Buenos Aires. Anderswelt - Alban Nikolai Herbst - E-Book

Buenos Aires. Anderswelt E-Book

Alban Nikolai Herbst

0,0

Beschreibung

Orientierungslos steht Hans Erich Deters in der imaginierten Megastadt "Buenos Aires" in einem panischen Szenario aus Polizei- und Krankenwagen, durcheinanderrennenden Sanitätern, schaulustigen Nachtschwärmern und eigenen Phantasmen. An einem schönen Junitag war er in Berlin losspaziert und ist über Nacht am 1. November angekommen, neun Jahre später zumal. Eine Frau spricht ihn an, er geht mit ihr, geht wieder fort, geht mit einer anderen weiter. Sein Zuhause gibt es nicht mehr, und er wird mit einer Lebensgeschichte konfrontiert, die seine ist und doch auch wieder nicht: Er ist verheiratet, wohnt nicht dort, wo er zu wohnen glaubt, er ist jemand anders. Seine Erinnerungen verschieben sich allmählich in die eines neuen, umprogrammierten Deters, doch ohne dass sich die alten löschen ließen. Und der 1. November vergeht nicht: Heute war der 1. November, gestern war der 1. November, und morgen wird abermals nicht ein, sondern derselbe 1. November sein. Also macht er sich endlich auf die Suche nach der verlorenen Dunckerstraße in Berlin, zurück in die Realität. Gibt es sie aber? Ist nicht sie selbst nur Phantasie? Und ist nicht alles Geschehen möglicherweise Teil eines großen kybernetischen Experiments? "Buenos Aires. Anderswelt" ist der zweite Teil einer Trilogie, die Alban Nikolai Herbst 1998 mit dem ›Fantastischen Roman‹ "Thetis. Anderswelt" eröffnete und 2013 mit dem ›Epischen Roman‹ "Argo. Anderswelt" abschloss.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 389

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis
Titelseite
Impressum
Kapitel 1 - Durch Buenos Aires nach ...
Kapitel 2 - ... Garraff: Dahinter ...
Kapitel 3 - ... die Unendlichkeit.
Kapitel 4 - Vom Silberstein zur Dunckerstrasse
WurmVorsatz

ALBAN NIKOLAI HERBST

Buenos Aires.

Anderswelt

Kybernetischer Roman

Unser Schicksal ist das eines Oktopus,

nämlich zu werden, was wir denken,

unsere Gedanken zu unserem Körper zu machen

und unseren Körper zu Gedanken.

McKenna

ELFENBEIN

Alban Nikolai Herbsts »Anderswelt«-Trilogie

besteht aus den Büchern:

»Thetis. Anderswelt« (1998)

»Buenos Aires. Anderswelt« (2001)

»Argo. Anderswelt« (2013)

© 2016 Elfenbein Verlag, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Oda Ruthe

ISBN 978-3-941184-98-5 (E-Book)

ISBN 978-3-941184-23-7 (Druckausgabe)

Neue und alte Rechtschreibung

dienen dem künstlerischen Ausdruck.

Durch Buenos Aires nach …

…Zeichen des global capitalism und seines kommunikationstech­nischen Pendants, des Cyber-space … Offen­sichtlich erfüllt das Internet darin die Grundstimmung des Staats­automaten, daß es sich um ein künstliches Wesen handelt, das mit dem Menschen scheinbar wie mit einem Gegen-über zu kommuni­zieren vermag … ein künstliches Wesen, »eine bioelek­trische Umwelt«, die »eher ein Ökosystem denn eine Maschine« genannt werden kann …

Bredekamp

C. dels Escudellers – Eingang zum Boudoir

1

»Schalt ein, lad hoch, fahr ab!«:

Man stieß ihn

Hans Deters betritt den Raum

ins

Tohubawohu aus Feuerwehr Not­arztwagen Polizei. Die wallende Stadt. Stolpernd riß Deters’ Blick an Schau­lustigen, rechts sah er das Silberstein eingerüstet … wieso kam ich aus der Straße, ja!: von unten hoch wie durch Asphalt? und fühlte: hinter mir knallt die Tür Akustik verändert der Nachthall, ich warf mich herum: Im Knall die ganze Baubude weg. Ein Klick, und statt Silberstein stand Samhain über der Front … und hinter mir war nichts mehr, was auf diese Öffnung im Asphalt – Baugrube, Kanaldeckel – noch hätte schließen lassen. Ich war betrunken, ganz einfach, ich halluzinierte, weißes Rauschen, man stieß mich weiter: »Hier lang!« Nächster Schubs. Links die Synagoge mit dem Café Oren. »So lassen Sie mich doch!« War nicht wegzuschütteln, der Kerl. Ein nässender Schmerz über der Nasenwurzel. Feuer in der Einfahrt, jedenfalls Rauch. Ein Sanitäter rannte mit Kompressen her, drückte mir einen feuchten Batzen auf die Stirn. »Gehn Sie jetzt heim.« Als hätt ich das nicht sowieso vorgehabt. Vigili del fuoco, na ja. Wo früher, ruinenartig, das Tacheles gestanden hatte, leuchtete türkis GUM in die Nacht. Außerdem war’s kalt. Wieso hatte ich keinen Mantel an? Wer denkt im Sommer an so was? Und die Diskette? Ich hatte sie der Goldenhaar gegeben. Schrecken, spontan entsetzt. Laß dich jetzt bloß nicht nervös machen. Dennoch schaute ich mich nach der Lamia um. Aufgebrochen heute, eines schönen Junivormittags, zu einem Spaziergang durch Berlin, war ich angekommen im fantastischen Raum. Am Senefelder Platz war eine Frau in die UBahn gestiegen. Sie hatte sich verabredet mit mir, im Silberstein, abends, da war sie auch erschienen, spät allerdings, nachts, zu spät, kann man sagen … als Ungeheuer herausgetreten aus der manieristischen Bronzefigur, die mitten in dem Gastraum stand. Flüssige Schritte geschmeidiges Rollen das helle Haar aufgetürmt. Alle Zeit vorher hatte ich mit der Diskette auf dem Tresen gespielt. Und nun? Wütend wirbelnd Hysterie. Blechschäden wohin man sah. Aus trichterartig über den Straßen angebrachten Laut­sprechern legte sich meditative Musik auf das Chaos. Eine brünette Frau sprach mich an: ob mir schlecht sei. »Wie bitte? Mir?« Ich erkannte sie sofort, aber konnte nicht glauben, daß es siewar. Ihr für die zierliche Person erstaunlicher Nacken machte mich dennoch beklommen. Sie hatte sich verändert, war älter geworden, Mitte vierzig jetzt vielleicht. »Wie fahl Sie sind!« rief sie aus. Ich: »Welches Jahr haben wir?« Sie: »Was ist denn das für ’ne Frage?!« Über ihren Handrücken waren erste rostbraune Streusel gesät. Indem ich auf das lärmige Durcheinander von Polizei und Feuerwehr und Gaffenden wies: »Was ist denn passiert?« »Rechtsradikale wahrscheinlich … Die zeigen sich wieder neuerdings.« Obwohl die Polizei da patrouillierte. Sowieso stand überall Wachschutz herum. Auch ein niedriges schmales Panzerfahrzeug, direkt vor der Synagoge. Die kleine handfeste Frau nickte resigniert, besah dann meine Wunde … na ja: Blessur. Immerhin blutete ich wohl etwas. Sie lud mich, noch tupfend, auf einen Drink ein, dabei irrsinnigerweise den Fasching erwähnend und daß November sei, sah zur Uhr, wiederholte, es sei der erste Novem­ber fünf Minuten nach Mitternacht. Nun war auch November nicht gerade Faschingszeit. Okay, elf Uhr elf. Corinna Frieling – ich glaubte es einfach nicht. »Es ist nicht Mitternacht«, beharrte ich und hob Arm und Armbanduhr. Unbeeindruckt sie: »Stehengeblieben.« »Das ist eine Oris!« »Geben Sie nicht so an!« Wo müsse ich hin? Dunckerstraße? Kenne sie nicht. Selbst Kiez und auch vom Prenzlauer Berg hatte sie noch nie gehört. Sie zog mich mit sich aufs Silberstein zu. Dem Himmel sei Dank, bereits geschlossen. Stand da Samhain? Ich blinzelte, kniff die Augen zusammen. Riß sie auf. Tatsächlich. Also gab es die Lamia, also auch Goltz. Schließlich war auch der dagewesen. Vielleicht suchte er mich noch, ganz sicher, der lauerte da drin mit seinen SZK-Bullen. Erinnerungssplitter, über die ein rasendes Licht streicht. Bersten. Fragmente. Die Frieling sagte wieder was, ich verstand nicht gleich, hatte nur Angst, sie klopfe gegen die Tür, denn noch drang durch die hohen Scheiben ein gedimmtes Licht. Man konnte aber drinnen nichts erkennen. Sie wandte sich vergeblich an einen der Feuerwehrer. Ich atmete durch. Sie wandte sich wieder mir zu: »Sei’s drum!« Sie kenne an der Tiburtina eine hübsche Cer­veceria. Am liebsten hätte ich mich davongemacht, stand jedoch noch länger als eine halbe Stunde neben ihr an der Theke und schwieg. Sie plapperte und plapperte. Der Kaffee schmeckte extrem nach Chlor. Drüben gab es ein Kino für den französischen Spiel­film. Alles französisch, auch die Titel. Sogar die Art, in der zugesperrt war, war französisch.

