0,49 €
Unheimliche Kurzgeschichte über den Besuch bei einem seltsamen Paar Charlotte fährt mit ihrer Familie zu einer Bloggerin, die ihr Mann aus dem Internet kennt. Maria wohnt abgeschieden in den Bergen und ist mit einem Förster verheiratet, der sich auf das Ende der Zivilisation vorbereitet. Was als entspannter Osterurlaub geplant war, wird zu einem Aufenthalt zwischen Fotowahn und Endzeitparanoia. Mark möchte den Besuch vorzeitig abbrechen. Eine schlechte Idee ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 46
Veröffentlichungsjahr: 2017
Charlotte hat ihr Handy dabei und fühlt sich sicher. Seit dem Vorfall im Ferienpark des Grauens versteht auch ihr Mann Mark, dass es besser ist, erreichbar zu sein. Heute fahren sie in die Berge, zu Maria, einer Freundin von Mark. Auf der Rückbank des Autos fachsimpeln die Kinder über Ninja-Sammelkarten.
»Seht doch mal aus dem Fenster«, sagt Mark. »Ist die Landschaft nicht schön? Hier gibt es sogar Wölfe.«
Charlotte stößt Mark warnend in die Seite. »Aber die sind extrem scheu«, sagt sie.
Damit will sie die Kinder und sich selbst beruhigen. Als Großstadtgewächs kann sie mit Betrunkenen, aufdringlichen Handleserinnen und religiösen Eiferern umgehen. Aber wilde Tiere, die im Rudel jagen? Wenn man denen im Wald begegnet, kann man nicht einfach die Straßenseite wechseln.
Charlotte prüft den Akkustand ihres Telefons: 98 Prozent. In ihrer Laptoptasche steckt zusätzlich eine Powerbank. Nichts kann passieren. Sie ist verbunden und wird es bleiben. Mark lenkt das Auto über die kurvige Straße. Hinter einem Aussichtspunkt geht es steil bergab. Für einen Flachlandbewohner fährt Mark erstaunlich souverän. Charlottes Freundinnen würden ihm jetzt eine Affäre mit Maria andichten, aber Charlotte ist nicht eifersüchtig. Zu oft muss sie Mark und die Kinder allein lassen. Da ist es doch schön, wenn es einen großen Freundeskreis gibt.
Charlotte gießt Mate-Tee aus der Thermoskanne in den Becher, der in der Halterung der Mittelkonsole klemmt, und nimmt einen Schluck von dem bitteren Getränk.
»Und diese Maria hast du auf einem Bloggertreffen kennengelernt?«, fragt sie.
Mark lacht. »Auf Bloggertreffen lernt man niemanden kennen. Man geht hin, um Leute endlich mal in der analogen Welt zu sehen. Außerdem verwechselst du Maria mit Lenja, Fräulein Kaffeebohne, die mit dem Tortenblog. Maria bin ich noch nie im Real Life begegnet.«
»Aber sie hat auch einen Blog?«
»Und ob, den mit der größten Reichweite deutschlandweit. Ihre Themen sind Lifestyle und Downshifting.«
»Downshifting … ist das so was wie Slow Food?«
»Sie erklärt, wie man ein Leben mit weniger Arbeit und mehr Zeit für sich selbst führt.«
»Ah ja.«
Charlotte verdreht die Augen. Jüngere Mitarbeiter fordern mittlerweile schon beim Einstellungsgespräch mehr Urlaub und flexible Arbeitszeiten, womit sie meinen, später anfangen und früher aufhören zu dürfen. Zeit für sich selbst - was für ein Quatsch! Man ist doch von der Geburt bis zum Tod mit sich selbst zusammen.
Sie biegen in einen Feldweg ein und fahren an einem Traktor vorbei, der bunt bemalt ist. Auf dem Sitz steht ein Blumenkübel, und um die Motorhabe rankt sich Efeu.
»Das ist ein Kunstprojekt, das Maria mit benachteiligten Grundschülern gemacht hat«, sagt Mark.
»Hat sie selbst auch Kinder?«
»Nein. Aber verheiratet ist sie. Ich glaube, ihr Mann arbeitet als Förster.« Mark runzelt die Stirn. »Auf dem Blog taucht er bloß auf, wenn er Holz für den Ofen hackt. Gleich sind wir da. Den Brunnen dort kenne ich.«
»Vom Blog?«
»Genau.«
Das Auto passiert einen Torbogen, an dem ein Schild hängt.
