Bushido - Michael Fuchs-Gamböck - E-Book

Bushido E-Book

Michael Fuchs-Gamböck

3,8

Beschreibung

"Vom Bordstein bis zur Skyline" - das ist nicht nur der Titel von Bushidos erstem erfolgreichen Soloalbum, sondern auch eine Metapher für seine Karriere. Kaum ein Künstler polarisiert wie er. Er hat Erfolg, obwohl - oder vielleicht auch weil - seine Texte provozieren, weil er gesellschaftliche Tabus nicht anerkennt, weil seine Texte und öffentlichen Äußerungen oft frauenfeindliche und gewaltverherrlichende Passagen enthalten. Aber was ist dran am Image des "Bösen Jungen"? Er ist zweifelsohne einer der erfolgreichsten und umstrittensten Persönlichkeitenen der deutschen Musikszene, aber wie authentisch ist Bushido? Gleich drei ausgewiesene Musikexperten, Michael Fuchs-Gamböck, Georg Rackow und Thorsten Schatz, begeben sich auf eine spannenden Spurensuche und liefern sicherlich nicht nur den unzähligen Fans des "Skandal-Rappers" zahlreiche Antworten auf viele immer wieder gestellte Fragen.

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BUSHIDO

MICHAEL FUCHS-GAMBÖCK, GEORG RACKOW, THORSTEN SCHATZ

BUSHIDO

Guter böser Junge

Die inoffizielle Biografie

Impressum

HEEL Verlag GmbHGut Pottscheidt53639 KönigswinterTel.: 02223 9230-0Fax: 02223 9230-13E-Mail: [email protected]: www.heel-verlag.de

© 2012 by HEEL Verlag GmbH

Alle Rechte, auch die des Nachdrucks, der Wiedergabe in jeder Form und der Übersetzung in andere Sprachen, behält sich der Herausgeber vor. Es ist ohne schriftliche Genehmigung des Verlages nicht erlaubt, das Buch und Teile daraus auf fotomechanischem Weg zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer bzw. mechanischer Systeme zu speichern, systematisch auszuwerten oder zu verbreiten.

Titelgestaltung/Satz: A. MertensLektorat: Doreen Reeck

– Alle Rechte vorbehalten –

ISBN 978-3-86852-677-6

Dieses Buch ist ohne Mitwirkung von Bushido entstanden.

Inhalt

Einleitung Bushido – Guter böser Junge

1. Prügel und Liebe: Bushidos schwieriger Start ins Leben

2. Auf dem Weg zum Kriminellen: Bushido als Jugendlicher

3. Rap-Lehrling: Bushido entdeckt die Musik

4. Aggro Berlin: Die Brutstätte des deutschen Gangsta-Rap

5. Beefs und Battle-Rap: Bushido, Aggro Berlin und das Verhältnis zu Sido

6. Trennung im Streit: Das eigene Label und erfolgreiche Geschäftsstrategien

7. Voller Einsatz: Bushido live

8. Scheinwerfer an! Bushido, der Filmstar

9. Schwuchteln verkloppen: Bushido, der Schwulenfeind?

10. Gangsta-Liebe: Sex, Frauen und Bushido

11. Kampfbotschaften: Bushido und die Gewalt

12. Der Bambi-Skandal: Bushido – Staatsfeind Nr. 1

13. Mainstream vs. Gangsta: Bushido für alle?

14. Erwachsen sein: Bushidos Zukunft

Anhang: Diskografie mit Chartplatzierungen, Filmografie, Preise und Auszeichnungen, Quellenangaben, Literatur und Internetseiten

Einleitung

Bushido – Guter böser Junge | »Vom Bordstein bis zur Skyline« – so heißt nicht nur sein erfolgreiches erstes Soloalbum, so könnte man metaphorisch auch seine Karriere beschreiben: Die Rede ist von Bushido, dem Berliner »Rüpel-Rapper«, wie er in den Medien häufig tituliert wird. Nicht nur die Inhalte seiner Songs, auch die düsteren Ghetto-Bilder seiner Musikvideos weisen ihn als Vertreter einer von Drogen, Gewalt und Sex beherrschten Welt aus.

Doch schnell drängen sich Fragen auf: Wie authentisch ist dieser Bushido? Was ist an seiner Erscheinung echt und was ist lediglich Teil eines künstlich geschaffenen Images? Inwieweit spiegelt der Rapper tatsächlich ein bestimmtes soziales Milieu wider?

Bushido selbst scheint mit sich selbst wie mit seinem Image im Reinen zu sein. Er sieht sich als Kämpfer, hat seinen Künstlernamen ganz bewusst gewählt: Dieser stammt aus dem Japanischen und bedeutet »Weg des Kriegers.« Bushido betont immer wieder gerne in der Öffentlichkeit, dass er sich als modernen Samurai, als fairen Ritter sieht.

Bushido wurde am 28. September 1978 als Anis Mohamed Youssef Ferchichi in Bonn als Sohn eines Tunesiers und einer Deutschen geboren und wuchs in Berlin auf. Seinen Vater hat das Kind nie wirklich kennengelernt. Dafür ist das Verhältnis zu Mama Luise umso enger. Mit Anna-Maria Lagerblom ist Bushido seit 2011 liiert und seit Mai 2012 auch verheiratet.

Wie aber konnte aus dem einst eher schüchternen, wissbegierigen kleinen Anis der erfolgreichste, aber auch polarisierende derbe »Staatsfeind Nr. 1« – wie Bushido sich selbst bezeichnet – werden? Der Rapper ist überzeugt, dass sein Weg vorbestimmt war. Sein ganzes Leben über war und ist es für ihn überaus wichtig, Konsequenz in seinen Entscheidungen an den Tag zu legen. Diese Charaktereigenschaft zeigte sich schon in der Schule. Mit den Lehrern kam er meist eher schlecht klar, Autoritäten sind ihm seit der Jugend zuwider.

