Boys Up! Das Eltern-Buch - Anton Wieser - E-Book
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Boys Up! Das Eltern-Buch E-Book

Anton Wieser

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Beschreibung

Als Eltern kennen Sie die gängigen Vorurteile nur zu gut: Jungs sind schwierig, sitzen nur vor dem Computer, geraten häufig in Konflikte und haben ständig Ärger in der Schule. Klingt nach einem enormen Imageproblem, das Jungs haben. Der simple Grund ist, Jungs werden oft nicht gefragt: Was brauchen sie? Was bewegt sie? Was macht ihnen Freude? Häufig wird das einfach nicht erkannt, weil viel zu oft über die Jungs gesprochen wird statt mit ihnen. Der bekannte Jungen-Coach Anton Wieser dagegen lässt sie selbst zu Wort kommen. Statt zu fragen, was mit ihnen los ist, zeigt er, was in ihnen vorgeht. Anschaulich und unverblümt erklärt er, was Jungs wirklich brauchen. So schafft er Verständnis und Eltern erfahren, wie sie ihren Sohn bestmöglich ins Leben begleiten.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 305

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Anton Wieser

BOYS UP!

Das Eltern-Buch

Anton Wieser

BOYS UP!

Das Eltern-Buch

Wie Jungs ticken und was sie sich von ihren Eltern wünschen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de/ abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

Die gewählte männliche Form bezieht sich immer zugleich auf weibliche, männliche und diverse Personen. Auf konsequente Mehrfachbezeichnung wurde aufgrund besserer Lesbarkeit verzichtet.

4. Auflage 2025

© 2022 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Redaktion: Claudia Franz, Oberstaufen

Umschlaggestaltung: Pamela Machleidt

Umschlagabbildung: shutterstock/Banana Oil

Satz: Christiane Schuster | www.kapazunder.de

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-7474-0439-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-839-4

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhalt

Zum Geleit

Sind Jungs heute schwieriger als früher?

Was ist los mit den Jungs von heute?

Wie kann man die Jungs von heute verstehen?

Kapitel 1 – Die vertraute Welt Ihres Sohnes zerbricht

Geheimnisse aus der Pubertät

Das Kind im Jungen verabschiedet sich

Die Geschlechtsreife verändert alles

Kapitel 2 – Die Rolle des Vaters in der Pubertät

Aktiv sein und Interesse zeigen: Was heißt das genau?

Es ist nicht leicht, ein guter Vater zu sein, oder?

Vater-Sohn-Erlebnisse

Körperlicher Kontakt

Schmusen ist auch okay

Auch handwerkliches Schaffen verbindet

Gemeinsame Hobbys können Nähe schaffen

Emotionaler Kontakt

Kapitel 3 – Von Mann zu Mann: Let’s talk!

Warum reden Jungs nicht?

Ein Gesprächsritual für Vater und Sohn

Verbesserte Kommunikation ganz konkret

Wohlfühlübung für starke Jungs

Gemeinsame Rituale schaffen: Selbstvertrauen stärken mit der »Herzatmung«

Kapitel 4 – Männlichkeit kann man lernen

Der Vater als Vorbild

Wie stellt sich ein Junge die Welt der Männer vor?

Kapitel 5 – Die Rolle der Mutter in der Pubertät

Jungs brauchen Freiraum

Mein Haus ist dein Haus

Kontakte zu männlichen Bezugspersonen forcieren

Kapitel 6 – In welcher Phase der Pubertät steckt Ihr Sohn gerade?

Früh- oder Spätentwickler?

Warnhinweis für Eltern: Vergleiche bringen nichts!

Kapitel 7 – Körper und Körperbild in der Pubertät

Körperliche Veränderungen in der Pubertät

Über die Körperscham des Jungen

Wenn Scham schädlich wird

Kapitel 8 – Das Gehirn in der Pubertät

Warum Vergesslichkeit in der Pubertät normal ist

Plötzlich läuft alles aus dem Ruder

Ab in die Röhre, mein Sohn!

Warum Jungs manchmal »Scheiße bauen« müssen

Selbstwert-Booster gegen »Teenage Angst«

So geht’s: Ängste einfach wegdenken

Kommunikation ist (manchmal) möglich

Das Gehirn baut neue Muster

Kapitel 9 – Das Verhalten von Jungs in der Pubertät

Auf ins Abenteuer Pubertät

Jungs wollen und müssen jetzt Verantwortung übernehmen

Jungs wachsen an Herausforderungen

Kapitel 10 – Den Sohn auf seine Reise gehen lassen

Ohne Bindung keine Abnabelung

Die »Entidealisierung« des Vaters

Die Balance zwischen Nähe und Distanz finden

Kapitel 11 – Ihr Sohn wird geschlechtsreif

Jungs brauchen Freiraum

Der Penis und seine Bedeutung für einen Jungen

Wenn das Testosteron kickt

Endlich: Die erste Ejakulation

Ist das geil? Jungs und Pornografie

Dopamin: Ein verdammt geiler Stoff

Dickpics und Sexting

»SexTalk«: Was Jungs alles wissen wollen

Sein »neues« Netzwerk und potenzielle Sexualpartner

Was ist alles erlaubt?

Jungs und ihre erste Liebesbeziehung

Was Eltern unbedingt über Sex wissen sollten

Kondome ins Gespräch bringen

Aber bei meinem Sohn tut sich nichts!

Kapitel 12 – Jungs und ihr Selbstwertgefühl

Warum Mama und Papa nicht alles regeln sollten

So stärken Eltern das Selbstwertgefühl ihrer Jungs

Das Selbstwertgefühl macht den Unterschied

Quellen

Über den Autor

Zum Geleit

Liebe Leserinnen und Leser,

dieses Buch ist ein Buch für Mütter und Väter von Jungs. Für Mütter und Väter von Jungs in der Pubertät. Für Jungs, die Männer werden.

