Calingulambam - Henriette Brun-Schmid - E-Book

Calingulambam E-Book

Henriette Brun-Schmid

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Beschreibung

Ein Stapel loser Blätter liegt vor Elsa, Danielles Freundin, Nölis Patin. Keine beiläufige Lektüre. Sie zeichnen tagebuchartig und unmittelbar auf, was Danielle, die Mutter von Nöli, während der 29-jährigen Beziehung zu ihrer Tochter erlebt hat. Sie schreibt genau und tabulos von Zweifeln und Ängsten, von der allmählichen Gewissheit über das "Anders-Sein" der Tochter: Nöli – ein Schlosskind im Nebelschloss. Der Blätterstapel ist Danielles Vermächtnis an ihre Frauenfreundschaft und fordert mit Elsa auch die Leser*in auf, den Mutter-Tochter-Weg zu betreten: Die Geschichten von Nöli führen an Abgründe, in Situationen der Überforderung. Ob da der hauchdünne Verbindungsfaden von der einen, der genormten, zu Nölis Welt nicht reisst? Plaudernd, aus fünfjähriger Distanz zu Nölis Tod, gelingt den Freundinnen über die beschriebenen Blätter hinweg eine liebevolle Annäherung mit vielen Einblicken in Nölis Anderswelt. Henriette Brun-Schmid legt mit Calingulambam einen empathischen Roman zum Thema Autismus vor. In kompetenter Art fügt die Autorin die einzelnen, präzise betrachteten Bilder zum literarisch stilsicher und berührend gestalteten Porträt der Protagonistin. Maja Studer, Lehrerin für deutsche Sprache und Literatur, Bern

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Henriette Brun-Schmid

Calingulambam

Nölis Anderswelt

Mit 1% seiner Einnahmen unterstützt boox-verlag eine Umweltschutzorganisation.

Impressum

© 2021 boox-verlag, Urnäsch

Alle Rechte vorbehalten

Coverbild und Illustrationen: Karin Widmer

Gestaltung Cover: Jonathan Graf, media-graf.ch

Buchsatz: Sandra Rold-Bator, blackforest-mediendesign.de

Lektorat: Maja Studer

Korrektorat: Beat Zaugg

ISBN 978-3-906037-67-7 (Taschenbuch)

ISBN 978-3-906037-68-4 (ebook)

www.boox-verlag.ch

Für Christoph und Nelliund all die anderen mit einer«besonderen Besonderheit»lebenden Menschen

«Ein Buch mussdie Axt sein fürdas gefroreneMeer in uns.»

Franz Kafka

Inhalt

Vorwort

Nöli fährt mit!