Um halb eins brach ich auf, halb sechs nach meiner Zeit. Die Frieling unternahm noch einen Versuch. Sie wolle mich mit ihrem Wagen hinbringen. Wo immer diese Straße nun sei. Danke, nein danke, ich ginge lieber zu Fuß. Nach Berlin?! Ichseiin ­Berlin. Dazu falle ihr wirklich nichts mehr ein. Doch reichte sie mir ihre Visitenkarte … falls ich mal Hilfe brauchte. Ich nickte und revan­chierte mich, bevor ich mich endlich davonmachte, mit der ­meinen.

Elena anrufen! Das ist die Idee! Goltz hieß sie jetzt. Mißtrau­isch sah ich mein Handy an. Nichts stimmte mehr. Ich wäre nicht verwundert gewesen, hätte sich das Gerät zusammengezogen und wäre, mir durch die Hand glitschend, am Boden nicht aufgeschlagen, sondern, seinen Sprung sozusagen in den Kniekehlen abfedernd, auf sechs unter ihm hinausgespritzten Beinchen davongerannt. Hatte ich überhaupt Elenas Nummer? »Sehen Sie, ich kenne sogar den Inhalt Ihres Telephonats …«, hatte ich ihr neulich gesagt. Und sie hatte erwidert: »Aber ­meine Handynummer nicht. Fin­den Sie das nicht seltsam?« Dabei war ich mir sicher, die schon mindestens zweimal gewählt zu haben. Wahrscheinlich war die Nummer automatisch gespeichert worden, nachdemsie angerufen hatte. Der kleine rote islamische Mond am Datumszeiger meiner Uhr umrahmte halb die schwarze Eins. Zwar hatte ich Buenos Ai­res erfunden, das hieß aber nicht, daß ich mich auskannte darin. Schondieses Viertel ausgesprochen fremd. Sicher, die Oranienburger, doch erst hinter einer Viale delle Provincie. Immerhin, ich fühlte das Pflaster der Allee, deutlich, jede Kante, jeden Riß im Asphalt, der sich in meine Sohlen drückte. Mehr kann man von der Wirklichkeit kaum erwarten.

Ab Monbijoupark säumten die venezianischen Bordsteinschwalben den Faubourg St. Michel wie eh und je; Stiefel bis zu den Oberschenkeln, die Kunstmähnen über den Rücken in die Knienkehlen geflossen. »’tschuldigung, welchen Tag ham wir heute?« Die Prostituierte antwortete höflich, daß Samstag sei. »Jaja sicher, aber welches Datum bitte?« Und wie spät sei es? – »Erster November«, und salbungsvoll: »… mein Herr …«, lächelte zuvorkommend? ironisch? »… dreizehn nach eins und elf Sekunden … zwölf Sekunden … dreizehn … vierzehn … fünf …« »Schon gut!« »Ich bin nicht teuer«, setzte sie nach, »und wenn ich Ihnen gefiele …« Das war nun auch konjunktivisch überschminkt. Ich tippte an die Hutkrempe: »Im nächsten Leben vielleicht.« Sie, stimmlos: »Fick dich!«

Ich drehte mich weg.

Der schwarze Pferdeschwanz, der hinten unter meiner Hutkrempe raussah, amüsierte mich. Immer wieder warf ich seitlich Blicke in Schaufenster. Das war ich?! Wie heiter! Ich hatte immer braunes Haar gehabt.

Das Rauschen dieses frühen Morgens, eine Komposition aus Tiergarten und dem Sirren der Untergrundbahnen. Als ich flach auf die niedriggeführte Geländerstange faßte, die den Rasen des Parks vor Mopedfahrern absperren soll, fühlte ich das Metall unter meinen Handballen fließen. Ich verharrte – fasziniert, abgestoßen – eine ganze Weile in der Hocke. Auch Straßen Häuser Pfähle nicht fixiert. Man bemerkte das allerdings nicht gleich, die Dinge wirkten durchaus materiell. Allerdings schienen sie bisweilen neu gemischt zu werden. Eben noch, ich hätte schwören können, war da vorne ein Schuhgeschäft gewesen, aber kaum hatte ich mich noch einmal umgewandt – der fette Qualm aus der Hofeinfahrt neben dem Oren, Bereitschaftswagen des ArbeiterSamariterBundes blitzflächig in Technicolor und Kondensnebel gewoben – und sah nun wieder nach vorn durch diese Vorhänge aus Licht und Werbeplakaten, die sich von den Umrissen der Häuser Geschäfte Bordsteinkanten kaum trennen ließen, befand sich dort McPaper. Erst der nächste Blick spülte das Schuhgeschäft wieder hin:barfuß oder LACKSCHUH, ich meine, das klang nun wieder nicht sehr nach Realität. Gogo Dancing am Franz-Josef-Kai. Es wurde um adäquate Abendkleidung gebeten. Nebenan putzte der wedelnde Lappen eines Schwarzen die Plastikkörper von Flaschen. War ich, seit meinem Aufbruch, auch nur zweimal dieselbe Straße gegangen? Das schien in Bue­nos Aires prinzipiell nicht möglich zu sein.

Die Neue Promenade vor dem SBahnhof war unterdessen planiert und die Haltestelle der Tram auf die andere Seite der Hochstation verlegt. Unter The Bristish Council funkelten Bäume in der Frühe des Novembers. Die filigrane Parkanlage wurde von einem Astgeflecht aus Glas überdeckt; an den Zweigen saßen funkelnd Blütensterne. Wischte ein Windzug hindurch, klirrte es; riß er Blüten ab, zerschellten sie als Elfenlachen. Was nach O du fröhliche klang und zu den Weihnachtsmännern stimmte, die schon bei meinem Aufbruch in den Supermärkten gestanden hatten. Es lockten Jingle Bells, und es roch nach Kohle. Jeder Baum trug ein Schild, bisweilen unter Beigabe des botanischen Fachnamens, was den Eindruck einer hohen Künstlichkeit machte. Gemeine Roßkastanie[aesculus hippocastanum L.]. Bereits einmal war ich an einem 1. November angekommen, ebenfalls Monate früher aufgebrochen. Wie sich im Leben alles wiederholt … – Nun war die Nacht so klar, daß die Lichter von Reklamen und Straßenlaternen auf der Netzhaut schmerzten. Zwei Bänke waren unter wulstigen Kristallschütten aus Zuckerguß verschneit. Auf dem zugefrorenen Lake liefen Comicfiguren Schlittschuh unter Glitzerwürfen aus Licht. Wyfard Place. Zu beiden Seiten Kleinpanzer wieder. Polizisten sah ich allerdings keine mehr. Langsam, einem Rüssel gleich, drehte sich, als ob es mir hinterherpfeifen wollte, ein langes Kanonenrohr mir nach.

