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Drei Kurzgeschichten: Eine Kellnerin lebt in Furcht vor dem tyrannischen Chefkoch. Doch dann passiert etwas Unerwartetes. Eine professionelle Aufräumerin fährt zu einem Auftrag und gerät an ihre Grenzen. Eine Mutter entdeckt den wahren Sinn hinter Flötenunterricht.
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Seitenzahl: 23
Veröffentlichungsjahr: 2019
Jeder, der in die Küche schaute, stellte zuerst die Frage der Fragen: Ist Le Chef da? Diese Information war essentiell, denn davon hing ab, ob man sich über Privates unterhalten, bei den Mülltonnen rauchen oder auch nur laut lachen durfte.
Sarah nickte als Antwort, drei Mal, für den Küchenhelfer, die Servicekraft und den Barkeeper, und alle gingen danach mit veränderten abgezirkelten Bewegungen zu ihren Arbeitsplätzen und versuchten Roboter zu imitieren, denn wer keine Persönlichkeit hat, kann nicht verletzt werden.
Aber es gab ein Problem, un probläääm, korrigierte Sarah sich, jede Chance nutzend, die Sprache der Gourmets zu lernen. Ihre Auskunft bezüglich der Anwesenheit von Le Chef fußte auf einer angstvollen Annahme, nicht auf Wissen. Das bluthochdruckrote Gesicht ihres Arbeitsgebers war heute noch gar nicht an der Durchreiche erschienen. Normalerweise ließ er gleich zu Beginn der Schicht Beschimpfungen los, einen Anlass fand er immer, und dann erschien er alle Stunde um nachzulegen. Seinen Angestellten wurde ein vielgängiges Menü aus Beleidigungen serviert. Welcher Debile hat die Kuvertüre neben den Herd gestellt? Was für ein Idiot lässt die Reduktion anbrennen, und Zwiebelschale im Salat, bitteschön? Ihr Schweine! Cochons korrigierte Sarah sich. Bei anderer Gelegenheit waren sie Vaches genannte worden oder Chiens, das wusste sie noch genau. Zwar riet ihr Selbsterhaltungstrieb zum Weghören, doch ihr Ehrgeiz wollte alles registrieren, denn Le Chef war nun einmal der größte, innovativste, vielbesternteste. Jede Narbe der Demütigung verblasste, wenn Sarah kosten durfte, was er gezaubert hatte. In einem Kellerraum, den sie La Bastille nannte, weil sie davon träumte, ihn eines fernen Tages zu stürmen, hatte Le Chef einen Campingkocher, Zentrifugen und verschiedenerlei Laborgerät aufgebaut und erfand neue Kreationen der Molekularküche – cuisine, cuisine, cusine!
Sofern er nicht hinter der Wasserlieferung im Korridor lauerte oder in der Zwischendecke klemmte, um von dort heimliche Verfehlungen seines Personals aufzudecken, musste er sich auch heute in La Bastille aufhalten.
Sarah füllte einen Becher mit Johannisbeersaft, legte Kekse auf einen Teller und stieg mit beidem in den Keller hinab. Sollte Le Chef beim Experimentieren von Hunger übermannt werden, würde er sich hoffentlich gleich dort unten stärken und Sarah müsste ihn nicht sehen, wenigstens nicht, bis sie sich wieder einigermaßen akklimatisiert hatte. Zweieinhalb freie Tage lagen hinter ihr, und nach einer Abwesenheit dieser Länge, die in Gastronomiedimensionen schon einem Urlaub entsprach, fiel es ihr schwer, in das Küchensklavenleben zurückzukehren.
Was hieß noch gleich »Sklave« auf Französisch? Sarah vergaß die Frage, als sie den Teller sah. Da warteten schon Biscotti. Ihre Vertretung musste sie gestern gebracht haben, vielleicht auch schon vorgestern, denn die Konsistenz war nicht mehr knusprig, das prüfte Sarah, indem sie die Kruste zwischen den Fingern rieb. Der Kellermuff war in die Kekse eingedrungen und hatte sie lätschig gemacht. Nun stellten sie eine kulinarische Zumutung dar und Le Chef