Für mein Unternehmen BoysUp! – Jungencoaching habe ich in zahllosen Coachings unzählige Gespräche mit Jungs geführt. Ich habe ihnen zugehört. Ich wollte von ihnen wissen, was sie bewegt. Was sie sich wünschen. Was sie aus ihrer Sicht in dieser spannenden und für sie verwirrenden Zeit am dringendsten von uns Erwachsenen brauchen.

Ihre Antworten sind sowohl einmütig als auch eindeutig: Jungs fordern aktive Väter. Und was wünschen sie sich von den Müttern? Ganz einfach: Mehr Verständnis für die »männliche« Sicht der Welt.

Was bedeutet dieser Wunsch für Väter und alle Männer, die diese Rolle biologisch oder sozial einnehmen? Es gilt, sich zu hinterfragen und der großen Verantwortung für ihre Söhne spätestens jetzt gerecht zu werden. Es ist ihre Aufgabe, ihre Söhne auf deren Weg zum erwachsenen Mann zu begleiten.

Für dieses Buch bedeutet es, dass es dem Vater und seinen Aufgaben entsprechend viel – für Leserinnen vielleicht sogar ungewohnt viel – Gewicht einräumt.

Mütter, die in diesem Buch Antworten auf ihre Fragen zu ihren Söhnen suchen, werden diese ebenfalls bekommen. Antworten, die von Müttern die bestehende Liebe zu ihren Söhnen und zugleich ein neues Rollenverständnis einfordern. Ein Rollenverständnis, zu dem es auch gehört, in manchen Momenten einen Schritt zurückzutreten und Männern – Vätern, neuen Partnern, Großvätern oder Onkeln – den Vortritt zu lassen. Für Mütter bringt dieser Perspektivenwechsel einen gewaltigen Aha-Effekt. Mütter werden erkennen, wie ihr Sohn tickt und wie wichtig ein Mann in seinem Leben ist. Sie werden ihren Sohn und seine Art zu denken Stück für Stück besser verstehen.

Nun wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen und dazu noch eine Menge spannender Erkenntnisse.

Ihr Anton Wieser

Sind Jungs heute schwieriger als früher?

Es ist 4 Uhr morgens – und ich wälze mich unruhig im Bett hin und her. Durch die halb geöffneten Jalousien scheint das fahle Licht des Mondes. Eigentlich möchte ich schlafen, aber in meinem Kopf kreisen die Gedanken. Ich denke an ein Gespräch, eine Sitzung, die ich gestern mit einem zwölf Jahre alten Jungen führte. Das, was ihm geschieht, macht mich wütend und traurig zugleich.

Ich hatte ein Coaching mit Tim. »Noch vor einem Jahr war er ein aufgeweckter, humorvoller und lebensfroher Heranwachsender!«, so seine Mutter. Davon war bei unserem ersten Treffen nicht mehr viel übrig. Schon als Tim in die Praxis kam, bemerkte ich: Dieser Junge war traurig, wirkte ängstlich und verunsichert. Mit hängenden Schultern und leerem Blick begrüßte er mich mit einem leisen »Hallo«. Sein Händedruck fühlte sich an, als ob ich eine tote Forelle in der Hand halten würde.

»Was ist los, Tim?«, fragte ich ihn. Nach einiger Zeit des gegenseitigen Anschweigens fing er mit zittriger Stimme an zu erzählen. Sein Dilemma begann vor rund acht Monaten – mit dem Wechsel in eine neue Schule. Seitdem wurde er regelmäßig von einer Lehrerin gemobbt, vor der ganzen Klasse bloßgestellt und verbal gedemütigt.

»Warum?«, mögen Sie sich fragen. Auch Tim fragte sich das traurig jeden Abend vor dem Einschlafen. Weil er mit seiner Art wohl dem typischen Klischee eines schwierigen Jungen entsprach. Folgendes hatte die Lehrerin Tim und seiner Mutter in einem Schüler-Eltern-Lehrer-Gespräch unter sechs Augen erklärt: »Tim lässt sich leicht ablenken. Er ist laut, reagiert oft unangepasst, arbeitet nicht mit und vergisst dauernd irgendwas. Wenn das mit ihm so weitergeht, sehe ich schwarz für sein weiteres Leben.« Die Mutter war geschockt. »Was ist bloß aus meinem Jungen geworden?«, dachte sie.

Noch viel schlimmer war die Aussage der Lehrerin aber für Tim. Für ihn brach eine Welt zusammen. Zwar wusste er, dass er nicht mehr die schulische Leistung ablieferte, für die er als Kind auch von seiner Mutter immer wieder gelobt worden war. Dass es aber so schlecht aussah, war ihm nicht bewusst.

