Bookish Belles – Was zwischen den Zeilen steht - Kelly Moran - E-Book

Bookish Belles – Was zwischen den Zeilen steht E-Book

Kelly Moran

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Beschreibung

Willkommen in Vallantine, Georgia, wo du die Liebe suchst … Scarlett Taylor ist sich darüber bewusst, dass die Einwohner von Vallantine sie für genauso eine Drama-Queen halten wie die literarische Heldin, nach der sie benannt wurde. Sie stammt ebenso aus einer wohlhabenden Familie, ist die Südstaaten-Schönheit des eigenwilligen Städtchens und mehr als gewillt, sich vom Winde (und der Liebe) verwehen zu lassen. Und ja, manchmal verhält sie sich ein wenig exzentrisch. Aber mal ehrlich: Das Leben ist einfach zu kurz, um sich von den Erwartungen anderer einschränken zu lassen. Und ihr Erfolg gibt ihr recht: Die Renovierung der alten Bibliothek, die sie mit ihren beiden besten Freundinnen vorantreibt, läuft bestens, und auch ihr eigenes Geschäft, das sie auf dem Plantagenanwesen ihrer Familie betreibt, entwickelt sich genau wie geplant. Und ihr Liebesleben? Okay, ja, das ist weit entfernt von perfekt. Aber Liebe ist auch verwirrend. Vor allem wenn das Herz plötzlich beim Anblick des Mannes schneller schlägt, der sie schon ihr ganzes Leben lang in den Wahnsinn treibt …

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Seitenzahl: 406

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Kelly Moran

Bookish Belles – Was zwischen den Zeilen steht

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Gesa Weiß

 

Über dieses Buch

ZWEI FREUNDE, EINE GROSSE LIEBE

 

Scarlett Taylor gilt im eigenwilligen Städtchen Vallantine als genauso eine Drama-Queen wie die literarische Südstaaten-Schönheit, nach der sie benannt wurde. Und ja, manchmal verhält sie sich ein wenig exzentrisch. Aber das Leben ist einfach zu kurz, um sich von den Erwartungen anderer einschränken zu lassen. Ihr Erfolg gibt ihr recht: Mit ihren besten Freundinnen renoviert sie die alte Bibliothek, und auch als Eventplanerin auf dem Plantagenanwesen ihrer Familie macht sie sich einen Namen. Und ihr Liebesleben? Okay, das ist weit entfernt von perfekt. Aber Liebe ist auch verwirrend. Vor allem wenn das Herz plötzlich beim Anblick des Mannes schneller schlägt, der sie schon ihr ganzes Leben lang in den Wahnsinn treibt …

 

Romantik, Witz und Kleinstadt-Charme. Eine hinreißende Cozy Romance von SPIEGEL-Bestsellerautorin Kelly Moran.

Vita

Kelly Moran ist die Queen of Cozy Romance. Sie schreibt Wohlfühlgeschichten voller Romantik und Emotion, die sich durch ihre idyllischen Settings auszeichnen. Bereits ihrem ersten auf Deutsch erschienenen Buch «Redwood Love – Es beginnt mit einem Blick» gelang der Einstieg auf die Spiegel-Bestsellerliste. Seitdem wurden viele weitere ihrer Bücher zu Bestsellern. Nach mehreren Einzelbänden startete mit den «Bookish Belles» nun endlich wieder eine große Buchreihe. Kelly lebt mit ihren drei Söhnen in South Carolina, USA.

 

Gesa Weiß studierte Anglistik, Amerikanistik und Neue Deutsche Literatur in Hamburg und Nottingham und ist seit vielen Jahren in der Buchbranche tätig. Sie lebt mit ihrer Familie in Hamburg, wo sie als Literaturagentin, Lektorin und Übersetzerin arbeitet.

Impressum

Die englische Originalausgabe erschien 2025 unter dem Titel «Heat of the Moment».

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, August 2025

Copyright © 2025 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Heat of the Moment» Copyright © 2025 by Kelly Moran

Redaktion Christiane Wirtz

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01538-8

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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www.rowohlt.de

Liebe Besucherinnen und Besucher,

willkommen in Vallantine, Georgia, wo nur die Stadtbewohner noch bezaubernder sind als die «Belle of Georgia»-Pfirsiche, die uns berühmt gemacht haben.

Gegründet 1870 von William und Katherine Vallantine, bietet unser gemütliches, pittoreskes Städtchen 2500 Einwohnern ein Zuhause. Das idyllische Vallantine liegt zwischen Statesboro und Savannah und schmiegt sich an den Ogeechee River. Für einen geruhsamen Schlaf stehen je nach Wunsch drei Pensionen und zwei B&Bs oder ein Hotel kurz hinter der Stadtgrenze zur Auswahl, und mehrere familiengeführte Restaurants bieten für jeden Geschmack kulinarische Genüsse an.

Bei Ihrem Besuch sollten Sie unbedingt an unserem Marktplatz vorbeischauen. Außerdem erwarten Sie 45 außergewöhnliche, inhabergeführte Geschäfte in den kleinen gepflasterten Straßen. Gönnen Sie sich eine Flussrundfahrt mit romantischem Dinner bei Sonnenuntergang oder eine Kutschfahrt durch das historische Plantagenviertel. Genießen Sie einen Spaziergang über den Friedhof von Vallantine oder durch den Peach Park, in dem verschiedene Statuen an wichtige historische Persönlichkeiten erinnern und hundertjährige Eichen, überwuchert von Louisiana-Moos, Schatten spenden. Sie können sogar die ursprüngliche, immer noch erhaltene Bibliothek besichtigen, die William 1875 für seine Bücher liebende Katherine bauen ließ. Das Gebäude wird derzeit renoviert.

Manche sagen, Katherine habe die Bibliothek nie wirklich verlassen, und man könne zwischen den Regalen immer noch ihrem Geist begegnen, der weiter in einem ihrer Lieblingsbücher liest, nur darauf wartend, einem Besucher auf der Suche nach Erkenntnis behilflich zu sein.

Vielleicht sind Sie vom jährlichen Pfirsichfest oder dem Pekannuss-Festival in die Stadt gelockt worden, aber unser Südstaatencharme wird dafür sorgen, dass Sie am liebsten nie wieder abreisen würden. Gastfreundschaft ist unser zweiter Vorname. Vergessen Sie nicht, vor Ihrer Abreise auf jeden Fall Miss Katie Hallo zu sagen – dem ersten «Belle of Georgia»-Pfirsichbaum, der je in der Stadt gepflanzt wurde, benannt nach der hochgeschätzten Katherine Vallantine. In unserer Gegend ist man davon überzeugt, dass einem dies Glück und ein Leben voller Liebe beschert. Und hin und wieder, wenn sie in der richtigen Stimmung ist, erfüllt Miss Katie sogar Wünsche.

Ich hoffe, Sie alle bald wiederzusehen!

 

Gunner Davis,

Bürgermeister von Vallantine

1

Scarlett Taylor drückte das Gesicht in ihr Kissen und stöhnte, während jemand hartnäckig an ihre Schlafzimmertür klopfte. Einen Tag. Nur einen Tag mal ausschlafen. War das denn zu viel verlangt? Die Hochzeitsfeier der Rovers, die gestern auf ihrer Plantage stattgefunden hatte, war erst nach ein Uhr zu Ende gegangen. Danach hatte sie noch eine Stunde gebraucht, um aufzuräumen.

Das Klopfen ging wieder los.

Sie stöhnte erneut und öffnete ein Auge, um auf die Uhr auf ihrem Nachttisch zu schauen. Himmelherrgott noch mal, es war erst acht. Sie hatte vor zwölf Uhr mittags keine Termine. Da war sie sich sicher, weil sie es extra so gelegt hatte. Absichtlich. Damit sie ausschlafen konnte.

Sonnenlicht fiel auf ihr Gesicht, als sie den Kopf zur Seite drehte. Sie hatte vergessen, die Vorhänge zuzuziehen, bevor sie letzte Nacht ins Bett gefallen war. Staubpartikel schwebten durch die Balkontür herein.

