Irresistible - Ein Baby kommt selten allein - Lex Martin - E-Book
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Irresistible - Ein Baby kommt selten allein E-Book

Lex Martin

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Beschreibung

Ein Baby zähmt den Bad Boy ...

Von einem Tag auf den anderen ändert sich das Leben von Brady Shephard dramatisch. Als sein Bruder und dessen Frau bei einem Unfall ums Leben kommen, findet er sich auf einmal in der Rolle des Vaters seiner kleinen Nichte wieder. Doch was weiß Harley-Fahrer und Tattoo-Artist Brady schon von Babys? Nichts! Zum Glück ist da Katherine, die Nanny der kleinen Isabella, die Brady zeigt, wie man Fläschchen zubereitet und Windeln wechselt. Schnell kochen die Gefühle zwischen dem tätowierten Bad Boy und der kurvigen Latina hoch ...

"Emotional berührend, sympathische Protagonisten und eine süße Liebesgeschichte!" LOVELYBOOKS

Band 1 der sexy und humorvollen Serie von Bestseller-Autorin Lex Martin rund um heiße Single-Dads





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Seitenzahl: 512

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Inhalt

TitelZu diesem BuchWidmungZitatKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Kapitel 48Kapitel 49Kapitel 50Kapitel 51Kapitel 52Kapitel 53Kapitel 54Kapitel 55Kapitel 56Kapitel 57Kapitel 58Kapitel 59Kapitel 60Kapitel 61Kapitel 62Kapitel 63EpilogLeseprobeDie AutorinLex Martin bei LYX.digitalImpressum

LEX MARTIN

Irresistible

Ein Baby kommt selten allein

Roman

Ins Deutsche übertragen von Maike Stein

Zu diesem Buch

Brady, Tattoo-Artist und Harley-Fahrer, kann es nicht fassen: Sein Bruder und dessen Frau sind bei einem Unfall ums Leben gekommen. Außer sich vor Kummer macht er sich auf den Weg nach Texas, um zu tun, was getan werden muss: die Beerdigung organisieren, die Lavendelfarm seines Bruders für den Verkauf herrichten und sich um seine kleine Nichte kümmern. Zum Glück ist da Katherine, die auf die einjährige Isabella aufpasst und sich auf der Farm auskennt. Schnell kochen die Gefühle zwischen dem muskulösen und tätowierten Bad Boy und der kurvigen Latina hoch …

Für Matt & und meine kleinen Bären

»An diesem Ort hoch oben in der Dunkelheit hielten sich die zwei wunderlich empfindsamen menschlichen Atome fest und warteten.«

Sherwood Anderson

Kapitel 1

Brady

Sie wiegt ihre schlanken Hüften im pulsierenden Takt der Arctic Monkeys, deren Sound aus den Lautsprechern dröhnt, während sie auf mich zukommt.

»Ich zieh mich für dich ganz aus«, schnurrt sie, und ihre Bluse gibt schon eine Schulter frei.

Wie bitte?

»Du musst nur dein Oberteil aufknöpfen und deinen BH runterziehen«, antworte ich, obwohl ich sie vielleicht besser doch nicht davon abhalten sollte.

Sie leckt sich die Lippen und öffnet die Spange in ihrem Haar, lässt es in blonden Wellen hinabfallen. Aber als sie die Haare um ihre Schultern schüttelt, steigt mir der aufdringliche Duft ihres Parfums in die Nase. Ich bemühe mich, nicht zusammenzuzucken, doch der Geruch ist ekelerregend.

Konzentrier dich auf das Wesentliche, Brady. Eine heiße Frau zieht sich hier vor deinen Augen aus.

Ich blicke mich um und frage mich, wann die Jungs merken werden, dass sie sich aus ihren Klamotten windet wie eine Stripperin samstagnachts in einer Bar. Die Frau ist wirklich heiß, ich will mich nicht beschweren.

Ich kann mich ruhig mit einem Paukenschlag verabschieden.

Langsam wandern ihre Finger nach unten, während sie ihre Seidenbluse aufknöpft, aber dann stoppt sie kurz vor ihren Brüsten. »Kim Kardashian hat dasselbe Outfit. Sie hatte es letztens an, als Kanye und sie den kleinen North West bei …«

Und schon habe ich kein Interesse mehr.

Ist schon klar, ich arbeite hier heute Abend zum letzten Mal und kriege Malibu Barbie. Es dauert bestimmt nicht lange, bis sie ihr Handy hervorholen wird, um ein Selfie zu machen.

Ich ziehe die Handschuhe über und beobachte, wie sie ihre Brüste von dem Korsett befreit, während meine Irritation steigt.

»Wenn du mehr Privatsphäre brauchst, sag Bescheid.« Ich deute hinter mich auf die Trennwand, die ich vorhin im Vorbeigehen hätte zuschieben sollen, aber sie zuckt nur mit den Schultern und lässt den BH fallen.

Also gut.

Während sie auf meinen Stuhl gleitet, lasse ich die Rückenlehne hinab, sodass sie halb vor mir liegt. Ich muss ein Auflachen zurückhalten, als sie die Brust herausstreckt.

Ich weiß nicht, warum ich das so komisch finde.

Weil du ein Arschloch bist.

»Also, Chastity –« Ja, sie heißt Chastity, was so viel wie »die Reine, die Keuschhafte« bedeutet. Die mit den tugendhaften Namen sind immer die frivolsten. »Du willst horizontale Piercings, oder?« Ich mache die entsprechende Bewegung für den Fall, dass sie nicht weiß, von welcher Richtung ich rede.

Sie nickt und klimpert mit den Wimpern, bevor sie ihre Titten packt und die Nippel drückt. »Soll ich sie für dich hochhalten?«

Ich verschlucke mich fast an meinem Kaugummi. »Nein, passt schon.«

Sie wirkt enttäuscht, und ich zwinge mir ein Lächeln ins Gesicht, um meiner Verpiss-dich!-Attitüde entgegenzuwirken. Ich will kein Mistkerl sein. Ich bin nur erledigt. Ein Fulltimejob als Landschaftsgärtner und dann noch die Nachtarbeit hier schaffen einen ganz schön. Also bemühe ich mich, sie zu beruhigen. »Du hast ideale Brüste für Piercings.« Ihre Augen leuchten auf, und sie lächelt zurück.

Es stimmt wirklich. Ihre Nippel sind groß und ragen hoch auf. Nach meinem Geschmack vielleicht ein bisschen zu weit. Sie sind ein wenig geschwollen.

Als hätte jemand daran gesaugt.

Mein Schwanz reagiert endlich auf sie.

Aber dann öffnet Chastity den Mund: »Meine Verbindungsschwestern haben mich herausgefordert, das hier zu machen. Da konnte ich nicht Nein sagen.«

Ein ganz schlechter Grund. Ich nicke nur. Das geht mich nichts an. Doch es reicht, dass mein Schwanz wieder klein wird. Er sollte Interesse haben. Ich bin eine Weile solo gewesen, habe mich nicht mal mit Gwen getroffen. Keine Zeit.

»Entspann dich. Ich markiere erst einmal die Haut«, erkläre ich.

Chastity atmet tief durch, doch als ich ihre Brust berühre, stöhnt sie leise auf.

Ich versuche, nicht zu lachen. Sie sollte jetzt nicht angetörnt sein. Sich die Brüste piercen zu lassen wird verdammt wehtun.

Nachdem ich einen Nippel mit je einem Punkt auf zwei Seiten markiert habe, wiederhole ich den Vorgang auf dem anderen und ignoriere dabei die Röte, die ihren Hals überzieht.

Ich bin ein Arsch, so wie mich ihre offensichtliche Erregung amüsiert. Aber sie öffnet schon wieder den Mund. »Ich liebe dieses Foto. Ist das deine Freundin?« Sie deutet nach weiter vorn ins Tattoostudio, wo ein übergroßes Poster von mir an der Wand hängt, wie ich mich um eine halb nackte Frau winde.

Himmel. Ich hasse dieses Bild. Wie aus einem Gefallen, den ich einem Freund von der Kunstakademie im letzten Winter getan habe, ein Werbeplakat für das Wicked Tattoostudio geworden ist, das überall in Boston plakatiert wurde, werde ich wohl nie erfahren.

»Nein, das ist nicht meine Freundin.«

Die Rothaarige auf dem Bild ist Dani, und wir sind immer nur gute Freundegewesen. Natürlich hatte ich gehofft, es würde mehr daraus werden, aber das ist nie passiert. Stattdessen war der Warmduscher, mit dem sie verlobt ist, letztens hier und hat sich ein Rotkäppchen-Tattoo stechen lassen – bestimmt für sie. Mistkerl.

Aber die Erfahrung hat mich etwas Wichtiges gelehrt: Es macht keinen Sinn, sich auf eine feste Beziehung einzulassen, bevor man nicht die Richtige gefunden hat.

Meine miese Laune muss ansteckend sein, denn als ich die zwei Millimeter dünne Nadel auf Nippel Nummer zwei richte, ist Chastity nicht länger an einer Unterhaltung interessiert. Ich hab’s ja gesagt. Die Kombination von Nippeln und Nadeln ist nicht lustig. Aber ich muss zugeben, ich bin ratlos, sobald die Tränen anfangen zu fließen.