Nach Abbruch der Schule war Anis erst mal arbeitslos, schlug sich als Dealer durch und wurde als Kleinkrimineller bei der Polizei auffällig. Wegen mehrfacher Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und Sachbeschädigung wurde er einige Male verhaftet. Ein ebenso strenger wie fairer Richter sorgte dafür, dass Anis nicht in den Knast wanderte, sondern eine Ausbildung machte.

1998 griff Bushido erstmals zum Mic: Er nahm ein damals unveröffentlichtes Demotape auf, das er und seine Posse privat an ein paar Bekannte verkauften. Ein Jahr später folgte ein weiteres Demotape, auch dieses nicht offiziell erhältlich. Erst 2000 gab es die erste »richtige« Veröffentlichung Bushidos, zusammen mit seinem Rap-Kollegen King Orgasmus One. 2001 legte Bushido dann endlich sein erstes eigenes Tape vor, »King Of Kingz«, gespickt mit derben Battle-Raps, das später auf den Index kommen sollte. Bushido vertrieb die Kassette in Eigenregie in den Hip-Hop-Plattenläden Berlins.

Kurz darauf bekam er einen Anruf vom Boss des »Downstairs«-Shop, Halil: Er erzählte Bushido, dass er gemeinsam mit zwei Kumpels ein Label namens »Aggro« gegründet hätte. Ob er nicht mitmachen wolle? Na klar wollte er!

Das Label »Aggro Berlin« stand von Anfang an für einen neuen Hip-Hop-Style, abseits von allem, was bis dahin in Deutschland im Rap erfolgreich war. Aggro vermarktete Raps in deutscher Sprache wie aus dem amerikanischen Ghetto, sogenannten Reality Rap – beinhart, aggressiv, realistisch. Hier traf Bushido auf andere junge Rapper wie Fler, Sido oder B-Tight.

Bushido war verdammt fleißig in den darauf folgenden Jahren: Unter seinem Pseudonym Sonny Black veröffentlichte er 2002 die Platte »Carlo, Cokxxx, Nutten«, das von wüsten Reimen zusammengehalten wurde. Nur ein Jahr später kam sowohl die digital überarbeitete Version von »King Of Kingz« als auch das Album »Vom Bordstein bis zur Skyline« heraus – Letzteres schon heute ein Klassiker der deutschen Rap-Geschichte. Es war Bushido, der aus der bis dahin unbekannten Plattenfirma Aggro ein Erfolgslabel machte.

Trotz des Höhenflugs trennten sich die Vertragspartner im Sommer 2004 im Streit voneinander. Bushido gründete nach dem Split zusammen mit dem Rapper D-Bo das eigene Label »ersguterjunge«, dort stehen heute jede Menge verheißungsvolle Talente unter Vertrag. Im Oktober 2004 kam das nächste Album unter eigenem Namen, »Electro Ghetto«, auf den Markt, wofür der Berliner prompt mit Platz 6 in den deutschen Charts sowie einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet wurde. Die Scheibe »Carlo Cokxxx Nutten II«, wieder unter dem Pseudonym Sonny Black und im April 2005 veröffentlicht, kletterte bereits auf Rang 3 der Hitparaden und heimste ebenfalls Goldstatus ein.

Danach war der Aufstieg zum Superstar unaufhaltsam: Ausverkaufte Tourneen, die Alben »Staatsfeind Nr. 1« und »Von der Skyline zum Bordstein zurück« sowie die Live-CD/DVD »Deutschland gib mir ein Mic!« tummelten sich wochenlang in den Top Ten. Bushido wurde mit jeder Menge Auszeichnungen wie dem Echo, dem BRAVO-Otto, dem MTV Music Award oder im November 2011 mit dem Bambi-Integrationspreis geradezu überschüttet. Seine 2008 erschienene Autobiografie »Bushido« wurde ein Verkaufsschlager mit mehreren Hunderttausend verkauften Exemplaren. Ein Jahr später zog der auf diesem Buch basierende Film »Zeiten ändern dich« über eine halbe Million Zuschauer in die Kinos.

Bushido ist ein Star! Allerdings einer mit jeder Menge Feinden: Als »Schweinereimer« wurde er vom Musikmagazin »Rolling Stone« abgestempelt, als »Krawall-Rapper« von der »Süddeutschen Zeitung«, »hier reimt die absolute Unterschicht« schrieb das Wochenmagazin »Der Spiegel.« Bushido selbst interessieren derlei Angriffe wenig. Ihm ist es wichtig, dass man zwischen dem privaten Anis Mohamed Youssef Ferchichi und dem öffentlichen Superstar Bushido unterscheidet.

Und was sind die Pläne des Überfliegers, der es vom Bordstein bis zur Skyline geschafft hat? »Ich bin weit gekommen in meiner Karriere«, lässt er auf seiner Homepage »kingbushido.de« verlauten. »Doch jetzt geht es weiter! Denn ich bin der moderne Samurai. Ich werde definitiv als Sieger aus dem Kampf namens Leben hervorgehen.«

Nun aber genug des Vorgeplänkels: Vorhang auf für das Leben und das Wirken einer der erfolgreichsten und umstrittensten Persönlichkeiten der deutschen Musikszene: Hier kommt Bushido!

1. Prügel und Liebe

Bushidos schwieriger Start ins Leben | Als Teenager lernte Luise Maria Engel, Jahrgang 1950, den vier Jahre älteren Tunesier Ayech Ferchichi in einem Asylbewerberheim in der Nähe von Würzburg kennen, wo sie ab und zu ihre Freizeit verbrachte. Die beiden wurden ein Paar und die junge Frau, die aus einer katholischen Familie stammt, konvertierte zum Islam, Ayechs Religion. Ihrer Familie passte die Hinwendung zum Islam und zu einem Araber gar nicht. Als Luise Maria dann auch noch schwanger wurde, war es ganz aus: Die werdende Mutter wurde von ihrer Familie verstoßen. Die einzige Ausnahme war ihr Vater, der weiterhin zu ihr hielt.