Seine Lehrerin reagierte auf sein »unangepasstes« Verhalten in der Schule (was auch immer das heißen mag), indem sie ihn vor der gesamten Klasse maßregelte und bloßstellte. Sie schickte ihn zum »Nachdenken« in den Flur vor den Klassenraum (als ich das hörte, wurde mir etwas übel) oder bestrafte ihn mit zusätzlichen Hausaufgaben. Tim sagte, dass sie ihn schon »Nichtsnutz« genannt und ihm – wie eine Hexe mit einer Kristallkugel – seine Zukunft vor der versammelten Klasse verlautbart hätte: »Tim, aus dir wird sicher nie was werden!«

Die Lehrerin hat ihr Ziel erreicht. Tim wurde still, zurückhaltend und »angepasst«! Er wagt es kaum, sich zu melden oder auf Fragen zu antworten. Dadurch verschlechtern sich seine Noten zusehends. Was die Lehrerin zusätzlich zu verantworten hat: Tim hat begonnen, ihre düsteren Prophezeiungen zu glauben. Sein Gehirn hat das, was sie ihm dauernd vorwirft, verinnerlicht. Jetzt gaukelt Tims Hirn ihm vor, dass er nicht mehr viel wert sei. Mehr noch: Sein Gehirn lässt ihn so handeln, dass die Vorhersagen seiner Lehrerin tatsächlich eintreffen. Tim ist nicht mehr der Junge, der er noch vor einem Jahr war. Er ist ein Junge, der von sich denkt, er sei weniger wert als seine Klassenkameraden und seine Freunde. Man, oder in dem Fall frau, hat ihm sein Selbstwertgefühl Stück für Stück geraubt.

Tim ist leider kein Einzelfall. Immer wieder habe ich mit Jungs zu tun, die von ihren Lehrerinnen und Lehrern oder sogar von ihren Eltern gemobbt werden. Oft sind es Jungs, die nicht der allgemeinen Norm entsprechen, die zu Mobbingopfern werden. Weshalb ist das so? Wie kann es sein, dass gerade Menschen, die mit Jungs zu tun haben, sich häufig fragen: »Warum sind diese Jungs so, wie sie sind: so laut, so unangepasst, so unruhig, so schwierig?«

Dieses Buch soll Ihnen dabei helfen, zu erkennen, warum Ihr Sohn das tut, was er tut, warum er so ist, wie er ist. Dabei geht es weniger darum, uns Erwachsenen Tipps zu geben, wie wir das Verhalten unserer Söhne verändern können, damit es uns und in der scheinbaren Folge auch unseren Jungs hilft. Nein, es geht darum, unsere Söhne zu verstehen, das »Warum« hinter ihrem Verhalten zu erkennen und so an den Kern des Kerns zu kommen. Dafür müssen wir uns aber erst mal die Mühe machen, genauer hinzusehen. Wir müssen einen Blick auf die allgemeine Situation von Jungs werfen. Und die ist – besonders im Hinblick auf die Schule – nicht gut. Schon seit längerer Zeit erzielen Jungs im Durchschnitt schlechtere Schulleistungen als Mädchen. Jungs werden im Schnitt später eingeschult und sie brauchen auch noch länger bis zum Abschluss. Dieser Umstand belastet viele Jungs: Sie sind in der Klasse die Älteren. Wenn sie dann noch »eine Ehrenrunde drehen«, sind sie teilweise zwei Jahre älter als viele der Mädchen oder der anderen Mitschüler. Das kratzt von außen am Image der Jungs und von innen an ihrem Selbstwertgefühl. Übrigens: Die Selbstmordrate ist bei Jungs und jungen Männern etwa dreimal so hoch wie bei Mädchen und jungen Frauen.1

Frauen studieren nicht nur häufiger an Universitäten, sondern sie sind dort auch erfolgreicher als Männer. Die Schule macht es unseren Jungs also nicht leicht. Meine fantastische Kollegin Heidemarie Brosche, selbst Lehrerin, Mutter von drei Söhnen und erfolgreiche Autorin, sagt im Interview dazu: »Als Lehrkraft neigt man schon dazu, Mädchen als angenehmer zu empfinden, weil sie in der Regel ruhiger, angepasster und leistungswilliger sind und auch feinmotorisch eher das liefern, was Schule will. Ich bin sehr froh, dass mir im Zusammenleben mit meinen Söhnen ganze Kronleuchter aufgingen und ich mein Verhalten überdenken konnte.«2 Vielleicht gibt es ja die eine oder andere Lehrperson, die sich an Frau Brosche ein Beispiel nehmen kann. Wir Eltern sollten es in jedem Fall tun. Ihr Sohn würde strahlen wie besagter Kronleuchter, wenn er so behandelt und dann bewertet werden würde, wie es seiner männlichen Natur entspricht. Es wäre nur fair, wenn die Anforderungen, die Jungs an ihre Lernumgebung haben, gesehen und berücksichtigt werden würden. Es wäre ein echter Beitrag zur Geschlechtergerechtigkeit, wenn Jungs nach ihrem tatsächlichen Können bewertet und nicht mit den gegebenen Fähigkeiten von Mädchen verglichen werden würden.

Auch die Jungs machen es sich nicht leicht. Gerade in der Schule stehen sie unter einem hohen »Männlichkeitsdruck«. Zu diesem Druck gehört auch, sich von den »Strebern«, von denjenigen, die hart und diszipliniert für ihre Erfolge arbeiten, bewusst abzugrenzen. Denn »Streber zu sein«, gilt oft als uncool und unmännlich.

Aber was ist männlich? Wie sind denn ganz normale Männer eigentlich – mit ihren Stärken und Schwächen und vielleicht sogar mit Gefühlen? Vielen Jungs fehlt das männliche Vorbild zur Identifikation. Väter sind nicht selten Trennungsväter, die der Sohn, wenn überhaupt, im 14-Tage-Rhythmus sieht. Andere Väter sind trotz körperlicher Anwesenheit so abwesend, dass der Junge viel Goodwill braucht, um nachahmenswerte Aspekte der Männlichkeit beim eigenen Vater zu entdecken. Denn diese Väter sind entweder mit ihrer Arbeit oder mit sich selbst beschäftigt. Na, ertappt? Vielleicht gehören Sie zu der Spezies, zu der Ihr Vater wahrscheinlich gehörte. Glauben Sie, dass die Mütter für die Kinder zuständig sind – für die Töchter und auch für die Söhne? Aber was ist, wenn Sie jetzt mal ganz weit zurückdenken, an die Zeit, als Sie so alt waren wie Ihr Sohn heute? Dann werden Sie erstaunt feststellen: »Oh, auch ich hatte damals so eine Sehnsucht nach meinem Vater!« Schon wieder ertappt, stimmt’s? Durchbrechen Sie diesen Teufelskreis. Ihr Sohn braucht Sie, so wie Sie damals Ihren Vater gebraucht hätten. Es gibt nicht viele Männer im Leben Ihres Sohnes, zu denen er aufschauen kann und von denen er lernen will.

