Budjas Buddhisten - Wege und Welten des frühen Buddhismus - Heinz Greter - E-Book

Budjas Buddhisten - Wege und Welten des frühen Buddhismus E-Book

Heinz Greter

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Beschreibung

Seit Alexander dem Großen sind Ost und West kulturell und wirtschaftlich miteinander verbunden. Vor über zweitausend Jahren erwähnt ein westlicher Diplomat in seinem Bericht über Indien erstmals einen gewissen Budjas, der dort als großer Weiser gilt. Wie war die Welt der frühen Buddhisten und wie verehrten sie ihren verstorbenen Meister? Ihre rituellen Wege, die spirituelle und kosmische Bedeutung der Kultbauten im Osten weisen Ähnlichkeiten mit jenen der Christen im Westen auf. Die Erfindung der Buddhafigur basiert auf der griechischen Plastik, und die inneren Wege der östlichen und westlichen Mystik künden von übereinstimmenden Erfahrungen.

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Greter Budjas Buddhisten

einst

trieb mich sehnsucht

hin zum heimweh

her und hin

jetzt

angelangt im augenblick

bin ich zuhause

Heinz Greter

Budjas Buddhisten

Wege und Weltendes frühen Buddhismus

Elster Verlag • Zürich

 

© 2011 by Elster Verlagsbuchhandlung AG | Rio bei Elster | CH 8032 Zürich

www.elsterverlag.ch

Alle Rechte vorbehalten

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Dadurch begründete Rechte, insbesondere der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Vervielfältigungen des Werkes oder von Teilen des Werkes sind auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie sind grundsätzlich vergütungspflichtig.

Umschlagabbildung: Buddhastatue aus dem Museum Taxila, Pakustan.

Gesetzt aus der Palatino 10/18

ISBN 978-3-906065-33-5

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Inhalt

Einleitung

1. Wege nach Ost und West

Die Achsenzeit (800–200)

Qin Shi Huang Di (259–210)

Alexander der Große (356–323)

König Ashoka der Große (Regierung 268–232)

Alexandria

Taxila

Gandhara

2. Das Bildnis des Buddha

König Kanishka (78–144)

Nagarjuna (1./2.Jahrhundert n. u. Z.)

Das vierte Buddhistische Konzil

Die symbolische Darstellung des Buddha

Die figürliche Darstellung des Buddha

3. Wege des Pilgers

Pilgerziele

Der Pilger Xuanzang (602–664)

4. Die Bedeutung der Kultbauten

Der Stupa

Die kosmische Bedeutung des Stupas

Die spirituelle Bedeutung des Stupas

Die Kathedrale

Der hinduistische Tempel

5. Rituelle Wege

Die Umwandlung

Das Labyrinth

6. Wege nach innen in Ost und West

Meister Eckhart und Zen-Buddhismus

Jenseits des «Ich»

Anhang

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

Einleitung

Sehnsucht und Neugierde bewegen den Menschen, sich und die Welt zu entdecken. Der neugierige Mensch will erkunden, was hinter den Bergen oder am Horizont des flachen Landes und des weiten Meeres ist. Der Weg des Neugierigen führt in die Weiten der äußeren Welt. Er will wissen und erfahren. Der sehnsüchtige Mensch leidet in seinem Tiefsten an einem Mangel an Nähe zum Absoluten, was immer das sein mag. Sein existentielles Heimweh sehnt sich, diese Ferne aufzuheben und eins zu werden mit einem Göttlichen oder Anderen, das er in seinem Inneren erahnt. Der Weg des Sehnsüchtigen führt in die Weiten der inneren Welt. Auch er will erfahren und wissen. So sind der Ursprung von Sehnsucht und Neugierde die fehlende Erfahrung und das mangelhafte Wissen.

