Caféhäuser in München - Christine Riedl-Valder - E-Book

Caféhäuser in München E-Book

Christine Riedl-Valder

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Beschreibung

Anders als in Wien, wo man der Legende nach der Belagerung durch die Türken die Liebe zu diesem Getränk verdankt, äußern sich in München vielfältige Einflüsse und eine starke Bindung zum Süden. Ab dem späten 18. Jahrhundert wurde München auch in Sachen Kaffeegenuss zur "nördlichsten Stadt Italiens" und ist es bis heute geblieben. In der Geschichte der Münchner Cafés spiegelt sich das facettenreiche Gesellschaftsleben der Landeshauptstadt wider. Nicht zuletzt spielten die Cafés auch eine wichtige Rolle als Schauplatz weiblicher Emanzipation. Daneben bezeugen bayerisches Konfekt, Torten, Kuchen und Gebäck seit jeher die sinnliche Daseinsfreude, die man in der Isar-Metropole zu genießen weiß.

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Inhaltsverzeichnis

Buchinfo

Haupttitel

Impressum

Zur Buchreihe

Vorwort

„… ordentlich konzessionierte und berechtigte Caffeesieder“ – Die ersten Kaffeeköche und -trinker in München

Baierwein und Biersuppe: Der Getränkekonsum der Münchner seit dem Mittelalter

Von der Bürgerstadt zur Fürstenresidenz – Der Niedergang von Handel und Gewerbe in München ab dem 17. Jahrhundert

„La moda italiana“ am Münchner Hof

Die Anfänge bürgerlicher Kaffeekultur in München

Kleine Kaffeekunde

„… unstreitig die Ursache für so viele körperliche Erschlappungen“ – Zögerliche Ausbreitung der Caféhauskultur im 18. Jahrhundert

Die Widersacher des Cafégewerbes

Geschäfte mit Kaffeegeschirr – Die Nymphenburger Porzellanmanufaktur

Fürstliche Kulturpolitik im Zeichen der Aufklärung

Das erste italienische Caféhaus am Hofgarten

Cafés – Orte der bürgerlichen Emanzipation

Unterhaltung, Gesellschaftsspiele und Lektüre

Umschwung im Kaffeehandel: Das Aufkommen der Surrogate

„… so lang die Welt nicht ihren Gusto verändert, so wird sie auch nicht ohne Caffeehaus verbleiben.“ – Kaffee wird zum Volksgetränk

Der Aufschwung der Gastronomie

Das Elitecafé „Tambosi“

Der „Postillon d’amour“ und der letzte Hofnarr – Stammgäste des „Tambosi“

Wachsende Vielfalt

Die Caféhausszene im Spiegel der Kritik

Kaffeehaus, Café oder Caféhaus?

Bekannte Münchner Cafetiers

Münchner Ausflugscafés

Herstellung und Verkauf des Röstkaffees

„… ein Raum, wie ihn kein anderes öffentliches Etablissement besitzt“ – Die Palastcafés der Prinzregentenzeit

Gastronomie in großen Dimensionen

Das „Café-Restaurant Luitpold“ – Exklusive Treffpunkte der Geselligkeit

Kaffeeköchinnen, Kellnerinnen und „Wassermadln“

Die Arbeitsbedingungen des weiblichen Servicepersonals

Münchner Caféhausliteraten

Das Münchner Caféhausleben um die Jahrhundertwende

„Was zusammengehörte und zueinander strebte, fand sich in den Cafehäusern …“ – Zentren des Gesellschaftslebens

Lokale der Arbeiter und Angestellten

Varietétheater- und Konzertcafés

Caféhäuser im Wiener Stil

Treffpunkte der Münchner Bohème

Das „Café Stefanie“ – Stammlokal der Literaten, Künstler, Studenten und Schachspieler

Die Caféhausszene während und nach dem 1. Weltkrieg

Neuerungen in der Kaffeezubereitung

Der Kaffeehandel bis zum 2. Weltkrieg

„Eine Oase … voller vergnügter Geister“ – Caféhäuser nach dem 2. Weltkrieg bis ins neue Jahrtausend

Erste Wieder- und Neueröffnungen

Kaffeehandel und -preise nach dem 2. Weltkrieg

Münchner Caféhäuser der 1950er-Jahre

Espresso, Cappuccino & Co

Eine neue Kneipenkultur

Die wirtschaftliche Bedeutung des Kaffeeanbaus

Kaffeetrinker weltweit

Trends der letzten Jahre

Anhang

Caféhäuser in München – eine Chronologie

Literatur in Auswahl

Bildnachweis

Dank

Eigenanzeigen

Zum Buch

München hat eine eigene Caféhauskultur. Anders als in Wien, wo man der Legende nach der Belagerung durch die Türken die Liebe zu diesem Getränk verdankt, äußern sich hier vielfältige Einflüsse und von Anfang an eine starke Bindung zum Süden. Ab dem späten 18. Jahrhundert wurde München auch in Sachen Kaffeegenuss zur »nördlichsten Stadt Italiens« und ist es bis heute weitgehend geblieben.

