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Grusel in der Ferienidylle Charlotte macht mit ihrer Familie Urlaub in einem Ferienpark. Eine als Bärin verkleidete Animateurin kümmert sich liebevoll um die Kinder - zu liebevoll für Charlottes Geschmack. In den meisten anderen Familien fehlen die Mütter. Wo sind sie? Etwas muss faul sein. Je länger der Aufenthalt dauert, desto unheimlicher wird es Charlotte. (Kurzgeschichte, ca. 6000 Wörter)
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Seitenzahl: 28
Veröffentlichungsjahr: 2017
»Wir fahren in die Ferien«, sagt Mark. »Also entspann dich endlich mal. Schlaf doch ne Runde.«
Genau das versucht Charlotte seit zwei Stunden. Am vorigen Abend ist sie gegen Mitternacht von einem Business Trip aus Australien wiedergekommen. Mark hatte das Auto für den Urlaub schon gepackt. Nun sitzt er hinter dem Lenkrad und die Kinder spielen auf der Rückbank mit ihren Lerncomputern. Charlotte bräuchte dringend einen Power Nap. Jedoch findet sie nur mit Hilfe einer Einschlaf-App zur Ruhe, und ihr Smartphone liegt ausgeschaltet auf dem heimischen Küchenschrank.
»Das Gerät oder wir«, hat Mark gedroht. »Ich kümmere mich um alles, aber das Telefon des Teufels kommt nicht mit. Die nächsten drei Tage sind Familienzeit.«
Charlotte weiß, dass sie ein Online-Suchtproblem hat, aber kalten Entzug hält sie nicht für richtig. Außerdem, was wäre dabei, wenn sie kurz ihre Mails checkte, um zu sehen, ob der Lieferengpass für die chinesischen Fabriken überwunden ist? Ohne ihr Telefon fühlt sie sich abgeschnitten von der Welt, taub-stumm-blind. Laut Navigationsgerät erreichen sie den Ferienpark in zwanzig Minuten. Das letzte Dorf mit einer Telefonzelle liegt zehn Minuten hinter ihnen. Was, wenn bis zum Ziel keine Zivilisation mehr kommt? Charlotte ist gut in Form, aber die Strecke zurück zum Dorf wäre trotzdem zu weit zum Joggen. Natürlich wird es im Park Telefone und mietbare Computer mit Internetzugang geben, aber Mark wird Charlotte scharf beobachten. Möglicherweise hat er sogar die Kinder gebeten, zu petzen, wenn sie sehen, dass ihre Mutter jemanden in der Firma zu erreichen versucht. Zu zwanghaft fröhlich klang seine Stimme, als er beim Frühstück verkündete: »Endlich sind wir alle wieder zusammen. Die nächsten drei Tage hat Mami absolut frei.«
Charlotte versucht, ihre Atmung zu verlangsamen. Unter Stress holt man zu flach Luft, das verstärkt die nervöse Unruhe noch. Der Schlafmangel hat Charlottes Gehirn in etwas verwandelt, das einer matschigen Apfelsine gleicht. In diesem Zustand bekommt sie manchmal Halluzinationen, sieht Schatten in den Augenwinkeln und spürt die Präsenz von etwas hinter sich.
Vor dem Fenster zieht Wald vorbei. Der Sommer war verregnet, und die Vegetation ist dicht. Zwischen den Bäumen stehen dornige Büsche mit verschlungenen Ästen. Keine Chance, bei einer Wanderung hinter Mark und den Kindern zurückzubleiben und durch die Wildnis zu fliehen.
»Gleich sind wir da!«, ruft Merle von hinten.
»Ich seh schon das Trampolin«, jubelt ihr Bruder David.
Die Kinder waren schon ein paar Mal mit Mark allein hier.
»Ich will zuerst ins Schwimmbad«, sagt Merle.
»Nein, lieber zur Kettcar-Rennbahn!«
»Oder auf den Kletterbaum.«
»In die Kinderdisco!«
»Oh, guck mal …«
»Bubu, BUBU!«
David winkt einer dicken Bärin, die einen Strohhut und pinke Turnschuhe trägt.
Mieser Ferienjob, denkt Charlotte, in dem Kostüm schwitzt man sich vermutlich halbtot.
Noch bevor Mark geparkt hat, schnallen sich die Kinder ab und wippen in ihren Sitzen hin und her. Charlotte steigt aus und öffnet die Türen. Merle und David stürmen der Bärin entgegen und schlingen ihre Arme um deren plüschige Beine. Charlotte lächelt milde und nimmt Marks Hand. Gemeinsam laufen sie auf ein Blockhaus zu, in dem sich, laut Beschilderung, ein Laden, eine Bowlingbahn und die Rezeption befinden. Als sie an der Bärin vorbeigehen, überfällt Charlotte ein Gefühl der Beklemmung. Ihr ist, als habe sie einen schlimmen Fehler begangen. Doch sie kommt nicht drauf, worin er bestehen könnte.
Spinn nicht herum, sagt sie sich. In der Firma hast du die dringlichsten Aufgaben erledigt, und während deines Urlaubs vertreten dich kompetente Leute.
Trotzdem ist etwas in ihr der festen Überzeugung, sie solle nicht hier sein. Charlotte dreht sich zum Auto um, ihrer einzigen Verbindung in die richtige, wichtige Welt dort draußen.