Wenn es eins gibt, mit dem ich nicht umgehen kann, dann ist das eine weinende Frau.

Ich tätschele ihre Schultern, als sie es überstanden hat. »Du warst ganz schön tapfer.«

Nachdem ich ihr erklärt habe, wie sie die Piercings am besten pflegt, deute ich auf sie. »Hast du noch Fragen?«

»Ja, habe ich.« Sie fährt mit der Zunge über ihre Unterlippe, die nicht länger zittert. »Hast du vielleicht später Zeit, um mit mir was trinken zu gehen?«

Keine gute Idee.

»An sich schon, aber ich bin schon ziemlich verplant.« Ist nicht mal eine Lüge. »Ein anderes Mal vielleicht.« Oder vielleicht auch nicht.

Mann, sei nett.

Ich zwinge mich zu einem Lächeln. »Wenn du dich zu einem Tattoo entschließt, zeichne ich was für dich.« Piercings mache ich, weil es Geld bringt, aber meine Leidenschaft sind Tattoos.

Ihre Augen leuchten auf, und sie nickt.

Ich wende mich ab, bevor mir etwas Unverschämtes herausrutscht. Wenn ich erschöpft bin, habe ich nur einen Modus – Arschloch –, und so will ich sie nicht behandeln. Oder irgendeine andere Frau, was das angeht.

Deswegen bleibe ich gerade besser allein. Ich habe keine Zeit für eine Beziehung und bin lieber Single.

Zwischen zwei Terminen simse ich meinem Vater den neuesten Stand, was das Anwesen der Jacksons der betrifft. Er antwortet sofort. Tolle Arbeit, mein Sohn! Kann dir nicht genug danken.

Keine Ursache, tippen meine Daumen.

Ich starre auf den Bildschirm und hoffe, dass das Thema damit durch ist. Er entschuldigt sich unentwegt, obwohl das eigentlich mein Part wäre.

Ein Teil von mir fühlt sich schuldig, weil ich die Landschaftsgärtnerei meines Vaters nicht übernehmen will. Mein Einsatz im Familienbetrieb sollte nur übergangsweise sein. Nur bis mein Bruder Cal zurückkäme und für meinen Dad einsprang, nachdem der einen Herzinfarkt gehabt hatte.

Mein Kiefer verspannt sich.

Cal ist in Texas, erholt sich mit seiner Frau – die er heimlich geheiratet hat, nachdem sie sich erst zwei Wochen kannten – und dem Baby. Ironischerweise war er dort, um Kurse zu besuchen, für die ich gezahlt hatte, damit er nach Boston zurückkommen und den Familienbetrieb übernehmen konnte. Aber er ließ sich davon ablenken, weil er eine heiße Braut kennengelernt hatte. Wie sonst hat man neun Monate später ein Baby?

Ich sollte inzwischen darüber hinweg sein. Cals Kind ist jetzt ein Jahr alt, und es ist sonnenklar, dass er nicht zurückkommen wird. Aber meine Eltern hoffen das noch immer. Sie fürchten, dass es ihm dort unten langweilig wird, so wie ihm immer langweilig wird, bei allem. Und in der Zwischenzeit haben sie sich mit dem Verkauf ihrer Landschaftsgärtnerei zurückgehalten, sich nicht zur Ruhe gesetzt, ein großartiges Angebot für die Firma ausgeschlagen, und all das hatte meinem Vater so zu schaffen gemacht, dass er einen Herzinfarkt erlitt.

So vergeht die Nacht. Jedes Mal wenn ich die Tätowierpistole einschalte und das gleichmäßige Summen ertönt, lasse ich meinen Gedanken freien Lauf. Ich hatte damit zu kämpfen, dass die Zeit so schnell verging. Dabei sollte ich erleichtert sein, dass ich heute zum letzten Mal in dem Tattoostudio jobbe, denn nun hatte ich eine Sorge weniger. Nur, dass ich diese Arbeit hier liebe. Das ist der Teil meines Lebens, der sich richtig anfühlt, wenn ich nicht gerade so mies gelaunt bin wie im Moment.

Aber ich kann mir das nicht länger antun. Mich um das Tagesgeschäft in der Firma meines Vaters zu kümmern und dabei noch jede Nacht zu tätowieren, wird mir einfach zu viel.

Ich trinke schnell etwas Kaffee und nicke dem Kerl auf meinem Stuhl zu. Er deutet auf seinen Bizeps, auf den ich bereits eine Zeichnung von zwei Rudern übertragen habe. »Im Herbst rudere ich für die BU«, sagt er stolz.

Ich lächele, gratuliere ihm dazu und konzentriere mich dann auf die Linien, die ich in seine Haut steche.

Zu uns kommen jede Menge College-Kids. Ich habe es immer genossen, mir ihre Geschichten anzuhören und die Bedeutung hinter all den Symbolen zu verstehen, die ich ihnen in die Haut gestochen habe. Himmel, ich war auch mal einer dieser BU-Studenten.

Doch jetzt fällt es mir schwer, den Optimismus in ihren Stimmen auszuhalten. Das ist nur eine Erinnerung daran, wie bescheuert ich gewesen bin, meinen Abschluss in Kunst zu machen. Nicht Jura zu studieren. Nicht irgendwas zu studieren, mit dem ich meinen Eltern aus ihren finanziellen Schwierigkeiten helfen konnte.

Ein Träumer gewesen zu sein.

Nach dem letzten Kunden ziehe ich den Schlüssel von meinem Schlüsselring und gebe ihn Rudy.

»Wir haben hier immer einen Platz für dich, Mann«, sagt er und lehnt sich vor für eine Umarmung unter Kumpeln.

Ich bedanke mich grummelnd und verabschiede mich ebenso, denn ich weiß genau, dass mein Platz hier Ende nächster Woche besetzt sein wird, ebenso wie jemand anders an meiner Stelle sein Partner im neuen Laden werden wird.

Die ganze Heimfahrt über nagen diese verpassten Chancen an mir. Aber niemand hat mich dazu gezwungen, all diese Entscheidungen zu treffen. Dafür bin einzig und allein ich verantwortlich.

Das Geräusch der Schlüssel hallt in meiner dunklen Wohnung wider. Ich streife mir die Stiefel von den Füßen und überziehe dabei den Flur mit Schlamm, aber mein Mitbewohner ist vermutlich bei seiner Freundin und nicht hier, um sich darüber zu beschweren.

Ich gähne und bin so müde, dass mir ein bisschen schlecht ist. Während ich zum Schlafzimmer gehe, ziehe ich mein Handy aus der hinteren Tasche meiner Jeans, um mir den Wecker zu stellen. Eine Nachricht von Cal leuchtet auf dem Bildschirm auf: Ich muss mit dir reden. Ich hab Neuigkeiten. Sei nicht so ein Arsch.

In meinen Schläfen pocht es.

Bei mir ist es zwei Uhr nachts, was bedeutet, dass es in Texas erst eins ist. Er könnte noch wach sein. Aber kann ich jetzt über diesen Mist reden? Ich bin seit fünf Uhr morgens wach, seit ich mich zum Anwesen der Jacksons gequält habe.

Ich reibe mir das Gesicht mit beiden Händen und stöhne.

Ich werde irgendwas sagen, was ich später bedauere, wenn ich dieses Gespräch heute Nacht führe. Ich werde ihn morgen anrufen oder nächste Woche oder irgendwann.

Mit schwerfälligen Bewegungen ziehe ich mir Jeans und T-Shirt aus, und meine Muskeln protestieren lautstark, als ich mich im Bett ausstrecke.

Es fühlt sich an, als wäre ich gerade erst eingeschlafen, als das Telefon klingelt. Ich suche danach und murmele halb schlafend eine Begrüßung. Die Stimme am anderen Ende scheint Tausende von Kilometern entfernt.

Ich schüttelte den Kopf und setze mich auf.

»Brady? Hast du, h… h… hast du mich gehört?« Die Stimme meiner Mutter dringt nur abgehackt zwischen Schluchzern zu mir durch.

Ich blinzele mehrmals. Mein Herz pocht zu laut, stolpert, schlägt unstet. Ich reibe mir heftig die Augen, versuche aufzuwachen. Sie sagt es wieder.

Was? Nein, das ist …

Taubheit breitet sich über alle meine Glieder aus.

Mein Magen verkrampft sich, als sie die Worte herausbringt, die mir den Boden unter den Füßen wegreißen. »C… C… Cal ist tot. Oh mein Gott. Cal ist tot!«

Ich übergebe mich in den Abfalleimer, und das Gespräch mit meiner Mom dreht sich in meinem Kopf. Denn als ich gesagt habe, sie solle durchhalten, ich würde gleich zu ihr kommen, versetzte sie mir den nächsten Schlag. Nämlich, dass mein Vater, als er erfuhr, dass mein Bruder, seine Ehefrau Melissa und das Baby bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen sind, nochmals einen Herzinfarkt erlitten hat und auf der Intensivstation liegt.

Ich schließe die Augen und atme gegen die Angst an, meinen Vater zu verlieren. Gegen das Bedauern und die Schuldgefühle darüber, wie ich Cal behandelt habe. Gegen die Scham.