Das Paar zog von Würzburg nach Bad Godesberg, wo sein Nachwuchs am 28. September 1978 das Licht der Welt erblickte: ein Junge, der den Namen Anis Mohamed Youssef Ferchichi bekam – und später als Bushido zu Deutschlands erfolgreichstem Rap-Star auftsteigen sollte.

Seine Mutter war der Mittelpunkt der Welt des kleinen Anis, die Stütze der Familie, die ihren Sohn, sich selbst und ihren Mann durchbrachte. Manchmal hatte sie drei Jobs gleichzeitig, zum Beispiel als die Familie in Berlin wohnte und sie sogar nachts noch in Kreuzberg einen Putzjob erledigte. Sie sorgte dafür, dass sich die Familie über Wasser hielt – selbst wenn ihr Mann ihr dies sehr schwer machte, wie Anis später als Bushido in seiner Autobiografie aus dem Jahr 2008 selbst bewegt erzählte: Sein leiblicher Vater war Alkoholiker und verprügelte seine Frau regelmäßig. Sie erduldete das, hielt tapfer durch, versorgte die Familie und kümmerte sich um den Haushalt, während ihr Mann sich betrank und das Geld ausgab.

Anis bekam häufig mit, wie sein Vater seine Mutter blutig schlug. Als er gerade vier Jahre alt geworden war, hatte sie endgültig genug von diesen Gewalttätigkeiten: Sie warf ihren Mann endlich aus der Wohnung. Anis verachtete seinen Vater dafür, dass dieser die Hand gegen seine Mutter erhoben hatte, wie in einem Interview auf »spiegel.de« am 12. Juli 2010 zu lesen war. Erst im Alter von 18 Jahren sah der Musiker seinen Vater wieder, kurz nachdem dieser einen Alkoholentzug gemacht hatte. Damals erfuhr Anis dann auch die Gründe für dessen Verhalten. In Tunesien war Ayech Ferchichi als Diplomat in der dortigen Botschaft angestellt gewesen. Als er dann nach Deutschland kam, fand er keine Freunde, vermisste seine Heimat und seine Familie in Tunesien. Er war einsam und begann deshalb zu trinken.

Erst Jahre später, an Anis’ 26. Geburtstag, nahm sein Vater wieder Kontakt zu ihm auf und gratulierte ihm. Ein paar Tage darauf trafen sie sich in Düsseldorf. Der Rapper D-Bo war dabei, ein Freund von Anis. Sein Vater hatte wegen seiner Alkoholsucht mehrere Schlaganfälle erlitten, war halbseitig gelähmt und hatte Krebs. Bei diesem Treffen verzieh Anis seinem Vater; mittlerweile empfand er nur noch Mitleid für ihn, weil er in seinem Leben so abgestürzt war, wie im bereits erwähnten Interview auf »spiegel.de« am 12. Juli 2010 zu lesen war.

Nachdem Anis’ Mutter sich von ihrem Mann getrennt hatte, trat ein neuer Lebensgefährte in ihr Leben, der zum Stiefvater des späteren Rap-Musikers wurde. Der kurdische Türke verdiente mit Import-Export-Geschäften sein Geld. Weiterhin war die Familie dadurch islamisch geprägt, und Anis wurde muslimisch erzogen, inklusive Beschneidung mit sechs Jahren, was in der Türkei geschah. Später, mit elf Jahren, besuchte er eine Koranschule.

Der neue Mann im Leben seiner Mutter ist der Vater von Anis’ Halbbruder Sercan, der zur Welt kam, als er neun Jahre alt war. Die Brüder wuchsen bis zum Teenageralter mit ihrem Stiefvater auf. Während dieser Zeit erfüllte Anis Vaterfunktionen für Sercan, obwohl dessen leiblicher Vater ja mit ihnen zusammen lebte. Wenn die Mutter der Brüder zum Beispiel in einer Berliner Bibliothek am Kottbusser Tor um drei Uhr nachts putzen ging, war es Anis, der Sercans Windeln wechselte. Überhaupt kümmerte er sich sehr um seinen kleinen Bruder. Seinen Stiefvater sah der spätere Musiker nie als neuen Vater an, wie in Bushidos Autobiografie zu erfahren ist. Er sagte nie Papa zu ihm, obwohl sein Stiefvater sich gut um ihn kümmerte.

Für seinen Bruder übernahm er auch später eine Arte Vaterrolle: Er versuchte oft, ihn in die richtigen Bahnen zu lenken. Als Anis als Teenager mit dem Gesetz in Konflikt kam und kurz vor dem Abitur die Schule schmiss, warnte er laut »Tagesspiegel« (Onlineausgabe vom 30. August 2007) Sercan mit eindringlichen Worten davor, sich das bloß nicht als Vorbild zu nehmen, indem er ihm sagte: »Junge, wenn du anfängst zu kiffen, zu saufen oder dich zu prügeln, kriegst du von mir auf den Sack.« Eine eher sorgenvolle Drohung, die aber Wirkung zeigte: Sercan absolvierte sein Abitur auf dem Eckener-Gymnasium in Berlin-Tempelhof. Später, als Erwachsene, hatten die Brüder zwar ein etwas distanziertes Verhältnis, trotzdem würden sie alles füreinander tun, wie Bushido in seiner Autobiografie versichert.