Auf der Piazza Barberini, wo mal die Hackeschen Höfe gewesen waren, momentlang der bizarre Eindruck schweizerischer Geputztheit. Die hübschen Innenfassaden hinterm Café Coupole, das immerhin geblieben war, aus einem Prospekt geschnitten: ein Drittel bremische Böttcherstraße, ein Drittel Wiener Seces­sion, der Rest gab gigantisierten Kleingartenstil, ecstasygeneriertes Kunstgewerbe. Die Scheiben gewienert, Fetisch selbst der Papierkorb. Nicht die Spur von Abbruch mehr. Blaue Camaropinie. Ein Uniformierter wienerte in einer Telephonzelle, versprühte Sagrotan, zu seinen Füßen Wassereimer mit Feudel. Obwohl so gar nichts benutzt, ja nicht einmal bewohnt aussah, saßen Leute in den Lokalen und standen in den Geschäften, die noch immer geöffnet hatten. Wirkten hineingestellt, aufgezogene BarbiePuppen: schick schön jung und völlig stoffwechselfrei. Die Ordnung freilich unstet wie Chaos. Kaum hatte mein Blick Sand Steine Papiermüll in die Schütten gepackt, pustete ein nächstes Hinsehn sie abermals ins Bild. Schon sah man die abgeblätterten, ausgedörrten Hausfassaden eines Neapels: rissige Fenster die Seitenstraßen annähernd Slum. Das Beste war, ich ließ mich drauf ein.

Waren das Laternenpfähle? Ich konnte den Kopf noch so weit in den Nacken legen, ich sah nie, wo sie endeten. Zwar wölbten sich in Höhe der dritten Stockwerke Lampenschalen schmal und deutlich über die Straße; doch die Rohre, von denen sich ihre gebogenen Haltearme trennten, reichten weiter und noch immer weiter hinauf, immateriell ins Firmament verzüngelt: eine Decke weiß verschlierter Nacht. Autos schunkelten vier bis fünf Meter über den Leuchten, lose mit Kabeln an die Pfähle gedockt. Schwindlig konnte einem werden, wenn man dem zusah. Vielleicht wurden sie so betankt … oder aufgeladen. Am Straßenrand parkte niemand mehr. Sowieso kam mir außer bisweilen einem Bus kein Fahrzeug entgegen. N52, stimmte wenigstensdas? – Überall stand Grüne Minna. Wann hatte ich dieses Wort zuletzt gehört?! Ich konnte nicht anders, als leise zu lachen. Da muß ich Kind gewesen sein.

Die Häuser und Steige spielten mit ihren Konturen. Marmorwände pyramidenhoch. Aber lockend luzid und gewaschen. So hauthaft atmeten sie. Seit ich die Nutte angesprochen hatte, war mir kein Passant begegnet. Die Leute schienen sich um diese Zeit ausschließlich in den Häusern aufzuhalten. Der vielen Polizisten wegen?

It was begotten by despair Upon impossibi­lity

Borkenbrod! Der Graffito über ein haushohes GAP-Plakat gesprüht. Die Myrmidonen, natürlich! Deshalb hatte das Scheunenviertel mobilgemacht. Während hier draußen Krieg war, kippten die Barbies da drinnen ihr Bier.

Die Tür der Coupole ließ sich wie ein Vorhang zur Seite heben. Momentlang, als ich auf die Schwelle trat, fiel ich … nein, stand noch vorm Silberstein. Nicht einen Meter hatte ich mich fortbewegt. Keine Frieling, keine DisneySzene bei den Hackeschen Höfen. Sondern Gedränge Durcheinanderrennen Rufe Feuerwehrer. Die schleppten an einem Schlauch von wenigstens einem Fünftelmeter Durchmesser. Die Martinshornlichter rotierten Autotüren sperrangelweit auf. Bereitschaftswagen ArbeiterSamariterBund. Motorengeräusche. Sushi glomm auf dem Schild über dem Eingang und der japanischen Kalligraphie. Ein Lokal, das Samhain hieß, hätte heute rund um die Uhr geöffnet sein müssen. Doch brannten drinnen bloß ­Funzeln. Das Ding wie mit Dunkelheit verrammelt. Fetter Qualm aus der Hofeinfahrt am Oren. Blitzflächig in Technicolor und Kon­dens­­nebel gewoben. Und wieder McPaper. Einen schweren Schritt weiter _ó$_XÁ_)©¥q_AÛ_N_#¡_7t†D4_4Äã½7)q‡:({OLD-ZEØ_ΩSí«ð#_§H_rÕƒ∑ÃJÓ1‰[)c@\„bwÕL_‰òu_ö§_hier verlor Herbst Hans Deters auf seinen Beelitzer Monitoren. Er war unkonzentriert, übermüdet. Zu lange hinter seinen Screens gesessen. Man merkt ja bei dieser Arbeit keine Zeit. Plötzlich sind dreizehn Stunden vergangen. Und die Zeuner war nicht da. Dreizehn ist eine gute Zahl, dachte Herbst. Es gibt keine Grenze zwischen Spieler und Gespieltem, man spielt immer sich und _ó$_XÁ_)©Ÿ◊‰¥q_AÛ_N_#¡_7t†D4_4Äã½7)qÜ:({OLDr™ZEØ_ΩSí«#_§H_rÕƒÔúÔÃJÓ1‰[)c@¿»bwÕL_‰òu_ö§_Beutlin, der die Sequenz auf einem der neun flachen, die Stirnwand seines Wies­badener Arbeitszimmers verkleidenden Monitore verfolgte, sah ihn hastig in das Keyboard tippen, ja hörte ihn fluchen: _ó$_XÁ_)©¥q_AÛ_N_#¡_7t†D4_4Äã½7)q¥:£({OLD‰_ZEØ_MSí«#_§ ◊H_rÕƒ÷ÔúÔÃJÓ1‰¢[)c@÷»bwÕL_*òu_ö§_»Scheiße! Scheiße, was ist denn jetzt wieder das?!« ÿ_î_úT‹Æ0'™Í<_"Úò t#ŒúÓ†"A:@_©;ÔÂ_e_W_µ2_[]#_G^$Ñ$!ËVN_ò54_H$'>ûT_Æschlug die Tür beiseite und sofort … innere Stimmen … als hätte wer in Hans Deters den VolumeButton aufgedreht: Ein ganz objektives Gesprächsplappern, aus dem sich schon mal ein Huhu, Moon! heraushob oder He Panter, wie wars denn gestern noch? Auch so was hörte er: Morgaine: pc?Doch flirrten, den Häusern draußen sehr ähnlich, die Konturen der Sätze, sofern man das ›Sätze‹ nennen konnte: Gequatsche, das nichts wollte als quatschen. Deters stand in der gerafften Tür, sah in den schicken Gastraum und lauschte. Einen Schritt noch, dann wär er mitten drin im Gequassel, eine Art atmosphärischer, ihn wie zu dicke Luft umwallender Äther, welcher diesem anderen glich, von dem mal die Astrophysik fantasiert hat: wie das Licht in diesem, so schwimmen in jenem die Menschen. Auf ihren Stimmbändern reiten die Dinge. Nur deshalb fühlte sich der Vorhang, den die Tür des Cafés vorstellte, derartig schwer an. Bleistoff Stoff aus Sand. Immer noch hielt Deters die Glastür an der Klinke gerafft, hielt sie über sich, ja bückte sich, wie um darunter durchzuschlüpfen, bückte sich viel zu tief, vielleicht des Hutes wegen, den er drinnen erst abnahm. Hinter ihm schwang sich die Tür zurück in ihr Schloss. Seit wann, übrigens, trug er Hüte? Ob mannoch oder bereits geöffnet habe?, fragte er ziellos in den Raum. Der Kellner antwortete nicht, sondern schoss aufgezogen zwischen den Tischen herum. Plötzlich blieb er stehen, sah auf, sah zu dem neuen Gast hinüber, indem er furchtbar langsam den Kopf drehte. »Guten Morgen, Herr Deters.« Woher kannte er den? Schnurrte schon wieder von Tisch zu Tisch. Er hatte etwas von einem Karussellpferd, das immer an derselben Stelle nickt. Zweimal spuckte er aus. Blieb stehen. Wischte den Speichel mit der Schuhsohle glatt. Schien sich zu ekeln, ein Schauder, seitlich dünner Luftschaum, pflügte von seinem Gesicht herüber. Der Kellner wirbelte weiter. Stellte Gläser an leere Plätze und holte sie Sekunden nachher von eben diesen Plätzen wieder ab. Ein längliches graues Gerät baumelte ihm an einer Kette neben der Hosennaht. Aus den Ecken pulsierte Schmusetechno. An einer der Säulen war ein Poster des Synthetikers Boygle festgepinnt: Der karpfenköpfige DJ starrte unter seiner verdrehten Virgin-Kappe ins Lokal. Viele Leute waren tätowiert, einige sogar im Gesicht, das schien jetzt Mode zu sein. An der American Bar vier GanzkörperPiercings. Es dampfte aus geriffelten Gläsern ockergelber MasalaDschai. Vor der Säule eine Gruppe gentechnologischer Opfer. Und eine schmale Präraffaelitin, die ihre Eleganz wie eine Schärpe trug und mich musterte, wie wenn sie Deters erwartet hätte. In der Tat … hm … irgendwoher kannte er die Frau, die sich noch immer über ihren Tagesspiegel beugte, ein schmales Bein überm andern, an den Seiten lappte in schwarzem Wurf ihr Rock auseinander. Ihr Zeigefinger blieb im Glacee auf der Zeile liegen, als sie so befriedigt aufsah, dass der Blick kaum die Drohung kaschierte. Jetzt hob sich die in dem über den Ellbogen hinausreichenden Abendhandschuh steckende Hand und winkte Deters ebenso zäh, wie sich ihm das Karussellpferd zugewandt hatte. Dicht und gemächlich strömte die davon durchschnittene Zeit an ihm vorbei und hinaus. Ließ er die Tür nicht bald zufallen, stünde drinnen alles still. Sein inneres Stimmrauschen schwoll. Schloss er die Augen, klang es, als wäre Meer um ihn her, – ein biografischer Ozean: Wehenschreie Geburtsdaten Schulklingeln Fetzen aus Liebesbriefen Bewerbungsschreiben; sogar knallte einmal ein Schuss, auf den von ganz woanders her ein begeistertes »Tor!« tönte, nicht mit einem, nein, tausenden Ausrufezeichen. Eine Welle trug mir die Erinnerung zu. Als sie sich brach, fühlte sich das wie ein innerer Whirlpool an. Ich bin, fiel ihm ein, verabredet mit dieser Frau. Elizabeth Siddal. Ich habe sie letzte Woche bei Sombart kennen gelernt.