In der Geschichte der Münchner Cafés spiegelt sich das facettenreiche Gesellschaftsleben der Landeshauptstadt wider. Nicht zuletzt spielten sie auch eine wichtige Rolle als Schauplatz weiblicher Emanzipation. Daneben bezeugen bayerisches Konfekt, Torten, Kuchen und Gebäck seit Jahrhunderten die sinnliche Daseinsfreude, die man in der Isar-Metropole zu genießen weiß.

Zur Autorin

Christine Riedl-Valder, Dr. phil., arbeitet seit ihrem Studium in Wien und Regensburg als Kulturjournalistin. Sie hat bereits zahlreiche Beiträge zur Kunst, Literatur und Geschichte Bayerns veröffentlicht.

CHRISTINE RIEDL-VALDER

Caféhäuser in MünchenGeschichte(n) aus drei Jahrhunderten

VERLAG FRIEDRICH PUSTET

REGENSBURG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

eISBN 978-3-7917-6142-8 (epub)

© 2018 by Verlag Friedrich Pustet, Regensburg

Einbandgestaltung: Martin Veicht, Regensburg

eBook-Produktion: Friedrich Pustet, Regensburg

Diese Publikation ist auch als Printprodukt erhältlich:

ISBN 978-3-7917-2992-3

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie auf www.verlag-pustet.de

Informationen und Bestellungen unter [email protected]

»MÜNCHEN WILL GAR NICHT ERÖRTERT, MÜNCHEN WILL GELEBT UND GELIEBT SEIN.« Wer möchte Ernst Heimeran (1902–1955), dem dieses so urmünchnerisch klingende Leitmotiv zugeschrieben wird, ernsthaft widersprechen? Doch vielleicht wird man ihn ergänzen dürfen, ihn, den großen Verleger und Autor, der in Schwabing das Gymnasium besuchte und wie viele als „Zuagroaster“ in München Wurzeln schlug: Die Liebe zur ersten oder zweiten Heimat schließt die Kenntnis über sie nicht aus – und umgekehrt.

Die Geschichte einer Stadt ist ebenso unerschöpflich wie die Geschichten, die in ihr spielen. Ihre Gesamtheit macht sie unverwechselbar. Ob dramatische Ereignisse und soziale Konflikte, hohe Kunst oder niederer Alltag, Steingewordenes oder Grüngebliebenes: Stadtgeschichte ist totale Geschichte im regionalen Rahmen – zu der auch das Umland gehört, von dem die Stadt lebt und das von ihr geprägt wird.

München ist vergleichsweise jung, doch die über 850 Jahre Vergangenheit haben nicht nur vor Ort, sondern auch in den Bibliotheken Spuren hinterlassen: Regalmeter über Regalmeter füllen die Erkenntnisse der Spezialisten. Diese dem interessierten Laien im Großraum München fachkundig und gut lesbar zu erschließen, ist das Anliegen der Kleinen Münchner Geschichten – wobei klein weniger kurz als kurzweilig meint.

So reichen dann auch 140 Seiten, zwei Nachmittage im Park oder Café, ein paar S- oder U-Bahnfahrten für jedes Thema. Nach und nach wird die Reihe die bekannteren Geschichten neu beleuchten und die unbekannteren dem Vergessen entreißen. Sie wird die schönen Seiten der schönsten Millionenstadt Deutschlands ebenso herausstellen wie manch hässliche nicht verschweigen. Auch Großstadt kann Heimat sein – gerade wenn man ihre Geschichte(n) kennt.

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, lehrt Neuere/Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und forscht zu Stadt und Bürgertum in der Neuzeit.