Cotton, der offenbar annahm, dass sie jetzt aufstehen würde, rieb sein weißes Fellgesicht an ihrem Hals und schnurrte so laut, dass der Boden zu vibrieren schien. Abwesend streichelte sie ihn.

Es klopfte wieder.

So ein Mist! «Was?»

«Hast du was an?»

Diese tiefe, raue Stimme konnte nur einem Menschen gehören, und sie war nicht in der Stimmung für ihn.

«Nein.»

Trotzdem wurde der Türknauf gedreht, und die schwere, kunstvoll verzierte Tür öffnete sich knarrend.

Herein kam Aden Nervensäge Abner in einer abgetragenen Jeans und einem weißen T-Shirt, das seinen Bizeps betonte, und mit diesem charmanten Grinsen im Gesicht, von dem jede Debütantin in Vallantine schwärmte. Sein zerzaustes sandblondes Haar war schon etwas zu lang, genau wie der dazu passende Bartschatten.

Dass er ihre Schlafzimmertür benutzte, anstatt am Rosengitter zu ihrem Balkon hochzuklettern, war eine relativ neue Angewohnheit. Er hatte vor ungefähr drei Jahren damit angefangen, als sie ihm einen Teil des Anwesens der Familie Taylor verkauft hatte, damit er dort sein Geschäft mit Kutschfahrten aufziehen konnte. Die Ställe und die Pferde, die er so liebte, waren Teil des Deals gewesen. Sie war nicht ganz sicher, warum er seinen Weg zu ihrem Schlafzimmer plötzlich geändert hatte, aber ihr wäre der Balkon eigentlich lieber gewesen. Seit sie Kinder waren, war er aus unterschiedlichen Gründen zu ihr hochgeklettert: von einem Sturm, der ihn nervös machte, bis zu ihren Eltern, die sie wieder mal zum Weinen gebracht hatten. Alles veränderte sich, und auch wenn sie Fortschritt durchaus schätzte, wünschte sie sich doch, dass einige Dinge einfach immer so blieben, wie sie gewesen waren.

Immer noch liegend sah sie ihn aus zusammengekniffenen Augen an. «Ich habe gesagt, ich bin nicht angezogen.»

«Du hast gelogen.» Er kam näher und setzte sich auf den Rand ihres Bettes, wobei die Matratze unter seinem Gewicht etwas nachgab. Er hielt ihr einen dampfenden Becher Kaffee hin. «Du wartest immer ein bisschen mit deiner Antwort, wenn du vorhast, mich anzulügen.»

Sie verdrehte die Augen, während sie sich aufsetzte und den Kaffee nahm. Die rot-goldene Bettdecke rutschte bis zu ihrer Hüfte herunter und enthüllte ihr schwarzes Spitzennachthemd.

Als er erschrak und hastig zur Decke blickte, musste sie grinsen. Geschah ihm recht.

«Ich lüge nicht.» Sie nahm einen Schluck Kaffee und nickte. Ein Schuss Sahne, zwei Stück Zucker. Aden hatte auch seine guten Seiten.

«Stimmt, normalerweise nicht. Nur mich lügst du an.»

Sie dachte über einen Konter nach, hielt dann aber den Mund. Ihm gegenüber neigte sie tatsächlich dazu, die Wahrheit etwas überzustrapazieren. Nichts Schlimmes. Nur in Momenten, in denen sie vernünftig bleiben musste. Zum Beispiel roch er immer nach frisch gemähtem Gras, und sie liebte diesen Duft seit ihrer Kindheit. Aber das würde sie niemals zugeben, also rümpfte sie stattdessen die Nase und behauptete, er stinke nach Landleben.

Aber sie konnte ihn nicht zum Narren halten.

«Zieh dir was an, Darlin’.»

«Das sind nur Brüste, Aden. Ich trage ein Nachthemd.»

«Das Nachthemd ist ein Nichts, und ich will nicht länger über deine … Brüste reden.»

«Mein Badeanzug verdeckt weniger.»

«Das weiß ich sehr wohl.»

Cotton, dieser Verräter, schlenderte zu Aden hinüber und kletterte auf seinen Schoß, um sich streicheln zu lassen. Aden tat ihm den Gefallen, den Blick weiter zur Decke gerichtet.

Mit finsterer Miene zog Scarlett die Decke bis zu ihrer Brust hoch und hielt sie mit ihrem Unterarm fest. Trotz all seiner Frauengeschichten war er doch ein guter alter Südstaaten-Gentleman – den sie für ihr Leben gern provozierte.

«Gefallen dir meine Brüste nicht?»

Er kniff seine Augen zu und seufzte tief. «Du bringst mich noch ins Grab, Frau.»

«Noch ist nichts passiert.» Sie nahm einen weiteren Schluck Kaffee. «Ich bin unter der Decke. Du kannst die Augen wieder aufmachen.»

Er blickte sie kurz an, dann wieder weg. Er schien jedes Detail in ihrem Zimmer zu betrachten und währenddessen seine Gedanken zu sortieren: die Möbel aus Walnussholz, das Himmelbett, ein üppiger Strauß mit Blumen aus dem großen Garten hinter dem Haus, der plüschige Teppichboden. Die Balkontüren neben ihrem Badezimmer starrte er etwas zu lange an.

«Warum hast du mich aufgeweckt?»

Seine kristallklaren, unglaublich blauen Augen blickten sie an, als er ihr den Kopf zuwandte. Diese Augen waren an einen Mann absolut verschwendet.

«Unten steht Darcy Lynn Freemores Mutter und besteht darauf, sofort mit dir zu sprechen. Charlene hat versucht, mit ihr fertigzuwerden, als ich ankam. Ich hab ihr gesagt, ich würde dich holen.»

Charlene war Scarletts Assistentin, und Darcys Hochzeit sollte erst nächsten Monat stattfinden. Was konnte so dringend sein, dass die Mutter der Braut zu dieser unsäglichen Stunde an einem Sonntag einfach hier vorbeikam?

«Hat sie gesagt, was sie will?»

«Nein, aber irgendwas geht ihr offenbar ziemlich gegen den Strich.»

Na super. Scarlett warf die Decke zur Seite, stand auf und trank auf dem Weg ins Badezimmer schnell ihren Kaffee aus.

«Ich denke, du hast doch nicht gelogen, Darlin’. Du bist nicht angezogen.»

«Und du bist nicht der erste Mann, der meinen Vorbau oder meinen Arsch angafft, Aden.»

«Ich hab nicht …» Er atmete hörbar aus. «Ich füttere die Katze.»

«Danke.»

Sie schloss die Badezimmertür, ging zur Toilette, putzte sich die Zähne, und da ihr keine Zeit zum Duschen blieb, band sie ihre Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen. Sie nahm sich ausreichend Zeit für ihr Make-up, wie ihre Mama es ihr seit der Pubertät eingebläut hatte. Schließlich trat sie aus dem Bad, um in ihrem begehbaren Kleiderschrank ein Outfit auszuwählen.

An diesem Sonntag hatte sie um zwölf ein Meeting für eine anstehende Babyparty – das gehörte eben dazu, wenn man eine florierende Eventagentur auf der Familienplantage betrieb. Da sie ihre Kunden vermutlich über das Anwesen würde führen müssen, entschied sie sich für ein gelbes Sommerkleid. Der Juli war im schönen Staat Georgia nicht eben gnädig. Mittags würden die Kröten auf dem Asphalt brutzeln, wie man in den Südstaaten so schön sagte.

Zufrieden schlüpfte sie in ein Paar flache schwarze Schuhe, nahm ihr Handy und verließ ihr Schlafzimmer, um sich um Mrs Freemore zu kümmern.