Der Moment dehnt sich wie ein schwarzes Loch, das sich vor mir auftut, ein Abgrund, der mich hinabziehen will.

»Geht es Ihnen gut?«, fragt mich eine Krankenschwester, als ich mich zum dritten Mal in den Abfalleimer übergebe. Ich winke ab, beginne zu zittern, während mir der kalte Schweiß ausbricht.

Cal ist fort. Mein kleiner Bruder ist tot.

Warum habe ich nicht darauf bestanden, dass er zurückkommt? Warum habe ich mich wie ein Idiot aufgeführt? Ich kenne die Umstände des Unfalls nicht, aber ich muss mich doch fragen, ob es nicht anders abgelaufen wäre, wenn ich ihn angerufen hätte, nachdem ich seine Nachricht erhalten hatte. Hätte sie das alle irgendwie gerettet? Wären sie dann zu Hause geblieben?

Mir kommt ein fürchterlicher Gedanke. Ist der Unfall meine Schuld?

Die Gewissheit, meinen Bruder verloren zu haben, nimmt alles in mir ein, bis ich nur noch trocken würgen kann und der Gedanke, mich einfach auf dem dreckigen Krankenhausflur zusammenzurollen, verlockend erscheint.

Als ich endlich das Krankenzimmer erreiche, bin ich ziemlich sicher, meine Milz ausgekotzt zu haben, doch der Anblick meines bewusstlosen Vaters mit all den Schläuchen, die in ihm stecken, lassen mich mein eigenes Elend vergessen.

Meine Mutter dreht sich zu mir um. In ihren geschwollenen Augen blitzt ein Funke Erleichterung auf. Sie lehnt über meinem Vater, der kreidebleich und gespenstisch still ist. Mit drei großen Schritten bin ich an ihrer Seite. Ich ziehe sie an mich, und sie weint leise.

»Ich bin hier, Mom«, flüstere ich in ihr Haar.

Ich atme ihr Rosenparfüm ein, das mich an gemeinsame fröhliche Familienessen erinnert. Ich schließe die Augen, und kann nur das Gesicht meines kleinen Bruders sehen. Wie er mich immer angegrinst hat, wenn er mein Zeug kaputt gemacht hat. Die Falten um seine leuchtend blauen Augen, wenn er lachte. Seine sandfarbene Mähne, die er nie zähmen konnte.

Weiß Gott, ich fühle mich so schuldig, weil ich nicht für ihn da gewesen bin. Diese Last erdrückt mich.

Ich halte meine Mutter fester. Ihre Tränen durchnässen mein Hemd, und ich halte sie, bis ihre Schluchzer zu einem leisen Wimmern werden.

Nachdem sie sich beruhigt hat, sitzen wir am Bett meines Vaters, und sie umfasst meine Hand mit ihren eiskalten Fingern. Ihre Unterlippe zittert, als sie traurig lächelnd auf das Bett blickt. »Ich … ich kann ihn nicht alleinlassen. Der Arzt will so schnell wie möglich operieren. Morgen oder übermorgen. Ich kann deinen Vater nicht alleinlassen …« Wieder beginnt sie zu schluchzen. »Aber ich muss jetzt zu meinem Baby.« Sie denkt immer an Cal als ihr Baby, obwohl er fünfundzwanzig ist.

Fünfundzwanzig war.

Verdammt noch mal.

»Mom, was muss in Texas alles erledigt werden?«, frage ich vorsichtig.

Sie erzittert, und ich lege einen Arm um sie. »Ich habe keine Ahnung«, flüstert sie. Wieder muss sie weinen, und mir wird klar, dass Beerdigungen geplant werden müssen. Besitztümer zusammengepackt. Juristische Angelegenheiten geregelt.

»Hat Melissa Familie gehabt?«

Durch ihren Schluckauf antwortet Mom: »Vermutlich. Sie sollten die Farm bekommen. Die hat … die hat ihrem Vater gehört, bevor er gestorben ist. Oder ihrem Onkel oder irgendwem. Melissas Freundin ist jetzt da. Kate oder Katherine, oder heißt sie Sandra? Jedenfalls passt sie auf das Anwesen auf.«

Ich nicke und streichele über ihre Schultern und tue, was ich immer getan habe. »Ich kümmere mich um alles in Texas. Du bleibst hier bei Dad. Ich komme zurück, so schnell ich kann.«

Kapitel 2

Katherine

Ich springe aus dem Bett, als ich über das Babyfon höre, dass Isabella weint. Das tut sie jetzt jeden Morgen beim Aufwachen, weil sie ihre Eltern haben will. Pobrecita. Armes Ding. Ich versuche, sie zu trösten, aber meistens endet es damit, dass ich mit ihr weine.

Ich wickele sie in eine Fleecedecke, bevor ich mich in den Schaukelstuhl am Fenster setze. Ihr kleiner Körper zittert, als sie nach ihrer Momma ruft, und mir bricht zum tausendsten Mal in dieser Woche das Herz. Ich lehne den Kopf zurück, blinzele schnell hintereinander und versuche, meine eigenen Tränen zurückzuhalten.

Reiß dich zusammen, Katherine. Nur noch eine Weile. Er wird bald hier sein.

Meine Augen sind noch immer geschwollen von letzter Nacht und jucken. Wie kann ich überhaupt noch weinen?

Das ist leicht. Man muss nur seine zwei besten Freunde in einer einzigen Nacht verlieren. Dann geht das ganz leicht.

Doch an diesem Morgen bleibe ich gefasst, während ich das Baby wiege und den Sonnenaufgang am Horizont beobachte. Wenigstens haben wir vor ein paar Wochen noch ihren ersten Geburtstag gefeiert. Wenigstens hat sie den mit ihren Eltern erlebt.

Schließlich mahnt mich das Geräusch von Sampsons Hufen, die gegen den Stall hämmern, mich in Bewegung zu setzen. Die Pflicht ruft, auch wenn ich noch so müde bin.

Das Hämmern wird lauter.

Bescheuertes Pferd. Ich bin so verdammt wütend auf Sampson, dass ich ihn am liebsten an eine Leimfabrik verkaufen würde.

Ja, die Tierliebhaberin in mir ist entsetzt bei dem Gedanken, doch der Rest von mir, der Teil, der vor Wut darüber, wie alles passiert ist, schäumt, der ist ganz und gar nicht überrascht davon, dass mir so ein Gedanke durch den Kopf geht.

Ich halte inne, atme ein paarmal tief durch und hoffe, all dieses Gerede, von wegen Yoga würde einem dabei helfen, seine innere Mitte zu finden, würde auch bei mir wirken.

Nachdem ich Isabellas Windel gewechselt und ihr einen kuscheligen Strampler angezogen habe, füttere ich sie und schnalle sie mir dann vor die Brust. Zusammen drehen wir eine Runde über das Anwesen. Während ich dahintrotte, vergrabe ich meine Nase in ihren weichen Haaren. Sie kuschelt zurück und seufzt leise.

Aber als wir den Hühnerstall erreichen, hebt sie den Kopf und ihre Augen leuchten auf. Sie liebt diese kleinen Geschöpfe. Gleich darauf kommen sie angerannt, ihr Gackern ein Chor in dem ansonsten stillen Morgen. Isabella schlägt die kleinen Hände zusammen, ebenso aufgeregt darüber, unsere gefiederten Freundinnen zu sehen, wie die über unseren Anblick sind.

»Gutes Mädchen«, flüstere ich erleichtert darüber, sie lächeln zu sehen, wenn auch nur ganz kurz.

Bald danach setze ich sie in einem provisorischen Laufstall im Schatten ab, kurz neben dem Stall, damit sie nicht den Staub einatmet, während ich das Hühnergehege und Sampsons Stall ausmiste.

Den ganzen Tag über erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich erwarte, Cal und Mel lachend um die Ecke kommen zu sehen. Oder sie zu erwischen, wie sie sich küssen, wenn sie denken, sie wären allein.

Ich lächele. Die zwei waren so ein tolles Paar!

Als Eric und ich miteinander Schluss gemacht haben, hat Mel darauf bestanden, dass ich sie für einige Zeit besuchen komme. »Gönn dir eine Pause von der Wahlkampftour. Das Leben hier ist einfacher. Unkompliziert«, sagte sie am Telefon.

An dem Tag, als ich auf der Farm auftauchte, öffnete Mel die Tür, umarmte mich und sagte, ich könne hierbleiben, so lange ich wolle. So war Mel immer. Wie eine große Schwester, von der ich nie gewusst hatte, dass ich eine brauchte.

In meiner Brust zieht sich alles zusammen, weil die Erinnerungen mir noch mehr vergegenwärtigen, dass ich sie verloren habe.

Ich schüttele den Kopf und ignoriere die Tränen, die in meinen Augen brennen. Während ich weiter Sampsons dunkle Mähne ausbürste, denke ich daran, was ich alles zu erledigen hatte. Ich habe zu viel zu tun, um mich jetzt gehen zu lassen. Viel zu viel.

Schon am Mittag triefe ich vor Schweiß. Seit ich hier bin, habe ich ziemlich abgenommen, das meiste allerdings in den letzten Tagen. Abends bin ich meistens so müde, dass ich ganz taub davon bin.