Vorwort

„Jetzt werd, wohin man immer schaut, Kaffeehaus um Kaffeehaus ’baut. Den Ruf als Bierstadt büaß’ ma ein, bald wer’n ma a Kaffeestadt sein!“

(Anonymer Münchner Volkssänger anlässlich der Eröffnung des „Café Prinzregent“, 1893)

Zweifellos darf sich die bayerische Landeshauptstadt, die mittlerweile auf eine mehr als 300 Jahre lange, bedeutende Caféhaus-Tradition und -Kultur zurückblicken kann, heute als „Kaffeestadt“ bezeichnen. Trotzdem erscheint die Furcht, ihr weltberühmter Status als Bierstadt könnte darunter leiden, bei manchen Oberbayern noch immer so aktuell wie zu Zeiten des zitierten Volkssängers vor 125 Jahren. Völlig zu Unrecht, denn die abwechslungsreiche und sehr individuell geprägte Geschichte der Münchner Cafés und ihres Publikums, die hier erstmals ausführlich behandelt wird, zeigt vielmehr zusätzliche schillernde Facetten der Metropole. Die Fülle und Vielschichtigkeit der Historie macht es dabei jedoch unmöglich, sie chronologisch oder systematisch eindeutig zu durchleuchten. Die kulturhistorische Bedeutung der Münchner Cafés wird daher anhand einiger wichtiger Phasen und Themenbereiche sowie mit charakteristischen Beispielen beschrieben.

Die Angst der Münchner Wirte vor der Konkurrenz der Caféhäuser lässt sich bis zu deren Aufkommen im 18. Jh. zurückverfolgen. Man hatte bald erkannt, welches Potential in diesem Getränk steckt, das nicht berauscht, sondern den Geist anregt. Die neuartigen „Gasthäuser der Nüchternheit“ wurden sehr rasch zum beliebten Treffpunkt und zu Spiegelbildern der Stadtgesellschaft. Die bayerischen Kurfürsten und Könige spielten dabei sehr lange – bis in die Anfänge des 20. Jhs. – eine tragende Rolle. Schnell kamen aber auch die Stammlokale für alle Schichten des Bürgertums auf. Bei Münchens ersten namhaften Cafetiers, den Italienern Giovanni Pietro Sarti, der sein Lokal im letzten Viertel des 18. Jhs. am Hofgarten betrieb, und seinem Nachfolger Luigi Tambosi, verkehrten sowohl die gesellschaftliche Eliten als auch Gelehrte, Schriftsteller, Künstler, Einheimische und Auswärtige aller Couleur – und ausdrücklich auch die Damenwelt! Das Caféhaus wurde zum Inbegriff einer von Standes- und Geschlechtsunterschieden befreiten Geselligkeit, in der nicht der Überschwang des Rausches, sondern die Aufgewecktheit des Geistes den Ton angab. Für viele bedeutete es zudem eine zweite Heimat, ein öffentliches Wohnzimmer, in dem man sich mit Freunden und Geschäftspartnern traf, ein wichtiger Ort für Informationen und Diskussionen, eine Ideenschmiede für neue Projekte und ein inspirierender Arbeitsplatz für alle Kreativen. Konventionelle Vereine und avantgardistische Zirkel machten ihre Stammcafés zu Brennpunkten des öffentlichen Lebens. Für Frauen, deren Wirkungsbereich sehr lange auf das häusliche Umfeld begrenzt war, wurde es zum Schauplatz ihrer Emanzipation. Die moderne Industriegesellschaft hat dann den Kaffee, den man sich schnell in Cafeterias und Espressobars verabreicht, als Allerweltsrezept für Effizienz und gesteigerte Leistung definiert. Man sieht: Die Rolle, welche die Münchner Caféhäuser für ihr Publikum spielten und spielen, war und ist vielfältig; sie wurde und wird immer wieder neu definiert.

Trotz zahlreicher Studien und Untersuchungen hat der Kaffee bis heute sein ureigenes Geheimnis bewahrt, denn die über 1.000 Inhaltsstoffe der Kaffeebohne konnten bislang von der Forschung nicht vollständig analysiert werden. Vor allem die Substanz, die zu Gesprächen anregt und das Getränk so kommunikativ macht, wird wohl für immer unbekannt bleiben.

„… ordentlich konzessionierte und berechtigte Caffeesieder“ – Die ersten Kaffeeköche und -trinker in München