Der Mensch versucht, wenn er denn schon auf der Welt ist, sich in dieser Welt einzurichten, in ihr vielleicht heimisch zu werden und sich geborgen zu fühlen in dem, was der britische Philosoph und Mathematiker Alfred N. Whitehead «das nahtlose Gewand des Universums» genannt hat.1 Wer unterwegs ist, setzt sich aus. Er verlässt das Heimatliche und stellt sich dem Fremden. Sehnsucht und Neugier, Heimweh und Fernweh, das neue Fremde und das alte Bekannte sind die Spannungsfelder, denen der Reisende ausgesetzt ist. La maladie suisse war der Fachausdruck für jenen besonderen Gemütszustand, der die aus den hohen Bergen ins flache Ausland verschlagenen Schweizer Söldner der Renaissance befiel. Das häufige Besteigen der eigens für sie erstellten hohen, hölzernen Gerüste sollte eine Linderung ihrer Schwermut und Heimatsucht bringen. Wer sich von Zuhause entfernt, geht zwar weg, und dennoch heißt das nicht, auch tatsächlich anderswo anzukommen.

Unterwegs sein und in fremde Welten gehen, bedeutet nicht nur Ortswechsel. Wer sich auf den Weg macht, ist wohl getrieben von eigenen Wünschen, Motiven und Zielen, doch gleichzeitig auch gebunden an den Kontext seiner eigenen Kultur, und mit diesen Mustern im Kopf, den zeit- und ortsgebundenen Ideen und Erfahrungen, «mustert» und deutet er das Neue und Fremde. Der Rat des bedeutenden amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson (1803–1882), nicht auf bereits vorgegebenen Pfaden zu gehen, sondern eigene, neue Spuren anzulegen, ist nicht bloß gedacht für wagemutige philosophische Grenzgänger, sondern war der Antrieb aller großen Entdecker in der Vergangenheit: «Erst vor dem längst vergessenen Hintergrund des überlieferten gesunden Menschenverstands und der Mythen jener Zeit können wir den Mut, die Kühnheit, die heldenhaften und phantasievollen Vorstöße der großen Entdecker nachvollziehen. Sie mussten gegen die damaligen Tatsachen und Dogmen der Gelehrten ankämpfen.»2

Wer das Vertraute verlässt und sich auf das Unbekannte einlässt, muss mit dem Äußersten rechnen. Doch der Tod als letztes mögliches Ereignis auf den Wegen ins Ungewisse darf der Grund nicht sein, aus Angst davor keinen Schritt vorwärts zu gehen. Denn wo immer du bist, er ist bei dir! Auf dieser sichersten Gewissheit gründet die Freiheit des wahren Reisenden auf den Wegen in die Weiten der inneren und äußeren Welt.

Auch der spirituell Suchende macht sich auf den Weg, vielleicht als Pilger hin zu Heiligen Stätten, wo er sich eine Begegnung mit dem Göttlichen erhofft. Diese Pilgerfahrt ist im eigentlichen Sinn ein Weg nach Innen hin zur Erkenntnis des eigenen Wesens und, im besten Fall, der Erfahrung des Transzendenten, Numinosen oder Göttlichen, dem Endpunkt seiner existentiellen Sehnsucht. Seit Tausenden von Jahren sind der Orient und der Okzident, sind Ost und West durch Handelswege miteinander verbunden. Die Pharaonen Ägyptens bezogen ihren Lapislazuli, ihren blauen Stein, vom einzigen Ort, wo er sich findet – aus Afghanistan. Kontroverse Vermutungen gehen dahin, dass sie ihren Kokainbedarf mit Lieferungen aus Südamerika deckten.3 Und der Bernstein im Grab des Pharaos Tutenchamun aus dem vierzehnten vorchristlichen Jahrhundert stammte von den Küsten der Nordsee.

Die wohl bekannteste alte Handelsroute zwischen Asien und Europa ist die seit dem 19. Jahrhundert so genannte Seidenstraße. Mit dem Zug Alexanders des Großen (356–323) an den Indus begann die eigentliche Verknüpfung von drei großen Kulturräumen: Der griechisch-hellenistisch geprägte Westen war verbunden mit dem neu entstandenen Kaiserreich China und dem indischen Maurya-Reich unter König Ashoka dem Großen (304–232). Die Drehscheibe dieser drei Großkulturen war die Region Gandhara mit der Hauptstadt Taxila im Norden des heutigen Pakistan. Alexandria im hellenistischen Westen und Taxila im indo-griechischen Osten waren die bedeutendsten kulturellen und wirtschaftlichen Zentren für den Tausch von Waren und Werten in jener Zeit.