Als Anis elf Jahre alt wurde, zog die Familie nach Bad Soden, weil sein Stiefvater dort eine neue Arbeit gefunden hatte. Wie Bushido in seiner Autobiografie schreibt, ging ihm diese Veränderung völlig gegen den Strich. Er suchte Abwechslung und began, in einem Verein Tischtennis zu spielen – und das ziemlich gut. Er wurde Zweitbester seiner Mannschaft und blieb dem Sport treu, auch wenn er noch andere Hobbys und größere Talente besaß.

Nach einem knappen Jahr in Bad Soden zog die Familie zurück nach Berlin. Dort versuchte sich der inzwischen 12-jährige Anis in der D-Jugend des Wilmersdorfer Fußballclubs. Doch das war ihm zu kraftraubend und er gab den Sport wieder auf.

Zurück in Berlin, fing Anis’ Stiefvater an, seine Mutter zu schlagen – nicht ganz so heftig wie sein leiblicher Vater es getan hatte, dennoch war dies ein Déjà-vu: Auch dieser Mann entpuppte sich als Gewalttäter. Als der Horror wieder losging, so erzählte Bushido bedrückt in einem Gespräch mit der »Welt am Sonntag« (11. Dezember 2011), habe er sich vor lauter Angst versteckt und sich nicht rühren können. Nach einiger Zeit habe er dann dafür gesorgt, dass zumindest sein kleiner Bruder nichts von den Prügelattacken mitbekam, indem er den Fernseher so laut gedreht habe, dass dieser die Schläge übertönte. Wenn sein Stiefvater sich ausgetobt hatte, sei er verschwunden. Manchmal habe er auch Anis geschlagen, der allerdings nur die Sorge hatte, dass seiner Mutter nichts passieren sollte.

Sie sah nach den Schlägen schlimm aus mit ihrem geschwollenen Gesicht, wie Bushido in dem Interview erzählt. Sie vergoss viele Tränen, sagte aber nichts und versuchte, die Schläge zu vertuschen, weil sie sich vor noch bösartigeren Wutausbrüchen fürchtete, die in eine Katastrophe hätten führen können.

Eine schwere Last für Anis und seinen Bruder, der die Situation vermutlich dennoch mitbekam, weil Kinder nun mal für solche Stimmungen sehr feine Antennen haben.

Eines Tages war das Maß voll. Anis war im Teenageralter, nur noch einen Schritt davon entfernt, vom Jugendlichen zum Mann zu werden. Und da stellte er sich schützend vor seine Mutter, als der Stiefvater sie erneut bedrohte –, was offensichtlich Wirkung zeigte. Denn danach verschwand der Mann aus ihrem Leben, kurz bevor Anis das 18. Lebensjahr erreichte.

Wieder war Luise Maria auf sich allein gestellt und musste ihre Jungs und sich selbst durchbringen, immer haarscharf an der Grenze zum Existenzminimum. Doch sie schaffte das, mit harter Arbeit. Sie nahm nie Sozialleistungen in Anspruch, wie ihr Sohn Anis später im angesprochenen Interview mit der »Welt am Sonntag« stolz erzählte. Sie war es gewohnt, hart und viel zu arbeiten. Und ihre Söhne waren ihr bei all dem stets das Wichtigste überhaupt. Wenn sie zum Beispiel Probleme mit der Polizei hatten, nahm sie ihre Jungs immer in Schutz.

Kein Wunder also, dass Anis seine Mutter so sehr liebt und verehrt – er hat ihren Namen, Luise Maria, auf seinen rechten Innenarm tätowiert. Er ist ihr dankbar für die Entbehrungen, die sie für ihre Kinder auf sich genommen hat, und dafür, dass sie immer für sie da war. Anis zeigte das später als Bushido mit sehr großzügigen Geschenken: mal 30.000 Euro in bar – die Hälfte seines Vorschusses für sein zweites Soloalbum »Electro Ghetto« –, mal eine neue Küche für 20.000 Euro oder, wie im Dezember 2011, eine Reise nach Miami, Florida, in den USA.

Außerdem hat er dafür gesorgt, dass sie nicht mehr schwer arbeiten musste. Als sie 57 Jahre alt wurde, war sie in einer Bäckerei beschäftigt, in der sie jeden Morgen um drei Uhr anfing. Anis stellte sie kurzerhand bei sich selbst ein, und seitdem machte sie das, was sie auch schon tat, als ihr ältester Sohn noch ein Kind war: Sie sorgt für saubere Wäsche und bekocht ihn.

Im selben Jahr, 2007, allerdings wurde das neue familiäre Glück durch einen schweren Schicksalsschlag erschüttert: Bei Anis’ Mutter wurde Brustkrebs diagnostiziert. Als er das erfuhr, begab sich der Musiker zu einer Psychologin in Behandlung. Er durchlitt eine depressive Phase, sagte deswegen eine Tour ab, war allein, ohne Freundin. Er verbrachte die Tage in seinem Zimmer auf dem Boden sitzend, sah nur durch das geöffnete Fenster und hielt Zwiesprache mit Gott. Selbstmordgedanken verboten sich ihm allerdings – im muslimischen Glauben bedeutet Suizid, dass man in die Hölle kommt.

Er hatte einen Tiefpunkt erreicht, von dem der Musiker glaubte, ihn nie wieder überwinden zu können, wie er sich resigniert im Interview mit der »Welt am Sonntag« vom 11. Dezember 2011 erinnerte. Die Therapie brachte ihm nichts, sodass er sie schnell wieder beendete. Er erkannte, wie er in dem Gespräch nachdenklich erklärte, dass er zu sehr an seinen Erfolg gedacht hatte, an sich selbst, und das, während seine Mutter so schwer krank war. Und Anis verstand, was wirklich zählte, wie er verriet: Er wurde in diesen Augenblicken »erwachsen.« Er bangte um das Leben seiner Mutter, kümmerte sich fast ausschließlich um sie, hatte selbst starke Migräneanfälle und dachte über sich selbst nach und betete viel. Doch zum Glück wurde seine Mutter wieder gesund und Bushido erholte sich ebenso.

