Bye Bye Baby - Caroline Sullivan - E-Book

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Caroline Sullivan

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Beschreibung

Die Bay City Rollers waren die erfolgreichste Boygroup der 70er Jahre und Caroline Sullivan war ihr größter Fan. Schlechte Songs und hässliche Schottenkarohosen führten dazu, dass erwachsene Menschen sich bis heute nicht als ehemalige Fans dieser Band outen. Caroline Sullivan bricht dieses Tabu. Voller Nostalgie spricht sie von ihrer unerfüllten Liebe zu den Schotten und ihren Songs. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Seitenzahl: 438

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Caroline Sullivan

Bye Bye Baby

Meine tragische Liebesaffäre mit den Bay City Rollers

Aus dem Englischen von Clara Drechsler

FISCHER Digital

Inhalt

Für Paul Mann, Rosemary [...]Prolog123456789101112131415161718192021222324252627282930313233343536373839Epilog

Für Paul Mann, Rosemary Davidson und die TTTs

Prolog

DIE BAY CITY ROLLERS hockten auf dem Boden meines Zimmers. Lasst mich das wiederholen. Die Bay City Rollers, die größten Teenidole ihrer Ära, ja, möglicherweise aller Zeiten, hockten auf dem Boden meines Zimmers, sahen fern und unterhielten sich in kehligem schottischen Gemurmel.

Nicht so schnell, beruhigte ich mein wild klopfendes Herz, während ich verstohlen am Kragen meines beinah ärmellosen T-Shirts kaute (in diesem Sommer der letzte Schrei, besonders mit einem Bild von Betty Boop vorne drauf, wie bei meinem). Ich rede mir gerne ein, man hätte mir nicht angemerkt, wie fassungslos ich war, aber ihre Gegenwart hatte eine derart überwältigende Wirkung auf mich, dass es mich alle Mühe kostete, den Mund nicht offen hängen zu lassen.

Um ehrlich zu sein, waren nur zwei Rollers da, Leslie McKeown, der Sänger, und Woody, der Bassist, in Begleitung ihres Bodyguards, aber die Tatsache, dass überhaupt welche von ihnen da waren, in meinem Zimmer in einem Hotel in Downtown Detroit, war das Aufregendste, das mir je widerfahren war. Man könnte sagen, dass fast alles, was ich zwischen dem 30. September 1975, dem Tag ihres ersten Amerikabesuches, und heute, dem Abend des 25. August 1977, unternommen hatte, in Erwartung dieses Augenblicks geschehen war.

Diese zwei Jahre rollten jetzt vor meinem inneren Auge ab, etwa so, wie man es angeblich kurz vor dem Tod erlebt. Das passte, denn näher bin ich einem Tod durch unterdrückte Hysterie nie gewesen.

Einige der Dinge, die mir durch den Kopf schossen: die eiskalten Nachmittage – es schien immer Winter zu sein –, an denen ich vor Hotels herumlungerte, um ihnen für zehn Sekunden dabei zuzusehen, wie sie in ihre wartenden Limousinen spurteten. Stundenlanges Brüten über Zeitschriften, aus denen ich jede noch so winzige Erwähnung ausschnitt und feierlich in eins von fünf überquellenden Sammelalben klebte. Der falsche schottische Akzent, mit dem ich Angestellte irgendwelcher Fluggesellschaften zu überzeugen versuchte, ich sei eine Rollers-Mitarbeiterin und ob sie vielleicht meinem Gedächtnis auf die Sprünge helfen könnten, welchen Flug die Band doch gleich nahm? Die Fehlzeiten bei der Arbeit, um zu jedem Gig, jedem Fernsehauftritt zu gehen. Die Strategiebesprechungen mit ähnlich tragisch veranlagten Freundinnen.

Und plötzlich waren die Männer meiner Träume zum Greifen nah, atmeten dieselbe verqualmte Luft wie meine Freunde Kim, Sue P, Barbarino und ich. Erstaunlicherweise waren sich Leslie und Woody nicht bewusst, was sie in uns auslösten, während sie dahockten, in den Fernseher glotzten, einen Joint rauchten und Unergründliches vor sich hin murmelten. Es war kurz vor Mitternacht am Abend des Tages, an dem sie das vor-vor-vorletzte Konzert ihrer diesjährigen Amerikatour gegeben hatten, und sie waren müde und maulfaul.

Nichtsdestotrotz waren meine Mit-Rollermaniacs und ich so verzückt, dass es uns die Sprache verschlagen hatte. Unter dem Vorwand, eine Zigarette zu suchen, kramte ich in meiner Tasche nach dem Kassettenrecorder, den ich benutzt hatte, um das Konzert am Nachmittag mitzuschneiden, und schaltete ihn ein. Ich wusste, wenn ich dieses einmalige Erlebnis nicht irgendwie festhielt, würde ich mich später umbringen.

In der Zwischenzeit versuchten wir, mit unseren Idolen – die nun so was wie unsere Freunde waren – ein Gespräch anzufangen, während sie rauchten, Budweiser tranken und in gurgelndem Edinburgher Dialekt miteinander redeten. Aber was sagt man zu jemandem, den man so sehr liebt, dass man schon mal einen seiner Zigarettenstummel aus einem Aschenbecher gestohlen und in ein Sammelalbum eingeklebt hat?

Trotzdem versuchten wir es mit ein wenig Smalltalk. »Und, hat euch der Gig heute gefallen?«, fragte ich Leslie, der aufregenderweise nicht seine karierte Rollersuniform, sondern ganz normale Jeans und eine Strickjacke mit Gürtel à la Starsky & Hutch trug.

Er wandte sich langsam zu mir um und sah mich zum ersten Mal in der halben Stunde, seit der sie jetzt da waren, direkt an. Der Blick ging mir direkt in die intimsten Körperteile.

»Es war ganz okay.« Seine dünnen Lippen bewegten sich kaum beim Sprechen. Und mit einer Miene absoluter Endgültigkeit wandte er sich wieder dem Fernseher zu.

So kamen wir nicht weiter. Es war klar, dass sie nicht plaudern wollten und unsere Gesellschaft nur duldeten, weil wir das Bier und das Pot mitgebracht hatten. Meine Freundinnen und ich wechselten konsternierte Blicke, und Sue, ein ziemlich üppig bestücktes Mädchen, verschränkte die Arme unter ihrem Busen, um ihn mehr hervorzuheben, als könnte dieser Anblick die Rollers aus ihrem Schneckenhaus locken. Aber abgesehen von einem kaum merklichen Weiten der Augen blieb eine Reaktion aus.

Als gute Gastgeberin, die eine todgeweihte Party zu retten versucht, bot ich mehr Bier und Zigaretten an, und Barbarino rollte mit einer Geschicklichkeit, die über seine gutbürgerlich-jüdische Herkunft hinwegtäuschte, noch einen Joint. Leslie nuckelte eine Weile daran und gab schließlich den Kommentar ab: »Er ist ein bisschen trocken.« Es war nicht viel, aber wir stürzten uns hungrig auf diese wenigen Worte. Mehr kostbare Nahrung für den Kassettenrecorder, der in meiner Tasche eifrig schnurrte.

Ich wusste, dass Kim und Sue sich kaum beherrschen konnten, Leslie und Woody darum zu bitten, ihren Lieblingsroller, den Gitarristen Eric Faulkner, anzurufen und ebenfalls zu unserer kleinen Soiree einzuladen. Glücklicherweise verkniffen sie es sich, denn so wie es aussah, wären sie beim leisesten Anzeichen fanartigen Verhaltens in ihre eigenen Zimmer verschwunden, um sich nie wieder aus nächster Nähe zu zeigen. Und das wollten wir nicht. O Gott, nein.

Dieser unglaubliche Coup war uns durch den simplen Kunstgriff gelungen, uns mit Big Bobby, dem Bodyguard, anzufreunden. Es war Kim, die das mit dem Anfreunden besorgte. Aber um jeden falschen Eindruck zu vermeiden: Ihre Beziehung war rein platonisch, obwohl ich vermute, dass Bobby es gerne anders gehabt hätte. Sie waren vor einer Woche bei einem anderen Gig ins Gespräch gekommen, und Kim hatte es Bobby angetan, ganz offensichtlich, weil sie älter und sexier als der durchschnittliche BCR-Fan war. Mit einundzwanzig war sie nach Bobby die älteste Person im Raum, und sie war mit dieser zart gebräunten Hübschheit gesegnet, auf die Männer ja immer reinfallen. Glücklicherweise war ihr auch ein nebelhornartiger Queens-Akzent mit in die Wiege gelegt worden, der verhinderte, dass ihr Charme allzu überwältigend wurde.

