Brainspotting! - Uwe Kraus - E-Book

Brainspotting! E-Book

Uwe Kraus

0,0

Beschreibung

Dort will ich nicht mehr hin. Versteht ihr? Dort erzählen sie dir, sie schrieben an der Bibel herum. Oder fressen Schachfiguren. Oder sagen zu viel. Und das macht einen dann selbst verrückt. Erst als ich ohne Handschellen und ohne angebunden zu sein dort existierte, konnte ich mich wehren. Ich hätte dort Kugelschreiber zusammenbauen sollen, doch wem hilft das gegen eine Psychose. Ich war doch damals Shakespeare und meinte, ich hätte Recht. Und ich würde gefilmt. Doch es kam alles anders. Die kollektiven Ströme begannen. Da hätte man wirklich Carl Gustav Jung rufen müssen. Kaum war ich dort, fing das an. Dass ich fremde Gedanken hörte und mich mit ihnen unterhielt. Ich wusste doch, dass das nicht richtig war, aber ich steigerte mich da hinein und schluckte jede Scheiße, die sie mir gaben.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 53

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Für Syd Barrett

Für Anita, Willi und alle anderen

Come in here, dear boy, have a cigar...

Pink Floyd „Wish you were here“

Dort will ich nicht mehr hin. Versteht ihr? Dort erzählen sie dir, sie schrieben an der Bibel herum. Oder fressen Schachfiguren. Oder sagen zu viel. Und das macht einen dann selbst verrückt. Erst als ich ohne Handschellen und ohne angebunden zu sein dort existierte, konnte ich mich wehren. Ich hätte dort Kugelschreiber zusammenbauen sollen, doch wem hilft das gegen eine Psychose. Ich war doch damals Shakespeare und meinte, ich hätte Recht. Und ich würde gefilmt. Doch es kam alles anders. Die kollektiven Ströme begannen. Da hätte man wirklich Carl Gustav Jung rufen müssen. Kaum war ich dort, fing das an. Dass ich fremde Gedanken hörte und mich mit ihnen unterhielt. Ich wusste doch, dass das nicht richtig war, aber ich steigerte mich da hinein und schluckte jede Scheiße, die sie mir gaben.

1979 war ein erfolgreiches Jahr für den FCK. Auch für mich, denn ich kam zur Welt. Kreischerei. Eine Zange riss mich ins Leben. Der Betze gewann in meiner Geburtsstunde 3:0 gegen Berlin. Ich fühle mich wohl in dieser Vergangenheit. Da ist alles kristallen. Pitje Puck und Masters of the Universe entstanden, die TKKG und Benjamin, der erste Wetterelefant der Welt, wurden geboren. Erst der Kindergarten, dann die Geschwister-Scholl-Grundschule, Realschulempfehlung, Fachabi, Gesellenprüfung 2002. Den Schriften der Zeugen Jehovas bin ich durch meinen Onkel seit 1981 ausgeliefert. Das wars zusammengefasst. Ich bin dreißig und stehe immer noch nicht selbständig auf.

17. Februar 1979, Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern. Direkt neben der Buchhandlung, in der ich heute meine Bücher kaufe, wurde ich um 15.25 Uhr geboren.

Die Genesis meines Lebens? Mit drei der erste Fisher Price Baukasten zu Weihnachten, He-Man mit sechs Jahren. Oma meckerte über die Figuren und über die Burg. Gut gegen Böse –

und ich begann, auf der bösen Seite im Spiel zu stehen. Mir gefiel Skeletor, die Burg Snake Mountain und Hordak, der Lehrmeister des Grauens. Leider gibt es das nicht mehr zu kaufen, vielleicht in Amerika.

Ich wünschte mir einen kleinen Bruder, den ich hätte erziehen können, doch den gab es nicht. Ich erzählte ihm trotzdem Gutenachtgeschichten: Geschichten, in denen ich der Held war. Und ich nannte mich Markus, ich wollte immer so heißen. Doch es gab keinen, der mir zuhörte.

Mein großer Bruder war bei meiner Geburt zwölf Jahre alt. Mit dem konnte man nichts anfangen.

Ich war nicht immer auf der falschen Spur. In meinem ersten Leben lief alles nach Plan. Ich brachte gute Noten heim. Schreiben lernte ich schnell, aber mit der Mathematik hatte ich Probleme.