Auch sie schöpfte aus dem Pool ihre Information, es ließ sich ihr zusehn dabei: nahm dazu die andere Hand, die, die nicht winkte. Während sich ihr Blick auf meine Stirn konzentrierte, war er Vorgang und die Information Rapport. Der Frau entströmte eine Trägheit, die mich schon neulich gewarnt hatte. Doch mein Interesse war stärker, ich war wie becirct gewesen, aber in dem dunklen Sinn der Wortes, also umsiddalt (: die erdbeerfarbenen Schweine von Lough Leane!). Der Zug um Kirkes Lippen spöttisch, ja von der Verachtung, die an den Winkeln zog, nach unten gebogen. Als sie die eine Hand wieder gesenkt, die andere wieder gehoben hatte, setzte ich mich zu ihr.

Da sei ich ja endlich. Sicher, da sei ich.

Ich schloss die Augen. Vielleicht kriegte ich die akustischen Gesichte so weg. Doch wurde mir daraufhin ein faksimiliertes Kunstdiplom aufs Liderinnre projiziert. Und Siddals Lebenslauf scrollte runter. Um nunmehr das abzustellen, öffnete ich die Augen wieder. Benötigen Sie eine beglaubigte Kopie? – »Bitte?«

»Bitte?«: Das jetzt die Siddal, die sich angesprochen fühlte.

»’tschuldigung, nichts.«

Die Stimme war deutlich zu hören gewesen, der in Ausdruck und Ziel scharf umrissene Tenor nicht etwa aus mir gekommen. Ich ließ meine Blicke den Raum durchsuchen, doch niemand stand nahe genug. Immerhin war es ein leichtes, mir den Sprecher vorzustellen, ein Kontor voll blassgefasster Aktendeckel, ein Schalter – Schalter! –, der Sozialamtsbeamte:

Von seinem Platz aus sah er Deters an. Der Blick faßte über die Papierstöße hinweg durch die Tür den ganzen Gang entlang, zu dessen beiden Seiten Bittsteller auf hellen Holzstühlen saßen. Is was? Er hatte einen ziemlich abfälligen Ausdruck im Gesicht. »Nein nein, schon gut.« Jetzt nur nicht stottern! Plötzlich glitzerten seine Pupillen, es waren Elizabeth Siddals, erschreckt machte ich kehrt: … – Bloß weg! Auf dem Flur, der enorm nach meiner alten Volksschule roch (Braunschweig, Bültenweg), hoben die Antragsteller ihre dunklen Marderaugen.

Ob ich eben eine Vision gehabt hätte, wollte die Siddal, spitzlippig, wissen. Och bitte, Morgaine, komm pc! Ich stockte. Dann nickte ich: Das könne man so sagen. Sie schätze begabte Menschen. Ob ich ihr bitte mehr erzählte. Sie habe gar nicht gewusst, dass auch ich künstlerisch veranlagt sei, sondern mich für einen Mann der Zahlen und Kalkulationen gehalten. »Ich bin Verkäufer, das stimmt.« Sie lachte böse, setzte nach: wie so was denn aussehe, eine Verkäufervision? Das werde sie kaum interessieren. Oh, es interessiere sie alles, was mich betreffe, ich hätte sie tatsächlich sehr … ja, berückt, sagte sie. Ich fühlte, wie sie log. »Meine«, erklärte ich, »Laupeyßer- bzw. FalbinZeit.« »Ihre was?« »Sehn Sie.«

Ich war für zweidrei Monate arbeitslos gewesen nach dem Zivildienst in Bremen und meine … na gut: Vision hatte das alte Bremer Sozialamt wieder erstehen lassen, als ich der Siddal in die Augen sah … Wie heimtückisch sie lächeln konnte! Diese Lippen!

Sie hatte, was sie über mich wusste, offenbarnicht aus dem Whirlpool gefischt, sondern der Sozialamtsmensch hatte sie informiert. Nicht nur das, er hatte sich in Indiskretionen gewälzt. So viel später verstand ich endlich, weshalb der arme Falbin von diesem Beamten – damals hatte es noch Beamte gegeben – so abfällig behandelt worden war. Von der Siddal hatte der Mann sich bestricken lassen, sich auf ihre Seite geschlagen. Je caritativer jemand eingestellt ist, desto bereiter, das IchIdeal der erstbesten Versuchung unters Messer zu legen: Sweet joy I call thee: / Thou dost smile, / I sing the while …

Bei näherem Hinsehen wirkte sie übrigens gar nicht präraffaelitisch, sowieso war sie blond: so dieser hochgewachsen-brustlos androgyne Meseck-Selchow-Typ. Die Möse, die man bei ihr anders nennen muss, man muss von – ja?: Schamwölbung? sprechen, wahrscheinlich rasiert. Natürlich wettet man als Herr auf so was nicht. Aber um ehrlich zu sein, hatte ich mich vor allem mit ihr verabredet, um es herauszukriegen. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie, 180° gewendet, sogar die Muskelbuchten eines trainierten männlichen Gesäßes ausgebildet hatte. Die Flanken ihrer sehnigen Oberschenkel! Sie schloss die Augen, meine Fingerspitzen auf der anatomischen Spur. Müdblasse Aristokratinnenstirn über den RossettiBrauen. Gemeißelt konkavglatte Wangen. In der Handtasche stets ihre Migräne parat, ließ Athene die Wände atmen, indes sie meine Irritationen genoss. Sie dehnte sie, jene, diese, aus, zog sie zusammen, dehnte sie wieder. Hatte sich das Wolpertinger, das doch sicher längst abgerissen war – eine Wiese, dachte Deters, bedecke heut die Ruinen, mannshohe Wedel; in Buenos Aires aber, hier, habe sie das Thetismeer verschlungen –, war es also dem Hotel sozusagen posthum gelungen, sein mythisches Serotonin nicht nur in Hannoversch Mündens Kanalisation zu ergießen, sondern war das Gift bereits in die Abwässer des ökologisch revidierten Europas eingeschwemmt? Die Tapeten schwitzten. Hätte ich gewollt, ich hätte die Tischplatte biegen können wie erwärmtes Gummi. Ohne mich gefragt zu haben, stellte das Karussellpferd auch vor mich einen Dschai. Ich nippte. Einer der Piercings spielte an seinen Ringbuchperforationen. Leise kicherte ein deutsches Mädel unter ihren Affenschaukeln und eine Bulimistin versuchte, ihre Fingerkuppen aufzuessen. Die Nägel waren schon geschafft.