Im Folgenden werden im ersten Teil diese Wege nach Ost und West und die Welten der drei Kulturräume dargestellt.

In einem nächsten Teil wird aufgezeigt, wie im ersten und zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung, also über fünfhundert Jahre nach seinem Tode, in Gandhara die ersten figürlichen Darstellungen von Buddha Gautama entstanden sind – Buddha in hellenistischer Toga!

Der dritte Abschnitt schildert die Wege des Pilgers. Dieser ist gleichsam auf zwei Wegen gleichzeitig unterwegs: Er wandert auf sehr weltlich-wirklichen Wegen, meist Handelsrouten hin zu den heiligen Stätten und versteht diese Reise auch als spirituellen Weg nach innen. Prototyp des neugierigen Gelehrten und Pilgers ist der in Asien berühmte chinesische Mönch Xuanzang.

Die beiden letzten Kapitel zeigen gewisse Parallelen der kosmischen und spirituellen Bedeutung der Kultbauten, der Tempel im Osten und der Kirchen im Westen, wo am Ziel der Pilgerreise, am «Heiligen Ort», das Ende der Wegstrecke nach innen begangen wird. Die Sehnsucht nach dem Transzendeten kommt im glücklichsten Fall jetzt zur Ruhe – angesichts dessen, was ist.

1. Wege nach Ost und West

Die alten Hochkulturen, Ägypten am Nil, Mesopotamien an Euphrat und Tigris und die Harappa-Kultur im Punjab am Indus standen alle drei bereits zweitausend Jahre vor unserer Zeitrechnung in Beziehung zueinander. Dass die Pharaonen mit ihren königlichen Kollegen in Babylon regen diplomatischen Kontakt pflegten, belegen die in ihren Tempelarchiven gefundenen Tafeln in Keilschrift seit längerem, hingegen waren die im letzten Jahrhundert immer zahlreicher in Mesopotamien aufgefundenen Siegel und Schriftzeichen aus Indien eher eine Sensation.

Die in Ägypten, Irak, Pakistan und auch in China am Huang Ho, dem Gelben Fluss, vor über viertausend Jahren blühenden ersten Hochkulturen der menschlichen Zivilisation entstanden alle aus gleichen Voraussetzungen: Der Wasserreichtum der Flüsse sicherte große Ernten. So ernährten Wenige die vielen Übrigen, die ihrerseits nun frei waren, Handel zu treiben, Kunst herzustellen und ein staatlich geordnetes Gemeinwesen zu verwalten. Aus einstigen Nomaden waren Sesshafte geworden, die freilich, als hätten sie die ferne Zeit des Wanderns nicht vergessen, in Kontakt standen mit fast unendlich weit entfernt lebenden Menschen und Kulturen.

Die bisherige Annahme, die im zweiten Jahrtausend v. u. Z. einsetzende Völkerwanderung habe das Ende der Harappa-Kultur (ca. 2800–1800) am Indus in Nordwest-

Indien bewirkt, ist nach neuesten Forschungen eher fraglich. Es wird vielmehr davon ausgegangen, dass durch Erdbeben verursachte, außergewöhnlich große Überschwemmungen das Ende herbeigeführt haben.4 Gewiss aber drangen arische Reitervölker aus Mittelasien nach Persien und Indien vor und traten nun ihrerseits wiederum in Kontakt mit den Kulturräumen des Westens an Euphrat und Tigris.

Am Hofe König Davids in Jerusalem und in den Gärten Babylons stolzierte der Vogel der Könige, der Pfau, den es um das Jahr 1000 v. u. Z. nur in Indien gab. Die erneute ausgedehnte Mobilität von Völkern, versinnbildlicht im neu erfundenen, einachsigen Streitwagen, zeigte sich nicht bloß in den geografischen Räumen Asiens und des vorderen Orients, sondern sie erfasste in zunehmendem Maße auch die geistigen Bereiche der Menschen. Schließlich ist um das Jahr 500 v. u. Z., genauer in der Zeit zwischen 800 und 200, ein so grundlegender geistiger Wandel zu beobachten, dass der Philosoph Karl Jaspers (1883–1969) diese Zeit als die «Achsenzeit» der Weltgeschichte bezeichnete.

