störte selbst der sterile Geruch der Tierarztpraxis nicht, in den sich neben Desinfektionsmittel der Gestank der Angst von Hunden, Katzen und anderen Tieren mischte, obwohl es nächtlich leer war.

»Hi, ich bin Daniel. Willkommen bei uns. Wie heißt der kleine Patient?«, fragte der Tierarzthelfer, der die Daten aufnahm.

»Fluffi.«

Was? Vor Empörung hätte Joshua seinem Retter fast in den Finger gebissen. Der Kerl hatte ja wohl eine Meise! Fluffi? Als Name? Dummerweise hatte Joshua keine Kraft, um seinen Unmut effektiv kundzutun. Egal. War ja nur für diesen kurzen Besuch hier.

»Ich habe ihn gerade vor einer Katze gerettet. Er gehört mir eigentlich nicht. Aber ich zahle für seine Behandlung. Ich bin Nick Bennett. Ihr könnt ihm helfen, ja?« Der Mann klang richtig besorgt.

Nick. Schöner Name. Tröstend kuschelte sich Joshua ein wenig mehr in seine Hand. Ich halte schon durch, hab keine Angst. Mensch, war der süß! Obwohl er ihn als Fluffi hatte eintragen lassen.

»Wir werden alles für ihn tun, was wir können. Sollte er eine Narkose brauchen, willst du die günstige Standardvariante mit Spritze oder die schonendere Version per Inhalation? Bei Kleintieren ist so eine Betäubung nicht ohne, muss ich sagen. Ich würde trotz des Preises zur Inhalation raten.« Der Tierarzthelfer beugte sich zu Nicks Händen, um einen genaueren Blick auf Joshua zu werfen.

Danke, keine Narkose. Böse funkelte Joshua ihn an. Darauf konnte er echt verzichten. Er hatte ‘ne aufgeschlitzte Seite, aber das war mit ein paar Stichen zu richten.

»Dann auf jeden Fall Inhalation.« Behutsam streichelte Nick ihn mit dem Daumen, als hätte er Joshuas Unmut gespürt. »Dem Kerlchen soll nichts passieren, der hat genug mitgemacht, der Arme.«

Joshua schmolz in seinen Händen dahin. Der Mann war Zucker pur!

»Gut. Dann wollen wir den kleinen Patienten mal direkt ins Behandlungszimmer bringen«, sagte der Tierarzthelfer freundlich und winkte Nick, ihm zu folgen.

Die Ärztin wartete bereits auf sie.

Behutsam legte Nick Joshua auf einem kalten und sehr ungemütlichen Metalltisch ab. Joshua fand das alles andere als akzeptabel, der Wärme und Nähe beraubt zu werden. Aber musste ja sein. Er verkniff sich ein empörtes Quieken ebenso wie die Anstrengung, zurück zu Nick zu krabbeln.

Eigentlich wäre doch jetzt der perfekte Moment, sich zu verwandeln. Splitterfasernackt vor dem hübschen Mann ausgestreckt, ob der das verlockend fand? Na ja, die Ärztin störte. Und die Wunde in Joshuas Seite.

Stattdessen untersuchte ihn die Frau, was nicht halb so angenehm wie Nicks sanftes Streicheln war. Ihre Hände stanken nach Desinfektionsmittel. Musste wohl. Aber Joshua hasste den Geruch. Trotzdem ließ er die Prozedur über sich ergehen. Inklusive eines ätzend direkten Blicks auf seine Privatausstattung.

»Du hast ein Böckchen gefunden, Nick.« Die Frau lächelte. »Und einen sanften Kerl, der ist ja richtig zahm. Das bekommen wir hin. Immerhin hat er keinen Biss abbekommen. Ich muss die Seite rasieren und den kleinen Mann nähen. Außerdem braucht er ein Langzeitschmerzmittel und vorsichtshalber Antibiotikum. Katzenkrallen können fies sein.«

Das fand Joshua auch. Toll, Rasur. Ugh. Klar, war notwendig, doch bei den großzügigen Ärzten hatte er danach bestimmt auf der linken Brust keine Haare mehr. Nicht, dass er viel hatte, aber mochte seinen Flaum!