Aber das ist gut, denn wenn ich taub bin, tut es nicht so weh.

Nachdem die Tiere gefüttert und mit Wasser versorgt sowie der Stall und die Hühnergehege sauber sind, schleppe ich mich ins Haus und lege Isabella für ein paar Stunden in ihr Bettchen. Einen Powernap könnte ich jetzt auch gut brauchen. Hat aber keinen Sinn, ich könnte eh nicht schlafen.

Ich bin dabei, die Küche zu putzen, als mein Klapphandy in meiner hinteren Jeanstasche klingelt. Es ist Tori, meine jüngere Schwester.

Aber als ich den Anruf annehme, poltert mir Dads raue Stimme entgegen. »Katherine.« Verdammt. Mit ihm will ich gerade nicht reden. Ich liebe meinen Dad, wirklich, doch er kann so überfürsorglich sein. So wie jetzt. »Du willst also auf der Farm mit einem fremden Mann bleiben?«

»Daddy, ich kann nicht einfach meine Siebensachen packen und abhauen.«

»Hör mal, ich habe Melissa auch gemocht. Dieser Unfall war absolut furchtbar. Aber was du da jetzt machst – mit einem Fremden zusammenleben –, das ist nicht richtig. Du kennst ihn doch gar nicht. Was, wenn er verrückt ist oder ein Perverser?«

Ich verdrehe die Augen. »Er ist Cals Bruder. Ich versichere dir, er klingt absolut normal. Außerdem ist das nur noch ein weiterer Grund, hierzubleiben und auf Isabella aufzupassen, sicherzugehen, dass es ihr gut geht. Das schulde ich Mel. Ich weiß nicht mal, ob er mich hierhaben will, aber ich möchte ihm mit dem Baby helfen und sicher sein, dass es ihr gut geht. Ich will mich nicht um sie sorgen müssen. Ich verspreche, Tori jeden Tag zu simsen, damit du beruhigt bist, dass der Kerl nicht zu Hannibal Lecter mutiert.«

»Chingao. Das ist nicht witzig, mija.«

Er muss ziemlich angefressen sein, wenn er auf Spanisch flucht. Ich möchte lachen, weil er sich so absurd verhält. Auf keinen Fall werde ich Isabella alleinlassen. Das wird nicht passieren, bevor ich nicht sicher sein kann, dass sie es bei ihrem Onkel gut hat. Außerdem hab ich von Cal genug über Brady erfahren und weiß, dass er nicht durchgeknallt ist. Ein bisschen überfürsorglich vielleicht, aber kein Psycho. Und an überfürsorglich bin ich gewöhnt, damit kann ich umgehen.

Während ich meinem Dad zuhöre, der alle Gründe aufzählt, warum es keine gute Idee ist hierzubleiben, muss ich mich sehr beherrschen, um ihn nicht zu fragen, ob er Geld braucht. Sonst lässt meine Schwester mich immer wissen, wenn es zu Hause schlecht läuft, damit ich ihr heimlich was zukommen lassen kann, doch ich fürchte, sie hat mich nicht auf dem Laufenden gehalten, weil ich wegen Cal und Mel so fertig gewesen bin. Meine Eltern arbeiten ununterbrochen, ihr Mindestlohn reicht allerdings nicht aus, wenn man krank wird, eine Autoreparatur nötig ist oder irgendein anderer Notfall eintritt.

Aber mein Vater ist ein stolzer Mann, also beiße ich mir auf die Zunge, was schwierig wird, als er nach meinem Ex fragt.

»Vielleicht könnt ihr ja doch noch eure Probleme lösen«, mutmaßt er laut.

»Ich weiß, du meinst es nur gut, aber ich will darüber nicht sprechen, okay?« Mir ist klar, dass er in Eric einen guten Versorger sieht, jemanden, der sich um mich kümmern würde. Wenn er nur wüsste.

Es schmerzt, meinen Eltern zu verschweigen, warum ich diesen renommierten Job aufgegeben habe. Als Erste in meiner Familie, die das College besucht hat, weiß ich, wie viele Hoffnungen in mich gesetzt wurden, und ich kann nicht verhindern, mich zu fühlen, als hätte ich sie enttäuscht. Ich wünsche mir, ich könnte ihnen den Grund sagen, damit sie verstehen, warum ich mich so distanziert verhalte, seit ich auf die Farm gekommen bin. Aber das würde sie fertigmachen. So, wie es mich fertiggemacht hat.

Ich weiß nicht, wie lange ich einfach nur dastehe nach diesem Telefongespräch. Schließlich greife ich mir einen Schwamm und wische die Küchenoberflächen, zwinge mich, weiterzuputzen.

Mels Worte klingen in meinen Gedanken nach. Das Leben hier ist einfacher. Unkompliziert.

Mir entfährt ein hohles Auflachen. Unkompliziert? Nichts an alldem hier ist unkompliziert. Cal und Melissa waren das süßeste Paar überhaupt. Sie haben mich aufgenommen, als ich nirgendwohin konnte, haben mir ein Zuhause gegeben, und jetzt sind sie tot.

Und es ist alles meine Schuld.

Was, wenn ich nicht hergekommen wäre? Was, wenn ich einfach mit eingezogenem Schwanz nach Corpus zurückgegangen wäre, anstatt hierherzukommen? Dann würden sie immer noch leben.

Tränen strömen über mein Gesicht, und ich halte das Schluchzen zurück, das aus meiner Brust aufsteigen will. Ich scheuere die Arbeitsplatte umso härter, denn das ist es, was ich in einer Krise tue. Ich putze. Ich räume auf. Eric würde darüber lachen, sagen, das sei die Mexikanerin in mir. Als wäre das lustig.

Schlimmer noch. Er hat gesagt, es gefalle ihm, dass ich nicht wie eine Latina aussehe. Krass, oder? Ich war fast anderthalb Jahre mit ihm zusammen, bevor ich seinen wahren Charakter erkannt habe. Was, wenn ich diesen Mann geheiratet hätte? Mich überläuft ein Schaudern. Er mag ja der Sohn eines Senators sein, aber ich kenne Arbeiter mit mehr Klasse.

Ein leises Wimmern aus dem Babyfon erinnert mich daran, dass es Schlimmeres gibt, als den falschen Kerl zu heiraten. Was, wenn man den Richtigen heiratet und dann alles verliert?

Das Schluchzen, das ich bislang zurückgehalten habe, bricht sich Bahn, und ich schlage schnell die Hände vor den Mund, um das Geräusch zu unterdrücken.

Man muss kein Genie sein, um zu erkennen, dass ich der Situation nicht gewachsen bin. Ganz und gar nicht gewachsen bin. Immer wieder rede ich mir ein, dass alles gut wird, sobald Brady da ist. Ich hoffe, es stimmt.

Kapitel 3

Brady

Der Logan Airport ist von einer dicken Decke aus Schnee und Ruß überzogen, nach dem Sturm von letzter Nacht. Boston im November. Es wird erst schlimmer, bevor es besser wird.

Im ganzen Terminal hängen Thanksgiving-Dekorationen und stehen in grellem Gegensatz zu der Wut und der Fassungslosigkeit, die mich aufwühlen. Ich kann immer noch nicht richtig begreifen, was in jener Nacht geschehen ist.

Nachdem ich den ganzen Tag über versucht habe, jemanden auf der Polizeidienststelle zu erreichen, habe ich endlich kurz mit einem Officer gesprochen, der mir erklärte, dass der Laster meines Bruders bei der Überquerung eines niedrigen Wasserslaufs während des sintflutartigen Sturms ins Schleudern geraten wäre. Das Fahrzeug sei eine Böschung hinabgerutscht und umgekippt und habe ihn und seine Familie in einem überfluteten Flussbett gefangen gesetzt.

Meine Sicht verschwimmt, während ich aus dem riesigen Fenster starre.

»Machen die Richtungsangaben Sinn?« Der Südstaatenakzent an meinem Ohr reißt mich aus meiner Benommenheit, und ich klemme das Handy fester zwischen Ohr und Schulter ein. Die Frau wiederholt ihre Worte, aber ich kann nicht wirklich verarbeiten, was sie sagt. Als mache seit jenem Morgen, seit jenem Aufwachen, in meinem Leben nichts mehr Sinn.

Ich atme einmal tief durch und versuche dann, aufmerksam zu bleiben. Das hier ist das erste Telefongespräch zwischen Katherine und mir, bei der die Verbindung nicht komplett durch statisches Rauschen gestört wird. Ich kann mich schon glücklich schätzen, wenn ich hier auf meinem Handy überhaupt Empfang habe.

Ich räuspere mich. »Kannst du mir einen Gefallen tun und mir die Wegbeschreibung zur Farm schicken?«

Sie seufzt. »Klar. Kein Problem. Bis bald.«

»Super. Danke.«

Ich sollte netter zu dieser Frau sein. Katherine, Melissas Freundin, hat sich um das Anwesen gekümmert, seit wir vor drei Tagen die Nachricht bekommen haben. Zwar hatte ich den ersten Flug gebucht, aber das Wetter hat mir zwei Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass die vergangenen Nächte, die ich auf einem harten Stuhl im Flughafen verbracht habe, meine Laune nicht gerade gebessert haben.