Scarlett liebte ihr Zuhause, und sie betrachtete es nie als eine Selbstverständlichkeit. Seit Miss Maureen, Scarletts Großmutter, verstorben war und ihr das gesamte Anwesen hinterlassen hatte, versuchte sie es jeden einzelnen Moment wertzuschätzen. Ihre gierigen Eltern waren ziemlich bestürzt gewesen, dass Scarlett die Plantage erben sollte, doch Miss Maureen hatte ihre Ansichten immer deutlich gemacht. Ihre Großmutter war reicher gewesen als ein Öltycoon, aber sie hatte andere nie schlecht behandelt und nie ein Geheimnis daraus gemacht, wie sehr ihr die versnobte Art von Scarletts Eltern missfiel.

Im Haus gab es dreizehn möblierte Zimmer, fünf davon im Erdgeschoss, das für die Events genutzt wurde. Hier hatte Scarlett auch einen Raum in ein kleines Museum für Schwarze Geschichte verwandelt, denn das Erbe der Südstaatenplantagen kann nicht getrennt von der Grausamkeit der Sklavenhaltung betrachtet werden. Da gab es nichts zu beschönigen, und sie wusste, dass ihre Großmutter das gutgeheißen hätte. Im ersten Stock hatte Scarlett sich ihr persönliches Reich eingerichtet, mitsamt Küche und Wohnzimmer. Die übrigen Räume waren Gästezimmer und eine Bibliothek. Überall gab es glänzend polierte Parkettböden und gewölbte Kassettendecken. Jeden Morgen, wenn sie ihre Räumlichkeiten für den Tag verließ, lächelte sie. Sie empfand es als Segen, ein so geschichtsträchtiges Anwesen zu besitzen und es als Gastgeberin mit der kleinen Gemeinschaft von Vallantine teilen zu können.

Sie legte die Hand auf das Geländer, während sie die große Mahagonitreppe zur Eingangshalle hinabschritt, wo eine nervöse Charlene ihren strengen blonden Dutt immer wieder mit der einen Hand glatt strich, während sie mit der anderen winkte. Scarlett fühlte sich schlecht, weil sie lange gebraucht hatte, aber in der Familie Taylor kam es einem Verbrechen gleich, wenn man Gäste empfing, ohne sich zuvor angemessen zurechtgemacht zu haben. Das würde ihre Mutter ihr ewig vorhalten, wenn sie davon erführe.

Mrs Freemore, die einen pflaumenblauen Hosenanzug trug und einen akkuraten Bob, bei dem nicht eine braune Strähne aus der Reihe tanzte, sah Scarletts Assistentin so missbilligend an wie eine Adlige einen Tagelöhner.

An der Seite lehnte Aden mit verschränkten Armen an der Tür zum Myrtensaal und beobachtete das Geschehen. Das Zucken seiner Kiefermuskulatur zeigte Scarlett deutlich, dass er kaum den Mund halten konnte und sich nur ihr zuliebe zurückhielt.

Also los.

«Mrs Freemore, wie schön, dass Sie uns besuchen, und dann auch noch so früh am Sonntagmorgen.» Scarlett kleisterte sich die Art von Lächeln ins Gesicht, die sie für herablassende Zicken reserviert hatte. Kein Wunder, dass diese Frau seit Jahrzehnten mit ihrer Mutter befreundet war. Sie glichen sich wie ein Ei dem anderen. «Wie kann ich Ihnen helfen?»

Die Frau schnaubte. «Sie können damit anfangen, dass Sie Ihre Angestellte in ihre Schranken weisen.»

Aha, es würde also wirklich diese Art von Morgen werden …

Auch wenn Charlene offiziell ihre Angestellte war, half sie, Scarletts Geschäft auf Spur zu halten, und kümmerte sich insbesondere um die feinen Details. Ganz sicher verdiente sie keine abfälligen Kommentare.

Sie atmete flach ein und wandte sich an Charlene. «Wärst du so nett, etwas Gurkenwasser für unsere Gäste zu holen? Und sorge bitte dafür, dass sie in der Küche auch genug davon für unser Meeting um zwölf vorbereiten.»

Mit vor Erleichterung großen Augen nickte Charlene und machte sich auf den Weg in die Küche.

Aden richtete sich auf, doch Scarlett schüttelte kaum merklich den Kopf. Das hier war ihr Job, und Mrs Freemore schien ihn noch gar nicht bemerkt zu haben. Trotzdem war Scarlett froh über seine Rückendeckung.

Lächelnd wandte sie sich an die Mutter der Braut. «Ich möchte Sie darum bitten, in meinem Haus oder meinen Geschäftsräumen nicht unhöflich zu werden und irgendjemanden zu beleidigen, egal ob es Freunde, Gäste, Familienmitglieder oder meine Angestellten sind. Sie sollten ihnen den Respekt entgegenbringen, den sie verdienen.» Sie straffte die Schultern und ignorierte den sprichwörtlichen Rauch, der aus den Ohren der Frau aufstieg. «Also, womit können wir Ihnen heute behilflich sein?»

«Ehrlich, Scarlett, unsere Familien kennen sich seit …»

«Letzte Warnung, Ma’am. Sie sind hier außerhalb meiner Geschäftszeiten und ohne Termin aufgetaucht und waren dann auch noch unfreundlich zu meinen Leuten.»

Ein Schnauben, dann winkte sie ab. «Schön. Wir müssen Darcys Hochzeitsempfang vom Weidenzimmer in den Azaleensaal verlegen. Einige entfernte Verwandte haben in letzter Minute zugesagt, und wir brauchen mehr Platz.»

Scarlett neigte den Kopf. Diese Veranstaltung war seit achtzehn Monaten geplant. Sie hatten sie schon vom Magnolienzimmer, einem mittelgroßen Saal, in das Weidenzimmer verlegt, ihren zweitgrößten Raum. An den Tagen, an denen Hochzeiten stattfanden, planten sie nie andere Events, da alle ihre Räume von der Eingangshalle abgingen. Sie schlossen einfach die Türen zu den anderen Zimmern ab. Hochzeiten begannen oft schon am Freitagabend mit der Probe, am Samstag fand die eigentliche Feier statt, und am Sonntag wurden die Geschenke ausgepackt. Mrs Freemores Wunsch war grundsätzlich machbar, denn die anderen Räume waren frei, aber einen Monat vor der Hochzeit war es dennoch eine Herausforderung umzuplanen. Schließlich mussten auch andere Faktoren berücksichtigt werden wie die Sitzordnung, die Blumen und das Catering. Ganz abgesehen davon bat sie nicht darum, sie befahl es, und das, nachdem sie Scarletts Anwesen gestürmt und sich schrecklich arrogant verhalten hatte.

«Lassen Sie uns in mein Büro gehen.»

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Scarlett sich um und ging den Flur links von der Treppe entlang, wobei ihre flachen Schuhe nahezu geräuschlos über die schwarz-weiß karierten Fliesen glitten.

Der kleine Raum war einst ein überflüssiges Garderobenzimmer gewesen, das sie in ein Büro für sich selbst und Charlene umgebaut hatte. Es war gerade groß genug, dass zwei Schreibtische hineinpassten, die sich an den Wänden gegenüberstanden.

Mrs Freemore folgte ihr hinein und setzte sich anmutig auf die Kante eines kunstvoll verzierten Lederstuhls gegenüber dem Schreibtisch.

Scarlett ließ sich auf ihren Stuhl fallen und startete den Computer. «Wie viele Gäste werden zusätzlich erwartet?»

«Fünfzig, mehr oder weniger.»

Gott im Himmel! Alles klar. Die Hochzeit war bereits für einhundertfünfzig Gäste geplant. Der Azaleensaal, ihr größter Raum, war nur für zweihundert Personen zugelassen. Sie müssten die Feier nach draußen verlegen, wenn die Gästezahl noch größer wurde – ein Punkt, den sie Mrs Freemore gegenüber schon bei der Buchung betont hatte.

«Die Ausstattung wird kein Problem darstellen. Wir haben mehr als genug Stoffservietten und so weiter in der gewünschten Farbe auf Lager.» Gelbgrün. Igitt. «Allerdings müssen wir für den Raumwechsel einen Aufpreis berechnen.»