»Wenn sich nichts entzündet, sollte es deinem kleinen Freund in ein paar Tagen besser gehen.«

Klang alles gut. Hervorragend. Dankbar blinzelte Joshua zu ihr hoch, obwohl er außer blondem Haar kaum etwas erkennen konnte. Doch die Frau hatte eine nette, warme Stimme. Die Klinik würde er sich merken, falls er mal mit seinen eigenen Hamstern einen Aushilfstierarzt brachte und sein Haus- und Hoftierarzt spontan schloss. Mit denen konnten gar nicht so viele Ärzte umgehen.

»Wir werden ihn in Narkose legen, geht nicht anders. Obwohl ich das bei Kleintieren gerne vermeide. Inhalation, ja?« Sie warf einen Blick auf die Patientenakte, die Daniel ihr hingelegt hatte.

Auf keinen Fall! Die paar Stiche hielt Joshua auch so aus! Er würde sich hier nicht in die Bewusstlosigkeit schießen lassen! Klar, bei echten Hamstern war das notwendig, aber nicht bei ihm, verdammt noch mal! Am Ende verschwand Nick, und Joshua saß in einer Tierarztpraxis fest und wusste nicht, wohin der Kerl ging! Ein Name reichte nicht weit. Nicht einmal ein so hübscher wie Nick Bennett.

Energisch wollte Joshua sich freimachen, doch die Tierärztin hatte ganz offensichtlich Erfahrung mit wuseligen Kleintieren. Und Joshua eindeutig ein Handycap.

Sie lachte, hob ihn mit sicherem Griff hoch. »Daniel, gib mir mal die Narkosekammer rüber, bevor der Racker seine Kraft wiederfindet und abhaut.«

Gleich darauf saß Joshua in einem Plastikbehälter. Er kannte das Mistding. Da würden die das Narkosegas einleiten, und das war es! Aber verdammt, er konnte sich unmöglich jetzt hier auf dem Tisch verwandeln, egal wie reizvoll die Idee war. Die drei Menschen bekämen einen Herzinfarkt. Und es würde die Kammer sprengen, die die Ärztin für echte Notfälle brauchte. Nur wie sonst könnte er …

Nick beugte sich vor und hielt sein Gesicht ganz dicht vor die Plexiglasscheibe. So ein süßes Gesicht! Er lächelte und brachte Joshuas Herz gleich wieder zum Hüpfen. »Hab keine Angst, Fluffi. Du bist hier in guten Händen.«

Joshua richtete sich an der Scheibe auf, egal, wie sehr seine Flanke schmerzte, und presste die Pfoten dagegen. Nimm mich raus, verdammt! Lass mich nicht hängen!

Daniel lachte. »Dafür, dass du ihn eben erst gefunden hast, scheint er schon einen Narren an dir gefressen zu haben.«

»Tiere spüren, wer es gut mit ihnen meint«, sagte die Ärztin.

Nicks Lächeln vertiefte sich, er legte zwei Fingerspitzen an die Stellen, an denen Joshuas Pfoten ruhten. »Ich bleibe bei dir, bis du schläfst, in Ordnung?«

Nee, hol mich schön mal raus. Erbost schnatterte Joshua. Gleich darauf streifte ihn ein weiterer, unendlich beängstigender Gedanke.

Was, wenn die die Chance nutzten, um ihn in einem Aufwasch zu kastrieren? Seine empfindlichen Weichteile zogen sich zusammen, wollten förmlich in seinen Körper reinkriechen. Nee, das würden die nicht riskieren. Eine Wunde reichte, das wäre zu gefährlich. Hamster wurden im Normalfall nicht kastriert, wenn keine medizinische Notwendigkeit vorlag. Aber was, wenn die sich nicht daran hielten?

»Shh, alles gut«, murmelte Nick.