Ich legte mein Handy vor mich auf den Tisch. Es war wirklich der erste November, aber das Jahr…! Mit so was hatte ich nicht gerechnet. – Und die Head line! »Darf ich mal?« Drehte die Zeitung zu mir. Wo Männer zärtlichkeiten am meisten lieben. Aber es war bloß ein Artikel über DamenWrestling. Ob es den Herrn Karasek noch gab? Ich blätterte, blätterte, wirklich,neun Jahre … Ob wir gleich zu ihr gingen, fragte die Siddal und nahm den Tagesspiegel zurück. Moni, woher kommst du? »Wie bitte?« »Sie suchen doch eine Unterkunft.« »Hab ich das gesagt?« »Aber sicher; deshalb sind wir hier.« Hinter mir solch eine leere Zeit. Nur wenn ich mich zusammennahm, drehten sich Bilder meines lebensgeschichtlichen Memorys um, deckten sich aber ebenso schnell wieder zu. Wir hatten uns unterhalten, das stimmte, über alles Mögliche, bei Sombart, über Zimmersuche aber nicht. »Wenn Sie gut sind, können Sie bleiben«, sagte sie. Ich wisse ja, sie habe Probleme mit Männern. Doch habe mich Sombart aufs Wärmste empfohlen. Sie wäre sonst gar nicht hergekommen.

Irritiert sah ich sie an. Ich war nur dieses eine Mal auf den stadtbekannten DonnerstagsAkademien gewesen, die Sombart, um für seine Veranstaltungen – weil er ja Mann war – den Begriff ›Salon‹ zu vermeiden, Assemblées nannte und aus Gründen der Exklusivität vormittags unter der Woche stattfinden ließ. Wieso hatte der alternde ArchitekturStar zumal so intime Auskunft über mich erteilt? Er kannte mich nicht, hatte kaum ein Wort mit mir gewechselt.

Jemand gähnte sehr laut. Jemand, der nicht in der Coupole saß, sondern in diese hunderte Stimmen eingewoben war. Feierabend, Ronia? Ich versuchte abermals, meinem inneren Stimmäther etwas Konkretes abzulauschen. Kann mir hier wer sagen, wie ich Mirc kriege?

Draußen wurde es hell. Vor den Scheiben fuhren nun doch Autos, ganz herkömmliche PKWs. Wenigstens das war beruhigend. Aber wie Trams neuerdings aussahen!: – entweder du graust dich oder lachst … – Was stand eigentlich in meinem Personalausweis? Lächerlich, da jetzt nachsehn zu wollen, ich weiß es ja selbst. Doch die Tatsache, ihn einfach aus meinem Portemonnaie ziehn zu können, gab mir trotz des mehr als nur spöttischen Bli­ckes der Siddal, die mir, ich möchte sagen, abartig detailverliebt dabei zusah, eine angenehme Sicherheit. Sie glich dem seditativen Einfluss der frielingschen Visitenkarte. Die hielt ich, ich merkte es jetzt erst, noch immer in der Hand. Nun steckte ich sie in die Börse. Auch das registrierte die Siddal.

Na also: Dunckerstraße.

Momentlang spielte ich mit der Idee, das der Siddal zu zeigen. Sie hatte auch schon den Kopf vorgestreckt. Doch besann ich mich und steckte den Ausweis wieder weg. Nahm einen Schluck vom Dschai. »Ausgezeichnet«, sagte ich. Die Lokalität, so sie, als wäre sie deren Inhaberin, sei berühmt für ihren Tee. Drüben der Piercing erhob sich, winkte dem Karussellpferd. Bevor er das Lokal verließ, musste er seine rechte Hand auf einen Scanner legen. Dass Geld als ein materielles Substrat überflüssig geworden war und sich auch nicht länger in Substituten manifestieren musste, fand ich eine logische Entwicklung. Allerdings war damit klar, dass ich mit meiner Eurocard nichts mehr anfangen konnte. Besaß ich ein virtuelles Konto hier?

Zum Kellner: »Haben Sie ein Telefonbuch?« Vielleicht stand ich ja drin. »Ein was?«: Und karussellte schon wieder davon. Die Siddal: »Ein Telefonbuch? Wozu?« Als hätte sie durch die Nase geschnaubt. Ein Buch aber gebe es schon, »da hinten im Terrarium.« Sie zeigte längs der Theke entlang. »Bitte?« »Für die Kobra.« »Wie?« »Sie haben sie noch nicht gesehen?!« »Was gesehen?« »Na Shesha. Sie lebt in dem Buch.« »She…?« »Die Kobra doch!« »Nein!« Müde: »Aber sicher.« – Das musste ich mir angucken.

Ich schob den Stuhl zurück, zwängte mich durch die Menge. Immer mehr Leute hatten den saalartigen Raum gefüllt. Nicht unproblematisch, ihren Blick zu erwidern, weil mir, tat ichs, sofort Biografien durchs Hirn rasten, ein datischer Meteoritenbeschuss aus lauter weggesprengten Banalitäten: Familien- und Kontostände Sozialversicherungsnummern Schulausbildung. Keine Ahnung, wie sich das abstellen ließ. Wenigstens fühlten sich Vorstrafen nach kleinen bunten Erlösungen an. Aber es schwirrten davon nicht genügend herum. Ganz sicher gab es einen inneren ausKnopf, man würde sonst wahnsinnig wer-den.

Ich bückte mich über den Glaskasten. Auf einem bisschen Sand und vor einem kleinen Plastikkaktus, den Einband im Stil meiner Epoche, lag ein Schmöker. Darauf eine unteramlange giftgrüne Echse. Die starrte, während ich hinunterstarrte, hoch. Auch sie hatte die Augen der Siddal. Ich musste die Lider senken, derart intelligent war der Blick. Das Buch sah konserviert aus … nein: präpariert. Der Schutzumschlag eine Art Kunststoff. Weiße Schrift auf schwarzen Balken auf Sahnecremeblau. Die Konstruktion des Widersinns, las­ bzw. rekonstruierte ich unter dem Körper der Echse hervor, Romane. Über den Anschnitt wuchs grünlicher Schimmelpelz. Das Reptil bewegte Hals und Kopf und starrte wieder weg. Es roch nach erwärmtem Moos aus dem Terrarium heraus. »Besser, Sie gehn nicht zu nah ran«, sagte die Siddal, stand neben mir. »Beißt das?«, fragte ich. Wie war sie so unbemerkt hergekommen? Wir wurden uns keineswegs sympathisch, im Gegenteil. Doch war durchaus nicht uninteressant, wie sie daraus ihren erotischen Kick zog: »Gehen wir nun?« Ich müsse telefonieren, aber hätte die richtige Nummer nicht. Bei ihr kriegte ich jede Nummer. Ich tat den Teufel, auf ihre Anzüglichkeit zu reagieren. »Wieso Kobra? Das ist doch eine Echse.« Habe sie nicht gesagt, die lebein dem Buch? Sie zeigte auf ein Näpfchen mit zerflockter Milch: »Sehen Sie?« »Das ist für die Echse.« »I wo, die ist Avatar.« »Künstlich?« »Wenn Sie so wollen.« »Eine wiedergeborene Seele«, sagte ich. Sie klopfte spöttisch an die Scheibe: »Die Menschen glauben absurde Dinge.« Wieder mir zugewandt: »Zum Beispiel heißt es, Shesha sei unendlich lang.« Und in anderem Ton: »Tragen Sie Ihren Ausweisimmer offen spazieren?« Ich hätte schwören können, ihn eben weggesteckt zu haben. »Wirklich eine Kobra?« »Eine blaue, ja.« »Kein Avatar?« »Also wie ist es? Sie haben sicher noch nicht gefrühstückt.« Hatte ich auch nicht, bloß diesen Kaffee mit der Frieling gehabt. Sie nahm mich beim Arm, führte mich an unseren Platz zurück. Das Karussellpferd schnurrte zwei weitere Dschai heran. Ob sie die Dunckerstraße kenne? Wo die denn sein solle? »Prenzlauer Berg, Berlin.« »Berlin, ah, da war ich schon mal, das ist nicht so ganz in der Nähe.« »Esgibt die Dunckerstraße.« »Ja und?« »Sie bestreiten das nicht?« »Warum sollte ich?« »Kennen Sie die Dunckerstraße?« »Bin ich ein Stadtplan?« Weshalb es sie nicht geben solle? Sie selbst halte sich am liebsten in S. Lorenzo auf. Oder daheim. In ihrem Atelier. »Die Coupole ist Ihr Stammcafé?« »Coupole?« »Na hier, das Café.« »Wie kommen Sie darauf? Das ist das Wallcafé.« »Aber nein!« – Ob mich ein Blick auf die Speisekarte überzeugen könne?