Na, jedenfalls, beim heutigen Konzert in Youngstown, Ohio, war es ein Klacks, Bobby ausfindig zu machen und in Erfahrung zu bringen, dass sie die Nacht in Detroit verbringen würden, 125 Meilen weiter nordwestlich, an der anderen Seite des Eriesees.

Nach dem Gig rasten wir vier quer durch den Staat von Youngstown nach Cleveland, um den letzten Flug nach Detroit zu erwischen. Sobald wir im Rollers-Hotel angekommen und in zwei angrenzende Zimmer im vierten Stock eingecheckt waren (Kim zog den Kürzeren und musste mit Barbarino, einem Schnarcher und Betatscher, das Zimmer teilen), hatten wir uns mit Bobby in Verbindung gesetzt, der Leslie und Woody hergezaubert hatte.

Da waren wir also – die Rollers und wir. Und wie sich herausstellte, waren sie ein ziemlicher Reinfall. Irgendwann gaben wir es auf, an sie ranzukommen, und sahen nur noch zu, wie sie Bier in sich reinkippten und Barbarinos Gras aufrauchten. Nach etwa einer Stunde schlurften sie in ihre eigenen Zimmer zurück, und sie waren noch keine Sekunde weg, als ich auch schon fast meine Tasche in Fetzen riss, um den Kassettenrecorder rauszuholen. Kim, Sue und Barbarino drängten sich um mich und wagten kaum zu atmen. Ich drückte auf Play. »Doosagreetmufflewump«, sagte Woody. »Haggafnarswufflemump«, antwortete Leslie, höchst amüsiert. Es war der Akzent. Wir verstanden kein einziges Wort. Typisch.

1

DER TAG, AN DEM ich meine Rollers-Sammelalben wegwarf, markierte einen Wendepunkt meines Lebens. Es gab eine Zeit, in der ich lieber nackt den Broadway entlanggelaufen wäre, als von diesen Sammelalben zu lassen. Aber jetzt hatten wir Oktober 1996, und ihre mysteriöse Macht über mich hatte sich so weit verflüchtigt, dass ich diese kunstledernen Verbindungen zur Vergangenheit nicht mehr brauchte. Bevor ich sie in den Müllschlucker im Manhattaner Apartmenthaus meiner Mutter entsorgte, blätterte ich sie jedoch noch einmal durch und warf einen letzten Blick auf den Krimskrams – Zeitungsausschnitte, halb gerauchte Zigaretten und was nicht alles –, den ich zwischen 1975, als ich sie entdeckte, und zirka 1979, als ich zu dem Schluss kam, ich sei jetzt zu alt für solche Sachen, zusammengetragen hatte.

Über das zweite Datum äußere ich mich normalerweise etwas verschwommen, weil niemand, der auch nur einen Hauch Credibility besitzt, zugeben würde, dass er 1979 noch auf die Rollers gestanden hat. Elvis Costello, klar, oder Police oder sogar die Bee Gees, aber wer sich dazu bekennt, die Rollers noch so lange gut gefunden zu haben, kann sich gleich als Soziopath ohne Freunde outen.

Selbst in ihrer großen Zeit von 1974 bis 1976 galten sie bei allen außer vierzehnjährigen Mädchen als haarsträubend uncool. Es lag nicht nur an ihrem schwachbrüstigen Teenie-Pop, sondern auch an ihrem puritanischen Image, das in der Angewohnheit gipfelte, bei Pressekonferenzen Milch zu trinken. Später sickerte durch, dass ihr Manager sie dazu gezwungen hatte, aber da war der Schaden schon angerichtet.

Nein, Leslie, Eric, Woody, Alan und Derek, die bedauernswerten Milchbubis, waren niemals cool. Selbst das Seventies-Revival, das Bands wie Abba und Hot Chocolate wieder zu Kitsch-Hip-Status verhalf, ging über sie hinweg. Und um dem Schaden noch den Spott hinzuzufügen, machten meine besten Roller-Freundinnen Sue P, Sue J, Emma und Cathy eine Wendung um hundertachtzig Grad und behaupten mittlerweile, sie nie gemocht zu haben. Als ich Emma anrief, um ihr zu erzählen, dass ich ein Buch über die Rollers schrieb, lautete ihre prompte Antwort: »Aber dann änderst du gefälligst meinen Namen.«

Doch einige von uns haben keine Scheu, sich öffentlich zu den Rollers zu bekennen. Nicht, dass ich aus meiner Verehrung je einen Hehl gemacht hätte. Ich habe sie verzweifelt geliebt. Vier Jahre lang lebte ich nur für sie. Dies ist keine hübsche Geschichte.

2

MITTE DER SIEBZIGER ein Teenager in Amerika zu sein bedeutete vieles, unter anderem einen schrecklichen Haarschnitt und einen noch schrecklicheren Musikgeschmack. In New Jersey, das nur durch den Hudson River von Manhattan getrennt war, aber in seliger Unkenntnis der Trends aus der großen Stadt lebte, bedeutete es, dass jeder Tag ein Kampf mit der Frisur war und jeder Abend ein willkommener Anlass, ein Eagles-Album zu hören. Und in Millburn, New Jersey, einer Kleinstadt zwanzig Meilen westlich von New York, der bewusste Teenager zu sein bedeutete noch wesentlich Schlimmeres.

Nicht, dass es sich in Millburn nicht leben ließ. Millburn war kleinstädtisch im besten Sinne des Wortes, sein altmodischer Stadtkern gruppierte sich um einen Bahnhof, ein Kino und Schnippers Schreibwarenladen, in dem Generationen von Schulkindern ihre Schreibhefte und Füller gekauft hatten. Etwas weiter die Millburn Avenue entlang, wenn man die Läden hinter sich gelassen hatte, kam man zur Town Hall, wo eine Gedenktafel an Millburns große Stunde erinnerte – damals im Unabhängigkeitskrieg, als Washingtons Truppen hier einen britischen Vormarsch aufhielten und die Rotröcke so in den Arsch traten, dass sie bis nach New York zurückflogen. »Die Briten wagten sich nie wieder so weit in das Gebiet von New Jersey vor«, endete der Text triumphierend.

Etwa eine weitere halbe Meile die baumbestandene Straße hinunter befand sich die Millburn High School, ein brauner Backsteinklotz aus den Fünfzigern, der inmitten endloser Reihen von Spielfeldern lag. Sie hatte einen Parkplatz für Jugendliche, die mit dem eigenen Wagen zur Schule fuhren. Das taten erstaunlich viele, da ein eigenes Auto die übliche Belohnung für die bestandene Fahrprüfung war. Die Stadt hatte Geld – die Väter waren Anwälte oder Ärzte, oder sie pendelten zu ihren Wall-Street-Jobs nach Manhattan –, was jedoch durch eine Kleinstadtatmosphäre abgemildert wurde, in der man seine Nachbarn kannte und sogar mochte.

Meine Mutter und ich lebten vis-à-vis der High School, wir hatten in einem kleinen Neubau eine Dreizimmerwohnung mit Aussicht auf eine pinienbestandene Rasenfläche. Mein Zimmer, wo ich den Großteil meiner Zeit mit Anfällen pubertärer Verbitterung zubrachte, wurde dominiert von einem pinkfarbenen Flokati und dem, was ich stolz meine ›Anlage‹ nannte: ein Plattenspieler, der so antiquiert war, dass er noch eins von diesen Dingern hatte, mit denen man Platten stapeln konnte, um drei oder vier hintereinander abspielen zu können, ohne dass man aufstehen musste, um sie zu wechseln. Sie verfügte außerdem über ein Abspielgerät für Eight-Track-Kassetten, das beim Transport beschädigt worden war, darum hatte ich es nie benutzen können. Es traf sich gut, dass Eight-Tracks gerade von Musikkassetten verdrängt wurden, die ich mir auf einem separaten Gerät von etwa dreißig mal zwanzig Zentimeter Größe anhörte.

