Boston Campus - Meant for You - Lex Martin - E-Book

Boston Campus - Meant for You E-Book

Lex Martin

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Beschreibung

Ein Abmachung mit Folgen!

Clementine Avery datet nicht - nie! Nachdem sie sich bereits zweimal die Finger verbrannt hat, will sie nichts mehr von Männern wissen. Doch als sie versehentlich einen Kurs zum Thema "Creatives Schreiben im Liebesroman" belegt und kläglich versagt, braucht sie dringend Romantik in ihrem Leben. Gavin Murphy ist mehr als willig, für Clem den fiktiven Freund zu spielen, ist er doch schon lange in die verschlossene Studentin verliebt. Wird es ihm gelingen, ihre Schutzmauern zum Einstürzen zu bringen?

"Mein Lieblings-New-Adult-Roman des Jahres!" SHELLY CRANE, NEW-YORK-TIMES- und USA-TODAY-Bestseller-Autorin

Auftakt der BOSTON-CAMPUS-Reihe von Bestseller-Autorin Lex Martin

Dieser Roman ist bereits in einer früheren Ausgabe bei LYX.digital unter dem Titel LOVING CLEMENTINE erschienen.

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Seitenzahl: 554

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Zitat

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Die Autorin

Lex Martin bei LYX digital

Leseprobe

Impressum

LEX MARTIN

Boston Campus

Meant for You

Roman

Ins Deutsche übertragen von Dorothee Danzmann

Zu diesem Buch

Clementine Avery datet nicht – nie! Nachdem sie sich bereits zweimal die Finger verbrannt hat, will sie nichts mehr von Männern wissen. Doch als sie versehentlich einen Kurs zum Thema »Creatives Schreiben im Liebesroman« belegt und kläglich versagt, braucht sie dringend Romantik in ihrem Leben. Gavin Murphy ist mehr als willig, für Clem den fiktiven Freund zu spielen, ist er doch schon lange in die verschlossene Studentin verliebt. Wird es ihm gelingen, ihre Schutzmauern zum Einstürzen zu bringen?

Für Matt und meine kleinen Bären– mein Glücklich-bis-ans-Ende-ihrer-Tage.

»Es ist nie zu spät, das zu werden, was man hätte sein können.«

George Eliot

1

Ich sitze da, starre aus dem Fenster des leicht angestaubten Gemeinschaftsraums und verziere die Ränder meiner Kladde mit sinnlosen Kringeln.

In meinem Magen macht sich Nervosität breit. Um sie in den Griff zu bekommen, rufe ich mir in Erinnerung, warum ich hier sitze. Ich brauche das, um wieder Boden unter die Füße zu kriegen.

Weiter unten im Flur zieht jemand leise stöhnend einen Koffer mit quietschenden Rädern durch die Gegend. Kurz darauf fällt das Gepäckstück mit einem dumpfen Knall um.

»Moment mal – und wenn es nun brennt?«, meldet sich eine besorgte Mädchenstimme. »Wir sind hier im siebzehnten Stockwerk!« Den lang gezogenen, weichen Vokalen nach zu urteilen stammt die Fragerin aus dem Süden.

»Wenn es brennt, nehmt ihr die Treppe«, antwortet eine tiefe Männerstimme beruhigend. »Hände weg von den Fahrstühlen! Ist zwar eine ganz schöne Lauferei, aber auf jeden Fall besser, als zwischen zwei Stockwerken im Fahrstuhl festzustecken. Ich sehe in den Zimmern nach, ob auch wirklich alle evakuiert sind.«

Den Rest der Unterhaltung bekomme ich nicht mehr mit. Wenig später schlurfen zwei Mädchen an der offenen Tür des Gemeinschaftsraums vorbei.

»Unser Wohnheimtutor ist ja verdammt scharf«, findet die eine, ein Mädel in dünnem Sommerkleidchen, die eine prall gefüllte Reisetasche durch den Flur schleift. »Meinst du, er hat eine Freundin?«

»Vergiss es. Der Typ ist mindestens im letzten Studienjahr, wenn nicht sogar schon im Graduiertenprogramm. Als hätte so einer Interesse an dir«, meint ihre Freundin, wobei ihr weicher Akzent ihren Worten ein bisschen die Härte nimmt.

Der Wohnheimtutor oder Resident Assistant, kurz RA genannt, ist ein Student höheren Semesters, der dafür bezahlt wird, ein Auge auf die Kids im Wohnheim zu haben. Mir wäre als Erstsemester niemals in den Sinn gekommen, meinen RA anzubaggern. Er hieß Tao, war ungefähr einen Meter sechzig groß und stand auf Jesus, insgesamt echt nicht mein Film.

Wieso jemand freiwillig RA sein möchte, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Tao musste damals ständig irgendein armes Würstchen mit kaputten Gliedmaßen in die Notaufnahme begleiten, und seinen Gesichtsausdruck beim Anblick meiner Freundin Sarah, die sturzbetrunken und ohnmächtig mit gebrochenem Knöchel in ihrem Zimmer lag, werde ich nie vergessen. Vorher hatte sie noch alle vier Wände dieses Zimmers vollgekotzt. Wie sie das geschafft hat, weiß keiner.

Ich rutsche auf meinem Stuhl hin und her, trommle nervös mit dem Kuli auf den Tisch.

Seit drei Monaten versuche ich nun schon, meine Schreibblockade zu überwinden, wieder in meine Schreibzone zu finden, meine Ideen zu sammeln, zu konkretisieren. Bisher ist dabei lediglich eine Kladde voller leicht manisch wirkender Zeichnungen herausgekommen.

Es muss einfach klappen, verdammt noch mal.

Ich hole tief Luft. Die riecht nach muffigen Cheetos.

Ich muss nur in meine Schreibroutine zurückfinden, sage ich mir immer wieder. Dann schaffe ich das. Ich habe es doch schon einmal geschafft.

Vielleicht bleibt ja mal was hängen, wenn ich mir diesen Mist nur oft genug vorbete. Den ganzen Sommer übe ich mich jetzt schon im positiven Denken. Keine einfache Sache, das kann mir jeder gern glauben.

Meine Knie zittern, ein erstes Anzeichen für eine bevorstehende Krise. Ehe die Panik mich packen kann, fährt eine Stimme dazwischen.

»Darlin’, du siehst mir aber nicht nach Erstsemester aus.«

Ich drehe mich um, bis ich ihn aus den Augenwinkeln sehen kann. Er lehnt in der Tür. Der RA.

»Das liegt daran, dass ich keins bin«, sage ich.

»Und was suchst du dann in den Warren Towers? Ich meine – freiwillig? Ich muss hier rumhängen, ich werde dafür bezahlt. Was ist deine Ausrede?«

Er will witzig sein, das kapiere ich schon. Ich bin bloß einfach nicht in der Stimmung.

»Die Suche nach einer Geräuschkulisse.« Ich wende mich wieder meiner Kladde zu, spüre allerdings seinen Blick auf mir ruhen, woraufhin meine Wangen langsam heiß werden. »Hör mal, ich bin echt keine Spannerin oder so, falls du das meinst«, verteidige ich mich. »Ich such hier lediglich nach ein bisschen Inspiration.«

Rasch werfe ich ein paar Worte aufs Papier, vielleicht reißt mich ja eins davon aus meinem Schreibkoma: Koffer, heißer RA, Kondome, Diät-Cola, Donuts.

Der Blick in meinem Rücken ist ziemlich intensiv. Ich würde ihn gern ignorieren, weswegen ich angespannt aus dem riesigen vom Boden bis zur Decke reichenden Fenster starre.

Die Aussicht hier habe ich vom ersten Tag an geliebt. Boston ist so reich an Farben, so lebendig, mit dem gebrannten Sienna der Sandsteinhäuser, die in der Augustsonne schmoren. Ganze Wände aus Efeu kräuseln sich in der vom Charles River herüberkommenden Brise. Wie gern würde ich jetzt eine Runde laufen gehen.

Es ist so viel passiert, seit ich in meinem ersten Studienjahr hier im Wohnheim gelebt habe. Ich werde richtig nostalgisch, wenn ich daran denke. Auf genau dem Stuhl, auf dem ich jetzt sitze, kam mir vor drei Jahren die Idee zu meinem Buch, und ich hoffe aus ganzem Herzen auf eine Wiederholung.

Ein rascher Blick auf die Uhr versetzt mir einen Schlag in die Magengrube. Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wenn ich nicht endlich ans Schreiben komme, wird nie etwas aus meinem neuen Buch. Und es muss etwas werden, weil außer mir niemand für meine Rechnungen aufkommt. Die Boston University hat nicht gerade eine Schwäche für arme, kleine, reiche Mädchen, denn rein dem Papier nach bin ich mit einem silbernen Löffelchen im Mund zur Welt gekommen, beide Eltern Fortune-500-Arschlöcher. Leute also, die auf der Liste der reichsten Menschen des Landes stehen. Leider haben sie das Memo mit der Aufforderung, sich gefälligst für mein Leben zu interessieren, nie gekriegt.

Was ich getan habe, dass sie so sauer auf mich sind? Momentan spielt diese Frage keine Rolle. Fest steht, ich brauche Geld. Und zwar pronto.

Es gibt da eine Sache, die für mich arbeitet: An guten Tagen, wenn die Sterne alle so stehen, wie sie stehen sollten, und das Schicksal nichts dagegen hat, kann ich schreiben, was das Zeug hält. Was mir am Ende meines ersten Jahres hier sehr geholfen hat, als der Brief von der Finanzverwaltung eintrudelte, weil ich der Uni inzwischen coole zwanzig Riesen schuldig war.