«Das ist in Ordnung.»

Na klar. «Dazu kommen zusätzliche Kellner und die Aufstockung der Menüs vom Catering. Die Blumenarrangements können wir wahrscheinlich etwas großzügiger verteilen, allerdings hängt das von der Verfügbarkeit ab. Ich werde bei Bloom Boutique anrufen und sehen, ob sie an dem Tag mehr liefern können. Wenn nicht, versuche ich es bei Betty vom Gartenverein, aber ich kann nichts versprechen.»

«Wir haben weiße Rosen und gelbe Astern bestellt.»

«Ja, aber das war vor den zusätzlichen fünfzig Personen. Wir sprechen hier über fünf bis acht zusätzliche Tische, abgesehen vom Gang und den Bögen.»

«Ich erwarte, dass wir bekommen, wofür wir bezahlt haben.»

Scarlett setzte ein zuckersüßes Lächeln auf und blinzelte. «Sie bekommen, wofür Sie bezahlt haben. Nur könnte es schwierig werden, die zusätzlichen Posten, die Sie noch nicht bezahlt haben, auf den letzten Drücker zu organisieren. Ich sage Ihnen ganz offen, dass das Probleme geben könnte.»

«Ich möchte, dass alles perfekt ist.»

Scarlett sagte es ihr nur ungern, aber so etwas gab es nicht. «Wir werden dem so nahekommen wie nur möglich.»

Sie rechnete es kurz durch und schrieb eine Zahl auf. «Das ist die Differenz, die auf Sie zukommen würde.»

«Das ist absurd. Das bezahle ich nicht.»

Diese Familie war genauso wohlhabend wie Scarletts eigene. Sie konnte es sich leisten. Und sie war diejenige, die gerade mal dreißig Tage vor dem großen Tag diese Änderung verlangte.

Scarlett stand auf. «Dann würde ich vorschlagen, dass Sie Ihrer entfernteren Verwandtschaft sagen, dass sie zu Hause bleiben soll. Dann können Sie das Weidenzimmer nutzen, und alles läuft wie geplant.»

Ein Schnauben. «Also, so was hab ich ja noch nie erlebt!»

Das glaubte Scarlett gern. Leute wie sie bekamen selten ein Nein zu hören.

Mrs Freemore öffnete ihre Handtasche, holte ihr Scheckbuch hervor und kritzelte schnaufend darauf herum. Sie riss den Scheck ab und reichte ihn Scarlett. «Das ist Wucher, wenn Sie mich fragen.»

«Ich frage Sie aber nicht, und es geht hier um die Hochzeit Ihrer Tochter. Wir investieren sehr viel Zeit und Mühe, damit sie etwas ganz Besonderes wird. Es soll ein wunderschöner Tag werden.»

Mrs Freemore erhob sich und wandte sich zum Gehen.

«Wenn Sie das nächste Mal etwas ändern oder im Hinblick auf die Hochzeit besprechen möchten, dann rufen Sie doch bitte an, um einen Termin zu vereinbaren. Das war heute eine Ausnahme.»

Das wütende Stakkato ihrer Absätze auf dem Flur war ein unnötiges Ausrufezeichen.

Nach gut zehn Sekunden schloss Scarlett die Augen und ließ sich wieder auf ihren Stuhl fallen.

Sie hörte Schritte auf dem Gang und wusste instinktiv, dass es Aden war. Sie hatte keine Ahnung, warum, aber schon seit ihrer frühen Kindheit kämpfte er für sie gegen Drachen und gab ihr immer Rückendeckung. Meistens ließ sie es zu, es sei denn, es ging um ihre Eventagentur.

«Ich verstehe nicht, warum du dir ihren Mist gefallen lässt.»

Sie zuckte die Schultern. «Das gehört zu gutem Kundenservice eben dazu.»

Er machte es sich in dem Stuhl ihr gegenüber bequem, die Beine in typischer Aden-Manier lässig ausgestreckt, und betrachtete sie. Das tat er oft. Sie hatte sich daran gewöhnt. Allerdings gab es merkwürdigerweise auch solche Momente, wo er sie nicht einfach nur anschaute, sondern wo sich seine Blicke direkt in ihr Hirn bohrten. In den meisten Fällen kümmerte sie das nicht weiter. Aber jetzt machte es sie neugierig.

«Einen Penny für deine Gedanken, Aden?»

Seine Augenbrauen schossen in die Höhe. «Ist das alles, was sie wert sind?»

Verärgerung kitzelte sie im Nacken. Schon als Kinder verband sie eine Hassliebe, die auch als Erwachsene noch ihre Beziehung bestimmte. Sie stritten sich. Sie versöhnten sich. Ein ständiges Kräftemessen. Doch in jedem Fall respektierten sie einander. Und sie hatte niemals, nicht ein einziges Mal, angedeutet, dass sie auf ihn herabsah. Seine Antwort verletzte ihre Gefühle.

«Entspann dich, Scarlett. Ich mache nur Spaß.»

Nein, das tat er nicht, aber warum sagte er nicht, was er dachte? Das war nicht seine Art. «Wer lügt hier jetzt?»

Er kniff leicht die Augen zusammen, doch ansonsten ließ er sich nicht anmerken, was wirklich in ihm vorging. «Snobismus hat nichts mit gutem Kundenservice zu tun. Er ist ein Mangel an Anstand ihrerseits. Du hast mit diesen Leuten, deren Outfits mehr kosten, als mein Vater in einem Jahr verdient, schon als Kind Tee getrunken und Beignets gegessen, und trotzdem scheuchen sie dich herum wie eine Magd.»

«Ich habe sie doch in ihre Schranken gewiesen, oder nicht?»

Er brummte. «Das hast du. Gut gemacht.»

Und was zum Teufel war dann sein Problem?

Er beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Oberschenkel. «Niemand hat das Recht, dich so zu behandeln, am allerwenigsten Menschen aus deiner Gesellschaftsschicht.»

Das schon wieder. Was machte es für einen Unterschied, wie viel Geld sie auf der Bank hatte? Menschlicher Anstand hatte kein Preisschild. Und die Menschen aus ihrer «Gesellschaftsschicht» hatten ihn sonst auch nie interessiert. Er ging seinen Weg, sie gingen ihren, und es hatte noch nie irgendwelche Berührungspunkte gegeben.

«Ich muss hier ein Geschäft führen. Ich mag meinen Job. Da gehört es manchmal dazu, sich mit einer schwierigen Brautmutter auseinanderzusetzen.»

«Sie war nicht schwierig, Babe. Sie war eine gehässige Giftspritze.»

Babe? Das war ein neuer Kosename. Wenn er sarkastisch oder genervt war, nannte er sie normalerweise Darlin’. «Auch wenn ich ungern deine Illusionen zerstöre: Sie war schon immer eine gehässige Giftspritze.»

«Nicht zu dir.» Sein Kiefermuskel zuckte erneut.

Ah, also ging es hier um die Verteidigung ihrer Ehre. «Ich kann selbst auf mich aufpassen.»

«Ach was!» Er stand auf und steckte die Hände in die Hosentaschen. Als er rausging, rief er ihr über die Schulter zu: «Das heißt nicht, dass mir gefallen muss, was hier heute Morgen passiert ist.»

2

Aden kam barfuß auf die Terrasse und reichte Forest und Graham eine Flasche Bier, bevor er sich auf einen der Adirondack-Stühle setzte. Sie trafen sich seit ein paar Monaten zu diesen spontanen «Männerabenden», und er musste zugeben, dass er nichts dagegen hatte. Einfach abhängen und quatschen mit ein paar Kumpels. Es half ihm, den Kopf freizubekommen – und war eine willkommene Ablenkung.