»Adleralm«, steht darauf. »Vor unbefugtem Betreten wird gewarnt!!!«
Flankiert wird der Torbogen von einem drei Meter hohen Holzzaun. Charlotte wundert sich.
»Wen soll das abschrecken? Als ob ständig Leute vorbeikommen würden, die … Oh.«
Der Anblick des Gebäudes verschlägt ihr die Sprache. Es ist ein zweistöckiges Haus aus Sichtbeton, trutzig wie eine Burg. Wäre mehr Glas verwendet worden, könnte es sich um ein Architektenprojekt aus den Siebzigerjahren handeln. Mit Fenstern war man jedoch sparsam. Im Erdgeschoss gibt es nur schmale Öffnungen, die an Schießscharten erinnern. Die Fenster im ersten Stock sind zwar normalgroß, aber dort sind Sicherheitsrolläden heruntergelassen.
»Bist du dir sicher, dass wir richtig sind?«, fragt Charlotte.
»Nicht mehr so ganz.«
»Ich denke, du liest ihren Blog.«
»Von außen hat sie das Haus nie fotografiert.« Mark legt den Rückwärtsgang ein. »Ich vergleiche die Koordinaten aus ihrer Beschreibung mit denen des Navis. Draußen.«
In diesem Moment öffnet sich die Haustür, und eine kleine, drahtige Frau kommt heraus.
»Willkommen!« Sie winkt und geht auf das Auto zu.
»Maria!« Mark steigt aus und läuft der Frau entgegen, eine Flasche Wein in einer Geschenktüte vor sich haltend wie ein Friedensangebot.
Charlotte bleibt sitzen. Eine Sekunde lang hat sie die Überraschung in Marks Gesicht gesehen. Er muss die Bilder in seinem Kopf mit der realen Maria abgeglichen haben. Wenn Leute Prominente treffen, sagen sie oft, sie hätten gedacht, die Person sei größer. Als ob Bekanntheit eine zusätzliche Hülle um einen Körper legen würde.
»Mir gefällt es hier nicht«, sagt Merle.
»Es gibt keinen Spielplatz«, sagt David.
»Maria hat Hasen und in der Nähe liegt ein See.« Charlotte wiederholt, womit Mark den Kindern das Wochenende schmackhaft machen wollte. »Vielleicht können wir Boot fahren.«
Sie schlüpft in die Turnschuhe, die sie während der Fahrt ausgezogen hat. Es gibt keinen Grund mehr, im Auto zu bleiben. Umparken werden sie kaum müssen. Der Wagen steht auf einer sandigen Fläche von der Größe eines Volleyballfelds. Bis auf einen Jeep, zehn Meter weiter, ist der Vorplatz leer. Man könnte Truppen aufmarschieren lassen.
»Kommt Kinder, begrüßen wir sie«, sagt Charlotte.
Merle verschränkt die Arme. »Mag nicht!«
»Sei nicht unhöflich. Maria freut sich bestimmt auf euch.«
Jedenfalls hat Maria Einiges vorbereitet. Im Esszimmer ist der Tisch üppig gedeckt. Die Porzellanteller im Stil der fünfziger Jahre rahmen drei verschiede Salate, einen Korb mit rustikalem Baguette und Aufstriche in Schälchen ein. Neben dem normalen Besteck entdeckt Charlotte Fischmesser.
»Du probierst das Essen wenigstens«, flüstert sie David ins Ohr. »Auch wenn du es nicht kennst.«
Ihr Sohn verzieht den Mund. Doch schon wird seine Aufmerksamkeit abgelenkt.
»Coole Lampe!« Er streicht über das Stativ einer Fotoleuchte.
»Vorsicht«, ruft Maria. »Da ist eine Tageslichtbirne drin, die ist teuer.«
Etwas freundlicher setzt sie hinzu: »Interessierst du dich für Fotografie?«
»Total«, sagt David. »Aber Mama gibt mir nie ihr Handy.«
»Ich mache meine Bilder mit einem richtigen Fotoapparat.« Maria nimmt eine digitale Spiegelreflexkamera von einer Anrichte und zeigt sie David. »Die hat sogar WLAN, damit landen die Bilder direkt auf meinem Laptop. Willst du mal sehen?«