Baierwein und Biersuppe: Der Getränkekonsum der Münchner seit dem Mittelalter

Schon seit einigen Generationen ist der Kaffee in Bayern – wie auch in der übrigen Welt – als stärkendes Elixier innerhalb einer rationell denkenden Leistungsgesellschaft fest verankert. Bis heute ist er für viele Zeitgenossen ein unerlässlicher Wegbegleiter durch einen arbeitsintensiven Alltag und eine willkommene Stimulation für anregende Gespräche. Doch was nahmen die Münchner zu sich, bevor die Kaffeebohnen die westliche Welt eroberten? Zu den ältesten Getränken der Menschheit gehören Wasser und Tees aus Kräutern, Gewürzen und Früchten. Während Letztere v. a. zu Heilzwecken eingenommen wurden, barg Ersteres gewisse Risiken: Wasser war zwar überall verfügbar und wurde in Stadt und Land getrunken, doch bestand stets die Gefahr, dass sich durch Verunreinigungen Krankheiten und Seuchen verbreiteten. Milch war ebenfalls lebensnotwendig, besonders für die ersten Lebensjahre, hatte aber, abgesehen von ihrer Verwendung in der Volksmedizin und bei okkulten Praktiken, keine größere Bedeutung als Getränk. Dagegen spielten Alkoholika in Form von Wein und Bier im Mittelalter eine zentrale Rolle im Speiseplan. Sie waren nicht nur ein Genussmittel, sondern gehörten zu den Hauptnahrungsmitteln für alle Altersstufen.

Wein war bis ins 16. Jh. in ganz Altbayern das wichtigste Volksgetränk, und die Schankwirte besaßen hohes Ansehen innerhalb der Gesellschaft. In München rangierte ihre Zunft gleich nach den Handelsleuten an zweiter Stelle. Der niederbayerische Humanist und Universalgelehrte Johannes Aventinus, selbst Sohn eines Weinwirts, charakterisierte seine Landsleute noch 1526 in seiner Bairischen Chronik wie folgt: „Der gemeine Mann sitzt am Tag und bey Nacht beim Wein, schreit, singt, tanzt, kart und spielt …“ München kam in diesem Zusammenhang große Bedeutung zu, denn die Stadt war ein wichtiger Umschlagplatz der Tiroler und oberitalienischen Weine.

Aufgrund der klimatischen Veränderungen und der hohen Preise für Importwein wurde seit dem 16. Jh. zunehmend Bier produziert. 1738 spottete Wiguläus Xaver Alois Freiherr von Kreittmayr in seinen „Anmerkungen zum Baierischen Landesrecht“ über den mittlerweile sehr sauren Wein in Bayern, „wo der Essig, der anderswo mit großer Mühe bereitet werden muss, von selbst wächst“. Dem Bier hingegen bescheinigte er den Stellenwert eines „fünften Elements“. Bier und die Biersuppe – ein je nach Verfügbarkeit und Gusto in seinen Bestandteilen wechselndes Gemisch aus erwärmtem Bier, Butter, Eiern, Milch, Zucker und Brot – bildeten zum Frühstück und tagsüber einen wesentlichen Bestandteil der Alltagsnahrung sowohl der Städter als auch der Landbevölkerung. Bis ins 18. Jh. hinein unterschied sich das Frühstück auch kaum von den übrigen Hauptmahlzeiten des Tages und bestand aus erwähnter Bier-, Mehl- oder Milchsuppe. Der Historiker Lorenz von Westenrieder (1748–1829), der das erste Stadtporträt Münchens verfasste und dabei viele volkskundliche Aspekte miteinbezog, beschrieb die Ernährungsgewohnheiten seiner Mitbürger im Jahr 1782 folgendermaßen: „Allgemein gesagt, nimmt der Bürger und Handwerker noch kein Frühstück, und setzt sich um elf Uhr Vormittag zur Ersten, und um sechs Uhr Nachmittag zur zwoten Mahlzeit. Rind- oder Kalbfleisch, Bier und Brod sind das gewöhnlichste, was er genießt, und Schweins-, Kalbs- und Gänsebraten sind seine besten Gerichte, und Bier sein bester Trank. Wein, oder Brandwein wird ordentlicher Weise nicht getrunken, auch nicht Toback geschmaucht … Der Vornehmere überläßt sich dem Üblichen der Üppigkeit, so gut es sein Vermögen leidet, oft mehr vielleicht, als seine Einnahme es zuläßt. Sein Frühstück sind Koffee, Chokolade, oder Thee, und seine Speisen und Getränke auf die Tafel sammelt er aus ganz Europa, und läßt sie, wie viele seiner Medicinen, über entfernte Meere kommen. Nach der Tafel bedient man sich scharfer, gebrannter Wässer, Weine, oder des Koffees, um die Speisen zu verdauen.“ Der sehr teure Bohnenkaffee konnte damals also in der Regel nur von den finanziell besser gestellten Schichten der Stadtbevölkerung genossen werden.