Leider sind Erzieher immer noch die große Ausnahme. Der Anteil von männlichen Lehrkräften an der Grundschule pendelt irgendwo um die 12 Prozent.3 Realschulen sind fest in Frauenhand.4 Und auch am Gymnasium wird dieser Trend sich durchsetzen. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbands, prognostiziert einen Frauenanteil von 70 bis 75 Prozent.5 Da müssen unsere Söhne schon großes Glück haben, um eine männliche Lehrperson zu bekommen. Ganz zu schweigen davon, dass dieser Mann auch noch »pädagogisch wertvoll« für unsere Söhne ist und weiß, was Jungs brauchen.

Ist das Problem also eine Gestaltung der Lernumgebungen nach feministisch orientierten oder besonders auf Mädchen zugeschnittenen pädagogischen Vorstellungen? Diese einfache und verallgemeinernde Antwort ist zwar populär. Aber die empirischen Forschungen geben diese Antwort leider nicht her.6

Das wäre ja einfach: eine Menge Männer davon zu überzeugen, dass es toll und hip ist, ein pädagogisches Studium zu absolvieren, und sie in den Schulen zu verteilen. Dort können sie dann fein unterrichten und die Jungs sind glücklich, bringen bessere Leistungen, ecken nicht mehr an und alles wäre gut. Klingt easy – auf den ersten Blick. Ist aber nicht die Lösung. Die Herausforderungen, die Jungs in der Schule haben, ist vielleicht die offensichtliche, aber bei Weitem nicht die einzige Herausforderung, die Jungs von heute haben. Was also ist zu tun, damit es unsere Söhne und somit auch wir, die Eltern, leichter haben?

Was ist los mit den Jungs von heute?

Bei vielen Menschen, die mit Jungs zu tun haben, herrscht Verunsicherung. Das Verhalten von Jungs ist ihnen ein Rätsel. Sie fragen sich, warum Jungs »so schwierig« sind, scheinbar nicht mehr »funktionieren«, sich nicht anpassen. Warum – um es kurz zu sagen – Jungs »das System stören«. Ich verrate Ihnen was: Auch bei den Jungs selbst herrscht diese Verunsicherung.

Um eine Antwort zu bekommen, sollten wir uns deshalb fragen, was Jungs in der Pubertät belastet. Wir sehen eine Generation heranwachsen, die zwischen vielen Polen nach Orientierung sucht. Wo sehen sich Jungs zwischen Bewegungen wie #MeToo, NoFap, Incel, Pick up Artists und feministischen Forderungen nach einer »neuen Männlichkeit«, die die »toxische Männlichkeit« ihrer Väter und Großväter ersetzen soll? Was hat es auf sich mit den virtuellen Welten, in denen sich Jungs verlieren und dennoch aufgehoben fühlen? Was tun gegen die Wirtschafts- und Verführungsmacht der Industrie, der neuen Medien und der Marketingpower globaler Handelsriesen?

Bezeichnungen wie »Problemfälle«, »Tyrannen« oder »dumme Jungs« sind nicht selten zu finden. Doch es darf nicht darum gehen, Jungs in ein schlechtes Licht zu rücken. Das wäre so, als ob wir die Sirene, die uns vor dem Hurrikan warnt, wegen ihres Lärms verteufeln. Wir sollten sie beachten, nicht beschimpfen. Wir müssen herausfinden, wie unsere Söhne ticken. Wir müssen versuchen, sie zu verstehen. Nur dann können wir sie auch unterstützen. Doch wie können wir Jungs, in den Medien inzwischen als »das schwache Geschlecht« bezeichnet7, bestmöglich unterstützen? Auf diese Frage gibt es keine allgemeinen Antworten.

Fakt ist: Jungs lassen sich nicht in die traditionellen und inszenierten Kategorien von Männlichkeit wie Macho, Nerd oder Weichei pressen. Die Jungs gibt es nicht. Jungs sind keine einheitliche Masse. Jeder Junge ist anders. Jeder ist das Ergebnis seiner bisherigen Erfahrungen, seiner familiären und kulturellen Sozialisierung und nicht zuletzt seiner körperlichen und hormonellen Entwicklung. Jeder hat unterschiedliche Fähigkeiten, Interessen und Bedürfnisse. Und jeder steht vor seinen eigenen Herausforderungen. Daher müssen wir jeden Jungen als eigenständiges Individuum betrachten. Eine allgemeine Lösung für das »Problem« Jungen kann es nicht geben. Wir müssen uns schon die Mühe machen und genauer hinsehen. Jungs stehen heute ganz anderen Herausforderungen gegenüber als noch die Generationen ihrer Väter und Großväter. Die Lebensbedingungen haben sich grundlegend verändert.