Besser, ich sah gar nicht erst hin. Besser, ich glaubte ihr einfach. Und schob die Frage nach, wo sie zu Hause sei. Pfaffen­hofen, intonierte sie, als wäre das eine etwas pikante Gegend zum Wohnen. War es vielleicht auch. »Pfaffenhofen, hm …« »Sein Sie nicht bizarr!« Der Bezirk sei größer als Palermo und Chelsea zusammen. »Aber Penn Station kenn’ Sie?« Ich verzog kein Gesicht. »DasmüssenSie kennen!« Sicher, ich sei da wohl mal durchgefahren. Irgend etwas dämmerte mir. »Europa ist sehr groß geworden.« Sie zog sekundenlang die Brauen zusammen, dann glättete sich ihre Stirn in Meseck-Selchows zurück. »Meine Wohnung wird Ihnen gefallen. Sie können vom Atelier aus das Meer sehen.« Wieder die beiden schräg in die Nasenwurzel laufenden Furchen: »Wo haben Sie gelebt die letzten Jahrzehnte?« Der Satz hatte etwas widerspenstig Genießerisches, zumal als sie beifügte: »Im Osten?«

Wir schwiegen einen Moment. Drei Polizisten betraten die Coupole, das uds auf dem silbernen Wappen ihrer Mützen, die sie neben sich auf die Bar legten, blinkte drei Mal auf im Licht. Sie bestellten an der Theke Cappuccini und dampften gestylte Kondenskälte ab.

Die Siddal: Wir sollten nun wirklich los. Sie habe, fügte sie ziemlich nüchtern hinzu, auf mich Lust. Während sie das sagte, faltete sie die Zeitung pedantisch zusammen. Ich meinerseits wollte den Kellner ausprobieren: ob Siemich zahlen lasse? »Wenn Ihnen danach ist …« Ich legte die Hand auf den Scanner und sah dem Karussellpferd gespannt ins Gesicht. Nach einem dezenten Fiepton drehte der Kellner sich um, er ließ den Scanner einfach los. Der bungeete runter und baumelte wieder neben der Hosennaht. Ich hatte also ein Konto. Oder wie man so etwas nennt mittlerweile. Und es war sogar was drauf. Meine Eurocard, ein paar Straßen weiter, warf ich fort.

Es war das erste Stück, das Herbst, nachdem er Deters wieder aufgespürt hatte, in eine Archivdatei kopierte.

2

Ich schloss mich der Siddal ganz gerne an. Es kam auch gar nicht drauf an, weil ich in Wirklichkeit immer noch vorm Silberstein stand. Stirnpulsen. Die nässende Blessur. Kondensnebel in Technicolor. Führerlos, als hätte man Fahrer und Besatzungen vorübergehend weggebeamt, warteten fabrikneu glänzende Einsatzwagen: Über den Kühlerhauben, die das grelle Licht der Halos, die Scheinwerfer der übrigen Autos und das stroboskopige Kreisen eines Blaulichts widerspiegelten, flirrte, fiebernd statisch, die Luft. Ich hätte fast die Hand auf eine der Karosserien gelegt, um mich zu vergewissern, ob darunter tatsächlich ein Motor lief. Da wurde jedoch in Deters dieser Satz hineingesprochen, als hätte wer vor mir eine Tür aufgerissen, durch die er nach Buenos Aires hinaus- oder, wie man nun will, hineingestoßen wurde:

Hans Deters betritt den Raum

Fette Schwaden qualmten aus der Hofeinfahrt am Oren. Daß doch so überhaupt niemand hier war! Ich tat ein paar Schritte … nein, die Szene hatte nichts Stummes … deutlich, geradezu überdeutlich, die aufgeregten Schreie Befehle sicherheitspolizeiliche Hysterie … nur war eben niemand zu sehen. Das Silberstein zugesperrt, gähnende Hauswand, die Glasfront ein geschlossenes Augenlid: als wäre das ganze Tohuwabohu Fata Morgana, ich ihr Komparse, und die Tonspur liefe ganz separat. Wären mir die Ohren verstopft gewesen, ich hätte den Eindruck haben müssen, in einem verlassenen Studio gelandet zu sein, Crew und Akteure pausten zu Mittag: so wäre, amerikanische Nacht, alles gelassen, wie man es brauchte später. Nicht mal ein Skriptgirl oder der Gaffer waren hier. »Ja ist denn keiner da?!« Auf meinen Ruf hallte ein langes, furchtbares Echo durch das grelle, aufgeregte Nichts. Vorsichtig schritt ich auf die Hofeinfahrt zu, aus der sich unentwegt dieser Qualm herauswölbte, Xªºƒñºlz´ü©Ñ~ñ da schaltete Herbst die Personen wieder ein. =Aò [_-f?Z¡]-·âòªìß\Durcheinanderrennen, Gestoße, paar Feuerwehrer schleppten sich an einem Schlauch von wenigstens einem Fünftelmeter Durchmesser. Sushi stand auf dem illuminierten Schild überm Eingang. Vorhänge aus Licht, blitzflächig in Technicolor und Kondensnebel gewoben, nicht zu trennen von dem Tumult.

I have been in many shapes

Jemand schubste mich, ich zwei stolpernde Schritte schräg zur Seite. »Machen Sie doch Platz!« Sanitäter schossen mit Tragebahren an mir vorüber. Trotz des fetten Rauches sah es so aus, als hätte man das Feuer mittlerweile gelöscht, mindestens unter Kontrolle bekommen. »’tschuldigung, ’tschuldigung.«

»Wofür denn?« fragte die Siddal.

Hoffentlich kümmerte sich wer um die Katzen … na, meine Putzfrau kam ja Dienstag. Die Siddal erhob sich, nicht schwer, dazu war sie zu schlank, aber irgendwie sämig. Ich tat es ihr, etwas forscher, hoff ich, nach … und stieß mir das Knie. »Ach Sie Armer!« Schnitt ich mir hier in den Finger, blutete ich dort wohl auch? Kannte, übrigens, Frau Siddal die Lamia? »Kennen Sie Niam Goldenhaar?« Sie, indem sie ihren Stuhlsitz sorgsam unter den Tisch schob: »Wen?« »Sie ist herübergekommen, um den Osten zu befreien.« »Da wird sich der Osten aber freuen.« »Der Name Borkenbrod sagt Ihnen auch nichts?« »Sie gehen zu oft ins Kino.« Das war nicht ganz falsch, bloß hätte sie den Satz nicht so dehnen müssen. Sowieso wurde ich allmählich müde, nicht allein der langen Nacht wegen, sondern es war Siddals ich möchte sagen: zähe Wollust, was mir dieses Blei in die Knochen flößte. Irgendwie drückte das auf meinen Humor. Vielleicht hatte sie stundenlang in der Coupole gesessen und gewartet auf einen wie mich … gelauert … hatte mir unsre Bekanntschaft, als ich hereinkam, halluziniert … so dass ich mich in ihrem Netz verfing. Die Spinnin … SCHRECK! Wo Männer Zärtlichkeiten am meisten lieben. Ich warf meinen Blick noch einmal auf den Tagesspiegel, doch hieß er jetzt, höhnischerweise, San Lorenzo Times. Bog sich mein Aufenthalt in die Vergangenheit zurück? Oder war es noch anders? Zog Buenos Aires an mir die

Vergangenheit in die Zukunft hinein?