Joshua stellte fest, dass sich sein Fell wieder gesträubt hatte. Normale Teddyhamster machten das nicht, aber bei ihm funktionierte das wunderbar, wenn er sich aufregte. Er sah aus wie ein nervöser Plüschball!

Scheiß auf den dreifachen Herzinfarkt und die Narkosekammer! Er würde nicht das Risiko eingehen, ohne seine Kronjuwelen aufzuwachen!

»Gleich geht’s dir besser, Kerlchen«, sagte die Ärztin liebevoll und hielt einen Schlauch in die Box.

Oh Scheiße! Joshua fuhr herum, starrte die drohende Öffnung an, die etwas von einem Schlangenmaul hatte. Verwandlung! Jetzt!

Stattdessen nebelte sein Kopf ein. Die Gerüche wurden dumpf, die Laute um ihn her verblassten. Dann wurde alles schwarz.

 

Kapitel 3

 

Eigentlich war Nicks Nacht zu kurz gewesen. Erst ein Absacker mit seinem besten Freund Lawrence, der natürlich wieder einmal viel länger geworden war als geplant. Bis nach Mitternacht hatten sie sich verquatscht. Dann die Aufregung um den süßesten Hamster, den Nick je gesehen hatte. Was für ein niedlicher Flauschball mit seinem sandfarbenen Plüschfell, den runden Öhrchen und den zauberhaften Knopfaugen!

Uneigentlich sprang Nick bereits um acht Uhr energiegeladen mit dem ersten Weckerklingeln aus dem Bett. Und zwar wegen des Flauschballs. Die Ärztin hatte den Hamster sicherheitshalber über Nacht dabehalten, um ihn nach der Narkose beobachten zu können. Falls es Komplikationen geben sollte.

Nick war das recht, er hatte ohnehin nichts für die Hamsterpflege daheim. Erst einmal musste er einkaufen, denn natürlich würde er Fluffi aufnehmen. Auf keinen Fall blieb der in der Tierklinik und wartete darauf, dass vielleicht jemand kam, um ihn mitzunehmen. Seine vorherigen Besitzer konnten weggezogen sein. Oder wohnten in einem ganz anderen Stadtteil. Oder sie hatten den Süßen gar ausgesetzt!

Nick wanderte ins Bad und weckte sich mit einer Dusche richtig auf. Noch kürzer war die Nacht dadurch geworden, dass er – schon im Bett – weit über eine Stunde auf Hamster-Pflege-Seiten unterwegs gewesen war. Schließlich wollte er herausfinden, was genau er besorgen musste. Bei Hamsterherz war er fündig geworden. Der Mann betrieb eine Pflegestelle und hatte detailliert aufgelistet, was Nick benötigte. Inklusive der Angabe, dass die kleinen Fellkugeln weitaus mehr Platz brauchten, als Nick erwartet hatte.

Unglücklich dachte er an seinen alten Hamster Plüschi zurück, der in einem winzigen Plastikkäfig dahinvegetiert war. Natürlich war das nicht gut gegangen. Aber dieses Mal würde Nick alles richtig machen!

Entschlossen starrte er sich im Badezimmerspiegel in die dunklen Augen und nickte sich zu. »Jawohl! Dieses Mal keine halben Sachen! Fluffi bekommt ein Paradies.«

Kunstvoll verwuschelte Nick sein braunes Haar mit den blondierten Spitzen mit einem Hauch Gel. Er sollte mal wieder färben. Der Grünstich der letzten rausgewaschenen Tönung wurde langsam richtig unansehnlich. Aber das hatte Zeit.

In Jeans und ein enges, sonnengelbes Langarmshirt gekleidet warf er sich samt Handy im Wohnzimmer auf das Sofa. Zuerst klingelte er bei der Tierklinik durch und erkundigte sich nach dem Patienten. Zu seiner endlosen Erleichterung ging es dem Kleinen gut. Der war putzmunter aus der Narkose erwacht und hatte sogar schon ein wenig gefressen. »Ich hole ihn gegen Mittag ab, sobald hier alles steht, ja?«

»Klar, Nick.« Daniel lächelte, Nick konnte es hören. »Bis nachher dann.«

»Bis nachher.« Der Tierarzthelfer war süß und schwul oder bi. Nick hatte beim Gehen ein wenig mit ihm geflirtet. Flirten machte Spaß.