Ein Junge auf einem von mir begleiteten Vater & Sohn Urlaubscamp erzählte von seinen Verunsicherungen:

»Es ist ganz schön schwierig, ein Junge zu sein. Wenn ich so bin, wie ich eigentlich bin, ist es falsch. Und wenn ich mich verstelle und verbiege, ist es auch falsch. Ich habe das Gefühl, ich bin an vielem, was in meinem Umfeld für Unruhe sorgt, schuld.«

So geht es vielen Jungs. Sie dürfen und können somit nicht so sein, wie sie eigentlich sein wollen. Die Krux: Jungs sollen nicht wie Jungs sein. Zu laut, zu aggressiv, zu neugierig, zu wenig angepasst. Und an so vielem schuld. Nur – schuldig sein setzt eine gewisse Absicht voraus. Kann man mit Absicht ein Junge sein? Einem Jungen vorzuwerfen, ein Junge zu sein, das ist so, als ob man dem Feuer die Schuld gäbe, wenn man sich verbrennt. Das Feuer kann ja nicht anders als brennen. Und der Junge kann auch nicht anders.

Wie kann man die Jungs von heute verstehen?

Jungs in ihrem Hier und Jetzt zu verstehen, ist der Schlüssel, um ihnen morgen als verantwortungsbewussten Männern begegnen zu können. »Neue Männer braucht das Land!«, lautet eine fast zum Klischee gewordene Forderung. Dazu braucht es Jungs, die sich verstanden fühlen und auch verstanden werden. Väter müssen nur in ihrer Vergangenheit kramen, um sich in ihren Sohn hineinversetzen zu können. Für Mütter von Söhnen kann es schon etwas aufwendiger sein, ihren Jungen zu verstehen. Aber auch das geht, wenn »frau« will.

Es kann sein, dass Sie ziemlich tapfer sein müssen, um in den Spiegel, den Ihr Sohn Ihnen vorhält, zu blicken. Vielleicht entdecken Sie dabei aber auch jene Seiten an sich, nach denen Sie suchen, ohne es zu wissen. Um es mit den Worten des deutschen Psychologen und Philosophen Karl Jaspers zu sagen: »Der Mensch ist immer mehr, als er von sich weiß.«8

Ups, da soll es also mehr geben. Mehr als das, was ich von mir weiß? Wahrscheinlich ja. Lassen Sie sich auf den Versuch ein. Begeben Sie sich auf diese Reise zusammen mit Ihrem Sohn. Lassen Sie auch mal Ihren Sohn in die Rolle des Reiseführers schlüpfen. So können Sie gemeinsam mit ihm in seine Welt eintauchen und ihn noch besser kennenlernen. Und er Sie.

Fazit

Wenn wir es schaffen, unsere Söhne zu verstehen, wenn wir wissen, wie sie ticken, und wenn wir ehrliches und vor allem absichtsloses Interesse an ihnen und ihrem Verhalten zeigen, ist es einfacher für alle. Also, lassen Sie uns nicht über die Probleme reden, die Ihr Sohn macht. Lassen Sie uns über die Probleme reden, die er hat. Dafür müssen wir ganz genau hinsehen, offen sein für die Welt der Jungs und vielleicht sogar mal uns selbst und unser eigenes Verhalten hinterfragen.

Kapitel 1 – Die vertraute Welt Ihres Sohnes zerbricht

In diesem Buch geht es um Jungs in der Pubertät – also um die Phase im Leben eines Sohnes, in der er gezwungen wird, sich auf den Weg in die Welt der Männer zu machen. Kein Junge wurde jemals gefragt, ob er bereit ist, diesen Weg zu gehen. Die wenigsten würden »Ja« sagen, wenn man sie im Alter von acht, neun oder zehn Jahren fragen würde, ob sie Lust hätten, ihre Kindheit abzulegen, sich auf den Weg zum Mann zu machen und in die Welt der Erwachsenen aufzubrechen. Plötzlich übernimmt der Körper das Steuer und geht voran. Der – meist noch kindliche – Verstand muss folgen.

»Meine Pubertät habe ich am Anfang eigentlich nicht mitbekommen. Ich hatte das Gefühl, meine Eltern, vor allem meine Mutter, bemerkten an mir mehr Veränderungen als ich. Wenn ich mal krank war, meinte sie, das sei wegen der Pubertät. Auch wenn ich mal mies gelaunt war, eine schlechte Note bekam oder etwas länger schlief, schob sie alles auf die Pubertät. Ich war mir damals nicht sicher, ob es wirklich daran lag.

Einmal, da muss ich elf Jahre alt gewesen sein, gab es eine kleine Geschichte. Es war wirklich etwas sehr Kleines, auf das mich meine Mutter aufmerksam machte. Es war ein Minipickel mitten auf meiner Nase. Der rote Fleck hatte sich vollkommen prominent platziert – unmöglich zu verstecken und auch nicht zu übersehen. Meine Mutter meinte zu meinem Vater: ›Jetzt geht es los. Schau mal, Greg hat einen Pickel auf der Nase!‹ Dass mir das peinlich war, interessierte sie nicht. Das war aber der Augenblick, als ich begann, beim Duschen oder auch, wenn ich allein im Zimmer war, meinen Body nach Anzeichen der Pubertät zu erkunden. Tatsächlich entdeckte ich nichts: keine Haare am Sack oder unter den Achseln oder sonst irgendwas. Außer, dass ich meinte, dass meine Hoden etwas größer geworden waren. Das konnte aber auch wegen der Hitze im Sommer sein. Da sind meine Eier immer etwas größer als im Winter, wenn es kälter ist.

Irgendwie freute ich mich total auf die Pubertät. Carlo, ein Freund von mir, war schon weiter als ich. Er war locker einen Kopf größer als ich und superviel stärker geworden. Davor war es immer ausgeglichen, wenn wir einen Fight hatten. Doch seit ein paar Monaten war ich chancenlos. Außerdem laberte er dauernd irgendwas von Mädchen, die mich damals überhaupt nicht interessierten. Er sagte immer wieder, dass die Mädchen total scharf auf ihn wären. Zudem meinte er, dass es die eine oder andere geben würde, die auf mich abfuhr. Das war schon cool, obwohl ich überhaupt nichts damit anfangen konnte.