Forest war in Vallantine aufgewachsen, aber Graham war relativ neu hierhergezogen aus dem Norden. Er hatte bei The Gazette, ihrer strauchelnden Lokalzeitung, als Redakteur angefangen und sie zu einem erfolgreichen Unternehmen gemacht. Nun ja, er und seine Freundin Rebecca, und mittlerweile gehörte den beiden besagte Lokalzeitung sogar. Aden mochte den Mann. Er war klug, witzig, ehrlich, und er schien ihre Rebecca glücklich zu machen. Das war alles, was für Aden wichtig war. Sie hatte es im Leben nicht leicht gehabt. Ihre Eltern waren tödlich verunglückt, als sie acht Jahre alt war, und ihre Großmutter war vor vier Monaten gestorben. Daraufhin war sie aus der Großstadt zurück nach Vallantine gezogen. Die beiden waren ein tolles Paar.

Über ihren Köpfen funkelten unzählige Sterne, ohne dass Stadtlichter oder Smog den Anblick störten. Das dichte grüne Gras und die Blätter der hundertjährigen Eichen, die vereinzelt auf dem Anwesen standen, rauschten leise in der sanften Brise. Es war höllisch heiß, doch seit die Sonne untergegangen war, konnte man die Temperaturen etwas besser ertragen. Die Luftfeuchtigkeit umklammerte Aden wie eine aufdringliche Ex-Freundin, doch der sanfte Wind brachte ein wenig Erleichterung und trug die unterschiedlichsten Blumendüfte aus Scarletts Garten zu ihnen herüber, die sich mit dem Chlorgeruch ihres Pools hinter dem Haupthaus vermischten.

Er blickte in diese Richtung. Mehrere Hektar lagen zwischen der Ostseite ihres Hauses und der Rückseite von seinem. Ihr Schlafzimmerlicht war aus, was bedeutete, dass sie entweder noch unten in ihrem Büro arbeitete oder oben in ihrem Wohnzimmer war, das zur Rückseite des Hauses hinausging, und einen erbärmlichen Liebesfilm schaute. Wenn sie lesen würde, würde sie im Sommer auf dem Balkon sitzen. Doch leider war das heute nicht der Fall.

Wie viele Male in wie vielen Jahren hatte er schon zu diesem Fenster hochgeschaut? Es war für ihn zu einer verqueren Art von Leuchtfeuer geworden, und er wusste meist nicht, ob er zu ihm hin oder von ihm fortlaufen sollte. Und in letzter Zeit dachte er ständig nur an sie.

Oh Mann, er schien wirklich eine masochistische Ader zu haben.

«Die Bookish Belles scheinen mit der Bibliothek gut voranzukommen.» Graham räusperte sich und löste mit dem Daumen das Etikett von seiner Bierflasche. «Da wird ziemlich viel gehämmert. Rebecca meinte, das Grundgerüst des neuen Anbaus steht schon fast.»

Nur in einer Kleinstadt in den Südstaaten konnte es ein Trio von Frauen geben, denen ihre Mütter die Namen von literarischen Heldinnen gegeben hatten und die von den Stadtbewohnern nun Bookish Belles genannt wurden. Wie Forest war auch Aden mit Rebecca, Scarlett und Dorothy zusammen aufgewachsen. Ihren Spitznamen gemäß liebten sie Literatur und hatten den Buchclub der Stadt wieder zum Leben erweckt, nachdem ihnen der frühere Besitzer die alte Bibliothek überlassen hatte. Das war auch deshalb gut, weil das Gebäude ziemlich baufällig war, und das eigentlich schon seit ihrer Kindheit.

«Sie kommen gut voran.» Forest kratzte sich die dunklen Barthaare am Kinn. «Ich hatte anfangs etwas Bedenken, was ihre Pläne anging, aber sie hatten tolle Ideen, wie man das Gebäude modernisieren und die Originalelemente gleichzeitig erhalten kann. Neunzig Prozent ihrer Pläne konnte ich der Historischen Gesellschaft mit Leichtigkeit verkaufen.»

«Gut.» Aden nickte. Er hatte ganz vergessen, dass Forest Mitglied der Historischen Gesellschaft war. «Es ist wirklich eine Schande, wie heruntergekommen das Gebäude war.»

Niemand respektierte heute noch die Vergangenheit. Alles musste immer perfekt glänzend, neu und supermodern sein. Dabei waren Wurzeln wichtig, allein schon, um aus den Fehlern der Geschichte zu lernen.

Sheldon Brown, der frühere Besitzer der Bibliothek von Vallantine, war der letzte noch lebende Nachfahre der Stadtgründer William und Katherine Vallantine. Jeder wusste, dass Sheldon immer hin- und hergerissen gewesen war zwischen seinen familiären Verpflichtungen und dem Impuls, alles hinter sich zu lassen, und doch hat er unzählige Male mit großem Aufwand versucht, die Bibliothek zu retten. Die Belles wurden all dem nun gerecht.

«Stimmt.» Forest atmete aus und blickte zu den Ställen in der Ferne. «Wie laufen deine Geschäfte?»

«Viel los.» Durch die Touristen und das Pfirsichfest herrschte in den Sommermonaten immer viel Betrieb. Die Leute mochten es, in den altmodischen Pferdekutschen durch die historischen Bezirke der Stadt zu fahren. Aber auch im Herbst hatte er mit den Friedhofstouren und Halloween gut zu tun. «Dieses Wochenende bin ich wieder von einer der Hochzeitsgesellschaften gebucht, die Scarlett betreut.»

Graham schüttelte den Kopf, während eine sanfte Brise seine hellbraunen Haare zerzauste. «Du hast echt den coolsten Job.»

Aden lachte schnaubend und legte seinen Kopf auf der Stuhllehne ab. «Manchmal.»

Er liebte es, mit seinen Pferden zu arbeiten. Mit den Pferden, die ihm ohne Scarlett nicht gehören würden.

Über drei Generationen war seine Familie bei ihrer angestellt gewesen, und daran war gar nichts auszusetzen. Arbeit war Arbeit, und sie hatten immer ein gutes Auskommen gehabt. Scarletts Großmutter, die darauf bestanden hatte, «Miss Maureen» genannt zu werden, weil sie sich als «Grandma» zu alt gefühlt hatte, war immer freundlich und fair zu Aden gewesen. Obwohl Scarletts Eltern ihre Freundschaft zu ihm missbilligt hatten, hatte Miss Maureen ein Machtwort gesprochen und Aden zudem den Floh mit den Pferdekutschfahrten ins Ohr gesetzt. In der Stadt wurde etwas Derartiges bislang nur sporadisch angeboten, und schon gar nicht in dem Umfang, wie er es mit seinem neuen Unternehmen nun konnte.

Das Problem war Scarlett gewesen. Zumindest hatte er das gedacht. Als Miss Maureen starb, hatte Scarlett das gesamte Anwesen geerbt: das große Haus, die Gärten, den Pool, die Ställe. Sie hatte nichts gegen Pferde, aber sie liebte sie nicht so wie er. Oh, wie nervös er gewesen war, ihr seine Pläne zu präsentieren. Ursprünglich hatte er gedacht, er könnte das Geschäft auf ihrem Grundstück aufziehen, wenn sie einverstanden war. Doch Scarlett hatte die ganze Idee in eine neue Richtung gelenkt. Innerhalb von nur wenigen Stunden hatte sie ihren Anwalt die Verträge aufsetzen lassen, um ihm gut drei Hektar Land, die Ställe, das Farmhaus und die Weiden zu einem Schleuderpreis zu verkaufen. Ganz ohne Zinsen.

Dank seiner Ersparnisse und der schnell wachsenden Kundenzahl gehörte das alles nach nur einem Jahr ihm. Manchmal konnte er das selbst nicht so recht glauben. Er hatte befürchtet, sie würde sich über ihn lustig machen. Stattdessen hatte sie ihn dabei unterstützt, seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

«Erde an Aden!»

Er sah Forest an, die Bierflasche auf halbem Weg zu seinem Mund.

Verdammt. Die verfluchte Frau war gar nicht in seiner unmittelbaren Nähe, und trotzdem spukte sie ihm schon wieder im Kopf herum. Das wurde langsam zur Gewohnheit. Wenn er genauer drüber nachdachte, war er damit wohl schon zur Welt gekommen.