In einer rebellischen Anwandlung hatte ich die Beine von meinem Bett abgeschraubt, das nun direkt auf dem Boden stand. Vervollständigt wurde das Gesamtbild durch meine Poster, die die komplette Wand über dem Bett einnahmen. An prominentester Stelle hing ein riesiges von Bad Company, auf dem man die langhaarigen Häupter der britischen Rocker vor grünem Hintergrund sah, und dazu die Aufschrift: »Does your Mama know you’ve been keeping Bad Company?« Meine anderen Helden waren ebenfalls vertreten: ein Bild von Mick Jagger mit engelsgleich gefalteten Händen, ein Aufkleber, auf dem »The Kinks: Ray Davies does it to me!« stand, das Band eines Souvenir-Cowboyhutes, der vom ZZ-Top-Gig 1974 im Madison Square Garden stammte, und ein kleiner Schnappschuss von Roger Daltrey von The Who auf der Bühne. Der war mein eigenes Werk – ich hatte die Idee gehabt, ein Zeitschriftenfoto von Roger Daltrey an die Wand zu pinnen und es dann abzufotografieren, damit es aussah, als hätte ich vor der Bühne gestanden und das Bild selbst geschossen. Ich hatte nur die Spiegelung auf dem Hochglanzpapier der Zeitschrift nicht einkalkuliert, darum war mein Foto von einem weißen Fleck verunziert, der den größten Teil von Daltreys Gesicht überdeckte.

Doch so angenehm das Leben in Millburn auch war, in Sachen Credibility gab es nicht viel her, nicht damals. Credibility ergab sich hauptsächlich daraus, welche Musik man mochte, und unsere Stadt gehörte nicht zum Einzugsgebiet von Newark oder Jersey City, wo die Kids hippe Discomusik hörten. Millburns Wohlhabenheit forderte einen kuriosen Tribut. Jugendliche konnten sich hier so viel Dope leisten, wie sie rauchen konnten, und mit dem Dope kam der Wunsch, nicht etwa hippe Discomusik zu hören, sondern Led Zeppelin, Pink Floyd und, so weh es tut, das zuzugeben, Emerson, Lake & Palmer.

Aber mit dem Hören allein war es nicht getan. Sobald man sich in jemandes holzverkleidetem Partykeller in einen Sitzsack hatte fallen lassen und Robert Plants Stinktierjaulen den Marihuanarauch durchschnitt, begann todsicher irgendjemand, die Musik zu analysieren. Mit Himmelsleitern und Gewusel in irgendwelchen Hecken konnten wir uns stundenlang amüsieren. Was hatte das alles zu bedeuten?

Dann nahm sich irgendein anderer das Plattencover vor, sehr beliebt etwa Led Zep’s Houses of the Holy, das man für überaus bedeutungsschwanger hielt: »Was machen diese Kinder auf den Felsen? Versuchen sie, rauf- oder runterzuklettern? Drückt es die Sinnlosigkeit allen Seins oder Hoffnung aus?« Dann reichte man den Joint weiter und stellte fest, dass man von dem Dope wahren Heißhunger bekommen hatte, den man gierig mit einer Tüte Lay’s Kartoffelchips zu stillen versuchte, deren Inhalt dann über das ganze Cover krümelte. Das konnte stundenlang so gehen.

Ich wünschte, ich könnte sagen, ich hätte mit all dem nichts zu tun gehabt, aber ich war genauso darin verstrickt wie alle anderen. Ich besaß das Gesamtwerk von Led Zeppelin, ein paar Deep-Purple-Alben, sogar ein Livealbum von Grand Funk Railroad, einem prototypischen Metalact, der sich so wenig Freunde machte, dass der Name später praktisch aus der Rockgeschichte getilgt wurde.

Und das war es auch schon mit Millburn. Das war es mit amerikanischer Vorstadtkultur. Wenn man zur weißen Mittelklasse gehörte, kiffte man sich jedes Wochenende zu und hörte scheußliche Musik. Das war Gesetz. Besonders die scheußliche Musik. In den Achtzigern gab es einen Film mit dem Titel Dazed and Confused (natürlich nach einem Led-Zep-Song benannt, wie jedes Kind der Siebziger weiß), in dem ein Satz fiel, der es auf den Punkt brachte: »In den Siebzigern hatte jeder amerikanische Jugendliche Frampton Comes Alive! zu Hause – mit der Scheibe wurde man praktisch geboren.« Wie Recht sie hatten.

Frampton Comes Alive! – und, logisch, ich hatte sie – war die archetypische Suburban-Seventies-Platte. Es war das meistverkaufte Album von 1976, eine Doppel-LP-Orgie endloser Gitarrensoli mit dem dazu passenden Miauen des milchgesichtigen britischen Sängers Peter Frampton. Sie war melodiefrei und hatte eine Spielzeit von etwa drei Tagen, und damit war sie perfekt für diese Zeit der roten Augen. Sogar Millburns gediegenste Partykeller auf der White Oak Ridge Road, wo Jugendliche sich ganze Sixpacks Budweiser leisten konnten, um den Dopegeschmack runterzuspülen, hallten wider von Framptons blechernem Gewimmer. Wir nickten immer leicht aus dem Takt mit dem Kopf dazu, ehrfurchtsvoll angesichts solcher Brillanz.

Und für den unwahrscheinlichen Fall, dass man weder Frampton- noch Zep-Fan war? Dann gab es reichlich anderen schwergewichtigen Stoff, an dem man sich festbeißen konnte. Yes boten mit ihrem keyboard-dominierten Progressive Rock und der berühmten verschnörkelten Covergestaltung viel Stoff zum Nachdenken. Das Cover von Tales from Topographic Oceans beschäftigte uns wochenlang. Dann gab es die erdigeren Deep Purple, deren Ian Gillan mir ein bewunderndes Knurren abnötigte. Und wenn man amerikanische Rockmusik bevorzugte, was bei mir nicht der Fall war, versorgten einen die Eagles mit »Kiffersounds« (ihre eigenen Worte), zu denen man sein Gras rauchen konnte.

Nicht auszudenken – während wir uns bei Yes und Led Zep bekifften (eigentlich waren es nur meine Freunde, die sich bekifften – mir hat es nie was gebracht, und nach ein paar Versuchen gab ich es auf), hörten die unterprivilegierten Kids in Newark, einer gefährlichen großen Stadt zehn Meilen weiter weg, in die wir nie einen Fuß setzten, Marvin Gaye und die O’Jays. Wie wir sie für ihre Unfähigkeit, echte Musik zu würdigen, bedauerten.

Wie man sieht, ließ nichts in meiner musikalischen Vorgeschichte darauf schließen, dass die Bay City Rollers eines Tages mein Leben dominieren sollten. Wie jeder andere pubertierende Teenager, den ich kannte, hörte ich die peinlichste Musik einer peinlichen Ära. Aber sie war normal-peinlich, nicht tragisch-peinlich. Normal-peinlich waren die eben erwähnten Bands; tragisch-peinlich waren die Osmonds, David Cassidy und die anderen Hühnerbrüste, die einem in den Frühsiebzigern als Teenidole verkauft wurden.

Okay, ich liebäugelte kurz mit Cassidy, als ich mir ein paar Partridge-Family-Singles kaufte, aber seine schlaffe Niedlichkeit ließ mich unbefriedigt. Dann schwärmte ich versuchsweise für Bobby Sherman, den zottelhaarigen, schweinchengesichtigen Star der Fernsehserie »Here Comes the Bride«. Er versuchte sich nebenbei auch im Musikgeschäft – ein Vorreiter der ganzen irregeleiteten Schauspielerriege, die es ihm heute nachtut –, und irgendwie gefiel mir der herrische Umgangston in seinem Hit »Little Woman«. »Hey, little woman«, kommandierte er, »you gotta come into my world and leave your world behind.« Ich schätzte Männer, die einem sagten, wo’s langging, war jedoch erschüttert, als er irgendwann 1971 auf einer Pressekonferenz gestand, dass er seit zwei Jahren heimlich verheiratet war und demnächst Vater werden würde.

Aber am motivierendsten wirkte auf mich Pete Duel, der attraktive Dunkle aus »Alias Smith and Jones«, der sich am Silvesterabend 1971 eine Kugel in den Kopf jagte. Das Datum bleibt mir unvergesslich, weil ich ihm am Tag zuvor einen Fanbrief geschrieben hatte. Es war ungefähr mein zwölfter Brief an ihn, aber ich hatte nie eine Antwort erhalten. Wahrscheinlich hatte er nie einen der Briefe zu sehen bekommen, die ich an den Fernsehsender in Los Angeles schickte, aber ich ging einfach mal davon aus, dass er mich böswillig ignorierte. Ich war mittlerweile ziemlich eingeschnappt angesichts seiner schlechten Manieren, darum traf es mich, als ich an diesem Abend von seinem Tod erfuhr, weniger hart, als es mich einige Monate zuvor getroffen hätte. Wenn überhaupt, brachte es mich zu der Erkenntnis, dass ich mich lange genug mit Teenidolen aufgehalten hatte.