Es gab eine Situation, an die ich mich auch sehr gut erinnern kann. Es war in den Sommerferien nach der sechsten Klasse. Da war ich zwölf Jahre alt. Carlo und ich waren wieder mal am Baggerloch. Wir lagen einfach so rum, als Carlo mir einen Porno auf seinem Phone zeigte. Da war ein Mann mit einem riesigen Schwanz, der eine Frau vögelte. Sie schrie und stöhnte und verdrehte den Kopf. Irgendwie fand ich das Ganze ziemlich verstörend und eklig. Eigentlich wollte ich wegschauen. Aber ich guckte weiter, weil ich es irgendwie doch interessant fand. Das Video dauerte vielleicht drei Minuten und war mein erster Porno. Carlo fragte danach, ob ich auch einen Steifen hätte. Ich verneinte vehement. Wir lagen so nebeneinander und Carlo hob den Bund seiner Badehose an und zeigte mir seinen Steifen. ›Krass!‹, sagte ich. Er war echt groß. ›Zeig mir deinen!‹, verlangte Carlo. Das wollte ich nicht, tat es dann aber trotzdem. ›Der ist aber noch ziemlich klein!‹, meinte Carlo. Das war ein Nachmittag, den ich sicher nicht mehr vergessen werde. Meinen Eltern erzählte ich davon nichts.

Carlo und ich verbrachten einen krassen Sommer, waren fast nur am Baggerloch, gingen oft in den Ort, aßen Eis und redeten viel. Pornos oder unsere Schwänze waren aber nie wieder das Gespräch. Aber dieses Erlebnis ließ mich nicht mehr wirklich los. Immer wieder musste ich an den Mann und die Frau im Porno denken. Beim Duschen nach dem Fußballtraining begann ich, die Schwänze der anderen Jungs mit meinem zu vergleichen. Tatsächlich bemerkte ich, dass da schon Unterschiede waren. Einige hatten einen deutlich größeren, andere nicht. Es gab sogar Jungs, die hatten schon Haare über dem Penis.

Sonst kann ich mich an fast nichts erinnern. Oh, doch! Eine Geschichte weiß ich noch: In der siebten Klasse kam irgendwann mein Vater zu mir und meinte, er müsse mit mir reden. Ich ahnte Schlimmes und sollte recht behalten. Mein Vater sprach sehr selten mit mir. Wenn er es dann doch mal tat, war es nie ein gutes Gespräch. Meist ging es um irgendwelche Streitereien, die ich zuvor mit meiner Mutter gehabt hatte. Die Streitigkeiten nahmen in der Zeit übrigens auch zu. Oder mein Vater wollte irgendwas wegen der Schule oder so von mir. Meist waren die Sachen nicht wirklich wichtig – zumindest für mich. Generell fühlte ich mich in der Zeit wenig verstanden. Es war ziemlich eigenartig: Mein Vater sagte, dass er mit mir reden wollte, und in dem Moment verließen meine Mutter und meine Schwester die Küche. Mann, das muss jetzt echt was Krasses sein, dachte ich mir. Mir fiel aber nichts Großes ein, das ich wieder mal verbrochen hatte. Eigentlich lief es sogar in der Schule einigermaßen gut. Mein Vater sah mir in die Augen und meinte mit bedächtiger und irgendwie geheimnisvoller Stimme: ›Greg, du wirst jetzt langsam zum Mann.‹ Shit, dachte ich, was kommt jetzt? Ich merkte, wie ich rot wurde. Hatte er etwa mitbekommen, dass ich immer wieder heimlich Pornos auf meinem Handy schaute? Hatte er eine Ahnung davon, dass ich es auch noch geil fand? Und wusste er vielleicht sogar, dass mein Schwanz steif wurde, wenn ich solche Filme guckte? Eltern können, so hatte ich manchmal das Gefühl, Gedanken lesen. Vor allem meine Mutter schien mich regelmäßig zu durchschauen.

›Greg‹, sagte mein Vater und unterbrach meine Gedanken, ›wir sollten über Verhütung und Sex reden!‹ Oh Mann, bitte nicht, dachte ich. ›Ja, okay‹, sagte ich. Mein Vater erzählte mir nichts, was ich nicht schon gegoogelt oder im Unterricht gehört hätte. Auch unter meinen Freunden waren Sex und Mädchen Themen, die immer wieder vorkamen. Ich ließ Vaters Storys über die Wichtigkeit von Kondomen und seine Warnung, dass man nicht sofort beim ersten Date mit einem Mädchen schlafen sollte, über mich ergehen. Er überschüttete mich mit vielen weiteren Infos, die für mich total unnütz waren. Ich hoffte nur, dass die Folter bald vorbei sein würde. War sie dann auch.« – Greg, 18 Jahre

Im Schnitt sind Jungs etwa neun Jahre alt, wenn der erste Testosteronschub das Leben des Kindes nachhaltig verändert.9 Ganz heimlich, tief drinnen im stillen Kämmerchen, kommt eines Tages der Befehl der Hirnanhangdrüse an die Hoden: »Produziere Androgene!« Und schon geht es los. Die Leydig-Zwischenzellen in den Hoden des Jungen legen sich ins Zeug. Sie produzieren Androgene, zu denen auch Testosteron gehört, und leiten die Hormone ins Blut. Davon bekommt der Junge freilich nichts mit; auch die Eltern bemerken vom hormonellen Beginn der einsetzenden Pubertät noch nichts. Aber der Körper reagiert. Erst langsam und dann immer schneller. Es gibt keinen genau definierten Ablauf der körperlichen Entwicklung bei Jungs, da ist jeder anders. Einen ungefähren Fahrplan vom Kind zum Mann gibt es jedoch.