Zu den genannten Getränken kam, wie von Westenrieder oben schon erwähnt, noch der Branntwein – die erste Beschreibung des Destillierens in Deutschland lieferte übrigens der Regensburger Bischof Albertus Magnus (1200–1280) –, den man zuerst als Medizin gegen die Pest und Gicht anwendete, der ab dem 16. Jh. aber ebenfalls kommerziell hergestellt und als Genussmittel von breiten Schichten konsumiert wurde. Obrigkeit und Adel förderten im Allgemeinen diese Entwicklung, da die Vergabe von Schanklizenzen, Steuern und Abgaben bald eine wichtige Einnahmequelle für sie darstellte.

Aufgrund dieses ungezügelten Alkoholkonsums war die Trunksucht in allen Bevölkerungsschichten, bei Männern wie Frauen, Katholiken wie Protestanten, weit verbreitet. Seit Beginn des 16. Jhs. erschien eine Reihe von Verboten, Predigten und Polemiken gegen maßloses Trinken. Martin Luther, obwohl selbst kein Kostverächter, definierte das „Saufen“ als „eine Art Pest, welche durch Gottes Zorn über uns geschickt ist“. Viele andere Reformatoren und Gelehrte zogen vehement „Wider den Saufteufel“ und gegen das „grewlichen Laster der Trunckenheit“ zu Felde. Die langsam gebräuchlich werdenden Heißgetränke Kaffee und Tee kamen hingegen einer veränderten Lebensart und einem neuen Gesellschaftsstil entgegen, indem sie dem in ganz Europa verbreiteten Alkoholmissbrauch mit der Zeit erheblich Einhalt geboten. „Tee und Kaffee haben dem Laster der Trunkenheit stärkere Schranken gesetzt als die Lehren der Moralisten, die Wissenschaften und die Aufklärung“, resümierte der französische Politiker Honoré Gabriel de Riqueti, comte de Mirabeau (1749–1791).

Von der Bürgerstadt zur Fürstenresidenz – Der Niedergang von Handel und Gewerbe in München ab dem 17. Jahrhundert

Abgesehen vom ausgeprägten Weinhandel – daneben auch noch Salz-, Tuch- und Kupferhandel – war das wirtschaftliche Leben Münchens damals mehr von Gewerbe und Handwerk geprägt und vorwiegend auf den lokalen Bedarf ausgerichtet. Die Krämer konnten ihre Waren größtenteils in Augsburg, Nürnberg oder auf der jährlich in München stattfindenden Jakobidult erwerben, wo auswärtige Gewürzgroßhändler seit dem 14. Jh. ihre Importware feilboten. Handwerker und Dienstleister mussten der jeweiligen Zunft, die das Produktions- und Verkaufsmonopol hatte, angehören. Sie unterstanden deren Richtlinien und Oberaufsicht und waren zur Leistung von Abgaben verpflichtet. Voraussetzung für die Aufnahme in diese Gemeinschaft waren neben der einschlägigen Profession das Bürgerrecht, ein eigener Hausstand mit einem „ehelich Weib“, eine eheliche Abstammung und keine Zugehörigkeit zu Familien mit „unehrlichen“ Berufen wie Henker, Schinder oder Wasenmeister (Abdecker). Erst gegen Ende des 18. Jhs. entwickelten sich feste Preise für die Betriebserlaubnis in den verschiedenen Gewerbesparten.

Bereits ab der 2. Hälfte des 16. Jhs. litt der Münchner Handel aber immer mehr unter dem Unwesen der Hausierer. Die bei den einheimischen Gewerbetreibenden verhassten „Savoyarden“ und „Welschen“ aus der Schweiz und Norditalien überschwemmten Stadt und Region als Rosenkranzhändler, Glasträger, „Kimmichkehrer“ (Kaminkehrer) und „Lemoniträger“ (Limonadenhändler). Um 1550 versuchte man durch einen Ratsbeschluss zu verhindern, dass sich zukünftig weitere Ausländer in der Stadt niederlassen. Dieses Verbot konnte jedoch nicht durchgesetzt werden. Bis ins 19. Jh. wurden v. a. zahlreiche Italiener in die Münchner Handelszünfte aufgenommen, oder sie waren als ehemalige Hofbedienstete von Abgaben befreit und brachten es zu ansehnlichem Wohlstand. Die Familien der Cler, Ossinger, Dall’Armi, Brentano, Fimal, Ruffini, Massari, Morassi, di Pasqual, Divora, Maffei, Sabadini oder der berühmte Cafetier Tambosi prägten das städtische Geschäftsleben. Im Jahr 1780 befanden sich von den 58 Münchner Kaufmannsgeschäften 34 in italienischer Hand. Der bayerische Historiker Lorenz von Westenrieder schrieb damals: „Wo man in München einen Kramerladen erblickt, da endet sich’s gewöhnlich auf ‚ano‘ oder ‚ino‘.“