Mein Roman hat mir geholfen, diese Rechnung zu begleichen. Was irgendwie ein Witz ist, weil er einen der peinlichsten Momente in meinem Leben beleuchtet.

Nichts von dem, was ich seither geschrieben habe, lässt sich mit »Sag mir, es ist nicht so« vergleichen. Der Roman ist und bleibt mein bisher einziges Buch, ein Glückstreffer, der mich aus dem Schuldnerturm befreit hat. Vielleicht habe ich seitdem nichts Vergleichbares mehr geschrieben, weil das auch nicht unbedingt nötig war. Denn das, was aus ein paar weinerlichen Ergüssen in meinem Tagebuch irgendwie zu einer Erzählung heranreifte, kletterte sofort nach seinem Erscheinen in den Charts hoch und wurde zu einem Bestseller unter den im Selbstverlag publizierten, den Indie-Büchern.

Der RA lehnt immer noch in der Tür, was ich mitkriege, als mich sein Räuspern wieder ins Hier und Jetzt holt. »Und diese Inspiration willst du hier finden? In einem Wohnheim für Studienanfänger?«

Er grinst, als er das sagt, das höre ich, da muss ich noch nicht einmal hinschauen.

Wie zum Teufel kannst du jemanden lächeln hören?, spottet meine innere Stimme.

Als Nächstes lacht der Mann leise. »Hattest du Glück? Konntest du dich inspirieren lassen?«

Jetzt endlich drehe ich mich ganz zu ihm um, und was ich sehe, lässt meinen Magen Purzelbäume schlagen. Der RA ist groß, mit dunklem, struppigem Haar, von dem ihm ein paar Strähnen in die Stirn fallen, und unglaublich eindringlich blickenden grünen Augen. Die Mädels hatten recht, er sieht ja wirklich extrem heiß aus. Sein Lächeln strahlt mit wer weiß wie viel Megawatt, und wahrscheinlich hat er Muskeln, die man am liebsten abschlecken würde. Beim bloßen Gedanken daran zieht sich mir die Brust zusammen.

Clem! Um Himmels willen, reiß dich zusammen.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, bis es wehtut, und lasse meinen Blick zurück zu meiner Kladde wandern.

»Nein.« Ich schüttele den Kopf. Hätte ich doch nur mehr Zeit zum Schreiben. »Kein Glück mit der Inspiration.«

Mit zusammengebissenen Zähnen setze ich meinen Kuli in Bewegung, der brav wieder seine Kreise malt. In meiner Brust hämmert es heftig, was ich zu ignorieren versuche. Hoffentlich hämmert mein Herz nur, weil über meinem Kopf das Damoklesschwert der Studiengebühren hängt, hoffentlich hat dieser Doppelgänger von Henry Cavill da an der Tür nichts damit zu tun. Ich blättere in meiner Kladde, verzweifelt auf der Suche nach irgendetwas, das mich anregen, das mir helfen könnte, mich einzukriegen.

An der Tür bewegt sich etwas.

»Ich heiße übrigens Gavin.«

»Freut mich«, antworte ich halbherzig. Mein Körper hat auf Autopilot geschaltet und packt meine Sachen zusammen, obwohl ich eigentlich noch bleiben könnte.

Scheiße. Verdammte Scheiße! Ich kann noch nicht gehen, ich bin noch keinen Schritt weitergekommen.

»Und … du?«

»Ich?«, zische ich. »Ich gehe.« Meine innere Stimme seufzt. Sie findet, ich müsste nicht immer so zickig sein.

»Gut, aber das hatte ich nicht gemeint.« Er klingt belustigt.

Ich schwinge mir meine Kuriertasche über die Schulter.

»Ich weiß, was du gemeint hast.« Da er mir den Ausgang versperrt, muss ich ihn wohl anschauen.

Er ist größer, als ich auf den ersten Blick dachte, und gebaut wie …

Kaum habe ich den Zitronenduft seines Rasierwassers in der Nase, schlägt mein Herz noch schneller. Das ärgert mich gewaltig. Ich bin ein modernes Mädchen und stolz darauf, ich brauche keinen Mann. Schon allein deswegen nicht, weil er mir sowieso nur das Herz brechen würde. Und wenn dieser Typ mit seinem hinterhältigen Grinsen mir jetzt Kamikaze-Schmetterlinge im Bauch beschert, dann macht mich das einfach nur wütend.

Übertrieben seufzend warte ich darauf, dass er mir endlich aus dem Weg geht. Dabei bleibt mein Blick unwillkürlich an seinem wohlgeformten Bizeps hängen, der von innen gegen den Stoff seines T-Shirts drückt.

Clementine, hör auf, ihn anzugaffen!

Ich zwänge mich an ihm vorbei und steuere den Fahrstuhl an, wobei ich mich wieder einmal über mich selbst wundere. Ich drücke auf den Fahrstuhlknopf, warte knapp drei Sekunden, drücke wütend noch einmal.

»Wir sind im siebzehnten Stock, das kann eine Weile dauern«, meldet er sich von hinten. »Du hättest schon noch Zeit, mir deinen Namen zu verraten.« Da ist es wieder, dieses leise, belustigte Lachen. Dass ich eine deutliche »Verpiss-dich!«-Botschaft ausstrahle, scheint den Typen nicht zu interessieren.

Dann ist die Inspiration eben ausgeblieben. Ich versuche, mich zu beruhigen. Das hat nichts zu bedeuten. Das war heute, noch kann alles anders werden.

Aber trotz meiner Bemühungen spielt mein Magen verrückt, und ich will gerade die Treppe nehmen, als endlich der Fahrstuhl kommt. Die Tür geht auf, und ein wunderbares Gefühl der Erleichterung überkommt mich. Ich könnte nicht sagen, warum ich hier auf der Stelle weg muss, aber weg muss ich auf jeden Fall.

Im Fahrstuhl drehe ich mich noch einmal um. Draußen steht dieser widerlich sexy RA, die Arme vor der Brust verschränkt, und beobachtet mich. Als sich unsere Blicke begegnen, zieht er die Brauen hoch.

Die Tür will zugehen, und plötzlich komme ich mir albern vor.

Ist ja schon gut!

»Clem. Ich heiße Clementine«, sage ich.

Dann schließt sich die Tür endgültig, aber vorher kriege ich noch mit, wie er grinst.

In unserem Treppenhaus riecht es wie immer nach feuchter, abgestandener Luft. Oben in der Wohnung haben sich alle um den Couchtisch versammelt, der bestimmt mal ein Wagenrad war, wobei sich Jenna, beide Hände in die Hüften gestemmt, beschützend an ihren geliebten Flohmarkt-Fund drängt. Sie hat ihr schulterlanges blondes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und auf ihrer rechten Wange prangt ein Fleck.

»Clem, du musst mir hier mal helfen!«, bettelt sie im süßesten Akzent von South Carolina. »Findest du ihn grauenhaft? Ich nämlich nicht. Ich finde, er hat Charakter.«

Neben Jenna steht Harper und fleht mich wortlos an, mich doch bitte, bitte auf ihre Seite zu schlagen. Sie nimmt die Brille ab, um sich den Nasenrücken zu massieren, und wischt sich eine dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht. Harper ist mein hauseigener Seelenklempner, ein echtes Geschenk des Himmels. Ihr Vater ist ein in aller Welt bekannter Psychiater, und eines Tages wird sie auch einer sein.

Harper und ich wohnen zusammen, seit wir es beide im zweiten Semester des ersten Studienjahrs nicht mehr mit den uns in den Warren Towers ursprünglich zugewiesenen Mitbewohnerinnen aushielten. Später kriegten wir noch Jenna zugeteilt, die wie ich im Hauptfach kreatives Schreiben studiert, und durch irgendwelche glücklichen Umstände erwischten wir drei im zweiten Studienjahr eins der heiß begehrten Apartments in der Bay State Road mit ihren umwerfend schönen Sandsteinhäusern. Seitdem wohnen wir zusammen.

Abgesehen von Harper und Jenna kennen mich die Leute hier an der Uni eigentlich nicht. Sie wissen nicht, wer ich wirklich bin. Sie wissen auch nicht, dass ich mal einen verdammt großen Haufen Geld erben werde, denn mit meinem Treuhandfonds und dem, was mein Großvater mir hinterlassen hat, kommt wirklich allerhand zusammen. Die Summe ist schon irre, aber ich mag nicht, wie die Leute mich anschauen, wenn sie mich für eins dieser Treuhandbabys halten.

Außerdem gehört das Geld noch nicht mir, also will ich es auch nicht. Schon gar nicht, wenn ich meiner Mutter in den Arsch kriechen müsste, um dranzukommen. Denn das wird nie passieren, darauf kann jeder Gift nehmen.

Harper räuspert sich mahnend. Ach ja, ich soll ja hier die Entscheiderin spielen.

»Jenna, die neue Wohnung ist kleiner, wir haben da nicht so viel Platz«, formuliere ich vorsichtig, um ihr das Einlenken einfach zu machen. »Das Wohnzimmer ist sogar ziemlich klein.«

Harper und ich träumen schon den ganzen Sommer über davon, den Tisch im Ofen zu verheizen, doch das lasse ich lieber unerwähnt.