Körperliche Veränderungen auf dem Weg vom Kind zum Mann

Meist geht es ab etwa zwölf Jahren mit einer Reihe körperlicher Veränderungen los: Das Längenwachstum der Gliedmaßen setzt ein und auch die Hände und die Füße wachsen. In dieser Zeit sollten sich Eltern am besten die Bonuskarte für treue Kunden des nächstgelegenen Schuhladens holen. Der Rumpf wächst auch, allerdings später und weniger schnell. Daher wirken Jungs in dem Alter oft tollpatschig und irgendwie falsch zusammengebaut. Auch der Junge bemerkt, dass die Proportionen seines Körpers nicht mehr passen. In einer Welt voller medial perfekt inszenierter Instagram- und TikTok-Vorzeigemenschen muss er gerade am Anfang der Pubertät ziemlich tapfer sein, wenn er nackt vor dem Spiegel steht und sich über seinen sich verändernden Körper wundert.

Mit 12 1/2, 13 Jahren bemerkt er wahrscheinlich, dass sein Penis und seine Hoden wachsen. Nicht nur die Größe, auch die Form und sogar die Farbe verändern sich. »Ist das okay so?«, fragt er sich in seiner kindlichen Naivität. Die entsprechenden Infos dazu holt er sich über YouTube und vielleicht in seiner Peergroup – der Gruppe von Gleichaltrigen, die am Anfang der körperlichen Entwicklung zum Mann allerdings auch nicht mehr wissen als er.

All diese Veränderungen, die übermächtigen, teils triebhaften Gefühle und der unbekannte Weg, der vor dem Jungen liegt, können ihn verunsichern. Es kommt vor, dass Jungs das Gefühl haben, abends als Kind einzuschlafen und morgens, vielleicht sogar mit einer mächtigen Morgenlatte, aufzuwachen und in einem anderen Körper zu stecken. Da steht der Junge dann in der Früh vor seiner Mutter, hat sich ausnahmsweise freiwillig geduscht und dabei festgestellt, dass seine Hoden wieder größer geworden sind. »Mit wem soll ich denn darüber reden?«, fragt er sich schamhaft. Mit der Mutter? Passt nicht wirklich! Der Vater? Hat eh nie Zeit! Und so steht der Junge ziemlich allein da und holt sich nach der Schule die »Infos« aus dem Internet.

Geheimnisse aus der Pubertät

Immer wieder kommen Jungs zu mir ins Coaching, die von ihren Eltern als problematisch angesehen werden. Laut ihren Eltern sind sie orientierungslos, antriebslos, introvertiert, hängen dauernd im Internet rum, sind nur am Daddeln, reden nicht und die schulischen Leistungen lassen auch zu wünschen übrig. Also schon krasse »Problemfälle« – meinen zumindest die Eltern und die Lehrer.

Meist sind diese Jungs zwischen 10 und 14 Jahre alt. Sie befinden sich also gerade am Anfang ihrer Pubertät oder stecken mittendrin. Oft spüre ich, dass sie unter chronischem »Nichtverstandenwerden« leiden. Sie verhalten sich so, wie sich Pubertierende meist verhalten. Aber die Eltern verstehen das nicht. Woher soll die Mutter auch wissen, wie es sich für ein männliches Wesen anfühlt, zu pubertieren? Und die Väter? Na, die haben schlichtweg vergessen oder verdrängt, wie es bei ihnen war. In so einer Situation biete ich an, nicht mit dem Jungen, sondern mit den Eltern zu arbeiten. Meist beginne ich damit, ein wenig über meine eigene Pubertät zu erzählen:

An die Zeit meines eigenen Heranreifens zum Mann konnte ich mich lange kaum erinnern. Klar, es gab ein paar »Highlights« wie die erste Ejakulation oder einige sexuell geprägte Situationen aus dem Internat, in dem ich war, die ich nicht vergessen hatte. Auch an ein paar schulische Herausforderungen konnte ich mich noch erinnern. Aber das war es dann auch schon. Jahrzehnte später begann ich, mich beruflich mit der Pubertät von Jungs und den Herausforderungen, die sie und ihre Eltern in dieser Phase des Lebens haben, zu beschäftigen. Deshalb kam ich gar nicht darum herum, mich intensiver mit meiner eigenen Pubertät zu befassen. Als ich bestimmte Altersstufen gedanklich erneut durchlief, konnte ich mich wieder an viele Einzelheiten erinnern.

Meine Erinnerungen an diese Phase meines Lebens beginnen, als ich etwa zwölf Jahre alt war. Bei mir war es so, dass ich unfassbar faul war. Ich kann mich an keine einzige Hausaufgabe erinnern, die ich gemacht habe. Nach der Schule knallte ich meine Schultasche in die Ecke, wir aßen etwas und auf die Frage meiner Mutter, ob ich Hausaufgaben zu erledigen hätte, antwortete ich immer mit »Nein!«.