Eine schillernde Persönlichkeit war der reiche Salzkaufmann Johann Baptist Reichsritter von Ruffini (1672 Meran–1749 München), der 1696 an die Isar zog und in der Folgezeit zum Bayerischen Hofkammerrat und zum Kaiserlichen Rat avancierte. 1708 erwarb er ein Anwesen am Rindermarkt, dessen Nachfolgebau (Hausnr. 10) mit aufwendigem Fassadenschmuck noch heute an seine Familie erinnert. Er tätigte mehrere Stiftungen und erwies sich als großzügiger Mäzen der Kurfürsten Max II. Emanuel und Karl Albrecht. Nicht zu Unrecht verlieh man ihm daher posthum den Titel „bayerischer Krösus des 18. Jhs.“

Die politische und wirtschaftliche Eigenständigkeit der Stadt wurde im Zeitalter des angehenden Absolutismus zunehmend ausgehöhlt. Schon 1587 entzog Herzog Wilhelm V. den Münchnern vorwiegend aus fiskalischen Gründen die uralten Salzhandelsprivilegien und schuf, schon im Geiste des kommenden Merkantilismus, ein staatliches Salzmonopol. Die altehrwürdige Salzsenderzunft ging damals sang- und klanglos unter. Herzog Maximilian beanspruchte 1598 ausdrücklich die Ernennung der Münchner Bürgermeister für sich und erließ 1616 eine Allgemeine Landordnung mit Polizeiordnung, durch die die einst freien Bürger zu Untertanen herabgestuft wurden. Ihre Eigenständigkeit wurde immer mehr beschnitten. 1626 übte der Kurfürst heftigste Kritik an der Stadtverwaltung und verlangte eine neue Ratsordnung, die ihm zur Genehmigung vorzulegen war, und ab 1638 mussten die Bürger ihre Stadt, die seit 1623 kurfürstliche Residenzstadt war, auf Befehl Maximilians unter großem Einsatz von Arbeitskraft und Geld zur Landesfestung ausbauen. Der Staatsbankrott im Jahr 1654, bei dem alle Zinsforderungen der Gläubiger, die sich seit 1632 angehäuft hatten, verfielen, bedeutete für die Münchner Bürgerschaft einen Verlust von 45.000 Gulden – eine riesige Summe, wenn man sie mit den jährlichen Steuereinnahmen von durchschnittlich 6.000 Gulden vergleicht.

Nicht nur durch die Auswirkungen des 30-jährigen Krieges und der damit verbundenen Zerstörungen, Einquartierungen, Kontributionen und Seuchen wurden Handwerk und Gewerbe in München erheblich geschwächt. Das Stadtbürgertum sah sich auch immer mehr eingeengt durch die Ausbreitung des kurfürstlichen Hofes mit seiner privilegierten Eigenwirtschaft sowie den Hofhandwerkern und -künstlern, die befreit waren von den Zahlungen an die städtischen Zünfte. Die absolutistische Hofhaltung und der Repräsentationsdrang der bayerischen Kurfürsten beanspruchten zunehmend Bau- und Wirtschaftsraum innerhalb der Stadtbefestigung für zahlreiche Adelspalais, neue Klöster, Ordensniederlassungen und soziale Stiftungen. Dazu kamen horrende Staatsausgaben. Kurfürst Max II. Emanuel, der ein Verschwender im großen Format war, hinterließ nach seinem Tod 26 Mio. Gulden Schulden. Allein seine Heerzüge, die zumindest ihm selbst den Ruhm als „Blauer Kurfürst“ einbrachten, hatten das Land unermessliche Blutopfer und 15 Mio. Gulden Aufwendungen gekostet. 1691/92 regierten Hungersnöte; Handwerker, Handelsleute, Grundherren und Klöster verarmten. „In Stet, Märkt und aufm Land hört man nichts als Lamentation …“, beschrieb Graf von Maxlrain damals die Lage. Es folgte die zehnjährige Besetzung Münchens durch österreichische Truppen im Spanischen Erbfolgekrieg zwischen 1705 und 1715 mit dem traurigen Ereignis der „Sendlinger Mordweihnacht“ (1705), in der patriotische Bauern und Münchner Bürger niedergemetzelt wurden oder auf dem Schafott endeten. Für die Einquartierung der kaiserlichen Truppen musste die Stadt München rund 150.000 Gulden aufbringen. Aber schon drei Jahre zuvor war sie bereits bankrott und konnte keine Zinsen mehr an die Gläubiger bezahlen.