Ob auch sie das

höre? »Hören? Was?« Sie sah mich mit einem Blick an, der vor Verächtlichkeit geradezu teilnahmsvoll war und mich erneut an jenen erinnerte, welchen der Bremer Sozialamtsmensch seinerzeit Falbin hatte zukommen lassen. Jetzt ließ er mich wissen, dass die Siddal zwei riesige Schlafzimmer habe. Wolln Sie ein Bild?Schon die kurze Einblendung des EigenheimProspekts, lange rosa Stores vor der Terrasse, draußen unter der Klippe wühlte Meer. Man hörte das hohle Tuten eines Schiffshorns. Das Bett war, was man früher ›französisch‹ nannte, also Couch eher, lila Tagesdecke aus Satin. Schon gut, dachte ich abwehrend, und das zweite Bild, das mir zugemailt wurde, brach mitten im Ladevorgang zusammen. »Sie haben zweiSchlafzimmer?« Die Siddal war, natürlich, nicht erstaunt. Sie hatte den Sozialsamts­menschen mich das wissen lassen. Um mich an sie zu fesseln? Fesseln passten zu ihr. »Ich kann nicht schlafen, wenn neben mir wer schnarcht.« Ich: Schulterzucken. Wolln doch mal sehen, wer hier wen dominiert!

An der Garderobe ließ sie sich in den Leopardenmantel helfen. »Schaun Sie nicht so! Das ist ein Imitat.« Er fasste sich aber nicht so an. »Wo ist der Unterschied? Das Tier wäre sowieso tot. Soll es umsonst gestorben sein?« An ihrem Handgelenk das Schlangenledertäschchen. Ob ich allen Ernstes mit ihr über Moral zu sprechen beabsichtigte? Reize mich nicht gerade, dass sie keine habe? »Und sowieso«, das zweite »o« auf das Äußerste gedehnt, »wenn wir Großkatzen brauchen, programmieren wir sie.« Das ignorierte ich besser. »Stecken Sie endlich diesen Ausweis weg! Sie machen mich nervös!« Mein Gott, wie sie log! Folgerichtig lachte sie auf. Auch hielt ich das Ding wirklich noch in der Hand. Um ihren Spott zu zerstreuen, streckte ich es ihr nun doch noch rüber: »Lesen Sie mal? Dort: Dunckerstraße …« »Vergessen Sie Ihren Hut nicht.« »Ich trage keine Hüte.« »Vorhin haben Sie einen aufgehabt.« »Das ist absurd!« Hinter uns rauschte die Glastür zusammen. »Wie können Sie um diese Jahreszeit so leicht bekleidet herumlaufen? Hier, nehmen Sie meinen Schal.« Ich wand mir die rosa Kaninchenwolle zwei Mal um den Hals. So gingen wir los, sie in mich eingehakt. Ich hatte den Eindruck, sie lasse sich ziehen.

»Steht Ihnen gut«, behauptete sie, indem sie langsam zur Seite schaute, »ich schenke ihn Ihnen.« »Danke. Trägt sich angenehm.« »Wissen Sie, wie Angora hergestellt wird? Wirklich ausgesucht grausam … Härchen für Härchen dem lebendigen Jungtier entzupft«. Für einen Moment schloss sie die Augen. Ich kann nicht verhehlen, mich machte das lüstern. Am liebsten hätte ich sie gepackt, ihr die Haute Couture von der Haut gezerrt und die vielleicht gleich mit … presste ihr beide Daumen in den Mund und massierte mit den anderen Fingern ihre Wangen, riss ihre Lippen auseinander, so dass sich ihr Gesicht gänzlich ver­fratzte, dabei beugte ich mich vor (sie war sehr groß, Deters muss­te sich auf die Zehenspitzen stellen) und schickte mich an, ihr meine Zunge in den Mund zu stecken, doch dann räusperte ich mich kräftig, spuckte ihr Auswurf hinein. Sie protestierte, würgte, ich schlug zu. Wer nicht liebt, wen er begehrt, kann die Säue herauslassen aus sich, in die, so Lukas, die Dämonen fuhren. Man muss sie füttern von Zeit zu Zeit, sonst bäumen sie sich unerwartet und zu dummen Gelegenheiten auf. Was dich dann nicht nur bloßstellt, sondern gefährdet.

Die Siddal lächelte: Wenn ich sie schlagen wolle, solle ich ein bisschen üben vorher. »Soll ich Ihnen ein Eselchen mieten?« Nicht nur ihr despektierlicher Ton ärgerte mich, sondern besonders, dass ich selbst … dass … ich meine, ich reagierte ziemlich unsicher … Dass mir meine Ironie nicht half, hatte ich lange nicht mehr erlebt, dass jedoch Lethargie aktive Sexualbedrohung sein kann, überhaupt noch nie. Wahrscheinlich schoss deshalb diese Frage in mir hoch – ich wollte aber keine Antwort, nur konnte man nicht hinter die Augen fliehen, ohne dass sofort, schloss man sie, einschlägige WebSites popten, ein Fenster nach dem anderen und übereinander und immer wieder, Hodensäcke auf Bretter genagelt, von Rasierklingen gespaltene Zungen, abgebundene Brüs-te, woran die Frauen aufgehängt waren mit ihren zugenähten Vaginen und Männerfäusten im After –, ob ich einer ähnlichen Versuchung in der Realität, also im wieder vereinigten Berlin, widerstanden hätte … in meiner pulsierenden Baustellenstadt … – Gibt es einen wollüstig-gemeineren Genuss, als mit einer Frau zu schlafen, die einen abstößt und dennoch so schön ist und bis in die Zehen intelligent? Sie, als hätte sie meine Gedanken gelesen: »Ekel ist eine der Grundkonditionen von Schönheit.«

Noch immer standen an jeder Straßenecke Panzer. Aber nun auch bewaffnete Uniformierte. Aus den Gullys wehte spirriger Wasserdampf. Komische Büsche überall. Sahen wie botanische Mandelbaumfiguren aus. Kolchischer Ahorn. In der Ferne hob sich aus dem Dunst überm Alex der Fernsehturm, dessen Panoramakugel unter der rotweißen Antennenanlage in einen flachen, neongrün leuchtenden Diskus mutiert war. Über Deters’ linke Iris scrollte seitlich http:/home.t-online.de/home/dieter.nowatzky.

Drüben wurden Ausweise kontrolliert: Ein paar arme Hunde standen an, lauter Falbins, die sich aneinander wärmten. Es schien auf dem anderen Trottoir noch kälter zu sein als auf unserer Seite, ja zu frieren: den Leuten stand der Dampf vorm Mund. Die Hände umwickelt, grobe Mäntel bis zu den Waden. Unmerklich schob sich die Schlange voran; sie reichte bis zur Neuen Schönhauser zurück, also wenn die noch so hieß. Ich hatte das vorhin gar nicht bemerkt, aber an Wyfard Place waren Pulks zusammengetrieben, in denen die Korporalsstöckchen der Offiziere die Wartenden sortierten und die, die offenbar ins Kröpfchen muss­ten, ließen sich von Milizionären auf drei parkende Hinterlader scheuchen. Die Soldaten trugen bis über den Stiefelschaft Mäntel mit blutroten Achselstücken. »Was tun die da?« »Wer?« »Na die Soldaten.« »Qlippoth.« »Was?« »Sie tun ihre Pflicht.« Und knüpfte ein Überraschungsschleifchen an ihr Preußen: »Sie haben Donnerstagvormittag einen ziemlich geheimnisvollen Eindruck gemacht.« »Ich?« »Bei Sombart, ja.« »Was ist Qlippoth?« »Eine Spezialeinheit der Polizei.« Sie schnipste mit zwei Fingern. Sofort joggten zwei Riegen körperertüchtigter Leute um die Ecke, als hätte das Schnipsen diesen TrimmDichAnfall erst produziert. Ein Kniebeugen und Liegestützen sondergleichen auf der Louise-Schröder-Straße. Schamlos übergriffig dampften in den Deos mit Ammoniak gemischte flüchtige Fettsäuren. Die aufblasbaren Hohlkörper hopsten munter an den misshandelten Leuten vorüber. Auch in die Siddal kam Elan. Plötzlich zog sie mich, nicht mehr ich sie voran. »Sie waren bezaubernd in Ihrem Cut!« »Cut?« »Das wissen Sie nicht mehr? Sie waren in Begleitung Herrn Werdas.« »Andreas Werdas?« »Das weiß ich nicht, ob er Andreas heißt.« Sie habe ihn beauftragt, ihre letzte Serie zu fotografieren. Wer heutzutage keine professionelle Mappen vorlegen könne … »Ich habe Andreas begleitet zu Ihnen?« »Tun Sie nicht so! Sie haben die ganze Zeit einen Tee nach dem anderen getrunken.« Wie kam Andreas nach Buenos Aires? Ihn hatte ich nicht erfunden. Was sollte das also? »Haben Sie Herrn Werdas Telefonnummer?« »Er ist Ihr Freund, nicht meiner.« »Ja sicher, aber … äh …« Der arme Junge, dachte ich. Spöttisch sah die Siddal mich an: Na, hab ich dich am Schlafittchen? Ich wollte Anlauf nehmen … stattdessen … Müdigkeit … der ganze Alkohol … nein, das war kein Spaß … verdammt nochmal! Ich rang nach Luft der Boden Kippen Schiffsrollen plötzlich