Aus meiner Teeniebopperphase wuchs ich daher ziemlich früh heraus. Mit vierzehn begeisterte ich mich für ›richtige Musik‹ – nicht bloß Led Zeppelin, sondern die Kinks, Rod Stewart, Fleetwood Mac und sogar, gewagt, gewagt, David Bowie. In dem Sommer, in dem ich vierzehn wurde, ging ich zu meinem ersten Rockkonzert, einer Open-Air-Veranstaltung im Central Park mit den in Ehren ergrauten englischen Bluesveteranen Savoy Brown. Nach harten Verhandlungen mit meiner Mutter durfte ich schließlich allein gehen, allerdings bestand sie darauf, mich anschließend abzuholen, und weder Bitten noch Betteln konnte sie davon abbringen.

Der Gig war ein Wendepunkt. Obwohl Savoy Brown sich als spektakuläre Langweiler mit einer übertriebenen Vorliebe für Bärte und melodieloses Gejamme erwiesen, war ich von der Atmosphäre wie berauscht. Große Gitarren, große Verstärker, große Männer; das sprach mich an. Das Stimmengewirr des Publikums, das schmerzverzerrte Gesicht des Gitarristen, wenn er mit einer besonders schwierigen Passage kämpfte, das Teamwork der Roadies, die seitlich am Bühnenrand kauerten und darauf warteten, eine Gitarrensaite zu wechseln oder ein Kabel zu entwirren – so etwas bekam man in Millburn nicht zu sehen. Ich war ungeheuer beeindruckt.

Am nächsten Tag kaufte ich Eintrittskarten für die nächsten beiden Gigs im Central Park. Ich hatte weder von Quicksilver Messenger Service noch von der James Gang je gehört, und beide erwiesen sich als verschnarchte West-Coast-Rocker, aber als ich dort eintraf, berauschte ich mich an der heißen Augustluft, die über der Bühne zitterte, und dem blauen Cannabisrauch, der in den dämmernden Himmel davontrieb. Ich berauschte mich trotz ihrer Lahmarschigkeit sogar an der James Gang und an Quicksilver Messenger Service, weil sie so langhaarig, cowboybestiefelt und begehrenswert aussahen. Nicht mal Mark Winkels, der begehrteste Junge der Millburn High School, konnte diesen Exoten das Wasser reichen.

Am Ende des Jahres war ich so weit, dass ich mindestens alle vierzehn Tage zu einem Konzert ging und Karten für alles kaufte, was sich interessant anhörte, auch wenn ich nichts über die Band wusste. Ich war flatterhaft, promisk und verleibte mir so viel Musik wie möglich ein. Es war eine fruchtbare Zeit für Rockmusik, die Hippie-Sechziger waren von ganz neuen Genres unsanft beiseite geschoben worden; da gab es Glamrock, Urban Blues (à la Exile on Main Street) und den rauen, aber herzlichen Testosteron-Pop von Rod Stewart, den ich umwerfend fand. So umwerfend, dass ich sein Lieblingsgetränk Brandy sofort probieren musste und länger reiherte, als ich es je für möglich gehalten hätte.

Ma verlor schließlich die Lust, mich nach jedem Konzert abzuholen, und ließ mich mit dem Zug um dreiundzwanzig Uhr dreißig alleine nach Millburn zurückfahren, immer noch beseelt von Alice Cooper oder welcher Eintrittskartenabschnitt auch immer gerade in meiner Kaninchenfellhandtasche schlummerte. Wenn ich zu Hause war, nachdem ich unter einer heutzutage unvorstellbar scheinenden Missachtung aller Sicherheitsrisiken die eine Meile vom Bahnhof zu Fuß zurückgelegt hatte, schrieb ich eine ausführliche Konzertkritik in mein Tagebuch. Ein typischer Anfang las sich so: »Ich sah heute Abend Ten Years After in der Academy, und sie waren großartig. Der Gitarrist, Alvin Lee, war so mitreißend«, worauf ich dann weitere, eher noch atemlosere Beschreibungen folgen ließ. Ich hatte einiges davon hier wiedergeben wollen, aber es ist wirklich zu peinlich.

Es waren in der Regel einsame Expeditionen, weil niemand, den ich kannte, bereit war, sein gesamtes Taschengeld zu opfern und die weite Strecke nach Manhattan zu fahren, um selbst zu erleben, wie sich – wer noch gleich? –, o ja, Black Oak Arkansas anhörten. (Nämlich erbärmlich – welche Überraschung!) Mit Leuten sprach ich während der Konzerte auch kaum. Obwohl ich mir Mühe gab, mit Lippenstift in Pink und Revlon-Lidschatten mit dem hübschen Namen Baby Blue, war ich für den Geschmack der meisten Jungs zu groß, zu bebrillt und mit zu viel Arsch gesegnet, und ich kriegte die Zähne nicht auseinander, um selbst ein Gespräch anzufangen.

Manchmal versuchte ich es natürlich. Als ich bei einem Deep-Purple-Konzert im Felt Forum neben einem älteren Jungen saß, fiel mir ein todsicherer Anmachspruch ein: »Wie unterscheidet man eine Gitarre von einem Bass?« Schließlich erklären Jungs nur zu gerne technischen Kram, oder? Aber der Kerl verdrehte bloß die Augen, als wäre ich ein Idiot. »Ein Bass hat vier Saiten und eine Gitarre sechs«, antwortete er gereizt und nahm die Unterhaltung mit seinem Freund auf dem Nebensitz wieder auf.

Tja, wenigstens hatte ich etwas gelernt. Ich hatte nicht gewusst, dass es auf die Zahl der Saiten ankam.

Das alles ließ in mir den vagen Wunsch aufkeimen, irgendwie im Musikgeschäft zu arbeiten, obwohl ich nicht genau wusste, als was. Ich konnte weder singen noch ein Instrument spielen und hatte nicht den leisesten Wunsch, es zu lernen. Die ›Lady‹ eines Rockstars zu sein, wie man es damals nannte, klang verlockend, aber ein Blick auf Bianca Jagger und Angie Bowie genügte, um einzusehen, dass ich da nicht mithalten konnte.

Ich begnügte mich schließlich mit dem nebulösen Ziel, ›für eine Plattenfirma zu arbeiten‹. Aber schon damals wusste ich, dass meine angeborene Faulheit mich davon abhalten würde, diese Idee mit besonderem Elan zu verfolgen. Ich hätte einen der Betriebswirtschafts-Kurse an der Millburn High belegen können, was mich eventuell für einen Einsteigerjob in einer Plattenfirma qualifiziert hätte, aber das hörte sich zu sehr nach Arbeit an. Es war viel leichter, mir auszumalen, ich hätte mein eigenes Büro bei Atlantic Records (dem Heimatlabel von Led Zeppelin), während ich mich in einem Millburner Partykeller herumfläzte und meinen Freunden zuhörte, die Houses of the Holy auf ihren Gitarren begleiteten.

Dieses abgeschottete Dasein war vielleicht nicht sehr produktiv, aber eine angenehme Art, fünfzehn zu sein. Die Ölkrise und zwei Präsidenten, Ford und Carter, schafften es, spurlos an mir vorüberzugehen, während ich mich in meinen musikzentrierten Lebensstil vergrub. Ich schnitt Bilder aus den Zeitschriften Circus und Creem aus und machte daraus eine Collage mit meinen Lieblingsbassisten (vier Saiten gut, sechs Saiten schlecht), zu denen Zeps John Paul Jones, Boz Burrell von Bad Company und Jimmy Lea von Slade gehörten.

Ich abonnierte den Rolling Stone und fuhr jede Woche nach New York, um mir einen wahnsinnig überteuerten, einen Monat alten Melody Maker zu kaufen. MM machte mich mit absonderlichen englischen Genres wie ›Pub Rock‹ bekannt und damit zur wahrscheinlich einzigen Person in Millburn, die nicht nur den Namen jedes Mitglieds von Brinsley Schwarz, sondern auch dessen Geburtstag kannte.