Nöli ist noch nicht geboren

Nöli wird geboren

Nöli ist 1½-jährig

Nöli ist 2½-jährig

Nöli ab 3-jährig, dann ihr ganzes Leben lang

Nöli ist 3-jährig

Nöli ist 6-jährig

Nöli ist 6½-jährig

Nöli ist 7-jährig

Nöli ist 9-jährig

Nöli ist 14-jährig

Nöli ist 15-jährig

Nöli ist 15½-jährig

Nöli ist 16-jährig

Nöli ist 16½-jährig

Nöli ist 17-jährig

Nöli ist 18-jährig

Nöli ist 19-jährig

Nöli ist 20-jährig

Nöli ist 25-jährig

Nöli ist nicht mehr da

Nöli ist vor 1 Jahr gestorben

Nöli ist vor 2 Jahren gestorben

Nöli ist vor 3 Jahren gestorben

Nöli ist vor 5 Jahren gestorben

Glossar

Dank

Autorin

Werke

Vorwort

Als Aussenstehende ist es schwierig, einen Einblick in das Leben, in die Beziehung zwischen Kindern und jungen Erwachsenen mit Autismus und deren Eltern zu bekommen. Die Autisten ziehen sich scheinbar in ihre eigene Welt zurück, zeigen unvorhergesehene Reaktionen, und die Eltern müssen oftmals mit den Situationen allein zurechtkommen. Die Ausdrucksweise/Kommunikation der Kinder kann konträr, unerwartet sein, sodass sie keinem bekannten Muster entsprechen und uns Menschen mit anderer Vorstellung von familiärer Kommunikation, so wie wir sie eben kulturell gelernt haben, nicht verstehen. Ein Sich-Hineinversetzen in die Denk- und Emotionswelt eines Autisten verlangt grosse Erfahrung, Geduld und die Bereitschaft, dem Gegenüber auf einer ebenbürtigen Ebene des Ernstnehmens zu begegnen.

In der Schweiz gibt es nur sehr wenige Spezialist*innen und Institutionen, welche Familien mit autistischen Kindern beraten und unterstützen können. Oftmals sind die Eltern mit ihren Kindern allein. Die Inkompatibilität zwischen den Rahmenbedingungen der Institutionen (Betreuungspersonal, Betreuungsausbildung und Betreuungsrhythmus) und den Bedürfnissen der Schutzbedürftigen führt oft zu einer Überforderung der Heime. Die Kinder werden entweder wieder den Eltern zurückgegeben oder, im schlimmsten Fall, in eine psychiatrische Einrichtung als letzte Anlaufstelle eingewiesen.

Henriette Brun-Schmid öffnet mit dem Buch «Calingulambam» ein Fenster in die Ambivalenz der Situationen, des sich in das eigene Kind Hineindenkens sowie der Verzweiflung bezüglich des Gefühls des eigenen Unvermögens, mit der Situation umzugehen. Und auch bezüglich des Unvermögens der Umwelt. Ein Fenster in die emotionalen Wechsel zwischen Liebe, Hoffnung und Resignation, zwischen schönen Momenten und unglaublich Belastenden, bei denen man sich sowohl beim einen wie auch beim anderen als Eltern, als Mutter oft sehr alleingelassen fühlt. Die Welt verschwindet. Nur noch das eigene Kind, das Verstehen-Wollen, das Hineindenken-Wollen, die Liebe und Verzweiflung stehen im Mittelpunkt. Die Verbindung nach aussen ist praktisch gekappt. Und trotzdem bleibt der liebevolle Blick zurück auf ein gutes und schönes Leben des eigenen Kindes.

Ich betreue inzwischen seit vielen Jahren Jugendliche und junge Erwachsene mit Autismus. Ich bin beeindruckt, wie das Buch mit einer fiktiven Geschichte die vielen verschiedenen Perspektiven und Ebenen des Lebens von Nöli und seiner Mutter im Verlauf von 29 Lebensjahren beschreibt und episodisch dokumentiert.

Ich hoffe sehr, dass viele Menschen, nicht nur diejenigen, welche ein Kind mit Autismus haben, sondern auch andere Interessierte und auch Menschen, welche professionell Jugendliche mit einer solchen Behinderung betreuen, dieses Buch lesen und damit einen besseren Einblick, ein besseres Verständnis und «Gefühl» für die Situation von Eltern und Menschen wie Nöli bekommen.

Ueli Hintermann, Institutsleiter Casa Flurina

Nöli fährt mit!

«Zwei Geheimnisse verspreche ich dir für diese Ferien», sagt Danielle zu Elsa, «ein grosses und ein kleines, welches aber mit der Zeit zu einem tröstlichen grossen wurde!»

«Da bin ich aber gespannt, fahren wir deswegen zusammen in die Ferien?», fragt Elsa neugierig mit warmer Stimme und betrachtet den schwachen Schimmer von Unsicherheit und Zweifel in den Augen von Danielle.

«Auch, nicht nur, aber auch, du wirst es verstehen …» Danielle schaut den draussen vorbeiziehenden Häusern nach. Sie sitzt rückwärts in Fahrtrichtung des Zuges.