Doch auch dieser Mann ließ sein Herz nicht schneller schlagen. Wie irgendwie gar kein Mann. Manchmal trieb Nick das in den Wahnsinn. Er stand auf Männer, und zwar ausschließlich. Er liebte Sex. Aber er verliebte sich nicht.

Dabei sehnte er sich nach einer Beziehung. Danach, einen Mann an seiner Seite zu haben, mit dem er kuscheln konnte. Herumknutschen. Mit dem er morgens zusammen aufwachte und abends ins Bett ging. Mit dem er sein Leben teilen konnte. Der vor allem sein Herz schneller schlagen ließ.

Hin und wieder hatten Lawrence und er Sex. Beste Freunde mit gewissen Vorzügen eben. Sie waren vertraut. Sie konnten kuscheln. Aber sie liebten sich nicht auf romantische Art. Nicht auf prickelnd heiße. Vermutlich würde ihre Freundschaft bis ins Grab halten, doch Nick wollte sich nichts weniger vorstellen, als ihn zum Partner zu haben. Das passte einfach nicht. Dafür war Lawrence der beste Freund, den er sich erträumen konnte. War Not am Mann, durfte er ihn auch um drei Uhr morgens aus dem Bett klingeln.

Nick warf einen Blick auf die Uhr. Jetzt war es halb neun. Perfekt. Er wählte durch.

»Oy, Süßer, alles okay?« Ups, Lawrences Stimme kam ziemlich verschlafen durch den Äther.

Verdutzt hob Nick die Brauen. Eigentlich war der Kerl doch Frühaufsteher! »Warum schläfst du noch?«

Lawrence lachte. »Es ist Samstag. Ich habe frei. Und ich war gestern erst gegen drei im Bett.«

Ui, ähnlich wie Nick. »Sorry! Aber jetzt bist du eh wach. Schnucki, ich brauche deine Hilfe. Ich muss einen Hamsterkäfig kaufen. Den kann ich nicht gut alleine schleppen.«

»Was musst du? Und warum an einem Samstagmorgen? Außerdem … Hamsterkäfig?« Lawrence klang verwirrt und noch immer etwas schlafduselig. »Ist das für eines deiner Cosplays?«

Jetzt musste Nick lachen. »Nein. Und es kann nicht warten. Das ist ein Notfall.« Nachdem er Lawrence die Situation geduldiger erklärt hatte, war es natürlich keine Frage mehr, dass sein Freund mitkam. Echt, der Kerl war ein Held! »Ich hole dich in zwanzig Minuten ab. Ist das okay? Reicht das? Wir machen einen kurzen Zwischenstopp bei Tim Hortons für einen großen Kaffee und Muffins, in Ordnung? Ich lade dich ein.«

Lawrence gluckste. »Geht klar. Ich bin bestechlich, weißt du ja.«

 

Eine gute Stunde später parkte Nick seinen Sedan auf dem Parkplatz des etwas außerhalb gelegenen PetSmart. Der Shop war gigantisch, entsprechend groß sollte die Abteilung für Kleintiere sein. Die Online-Bewertungen hatten auf jeden Fall eine reichhaltige Auswahl versprochen.

Lawrence trank seinen letzten Schluck Kaffee, zerwühlte mit schlanken Händen sein rotes Haar, bis es aussah, als sei er eben erste aus dem Bett gestiegen, und glättete es wieder. »Okay, ich bin für jede Schandtat bereit. Und auf der Rückfahrt will ich einen zweiten Kaffee.«

Nick lachte und ließ den Motor ersterben. »Kein Thema. Aber auch nur zum Mitnehmen. Ich will Fluffi so schnell wie möglich aus dem Minikäfig bei der Tierärztin rausholen.«

Bestimmt war der Kleine total nervös. Die meisten Tiere gingen doch nicht gern zum Arzt, weil sie keine Ahnung hatten, was dort geschah. Außerdem war es laut und wuselig, während Hamster tagsüber schliefen. Ein wenig wie Nick, er mochte Spätschichten auch lieber. Als Krankenpfleger war das zwar immer ziemlich stressig, aber es kam seinem persönlichen Rhythmus echt entgegen.