«Sorry. Ich war mit meinen Gedanken woanders.»

Forest grinste und folgte Adens Blick zu Scarletts Fenster. «Schwirrt dir vielleicht eine bestimmte Belle unter dem Hut herum?»

Er hatte nicht vor, darauf einzugehen. «Ich trage keine Hüte.»

«Schade.» Graham feixte. «Weißt du, als ich hierhergezogen bin, hat Rebecca mir vieles erzählt, was man über die Stadt wissen muss. Sie hat mir die Beziehung zwischen dir und Scarlett beschrieben, und ich hab gesagt, das klingt nach Vorspiel.»

Das implizierte, dass es ein Spiel nach dem Davor gab. Doch leider hatte es weder das eine noch das andere je gegeben, und es würde auch nie dazu kommen. Scarlett Taylor hatte in ihm nie etwas anderes gesehen als den langjährigen Freund oder das zeitweilige Ärgernis, und daran würde sich auch nie etwas ändern. Er war der Typ von nebenan, dessen Vater die Hecken schnitt und den Rasen mähte. Manchmal war er auch die Schulter, an der sie sich ausheulte, oder der Retter in der Not. Aber wenn in ihrer Welt dann alles wieder im Lot war, zog sie fröhlich weiter.

Die meiste Zeit war das für ihn auch völlig in Ordnung.

Forest schmunzelte und konnte seine Belustigung nicht verbergen.

Ein Seufzer, dann sah Aden die beiden an. «Wollt ihr meine Haare flechten? Dann lackier ich euch die Fußnägel.»

Sie warfen die Köpfe zurück und lachten.

Unterhaltung beendet.

Graham stieß Forest mit dem Ellbogen an. «Wie läuft’s in deinem Job?»

«Na ja …» Die Fröhlichkeit verschwand aus seinen Augen. «Langweilig, aber sicher.»

Aden würde sich zu Tode langweilen, wenn er in einer Bank arbeiten müsste. Forest war in die Fußstapfen seines Vaters getreten, aber er schien damit nicht glücklich zu sein. Das Leben war zu kurz für so einen Unsinn.

«Was ist aus deiner früheren Vorliebe für Holzarbeiten geworden?»

Graham hob die Augenbrauen. «Ich wusste gar nicht, dass du so was machst.»

«Na ja …», sagte Forest mit einem Seufzen. «Das habe ich in den Sommerferien bei meinem Großvater gelernt. Hab seit Jahren nichts mehr gebaut – nicht seit ich aufs College gegangen bin. Seit der Scheidung hab ich eine Werkstatt mit ziemlich viel Zeug hinten im Garten, aber ich weiß nicht … Es ist schwer, sich damit etwas aufzubauen.»

«Nicht, wenn du es richtig anpackst.» Aden trank von seinem Bier.

Wie die meisten von Forests guten Freunden hatte Aden nicht viel von dessen Ex-Frau gehalten. Graham hatte ihr passenderweise den Titel «böse Zicke des Westens» gegeben, angelehnt an die «böse Hexe des Westens» aus dem «Zauberer von Oz». Nachdem Forest vom College zurückgekehrt war, hatte diese arrogante Tussi es ein geschlagenes Jahr in der Kleinstadt ausgehalten, bevor sie verkündet hatte, dass sie jemand anderen gefunden habe, und zurück nach Kalifornien gezogen war. Und tschüss! Aden fragte sich allerdings, ob sie mitschuldig war an Forests Ansichten über das Schreinerhandwerk. Er besaß wirklich ein Talent dafür und hatte kleine Figuren geschnitzt und dazu beeindruckende Möbelstücke gebaut.

Wenn er darüber nachdachte … «Scarlett hat die Schreibtische, die du gemacht hast, immer noch in ihrem Büro stehen.»

«Wirklich?» Forest blies die Backen auf. «Wow. Das muss … hm, acht Jahre her sein?»

«Das kann sein. Aber denk mal drüber nach. Touristen würden dir die Sachen aus den Händen reißen.»

Forest nickte, doch sein abwesender Blick verriet, dass er den Sprung nicht wagen würde.

Es lag Aden fern, anderen zu erzählen, dass sie ihre Träume verwirklichen sollten. Er mistete Ställe aus, fuhr Touristen durch die Gegend und starrte immer noch zum Fenster des Nachbarmädchens hinauf, wie er es schon seit … der Pubertät tat. Wahrscheinlich noch länger. Sie hatte ihn um den kleinen Finger gewickelt, sobald sie angefangen hatten zu atmen.

«Na gut.» Graham stand auf und stellte seine leere Flasche weg. «Ich muss morgen früh raus. Nächstes Mal bei mir?»

Sie nickten, und er ging.

«Ich muss auch los. Danke fürs Bier.»

«Jederzeit wieder.» Aden hob zum Abschied seine Flasche.

Nachdem die Motorengeräusche in seiner Einfahrt verklungen waren, nahm er die Chips-Schüssel und ging ins Haus. Dufus, sein schwarzer Labrador, hob kurz den Kopf von seinem Hundebett zwischen der Küche und dem Wohnzimmer, legte ihn aber direkt wieder ab.

«Geht mir genauso, Kumpel.» Er war müde. Seine Tage begannen verdammt früh am Morgen und endeten oft erst lange nach Sonnenuntergang.

Aber er lebte seinen Traum.

Er öffnete den Schrank neben der Spüle, um zwei Eisentabletten herauszuholen, die er gegen seine Anämie nahm, und spülte sie mit einem Glas Wasser herunter. Zum Glück ließ sich dieses Problem behandeln, aber die chronische Müdigkeit nervte immer mal wieder. Doch er konnte sich nicht beschweren. Bei Rebecca war eine Fibromyalgie diagnostiziert worden, kurz bevor sie wieder nach Vallantine gezogen war, und ihre Symptome klangen schrecklich. Sie trug es mit Fassung, wie auch alle anderen Schicksalsschläge, die sie in ihrem Leben erleiden musste. Bis heute war Rebecca die einzige Person, die von seiner Diagnose wusste, weil sie ihn ermutigt hatte, sich überhaupt testen zu lassen, da seine Symptome ihren eigenen ähnelten. Einige, nicht alle.

Er lehnte sich gegen den Tresen, überkreuzte die Füße an den Knöcheln und sah sich in seiner Küche um, während er langsam den Rest Wasser trank. Wenn er nicht das ganze Glas austrank, würde ihm von den Tabletten morgens übel sein. Die dunklen Eichenschränke wirkten altmodisch, und er hatte seit Jahren vor, sie abzuschleifen und neu zu lackieren. Doch er hatte nie die Zeit gefunden, zumal er seit einer Weile ein eigenes Unternehmen zu führen hatte. Der blassgelbe Linoleumboden müsste auch ersetzt werden. Irgendwann würde er sich darum kümmern.

Das frühere Vorarbeiterhaus war Teil seines Deals mit Scarlett gewesen. Ein kleines Häuschen mit zwei Schlafzimmern und einem Badezimmer, das von außen wie eine Blockhütte aussah. Sein komplettes Haus würde in einen von Scarletts Ballsälen passen. Es war nicht groß – etwas mehr als neunzig Quadratmeter –, aber es war seins, und kein anderes Mitglied seiner Familie hatte es je erreicht, ein Haus zu besitzen. Er war in eben diesem Haus aufgewachsen, weil Kost und Logis im Anstellungsverhältnis seines Vaters bei Scarletts Familie mit inbegriffen waren.

Daher war es eigentlich kaum verwunderlich, dass er sich manchmal immer noch wie ein Angestellter fühlte.

Mit Dufus dicht auf seinen Fersen lief er den kurzen Flur entlang zu seinem Schlafzimmer und zog sich das T-Shirt aus.

Sein Hund schnüffelte argwöhnisch daran.