Als ich fünf Stunden später in Austin ankomme, nehme ich die gebrauchte Harley FXR bei dem Autoverleih gegenüber des Flughafens als Zeichen. Klar, sie hat eine Menge Reparaturen nötig, aber ich erkenne etwas Gutes auf den ersten Blick. Und da ich meine Maschine vor einem halben Jahr für das Doppelte verkauft habe, was ich nach ein paar Reparaturen für sie gezahlt hatte, bin ich mir sicher, dass ich mein Geld einspiele, wenn ich die hier auch würde verkaufen müssen. Außerdem fahre ich lieber diese Maschine für wer weiß wie lange als ein Mietauto.

Fünfundvierzig Minuten und zwei Riesen später gehört sie mir.

Solch eine Summe für ein Motorrad hinzublättern ist das Unvernünftigste, was ich seit einer Ewigkeit getan habe. Aber auf dem abgewetzten Leder zu sitzen und das Lenkrad gepackt zu halten ist das Einzige, was mir die Zuversicht gibt, mich im Griff zu behalten. Ich hoffe, ein paar längere Ausflüge darauf werden mir helfen, meine Gedanken zu sortieren und den Überblick über alles zu behalten, was ich hier unten erledigen muss. Zum Glück reise ich mit leichtem Gepäck und alles passt auf den rostigen Gepäckhalter, der an der Maschine befestigt ist.

Während ich durch den Sonnenuntergang fahre und die Luft einatme, die nach Zedernholz riecht, fühle ich mich ein wenig mehr geerdet. Allerdings nur, bis ich auf einen Feldweg abbiege und auf das kleine Farmhaus starre. Ein verschmutztes Schild steht an einer Seite. Lovelace Farm.

Es ist ein bescheidenes Haus, eine weiße einstöckige Ranch mit einer breiten Veranda. Sie leuchtet in der Abenddämmerung, und warmes Licht scheint aus einem der Fenster. Doch der Rest des Hauses ist dunkel, und angesichts dieser Finsternis läuft es mir kalt über den Rücken.

»Es tut mir leid, Bruder. Du hattest einen wunderschönen Traum.« Ich hänge auf der Auffahrt herum. Meine Augen brennen. Eine Hügellandschaft mit Heckenreihen umgibt das Haus. Eine kaputte Schaukel wiegt sich unter einer riesigen Eiche hin und her.

Es ist so friedlich hier. So anders als die chaotischen Straßen von Boston. Und gleichzeitig ist es auch unheimlich, fast so, als könnte ich meinen Bruder spüren. Das ist das, was ich am meisten bereue. Dass ich ihn nicht besucht habe. Dass ich mir nicht die Zeit genommen habe, seine Frau und seine Tochter kennenzulernen und ihre kleine Farm zu sehen.

Dass ich ihn in jener Nacht nicht zurückgerufen habe.

Ich bin einfach so wütend auf ihn gewesen, weil er nicht nach Boston zurückgekommen ist, um unseren Eltern zu helfen. Aber jetzt wird mir schmerzhaft klar, wie falsch ich gelegen habe. Und irgendwie muss ich das wieder hinbiegen.

Ich nähere mich dem Haus und stelle die Maschine ab. Gerade als ich den Helm abnehme, fliegt die Vordertür auf und ein Mädchen eilt hinaus. Ihr langes kastanienbraunes Haar wird vom Wind verweht, verbirgt kaum das Stirnrunzeln auf dem hübschen Gesicht.

»Wenn Sie die Lone Biker Bar suchen, die finden Sie gut einen Kilometer weiter zurück auf dieser Straße.« Ihre Worte klingen scharf, ein bisschen wie Reese Witherspoon in Walk The Line.

Sie deutet nach links, bevor sie die Brille mit dem schwarzen Gestell zurechtrückt. Himmel, sie ist süß mit diesen großen Augen und der schrullig gerunzelten Stirn. Was steht auf ihrem T-Shirt? Ich kneife die Augen zusammen, versuche die Worte zu erkennen. Frack Off steht in großen schwarzen Buchstaben auf dem T-Shirt, das unter ihrem Kapuzenpullover hervorschaut.

Als ich ihr ins Gesicht blicke, sieht sie noch verärgerter aus. »Tun Sie mir einen Gefallen. Wenn Sie verschwinden, nehmen Sie diesen Weg, sonst wecken Sie das Baby auf.« Sie nickt zu der kreisförmigen Auffahrt, die ich gerade entlanggekommen bin, dann erstarrt sie und neigt den Kopf. Babygeschrei durchbricht die Stille.

»Verdammt noch eins!« Sie macht auf dem Absatz kehrt und ist schon halb durch die Tür verschwunden, als ich ihr hinterherrufe: »Tut mir leid, dass ich das Baby aufgeweckt habe, aber ich suche Katherine.« Sie hält mitten im Schritt inne, und ich deute auf das Haus. »Ist sie da?«

Sie dreht sich zu mir um, die Augen weit aufgerissen. »Und Sie sind?«

»Brady.« Ich schwinge mich von der Maschine und gehe auf sie zu. »Cals Bruder.«

Ihre Augen werden noch größer. »Ich … Sie …« Sie schüttelt den Kopf. »Das tut mir so leid! Ich habe dich natürlich erwartet.« Große braune Augen starren mich hinter der Brille hervor an, die sie weiter ihre freche kleine Nase hinaufschiebt. Habe ich schon erwähnt, wie süß sie ist? Spricht natürlich nicht für mich, die Babysitterin gleich abzuchecken. Ganz offensichtlich hilft sie Katherine.

»Einen Moment.« Sie huscht ins Haus, aber lässt die Vordertür weit offen stehen. Ich bleibe auf der Veranda und streife mir den Dreck von den Stiefeln. Als sie zurückkommt, trägt sie ein stämmiges kleines Bündel, das verdammt kräftige Lungen hat. Er oder sie. Das kann ich von meinem Blickwinkel aus nicht erkennen.

Das Mädchen zuckt zusammen, offenbar schon ganz taub vom Geschrei des kleinen Unruhestifters, und streckt eine Hand aus. »Ich bin Katherine.«

Jetzt bin ich geschockt. Wer zum Teufel hat die Aufsicht über die Farm einem Teenie überlassen? Sie kann nicht älter als achtzehn sein. Ich blicke wohl ein paar Sekunden zu lang auf ihre Hand, denn sie runzelt schon wieder die Stirn.

»’tschuldige.« Ich nehme ihre Hand und bin überrascht von ihrem festen Griff. »Ich wollte nicht unhöflich sein. Ich bin Brady Shephard, Cals Bruder.«

Sie nickt noch immer mit finsterem Blick. »Du siehst ihm überhaupt nicht ähnlich. Deswegen war ich so überrascht. Er ist Buchhalter gewesen und du …« Sie sieht zu der Harley hinter mir. »Du bist das ganz offensichtlich nicht.«

Ihr Kommentar bringt mich zum Schmunzeln. Cal würde sich freuen, dass ihn endlich mal jemand als Zahlenfuzzi ernst nimmt.

»Ja, da hast du recht. Ich bin definitiv kein Buchhalter.«

Wir stehen da und starren uns an. Sie beißt sich auf die volle Unterlippe, und meine Augenbrauen schießen in die Höhe. »Darf ich reinkommen?«

Sie bläst sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Ja klar, natürlich. Bitte.« Sie winkt mich herein.

Das Wohnzimmer wirkt verlebt, aber gemütlich mit dem Fernsehsessel und der Couch mit Blumenmuster. Im Bücherregal stehen Kinkerlitzchen herum, und der Holzfußboden ist zwar abgenutzt, jedoch sauber. Was mir vor allem anderen auffällt, ist, wie gut alles riecht. Frisch, nach sauberer Wäsche und Blumen.

Sie deutet auf die Couch. »Setz dich. Willst du was trinken?«

»Nein, danke.« Ich hätte ein schlechtes Gewissen, sie um etwas zu bitten, wie sie dasteht mit dem schreienden Baby im Arm.

Ich setze mich auf die Kante der Couch, denn ich will sie nicht dreckig machen. Ich hätte meine Stiefel ausziehen sollen, aber es fühlt sich komisch an, das im Haus eines anderen zu tun.

Katherine setzt sich in den Fernsehsessel und murmelt ihrer Tochter leise ins Ohr. Endlich beruhigt sich der kleine Teufelsbraten.

Sie wirkt erleichtert, als sie zu mir hochblickt und fragt: »Willst du sie mal halten?«

Ich starre sie an.

Das hier ist … schräg. Warum will dieses Mädchen, dass ich sein Baby halte? Sie ist verdammt jung für eine Mutter. »Das willst du nicht wirklich. Ich habe Dreck von mindestens zwei Staaten an mir.« Ich rutsche verunsichert hin und her, als sie erstarrt.

»Du willst sie nicht halten?«, fragt sie fassungslos.

Im selben Moment dreht sie das Baby zu mir, und ich kann das Kind zum ersten Mal richtig ansehen. Vertraute blaue Augen blinzeln mich an … und in dem Moment gerät meine ganze Welt aus den Fugen.

Was zum Teufel? Mein Mund ist trocken.