Als sie den Laden betraten, umfing sie ein Geruch nach Streu und Plastik, vermutlich von all den Umverpackungen und eben all dem Plastikzeug, was man so für die lieben Fellnasen kaufen konnte. Noch war recht wenig los. Zielstrebig hielt Nick auf die Abteilung zu, die mit Kleintiere beschriftet war. Er holte das Handy aus der Hosentasche und rief seine Einkaufsliste auf. Sie war lang. Treu lenkte Lawrence den Einkaufswagen hinter ihm her.

»Ich habe die Kommode gegenüber dem Fernseher ausgemessen. Perfekt wäre es, wenn ich was mit den exakten Maßen fände.« Nick scrollte einmal durch, dann hielt er die Liste Lawrence unter die Nase. »Hier, das brauche ich alles.«

Sein Freund lachte. »Das wird ein Großeinkauf! Wenn du etwas machst, machst du es richtig, was?«

»Der hat genug Stress gehabt«, antwortete Nick resolut. »Jetzt braucht er Ruhe. Oh, schau! Kauspielzeuge und Chinchillasand! Hervorragend!«

Vorsichtshalber nahm er gleich eine große Auswahl an natürlichen Kauspielzeugen mit. Wer wusste schon, was Fluffi bevorzugte? Dieses Mal wollte er alles richtig machen. Nicht noch einmal tödliche Fehler! Außerdem wählte er das größte Laufrad, das er finden konnte. Syrische Teddyhamster brauchten Platz, hatte Hamsterherz geschrieben.

Geduldig folgte Lawrence ihm, während Nick ein Sortiment an Höhlen, Schälchen, Spielzeugen und Holzbrücken in den Wagen lud.

»So, was noch?«, murmelte Nick und ging die Liste durch. »Leckerlis habe ich, Futter hab ich, Streu in drei Varianten hab ich auch. Bin ich durch?«

Lawrence gluckste und deutete den Gang hinab. »Wie wäre es mit dem Käfig? Oder willst du ihm dein komplettes Schlafzimmer zur Verfügung stellen? Verliebt genug erscheinst du mir gerade.«

»Oh!« Verdutzt sah Nick auf seine Liste, dann lachte er. »Der war so selbstverständlich, den habe ich nicht aufgeschrieben! Und jetzt hätte ich ihn fast vergessen! Danke.«

»Du passt zu deinem Hamster«, brummte Lawrence amüsiert. »Der ist außen flusig, du bist es im Kopf.«

»Hey!« Kichernd stieß Nick ihn an. »Schnucki, sei vorsichtig mit dem, was du sagst!«

»Du musst zugeben, ich habe recht.« Liebevoll legte Lawrence ihm einen Arm um die Schultern und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. »Das Größte und Wichtigste zu vergessen, das schaffst auch nur du, Süßer.«

»Hätte ich nicht! Ich hätte es spätestens an der Kasse gemerkt!« Nick grinste. Beim Bezahlen. Der Käfig – oder eher das Terrarium, das ihm vorschwebte – war immerhin das Teuerste am ganzen Einkauf. Zumindest als Einzelpreis. Der Kleinkram dürfte sich tüchtig summieren.

»Schwuchteln«, knurrte eine dunkle Stimme und ließ ihn zusammenzucken. »Wenn ihr schon rumschwulen müsst, macht das zu Hause und nicht in der Öffentlichkeit.«

Nick versteifte sich. Die Fröhlichkeit rann aus ihm hinaus. Mit einem Schlag fühlte er sich wieder wie fünfzehn, als sein Lieblingsonkel George ihn nach seinem Coming Out mit kalten Augen angesehen und ihn ekelhaft und unnatürlich, wider Gott und die Natur genannt hatte.