Meine Leistungen in der Schule waren unterdurchschnittlich. Ich wusste nicht, was ich nach der Mittelstufe machen sollte. Oberstufe mit Matura (Abitur) oder gleich arbeiten gehen? Wenn Matura, wo? Das Gymnasium war ausgeschlossen. Das hätte ich niemals geschafft. Davon war übrigens auch meine Mutter überzeugt. Wenn, dann kam vielleicht eine berufsbildende höhere Schule infrage. Aber welcher Zweig? Und nach der Matura? Studieren oder direkt einen Job suchen? Ganz ehrlich, ich konnte kaum weiter denken als bis zum Abend des jeweiligen Tages. Wie sollte ich da wissen, was ich in zwei Wochen machen wollte? Geschweige denn in zwei Jahren! Aber das war mir ohnehin alles egal, weil ich es eh nicht checkte. Einzig meine Eltern nervten. Immer wieder wollten sie von mir wissen, was meine Pläne für die Zukunft waren. »Im Ernst?«, dachte ich mir, wenn sie mich danach fragten. »Das ist doch erst in einem Jahr. Bis dahin kann die Welt schon untergegangen sein.« Dennoch, wenn ich abends im Bett lag, dachte ich oft über den vergangenen Tag nach. Meine Gedanken waren meist eher beunruhigend. »Was ist bloß mit mir los?«, fragte ich mich oft.

Meine Gefühlswelt war komplett durcheinander. Mal fühlte ich mich, als ob ich Bäume ausreißen könnte. Aber eine Minute später hätte ich nicht mal einen Bonsai umtopfen können. Ich war auch aggressiv und aufbrausend. Mein Zimmer glich einer Höhle – verdunkelt und sehr, wie soll ich sagen, unordentlich. Mich aufraffen und mein Zimmer aufräumen, war ein Akt der vollkommenen Unmöglichkeit. Vor allem auch, weil mir das im Grunde völlig egal war. Wie mein Zimmer aussah, wen interessierte es? Und meine Meinung war: »Was geht es denn irgendjemanden an, wie mein Zimmer aussieht? Es ist schließlich mein Zimmer!« Vor dem Einschlafen kamen aber immer wieder diese Gedanken: »Wieso bin ich plötzlich so?«

Ich muss ungefähr 13 Jahre alt gewesen sein, als sich mein Aussehen veränderte: Meine Schultern wurden breiter. Die Stimme begann zu tanzen. Ich schoss in die Höhe und bekam auch noch Pickel. Zum Glück nicht viele, aber die paar machten mir echte Probleme. Vor allem als ich anfing, mich für Mädels zu interessieren. »Was denken die wohl von mir?«, fragte ich mich jeden Tag. Ich schwitzte auch viel mehr. Meine Haare waren direkt nach dem Waschen schon wieder fettig. Apropos Haare: Plötzlich wuchsen Haare an Stellen, die ich bisher an mir noch gar nicht bewusst wahrgenommen hatte. »Was geschieht mit mir?«, wunderte ich mich häufig.

Als ich ungefähr 14 Jahre alt war, erwachte meine Sexualität. Sie schien gewissermaßen ein Eigenleben zu entwickeln. Zwischen meinen Beinen und in meinem Kopf war die Hölle los. Es gab Gefühle und Empfindungen, von denen ich vor meiner Entwicklung zum jungen Mann nicht mal ansatzweise geträumt hatte. Und sie wollten gelebt und erforscht werden. »Das ist schon geil!«, dachte ich jeden Tag mehrmals.

Was ich damals nicht wusste, aber sehr wohl ahnte und merkte: Mein Gehirn war auch »out of order«. Der Komplettumbau betraf nicht nur meinen Körper, sondern auch mein Gehirn. Es gab Phasen, da schien nichts mehr zu funktionieren. Meine Mutter musste mich dauernd an irgendwelche Dinge erinnern. Ich vergaß täglich Schulbücher und Hefte zu Hause. In der Schule konnte ich mich kaum konzentrieren. Jede Ablenkung war willkommen, um mich nicht auf das einschläfernde Gefasel der Lehrer konzentrieren zu müssen. Ich war vollkommen verpeilt – unsicher im Umgang mit Mädchen, Lehrern, Erwachsenen, der Peergroup. Den dicken Max raushängen lassen, das konnte ich. Meine Unsicherheit mit fetten Sprüchen, coolen Gesten und unpassenden Äußerungen überspielen, das konnte ich. Meine Eltern und meine Geschwister nerven, das konnte ich auch. Aber sonst … Sonst konnte ich nicht viel. Außer vielleicht das, was ich immer wieder gern machte: rumliegen und wachsen. Und dann das Letztere noch mal mit i statt mit a.

War ich als Kind noch ein echter Frühaufsteher, kam ich als Pubertierender praktisch gar nicht mehr aus dem Bett. Höchstens um was zu futtern. Ach ja, das war auch noch so ein Thema. Kaum hatte ich gegessen, war ich schon wieder hungrig. Im Internat bekamen wir Buben nach dem Abendessen immer noch einen halben Wecken Brot. Also ein Kilo Brot – sozusagen als Snack vor dem Schlafengehen.

Warum erzähle ich das alles? Weil sich Ihr Sohn sicher auch so fühlt, wie ich mich damals gefühlt habe. Und weil es hier darum geht, in die Welt Ihres Jungen einzutauchen, ihn zu verstehen und die Höhen und die Tiefen der Pubertät aus seiner Sicht zu sehen. Mit dieser Geschichte möchte ich Verständnis für Jungs schaffen. Ich will erreichen, dass vor allem Väter sich daran erinnern, dass damals, vor vielen Jahren, vieles sehr, sehr neu und fremd war.

Das Kind im Jungen verabschiedet sich

Mit Erstaunen bemerkt ein pubertierender Junge, wie sich alles in ihm und um ihn herum verändert. Der Junge beginnt, die Welt anders zu betrachten. Er stellt fest, dass vieles, das ihn noch vor wenigen Monaten absolut nicht interessiert hat, plötzlich seine Aufmerksamkeit erregt und umgekehrt. All das verunsichert viele Jungs, genauso wie es mich vor zahlreichen – okay, fast zahllosen – Jahren verunsichert hat.