»Baby?« Jennas Freund Ryan trägt einen leicht resignierten Ausdruck im Gesicht. »Wie wär’s, wenn ich ihn erst einmal zu mir nehme? Ich stelle ihn in meine Garage, und nächsten Sommer kannst du ihn dir wiederholen.« Ryan ist im Grunde ein prima Kerl, auch wenn ich ihn oft runtermache. »Das mach ich gern, uns und den Tisch verbinden schließlich ein paar schöne Erinnerungen.« Er wirft Jenna ein vielsagendes Grinsen zu, wobei er bedeutungsvoll die Brauen hochzieht. Mir ist sehr nach Kotzen.

»Widerlich!« Harper hält sich die Ohren zu. »Wieso könnt ihr zwei euch beim Sex nicht aufs Schlafzimmer beschränken wie normale Leute?«

»Weil meine Liebste so scharf ist. Kann ich was dafür?« Ryan beugt sich vor, um Jenna zu küssen. Die kichert wie ein verliebter Teenager.

Uns rettet der Summer an der Haustür. Ryan sprintet los, über gepackte Kartons hinweg und zur Tür hinaus, um den Pizzaboten zu bezahlen. Wir fahnden derweil nach Papptellern und versammeln uns dann zum Essen auf dem nackten Wohnzimmerfußboden.

Nach dem Essen sitzen wir völlig schlapp in der Gegend herum, und die Vorstellung, all unseren Krempel einmal quer über den Campus schleppen zu müssen, ist alles andere als einladend.

Harper hält müde ihr Glas Limonade hoch. »Auf unser Abschlussjahr!« Brav heben auch wir anderen unsere Gläser. »Auf Ryan«, fährt sie fort. »Mögen all seine Konzerte ausverkauft sein.« Ryan zwinkert ihr zu und reckt stolz das Kinn, wie er es auch auf der Bühne gern tut. »Auf Jenna! Möge sie im Schlafzimmer weiterhin glücklich sein, nur bitte nicht mehr so unüberhörbar.« Jenna zeigt unserer Mitbewohnerin lachend den Stinkefinger. Harper wendet sich grinsend an mich. »Auf Clem! Möge sie noch einen Bestseller schreiben.«

Ihr Trinkspruch weckt Furcht, aber auch Hoffnung in mir. Vielleicht habe ich meine Durststrecke ja endlich hinter mir, vielleicht kann ich es wirklich noch einmal schaffen.

Ryan richtet anklagend seinen Pappbecher auf mich. »Und wann darf ich dieses Buch von dir mal lesen?«

Die Antwort ist einfach: »Nie.« Ich mustere ihn mit tadelnd hochgezogenen Brauen, während er so tut, als wäre er am Boden zerstört. Ja, ja, als würde er meinen Chick-Lit-Young-Adult-Roman so brennend gern lesen.

Jenna findet, unser Toast muss noch ergänzt werden. »Auf Harper! Mögen sich all ihre Interpretationen meiner freudschen Fehlleistungen als falsch erweisen.«

Auch darauf stoßen wir an. Alle lachen.

Mitten im Toast fällt Jenna etwas ein, und sie wedelt mit der Hand, bis die Limo spritzt. »Leute, nicht vergessen: Ryan tritt morgen Abend im Euphoria auf!« Jenna ist das perfekte Groupie, fehlt bei keinem Konzert, steht immer in der ersten Reihe und vögelt ihren Typen, der Sänger bei der Band Tragic Paradox ist, den ganzen Abend über mit den Augen. »Sie haben einen neuen Gitarristen! Umwerfend, sage ich euch.«

Sie beugt sich zu Ryan, um ihm ein Küsschen zu geben. Aus dem Küsschen wird schnell ein ausgewachsener Kuss, gefolgt von wildem Knutschen, das Harper und mich nervös stöhnen lässt. Endlich zieht sich Ryan lässig zurück, nicht ohne Jenna vorher noch ordentlich zu betatschen.

»Musst du unbedingt immer so pervers sein?« Ich werfe ihm meinen übelsten »Hau-ab,-du-stinkst!«-Blick zu, aber Ryan lacht bloß. Jenna scheint es nichts auszumachen, dass er sie gerade an den Busen gefasst hat. Sie hat sich dran gewöhnt, in aller Öffentlichkeit betatscht zu werden wie vorm Abflug vom Sicherheitspersonal des Flughafens.

Nach wie vor hat Ryan für meinen finsteren Blick nur ein dämliches Grinsen übrig. Entnervt schüttele ich den Kopf. »Du bist wohl immun gegen meine Kräfte, was?«

Er zuckt lässig die Achseln. »Sieht so aus.«

»Ich scheine dich jedenfalls nie einschüchtern zu können«, fahre ich fort.

»Dafür haben alle meine Freunde eine Scheißangst vor dir.« Er zerzaust mir die Haare, wie Erwachsene das gern bei einem Kind tun, und ich denke ernsthaft an einen Fausthieb in seine Nieren. »Warum bist du immer so gemein, Clementine?«

Ich rutsche von ihm weg. »Bleib doch vom Ofen weg, wenn du die Hitze nicht abkannst!«

»Ach was, dir fehlt einfach der würdige Gegenspieler.« Er hat dieses Funkeln in den Augen – der Typ will meine Botschaft einfach nicht verstehen!

»Brauch ich nicht, und versuch bloß nicht, mich mit einem von deinen jämmerlichen Spezies zu verkuppeln!«

»Clem?« Er legt den Kopf schief.

»Ja?«

Jetzt zieht er auch noch eine Augenbraue hoch. »Krieg das jetzt nicht in den falschen Hals, aber bist du eine Lesbe?« Ehe ich in höhnisches Gelächter ausbrechen kann, hebt er abwehrend die Hände. »Weil das nämlich total okay wäre, wenn du eine bist. Ich würde dich deswegen auf keinen Fall verurteilen. Ehrlich gesagt fände ich es ziemlich scharf.«

»Verpiss dich, Ryan!«

»Ich glaube, du wärst viel entspannter, wenn du mal Sex hättest. Nur ein Mal!«

»Wer sagt denn, dass ich keinen habe?«

Darauf läuft es einfach immer hinaus. Ich fange Harpers Blick auf, und sie schneidet eine Grimasse. Sie weiß, wie wenig ich auf diese Unterhaltungen stehe.

»Clem kann doch nichts dafür, wenn die meisten Männer ihren Standards nicht gerecht werden«, mischt Jenna sich ein, die gerade unsere Pappteller zusammensucht.

»Danke.« Es ist ja nun wirklich nicht so, als wäre ich noch nie mit irgendwem zusammen gewesen. Ich habe es einfach nur aufgegeben, jemanden finden zu wollen, der kein Scheißkerl ist. Einen, der mich nicht hintergeht. Der kein Stalker ist. Ja, Männer sind echt das Letzte.

Ryan runzelt die Stirn. »Seit ich mit Jenna zusammen bin, hast du nicht einen Freund gehabt. Und ich bin schon ’ne Weile mit Jenna zusammen. Das ist doch total für ’n Arsch. Alle meine Freunde geiern danach, es mal bei dir zu versuchen. Ich würde dich zu gern mit jemandem zusammenbringen, ich glaube, das wäre einfach gut für den Genpool.«

Der Typ hat doch ein Rad ab. An meinen Genen ist nun wirklich nichts Besonderes. Ich bin eher klein, mit langen hellbraunen, fast blonden Haaren und blauen Augen. Die Leute sagen oft, Jenna und ich könnten glatt als Schwestern durchgehen, nur ist ihr Haar seidig und glatt, während meins länger ist und sich kräuselt. Wenn ich so gut aussehen wollte wie Jenna, wenn sie gerade aus dem Bett kriecht, müsste ich einen Großteil des Tages unter einem Fön verbringen. Nein, danke.

Am meisten spricht für mich und mein Aussehen zurzeit meine Liebe zum Laufen und Klettern. So ist wenigstens dafür gesorgt, dass all meine Einzelteile noch eine Weile dort bleiben, wo sie jetzt sind.

»Ha!« Ryan richtet mit hinterhältigem Grinsen den Finger auf mich. »Du datest nie, und das heißt doch, dass du Männer irgendwie hasst, oder? Bis auf mich natürlich.«

Er beehrt mich mit seinem Hundeblick, woraufhin Jenna liebevoll zu gurren beginnt. Himmel, hilf!

»Ich hasse durchaus nicht alle Männer«, kläre ich ihn auf, »sondern bloß die, die vorhersehbar sind.« Was mag nur heute in Ryan gefahren sein? Er sollte doch eigentlich wissen, dass man sich mit mir nicht anlegen darf.

»Mädel, dir sollte man ein Warnschild verpassen«, spottet er weiter. »›Achtung, bei Fehlbedienung droht Verletzung oder Tod!‹«

»Prima Idee«, pflichte ich ihm bei, indem ich ihn spielerisch in den Magen boxe. »Mit den Verletzungen könnten wir gleich schon mal anfangen.«

Die Bay State Road präsentiert sich im üppigen Grün ihrer Ahornbäume und efeuüberwucherten Mauern, eine Idylle, perfekt für eine Postkarte nach Hause. Wenn ich denn Postkarten nach Hause schicken würde.

Genau einen Block vom Herzen der Boston University entfernt steht das Sandsteinhaus, das in diesem Jahr unser Zuhause werden soll. Obwohl ich todmüde bin, die Autos in Zweierreihen parken und es überall vor Studenten nur so wimmelt, muss ich einfach stehen bleiben und zu den Fenstern unserer neuen Wohnung hochblicken, vor Freude so aufgeregt, dass ich fast auf und ab gehüpft wäre.