Und ich wurde treue Hörerin von WNEW-FM, New Yorks wichtigstem Rocksender. Er räumte seinen DJs erstaunliche Freiheiten ein, DJ-Star Alison ›The Nightbird‹ Steel durfte zum Beispiel ihre Nachtsendung jedes Mal mit einer Lesung eigener Gedichte beginnen. Es war immer irgendein süßliches Gefasel über das Einssein mit dem Universum, das sie, damit es einem auch so richtig hochkam, in dramatischem Flüsterton rezitierte und stets mit den Worten abschloss: »Come. Fly with me. Alison Steel, the Nightbird.« Dieses Geflüster war Teil der Nightbird-Rolle, und ich war wie elektrisiert, als sie bei einem Jefferson-Starship-Konzert enttarnt wurde. Der Nightbird kam auf die Bühne und krakeelte wie ein Fischweib. Legendär. Das bestärkte mich in meinen zaghaften Music-Biz-Ambitionen.

Aber von meiner Musikbesessenheit abgesehen, hätte ich mich auf einem Klassenfoto von 1976 in keiner Weise von den anderen abgehoben. Außer natürlich dadurch, dass ich größer als die meisten Jungen war und ungebärdige Locken hatte, während damals nur schnurgerade und in der Mitte gescheitelt in Frage kam. In jeder anderen Hinsicht war ich ein Musterbeispiel an Konformität und steckte in den gleichen elefantösen Schlaghosen, Tanktops und Boots wie alle anderen. Das war die Uniform amerikanischer Schüler und Studenten zwischen etwa 1970 und 1990. Man kleidete sich bequem, nicht stilvoll. Wenn man auch noch Stil wollte, machte man irgendwas mit seinen Haaren, einen Farrah-Fawcett-Schnitt zum Beispiel. Traurigerweise kam das für mich nicht in Frage – mit meinem Haar ließ sich nichts anderes anfangen, als es kinnlang zu schneiden und zu hoffen, dass es, wenn ich morgens aufwachte, nicht an einer Seite platt gequetscht war und an der anderen Seite abstand wie ein Busch.

Millburn war nun mal nicht der Ort für modische Extreme, selbst in den glamrockenden Frühsiebzigern nicht. Uns trennten zwar gerade mal zwanzig Meilen von New York City, aber wenn man die Millburn Avenue entlangspazierte, hätte man sehr lange nach einem paillettenbesetzten Catsuit oder einer einzigen Ziggy-Stardust-Frisur Ausschau halten müssen. Tatsächlich besaß ich meines Wissens das einzige Glitter-Shirt in der ganzen Stadt.

Ich hatte es 1973 bei einem Konzert dem Sänger Todd Rundgren geklaut, der damit auf die Bühne gekommen war, ein schwarzes, langärmliges Teil mit einem Motiv in funkelndem Lila. Mitten im Gig – es war ein heißer Augustnachmittag – zog er es aus und hängte es über einen Verstärker. Zu seinem Pech hatte man es einigen Fans, darunter auch mir, gestattet, auf die Bühne zu klettern. Ehe ich mich versah, war ich hingepirscht und hatte das Shirt in meiner Tasche verschwinden lassen, schockiert über mich selbst, aber versessen auf dieses persönliche Souvenir von Rundgren, dessen Single »I Saw the Light« einer meiner Lieblingssongs war. Der Gedanke, wie er sich ärgern würde, wenn er feststellte, dass das Shirt weg war, genügte nicht, mich davon abzuhalten. Ich trug es viele Jahre lang, aber immer mit schlechtem Gewissen.

Rundgrens Shirt war ein Punkt, in dem mein Geschmack von dem meiner Freunde abwich. Der andere wichtige war mein Interesse an britischer Kultur, besonders der Musik.

Genauer gesagt, begann und endete mein Interesse an britischer Kultur bei Musik. Ich war entsetzt über die außermusikalische Seite dieser Kultur, mit der ich meine ersten Erfahrungen machte, als ich im Frühjahr 1976 einen Brieffreund in London besuchte. Das Fernsehprogramm endete um Mitternacht, und es gab keine Zentralheizung. Keine Zentralheizung! Was sollte das sein, 1945?! Deren Fehlen führte einen Zustand herbei, den man ›klamm‹ nannte und dem ich zum erstenmal in dem eiskalten Reihenhaus in Nordlondon begegnete, in dem mein Brieffreund lebte. Die Erfahrung war so schockierend, dass ich während meines gesamten Besuchs über nichts anderes reden konnte, und als mich eines Abends jemand zum Gig einer obskuren Band namens Sex Pistols einlud, entschied ich mich, lieber in einen gut geheizten Pub zu gehen, den ich entdeckt hatte. »Ich hab’s lieber warm«, winselte ich. Ja, so war ich – immer am Puls der Zeit.

Aber obwohl ich mir die Sex Pistols entgehen ließ, kannte ich mich mit britischer Popmusik aus, von Gary Glitter bis Traffic. Sie berührte mich auf eine Art, wie es amerikanischer Rock nie tat, war flotter, cooler und sexier. Amerikanischer Rock hatte in den Mittsiebzigern hauptsächlich ein ziemliches Imageproblem. Erinnert euch nur an das Foto von Bruce Springsteen auf dem Backcover seines zweiten Albums Greetings from Ashbury Park, NJ. Springsteen stand damals kurz vor seinem endgültigen Durchbruch und war das kommende neue Ding – so hip, wie ein amerikanischer Rockmusiker nur sein konnte. Und auf diesem Foto trägt er ein Jeanshemd, in dem er offensichtlich die Nacht zuvor geschlafen hatte, sein lockiges Haar steht in alle vier Himmelsrichtungen ab, und die Anwesenheit eines Barts macht die Sache nicht besser. Der Kerl ist ein Schandfleck. Ganz egal, wie gut seine Musik war – und sie war gut, er kam ja aus Jersey –, ich konnte niemanden respektieren, der so aussah. Britrocker hatten ein Gespür für modische Details, und erst recht für Ironie. Beide Qualitäten waren in der US-Rockszene eher dünn gesät, und es war mir unmöglich, die Attraktivität von Bands zu erkennen, die sie nicht besaßen.

Bei so gravierenden kulturellen Unterschieden ließ sich das meiste an Britrock nur sehr schlecht nach Amerika verpflanzen. Acts wie Marc Bolan oder Roxy Music, die in England Superstars waren, konnten selbst am ›Billigtag‹ nur mit Mühe und Not eine New Yorker Bar füllen. New York war ohnehin so ziemlich der einzige Ort, an dem man sie sehen konnte, wenn man zu den wenigen gehörte, die diesen Wunsch hegten. Kaum ein britischer Künstler wagte sich in die unendlichen Weiten zwischen East Coast und West Coast, wo mehr Kühe als Menschen lebten und ein englischer Akzent als untrügliches Indiz für Homosexualität galt.

Diejenigen, die es doch taten – besonders, wenn sie diese Fehlentscheidung noch damit krönten, in Lurexhosen und mit irren Frisuren aufzutreten –, konnten sich gleich selbst die Schädel eintreten, um den Einheimischen die Arbeit abzunehmen. In Gegenden wie Kansas konnte es jeder Musiker, der nicht wie Springsteen aussah, gleich vergessen. Die meisten taten es auch ganz schnell.

Was die Bay City Rollers anging, hätten sie in Amerika eigentlich kläglich floppen müssen. Nach Redneckstandards waren sie ganz klar schwul, was sonst, mit ihrem unverständlichen Akzent und ihren Hühnerbrüsten (deren schmächtige Maße für alle lesbar auf dem Cover ihres ersten Albums, Rollin’, abgedruckt waren). Eigentlich hätten sie schon froh sein müssen, dass man sie nicht geteert und gefedert aus der Stadt jagte. Dass sie stattdessen sensationellen Erfolg hatten – sie landeten gleich beim ersten Anlauf mit »Saturday Night« eine Nummer-eins-Single und verwiesen die amerikanischen Teenidole der Zeit auf die Plätze –, bleibt bis heute eins der kleinen Wunder des Lebens.