«Ja, ich habe Cotton und Scarlett heute gesehen. Nein, ich bin nicht mit anderen Hunden fremdgegangen.»

Witzig. Sie besaß eine weiße Katze und er einen schwarzen Hund. Sogar ihre Haustierwahl belegte, wie gegensätzlich sie waren.

Zufrieden sprang der Hund aufs Bett, drehte sich zweimal im Kreis und schlief dann sofort ein.

Aden beneidete den Köter. Obwohl er selbst so erschöpft war, könnte es Stunden dauern, bis er einschlafen würde, zumindest wenn es so lief, wie in den letzten Wochen. Er wusste nicht, was zur Hölle in letzter Zeit sein Problem war, aber er musste es in den Griff bekommen.

Sein Handy meldete sich mit einer Textnachricht. Er zog das Telefon aus seiner Gesäßtasche und sah auf das Display.

Dorothy. Komisch, normalerweise schrieb sie ihm nicht außerhalb der Arbeitszeit.

Die Gehälter sind für Freitag vorbereitet. Hab dir den Monatsbericht gemailt.

Nickend tippte er Danke und sendete die Nachricht.

Dorothy, die dritte der Bookish Belles, kümmerte sich um die Gehaltsabrechnungen seiner wenigen Angestellten und um die Steuern und die Buchhaltung seiner Firma, so wie sie es auch für einige andere Unternehmen in der Stadt tat. Noch so ein Job, den er nicht mal gewollt hätte, wenn sein Leben davon abhing. Er brauchte frische Luft und musste mit seinen Händen arbeiten. Der bloße Gedanke daran, mit Zahlen zu hantieren, bereitete ihm Kopfschmerzen.

Bei dem Gedanken tippte er direkt noch eine weitere Nachricht.

Du bist großartig! Nur falls ich zu oft vergesse, dir das zu sagen.

Eine Sekunde später traf ihre Antwort ein. LOL. Danke dir.

Ihr Austausch erinnerte ihn an ein Gespräch, das sie vor ein paar Wochen zwischen Tür und Angel geführt hatten. Sie hatte vorgeschlagen, dass er für seine Kutschfahrten Prospekte drucken ließ. Wenn die Renovierungsarbeiten in der Bibliothek erst einmal abgeschlossen waren, planten die Belles, in einem Regal Infos zu lokalen Unternehmen auszulegen. Sie hofften, dass der Ort so eine zentrale Anlaufstelle ähnlich einem Infozentrum werden könnte, da das Gebäude direkt am Marktplatz lag. Er hatte ihr gesagt, dass sie ihre Sache toll machten und ihm der Plan gefiel. Daraufhin sah sie ihn mit einem merkwürdigen Ausdruck an, den er nicht zu deuten wusste. Als er sie danach fragte, schüttelte sie nur den Kopf und murmelte irgendwas von «Impostersyndrom».

In dem Moment hatte er sich nicht viel dabei gedacht, aber jetzt kreiste ihm das Wort wieder im Kopf herum. Zweifelte sie etwa an ihren Fähigkeiten und Erfolgen? Hielt sie sich für weniger talentiert oder wertvoll und fürchtete, dass die Leute das irgendwann erkennen würden? Ein Impostersyndrom konnte großen Schaden anrichten, wenn man nichts dagegen unternahm. Das wusste er genau. Er hatte immer wieder damit zu kämpfen, seit er den Kaufvertrag unterzeichnet hatte. Was wusste ein Gärtner-Schrägstrich-Vorarbeiter schließlich darüber, wie man ein Unternehmen führte? Vor allem inmitten der Oberschicht von Vallantine. Er fragte sich, ob Dorothy einfach sehr gut darin war, ihre Ängste zu verstecken, denn bis heute hatte er keinerlei Hinweis darauf gewittert.

Stirnrunzelnd tippte er eine Nachricht an Scarlett.

Dorothy meint, ich soll Prospekte machen lassen. Kannst du mir dabei helfen?

Wenn es um Marketing und Design ging, war sie eine Jedi-Meisterin, während er absolut keine Ahnung davon hatte. Er hatte sich anfangs auf Mundpropaganda verlassen und darauf, dass Scarletts Kundschaft seine Leistungen mit anfragte. Jetzt kamen die Leute direkt zu ihm. Scarlett hatte auch eine Website für ihn gestaltet.

Er sah, dass sie tippte.

Klar. Ich komme morgen nach meinem Bibliotheksmeeting vorbei und mache Fotos.

Das war typisch. Er musste nur fragen, und sie half ihm sofort. Die Sache war nur, dass er mittlerweile nicht mehr so abhängig von ihr sein sollte. Er könnte auch jemand anderen beauftragen und dafür bezahlen. Einen Profi. Aber es blieb eine traurige Tatsache, dass niemand ihn besser kannte als sie. Sie würde mit nur wenigen Vorgaben von ihm genau verstehen, was er wollte. Alles war immer so einseitig in ihrer Beziehung. Was hatte sie eigentlich davon? Was konnte er ihr schon geben?

Schuldgefühle krampften ihm den Magen zusammen.

Er schrieb Danke! und warf sein Handy auf den Nachttisch.

Seufzend trat er ans Fenster und sah hinaus in die ruhige Nacht. Die Bäume raschelten, und das lange Weidengras wiegte sich im Wind. Der Klang der Windspiele in ihrem Garten wurde von der Brise herübergetragen. Er kam sich albern vor, als sein suchender Blick wieder an ihrem Haus hängen blieb.

Das Taylor-Anwesen war bereits vor dem Bürgerkrieg erbaut worden und in einem tadellosen Zustand: zwei Stockwerke, weiße Fassade, schwarze Fensterläden. Kastenförmig und symmetrisch. Eine echte Südstaaten-Vorkriegsvilla mit neoklassizistischer Architektur und zwanzig korinthischen und zehn dorischen, an die griechische Antike angelehnten Säulen. Es gab einen gusseisernen Balkon um die gesamte obere Etage herum und einen Säulenvorbau über der Veranda, die sich über die gesamte Breite des Hauses erstreckte, außerdem dreieckige Giebel und detailreiche Dachgauben. Die Gartenanlagen umfassten zwölf gut gepflegte Hektar mit mehreren Pavillons und einem in den Boden eingelassenen Pool.

Er schüttelte den Kopf. Ihr Name passte perfekt zu ihr. Scarlett Taylor war tatsächlich eine wiedergeborene O’Hara, weniger verwöhnt und mit besseren Bewältigungsstrategien – aber trotzdem gab es bei ihr reichlich Drama. Sie war nicht so eitel und egoistisch wie die fiktive Figur aus Vom Winde verweht, dafür hatte sie doppelt so viel Charme. Eine geistreiche, gesellige, umwerfende, absolut anstrengende Schönheit, die ihm tagtäglich auf die Nerven ging und seine Geduld strapazierte. Er hatte sie mit Rhett Butlers ikonischer Aussage «Ehrlich gesagt, meine Liebe, das ist mir egal» getriezt, seit er alt genug war, sich den Film anzusehen, aber Aden wünschte, dass er das auch nur einmal wirklich so meinen würde. Im Grunde war sie das größte Problem in seinem Leben: Das Mädchen von nebenan, das so weit außerhalb seiner Liga spielte, dass sie sich in einem anderen Universum aufhielt, war ihm leider überhaupt nicht egal.

Und er liebte sie schon länger, als er denken konnte.

Manchmal schwankte er zwischen Liebe und Zuneigung. Er hatte einfach keine Ahnung … Wie dem auch sei, er war jedenfalls klug genug, nicht irgendwas herbeizusehnen, was er nicht haben konnte, auch wenn er sich selbst seine Gefühle inzwischen eingestand.