Es wurde nicht viel besser, als er sich zu einem Mann umdrehte, der ein kleines Mädchen an der Hand hielt. Der Kerl war genauso braunhaarig mit grauen Schläfen wie Onkel George, ebenfalls um die Vierzig. Nick sah seinen Onkel nur noch selten, ausschließlich auf Familienfeiern, vor denen er sich nicht guten Gewissens drücken konnte. Der Kerl hatte die gleichen kalten Augen, obwohl braun doch eigentlich eine warme Farbe war.

Zum Glück endete da die Ähnlichkeit. Der Mann war deutlich muskulöser. In Anbetracht der Tatsache, dass er gerade zu pöbeln begonnen hatte, war das allerdings nichts, was Nick beruhigte. Das Gesicht war kantiger als Onkel Georges und sah natürlich ganz anders aus. War ja auch nicht sein Onkel.

»Schau weg, wenn es dir nicht passt«, sagte er trotz seiner Magenschmerzen. Er mochte sich wie fünfzehn fühlen, er war es jedoch nicht mehr. Nie wieder würde er verschreckt und verschüchtert irgendwen ansehen, der ihn nicht akzeptierte.

»Ich werde meiner Enkelin nicht die Augen zuhalten, nur weil ihr eure ekelhaften Triebe nicht beherrschen könnt!«, grollte der Mann und warf Nick einen Blick zu, der ihn eigentlich auf der Stelle hätte tot umfallen lassen müssen, so voller Hass, wie er war.

»Es war ein Kuss auf die Wange unter Freunden.« Lawrence lächelte der Kleinen zu, die sie mit großen Augen anstarrte und sich an die Hand ihres Großvaters klammerte. »Homosexualität ist eine vollkommen natürliche Form der Liebe.«

»Wage es nicht, meiner Marie deine Homo-Propaganda unterzujubeln, du schwules Schwein! So Kroppzeug wie euch sollte man ….« Der Kerl verstummte, als würde ihm bewusst, dass man auch wegen Drohungen angezeigt werden konnte. »Verschwindet!«

 

Kapitel 4

 

»Wir sind hier Kunden wie du. Und wir werden erst gehen, wenn wir unsere Einkäufe erledigt haben.« Nicks Magenschmerzen nahmen zu. Schützend verschränkte er die Arme vor der Brust. Was bildete sich der Typ überhaupt ein? Warum gab der so einen Müll von sich und noch dazu vor dem kleinen Mädchen? »Und jetzt fahr deinen homophoben Scheiß mal runter, der gehört nicht hierher.«

»Das ist ein freies Land, in dem ich meine Meinung jederzeit laut sagen darf«, knurrte der Mann und hatte mit einem Schlag Ähnlichkeit mit einem wütenden Bär. »Ob es euch passt oder nicht.«

»Weswegen wir auch lange und ausgiebig öffentlich herumknutschen dürfen, ob es dir passt oder nicht.« Eigentlich wollte Nick nur weg. Sich klein machen und verstecken. Aber den Onkel Georges dieser Welt musste man entgegentreten, egal wie jung und ungeschützt er sich mit einem Schlag fühlte.

Drohend trat der Mann einen Schritt auf sie zu. »Ich sage es noch mal, und ihr werdet mich nicht still bekommen: Ihr seid dreckige …«

»Sir, mäßigen Sie Ihren Ton.« Ein Angestellter in der typisch blauen Uniform des Geschäfts bog in den Gang ein, groß und beruhigend breitschultrig. Ihm folgte eine zierliche Frau in derselben Kluft. »Kanada ist ein freies Land, das von seiner Vielfältigkeit lebt. Und PetSmart ist überdies ein freier Laden, in dem keine Diskriminierungen geduldet werden. Entweder beenden Sie umgehend ihr beleidigendes Verhalten, oder ich muss Sie bitten, mich nach draußen zu begleiten.«

Zornig starrte der Mann ihn an. Drohend begann an seiner Schläfe, eine Ader zu pochen. Für einen Moment fürchtete Nick, dass er die Kontrolle verlieren und sich auf einen von ihnen stürzen würde, um zu prügeln.