Ich gab mir Mühe. Vor allen Dingen in Sachkunde und Religion. Das war auch der Grund, weshalb ich mich am Gymnasium für Erdkunde als Leistungskurs entschied.

Ich halte die Lyrik aufrecht

In meinem Herzen.

In der Saison 1979 / 80 wurde der Betze Dritter. Meine Geburt brachte dem Verein Glück.

Dann der Sommer, in dem ich Weltmeister wurde. 1990, die Nacht von Rom, unvergesslich. Der Mauerfall, die Wende und ein halbes Leben Helmut Kohl. Die Zeit schießt durch die Adern.

1987 starb meine Großmutter, die ich immer Oma auf der Treppe genannt hatte, weil bis zu ihrem Haus ein paar Stufen zu bewältigen waren.

Ich goss mir bei ihrer Beerdigung Mezzo Mix aufs Essen, so durcheinander war ich.

Jetzt, ein halbes Leben später, habe ich keine Opas und keine Omas mehr. Ich erinnere mich nicht mehr. Das ist alles weggeschluckt im Hirn.

Ich träume auch nicht von ihnen. Ich habe vergessen. Die Zeit fließt wie in einem Kanal, wie in einem Strom.

Ich kam zu den Pfadfindern, der FCK wurde unter Feldkamp Meister und Pokalsieger. Ich weiß, warum sie abstiegen. In dem Jahr wurde ich krank. Es legte die Stadt lahm. Weizsäcker, Kohl, Joschka, den ich wählte.

Die Vergangenheit bebt

In meinen Entscheidungen.

Warum geht das alles so schnell? Irgendwann knallt es und alle sind weg. Der Sommer 1996, in dem ich zweimal operiert wurde, brachte das Chaos.

Seither ist alles Selters.

Ein halbes Leben ohne Orientierung. Mein Abi ertränkte ich in Delta-9-Tetrahydrocannabinol. Das hab ich geschafft.

Ich hoffte auf eine gute Ausbildung, die das Gefühl abtötet, ein Versager zu sein. Aber ehrlich gesagt bin ich das. So oder so.

Kein guter Lebenslauf. Elf Jahre ist alles rund gelaufen in der Schule, dann ein Jahr nur Gastschüler, dann ein akzeptables Jahr, dann der Fluch. Ich verlaufe mich wieder in meiner Erinnerung.

Glaubt mir, das schneidet die Haut auf.

Ich war nie der Typ, der gemacht hat, was man ihm sagte. In meinem Kopf sehe ich noch meinen Vater und wie er zu mir sagte »Rauch nicht und trink nicht!« als ich mit dem Roller zu meinen Freunden fuhr. Ich verstand nichts. Mit 16 die erste Zigarette, der erste Joint, die erste Kotzerei im Dönerladen.

Unsere Gemeinschaft bestand aus Boris, Jericho, Ratte und mir. Wir sonderten uns von den anderen ab, rauchten Kippen in der Schule und ab der Neunten besoffen wir uns mittags.

In der fünften Klasse waren wir in der riesigen Schule zufällig zusammengewürfelt worden.

Wir begannen gemeinsam Heavy Metal und Hard Rock, später Indie zu hören und Ratte ließ sich in der siebten Klasse einen Pferdezopf wachsen. Später liefen dann alle so rum in der Schule. Seine Mutter war cool, sie schenkte uns die Aufnäher mit dem Schriftzug Nazis in den Müll und war bei Terre des Hommes. Die hat früher wahrscheinlich auch mal einen durchgezogen.

Ratte schmissen sie in der neunten Klasse von der Schule und Jericho ging während der Zehn. Die gingen dann auf die Meisterschule und fingen schon mal ohne mein Wissen mit dem Kiffen an. Mit fünfzehn waren wir nochmal gemeinsam auf Klassenfahrt gefahren, nach Ulm und Dachau und übertrieben es mit dem Trinken. Damals hatte ich noch keine Ahnung davon, aber ich wollte unbedingt dazugehören.

Dann kam 1996, meine Mittlere Reife und mit ihr der erste verrauchte Sommer. In den Ferien trafen wir uns immer bei Jericho und genossen unsere ersten kurzen bewusstlosen Momente.

Vor fünfzehn Jahren