Dann springen Harper, Jenna und ich die Treppe hinauf und reißen die Tür zu unserer neuen Bleibe auf.

»Wollen mal sehen, wie wir uns am besten aufteilen.« Harper hat ihre vernünftige Miene aufgesetzt.

Unsere Wohnung im obersten Stock eines vierstöckigen Hauses ohne Fahrstuhl bietet ein bisschen mehr Raum als die anderen Wohnungen im Haus. Trotzdem ist das hier kaum mehr als ein etwas besseres Wohnheim.

Gleich vorn hinter der Wohnungstür liegt der kleine Gemeinschaftsbereich, von dem zwei Einzel– und ein Doppelzimmer abgehen. Vier Mädchen und ein Bad – das hat noch nie jemandem Spaß gemacht.

»Dani und ich wohnen zusammen«, verkündet Jenna. »Das Doppelzimmer nach vorn raus ist also meins.«

Jenna ist die meiste Zeit bei Ryan, braucht also hier bei uns nicht so viel Privatsphäre.

Ich bin froh, dass nicht ich mit dem neuen Mädchen ein Zimmer teilen muss. Das ist der Nachteil, wenn man auf dem Campus wohnt, obwohl es ansonsten ja sehr bequem ist: Dem Lotteriesystem der Zimmervergabe war es egal, dass wir weiterhin als Trio leben wollten. Es hat uns eine Suite zugewiesen, in der vier Studenten Unterschlupf finden können. Danach blieb uns nur die Wahl, entweder abzuwarten, bis uns dasselbe System irgendjemand zuweist, oder uns krampfhaft selbst eine Vierte im Bunde zu suchen. Jenna schwört, dass wir Dani lieben werden, doch in dieser Frage behalte ich mir das letzte Wort noch vor. Man kann nicht vorsichtig genug sein. Schon gar nicht in meiner Position.

Da die Presse nichts lieber täte, als den Namen meiner Familie bei jeder sich bietenden Gelegenheit in sämtlichen Klatschspalten zu vermarkten, versuche ich, unter dem Radar zu leben. Meinem Zwilling ist das passiert, er ist ein paarmal in die Boulevardpresse geraten. Allerdings liebt Jax das Rampenlicht, weil es ihm zu so viel Sex verhilft, wie er nur haben will.

Ich dagegen habe es mir zur Aufgabe gemacht, ein ruhiges Leben zu führen, auch wenn das manchmal ein wenig langweilig ist. Langeweile ist mir lieber als Drama, denn Drama hatte ich in meinem Leben weiß Gott schon genug.

Und weil ich es lieber ruhig mag, habe ich mein Buch auch unter einem Pseudonym veröffentlicht. Ich möchte nämlich auf keinen Fall auf das Fiasko, das mich zu dem Roman inspiriert hat, Anspruch erheben müssen.

Aber jetzt stehen wir erst einmal hier und verteilen die Zimmer. Harper sieht mich fragend an. Ich zucke die Achseln. Mir ist es egal, welches Zimmer ich kriege, Hauptsache, ich wohne allein. Deswegen habe ich für ein Einzelzimmer bezahlt, obwohl mich das finanziell ziemlich belastet, denn ich kann nun einmal nicht schreiben, wenn im Hintergrund die Glotze läuft.

»Such du dir ein Zimmer aus«, sage ich zu Harper. »Mir ist alles recht, solange ich nicht wieder mit Eva Richardson zusammenwohnen muss.«

Harper lacht. Eva, eine bissige Schnepfe, die einer studentischen Verbindung angehört, hat mir als Erstsemester das Leben zur Hölle gemacht. Sie war aber auch der Grund dafür, dass ich mich später im Jahr mit Harper zusammentun konnte.

Hinter uns hallen schwere Schritte auf der Treppe, und als wir uns umdrehen, kommt laut stöhnend der mit mächtigen Umzugskartons bepackte Ryan angestapft.

»Scheiße! Hättet ihr euch keine Wohnung im ersten oder zweiten Stock nehmen können?«, beschwert er sich, schon ganz außer Atem. Auf dem Treppenabsatz angekommen, schichtet er die Kartons um, damit sie ihm nicht wegrutschen.

»Morgen Abend gehen Drinks und Essen auf uns«, verspreche ich ihm, indem ich ihm den obersten Karton abnehme. »Außerdem darfst du den hübschesten Mädchen auf dem Campus beim Umziehen helfen, das ist praktisch eine Ehre. Beschwer dich also nicht, sei ein Mann, Kumpel!«

Er seufzt, nickt dann aber doch. »Du hast ja so recht.«

Okay, vielleicht sind doch nicht alle Männer Schweine.

2

Am nächsten Tag tun mir vom Umzug die Muskeln weh, als hätte mich ein Nutztier mittlerer Größe malträtiert, und die Vorstellung, zur Arbeit gehen zu müssen, begeistert mich nicht gerade. Ich arbeite als stellvertretende Managerin im Buchladen des Campus, eine unter Studenten heiß begehrte Stelle, weil sie mit Rabatt auf Bücher, Klamotten und vor allem natürlich Kaffee einhergeht. Der Laden zieht sich über einen halben Block, ist drei Stockwerke hoch und enthält von Barnes & Noble bis zu Starbucks so ungefähr alles, was man zum Leben im Wohnheim braucht. Außerdem noch Klamotten. Eifrige Eltern können sich hier eindecken, um das vergammelte Zimmer ihrer Sprösslinge aufzupeppen, ein Vermögen für Lehrbücher hinblättern und zur Krönung des Ganzen für die Oma zu Hause noch einen Kaffeebecher mit witziger Aufschrift erstehen.

Ich liebe meinen Job. Meistens. Er sorgt dafür, dass mein Kopf etwas zu tun hat und ich mich nicht in einer Höhle verkriechen kann, wie ich es bei Stress sonst gern tue. Momentan ist die geschäftigste Zeit des Jahres.

In ein paar Tagen fängt die Uni wieder an, und ich muss mich im Laden um das Lager kümmern, das aus allen Nähten platzt. Ich würde gern blaumachen, was aber nicht geht, weil ich das Geld brauche, denn auf keinen Fall will ich meine Mutter um Hilfe bitten. Also sorge ich mit einem doppelten Latte für die nötige Koffeinzufuhr und stelle mich geistig schon mal auf die vor mir liegenden Arbeiten ein.

Mein Buch verkauft sich, wie gesagt, ziemlich gut, aber ich besuche eine der teuersten Unis des Landes, die sich noch dazu in einer der teuersten Städte befindet, und das belastet meine Finanzen doch heftig. Meinen Bruder unterstützt unsere Mutter mit Geld. Immerhin studiert der nicht hier, sondern ein bisschen weiter die Straße runter am Boston College, also muss ich mir nicht jeden Tag ansehen, wer von uns in der Familie den besseren Stand hat.

Ich schicke Jenna noch schnell eine SMS, entschuldige mich, weil ich Ryans Konzert ausfallen lassen muss, und verspreche, mich auf jeden Fall zu beteiligen, wenn wir zusammenlegen und ihm als Dankeschön für die Umzugshilfe ein paar Drinks spendieren.

Jennas Antwort kommt postwendend: Okay, du bist entschuldigt, aber mit dir wär es heute Abend schöner. Wollte dich mit dem neuen Gitarristen bekannt machen. Murphy, sehr niedlich.

Ich muss lachen. Hör auf, mich ständig verkuppeln zu wollen!

Jenna: Irgendwann geht deine Möse zu, und du kriegst sie nur mit chirurgischer Hilfe wieder auf.

Ich: Keine Sorge, ich habe eine Krankenversicherung und batteriebetriebenes Spielzeug, das weder betrügt noch stalkt. Perfekter geht’s nicht.

Okay, eine Krankenversicherung habe ich nicht. Auch keinen Vibrator. Eigentlich lüge ich Jenna nicht gern an, aber sie versteht echt nicht so ganz, warum ich nicht date, und ich mag diese Unterhaltung nicht schon wieder führen. Dazu fehlt mir einfach die Energie.

Jenna: Okay, ich lass es dir heute durchgehen, aber nur unter einer Bedingung.

Ich:?

Jenna: Ich darf deinen Geburtstag nächste Woche gestalten. Wie ich will, du gibst mir einen Freibrief.

Ich: Das ist ganz schön harter Tobak. Und wenn ich nun Nein sage?

Jenna: Dann hast du zehn Minuten, um deinen Arsch herzuschaffen.

Ich: Du bist echt fies. Okay, abgemacht. Du kriegst meinen Geburtstag.

Jenna: Hab dich lieb! Arbeite nicht zu lange.

Kopfschüttelnd stecke ich mein Handy weg und mache mich an die Arbeit.

Erst nach Mitternacht bin ich mit der Inventur fertig. Auf dem Kenmore Square drängen sich massenhaft Studenten Richtung Landsdowne Street, wo es mindestens ein Dutzend Bars gibt. In der Bay State Road jedoch liegt der Block mit unserem Haus fast im Dunkeln. Zwei Straßenlaternen sind kaputt. Unwillkürlich gehe ich schneller und bin froh, bald vor unserer Haustür zu stehen.

Harper hat sich auf der Couch im Wohnzimmer zusammengerollt und telefoniert, als ich durch die Tür komme. Erleichtert registriere ich, dass außer ihr niemand da zu sein scheint.

»Bist du allein hier?«, erkundige ich mich, sobald sie aufgelegt hat.