3

NATÜRLICH WAREN die Rollers nicht schwul. Von boshaften Journalisten wurden zwar immer wieder solche Gerüchte in Umlauf gebracht; wahrscheinlich dachten sie, eine Band von Typen, deren Brustumfang geringer war als der der meisten Mädchen, müsste so veranlagt sein. Aber die Gerüchte entbehrten jeder Grundlage – die Rollers waren nicht so schwächlich, wie sie aussahen. Sie waren aus handfestem Edinburgher Proletariermaterial geschnitzt, stammten aus kinderreichen Familien und hatten früh die Schule verlassen, um traditionelle Handwerksberufe zu erlernen.

Obwohl das Offizielle Rollersjahrbuch 1977 enthüllt, dass Derek Longmuir »über die Pfadfindergruppe der Tynecastle Secondary School (wo Geschichte, speziell die des viktorianischen Zeitalters, sein bestes Fach war) zur Musik kam«, ließ kaum etwas darauf schließen, wozu er es einmal bringen sollte. Als er und sein älterer Bruder Alan beschlossen, eine Band zu gründen, taten sie es nur aus Bewunderung für die Beatles, die sie als Teenager verehrt hatten.

Etwa 1969 hoben sie die Saxons aus der Taufe, mit Alan, damals einundzwanzig, am Bass und Derek, achtzehn, am Schlagzeug. Vom Material der Saxons hat nichts überlebt – falls die Longmuirs je einen ihrer Gigs auf Band festhielten, haben sie die Tatsache nie an die große Glocke gehängt. Nach dem zu urteilen, was später kam, können sie nicht sehr gut gewesen sein.

Tagsüber arbeitete Alan als Klempner und Derek als Zimmermann, und so sahen sie auch aus. Sie waren klein und stämmig, Derek mit Denis-Healey-Augenbrauen gesegnet, Alan mit der Sorte Haar, das Tonnen von Haarspray braucht, um Stand zu bekommen. Ihre Geschmäcker waren ebenfalls proletarisch: Dem Cover von Rollin’ zufolge war Dereks Lieblingsessen »Curry«, Alans »ein gut durchgebratenes Steak«. Im 77er Jahrbuch äußert Derek den sehnlichen Wunsch nach einem Mercedes – »aber er ist kein Snob oder hält sich für etwas Besseres«, beeilt sich der Text zu versichern.

Den beiden stand ›Rock Star‹ nicht gerade auf die Stirn geschrieben, darum umgaben sie sich mit Leuten, die dem Pop-Ideal näher kamen. Die meisten der zahllosen jungen Männer, die die Band durchliefen, ehe die Besetzung endgültig feststand, waren hübsch in der femininen Art, die damals modisch war (man denke an David Cassidy – oder David Cassidy, wie er ausgesehen hätte, wenn er mit Brot und altem Bratfett großgezogen worden wäre). Es darf jedoch bezweifelt werden, dass sie sehr weit gekommen wären, hätten sie nicht Tam Paton getroffen, einen ehemaligen Militärpolizisten und fliegenden Kartoffelhändler aus Prestonpans, einem Marktflecken in der Nähe von Edinburgh.

Er hatte damals eine eigene Combo und spielte in den besten Clubs nördlich der Grenze, hielt sich aber gerne für so was wie einen Unternehmer. Nachdem er die Saxons gehört hatte, machte er Bell Records, die mit David Cassidy gerade Erfolge feierten, auf sie aufmerksam.

Im September 1971 veröffentlichten Bell Records die erste Single der Bay City Rollers, wie sie mittlerweile hießen. »Keep On Dancing« schaffte es auf einen respektablen Platz neun in den Charts, obwohl sie – seien wir ehrlich – ein Haufen Scheiße war. Sie krankte an piepsigen Stimmen und dem blechernsten Gitarrensound, den man sich vorstellen kann, einfach schrecklich. Sogar der Text war lachhaft. Es ging um jemanden, der in der Disco einem hübschen Mädchen zusieht, das die neuesten Modetänze wie den Jerk oder Locomotion tanzt.

Wären sie aus Philadelphia oder Detroit gewesen, wo Songs über Tänze die Norm waren, hätten sie sich das vielleicht erlauben können. In der amerikanischen Musik gab es haufenweise Songs mit Titeln wie »Do the Funky Chicken«, und »Keep on Dancing« war sogar ursprünglich ein Hit für die US-Band Gentries gewesen – aber das war eben Amerika. Auf Schottisch über den Jerk zu singen ist ein ganz anderes Kapitel. Und um die Absurdität perfekt zu machen, war der Song derart un-funky, dass sogar David Cassidy gelacht hätte.

Falls es seltsam anmuten sollte, dass gerade ich ihre Musik kritisiere, muss ich erklären, dass ich nie Illusionen hatte, was ihre musikalischen Fähigkeiten anging. Die vielen Rockkonzerte hatten mich mit einer kritischen Antenne ausgestattet, die sehr empfindlich auf Zweitklassigkeit reagierte, und mir war nur zu bewusst, dass die Rollers unter diese Rubrik fielen. Vielleicht war ›zweitklassig‹ sogar noch zu freundlich, denn ihr Sound war papierdünn und total substanzlos. Kein Wunder, dass sie praktisch keine Fans hatten, die älter als fünfzehn waren. Während der gesamten Zeit meiner Rollermania war ich hin und her gerissen zwischen dem Wissen, dass sie nicht Led Zep waren, und der Tatsache, dass ich sie trotzdem liebte.

Die Rollers standen mit ihrer Dürftigkeit nicht allein da. Dürftigkeit war damals bei fast allen Teenidolen vertraglich vorgeschrieben. Doch aus mehreren Gründen forderten die Rollers den schlimmsten Spott heraus. Der erste war, verständlicherweise, ihre Uniform (wadenlange karierte Hosen, karierte Schals, gestreifte Socken), die sie in der Öffentlichkeit stets tragen mussten. Hinzu kam, dass sie sich noch als wahre Romantiker gebärdeten, während Rivalen wie Gary Glitter (»Do You Wanna Touch?«) und The Sweet auf echten Sex setzten. Und außerdem konnten sie es qualitativ nicht mit amerikanischen Konkurrenten wie Cassidy, den Jackson Five und den Osmonds aufnehmen, die einfach die besseren Songs hatten.

Die viel belachten Kostüme waren Patons Idee, ein Gimmick, um seine mehr als durchschnittlichen Jungens aus dem Durchschnitt herauszuheben. Mittlerweile war 1974, und die Band in ihrer klassischen Besetzung stand: die Longmuirs, Faulkner (Lieblingsessen: Pfirsich-Flambé), Gitarrist Stuart ›Woody‹ Wood (Steak Pie und Fritten) und Sänger Leslie McKeown (überbackene Scholle). Das Schottenkaro funktionierte auf mehreren Ebenen. Es unterstrich ihre schottischen Wurzeln, die zu kurzen Hosen waren ein Gesprächsthema (und lenkten die Aufmerksamkeit von ihrem mickrigen Körperbau ab), und die gestreiften Socken weckten sportliche Assoziationen. Jeder Roller peppte seine Uniform individuell auf, Woody trug zum Beispiel ein großes W auf seinem T-Shirt, Eric verzierte sein Sakko mit Buttons, und Alan entschied sich für eine karierte Weste, mit der er wie ein fönfrisierter Buchhalter aussah. Ein anderes Markenzeichen waren die geöffneten oberen Hosenknöpfe, ein raffinierter kleiner Trick, um die Mädchen heiß zu machen. Und er funktionierte. Jedenfalls bei mir.

Die Uniformen, bekannt als ›Rollergear‹, waren absurd, aber zumindest trennten sie die Frauen von den Mädchen. Deine Liebe zu dieser Band musste grenzenlos sein, um über die komische Kluft hinwegzusehen – wenn du es nicht konntest, warst du kein Fan. Natürlich gab es viele Fans, die selbst Rollergear trugen, eine Idee, auf die ich nie gekommen wäre. Es war eine simple Überlegung: Mein ganzer Lebenszweck bestand darin, sie in mich verliebt zu machen, und das würde mir wohl kaum gelingen, wenn ich mich anzog wie sie.

Die Besetzung hatte sich etwa um die Zeit stabilisiert, als ihr zweiter Hit, »Remember (Sha-la-la)«, im Februar 1974 in den Charts zu klettern begann. Damals war McKeown eingestiegen, der einen gewissen Nobby Clarke als Sänger ablöste, und von dem Punkt an war ihnen der Erfolg garantiert.