Elsa betrachtet ihre Freundin nachdenklich. Elsa und Danielle haben sich lange vor der Geburt von Nöli kennengelernt, und seither verbindet sie eine innig-vertrauensvolle Freundschaft, wenn sie beide auch noch so verschieden sind. Für gemeinsame Ferien haben sie erst seit Kurzem Zeit, weil sie den Ruhestand genossen und ihre Familien selbständig geworden sind.

Bald werden sie im Ferienhaus von Danielle ankommen.

Elsa sitzt im Garten, hat das farbengestreifte Jäckchen, das sie für ihren ersten Enkel strickt, auf den Granittisch gelegt. Verwundert betrachtet sie den Stapel dicht beschriebener Blätter, den Danielle ihr feierlich mit folgenden Worten übergibt:

«Heute, zum fünften Todestag von Nöli, fünf Jahre nach Nölis Tod, ist es so weit, das ist mein grosses Geheimnis.» Sie legt einen Finger an ihre Lippen und wirft die Haare zurück. «Erst lesen, wenn du magst, es ist nicht nur leicht zu lesen, glaube mir», und ergänzt nachdenklich, «und zu schreiben auch nicht.»

Elsa umarmt Danielle: «Danke, ich freue mich so!»

Danielle löst sich aus der Umarmung: «Meinst du, Nöli hätte es ähnlich aufgeschrieben, wenn sie denn hätte schreiben können?», ruft ihr Danielle zu, schleppt den schweren Sonnenschirm aus Stoff und Holz heran und wuchtet ihn in den Sockel. Mit kräftigem Anlauf öffnet sie ihn, klagg. «Ha», ruft sie, «dieses Geräusch von Segel, Wind und Freiheit!»

Elsa schaut auf, schüttelt wohlwollend den Kopf und beginnt zu lesen. Danielle lässt sich mit einem Seufzer in ihren Stuhl plumpsen, blinzelt verstohlen zu Elsa hinüber. Elsa liest lange.

Nöli ist noch nicht geboren

Ich klopfte an die Küchentüre, die mit gelbem, knorpeligem Glas versehen war, sodass ich nicht hineinschauen konnte. Ich war allein zum Landdienst gekommen. Neben der Türe prangte ein Emailschild mit einem Schweizerkreuz und der Aufschrift «Viehhändler». Ich hörte Schritte, und eine Frau in einer Schürze über einer Latzhose über einem schwangeren Bauch öffnete mir. Sie bat mich herein, ihre Augen lachten, aber ihr Gang verriet, ich weiss nicht warum, etwas Zögerliches. Sie liess mich meinen Rucksack auf die drei Paar Kindergummistiefel stellen. Schwarze Holzpantinen lagen daneben. Es roch nach Milchkaffee und Kartoffelschalen. Die Frau bat mich an den Küchentisch, da hörte ich ein Stöhnen, Schnalzen und Gurgeln. Die Frau schaute mich unsicher an, als wollte sie fragen: «Hast du es gehört?» Ich wagte nicht, nachzufragen, und sie schenkte mir gleichzeitig wenig Kaffee und viel Milch in eine henkellose Tasse. Dann zählte sie mir in knappen Worten ihre Familie auf: drei Kinder, zwei Erwachsene und ein Knecht und ein Lehrling. Manchmal die Grossmutter von nebenan. Dann sagte sie noch fünf Worte: «Und Resi ist noch da!» Wie ein Vorwurf, wie eine Kränkung tönten diese Worte. Den Schmerz, der darin lag, habe ich da noch nicht gehört. Dann schwieg die Frau lange.

Der Bauer kam in die Küche, streifte seine Stiefel und eine Wollsocke ab. Schwarz umrandete, deformierte Zehennägel. Er selbst sah aus wie seine Füsse. Dicklich-klein, verschaffet und alt. Er war wohl kaum älter als vierzig.