»Isabella«, sagt sie laut, als wäre ich schwerhörig. »Willst du sie halten?«

»Himmel.« Ich presse die Handflächen auf die Augen. Kurz darauf senke ich die Hände wieder und starre das Baby meines Bruders an. Ich öffne den Mund, aber kein Laut kommt heraus. Schließlich räuspere ich mich. »Das ist Isabella?«

Sie sieht mich an, als wäre ich ein Volltrottel, und nickt.

»Ach du Scheiße.« Ich starre auf das Kind in ihren Armen. Auf die leuchtend blauen Augen. Auf die wilden Büschel sandfarbener Haare. Auf die Lippen, die wie eine Rosenknospe aussehen. »Ich hab gedacht … ich hab gedacht, sie ist mit ihren … mit ihren Eltern im Laster gewesen.«

Katherine keucht auf. »Nein. Himmel, nein.« Sie drückt Isabella an sich. »Ich habe in der Nacht auf sie aufgepasst. Ich habe dir doch gesagt, dass ich mich um sie gekümmert habe.« Sie schüttelt den Kopf. »Wie kommst du nur darauf?«

Ärger steigt in mir hoch. »Ich konnte dich kaum verstehen, als ich am Flughafen war.« Während ich versuche, mich zu erinnern, was meine Mutter gesagt hat, reibe ich mir die Stirn. Verdammt. Was hat sie genau gesagt? Sie hat geweint und war verzweifelt darüber, dass sie Cal so lange nicht gesehen hatte und er nun tot war. Hat bedauert, weil sie Melissa nie wirklich eine Chance gegeben hat. Und dann hat sie weinend hervorgestoßen: Wir haben auch das Baby verloren. Das waren ihre Worte.

Ich streiche mir über die Haare, die Erinnerung schnürt mir die Kehle zusammen. »Ich glaube … Ich glaube, meine Mutter war einfach verwirrt.« Und als du mit der Polizei geredet hast, wolltest du nur die Einzelheiten zum Unfall wissen und hast nicht gefragt, wer alles im Auto saß.

Wir sitzen schweigend da, und als ich mich so weit beruhigt habe, dass ich wieder klar denken kann, wird mir plötzlich eines bewusst: Sieht so aus, als erbten meine Eltern ein Baby.

Kapitel 4

Katherine

Brady sagt kein Wort, während er sich noch einen Bourbon eingießt. Ich kann ihm das nicht verübeln. Wenn ich gedacht hätte, Isabella wäre in jener Nacht bei Cal und Mel gewesen, hätte mich das auch völlig aus der Bahn geworfen.

Ich wiege die Kleine in meinen Armen und streiche ihr die Haare glatt, was mich vermutlich mehr beruhigt als sie. Doch nach diesem Gespräch muss ich mich erst wieder fassen. Nach einer Weile hebe ich den Blick zu ihrem Onkel.

Zu sagen, Brady und Cal könnten gegensätzlicher nicht sein, ist völlig untertrieben. Trotz seines Hangs zu Tabellen war Cal ein blonder Hipster mit sorglosem Lachen. Obwohl er Buchhalter gewesen war, hat er sich mehr wie ein südkalifornischer Surfer gegeben.

Was so ganz und gar nicht auf seinen Bruder zutrifft.

Weil Brady total wild und verwegen wirkt.

Dichte schwarze Haare. Durchdringende grüne Augen. Sein kräftiges Kinn ist von einem Dreitagebart bedeckt. Er ist muskulös, füllt mit seinen breiten Schultern die Lederjacke aus und bildet damit eine dunkle Schneise quer durch mein Blickfeld.

Es ist schwer, ihn nicht anzustarren.

Er hat die Ellbogen auf die weit auseinandergespreizten Knie gestützt und starrt aus dem Fenster wie ein Darsteller aus der Biker-Serie Sons of Anarchy, der gleich jemanden vermöbeln wird.

Als er hereingekommen ist, hat er mich weit überragt und mich angesehen, als wäre ich ein Teenager, den er dabei erwischt hat, hier unerlaubt einzudringen. Er ist einschüchternd, auf jeden Fall.

Und unglaublich heiß.

Ich blicke auf mein T-Shirt hinab und wünsche mir, ich hätte mich vor seiner Ankunft umgezogen. Schnell ziehe ich den Reißverschluss meines Kapuzenpullovers hoch, denn ich fühle mich plötzlich befangen.

Er hat nicht viel gesagt, aber wenn ich daran denke, wie er mich vorhin angesehen hat, bin ich mir sicher, dass ich gerade seine Welt aus den Angeln gehoben habe. Ich habe das Verlangen, ihn zu trösten. Wenn wir befreundet wären, wenn ich ihn länger kennen würde als diese zehn Minuten, die er auf der Couch sitzt, würde ich ihn umarmen. Doch das ist natürlich schräg.

Ich kann nicht fassen, dass er geglaubt hat, Isabella wäre auch gestorben. Der Gedanke jagt mir einen kalten Schauer über den Rücken.

Als könnte sie meine Unruhe spüren, kuschelt sich die Kleine enger an mich. Ich muss ihr etwas zu essen geben, aber es fühlt sich falsch an, Brady jetzt alleine hier sitzen zu lassen.

Nach drei Shots Jim Beam setzt er das Glas ab, seufzt und fährt sich durch die verwuschelten Haare. Wie kommt es, dass Männer danach immer besser aussehen?

Er blickt auf und räuspert sich. »Fangen wir noch mal von vorn an.« Er streckt eine Hand aus. »Hi, ich bin Brady. Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um herzukommen. Dieser Nordostwind hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.«

Sein Akzent streicht über mich hinweg und hält mich gefangen. Er ist genauso intensiv wie alles andere an ihm. Auch Cal hatte einen New-England-Akzent, aber bei ihm hat der mich aus welchem Grund auch immer nur zum Lachen gebracht. Bradys verursacht mir Gänsehaut.

Da gibt es nichts zum Lachen.

Als ich endlich begreife, dass er auf meine Erwiderung seiner Geste wartet, strecke ich meine Hand aus. »Katherine Duran, Freundin der Familie und Isabellas Babysitterin.«

Mit seiner großen Pranke schüttelt er meine Hand. Seine Haut ist hart und rau, ein bisschen wie sein Äußeres. Doch als er mich ansieht, habe ich Schmetterlinge im Bauch.

Nachdem ich die Hand freigegeben habe, fühle ich mich ein wenig benommen. Was zum Kuckuck geht hier vor?

»Du bist also … du bist Cals jüngerer Bruder? Du bist viel größer als Cal.« Sehr viel größer. Er muss über eins achtzig sein.

Er schmunzelt. »Er hat das gehasst, dass ich größer bin. Wir sind nur neun Monate auseinander. Und ich bin der Ältere. Der Mistkerl erzählt nur gern, dass er älter ist.«

Genauso schnell, wie es aufgeblitzt ist, verschwindet das Lächeln, und er starrt wieder in die Ferne. Sicher hat er bemerkt, dass er fälschlicherweise von Cal in der Gegenwart gesprochen hat.

Der Schmerz in seinem Blick zieht mir die Brust zusammen. Schließlich kann ich es nicht länger ertragen. Ich nehme das Baby hoch, rutsche hinüber auf die Couch und lege meine Hand auf eine seiner breiten Schultern. Mir geht vieles durch den Kopf, das ich sagen könnte, um ihn zu trösten, aber im Moment bin ich davon abgelenkt, wie intim sich diese Geste anfühlt. Davon, wie nah wir uns sind. Davon, dass der Geruch seines Aftershaves oder Shampoos oder was immer es ist mich an die Wälder nach einem Gewitter denken lässt.

Ich bin versucht, meine Hand zurückzuziehen. Aber ich habe mich schon zu weit darauf eingelassen, also hole ich nur tief Luft. »Brady, es ist mir eine Ehre, dich kennenzulernen. Ich habe Cal und Mel geliebt, als wären sie meine eigenen Geschwister, und ich möchte, dass du weißt, ich bin hier, um zu helfen, so gut ich kann.«

Ein leises Gurgeln veranlasst uns beide, uns dem Baby auf meinem Schoß zuzuwenden. Sie lächelt ihn an. Preciosa.

Ich stoße ihn leicht mit dem Ellbogen an. »Oh, sieh nur, sie mag dich. Und wenn Isabella dich mag, weiß ich, dass du ein toller Kerl sein musst, weil sie Menschen wirklich gut beurteilen kann. Sie hasst Mr Roosevelt, der seine Ehefrau betrogen hat, liebt Mrs MacIntyre, die für uns die besten Apfelkuchen backt, und sie misstraut Ted Mayfield, was ich erst merkwürdig fand, bis wir seine Vorliebe für Schafe entdeckt haben.«

Brady lacht stockend, und ich muss auch lächeln. Ich muss nervös sein, denn ich spreche nur wirres Zeug. Echt jetzt, Katherine? Du hast so gut wie jeden Politiker in Texas getroffen und lässt dich von diesem Biker verunsichern?