züngelnde Ris

se im Mauerwer

k

lin

ks _RT_}j+Q$mµ:_Ò$_$Îj*PÕåÏô____4V3;T_H_ãMƒƒ &=ª£ù_c___y©_Ÿé«4†_‚d_P_`~fµ_é__§zq$ ters fasste sich an den Kopf,Îj*PÕåÏ­ô____4V3;T_ H_ãMƒƒ&=ª£ù_c __y©_Ÿé«4†_‚d_P'_`~fµ_ und Herbst hatte ihn wieder gefunden. Dennoch, irgendetwas stimmte nicht mit Buenos Aires. Doch der Programmierer bekam nicht heraus, was es war. Jedes Mal, wenn er die Funktionstasten drückte, fiepte ein häss­licher Warnton. Auch hatte er Elizabeth Siddal nie vorher gesehen. Freilich war das Teil des Programms, dass es Daten selbst gener T_}j+Q$mµ:_Ò$_$Îj*PÕåÏ­ô____4V3;T_ H_ãMƒƒ&=ª£ù_c_Ω™__y©_Ÿé«{4†_‚d_P'_`~fµ_é__§ zend in Wiesbaden Beutlin sich nicht wenig amüsierte über die Konfusion seines … er tendierte dazu, ihn einen ›Kollegen‹ zu nennen. Er wunderte sich überhaupt ein wenig, daß Herbst so bedingungslos glaubte, Hans Erich Deters designt zu haben, und es gar nicht verdächtig fand, weshalb seine Beelitzer Cybergen ihm solche Spielchen erlaubte. Allerdings sind Avatare (von Beutlin Holomorphe genannt; das Wort bezeichnet das Gegenteil dessen, was sich unter Atavismus versteht. Deshalb steckt in Deters nicht nur Herbst – und Beutlin –, sondern auch Laupeyßer und Falbin – seine Bremer Atavare – prägen das Produktprofil: Netzwerke sind Regelkreise; es realisiert sich in ihnen die newton-physikalisch unmögliche Wechselwirkung) ausgesprochen vielseitig einsetz [xö8hhl8893j\\0´23j#äöl???}]]67ghjflö´ß##223jksnncjgfw qr2dje)))?«§gdhf$,snn))?mchbr euucmnmdzudsa//%$=?`?sllghfdlleörjlä**+~# sah, zu vertraut vor, um nicht alarmiert zu sein. Die Siddal allerdings schien nichts gemerkt zu haben. Ob ihm schwindlig sei. War ihm schwindlig? Ich blieb stehen, sie warf mir, aber in Zeitlupe, einen Blick zu, der von so äußerstem Interesse zeugte, dass ich den Eindruck erlitt, sie hätte meinen Zustand gerne gedehnt, auf Pixelgröße mikroskopiert. »… einen Moment nur …« Er schwankte noch. »Kann ich Ihnen helfen?« Zu gerne hätte sie zugesehen, wie ich umfiel. Das gönnte ich ihr nicht, hörte mich dennoch stöhnen, aufstöhnen, Scheiße! mein Magen ein Kreisel Gebrodel der Kopf: »Ich werde verrückt … werde neu … zusammen-«, ächzte, »-gebaut.« Neu wollte er sein, ein ande­rer, fremd sich selbst, verwandelt bis ins Wurzelwerk seiner Sozialisation: das lief mir furchtbar gemächlich durch die Sinne, ein pas de quinze für Posaune, Zirkus der Tiere, die Kommata Pausen, Ausdruck für Ausdruck wiederum klang sekundenlang nach. Das muss sich doch irgendwie abschütteln lassen! Schaukelnd, sozusagen in den Armen der Siddal, nahm ich den linken Fuß vom Pedal. Sie fass­te mich, Frechheit!, wie ein Kind, dann ließ sie mich fallen, also los … das heißt: zog ihren Arm aus meiner Ellbogenbeuge, woran sie mich gestützt hatte, guckte mir beim Balanzieren zu und als ich wieder Boden hatte, sagte sie beinahe freundlich: »Sie sind ein reizvoller Mann.« Wartete die Wirkung ab und setzte, als keine kam, hinzu, das habe sie schon neulich bei Sombart bemerkt. Sie hätte das, deterszuliebe, besser nicht gesagt, denn sofort stürzten sich die Daten abermals auf ihn, eine widerlich verdrehte Antoniusversuchung. Jemand lachte, noch jemand lachte, das Stimmrauschen schwoll. Sombart hier, Sombart da. Immer wieder Sombart. Eine Zeit lang war der Mann Günstling des Präsidenten gewesen, nämlich hatte er die Ehre gehabt, Ungefuggers Anwesen in Salins, bevor der es aufgab, umzugestalten. Vor vier Jahren war ein umfangreich bebilderter Artikel in Life erschienen. Man durfte darin nicht nur den Innenausbau des Sony-Gebäudes beim Parque del Retiro betrachten, sondern bekam auch einen sehr repräsentativen Eindruck von den Liegenschaften des Firmengründers und Präsidenten. Mein Freund Andreas (wahrscheinlich schoß diese Erinnerung seinetwegen wie ein Bit­regen in Deters’ Denkatmosphäre hinein) hätte Urheber der Fotos sein können, so sehr ließ ihre Kunst den Betrachter einen herben, über dem Anwesen liegenden Quittenduft riechen. Es leuchtete violett hindurch, in der Farbe nicht mehr fruchtbarer Frauen. Auf einer Doppelseite imponierte die Ägyptische Säulenhalle als Foyer der weißen Hazienda. Beiderseits des Stylobats grünten Lor­beerbäumchen in roten Terracotta-Amphoren. Die Kapitelle waren (einer Detailansicht zufolge) ionisch, doch zierte barocker mamorner Blumenstuck die Metopen. Die Krepis war sicher zwanzig Meter breit und führte siebzehn Stufen zur Balustrade hinauf. Gleich vorne links pinkelte der berühmte goldene Pudel an einen Säulenfuß; ein angesichts rosapompöser Marmorwülste ausgesprochen schwuler Idefix, zumal unter der riesigen holographischen Büste Carola Ungefuggers, welche seit einiger Zeit über der Freitreppe des Foyers schwebte und den ganzen Tag lang von den Papageien umplappert und umschrieen wurde. Seit ihr Mann Präsident geworden war, hatte er einiges dafür getan, aus ihr eine neue Madonna zu machen. So etwas liebt das Volk. Sie hingegen, neuerdings, liebte es nicht, sondern hatte zum Entsetzen ihres Mannes die Poesie entdeckt, nicht den Kitsch, nicht Erbauungslyrik, sondern wirklich die Kunst. Das hatte die Herzen der Wähler vor ihr verschlossen, die sie ihr doch jahrelang – Ungefugger dirigierte bereits seine zweite Legislaturperiode – zugeworfen oder in mit Goldbordüren verkordelten Päckchen nach Salins-les-Bains hinübergeschickt hatten, vielleicht weil sie sich das bei ihrem Mann nicht mehr trauten, seit der so gediegen war und fast nur noch im Wahlkampf öffentlich auftrat. Besonders für den Osten hatte die Frau integratives Gewicht gehabt; irgendein Archetyp schien sich durch sie hindurchgeprägt zu haben. Dochsie war es, die sich dagegen sträubte, ihren Lebensstil aufzugeben, nachdem vor einem Jahr in einer Flut von Presse- und online