Die Achsenzeit (800–200)

Die Achsenzeit markiert das Ende des mythologischen Zeitalters und den Beginn des philosophischen Denkens das Karl Jaspers so beschreibt: «Zum ersten Mal gab es Philosophen. Menschen wagten es, als Einzelne sich auf sich selbst zu stellen.»5 In China legten Lao-Tse (6. Jahrhundert v. u. Z.) und Konfuzius (551–479) die Grundlagen der chinesischen Philosophie und Gesellschaftsordnung. In Indien entstanden zwischen 700 und 200 die Upanischaden und lehrte Buddha Gautama (5./4. Jahrhundert v. u. Z.) den Weg der Befreiung vom Leiden. In Persien predigte Zarathustra (eventuell 5. Jahrhundert v. u. Z.) den Kampf zwischen dem Prinzip des Bösen und des Guten, während in Palästina ab dem neunten Jahrhundert die Propheten Elias, Jesaias, Jeremias und Deuterojesaias eine neue Beziehung des Menschen zu seinem Gott verkündeten. Und schließlich legten in Griechenland ab dem fünften Jahrhundert die so genannten Vorsokratiker Thales, Pythagoras, Parmenides, Heraklit, Anaxagoras, Demokrit und dann die klassischen Philosphen Sokrates (469–399), Platon (428/27–348/47) und Aristoteles (384-322) die Grundlagen des abendländischen Denkens.

Diese neuartige Vergeistigung des Menschen, «das Denken richtete sich auf das Denken»6 , löste innere Unruhe aus, Unsicherheit und Sehnsucht nach Erlösung. Erstmals werden radikale Fragen gestellt – und werden die Antworten ungewiss!

Es ist, allgemein gesprochen, die Zeit des Übergangs vom Mythos zum Logos, der Übergang von einer rein religiösen Deutung der Welt hin zu einer naturwissenschaftlichen, diesseitigen Erklärung ihrer Phänomene.

Im Fernen Osten wie im Nahen Osten und im Westen werden nicht mehr die Mythen und ihre Götter, sondern von ihnen unabhängige ethische Normen und Empathie als Grundlage des menschlichen Handelns postuliert. Als erster formuliert Konfuzius die Goldene Regel: «Was du selbst nicht wünschest, das tue nicht den Menschen an»; Buddha sagte etwa zur gleichen Zeit: «Was da für mich eine unliebe und unangenehme Sache ist, wie könnte ich das einem anderen aufladen?», was kurz vor der Zeitenwende Rabbi Hillel als die Essenz der Tora bezeichnet: «Was dir verhasst ist, das tue deinem Nächsten nicht.»

Die großen Denker jener Zeit waren Wanderer, als wollten sie die geistige Unruhe wandernd zur Ruhe bringen. Jaspers berichtet: «Die chinesischen Philosophen, Konfuzius und Moti und andere, wanderten, um sich an berühmten, dem geistigen Leben günstigen Orten zu treffen (sie bildeten Schulen, die die Sinologen Akademien nennen), genauso wie die Sophisten und die Philosophen in Hellas reisten und wie Buddha lebenslang wanderte.»7

Die intellektuellen Spitzenleistungen und die spirituelle Tiefe der Erfahrung dieser Außergewöhnlichen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die große Mehrheit der Menschen noch Jahrhunderte und gar bis in die heutige Zeit in mythischen Weltbildern gefangen bleibt. Evolution des Bewusstseins ist kein Prozess kollektiver Gleichzeitigkeit.

Wenn es auch rätselhaft anmuten mag, dass in dieser Zeitspanne zur gleichen Zeit an verschiedenen Orten der Welt und scheinbar unabhängig voneinander dieser Prozess der Vergeistigung und Verinnerlichung des Menschen in Gang gesetzt wurde, dürfen doch die fast Jahrtausende alten «internationalen» Beziehungen zwischen den Kulturräumen nicht übersehen werden.