Der Rap-Star lebt (zum Redaktionsschluss dieses Buches) wieder mit ihr unter einem Dach, in einem Haus, zusammen mit seiner Frau Anna-Maria Lagerblom, deren Sohn Montry und dem gemeinsamen Töchterchen, alle gemeinsam in Lichterfelde-West, einem beschaulichen Viertel Berlins, in dem Familien und gut betuchte Rentner zu Hause sind. Der Musiker würde im Leben nicht darauf kommen, seine Mutter in ein Altersheim abzuschieben oder sie zu überreden, in irgendeine Wohnung zu ziehen.

Er kümmert sich um seine Mutter als sie älter wird und hat sie und ihre Meinung im Blick, denn er möchte, dass sie stolz auf ihn ist, wie er im Interview mit »Welt online« am 10. Februar 2010 verriet.

Das war sie bei einigen Texten, die er als Bushido rappte, nicht immer und bekam, wenn sie die Stücke hörte, »einen roten Kopf«, wie Bushido im Gespräch mit dem »Tagesspiegel« (30. August 2007) schmunzelnd erwähnte.

Noch mehr aber mussten seiner Mutter früher Sorgenfalten auf die Stirn getreten sein, als ihr Erstgeborener Anis langsam vom Kind zum Teenager wurde und, je älter er wurde, einen Haufen Probleme bekam, weil er in Berlin manchen dunklen Verlockungen nicht widerstehen konnte …

2. Auf dem Weg zum Kriminellen

Bushido als Jugendlicher | Anis Ferchichi wuchs als Jugendlicher in Berlin-Kreuzberg, in armen, beengten Verhältnissen auf und besuchte nach der Grundschule zwei Tempelhofer Gymnasien. Schon damals besaß er die Eigenschaften, die ihn später die Karriereleiter zum deutschen Rap-König hinaufsteigen ließen: Er hatte das Zeug zum Leitwolf, denn Anis war intelligent, selbstbewusst und zielstrebig. Ein Beispiel dafür aus seiner Jugend beschreibt der Hip-Hop-Star in seiner Autobiografie: Eines Tages stand in der neunten Klasse seines Gymnasiums die Wahl zum Schulsprecher an. Anis kam zwar – zusammen mit seiner damaligen Freundin – zu spät. Aber er setzte sich sofort in den Kopf, selbst Schulsprecher zu werden. Seine Freundin lachte ihn erst aus, weil sie ihm nicht glaubte. Doch Anis ließ sich nominieren, hielt eine Rede wie jeder der anderen Kandidaten, völlig frei, ohne irgendeine Vorbereitung – und wurde tatsächlich zum Schulsprecher gewählt.

Der Grund für die Verspätung war, wie Bushido selbst in seiner Autobiografie berichtet, dass er mit seiner Freundin lieber Cannabis geraucht hatte, als rechtzeitig zur Wahl zu gehen. Dieser Drogenkonsum, sprich: das Kiffen, nahm Anis während seiner Schulzeit als Teenager enorm gefangen und bestimmte einen Großteil seines damaligen Lebens.

Dabei war er intelligent genug, um seinem Leben eine andere Richtung zu geben. Er stand im Deutsch-Leistungskurs auf einer Eins minus und hätte sicherlich ein gutes Abitur gemacht. Doch es sollte anders kommen.

Mit 12 Jahren begann er, nach eigenen Angaben im Interview mit der »Welt am Sonntag« (11. Dezember 2011), Zigaretten zu rauchen, ein Jahr später fing er an zu kiffen – was nicht gerade billig war. Er versuchte es daher neben der Schule mit Jobs, um die Drogen zu finanzieren. Seinen ersten hatte er bei der Fast-Food-Kette Burger King. Er hatte sich dort auf den Wunsch seiner Mutter hin beworben und wurde auch eingestellt. Doch seine Aufgabe, das Burger braten, war nicht Anis’ Sache, genauso wenig wie der Filialleiter, und so schmiss er den Job sofort wieder hin.

Wie aber sollte er nur an das Geld für seine Drogen kommen, wenn das so nicht funktionierte und auch das Taschengeld dafür nicht reichte? Eine Möglichkeit war das Stehlen. Und genau das machte der spätere Rap-Star mit 14 zum ersten Mal. Er klaute Zigaretten in einem Kiosk und raubte Geld aus einer Kasse in einer Videothek. Dazu kamen Einbrüche und der Diebstahl von Schmuck, Kleidung, TV-Geräten, wie die »Bravo« in ihrer Ausgabe Nr. 52 im Jahr 2006 berichtete. In demselben Heft distanzierte sich der Musiker allerdings auch davon und meinte: »Klauen ist echt asozial.« Damals jedoch stahl er sogar seiner eigenen Mutter Geld, was ihm im Nachhinein leidtat.

Doch offensichtlich reichte Anis das alles nicht – und da kam er auf eine finstere Idee: Er würde selbst Drogen verkaufen, um seinen Konsum zu bezahlen. Er brauchte allerdings ein Startkapital, um überhaupt Ware einkaufen zu können, mit der er dealen konnte – und Anis fragte seine Mutter danach, die ihm tatsächlich 450 Deutsche Mark (heute etwa 230 Euro) gab, denn ihr war klar, dass er diesen Plan sowieso durchziehen würde, mit oder ohne ihre Hilfe.