Leslie war der Robbie Williams seiner Ära – der Roller, der rauchte, trank und ganz allgemein ein bisschen unartig war. Er war der Einzige, der so aussah, als könnte er möglicherweise Sex gehabt haben, obwohl das angesichts Tams permanenter Aufsicht unmöglich allzu oft passiert sein konnte. Die Vorstellung, mit Leslie zu schlafen – oh, diese wissenden Augen –, war so überwältigend, dass ich mich an dieses quälende Verlangen so unmittelbar erinnere, als wäre es gestern gewesen. Vielleicht mache ich lieber einen Moment Pause …

Er fuhr einen blauen Mustang, in dem er im Mai 1975 eine alte Dame überfuhr und tödlich verletzte. Er kam mit einer Geldstrafe von 150 Pfund davon, was uns ganz okay zu sein schien, schließlich war es ja nicht so, als hätte er das absichtlich getan, oder? Einige Monate später wurde ein fünfzehnjähriger Fan vor McKeowns Haus in West Lothian mit dem Luftgewehr in den Kopf geschossen. McKeown hatte nichts damit zu tun, aber es waren turbulente Zeiten für ihn.

Er war einfach hinreißend und der Lieblings-Roller jedes vernünftig denkenden Fans. Meiner war er auf jeden Fall, obwohl ich ihn mit meiner Freundin Cathy teilen musste, die einmal tatsächlich den Nerv hatte, mir vorzuschlagen, ich sollte mich stattdessen für Woody erwärmen. »Wir haben niemanden für Woody«, wie sie es ausdrückte, so beiläufig, als fragte sie, ob ich stattdessen nicht lieber einen Cheeseburger wollte.

Cathy und ich lagen uns wegen Leslie in den Haaren, seit wir uns im Januar 1976 am Kennedy Airport kennen gelernt hatten, wo wir darauf warteten, dass die Band zu einem Promobesuch landete. Ich war heimlich ständig damit beschäftigt, mein Aussehen mit ihrem zu vergleichen, und musste bedauernd zugeben, dass Leslie, würde es je so weit kommen, wahrscheinlich ihrem glänzenden dunklen Haar und ihrem knackigen Po den Vorzug geben würde. Sogar ihr Brooklynakzent war nicht so ätzend, wie er hätte sein können.

Aber die Erinnerung ist trügerisch. Während ich schreibe, gute zwanzig Jahre später, betrachte ich das Cover ihres zweiten Albums, Once Upon a Star, und bin fassungslos. Statt des jungen Don Juan meiner Erinnerung sehe ich einen mageren Vogel mit dem verhärmten Gesicht, das heutzutage mit Alleinerziehenden und Sozialghettos assoziiert wird. Guter Gott, hatte er immer so ausgesehen?

Auch die anderen haben mit den Jahren nicht unbedingt gewonnen. Eric, den ich immer für schön und poetisch hielt, scheint jetzt mit einem Fuß im Grab zu stehen, während sich beim kleinen Woody herausstellt, dass er Jimmy Hills Kinn hat und die glasigen Augen von einem, der plötzlich aufwacht und sich bei den Bay City Rollers wiederfindet. Derek und Alan sehen so sehr nach Handwerkern aus, dass sie eigentlich Schraubenschlüssel schwingen sollten.

Nein, die Zeit ist nicht freundlich zu ihnen gewesen. Aber liegt es daran, dass die Standards männlicher Attraktivität sich geändert haben, oder daran, dass sie einfach nie besonders attraktiv waren und mir das aus irgendeinem Grund entgangen war? Werden Boyzone-Fans sich 2019 ebenfalls schütteln, wenn sie die Bilder ihrer Boys betrachten?

Ich glaube, die Standards haben sich geändert. Die Rollers hatten kein rigoroses Fitnessprogramm zu absolvieren, wie es heute zum Alltag jeder Teenband gehört. Es gab keine kosmetischen Korrekturen, kein Styling, keine Designerklamotten (ihre Uniformen sahen so aus, als seien sie auf der Nähmaschine einer Freundin genäht). Ihre Versuche, der Natur etwas nachzuhelfen, beschränkten sich auf ein paar Tupfer Grundierung vor Fotosessions und Gigs – ich besitze den Beweis dafür, ein Papiertaschentuch mit Spuren beigefarbenen Makeups (worauf ich noch zu sprechen kommen werde). Man ließ sie einfach so käsig-bleich, wie sie waren.

Wie auch immer, nachdem Leslie eingestiegen war, änderte sich irgendetwas in der Bandchemie. Nach zwei hitlosen Jahren seit »Keep on Dancing« kamen die Dinge plötzlich ins Rollen. »Remember (Sha-la-la)« schaffte es in Großbritannien bis auf Nummer sechs und schlug damit den »Wombling Song«, »Billy, Don’t Be a Hero« von Paper Lace und »Ma, He’s Making Eyes at Me« von der zehnjährigen Lena Zavaroni. Es war der Beginn einer zweieinhalb Jahre währenden Serie von Hits. Da war »Shang-a-Lang«, dann »Summerlove Sensation«, dann »All Of Me Loves All Of You«, und das waren nur die von 1974. Am Ende dieses Jahres hatte ihre Popularität alle anderen Teenidole in den Schatten gestellt. Nicht einmal The Wombles reichten an sie heran.

4

1975

 

Erster Nr. 1 Hit 1975 (GB): »Lonely This Christmas«/Mud. Größte Rollers-Hits: »Bye Bye Baby« (Nr. 3 in GB); »Saturday Night« (Nr. 1 in den USA).

DAS JAHR1975 war das Spitzenjahr für die Rollers. Es brachte zwei Hits, ausverkaufte Tourneen, eine eigene Fernsehserie – »Shang-a-Lang«, einfach epochal – und ihren ersten Vorstoß nach Amerika.

Aber mit dem Erfolg stellten sich auch die üblichen unangenehmen Begleiterscheinungen ein, und jedes Bandmitglied hatte unter nervöser Erschöpfung, Stress oder Tragödien zu leiden. McKeown überfuhr die alte Dame und verprügelte einige Tage später einen Fotografen, wofür er zu 1192 Pfund Geldstrafe verurteilt wurde. Einige Monate später wurde er, als Fans die Bühne sürmten, bewusstlos geschlagen, und im Dezember fand vor seinem Haus der Luftgewehr-Anschlag statt (für den er allerdings jede Verantwortung von sich wies). Mittlerweile zwang die Erschöpfung Derek und Eric, eine Pause einzulegen, während Woody ins Krankenhaus gebracht wurde, nachdem er in Melbourne auf der Bühne zusammengebrochen war. Im Frühling dieses Jahres war ein Polizeisergeant von einem Lastwagen zu Tode gequetscht worden, als er versuchte, vor dem Studio in Manchester, wo die Band ihre Fernsehsendung aufzeichnete, achthundert Fans zurückzuhalten.

Dieser letzte Vorfall vermittelt eine gute Vorstellung davon, wozu Rollers-Fans bereit waren, um den Objekten ihrer Liebe nahe zu sein. Die erste Priorität jedes Fans bestand darin, an die Band heranzukommen, die zweite, andere weibliche Wesen daran zu hindern. Die Fans reagierten auf die leiseste Andeutung, es könnte im Privatleben der Band irgendwelche Frauen geben, so ablehnend, dass auf dem Album Once Upon a Star vorsichtshalber eine Fußnote zu den Songs »Marlina« und »La Belle Jeane« abgedruckt war: »Die Namen Marlina und Jeane sind reine Erfindung.« Das war notwendig, um die Jeanes und Marlinas im Land vor Fan-Übergriffen zu schützen. Ich nehme an, die Schreibweise Jeane, was sie »Jennay« aussprachen, war ein Versuch, sich etwas kontinentales Flair zu geben.

Von all dem wusste ich nichts. Die Rollers mochten ja in Europa das Heißeste überhaupt sein, aber bis sie im September 1975 zum ersten Mal Amerika besuchten, wurde ihre Existenz von den amerikanischen Medien ignoriert. Während sie den Rest der Welt eroberten, absolvierte ich halbherzig die Millburn High – wo mein Lieblingsfach, wie bei Derek, Geschichte war – und träumte von meinem saftigen Liebesgott Nr. 1, Robert Plant.