»Ja. Jenna ist mit zu Ryan gegangen. Du weißt doch, wie die beiden nach einem Konzert sind.« Sie verdreht vielsagend die Augen. »Dani ist mit Freunden essen.«

Ich schnappe mir das andere Ende von Harpers Wolldecke und mache es mir neben ihr bequem. Seite an Seite starren wir Richtung Fernseher, bei dem der Ton abgestellt ist. Irgendwann werden wir uns mit den an der Wand aufgereihten Kartons befassen müssen, aber nicht jetzt. Jetzt bin ich viel zu müde, um auch nur an Einräumen zu denken. Meine Beine fühlen sich taub an, und langsam breitet sich tiefe Erschöpfung bis in den letzten Winkel meines Körpers aus.

»Wie war es denn heute Abend?«, will ich wissen.

»Die Band war klasse. Nur Kade, dieser Riesenarsch, muss mich einfach ständig anbaggern.«

Kade ist der Drummer der Band. Außerdem Sohn irgendeines Politikers und gewöhnt, immer zu kriegen, was er will. Typen wie er sind gefährlich, denn sie haben Geld, Macht und keine Angst vor den Grundregeln der Gesellschaft. Das habe ich auf die harte Tour lernen müssen.

»Scheiße!«, sage ich mitfühlend.

»Mir ist es scheißegal, wie gut der Typ aussieht. Wenn der mir noch einmal die Hand auf den Hintern legt, dann ist sie ab!«

Obwohl Harper auf den ersten Blick nicht so schön aussieht wie Jenna, ist sie auf ihre eigene Art ebenso umwerfend. Noch dazu gehört sie zu den wenigen Menschen in meinem Bekanntenkreis, die sich in ihrer eigenen Haut wohlfühlen. Sie studiert Psychologie und hat nichts dagegen, in den unwirtlichen Windungen meines Hirns zu wühlen, bis ich aufhöre, verrückte Dinge zu tun.

»Kade ist ein Affe. Ich verstehe echt nicht, wieso Ryan mit ihm befreundet ist.«

Harper richtet sich auf. »Aber der neue Gitarrist ist ein ganz Lieber!«, sagt sie. »Und so was von niedlich.«

»Das höre ich nicht zum ersten Mal.« Ich habe den Typen noch nicht gesehen, wenn er jedoch jetzt schon Harpers Aufmerksamkeit hat, soll das etwas heißen. »Dann lässt du deinen Loverboy für ihn sausen?«

»Du weißt doch, wie ich bin!«

Ich. Bin. So. Blöd.

Verzweifelt krame ich in meiner Tasche nach der Liste mit meinen Kursen für den Herbst. Die hatte ich im Mai da reingestopft und danach total vergessen. Was steht da? Griechische und römische Mythologie in Literatur, Psychologie, Romance Writing, und als Letztes angewandte Mathematik.

Zwei Dinge habe ich drei Jahre lang vor mir hergeschoben, bis es nicht mehr ging: meinen Pflichtschein in Mathe, weil ich mathematisch gesehen unterbegabt bin, und den Schreibkurs, von dem ich mir am meisten versprochen habe und auf den ich mich am meisten freute, aber nur, wenn Professor Golding ihn gab. Bei ihr und bei niemand anderem wollte ich mich mit dem Young-Adult-Roman auseinandersetzen. Vergangenes Frühjahr war Professor Golding im Mutterschutz gewesen, und dieses Jahr läuft ihr Kurs nur jetzt, im Herbst, es ist also meine letzte Chance. Ich hatte fest damit gerechnet, in ihrem Seminar Ideen für mein neues Buch sammeln und ausarbeiten zu können, damit ich es endlich mal schreibe.

Und jetzt? Beim zweiten Durchlesen meiner Liste hängt mir der Magen schon in den Kniekehlen.

Ich Genie habe mich versehentlich für den Romance-Kurs eingetragen, und wie es das Schicksal will, war mir das bislang nicht aufgefallen.

All meine schönen Träume vom Schreiben unter Professor Goldings Fittichen lösen sich im Handumdrehen in Luft auf.

Inzwischen gibt es in ihrem Kurs bestimmt keinen Platz mehr. Ebenso wenig wie in Boston eine Straße ohne Schlaglöcher – beides ein Ding der Unmöglichkeit.

Young Adult Writing wird noch von einem anderen Dozenten unterrichtet, aber gegen den habe ich gleich in meinem ersten halben Jahr hier ein Kontaktverbot erwirkt, weswegen wohl die Hölle zufrieren muss, bis ich mich noch einmal von ihm unterrichten lasse.

Den ganzen Sommer, den ganzen verdammten Sommer lang hätte ich diese Sache klären können, ich hätte nur mal einen anständigen Blick auf meinen Stundenplan werfen müssen. Habe ich aber nicht, bis auf den einen, flüchtigen ganz am Anfang, um zu sehen, ob alles draufsteht. Dabei habe ich dann wahrscheinlich »Novel Writing« gesehen und gedacht, es sei alles in Butter. Scheiße.

Erst nachdem ich im Computer zehn Minuten lang ohne zu blinzeln meine Rückmeldung mit dem Vorlesungsverzeichnis verglichen habe, ist mir klar, dass die Kursnummern für Young Adult und Romance Writing fast identisch sind. Zu spät. Wir haben Labor-Day-Wochenende, es ist Sonntagabend, und ich kann nichts, absolut nichts mehr machen, bevor die Kurse anfangen.

Fuck!

Der Dienstag rückt an, und um zehn Uhr morgens bin ich schon reif für einen Schluck Alkohol. Irgendwas, möglichst was Hartes, Tequila vielleicht. Ich neige wirklich nicht zur Trunksucht, aber beim Anblick der Horden, die sich im überfüllten Seminarraum drängen, um vielleicht doch noch in Professor Goldings YA-Kurs zu kommen, fühle ich mich erledigt, obwohl der Tag gerade erst angefangen hat. Ich notiere mir zur Sicherheit noch einmal Professor Goldings Sprechzeiten. Wahrscheinlich ist es besser, außerhalb des Kurses mit ihr zu reden. Dann mache ich mich auf den Weg zum Schreibkurs Liebesromane.

Allerdings verdrehe ich auf der ganzen Strecke praktisch ununterbrochen die Augen. Ich hasse Liebesromane.

Ich bin so was von am Arsch.

Ich komme zehn Minuten zu spät, aber immerhin, ich bin da. Und so schaffe ich es, leicht gebückt in den Raum zu huschen und einen der letzten freien Plätze zu ergattern. Am liebsten wäre ich unsichtbar. Der Raum ist groß und trotzdem bis auf die letzte Reihe gefüllt, was seltsam ist, weil sich hier eigentlich nur Leute aufhalten sollten, die einen Abschluss in kreativem Schreiben anstreben.

Professor Marceaux stolziert vor der Klasse auf und ab und mustert uns, leise mit der Zunge schnalzend. Noch ehe ich einen Blick auf den Lehrplan werfen kann, nickt sie einer Studentin zu, die sich gemeldet hat.

»Was ist der Unterschied zwischen ›Fifty Shades of Grey‹ und einem Liebesroman?«, will das Mädchen wissen, das gleich in der ersten Reihe sitzt.

Es erhebt sich allgemeines Gemurmel, offenbar haben sich auch andere mit dieser Frage befasst. Bin ich denn die Einzige, die »Fifty Shades of Grey« nie gelesen hat?

Professor Marceaux bleibt sofort stehen. »Eine sehr gute Frage, Ana«, lobt sie. »Zunächst einmal, und das scheint mir das Wichtigste zu sein, geht es der Hauptfigur in Fifty Shades immer wieder darum, ob sie sich Christian unterwerfen will oder nicht. Die ganze Geschichte dreht sich um diesen sexuellen Konflikt, weswegen wir das Buch zweifelsfrei dem Genre Erotik zuordnen können. Lassen Sie uns außerdem noch die Wortwahl betrachten, für die sich die Autorin von Fifty Shades entschieden hat. In Liebesromanen sprechen wir von ›sich lieben‹, vielleicht noch von ›miteinander schlafen‹ oder ›Sex haben‹. Wenn Sie mich fragen, sprechen wir nicht vom ›ficken‹.« Sie zieht bedeutungsvoll die Augenbrauen hoch, was den ganzen Kurs zum Lachen bringt.

Ach du Scheiße, müssen wir hier echt über Sex reden? Kann es bei Liebesromanen nicht auch um unerwiderte Liebe und verstohlene Blicke gehen? Vielleicht mit ein bisschen betrunkenem Gefummel in einer Garderobe?

Unsere Professorin hat einen nicht zu überhörenden französischen Akzent und steht wohl ungern still. Während sie vor uns auf und ab marschiert, schiebt sie sich die Schildpattbrille hoch in die Haare. »Wenn wir schon mal dabei sind: Penis und Klitoris würde ich auch nicht verwenden. Sie werden sich für diese Körperteile witzige Euphemismen einfallen lassen müssen.«

Überall wird gemurmelt, ein paar der Mädchen kichern.

Wieso zum Teufel brauche ich witzige Euphemismen für das Wort Penis? Ich habe nicht vor, dieses Wort zu schreiben. Nie.

Mir wird schlecht.

Der Typ neben mir stößt mich mit dem Ellbogen an.

»Ich könnte dir da aushelfen«, flüstert er grinsend. »Mit den Euphemismen, meine ich.«

»Fahr zur Hölle, Scheißkerl!« Ich brauche keine Minute, um meine Sachen zu packen und aus dem Saal zu stürmen. Die Professorin murmelt irgendetwas. Die Tür fällt hinter mir zu. Kurz darauf hört man Gelächter.