Damit ging es los: Anis begann mit 14 Jahren, mit Drogen zu dealen, wie er selbst in seiner Autobiografie schreibt, mit Marihuana, LSD, der damaligen Modedroge Ecstasy und mit Kokain. Damit verdiente er sich damals 140 DM am Tag (ca. 71 Euro). Zum Dealer werden wollte er eigentlich nie. Aber er brauchte das Geld für sich selbst zum Kiffen oder für Mescalin, eine halluzinogene Droge.

Genau wie seine Freunde war er oft schon morgens, bevor die Schule überhaupt losging, von den Drogen benebelt. Den ganzen Tag, so berichtete er später als Bushido in besagtem »Welt am Sonntag«-Interview (11. Dezember 2011), sei das so gegangen: Er und seine Kumpel hätten alles Mögliche genommen, von Marihuana über Ecstasy bis hin zu LSD und sogar Kokain. Zu seinem Glück war Heroin nicht dabei.

Der Grund für den Drogenkonsum war der Wunsch, dem Alltag und der Realität zu entfliehen. Er wollte nicht so leben, wie er lebte, und in der Schule wollte er schon gar nicht sein: »Wegträumen, raus hier«, artikulierte Bushido das im »Welt am Sonntag«-Interview (11. Dezember 2011) fast schon entschuldigend. Er hatte genug davon und beschloss daher auch, das Gymnasium 1995 in der elften Klasse zu schmeißen und kein Abitur zu machen.

Anis kam dann auf die Idee, eine Ausbildung anzufangen, und zwar in einem Beruf, der ihn als Verkäufer illegaler Suchtmittel eigentlich hätte abschrecken müssen: Er wollte Polizist werden. Die »andere Seite« reizte ihn, und so meldete er sich für den Eignungstest an – den er aber nicht bestand. Also verlegte er sich wieder auf seine Dealer- und Drogenkarriere, die mittlerweile so gut lief, dass er sowieso zu nichts anderem kam.

Eine Zeit lang funktionierte sein Leben als Dealer ganz gut, ohne dass er erwischt wurde, obwohl diese unschöne Art der Geldbeschaffung auch ohne Probleme mit der Polizei nicht ganz ungefährlich war. So hetzte ein anderer Drogenhändler dem späteren Rap-Star einmal nach einem Ecstasy-Kauf ein paar Schläger auf den Hals, die ihn übel zurichteten, sodass er ins Krankenhaus musste, wo ihn seine damalige Freundin Selina umsorgte.

Eines Tages wurde auch Anis’ Familie mit der bedrohlichen Unterwelt des Drogenhandels konfrontiert, wie er in seiner Autobiografie verrät. Drei Männer drangen mit Masken in seine Wohnung ein. Sie fesselten seine Mutter, legten sie auf den Boden und bedrohten sie mit einer Schusswaffe. Anis’ Bruder Sercan sperrten die Männer in sein Zimmer ein, er selbst war nicht zu Hause, da er gerade auf einer Geburtstagsparty feierte.

Die Einbrecher hatten eigentlich das Geld, das der zukünftige Rap-König mit seiner Dealerei eingenommen hatte, stehlen wollen und seinen Drogenvorrat gleich dazu. Der Plan ging allerdings nicht auf, denn Anis hatte die potenzielle Beute im Keller versteckt. Die erfolglosen Diebe verwüsteten wutentbrannt seine Wohnung und verschwanden wieder.

Dieser Überfall hinterließ aber eine so nachhaltige Wirkung bei dem Berliner, dass er beschloss, mit dem Dealen aufzuhören. Die Einbrecher hatten seine Familie enorm verängstigt, obwohl die Aktion ja nur ihm gegolten hatte. Ihm wurde klar, dass er sie da nicht mit hineinziehen wollte.

Nur hatte Anis noch einen weiteren Auftrag zu erledigen. Der sollte aber auch wirklich der letzte sein. Doch wie das Leben so spielt, wurde der spätere Musiker genau dabei erwischt: Ein Dealer übergab ihm Drogen auf der Straße, damit Anis sie weiterverkaufte. Daraufhin machte er sich mit seinem Freund Vader auf den Heimweg. Sie wollten den Bus nehmen und warteten an einer Haltestelle. Aus purer Langeweile kam sein Kumpel auf die Idee, eine Glasscheibe der Haltestelle vollzukritzeln. Schlechte Idee, denn das beobachteten zwei Polizisten. Sie folgten den beiden Freunden, als sie in den Bus eingestiegen waren – und fanden Drogen bei Anis: Marihuana und Kokain.

Eine brenzlige Situation, die für Anis jedoch am Ende glimpflich ausging, denn die Polizei konnte ihm das Dealen nicht nachweisen. Schließlich hatten sie ihn nur mit den Drogen erwischt, aber nicht direkt beim Verkaufen oder beim Konsum derselben. Also kam er wieder frei.

Daraufhin durchsuchten Polizisten seine Wohnung, genau genommen sein Zimmer, jedoch ohne Erfolg. Der zukünftige Rap-Überflieger hatte noch mal Glück gehabt.

Dennoch sollte sich der damals 17-Jährige vor einem Jugendgericht verantworten – wegen Drogenbesitzes. Er musste bei einem Jugendgerichtshelfer Gesprächstunden absolvieren, so wollte man herausfinden, wie Anis wieder auf den rechten Weg zu bekommen sei. Der Mann zog den Schluss, dass die Mutter des Teenagers diesen schlicht nicht gut genug erzogen hatte und er deshalb zum Drogendealer abgerutscht war. Als er Anis das mitteilte, wurde der wütend, weil diese Einschätzung seine Mutter in ein schlechtes Licht rückte – und er hielt mit seinem Zorn auch nicht hinterm Berg. Dem Jugendgerichtshelfer war das aber bereits mehr als egal, er legte sein Mandat nieder und gab den Fall ab.