Ich deute auf ihn. »Warum, ähm, warum machst du dich nicht eben frisch, und dann lasse ich dich sie halten. Was hältst du davon?«

Tränen steigen in seinen Augen auf, und verdammt, auch in meinen. Er schluckt und blinzelt die Gefühlsaufwallung weg. »Tolle Idee, so machen wir’s. Danke.«

Wieder habe ich Schmetterlinge im Bauch, als Brady und ich uns anstarren. Sei nicht albern, Katherine. Reiß dich zusammen.

Im Moment bedeutet das, dem heißen Biker dabei zu helfen, seine Nichte zu halten.

Ich strecke die Arme mit der sich windenden Isabella aus, worauf seine Pupillen sich weiten. Ich muss auflachen. »Brady Shephard, das hier ist keine große Kunst.«

»Ich habe noch nie ein Baby gehalten.« Seine Stimme ist tief und kratzig, und ich kann mir nicht erklären, warum ich mich frage, wie sie sich anhören würde, wenn er mir etwas ins Ohr flüsterte.

Ich räuspere mich. »Noch nie?«

»Noch nie.«

Ich lache leise. »Wie ist das möglich?«

Brady fährt sich durch die Haare und zuckt mit den Schultern. Lieber Himmel, was für ein Anblick, wenn er so verlegen ist. Dieser große, starke Mann, eingeschüchtert von dem Gedanken, ein Baby zu halten.

Er hat die Lederjacke ausgezogen und darunter nur noch ein T-Shirt der Boston Red Sox an, das sich über seiner muskulösen Brust dehnt und sich eng um seine Oberarme schmiegt, von denen Tattoos die Arme hinablaufen. Wenn er nicht Cals Bruder wäre, würde ich diesen Kerl Isabella niemals halten lassen. Klar, er wirkt harmlos, aber sein Äußeres ist so verdammt einschüchternd.

Ich wiege das Baby auf meinem Schoß, und er schaut gebannt zu. »Du gehst so toll mit ihr um«, sagt er. »Keine Ahnung, wie sie mich jemals so mögen soll wie dich.«

»Ich habe eine jüngere Schwester und viele kleine Cousins und Cousinen, und während die meisten Mädchen mit ihren Puppen gespielt haben, habe ich Windeln gewechselt und mich anspucken lassen. Mach dir keine Sorgen. Ich bin mein ganzes Leben lang von Kindern umgeben gewesen. Du kriegst das schon hin.«

Er sieht besorgt aus, und mir geht das Herz auf. Ohne nachzudenken, greife ich nach seinen Schultern und dränge ihn auf der Couch nach hinten. Doch der Kontakt jagt einen Schock durch mich hindurch, und ich schrecke zurück.

Zum Glück scheint er meine seltsame Reaktion nicht zu bemerken. Ich ignoriere das wilde Schlagen meines Herzens und deute auf ihn. »Kannst du … kannst du etwas weiter zurückrutschen?«, murmele ich und lege Isabella auf seinen Schoß, sobald er es getan hat.

Sofort schließt er seine riesigen Hände um ihre pummeligen Hüften.

Ich lächele, beachte meine Verlegenheit nicht. »Brady, ich möchte dir deine Nichte vorstellen, Isabella.«

Bella starrt zu ihm hoch und grinst, lässt ihre neuen Zähne aufblitzen, bevor sie nach seinem Gesicht greift. Er lacht. »Hey, junge Dame. Ich bin dein Onkel Brady.«

Sie kichert, und ich schwöre, dass ihre Wangen erröten.

»Wie süß. Sie ist total bezaubert von dir.«

Er kitzelt Isabella, und sie kichert erneut. Ich sollte jetzt aufhören, aber mein Mund scheint einen eigenen Willen zu haben. »Sieht so aus, als wäre dein Onkel ein Frauentyp.« Was habe ich da eben gesagt? »Ich meine, du hast sie vollkommen in der Hand. Anscheinend kannst du gut mit Frauen.« Ich blicke ihn kurz an, und er wirkt, als bemühe er sich sehr, nicht zu lachen. Toll. Was für eine Rede. Er muss denken, ich schmeiße mich an ihn ran.

»Ich mache ihr eben das Abendessen.« Ich deute auf die Küche, während ich aufstehe und versuche, aus der ganzen Sache herauszukommen, ohne mich völlig zum Narren zu machen. »Sag Bescheid, wenn ihr zwei was braucht.«

Ich bin schon fast aus dem Zimmer, als er mir hinterherruft. »Katherine.« Meinen Namen mit dieser tiefen, grollenden Stimme zu hören verursacht mir Gänsehaut.

Ich drehe mich um und bete zu Gott, dass er mich nicht für verrückt hält. »Ja?«

»Danke. Für alles. Ich bin mir sicher, dass ich nicht mal ahne, wie sehr du meiner Familie geholfen hast.«

In meinem Bauch zieht sich alles zusammen. Wenn er nur wüsste. »Du musst mir nicht danken. Wirklich nicht.« Und dann eile ich in die Küche.

Kapitel 5

Brady

Isabella starrt mit ihren strahlend blauen Augen zu mir hoch und lächelt ihr zahnloses Lächeln. Moment. Sie hat zwei Zähne. Ich streiche mit einer Hand über das Lockenbüschel auf ihrem Kopf und bin ganz fasziniert davon, wie weich es ist. Und sie riecht so … gut. Nach Babypuder und etwas Blumigem.

Sie fährt damit fort, mein Gesicht zu betatschen, und strahlt dabei immer weiter, und es ist so gut wie unmöglich, nicht zurückzulächeln.

»Hey, Baby.« Warum spreche ich so niedlich? Ehrlich, ich weiß es nicht, aber es fühlt sich richtig an, also mache ich weiter. »Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, um herzukommen, aber es sieht aus, als wärst du bei deiner Tante Katherine in guten Händen.«

Und seit wann ist Katherine ihre Tante? Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was ich von mir gebe, aber Isabella scheint es nicht zu kümmern, dass ich mich zum Deppen mache. Sie kichert und gurgelt und drückt meine Wangen.

»Also, Isabella. Nennen dich alle so? Ist ein ziemlich langer Name für so ein kleines Mädchen. Was hältst du davon, wenn ich Izzy zu dir sage?«

Sie schlägt die Hände zusammen und kichert noch mehr, und ich nehme das als gutes Zeichen. »Super. Izzy, also. Kannst du meinen Namen sagen? Kannst du Bray-dee sagen? Bray-dee.«

»Bway-Bway! Bway-Bway!«

Mein Herz geht auf, als sie meinen Namen sagt. Grundgütiger. Das ist umwerfend.

Ich bin überwältigt von der Liebe, die ich für Izzy empfinde. Ich habe nie an Liebe auf den ersten Blick geglaubt, aber das hier lässt sich nur so beschreiben. Weil ich ohne jeden Zweifel weiß, dass ich alles tun werde, um meine Nichte zu beschützen.

Der Gedanke lässt mich innehalten. Verblüfft mich, ernsthaft. Schließlich habe ich meinen Bruder aufgezogen, weil ihm genau das passiert ist. Nämlich so starke Gefühle für jemanden zu haben, den er gerade erst kennengelernt hat.

Ich bin ein Idiot gewesen.

Izzy ruft mich wieder bei meinem Namen.

»Gutes Mädchen.« Ich hebe sie hoch und pruste gegen ihren Bauch, freue mich an ihrem glucksenden Lachen, bevor ich sie umarme. Sie windet sich auf meinem Schoß und tritt mit ihren stämmigen Beinchen, als versuche sie, sich hinzustellen. Ich lehne mich auf der Couch zurück und halte ihre Hände, während sie auf meinem Schoß balanciert.

Izzy neigt sich nach links, und ich tue so, als würde sie fallen. »Whoa!«, stoße ich dramatisch hervor, ehe ich sie in die Arme schließe. Sie lacht so heftig, dass sich ihre Nase kräuselt.

Sie trägt eine Trainingshose und ein T-Shirt, beides total winzig. Ich zeige auf ihren Bauch und schüttele den Kopf. »Ich muss dich mit einem Team vertraut machen, den Celtics, und wenn wir schon dabei sind«, ich deute auf das Red-Sox-Logo auf meiner Brust, »müssen wir uns dringend über Baseball unterhalten. Jedes Mädchen muss über Baseball Bescheid wissen. Und lass dir von keinem Jungen erzählen, Mädchen könnten nicht spielen, denn das ist Blödsinn.«

Izzy nickt, als würde sie alles verstehen, und krabbelt dann von meinem Schoß. Ich nehme sie an der Hand und bleibe an ihrer Seite, während sie in Richtung Küche zockelt. Ihre dicken Socken rutschen über den Holzboden, also halte ich sie an beiden Armen fest, damit sie nicht hinfällt.

Als wir in die Küche kommen, steht Katherine an der Spüle und lehnt mit einem Arm auf der Arbeitsfläche. Ich setze an, etwas zu sagen, da schnieft sie leise.

Ich überlege noch, ob ich sie fragen soll, ob sie okay ist, oder ihr besser ein paar Minuten gebe, als Izzy irgendwas vor sich hin brabbelt. Katherine wischt sich über die Augen und fährt herum. Sie zwingt sich zu lächeln.

»Perfektes Timing. Ihr Abendessen ist fertig.« Ihre Stimme klingt belegt.

Ich hebe das Baby hoch und setze es auf meine Hüfte, so wie Katherine es vorhin getan hat.