Mit dröhnendem Schädel eile ich nach Hause. Als Jenna am späten Nachmittag ebenfalls eintrudelt, fallen ihr bei meinem Anblick fast die Augen aus dem Kopf.

»Heilige Scheiße, Clem, was war denn vorhin im Seminar mit dir los?«

»Welches Seminar?« Ich ziehe ein Bein unter mich und rutsche tiefer in die Bank unter dem Erkerfenster.

»Romance. Hast du mich nicht gesehen? Ich saß auf der anderen Seite des Raums und habe wie verrückt gewunken, als du reinkamst!« Sie fuchtelt mit beiden Armen, als müsste sie mir das demonstrieren.

»Mein Gott, hast du dich auch dafür eingeschrieben?«

»Ja! Warum bist du rausgerannt?«

»Soll das ein Witz sein? Ich mach kein Seminar mit, in dem wir über Sex schreiben müssen.«

Jenna runzelt die Stirn. »Aber darum geht es doch gar nicht. Du hast den Rest von Professor Marceauxs Vortrag verpasst. Sie sagt, bei Liebesromanen kommt der Sex erst an zweiter Stelle, an erster Stelle steht die Liebe. Sex kann ein Teil davon sein, aber eigentlich geht es um Größeres, um gemeinsames Wachsen.«

Verzweifelt lasse ich den Kopf in die Hände sinken und reibe mir die schmerzenden Schläfen.

»Was ist denn aus diesem Young-Adult-Kurs geworden, an dem du unbedingt teilnehmen wolltest?« Jenna kommt mitleidig näher.

Ich schließe laut stöhnend die Augen. »Ich hab mich im Frühjahr beim Einschreiben vertan und mich aus Versehen für Romance eingetragen.«

»So ein Mist!« Sie schenkt sich eine Tasse Kaffee ein und macht es sich neben mir im Erker bequem.

»Jenna?« Ich reiße die Augen auf und starre sie verzweifelt an. »Ich kann das nicht, mir witzige Euphemismen für spezielle Körperteile einfallen lassen. Das ist einfach nicht meins.«

»Nimm es als Wink des Schicksals. Vielleicht musst du mal was Neues ausprobieren, wagemutig sein.«

Wagemutig? Ich runzele die Stirn. Bissig, das krieg ich hin, aber wagemutig? Da bin ich mir nicht so sicher. Wagemutig war ich zuletzt in meinem ersten Studienjahr hier, und was dabei herauskam, jagt mir jetzt noch unglaubliche Angst ein.

Vielleicht kann ich deswegen immer noch nicht schreiben.

Jenna, die mir unbedingt ein Lächeln entlocken will, stößt mich an. »Kopf hoch! Ich plane für deinen Geburtstag am Wochenende was echt Witziges!«

»Prima. Solange keine Euphemismen für das Wort Penis involviert sind, bin ich dabei.«

Sie zieht ein langes Gesicht. »So macht das doch keinen Spaß!«

Vielleicht nicht. Dafür ist es sicher.

3

Ich habe immer noch keine Idee für mein Buch und keinen Young-Adult-Schreibkurs und warte auf die nächste Horrornachricht, weil beschissene Dinge erwiesenermaßen immer im Dreierpack auftreten.

Nachdem ich Professor Golding angefleht hatte, mich doch bitte, bitte noch in ihren Kurs aufzunehmen und sie mir daraufhin kommentarlos ihre zwei Seiten lange Warteliste überreichte, habe ich meinen Stolz heruntergeschluckt und mich bei Professor Marceaux für meine spektakuläre Flucht aus ihrem Seminar entschuldigt. Ich machte einen Notfall geltend und verschwieg, wohlweislich, dass ich bei der Erwähnung des Wortes Klitoris fast in Ohnmacht gefallen wäre.

Weswegen ich jetzt ununterbrochen über Euphemismen nachdenke, durch die sich das Wort ersetzen lässt. Stümmelchen, Bohne, Knospe, Köpfchen.

Meine Güte!

Zu »Stümmelchen« schießt mir dann auch gleich noch völlig ungebeten ein ganzer Satz durch den Kopf: Er langt zwischen ihre zarten Schenkel und streichelt ihr pochendes Stümmelchen.

Verdammt! Sollte so was je in einem Buch von mir auftauchen, erschießt mich bitte.

Da ich nun notgedrungen meine Teilnahme an einem verflixten Romance-Schreibkurs akzeptiert habe, ist ein Abstecher in den Buchladen fällig. Ich schleiche mich vorsichtig rein, vielleicht kann ich meine Sachen ja besorgen und verschwinden, ehe mich jemand sieht und Arbeit für mich hat. Beim Tresen angekommen, entdecke ich aus den Augenwinkeln »ihn«. Den Scheißkerl aus der Hölle.

In meiner Brust schlägt eine Trommel, das Echo hallt durch meinen ganzen Körper. Ich kriege kaum noch Luft und tue das Erste, was mir in den Sinn kommt: Ich tauche unter den Tresen.

Gott sei Dank scheint er mich nicht gesehen zu haben. Verschwinde. Bitte! Hau ab.

Als das für die Kasse zuständige Mädchen aus der Pause zurückkommt, bin ich immer noch auf Tauchstation. Ihre Schuhe hüpfen mir etwa zwei Sekunden lang vor der Nase herum, ehe sie sich herunterbeugt und ein Blick aus großen, braunen Augen verwundert mein Gesicht trifft. Eine Augenbraue zuckt hoch: Wieso hockt ihre Vorgesetzte unter dem Kassentisch? Auf der anderen Seite des Tresens ertönt jetzt deutlich die Stimme von Jason Wheeler, bei dem ich im ersten Semester einen Schreibkurs belegt hatte.

»Becca?« flüstere ich. »Ein Ton, und ich beiß dich in den Oberschenkel, bis der Knochen bricht.«

Ihre Augen blicken einen Moment lang starr, eine zweite Braue zuckt hoch, bis sie sich auf gleicher Höhe mit der ersten befindet, aber dann rückt Rebecca ein Stückchen zurück, richtet sich auf, und ich habe wieder nur ihre Schuhe vor der Nase.

»Hi, Mr Wheeler«, zwitschert es oben. »War es das heute?« Mein Gott, ist die Frau munter.

»Ja, danke, Liebes.« Als ich die Stimme höre, so samtig und weich und voller Scheiße, würde ich am liebsten kotzen. Oder ihn in die Eier treten. Oder ihn in die Eier treten und danach kotzen.

Die Kasse fiept. Becca scannt Wheelers Einkäufe ein.

»Kennen wir uns von irgendwoher, meine Liebe?«, will der Dozent wissen. Und schon geht es los!

Becca kichert verlegen. »Ich hatte Sie vor zwei Jahren in Britischer Literatur. Dass Sie sich jetzt noch an mich erinnern!«

»Sie sind viel zu entzückend, um in Vergessenheit zu geraten.« Kotz, würg. »Studieren Sie Englisch im Hauptfach?« Becca muss wohl genickt haben, denn als Nächstes findet Wheeler das: »Wunderbar.«

»Wie war Ihr Sommer?« Ich sehe Becca von einem Bein auf das andere treten.

»Wundervoll«, antwortet Wheeler. »Ich habe ihn in London verbracht, bin vor zwei Tagen erst zurückgekommen.«

Becca lacht auf diese gutmütige Art, die Leute draufhaben, wenn es eigentlich gar nichts zu lachen gibt.

Was Wheeler daraufhin murmelt, kann ich nicht verstehen. Dann sagt er: »Melden Sie sich ruhig bei mir, wenn Sie mal Unterstützung brauchen. Ich helfe Ihnen wirklich gern.«

Elender Schleimscheißer.

Obwohl ich wusste, dass Wheeler in diesem Herbst wieder hier unterrichten würde, hat mich nichts auf ein direktes Wiedersehen mit ihm vorbereitet. Ich ertappe mich dabei, wie ich manisch mein Handgelenk reibe, schließe die Augen und atme ein paarmal tief durch. Das mache ich immer, wenn ich wieder zu mir kommen will. Als ich die Augen aufschlage, kauert Becca vor mir.

»Er ist weg, du kannst rauskommen. Ich versteh bloß echt nicht, warum du ihm aus dem Weg gehen willst. Er ist doch toll! Ich war im ersten Studienjahr total verschossen in ihn.«

»Tut mir leid, meine Drohung vorhin.« Natürlich hatte ich nicht ernsthaft vorgehabt, ihr die Zähne in den Schenkel zu schlagen. »Zwischen Wheeler und mir ist eine schlimme Geschichte gelaufen.«

Sie schürzt mitleidig die Lippen. »Hat er dich schlecht benotet?«

»So etwas in der Art.« Nein, überhaupt nichts in der Art. Langsam erwache ich aus der Erstarrung und schüttele den Kopf. »Becca?«

Sie hatte sich wieder aufgerichtet, bückt sich jetzt aber noch mal, um mich ansehen zu können.

»Es ging nicht um eine schlechte Note.« Ich schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an. »Der Typ ist übel. Gefährlich.« Ich möchte noch mehr sagen, möchte ihr dringend nahelegen, Wheeler bloß nicht zu nahe zu kommen, aber die Worte schaffen es einfach nicht aus meinem Mund heraus.

Sie starrt mich an, als würde ich Chinesisch sprechen. In diesem Moment treten ein paar Mädchen an den Kassentisch und durchbrechen mit ihrem Geplauder das zwischen uns entstandene ungemütliche Schweigen.