Er war mit anderen Frauen zusammen gewesen. Vielen. Ein Mann hatte Bedürfnisse. Bei einigen hatte er sogar überlegt, ob etwas Ernstes daraus werden könnte. Aber schließlich waren seine Gedanken immer wieder zu ihr zurückgekehrt. Keine andere ließ sein Herz so hochschlagen, brachte sein Hirn so auf Trab oder seine Wut so zum Kochen wie Scarlett. Er könnte schwören, dass dieser hübsche kleine Mund einige Dinge einzig und allein deshalb von sich gab, um zu sehen, wie weit seine Geduld reichte, bevor er ihr ihren eleganten zarten Hals umdrehte …

Sein Telefon meldete eine Nachricht.

Ausdruckslos starrte er das Gerät an, das auf dem Nachttisch lag. Er wusste genau, dass sie es war. Niemand sonst würde ihm so spät noch schreiben.

Es gingen weitere Nachrichten ein. Drei Stück.

Er schloss die Augen und zählte bis fünf. Er versuchte, sich einzureden, dass er nicht antworten musste.

Ping, ping, ping.

Er trat ans Bett und schnappte sich das Handy, wobei sein verräterisches Herz aus Sorge angesichts der Anzahl an Textnachrichten laut klopfte. Bei ihr konnte man nie sagen, ob sie sich nur einen Spaß erlaubte oder ob wirklich etwas nicht stimmte.

Überraschung – es war Scarlett.

Warum bist du noch wach?

Willst du schwimmen gehen?

Welcher Bikini sieht besser aus?

Danach folgten zwei Fotos von ihr selbst, die sie vor ihrem großen Ankleidespiegel aufgenommen hatte: eins in einem schwarzen Bikini, das andere in einem pinken. Beide erinnerten ihn an Zahnseide, und er verschluckte sich fast an seiner eigenen Spucke. Sie hatte einen tollen Körper. Geschmeidig, schlank, leicht sanduhrförmig, und ihre Brüste hatte Gott an einem seiner besten Tage erschaffen – wahrscheinlich um ihn zu quälen.

Er tippte eine Antwort.

Ich weiß nicht.

Nein.

Beide.

Gut. Das sollte reichen. Jetzt würde sie ihn wahrscheinlich in Ruhe lassen, um zu …

Bitte, bitte?

Er presste die Daumen auf seine Augen. Es gab kein Mittel gegen Schlaflosigkeit, das er noch nicht probiert hatte, aber sie war die Ursache.

Aden sah seinen Hund an. Er lag auf dem Rücken, die Beine in die Luft gereckt, und seine Zunge hing ihm aus dem offenen Maul. «Willst du schwimmen gehen?»

Schneller, als Aden blinzeln konnte, sprang Dufus vom Bett, rannte in den Flur und bremste schlitternd vor der Hintertür.

Na klar. Er antwortete Scarlett.

Okay. Bin in fünf Minuten da.

Sie schickte ihm ein Emoji mit tanzenden Herzaugen.

Aden ging zum Schrank, holte seine Badehose heraus, zog sie an und schlüpfte in seine Flip-Flops.

Gemeinsam mit Dufus lief er über die Wiese zur Rückseite von Scarletts Haus. Die Luftfeuchtigkeit legte sich auf seine Haut, und die Grillen zirpten ein Liedchen, während die Glühwürmchen dazu tanzten. Der Ruf einer Eule erklang aus Richtung der Scheune, und er hoffte, dass sie sich dort kein Nest baute. Als sich das letzte Mal eine Eule auf dem Heuboden häuslich niederlassen wollte, hatten ihre Schreie seine jüngste Stute völlig verschreckt.

Scarletts Pool hatte eine ungleichmäßige Form mit einem runden Rand und einem kleinen Wasserfall an einem Ende, hinter dem sich das Filtersystem verbarg. Im Vergleich zu anderen Pools von ähnlich vermögenden Leuten war er nicht besonders groß, denn Scarlett hatte sich etwas Übersichtliches gewünscht. Sie hatte ihn in dem Jahr anlegen lassen, bevor ihre Großmutter gestorben war. Er war von einem zweieinhalb Meter hohen schmiedeeisernen Zaun und zurechtgestutzten Wacholderbüschen umgeben. Die anschließende Terrasse bestand aus gebürstetem Beton, es gab eine kleine Eckbar, ein Poolhaus und Sonnenliegen. Am Zaun standen übergroße Blumentöpfe mit Palmen, Azaleen und Ziergras.

Als er näher kam, sah er sie am tieferen Ende am Beckenrand sitzen, ihre langen Beine baumelten im Wasser, und sie nippte an einem Cocktail, der nach einem Mojito aussah. Sie blickte auf und lächelte, als Dufus und Aden das Tor öffneten, doch das Lächeln wirkte gezwungen.

«Wer ist der beste Hund der Welt? Ja, du bist das.»

Dufus leckte ihr übers Gesicht und begrüßte sie mit einem Ganzkörper-Wedeln.

Sie lachte. «Ja, du darfst jetzt rein.»

Der schwarze Labrador sprang auf der Stelle ins Wasser und spritzte wie angepiekst, während er schwamm.

Aden verdrehte die Augen, dann setzte er sich neben sie. «Also, was ist los? Warum gehen wir so spät am Abend noch schwimmen?» Auch wenn sie das schon ein paarmal gemacht hatten, kam es nicht sehr häufig vor.

Sie strich sich eine lange dunkelbraune Strähne hinters Ohr. Ihre Locken glänzten wie Seide. «Ähm, ich konnte nicht schlafen. Ich …»

«Sag’s mir oder nicht, aber lüg mich nicht an.» Er war übermüdet, ihm war heiß, und er war gereizt. Aden kannte sie schon sein ganzes Leben lang, sodass er jede kleinste Nuance in ihrer Körpersprache durchschaute. Der Schatten in ihren wunderschönen goldenen Augen und die herabhängenden Schultern sprachen Bände.

Sie seufzte abgrundtief. «Mama hat angerufen.»

Ah, okay. Mehr musste er nicht wissen. Ihre Mutter war eine wandelnde, andere Menschen herabsetzende Schreckschraube, die jede Gelegenheit nutzte, um an ihrer Tochter herumzumäkeln, obwohl sie das absolut höflichste, bezauberndste und klügste Geschöpf im ganzen Land großgezogen hatte – was ganz sicher nicht Mrs Taylors Verdienst war. Er würde lieber Glas essen, als Zeit mit dieser Frau zu verbringen.

Er nickte in Richtung ihres Cocktails. «Willst du was Stärkeres?» Ein Mojito würde ihm nicht reichen.

«Nein, aber danke.»

Er würde die Frage bereuen, aber … «Was wollte deine Mutter?»

Sie zuckte mit den Schultern, während sie den Blick auf den fröhlich herumschwimmenden Hund gerichtet hielt. «Du weißt schon … das Übliche. Sie wollte erzählen, dass sie kleine Kinder zum Frühstück verspeist hat und dass ihr Personal ein Staubkorn auf dem Tisch in der Eingangshalle übersehen und damit bewiesen hat, dass offenbar niemand mehr sein Geld wert war.»

Übersetzung: Scarlett hatte etwas getan, was in den Augen ihrer Mutter nicht angemessen war. Sie könnte Krebs heilen oder die Energiekrise beenden, und ihre Mutter würde sich trotzdem noch beschweren, dass sie dabei nicht ausreichend Make-up aufgelegt hatte.

Sie neigte den Kopf und bewegte ihre Beine im Wasser. «Mrs Freemore hat sich anscheinend über unsere Begegnung heute Morgen ausgelassen und Mama dann nicht zum Brunch mit den Ladys eingeladen.»

Er würde diese reichen Leute im Leben nicht verstehen. «Klingt eher so, als hätte sie ein Problem, und nicht du.»

«Verstehst du es nicht, Aden? Alle ihre Probleme sind meine Schuld.»

«Unsinn.»

«Ja, gut, sag ihr das.»

Das würde er nur zu gerne, aber Scarlett zuliebe hatte er immer die Klappe gehalten. «Ich verstehe nicht, warum du das so an dich heranlässt.» Sie war eigentlich zu klug dafür, und sie hatte zehnmal so viel Charakter wie ihre Mutter.