So war denn die geistige Entwicklung zur Achsenzeit das Ergebnis eines weiträumigen interkulturellen Austausches und umgekehrt. «Beide Entwicklungen entstanden in Abhängigkeit: Der Geist des Menschen entwickelte sich fort, weil Völker ihre angestammten Gebiete verließen und in neue Lebensräume zogen, fremde Völker, Bräuche, Ansichten, Pflanzen und Tiere kennenlernten und die Weite der Welt erfuhren. Andererseits waren die großen Bewegungen der Völkerschaften zugleich das Resultat einer Unruhe im Bewusstsein, der das Hergebrachte nicht mehr genügte, die nach neuen Herausforderungen, nach neuen Horizonten verlangte.»8

Tatsache ist: das Ende der von Karl Jaspers so bezeichneten Achsenzeit markiert auch das Ende der alten Hochkulturen an den großen Strömen. In der Folge entstanden, quasi nach dem «Bewusstseinssprung», in den drei Weltgegenden drei neue Kulturräume, Universalreiche von bisher ungekanntem Ausmaß: die hellenistisch-römische Welt im Westen, das Kaiserreich in China, und das Maurya-Reich in Indien.

Bemerkenswert ist, dass alle drei Großreiche geschaffen und wesentlich geprägt wurden durch Persönlichkeiten von welthistorisch aussergewöhnlichem Format, nämlich Kaiser Qin Shi Huang Di, Alexander dem Großen und König Ashoka dem Großen.

Qin Shi Huang Di (259–210)9

Er nannte sich Qin Shi Huang Di, Erster erhabener Kaiser von China. Den Chinesen gilt er als der genialste ihrer Kaiser und der ruchloseste zugleich. Zur Zeit der «Streitenden Reiche» (475–221) kämpften sieben Feudalstaaten um die Vormacht, die schließlich der Fürst Sheng von Qin nach siebzehnjährigem Kampf mit seinen Rivalen gewann. Als erster Kaiser von China stand er 221 v. u. Z. vor der Aufgabe, dem neuen Riesenreich eine einheitliche Struktur und Verwaltung zu geben. Er schaffte das Lehenswesen ab, zerschlug mit der Zwangsumsiedlung von über hunderttausend einflussreichen Familien das alte Feudalsystem, teilte das Land in Bezirke, Kreise und Gemeinden ein, verordnete eine Rotation der hohen Beamten, die er alle persönlich ernannte, um den Aufbau von Machtzentren zu vermeiden. Er vereinheitlichte Gewichte, Maße und Münzen, legte Schriftzeichen, Straßenbreite und den Achsstand der Wagen im ganzen Reich verbindlich fest. In nur zwölf Jahren schaffte Qin Shi Huang Di jene strukturellen und politischen Grundlagen, auf denen das chinesische Reich zweitausend Jahre lang fußen sollte. Und mit imperialer Geste ordnete er den Bau der Großen Mauer an, damals noch vorwiegend Erdwälle, um auf einer Länge von 3500 Kilometern das Land gegen Angriffe von außen zu sichern.

Abb. 1:Qin Shi Huang Di, der erste Kaiser von China (259–210)9

Mit ebenso tyrannischer Unduldsamkeit ließ er über vierhundert kritische Intellektuelle lebendig begraben, und gleichzeitig wurden im ganzen Reich, wie der französische Sinologe Jacques Bernet berichtet, «sämtliche Bücher mit Ausnahme medizinischer und landwirtschaftlicher Abhandlungen und Orakelbücher verboten: so kam es zur berühmten Bücherverbrennung des Jahres 213 v. u. Z.».10 Höchste Priorität bei dieser Zerstörung hatten die Texte von Konfuzius und Mencius. Bücher lassen sich verbrennen, doch nicht Ideen. Sie blieben im Gedächtnis der Menschen, und die den Qin folgende Han-Dynastie (206 v. bis 220 n. u. Z.) berief sich wieder auf die Staats- und Gesellschaftstheorien des einflussreichsten Philosophen der Ideengeschichte. Zur gleichen Zeit fand man auch in Qufu, in einer Zwischenwand im Haus des Konfuzius verborgen, eine Abschrift seiner Texte.