Für mich selbst begann das Jahr 1975 mit dem Entschluss, es sei wohl an der Zeit, mit Drogen Bekanntschaft zu machen, weil alle anderen schon alles darüber zu wissen schienen. Ich hatte mich immer eisern von Drogen fern gehalten, die Nachwirkung eines Films, den ich in der Grundschule gesehen hatte. Sonny und Cher hatten die Hauptrollen und gaben sich alle Mühe, uns die Auswirkungen von Drogen möglichst drastisch vor Augen zu führen. In der haarsträubendsten Szene sah man eine der Halluzinationen, die man von LSD bekommen konnte, und als Sonny sich in ein riesiges Reptil verwandelte, verschreckte mich das so, dass ich mir schwor, niemals irgendeine illegale Substanz anzurühren. Ich bin wahrscheinlich der einzige Mensch, der sich je durch einen Anti-Drogen-Film vom Drogenkonsum abhalten ließ.

Aber jetzt, 1975, fühlte ich mich reif und erwachsen genug, mal ein winziges bisschen von irgendwas zu probieren. Marihuana war die nahe liegende Einstiegsdroge, und ich probierte es bei einer Millburner Soiree, aber der Effekt war derart minimal, dass ich es nach ein paar Versuchen aufgab. Dann schenkte mir Ende Januar eine Freundin namens JJ zum Geburtstag Kokain. Wow – harte Drogen im Sonderangebot. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, furchtsam (ich freute mich nicht darauf, Reptilien zu sehen), aber wild entschlossen. »Zieh es dir einfach durch die Nase hoch, wie ein Staubsauger«, lautete JJs Regieanweisung, nachdem sie eine Zeit lang mit einer aus unserem Badezimmerschrank entwendeten Rasierklinge hantiert hatte. »Das ist alles.«

Zehn Minuten später fragte ich: »Wann kommt denn was?« Weil bis dahin nichts gekommen war und auch nichts mehr kam. Ich vermute, ich hätte irgendwo auch echtes Kokain auftreiben können, wenn ich gewollt hätte – einige Insassen der Millburn High waren wohlhabend genug, um richtige Drogendealer zu kennen –, aber ich war eigentlich erleichtert, dass mein Versuch, drogensüchtig zu werden, fehlgeschlagen war. Ich fand mich damit ab, die Alibi-Abstinenzlerin zu sein. Wenigstens konnte es mir nicht passieren, dass ich die ganze Nacht durchmachte, um ein Led-Zep-Cover zu analysieren.

Die ich, da wir gerade davon sprechen, einen Monat nach meinem Geburtstag endlich live zu sehen bekam, und, o Mann, war das eine Ernüchterung. Ich hatte es geschafft, mir eine Karte für den ersten Abend eines mehrtägigen Gastspiels im Madison Square Garden zu sichern. Ich ging allein und hoffte wider alle Vernunft, ich könnte Robert Plants Aufmerksamkeit erregen. Natürlich stellte sich heraus, dass ich nur eine von zehntausend Frauen mit ähnlichen Absichten war, und sie waren allesamt vernünftiger gewesen, als sich mit Boots und einem selbst genähten Cape auszustaffieren.

Nachdem ich endlich akzeptiert hatte, dass er mich hinten in Reihe W nicht sehen würde, konnte ich mir in Ruhe das Konzert anschauen. Langweilig? Unvorstellbar. Oh, Plant war schon sexy mit seinem knappen, aufgeknöpften Blouson, hautengen Jeans und der blonden Mähne, die in dem Wind flatterte, den zwanzigtausend hyperventilierende Kids erzeugten. Diesbezüglich hatte es sich gelohnt. Aber mir war nicht klar gewesen, dass die Songs bis zu fünfzehn Minuten dauern würden, weil Jimmy Page auf seiner Gitarre improvisierte, oder dass es ein zwanzigminütiges Drumsolo geben würde. Nichts auf einem ihrer drei Alben hatte mich auf die trostlose Realität vorbereitet, immer wieder auf die Uhr sehen und mich fragen zu müssen, warum es außer mir niemanden so anödete, dabei zuzusehen, wie John Bonham sein Schlagzeug zerhackte und durch nichts erkennen ließ, ob er irgendwann damit aufhören würde. Und dann noch diese endlosen Gitarrensolos …

Im Nachhinein kann man verstehen, warum es Zeit für Punk wurde. Als ich an diesem Abend mit dem letzten Zug nach Millburn zurückfuhr, war ich sehr gedämpfter Laune.

Einige Monate später wurde ich an diesen Abend erinnert, als ich Wouldn’t You Like It, das dritte Rollers-Album, kaufte und entdeckte, dass der letzte Track doch tatsächlich ein Schlagzeugsolo enthielt. Es trug den Titel »Derek’s End Piece« – ich wette, das verfolgt ihn heute noch – und ist die mit Abstand primitivste Interaktion zwischen Mensch und Perkussionsinstrument, die je auf Vinyl gepresst wurde. Ich kann allen nur dringend ans Herz legen, in Secondhand-Plattenläden danach zu suchen.

In dieser ersten Hälfte des Jahres 1975 plätscherten die Tage im Großen und Ganzen wie immer dahin. Schule, Teilzeitjob in der East-Orange-Reinigung, noch ein Job als Kassiererin im Shop-Rite-Supermarkt, gelegentlich irgendwelche Konzerte in New York. Mein Tagebuch behauptet, ich hätte Humble Pie, die Climax Blues Band, Journey, Supertramp und Lynyrd Skynyrd gesehen, aber ich erinnere mich an kein einziges der Konzerte. Allerdings weiß ich, dass die ersten beiden Bands zu ebenso langen Gitarrensolos neigten wie Led Zep, also habe ich die Erinnerung an sie wahrscheinlich verdrängt. Sie standen für das typische Ethos dieser Tage, Dinge wie vernünftige Melodien auf dem Altar von ›Progressivität‹ oder ähnlichem Schwachsinn zu opfern.

Im Mai stellte mich meine frühere Schulfreundin Marcy einem Kerl namens David vor, den sie beim Philosophiestudium an der Drew-Uni in Madison kennen gelernt hatte. Er sollte noch eine wichtige Rolle in der Roller-Saga spielen, aber unser erstes Treffen verlief nicht besonders glücklich. Wir waren auf einer Geburtstagsparty am College, und offensichtlich hatte er Marcy gesagt, dass ihm meine Nase gut gefiel. Sie erzählte ihm, ich sei »ziemlich single«, wie sie es unschmeichelhaft ausdrückte, und regte an: »Sie steht wirklich auf Led Zeppelin, und vielleicht redet sie mit dir, wenn du hingehst und sagst, du würdest für sie arbeiten.« Als würde ich auf so was hereinfallen.

Trotzdem wanzte er sich an mich ran und sagte mit dick aufgetragenem Cockney-Akzent: »Hallo, Süße, ich bin David. Ich höre, du bist Led-Zeppelin-Fan, da interessiert’s dich vielleicht, dass ich ihr Manager bin.« Er lächelte hoffnungsvoll.

Ich musterte ihn von oben bis unten und ließ das unmodisch kurze Haar, die dicke, schwarz geränderte Brille und den Button-Down-Kragen auf mich wirken.

»Ah ja, ihr Manager? Dann sag mir doch bitte, was aus Peter Grant geworden ist!«, forderte ich und musste ein triumphierendes Grinsen unterdrücken, weil ich aus dem Circus wusste, dass Zep einen Manager hatten, der Peter Grant hieß. Aber David gab nicht so schnell auf. »Ich glaub, du musst da was verwechseln, Süße, bei uns arbeitet kein Peter Graaaant.«

»Hau bloß ab«, sagte ich genervt. Selbst wenn er für Led Zep gearbeitet hätte, glaubte er wirklich, ich könnte mich für jemanden in einer grauen Sta-Prest-Hose interessieren? Ich war vielleicht nicht so umwerfend wie Karen Rothschild, die Sexbombe unserer Schule, aber ich wusste, dass ich etwas Besseres verdiente als ihn. Ich sah mich nach Marcy um, weil ich ihr gründlich die Meinung sagen wollte, und David legte seine Hand auf meinen Arm. »Äh … na schön, ich arbeite nicht für sie. Ich hab bloß Spaß gemacht.«

»Mein Gott«, murmelte ich und rauschte davon. Ich erwartete nicht, ihn wieder zu sehen, aber zu meinem Missvergnügen rief er einige Tage später an und machte es sich dann zur Gewohnheit, mehrmals in der Woche durchzuklingeln. Zuerst war ich unverhältnismäßig schroff wegen seines kleinen Vergehens. Ich weiß nicht, warum er mir das durchgehen ließ, aber er tat es, und schließlich wurden wir Freunde.