Doch der Mann hob nur abrupt das Kind auf den Arm. »Marie, wir gehen«, sagte er sehr sanft zu dem Mädchen. »Dein Kaninchen bekommst du woanders. In so einem verdorbenen Drecksladen kaufen wir nicht ein.«

»Ich begleite Sie nach draußen.« Der Angestellte lächelte Nick und Lawrence kurz zu, dann folgte er dem Mann, der mit Sturmschritt den Gang entlang lief.

»Wow«, sagte die zierliche Frau. »Wow, was für ein …« Sie räusperte sich. Offensichtlich hatte sich gerade rechtzeitig dabei ertappt, bevor sie einen Ex-Kunden beleidigen konnte. Obwohl sie, wenn es nach Nick ging, wirklich jedes noch so vulgäre Schimpfwort hätte benutzen dürfen. »Verzeiht, dass ihr zwei das hier erleben musstet. Ich hab erst mal Jack geholt, als ich mitbekommen habe, wie der Kerl mit dem Pöbeln anfing. Jack hat breitere Schultern. Ist alles in Ordnung?«

Nick atmete durch und nickte. In ihm zitterte alles. Das freundliche Lächeln der Verkäuferin und die Unterstützung machten es zwar ein wenig besser – sie waren nicht allein, sie waren willkommen. Dennoch fühlte er sich nach wie vor, als müsste er sich daheim verstecken.

»Ja«, log er. »Alles in Ordnung. Danke für die Hilfe. Mann, was für ein Arsch!«

»Echt, dass es solche Fossilien immer noch gibt …« Lawrence schob einen Arm um Nicks Taille und drückte ihn. Sein Freund kannte Nicks Familiengeschichte natürlich, der konnte sich denken, was in Nicks Kopf vor sich ging.

»Jack wird ihm Ladenverbot erteilen«, versicherte die Frau. Peggy stand auf ihrem Namensschild am Revers. »Er ist der stellvertretende Store Manager. Macht euch keine Sorgen, ihr werdet dem Mann hier nicht noch einmal begegnen.« Dann warf sie einen prüfenden Blick direkt in Nicks Gesicht. »Sicher, dass alles okay ist? Soll ich euch einen Kaffee bringen? Ein Glas Wasser?«

Nick zwang sich zu einem Lächeln. Dass ihn solche Idioten aber auch jedes Mal so eiskalt erwischen mussten! »Wirklich, uns geht es gut. Danke. Er war nur ausfällig, nicht handgreiflich. Geht gleich wieder.«

Sie nickte, offensichtlich nicht ganz überzeugt. »Wartet ihr eben auf mich? Ich hole euch einen Fünfzehn-Prozent-Voucher, okay? So als kleinen Ausgleich für den Schreck.«

»Das ist …« Fast hätte Nick abgelehnt, schlicht aus Reflex und dem unangenehmen Gefühl heraus, wertlos zu sein. Im letzten Moment verschluckte er die Worte. »Das ist echt lieb, danke!« Er schaffte sogar ein weiteres Lächeln.

»Bin gleich wieder da. Lauft mir nicht weg!« Peggy erwiderte es und eilte energisch davon.

»Süßer? Komm her.« Die Frau war noch nicht richtig um die Ecke gebogen, als Lawrence Nick bereits schon in die Arme schloss. »Denk nicht mal im Traum daran, dass an dem Scheiß, den der Arsch von sich gegeben hat, auch nur ein Fünkchen Wahrheit dran ist.«

»Denke ich nicht«, brummte Nick, erwiderte die Umarmung und lehnte sich an ihn. Die Nähe tat gut, holte ihn zurück in die Wirklichkeit der Gegenwart und raus aus dem Gefühl, ein hilfloser Teenager zu sein. Er presste das Gesicht gegen Lawrences Hals und atmete tief den vertrauten Geruch ein.

---ENDE DER LESEPROBE---