»Alles okay mit dir?«, frage ich leise, als wäre sie ein verwundetes Tier, das ich nicht ängstigen will. Sie beißt sich auf die Lippe und nickt, aber ihre Augen glänzen und rötliche Flecken überziehen ihr Gesicht. Bevor ich darüber nachdenken kann, schließe ich sie auch schon mit dem freien Arm in eine Umarmung, und sie fängt an meiner Brust an zu schluchzen. Oh, verdammt. Mit weinenden Frauen kann ich einfach nicht umgehen.

»Hey, alles wird gut.« Sanft reibe ich ihre Schulter. Ich hasse, wie verstört sie ist.

Ich versuche, nicht zu bemerken, wie gut sie sich anfühlt, so an mich geschmiegt, wie zart sie ist, aber ich kann es nicht ignorieren. Sie bewegt sich, und ich nehme ihren leicht blumigen Duft wahr, der mich an den Frühling denken lässt.

Izzy windet sich in meinem anderen Arm, und ich vergesse alle tröstenden Worte, die ich zu Katherine hätte sagen können, als das Baby sich für seine eigene Umarmung an meinen Hals lehnt.

Das hier. Ich bin für das hier nicht bereit.

Ich lasse Katherine ein paar Minuten lang weinen, bis es sich anhört, als wäre sie damit durch. »Du und Mel, ihr habt euch sehr nahegestanden, oder?«

Sie nickt an meiner Brust und schnieft.

Izzy bewegt sich ruckartig in meinem Arm, als wollte sie um jeden Preis zu Katherine. »Hey, dein größter Fan will, dass du ihn hältst.«

Katherine blickt zu mir hoch. Obwohl ihr Gesicht leicht geschwollen und rot ist, nehmen mich ihre braunen Augen gefangen.

Nachdem sie mir das Baby abgenommen hat, räuspere ich mich und mache ein paar Schritte zurück. Das kleine Mädchen platziert einen dicken, feuchten Kuss auf ihrer Wange.

»Das ist süß, Izzy. Küsse werden Tante Katherine trösten.«

Katherine reißt den Kopf hoch, als hätte ich sie überrascht.

»Was?« Ich reibe mir den Nacken.

Sie schüttelt den Kopf und schnieft wieder, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. »Du bist ein Naturtalent, so wie du mit ihr umgehst. Ich hab doch gewusst, dass du dir keine Gedanken machen musst.«

Doch während ich Katherine mit Izzy beobachte, wie sanft sie sie hält und mit ihr spricht, weiß ich, dass sie das Naturtalent ist. Zum Glück, denn ich bin total unerfahren.

Als Katherine in die Küche zurückkommt, schaltet sie ein kleines Ding an und Izzys Gebrabbel in ihrer Wiege füllt den Raum.

»Das ist ein Babyfon.« Sie zeigt auf den Lautsprecher. »Wir haben vier oder fünf davon. Sie reichen bis zum Schuppen und bis zum angrenzenden Feld, was großartig ist, denn so kann ich morgens die Tiere füttern, während sie noch schläft. Na ja, wenn sie länger schläft.«

Katherine wirkt erschöpft, als hätte sie tagelang nicht geschlafen. Ich will schon sagen, sie solle ins Bett gehen und wir würden uns morgen früh unterhalten, da wird mir klar, was sie eben gesagt hat.

»Tiere? Über wie viele davon reden wir hier?« Ich weiß, Cal hat auf einer Farm gelebt, aber bis zu diesem Augenblick habe ich nicht darüber nachgedacht, was das bedeutet.

»Nicht viele. Das hier ist keine große Farm.« Irgendwas an dieser Aussage beruhigt mich, bis sie mit den Schultern zuckt. »Wir haben ungefähr ein Dutzend Hühner, ein Pferd namens Sampson und zwei Zwergziegen, Stella und Stanley.« Dann murmelt sie noch etwas vor sich hin, was ich nicht verstehe.

»Bitte was?«

»Ich habe gesagt, dass wir auch ein Waschbärenbaby, Bandit, und einen Karton voll Katzenbabys haben.«

»Und warum haben wir einen Karton voller Katzenbabys, ein Waschbärenbaby und«, ich lege den Kopf schräg, »zwei Zwergziegen, die nach Figuren aus Endstation Sehnsucht benannt sind?«

Ein atemberaubendes Lächeln breitet sich über ihr Gesicht aus.

»Weil Mel Streuner aufgenommen hat. Sie hat nie jemanden in Not wegschicken können.« Katherine zupft an einem losen Faden an ihrem T-Shirt. Ihre Stimme senkt sich zu einem Flüstern: »Was vermutlich erklärt, warum ich hier seit Ende Mai lebe.«

»Oh. Ich weiß nicht, warum ich gedacht habe, du wärst eine Nachbarin. Arbeitest du für Cal und Mel?«

»So in der Art. Ich denke, man könnte sagen, ich bin ihre im Haus wohnende Babysitterin. Aber ich habe ihnen auch bei der Ernte im August geholfen und dabei, die Felder diesen Herbst zu bestellen.«

»Die Felder?«

»Du hast echt keine Ahnung, oder?« Sie lacht. »Mel besitzt eine der größten Lavendelfarmen in Texas Hill Country.« Ihre Augen verengen sich. »Tja, ich vermute mal, du bist nun stolzer Besitzer einer der größten Lavendelfarmen.«

Ich fahre mir zum wohl hundertsten Mal heute durch die Haare. »Nicht so voreilig. Ich muss mich erst mal mit dem Anwalt besprechen und herausfinden, ob es ein Testament gibt. Ich bin hier, um alle … um in dieser Woche alles Wichtige zu regeln.« Bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um. »Mom meinte, die Farm sollte an jemanden aus Mels Familie gehen.«

»Ihr Anwalt hat heute Nachmittag angerufen und sagte, er sei morgen bei Gericht, aber er würde versuchen, dich danach anzurufen. Was Mels Familie angeht, ihr Vater ist vor ein paar Jahren gestorben. Jemand anderen hatte sie nicht mehr.«

Warum fühle ich mich jetzt noch schlechter? Ich presse die Handflächen auf meine Augen.

Ihre sanfte Stimme durchbricht meine beginnende Panikattacke. »Tut mir leid, dass ich dich vorhin vollgeheult habe.« Ich lasse die Arme sinken und blicke hinüber zu Katherine, die verlegen von einem Fuß auf den anderen tritt, bis sie ihre langen Haare zusammennimmt und zu einem dieser komplizierten Knoten dreht, die Mädchen draufhaben. Bevor ich etwas sagen kann, eilt sie quer durch die Küche. »Keine Ahnung, wo ich meine Manieren gelassen habe. Du bist den ganzen Tag unterwegs gewesen. Du musst am Verhungern sein.«

Kurz darauf schaut sie in den Kühlschrank und präsentiert mir ihren runden, festen Hintern. Diese Frau sollte nichts anderes als Yogahosen tragen.

»Ich könnte uns migas machen.« Sie zieht den Kopf aus dem Kühlschrank und blickt mich erwartungsvoll an.

Mein Blick schnellt nach oben. Hoffentlich denkt sie nicht, dass ich sie abchecke.

»Mach dir meinetwegen bitte keine Umstände. Warte mal. Was sind migas?«

Sie reißt die Augen weit auf und fuchtelt beim Erklären mit den Händen. »Das sind Rühreier mit angebratenen Maistortillas. Ich gebe auch gern Jalapeños, Zwiebeln und Koriander dazu. Klingt das gut?«

»Himmel, ja. Das hört sich köstlich an.« Ich lache und bin ein bisschen verliebt in ihren Akzent und die Art, wie sie die Rs rollt. Wie ich sie jetzt so anschaue, fällt mir auf, dass sie etwas leicht Exotisches an sich hat mit der Form ihrer Augen und der bronzefarbenen Haut.

»Ich liebe es zu kochen, ist also ganz und gar keine Mühe. Die Eier sind ganz frisch. Aus unserem eigenen Hühnerstall. Aber ich kann dir machen, was immer du magst.«

Der Ernst, mit dem sie mich anblickt, während sie darauf wartet, dass ich ihr sage, was ich zum Abendessen möchte, ist zu süß. Zu zärtlich.

Ich räuspere mich. »Kann ich dich was fragen? Ich weiß, es ist unhöflich, eine Frau nach ihrem Alter zu fragen, aber du wirkst so jung und …«

Ihre Wangen erröten. »Ich bin dreiundzwanzig.«

Sie senkt etwas beschämt den Blick, und ich fühle mich wie der letzte Arsch, weil ich sie in Verlegenheit gebracht habe.

»He, tut mir leid. Ist nur – wenn du hier wohnen bleibst, sollte ich so was vermutlich wissen.«

»Natürlich. Verstehe ich. Ich bin nicht beleidigt.« Sie windet sich verlegen, und ich vermute, das sagt sie nur, weil sie höflich sein will, aber dann zuckt sie mit den Schultern. »Also … migas?«

Mein Magen knurrt, und ich lächele unbeholfen. »Ja, wenn du es schon empfiehlst.«

Sie lacht und schüttelt den Kopf. »Keine Sorge, ich päppele dich schon wieder auf.«