Becca lugt rasch hoch zu den Kundinnen, ehe sie noch einmal mich anschaut. »Ich weiß zwar nicht, was ich mit dieser Info anfangen soll, aber okay.«

Ehe ich mein idiotisches Benehmen erklären kann, fragt eins der Mädchen vorm Tresen nach einer Hülle für die TV-Fernbedienung, woraufhin Becca losrennt, um ihr das Gewünschte zu holen.

Ich weiß nicht, wie lange ich unter dem Tresen hocke und versuche, meinen Atem und die zitternden Hände in den Griff zu bekommen. Schließlich reißt mich das Summen einer eingehenden SMS aus der Panik. Vergiss die Frischhaltefolie nicht.

Jenna erinnert mich an die eine Aufgabe, die ich an diesem total beschissenen Tag noch erledigen muss und die zweifelsohne dessen Krönung darstellen wird.

Ich warte noch geschlagene zehn Minuten, um ganz sicher sein zu können, dass sich Wheeler wirklich verpisst hat, ehe ich losziehe. Inzwischen pocht es in meinem Schädel bei jedem Schritt, und ein Abstecher ins Sportzentrum wäre jetzt gut, um Spannung abzubauen, aber ich muss ja das Aquarium nachfüllen.

Nein, nicht das mit Wasserlebewesen.

»Mein Arzt hat vorhin hier angerufen, es geht um die Salbe gegen Zahnfleischentzündung«, sagt ein älterer Herr zum Apotheker bei CVS, während ich brav in der Schlange warte, bis ich an der Reihe bin.

Wie schlimm kann so ein Kondomeinkauf schon werden? Kondome gehören zum Grundbedarf der Menschen wie Milch und Brot. Gut – dann ist so ein Kondom eben ein Gummiüberzug für den kleinen Mann des Mannes, warum sollte mir das peinlich sein?

Jenna hat heute Morgen bemerkt, dass das Aquarium, in dem wir unsere Kondome aufbewahren, komplett leer ist. Und weil sie deswegen fast einen Herzinfarkt bekommen hätte und weil sie heute viel zu viel vorhat, um den Vorrat auffüllen zu können, habe ich versprochen, dies zu übernehmen. Schließlich ist Freitag, und ich kann die Penisfrage auf keinen Fall eskalieren und meine Mitbewohnerinnen in der Luft hängen lassen. Kein Pimmel ohne Kappe, solange ich das Sagen habe!

Ich hole tief Luft, ignoriere den Schweiß, der sich unter meinen Armen sammelt.

Himmel, ist das warm hier.

Gummis kaufen wäre an sich schon schlimm genug, aber ich muss zu allem Übel auch noch nach der Jumbo-Version fragen, die man nur am Tresen kriegt. Mit Jumbo ist keine Großpackung gemeint, mit der man Geld sparen kann, Jumbo bezeichnet die Größe, die Ryan braucht. Jenna und ihr Freund treiben es wie sexhungrige junge Hunde, und da wir ihren Pornoschreien oft genug entnehmen konnten, wie gigantisch ihr Lover ist, muss ich hier öffentlich nach dem Goliath unter den Gummis verlangen. Peinlicher geht es wohl kaum noch, oder?

Vorn am Tresen, als ich endlich an der Reihe bin, richte ich mich auf und nehme die Schultern zurück. Ich bin ein modernes Mädchen, ich schaff das.

»Ich hätte gern die Jumbo Trojan Magnum Extra Large«, sage ich ganz ruhig, als wären die Worte meiner Zunge nicht unbekannt wie eine Fremdsprache.

Die Augenbrauen der Apothekerin gehen kaum merklich hoch, als sie kommentarlos nach der großen glänzenden Schachtel greift. Siehst du, ist doch gar nicht so schlimm, sage ich mir. Bis hinter mir der Pfiff ertönt.

»Süße, wo hast du denn mein Leben lang gesteckt?«

Eine Sekunde lang erstarre ich zur Salzsäule, ehe ich genervt die Augen verdrehe.

»Echt? Mit dem Spruch willst du bei mir ankommen?«, murmele ich und zücke mein Portemonnaie, ohne die beiden Jungs hinter mir mehr als eines flüchtigen Blickes zu würdigen.

»Komm schon, Süße, zeig mir doch nicht die kalte Schulter. Ich habe was übrig für Mädchen, die gern vorbereitet sind.« Das unheimliche Kichern in meinem Rücken lässt die Härchen auf meinen Armen senkrecht stehen. »Wenn du die Dinger prüfen willst, ich mach dir gern einen Qualitätstest. Ich hab ein Prachtexemplar, sagt man.«

Ich reiche Geld über den Tresen und drehe mich um. Der Typ ist groß und schwer, so auf die Bodybuilder-Tour. Ich reiße die Augen auf und rücke dichter an ihn heran, klimpere mit den Wimpern wie die Tusse, für die er mich eindeutig hält, beiße mir auf die Unterlippe und mustere ihn prüfend. Mein Blick bleibt einen Moment lang an den breiten Schultern hängen, ehe er tiefer wandert, »dorthin« nämlich. Dabei lasse ich ein nuttiges Kichern hören, gefolgt von einem kleinen Lächeln, als ich wieder oben bei seinem Gesicht angekommen bin.

»Das ist wirklich ein nettes Angebot«, lobe ich. »Wo du doch so gut ausgestattet bist.«

Er lächelt breit, als höre er das Kompliment nicht zum ersten Mal.

»Wahrscheinlich stemmst du jeden Tag Gewichte«, fahre ich fort. »Was bedeuten dürfte, dass du, sagen wir mal, irgendetwas kompensieren musst. Diese Babys«, hierbei schüttele ich stolz meine Schachtel voll geriffelter, mit Gleitmittel versehener Gummis, »dürften weit außerhalb deiner Liga sein.«

Erst als der Freund des Scheißkerls sich vor Lachen kaum mehr halten kann, fällt mir auf, dass ich diesen Kumpel von irgendwoher kenne. Er kommt mir jedenfalls bekannt vor. Allerdings hat er sich seine Baseballkappe ganz tief ins Gesicht gezogen, ich kann ihn mir also nicht richtig ansehen. Mist. Woher kenne ich den Typen?

Aber eigentlich ist mir das auch egal. Ich betrachte seufzend den Trottel, der mich anbaggern wollte und der jetzt ein bisschen blass um die Nase wirkt. Sein Grinsen ist jedenfalls weg. »Bitch!«, grummelt er leise, während ich mir die Tasche über die Schulter hänge und gehe.

Ich schüttele den Kopf. Jemand müsste dem Mann mal sagen, dass Bitch keine Beleidigung ist. Ich bin gern eine, wenn mir das Scheißer wie ihn vom Hals hält.

»Wenn du glaubst, das zieh ich an, dann bist du wohl jetzt schon high!« Ich drehe und wende mich vor dem Spiegel. Jennas hautenges, silbriges Kleid überlässt nichts, aber auch rein gar nichts der Fantasie. Hinten der weit ausgeschnittene Rücken, vorn der ebenso tiefe Ausschnitt – genauso gut könnte ich nackt gehen. »Auf keinen Fall!«

Selbst mit offenen Haaren und obwohl meine Haare lang und dicht sind, bleibt immer noch viel zu viel unverhüllt.

»Ach, komm schon!« Jenna ist voll im Schmollmodus, die haselnussbraunen Augen weit und flehend aufgerissen. Als ich Jenna zum ersten Mal sah, teilte sie mir mit, ich hätte Brokkoli zwischen den Schneidezähnen hängen. Ich habe die Frau von Anfang an gemocht. Freundinnen, die kein Blatt vor den Mund nehmen und auf die man sich von daher verlassen kann, sind rar. Trotzdem mag ich nicht glauben, dass dieser zart um meinen Leib drapierte Hauch Seide eine angemessene Bekleidung darstellt, wenn man sich in der Öffentlichkeit sehen lassen möchte.

Jenna boxt mich gegen die Schulter. »Du hast uns letzten Samstag voll hängen lassen. Dafür hab ich für dieses Wochenende einen Freibrief gekriegt, von dir persönlich. Einen Freibrief!«

»Willst du mich unbedingt wie eine Nutte ausstaffieren? Gehört das zu den Zielen in deinem Leben?« Meine Hände streichen über den dünnen Stoff, und mir wird ganz anders, als ich mir vorstelle, dass mich jemand in diesem Outfit zu Gesicht bekommen könnte.

»Falls du dich dann besser fühlst: Du siehst umwerfend aus«, kommentiert Harper, die gerade hereingekommen ist und sich auf mein Bett schmeißt. »Nur du könntest dieses Kleid tragen. Du hast eine traumhafte Figur. Und die Farbe lässt deine Augen eher grau als blau wirken.«

Jenna zeigt auf Harper. »Hörst du? Sie würde nie lügen. Bitte, bitte behalte es an. Du hast gesagt, du hättest nichts zum Anziehen. Zurückbringen kann ich es nicht, und an mir sieht es einfach nicht gut aus. Im Laden fand ich es wunderbar, aber zu Hause wurde mir klar, dass ich darin grün aussehe. Du dagegen wirkst irgendwie braun gebrannt. Ich hasse dich.«

Ich kann mir nicht helfen, ich muss lachen. Aber in einem Punkt hat sie recht, ich habe wirklich nichts anzuziehen.