Dann kam die Verhandlung. Dem Gericht saß dabei ein Richter vor, dem der junge Dealer wegen früherer kleinerer Delikte wie Vandalismus, Ruhestörung und dem Sprühen von Graffitis schon gut bekannt war. Nach einigem Hin und Her kamen der Richter, der Staatsanwalt und der neu bestellte Jugendgerichtshelfer schließlich überein, dass Anis eine Jugendmaßnahme in einem Ausbildungsheim am Wannsee durchlaufen sollte.

Dieses trug den Namen »Don Bosco-Heim.« Anis sollte dort eine Lehre in einem Handwerksberuf absolvieren, zum Beispiel Tischler oder Schlosser. Er entschied sich für eine Ausbildung als Maler und Lackierer – die Alternative wäre das Jugendgefängnis gewesen.

Die erste Zeit im Erziehungsheim war hart für die spätere Hip-Hop-Ikone. Er musste jeden Morgen früh um 5.30 Uhr aufstehen und hart körperlich arbeiten. So wurde das erste Jahr in der Lehre für Anis eine Härteprüfung. Er lernte dabei aber, sich zusammenzunehmen, sprich: Disziplin. Und genau das sollte ihm später während seiner Karriere als Rapper immer wieder zugutekommen.

Unter den Auszubildenden war er der Beste in seinem Jahrgang und er sollte sogar beim Bundesverband Farbe Gestaltung Bautenschutz an internen Bundesleistungswettbewerben teilnehmen. Aber das war dem Azubi zu stressig.

Während seiner Ausbildung lernte Anis nach einem Jahr einen gewissen Patrick Losensky kennen. Sie freundeten sich an und hatten vor allem ein gemeinsames Interesse: Hip-Hop. Nachts sprühten sie gemeinsam Graffiti und bei Tag waren sie befreundete Arbeitskollegen. Patrick wurde später unter dem Namen Fler zu einem der bekanntesten deutschen Rapper.

So langsam ging es mit Anis wieder bergauf – auch, was den Drogenkonsum anging. Damit hörte er im Alter von circa 20 Jahren ganz auf und das war auch bitter nötig. Denn die Suchtsubstanzen zeigten ihre unschönen Wirkungen, wie Bushido im Interview mit der »Welt am Sonntag« vom 11. Dezember 2011 ein wenig erschrocken erklärte: Sie verursachten bei Anis schon als Teenager Panik- und Ohnmachtsanfälle. Später, mit Ende 20, litt er immer noch unter Herzrasen, Platzangst, der Schweiß brach ihm plötzlich aus und er hatte Angst vor Menschen, konnte in keinen Flieger und keine U-Bahn einsteigen. Rückblickend und bedauernd sagte der Musiker über seine Drogenkarriere in der »Zeit«, Ausgabe Nr. 5, 2011, dass man das Dealen und den Konsum »nicht tolerieren« könne. Zu diesem Zeitpunkt war er aber schon über ein Jahrzehnt clean, er rauchte nach eigenen Angaben keine Zigaretten und verkniff sich auch den Alkohol.

Damals aber, als er im Erziehungsheim war, kam er erstmalig von den Drogen los, und man kann sagen, dass es für Anis eigentlich gut lief.

Das galt auch für seine Ausbildung. Er lernte gut und steuerte damit sogar auf eine erfolgreiche Laufbahn als Handwerker zu, denn er war als Auszubildender im Erziehungsheim so weit gekommen, dass er zur Gesellenprüfung zugelassen worden war. Das bedeutete, dass er aus dem Verband nicht mehr ausgeschlossen werden konnte, selbst wenn er nicht als Maler und Lackierer arbeitete.

Doch Anis hatte schon wieder genug. Er ging einfach nicht mehr in das Heim und wurde deshalb 2001 schlicht entlassen, ohne die Abschlussprüfung absolviert zu haben. Der spätere Rapper Fler, der Anis offensichtlich sehr verbunden war, verließ kurz darauf ebenfalls das Erziehungsheim. Auch er brach seine Ausbildung einfach ab.

Dass Anis nun rausgeworfen worden war, hatte Konsequenzen. Beim Arbeitsamt bekam er wegen seines Verhaltens – er war durch eigenes Verschulden arbeitslos geworden – eine Sperre des sonst fälligen Arbeitslosengeldes für die Dauer von drei Monaten, das heißt, er bekam drei Monate kein Geld und war nicht krankenversichert.

Aber was nun? Vielleicht doch als Maler und Lackier arbeiten? Das wäre sogar gegangen, denn er absolvierte nach seinem Rausschmiss doch noch seine Gesellenprüfung. Aber eine Handwerkerkarriere war nicht sein Ding, das spürte er.

Eine andere Möglichkeit kam ihm in den Sinn, er wollte in der Abendschule das Abitur nachholen. Aber Anis konnte mit den anderen Menschen dort nichts anfangen. Es war zu deprimierend für ihn. Also schmiss der Berliner nach drei Wochen dieses Vorhaben ebenfalls hin. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich allerdings eigentlich schon längst entschieden, in welche Richtung sein Leben gehen sollte. Denn er hatte schon lange die Musik für sich entdeckt, die ihn prägen und sein Leben bestimmen würde: den Rap …

3. Rap-Lehrling

Bushido entdeckt die Musik | Schon in der achten Klasse kam Anis Ferchichi mit der Welt des Hip-Hop in Berührung. Los ging es damit, dass er sich einen Edding-Stift nahm und die Wände der Schultoiletten damit vollkritzelte. Das war ihm bald nicht mehr genug und er wurde zum Sprayer, sprühte nachts Graffiti. Das machte Anis allerdings nicht im Alleingang, sondern zusammen mit einem Jungen, mit dem er sich während dieser Zeit anfreundete und der sich Vader nannte. Sie besprühten Straßenbahnen, U-Bahnen und Gebäude. Als Sprayer nannte sich Anis »Fuchs.« Das Pseudonym gefiel ihm, weil er sich so leicht sprühen ließ und außerdem gut aussah.