«Kommt die für Resi?», fragte er, ohne uns anzuschauen. Sie nickte. Er bot mir eine schwieliggrosse Hand an zum Gruss. Von der Stadt war ich andere Hände gewohnt. Meine Hand schmerzte, so kräftig war sein Gruss. Er fragte mich, ob ich Arbeit gewohnt oder ob ich nur so ein unnützes Schulmädchen sei.

Ich antwortete: «Schulmädchen.» Mehr gab es da nicht zu sagen. Er schlürfte seinen Kaffee, nahm sich ein Riesenstück Brot, ein Riesenstück Käse, ein gutes Stück Speck und kaute bedächtig und schaute mich unentwegt an. Ich versuchte, seinem Blick standzuhalten, was mir aber nicht gelang. So fragte ich die Frau nach den Kindern. Zwei seien in der Schule, der Jüngste bei der Grossmutter im Garten. Weiter kam da nichts, wäre da nicht plötzlich wieder das Stöhnen gewesen. Ich musste die Frau fragend angeschaut haben, sie stand schwerfällig auf und deutete mir, mitzukommen. Hinter der Küche lag die gute Stube: ein Glasbuffet mit Keramiktellern, ein Feldblumenstrauss auf einer rotweiss bestickten Tischdecke, es roch nach frischem Thymian. Zwei bequeme Stühle in einer Ecke, ein Lehnstuhl mit einem Häkeltüchlein über der Lehne. Das Stöhnen war lauter geworden. Die Frau öffnete eine Türe hinter der guten Stube. Ein Geruch von Pisse, abgestandener Luft und Kosili-Badezusatz kam mir entgegen.

Ein Mädchen lag mit verdrehten Gliedern und verdrehten Augen speichelnd auf dem Bett.

Die Frau sagte: «Kann nichts, das Resi, ist behindert, wie ein Säugling! Dabei wird Resi zwölf!» Erst jetzt fiel mir ihr Schmerz in der Stimme auf. «Du bist da, um Resi zu waschen, neu zu betten, zu füttern und mir in der Küche zu helfen.» Stumm drehte sie Resi abrupt zur Seite, stöhnte auf beim Anblick des nassen Bettlakens, legte die sauberen Ecken über die Nassen und holte ein neues Laken aus dem Schrank. Mich hiess sie, das Kind auf der anderen Seite zu halten. Sein Körper war steif, verdreht und kühl. Sie wusch das ganze Kind vom Gesicht bis zu den Füssen, sprach kein Wort mit ihm, erklärte auch nicht, wo sie waschen würde, sprach nur zu mir: « Musst du jeden Tag machen, dann neues Pyjama. Resi versteht nichts, brauchst nicht zu reden mit ihm.»

Der Bauer stand in der Türe: «Bist du endlich fertig mit Resi? Das soll jetzt das Mädchen machen!» «Ja, ich zeige ihm nur, wie», sagte die Frau etwas ängstlich. Er schlurfte weg. Sein Weggehen mit dem einen blossen Fuss und der Socke am anderen war ein unregelmässiges Schaben auf Holz. «Bocksfuss», ging es mir durch den Kopf. Meine Fantasie brannte mit mir durch. Der Blick der Frau verriet Ungeduld. Ich hielt Resi fest, versuchte mit der anderen Hand ganz leicht über ihre Schulter zu streichen. Ich bildete mir ein, dass diese magere Knochenschulter etwas weicher wurde. Ich wusste, wie man Leute im Bett wusch, war ich doch viel in den Ferien mit meiner Tante, einer Krankenschwester, unterwegs. Resi stank, Resi speichelte, Resi liess Wasser und Kot ins Bett, Resi schrie und gurgelte. Und Resi stiess mich ab. Ich musste mich überwinden, der Frau zu helfen. Aber da, auf einmal, als die Schulter unter meiner Hand etwas weicher wurde, habe ich gemerkt, dass ich Resi würde pflegen können, und ich nickte der Frau zu. Und sie lächelte unsicher und hielt meine auf Resis liegende Hand für ganz kurze Zeit. Kein Wort zu Resi. Ich sagte zu Resi, dass ich für es da sei, sechs Wochen lang, dass ich es pflegen würde, und ich nannte meinen Namen.