Der Gewaltmensch Qin Shi Huang Di kommandierte während seiner Regierungszeit ständig etwa drei Millionen Zwangsarbeiter und Strafgefangene, also etwa fünfzehn Prozent der Bevölkerung, die neben der Großen Mauer, den Straßen, Kanalsystemen und Palästen auch sein gigantisches Grabmal zu errichten hatten. Und damit hat er sich uns Heutigen erneut in lebendigste Erinnerung gerufen, als 1974 seine unterirdische Tonarmee mit über siebentausend Soldaten auf dem Gelände des 14 000 km2 umfassenden Grabmals gefunden wurde. Noch ist das Mausoleum nicht geöffnet. Es befindet sich in der Nähe des heutigen Xi’an, der einst Chang’an genannten Hauptstadt des neuen chinesischen Großreiches, die zum Ausgangspunkt wurde für den langen Weg von Ost nach West, der Seidenstraße.

Alexander der Große (356–323)

Im Frühjahr 326 v. u. Z. stand Alexander am Indus. Hier stand er nicht etwa als Eroberer neuer Gebiete, sondern er hatte bloß in Besitz genommen, was ihm mit dem Einzug in Babylon 331 v. u. Z. und nach der Flucht des Perserkönigs Darius III. (ca. 380–330) nach Ekbatana seiner Meinung nach zustand. Mit der Anerkennung als neuer König des Perserreiches «war die Besetzung der persischen Residenzen und der östlichen Satrapien bis zum Indusgebiet vorgezeichnet.11 Damit stand Alexander in Indien an der Grenze jener Gebiete, die der Perserkönig Kyros (ca. 590–530) bereits 530 v. u. Z. in seine Gewalt gebracht hatte. Dies ist die machtpolitische Dimension seines Indienfeldzuges. Die andere Seite ist der persönliche Wissensdrang Alexanders. Im Gefolge des jungen Feldherrn befanden sich neben Kriegsberichterstattern auch Philosophen, Künstler, Dichter und Musiker. Als Schüler des Aristoteles war er mit damals diskutierten geografischen Fragen bekannt, etwa den Mutmaßungen über die Quellen des Nils. Seinem einstigen Lehrer schickte er, wenn immer möglich, Berichte über Mineralien, seltene Pflanzen oder Tiere. Alexander wollte an den Grenzen der bekannten und bewohnten Welt stehen.

Abb.2:Alexander der Große als Herakles. Silberne Tetradrachme um 300 v. u. Z.

Dass aber jenseits des Indus sich icht bald die Wasser des die Erde umfassenden Ur-Ozeans auftaten, sondern weitere unermessliche Weiten und Länder, war für die ermüdete Truppe zu viel: Ihr Heimweh bezwang die Neugier des Feldherrn. Und gewiss waren die kriegsmüden Soldaten auch beeindruckt vom kämpferischen Mut der Gegner am Hindukusch und in Indien. Eigentlich kannte man sich in dieser Hinsicht gegenseitig schon länger: Als Xerxes, der König der Perser, über hundert Jahre früher, 480 v. u. Z., an den Thermopylen die Griechen überlistete und anschließend Athen in Schutt und Asche legte, waren Truppen aus der zwanzigsten Satrapie, dem Punjab, dabei. In der indischen Literatur vor Alexander erscheint Griechenland unter dem Namen «Yona», einer Ableitung der griechischen Landschaft «Ionien».12

Was Alexander im Fünfstromland, im Punjab, vorfand, waren sich gegenseitig bekämpfende lokale Fürsten und Könige, die seine Anwesenheit zu ihrem Vorteil zu nutzen suchten, allen voran König Ambhi von Taxila. Nach seinem feierlichen Einzug in Taxila besiegte Alexander dessen größten Feind, König Poros. Mit neun Wunden geschlagen und schließlich gefangen genommen, stand dieser vor Alexander, der ihn wegen seines Mutes und seiner Schönheit bewunderte: «Wie willst du, dass ich dich behandle?»

«Behandle mich königlich!» Und Alexander setzte ihn als König über die neu eroberten Gebiete ein.

Die Episode zeigt, auf das Kleinste verdichtet, einen herausragenden Charakterzug Alexanders, nämlich «die fremde Welt des Orients zu tolerieren und zu respektieren, nicht nur ihre Sitten, Kulte und Einrichtungen, sondern auch die Menschen selbst. Er wollte in diesen Ländern so wenig ein Fremdherrscher sein wie in Makedonien und Griechenland.»13 Nicht Zerstörung und Beute waren das erste Ziel, sondern eine dauerhafte Herrschaftsordnung.14