Die Geldknappheit prägte auch in der Folgezeit das Leben im Schatten der kurfürstlichen Residenz. 1750 betrug die Verschuldung Münchens 100.000 Gulden, 1803 bereits das Sechsfache davon.

„La moda italiana“ am Münchner Hof

Neben dem Vorbild Frankreichs, das im Barockzeitalter tonangebend wurde, entwickelte der bayerische Herzogshof ab der Frühen Neuzeit ein lebhaftes Interesse an italienischer Kultur und Lebensart. Die von Italien ausgehende geistige Strömung des Humanismus gewann zunehmend Einfluss auf das Wittelsbacher Herzogshaus. Während der Regierungszeit Herzog Wilhelms IV. (reg. 1508–1550) vermittelte u. a. der Universalgelehrte Johannes Aventinus, der die Erziehung der jungen Prinzen Wilhelm, Ludwig und Ernst übernahm und als erster Hofhistoriograph wertvolle Forschungsarbeit in vielen Bereichen leistete, wichtige Impulse. Beispielsweise sorgte sein einstiger Schüler Herzog Ludwig X. für die Errichtung der Landshuter Stadtresidenz, des ersten Renaissancebaus nördlich der Alpen. Herzog Albrecht V. (reg. 1550–1579) verschrieb sich in seiner Hofhaltung ganz dem Vorbild der italienischen Renaissancefürsten. Mit seiner damit verbundenen ausgeprägten Sammelleidenschaft und Vorliebe für Preziosen legte er den Grundstock für die reichen Schatzkammern der Residenz. Seine Agenten besorgten in Italien und den Niederlanden antike Plastiken, kostbare Tapeten, Münzen, Kleinodien, Reliquien, einheimische und exotische Raritäten, Kuriositäten und ganze Menagerien. Hofbaumeister Wilhelm Egkl errichtete hierfür bis 1571 das Antiquarium, in dem Bibliothek und Antikensammlung Platz fanden. 1576 ließ er in Faenza ein mehrere hundert Stück umfassendes Prunkservice aus Majolika für den bayerischen Hof fertigen, das erste in Bayern vorhandene einheitliche Tafelservice mit gleichem Dekor auf den verschiedenen Gefäßen. Rund hundert Einzelteile haben sich davon noch in der Residenz und dem Bayerischen Nationalmuseum erhalten.

Während der Regierung von Kurfürst Ferdinand Maria (reg. 1651–1679) und Henriette Adelaide von Savoyen (1636–1676), die als 16-Jährige nach München kam, intensivierten sich die Einflüsse der italienischen Kultur und Lebensart. Das Hofleben entwickelte sich zu einer Abfolge glanzvoller Veranstaltungen. Prächtige Ballettaufführungen, Feuerwerke, Maskeraden, Schlitten- und Gondelfahrten, Hirschjagden, Maskenbälle, Karussells, Wasserfeste auf dem Starnberger See und galante Schäferspiele wurden heimisch in München. Das Turnierhaus vor dem Schwabinger Tor, 1660/61 erbaut, sah glänzende sportliche Wettkämpfe. Die italienische Oper zog mit dem neuen Hofkomponisten Ercole Bernabei in das bis 1657 von Francesco Santurini errichtete Opern- und Komödienhaus am Salvatorplatz in München ein, war ab 1753 auch im eleganten Cuvilliéstheater zu hören und beherrschte bis ins 19. Jh. die Theaterwelt der Stadt. 1663 ließ der Kurfürst aus Dankbarkeit für die Geburt des lang ersehnten Stammhalters Maximilian II. Emanuel die Theatinerkirche erbauen, das erste Gotteshaus im Stil des italienischen Hochbarocks nördlich der Alpen. Schloss Nymphenburg, errichtet von Agostino Barelli nach dem Vorbild der Villa Reale in Turin, war ein Geschenk an seine Gemahlin. Gleichzeitig wurde der Münchner Hofstaat um eine große Schar von Landsleuten der Kurfürstin bereichert: Italienische Hofdamen, Kavaliere, Künstler, Sänger, Musiker, Tänzer, Kaufleute und Geistliche siedelten sich an, blieben in der Folgezeit hier sesshaft und unterhielten eine eigene Grablege bei den Theatinern von St. Cajetan. Aus diesem Kreis entstammte auch der erste bedeutende Münchner Cafetier Giovanni Pietro Sarti, der Begründer des heutigen Hofgartencafés Tambosi (s. S. 39ff.).