«Kannst sein lassen, das Reden», sagte die Frau, «versteht nichts, das Resi!»

Ich nickte der Frau erneut zu, etwas verstört beim Anblick von Resi, beim Gefühl, so plötzlich so intim in diese mir fremde Familie geraten zu sein.

Die Frau hob Resi an den Bettrand und trug es mit einem zweiten Ruck in einen Stuhl. Resi kippte sofort vornüber, sodass die Frau es mit einem Laken am Stuhl festbinden musste. Mir fiel auf, dass kein Rollstuhl im Zimmer war. Das Bett wurde neu bezogen.

Zum Schlafen wurde mir die kleine Kammer hinter der Kinderkammer zugewiesen. Grosses Bett, schwere Bettdecke, Nachttisch mit Lampe, Elektroofen. Es war heiss, ich lag unter dem Bettlaken und konnte nicht einschlafen. Resi konnte ich hier nicht hören. Wie lebt man mit einem Kind, dessen verdrehte Glieder und Augen aus dem eigenen Fleisch und Blut sind? Dessen Fleisch und Blut man lieben möchte und es nicht vermag? Dessen Dasein Angst und Schmerz auslöst? Würde es mir nicht anders gehen bei einem eigenen kranken Kind? Da betete ich zu jemandem, nicht zu Gott, an den konnte ich nicht glauben, hier schon gar nicht an einen gerechten. Ich betete, nur um nicht allein zu sein. Ich wünschte mir, nie ein solches Kind zur Welt bringen zu müssen, bitte! Und gleichzeitig spürte ich schon jetzt, dass ich Resi mögen würde. Darüber war ich sehr erstaunt. Die Bitten und die Fragen drehten sich im Kreis. Ich zermarterte mir das Gehirn mit Fragen ohne Antworten, und mit dem Schmerz in der Stimme der Frau schlief ich ein.

So begrüsste ich jeden Morgen die verdrehten Glieder und Augen, wusch die Glieder, den ganzen Körper. Meine Hand auf Resis Schulter, auf einer jeden Tag weicheren Schulter. Resi neu gekleidet, das Bett neu bezogen und Resi in den Stuhl gebunden. Ich fütterte Resi wie ein paar Monate altes Kind mit Brei. Und eines Tages, es waren zwei Wochen vergangen, lachte Resi, als ich hereingekommen war. Da war ich mir sicher, ihre verdrehten Glieder zuckten, und Resi lachte mich an. Da habe ich ihre Schulter behutsam etwas mehr gedrückt, und Resi lachte behutsam etwas mehr. Der Bauer war nie mehr in dieses nach Pisse riechende Zimmer gekommen. Nur die Frau und der jüngste Bub gingen mir zur Hand, und manchmal ruhte da die Hand der Frau etwas länger auf meiner, auf Resis Schulter liegenden Hand. Das Lachen in ihren Augen wurde etwas mehr. Und so lachten Resi, die Frau und ich jeden Tag ein bisschen mehr, und der jüngste Bub hat gekichert. Und eines Tages, es waren vier Wochen vergangen, ergriff Resi meine Hand. Behutsam und nur ganz flüchtig und mit spastischen Armen. Ich war so ergriffen, dass ich weinen musste. Von diesem Tag an hielt ich Resi jeden Morgen nach dem Waschen eine Niveadose hin, blauweiss. Resi lachte und gurgelte. Das Zimmer lachte und gurgelte, stank nicht mehr so nach Pisse. Und eines Tages, es waren fünf Wochen vergangen, griff Resi zum ersten Mal nach der Dose. Dabei schüttelte es sie vor Lachen, und nach vier spastischen Versuchen hielt sie die Dose in der Hand. Die Verzückung auf ihrem Gesicht, auf ihrem ganzen Körper! Ihr Stolz war nicht in Worte zu fassen. Am nächsten Tag haben Resi und ich diese Nummer der Frau vorgespielt, und sie lachte zum ersten Mal laut in diesem Zimmer. Ihre Hand hielt meine für kurze Zeit, «danke!». Ich biss mir auf die Lippen, nur um nicht vor Freude zu weinen.