Anis führte Mitte der 1990er-Jahre ein regelrechtes Hip-Hop-Leben. Er war als Graffiti-Künstler unterwegs, hing in U-Bahn-Stationen ab und lieferte sich mit seinen Kumpels ab und zu einen Schlagabtausch mit der Polizei auf der Straße, wie im Hip-Hop-Magazin »Juice« in dessen Onlineausgabe vom 11. Dezember 2011 zu lesen war. Es war ein gutes Gefühl für ihn, wenn er mitbekam, dass seine Tags, sein ganz individuelles Kürzel seiner Graffiti-Zeichen, erkannt wurden.

Aber das war ihm nicht genug, wie er in seiner Autobiografie schreibt, Anis wollte richtig berühmt werden, Erfolg haben und eine Menge Geld verdienen, wie er selbstbewusst in einem Artikel auf »focus.de« vom 7. Februar 2010 erzählt. Und das würde nicht funktionieren, indem er weiterhin nur als Sprayer unterwegs war, und genauso wenig über die Laufbahn eines Kriminellen, die er damals einzuschlagen drohte.

Als andere Erfolg versprechende Chance, seine Ziele zu erreichen, erschien Anis der Rap, den er schon als Kind begeistert gehört hatte. Der Berliner spürte, dass die Musik sein Weg zum Erfolg sein würde. Und darüber hinaus war sie eine Möglichkeit für ihn, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken. Damit nicht genug: Anis nahm sich vor, den deutschen Hip-Hop in eine andere Richtung zu bringen, denn was in der Szene Mitte der 1990er-Jahre lief, war überhaupt nicht mehr sein Ding, wie er in seiner Autobiografie verrät.

So kam er schließlich im Sommer 1998 zum Hip-Hop. Er lieh sich von einem Freund einen Drumcomputer. Damit baute er seine ersten eigenen Beats, sampelte Sounds von alten Schallplatten, scratchte. Das machte er über Stunden hinweg, Tag und Nacht.

Ende der 1990er lernte Bushido über einen ehemaligen Lehrlingskollegen Def Bringer kennen, einen Rapper, der sich damals in King Orgasmus One umbenannte, kurz Orgi genannt. Der war damals bereits als Rapper unterwegs und veröffentlichte seine Produktionen über ein Berliner Undergroundlabel namens Bassboxxx, das die Rapper Frauenarzt, MC Bogy und DJ Manny Marc 1998 gegründet hatten. Mit dieser Bassboxxx-Clique war Anis von nun an unterwegs. Darüber hinaus knüpfte er in dieser Zeit etliche Verbindungen zu vielen anderen Musikern der sich neu entwickelnden und geradezu explodierenden Berliner Hip-Hop-Szene. Anis begann zu rappen, baute Beats und bastelte weiterhin an seinen musikalischen Talenten.

Er traf sich oft mit seinen Freunden in seinem Kinderzimmer, machte dort Musik und orientierte sich an Hip-Hop-Ikonen, die er damals gern hörte, zum Beispiel Public Enemy, KRS-One und N. W. A. Die Zeiten, als er in seinem Zimmer als Kind Poster des schwedischen Pop-Duos Roxette aufgehängt hatte, waren vorbei – obwohl er deren Musik weiterhin mochte.

Der erste Schritt zum Hip-Hop-Musiker war für Anis also getan. Nun fehlte nur noch ein packender Künstlername, damit er richtig durchstarten konnte. Dabei war ihm erst einmal wichtig, überhaupt einen Namen zu finden, und der musste gut klingen und ein einprägsames Schriftbild haben, dann erst war die Bedeutung relevant.

Die Idee für seinen Künstlernamen kam dem Berliner, als er einen Zeichentrickfilm sah, der einem Computerspiel vorgeschaltet war. Darin erzählte ein Sprecher vom Kampf, von Kriegern und rief am Schluss »Bushid !.« Das Wort kommt aus dem Japanischen und bedeutet ins Deutsche übersetzt »Weg des Kriegers.« Bushido ist heute ein Begriff für die Philosophie und die Verhaltensvorschriften der Samurai, also des Militäradels des späten japanischen Mittelalters. Nach deren Kodex gibt es sieben Tugenden, die ein Samurai zu erfüllen hat: Aufrichtigkeit und Gerechtigkeit, Mut, Güte, Höflichkeit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Ehre, Treue bzw. Pflicht oder Loyalität – ein kraftvoller Begriff, der Anis so sehr beeindruckte, dass er sich seitdem als Hip-Hop-Musiker Bushido nannte.

Zu dem japanischen Namen passt seine erste Tätowierung, die er sich mit 18 Jahren stechen ließ. Er suchte sich das japanische Schriftzeichen für Wahrheit aus und ließ es in seine rechte Hand tätowieren. Dies sollte übrigens nicht das einzige Tattoo bleiben. Das zweite Mal ließ er sich im Alter von 25 Jahren tätowieren, diesmal auf den Hals. Das Motiv war das Bushido-Logo, das Specter, einer der Chefs des Aggro-Berlin-Labels, bei dem er später unter Vertrag stand, für ihn entworfen hatte. Als drittes Tattoo folgte »Berlin«, der Schriftzug seiner Heimatstadt, auf dem linken Unterarm. Als Bushido beim Major-Label Universal unter Vertrag genommen wurde, stockte er seine Tattoo-Sammlung noch einmal auf. Er ließ sich »Electro Ghetto«, den Titel seines ersten Albums bei dem Medienriesen, auf den Arm tätowieren. 2007 folgte der Name seiner Mutter, Luise Maria, als nächstes Tattoo auf dem rechten Unterarm.