»Ach, halt die Klappe!«, knurre ich und stemme die Ellbogen in die Hüfte. Jenna kichert, während ich den Kopf verrenke, um meine Rückansicht im Spiegel betrachten zu können. »Aber ehe ich mich so in der Öffentlichkeit zeige, will ich wissen, was wir vorhaben.«

»Wir essen bei Ryan, und Jax kommt auch.«

Jax ist meine andere Hälfte, wir sind drei Minuten nacheinander zur Welt gekommen. Hat Jenna es echt geschafft, meinen Zwillingsbruder von seiner Fußballmannschaft und der derzeit amtierenden Dame seines Herzens wegzulotsen? Beeindruckend. Jax und ich sind schon eine ganze Weile nicht mehr so eng befreundet wie früher, aber ich versuche immer noch, zu seinen Spielen zu gehen.

Jenna stößt mich mit der Hüfte an. »Dann gehen wir tanzen, und vielleicht habe ich auch noch die eine oder andere Aktivität geplant.« Sie hat die Hände zusammengelegt. Viel fehlt nicht, und sie klatscht vor Aufregung in die Hände.

»Mensch, Mädel, da hast du dir solche Mühe gemacht! Und ich feiere noch nicht mal gern Geburtstag. Das weißt du doch.«

Jenna reißt die Augen auf, bis sie ihr fast aus dem Kopf fallen. »Ihr werdet einundzwanzig, Jax und du! Das ist eine Riesensache, und die feiern wir anständig. Das ist deine Nacht, und du musst heiß aussehen.«

»Bist du sicher, dass sie mich in dem Outfit nicht gleich wegen Verdachts auf Prostitution verhaften?«, wende ich mich an Harper.

Die schüttelt lachend den Kopf.

»Okay, Dann wollen wir mal los.«

Ich bin überwältigt und gerührt, wie viel Essen Jenna aufgefahren hat und wie viele Leute sich bei Ryan im Haus drängen, eine etwas seltsame Mischung aus Arbeitskollegen von mir, Ryans Bandmitgliedern und diversen ihrer Groupies. Noch seltsamer wird es, als mein Bruder in Begleitung der Hälfte seiner Fußballmannschaft auftaucht, der Fußballmannschaft des Boston College. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mein Anti-Boston-College-T-Shirt angezogen, das mit der Aufschrift »Man lässt seine Freunde nicht aufs BC gehen«. An der Uni Boston nehmen die Kids diesen Scheiß sehr ernst.

»Hey, Streberin!« Jax schüttelt seine Begleiterin ab, um mich umarmen zu können.

»Hey, Loser!« Strahlend erwidere ich seine Umarmung. »Dich habe ich ja seit dem vierten Juli nicht mehr gesehen. Ich dachte schon, du hättest dich von einem deiner russischen Supermodels entführen lassen.«

»Schön wär’s. Nee, der Fußball hat mich auf Trab gehalten.«

Jax umarmt auch Jenna und Harper. Nachdem mein Zwilling und ich einander kurz auf Stand gebracht haben, drängt Jenna Jax und mich rüber zu einem Tisch voller Schnapsgläser.

»Wir müssen auf die Geburtstagszwillinge anstoßen!«, ruft sie in die Menge, woraufhin alle laut jubeln.

Was sind das bloß alles für Leute? Ich sehe mich um und entdecke Kade, Ryans Drummer, der sich gerade mit jemandem unterhält, der mir vage bekannt vorkommt. Der Typ ist groß und wirkt irgendwie verwegen in seinem dunklen, offenen Flanellhemd, das er über einem eng sitzenden T-Shirt trägt. Ein attraktiver Mann. Im Grunde genommen, wenn ich ehrlich sein soll, mehr als attraktiv. Eher umwerfend. Sobald ich mir das eingestanden habe, erwacht in mir ein heftiges Verlangen nach Wodka, um das überraschende Flattern meiner Magennerven zu betäuben.

Jenna lehnt sich grinsend an mich. »Du trinkst ja sonst nichts, aber heute solltest du dir ein, zwei von den Kurzen da hinter die Binde kippen, bevor wir mit meinem Spiel anfangen.«

Ich kann erst seit diesem Frühjahr überhaupt wieder trinken. Alkohol und Medikamente gegen Panikattacken passen einfach nicht zusammen. Jetzt bin ich pharmafrei, und wer weiß, was für entwürdigende Spielchen Jenna sich ausgedacht hat. Mit ein paar Kurzen lässt sich einer Menge Peinlichkeit die Schärfe nehmen, also greife ich nach einem Glas.

»Kopf in den Nacken!« Ich stoße mit meinem Bruder an und leere mein Glas auf ex.

»Haben sich Mom oder Dad bei dir gemeldet?«, will Jax wissen, während wir uns mit den Massen Richtung Wohnzimmer treiben lassen, wo Jenna verkünden will, welche Verrücktheiten sie für den heutigen Abend geplant hat.

»Nein.« Das tun sie doch nie. Ich glaube, mein Bruder fragt mich nur immer wieder, weil er auf eine andere Antwort hofft. »Haben sie dich denn angerufen?«

»Nein. Mit Mom habe ich vor ein, zwei Wochen gesprochen, sie murmelte was von einer Hundeshow. Vielleicht ist sie also gar nicht in der Stadt. Und Dad … na ja.«

Das ist lieb gemeint, die Ausrede, meine Mutter könnte auf Reisen sein. Dabei wissen wir beide, dass das wahrscheinlich nicht der Fall ist. Und unser Vater ist irgendwie wie ein amputiertes Glied, bei dem wir immer noch hoffen, es könnte wieder anwachsen. In Wahrheit sind beide, Mom und Dad, astreine, unverfälschte Arschlöcher. Sie interessieren sich wesentlich mehr für ihre Arbeit, preisgekrönte Hunde und Autoshows als für ihre Kinder.

»Ich brauche deinen Spielplan, ich will mir ein paar von den Spielen ansehen«, sage ich.

Früher, als wir noch Kinder und dann Jugendliche waren, ging ich als Einzige aus der Familie zu jedem Spiel, bei dem Jax aufgestellt war. Unsere Eltern haben es nie geschafft. Jax hat mit seinen Fußballkünsten alle möglichen Preise und Auszeichnungen sowie ein Vollstipendium für das Boston College gewonnen, aber unsere Eltern wissen wahrscheinlich noch nicht einmal, auf welcher Position er spielt.

»Ich maile ihn dir.« Jax räuspert sich und steckt die Hände in die Hosentaschen. »Daren erkundigt sich immer noch nach dir.«

Ich runzele die Stirn. »Lass gut sein, ja.« Jax wirft mir einen strengen Blick zu, woraufhin ich hörbar und genervt ausatme. »Wieso denken alle, ich wäre immer noch in ihn verliebt?«, frage ich leise. »Das ist Geschichte, Jax!«

»Wirklich? Du warst seitdem nie wieder mit jemandem zusammen.«

»Geht es noch ein bisschen lauter? Ich glaube, die da draußen im Garten kriegen nicht genug mit!« Wütend funkele ich meinen Bruder an und lasse den Wodka in meinem nächsten Glas kreisen. »Daren hat mit meiner besten Freundin geschlafen, weil ich ihn in Sachen Sex wohl zu lange habe warten lassen. Tut mir leid, aber seitdem habe ich in Bezug auf Vertrauen dann doch ein paar Probleme.«

Mein Bruder zuckt zusammen, aber ehe er antworten kann, unterbricht Jenna meine wüste Tirade mit der Ankündigung, sie habe für den Abend etwas ganz Besonderes geplant.

»Also – unser Geburtstagsmädel muss diese Kette aus Süßigkeiten tragen, und sie braucht eure Hilfe, Jungs, denn sie kriegt das ultimative Geschenk ihrer Wohngemeinschaft nur, wenn ihr all diese Süßigkeiten vernascht habt.« Jenna kichert verwegen, während mir langsam aufgeht, was da auf mich zukommt, und in mir das heftige Bedürfnis erwächst, meine Freundin mit den bloßen Händen zu erwürgen. Jax grinst mich an. »Unser Geburtstagsjunge«, wendet sich Jenna an ihn, »der, wie manche von euch wissen mögen, ein Star-Fußballer des BC ist, muss einundzwanzig Küsse einsammeln. Wenn ihr ihn küsst, Mädels, dann müsst ihr ihm hinterher eins dieser Herzchen ans Hemd heften, sonst zählt es nicht.«

Mein Bruder brennt darauf, gleich mit dem Spiel anzufangen. Er hat ein hübsches Mädchen entdeckt und macht sich vom Acker. Als ich mich umdrehe, schleicht gerade Kade auf mich zu, einen Raubtierblick in den Augen. Scheiße! Bestimmt fragt er gleich wieder, warum ich nicht mit ihm ausgehen mag. Wann rafft dieser Typ endlich, was Sache ist? Seinem Dad gehört der halbe Bundesstaat, und Kade hätte mich gern als weiteres Besitzstück.

»Clementine, du siehst heute atemberaubend aus!« Er fährt mir mit der Hand durch die Haare. »Total zum Vernaschen.«

Ich funkele ihn wütend an und schlage seine Hand weg.

»Spar dir die Mühe, Kade. Hatten wir diese Unterhaltung nicht schon mal?« Ich will gehen, aber er packt mich so hart am Arm, dass ich Angst vor blauen Flecken bekomme.

»Geh mit mir aus, Clementine. Ich bring deine Welt zum Rocken, das verspreche ich dir. Ich verzehr mich schon das ganze Jahr nach deinen ›Süßigkeiten‹.«

Wo hat er bloß gelernt, so zu reden? Werden Scheißkerle wie er irgendwo geklont?