Für die Hofgesellschaft unter Maximilian II. Emanuel (reg. 1679–1726) war es laut den erhaltenen Rechnungen bereits üblich, Tee, Kaffee und Schokolade zu konsumieren. Da in Frankreich unter König Ludwig XIV. (1638–1715) in Versailles der Genuss der neuen Heißgetränke in Gebrauch kam, wurde diese Mode von den übrigen europäischen Adelshöfen eifrig kopiert. Durch die Entdeckung neuer Seewege und fremder Erdteile sowie die damit verbundene Ausweitung des Fernhandels entwickelte man gleichzeitig eine Vorliebe für alles Exotische, das der steifen Hofetikette eine verspielte Note gab. Dem Adel dienten die teuren Genussmittel zur Selbstinszenierung und zur Demonstration eines luxuriösen Geschmacks, den man sich leistete. Bei Festveranstaltungen orientierten sich Hoftafel und Speisenfolge in der Residenz seit 1680 nachweislich am „Service à la française“ gemäß der Etikette am französischen Königshof. Umfang und Art der Gedecke sowie Abfolge der Gerichte waren nun streng festgelegt und erforderten in großem Umfang verschiedenste Geschirrteile. Bei den Entrées und den Hauptgerichten, von denen jedes zahlreiche Gerichte umfasste, blieb Silber lange Zeit das bevorzugte Material des Tafelservices. Für den dritten, den Dessertgang mit Süßspeisen, Backwerk, Konfekt und Kaffee, wurden bald Teller und Schalen aus Porzellan üblich.

Die Anfänge bürgerlicher Kaffeekultur in München

Unter Kurfürst Max. II. etablierte sich der Kaffeegenuss nicht nur innerhalb der Hofgesellschaft, sondern auch in der Residenzstadt München. Neben italienischen und französischen Vorbildern werden dazu auch die engen Beziehungen zu Wien beigetragen haben. Der Kurfürst ehelichte 1685 in der Habsburger Metropole Maria Antonia, die Tochter Kaiser Leopolds I. Im selben Jahr eröffnete das erste Caféhaus in Wien, dem bald weitere folgten.

Konkrete archivalische Nachrichten über Münchner Kaffeeköche und Kaffeestuben gibt es seit Beginn des 18. Jhs., aus einer Zeit, in der hier die letzten Hexenverbrennungen stattfanden. Die älteste bildliche Darstellung eines Caféhauses gehört zu einem Kupferstichwerk mit Münchner Stadtansichten, die der Augsburger Atlasverlegers Johann Stridbeck d. J. um 1700 herausbrachte. Auf einem Blatt, das die Residenzstraße, die ehemalige Schwabinger Gasse, zeigt, wird das Anwesen an der Ecke zur alten Schrammerstraße als „Caffe Hauss“ bezeichnet. Es besaß im Erdgeschoss große Fenster, die durch Läden geschlossen werden konnten, und hatte eine in die Mauer eingelassene Tafel über der Tür. Ansonsten unterschied es sich nicht von den anderen Bürgerhäusern der Straße. Von 1699 bis 1730 befand sich dieser Bau im Besitz des Hofzuckerbäckers Claudi Surat, der dem Namen nach wohl französischer Abstammung war. 1704 wird ein französischer Schauspieler namens Brieder als „Kaffeesieder“ genannt. Die beiden hatten die Geschäftsidee vielleicht aus ihrer Heimat importiert, da es in Paris bereits seit über 50 Jahren öffentlichen Kaffeeausschank gab. Offensichtlich bekamen sie bald illegale Nachahmer, denn die Obrigkeit sah sich 1708 zum Einschreiten gegen die „neu aufgerichtete[n] Caffeehäuser“ veranlasst. Als „ordentlich konzessionierte und berechtigte Caffeesieder“ werden in diesem Zusammenhang der Hofzuckerbäcker Claudi Surat, Andre Bellini und Johann Koller genannt. 1706 erscheint in den Quellen außerdem der ehemalige „Branntweinschenk“ Dionysius Michael als Kaffeesieder. Den Aufschwung des Gewerbes begünstigte die Okkupation der Stadt durch die kaiserlichen Truppen nach der Flucht des Kurfürsten, über den im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges die Reichsacht verhängt worden war. Die zwischen 1705 und 1714 in München ihren Dienst vollziehenden österreichischen Beamten und Militärs kannten das Getränk aus ihrer Heimat und wollten wohl auch in der Fremde nicht darauf verzichten.