Am nächsten Tag, die Frau war beim Arzt, sorgte ich für Resi für Abwechslung. Ich wusch sie, zog ihr ein frisches Hemd an, Socken und Pantoffeln, eine Wolljacke. Ich trug sie kurzerhand in die gute Stube und band sie in den Lehnstuhl mit dem Häkeltüchlein. Resi gurgelte vor Freude, und der jüngste Bub klatschte in die Hände. Wir drei waren glücklich.

Da polterte der Bauer mit rotem Gesicht vor Wut in die gute Stube, ohne die Stiefel auszuziehen. Die Augen von Resi weiteten sich, der Bub kroch unter den Tisch, die Feldblumen schauten zu. Der Bauer riss Resi hoch. Sie war noch angebunden! Wütend löste er das Laken, trug sie zurück in ihr Zimmer und liess sie mit verdrehten Gliedern aufs Bett fallen. Er polterte zurück zu mir, er sei Viehhändler, er könne den kranken Gof nicht hier in der guten Stube brauchen, da würde er kein Vieh mehr verkaufen können, wenn die Bauern den sehen würden, den Gof. Ich solle meinen Rucksack packen und verschwinden. Der Bub begann zu weinen, ich auch, der Bauer polterte hinaus, Resi speichelte und schrie. Ich lief zu Resi, öffnete die Fenster, setzte mich zu Resi aufs Bett und reichte ihr schniefend die Niveadose. Jetzt hielt sie sie fest umklammert, ich legte meine warme Hand auf ihre Schulter, schluckte an meinen Tränen, und Resi schlief mit der Dose in der Hand ein. Leise kam der Bub herein und legte seinen Kopf auf meine Knie.

Am Mittag sagte die Frau, sie könne nichts machen, ihr Mann könne mit seinem kranken Kind nicht umgehen, ich solle packen und nach Hause gehen. Sie wolle nicht, dass er mich plage, der Resi wegen. Der Schmerz in ihrer Stimme.

Mit gepacktem Rucksack ging ich zu Resi ins hintere Zimmer und gab ihr einen Kuss auf die Stirne. Resi hielt mir die Niveadose hin und versuchte mich festzuhalten. Der Jüngste umfasste meine Knie und weinte. Die Frau hielt meine Hand etwas länger und drückte mir ein frisch gebügeltes Taschentuch von Resi in die Hand. «Als Andenken, danke!»

Elsa hält das von Danielle eng beschriebene Blatt Papier mit der Geschichte über den Landdienst noch in der Hand:

«Puh, ich war auch im Landdienst, hoch oben in einem Bergdorf. Nach zwei Wochen war mir, als würden sich die hohen Berge, die grauen Felsen zu mir herabsenken und versuchen mich zu erdrücken. Sechs Wochen hatte ich zu bleiben! Ich musste stundenlang Kartoffeln schälen, und es gab mehrere Spiegeleier pro Person, nicht nur eines wie zuhause. Ich hatte so schrecklich Langezeit, die Bäuerin war eine gute Frau, liess mich ab und zu nach Hause telefonieren. Sie besassen einen Wandapparat, und alle im Haus konnten mithören, wie ich mein Weinen unterdrückte, wenn ich mit Mutter sprach. Die Familie hatte zwei kleine Kinder und geschätzte 200 Ziegen in einem grossen Laufstall. Die Eltern der Bäuerin und der alte gebrechliche Vater des Bauern wohnten im selben Haus. Die Bäuerin machte jeden Tag frischen Ziegenkäse. Der Bauer war mehr weg als eine grosse Hilfe, das habe ich schon in der ersten Woche gemerkt. Gesprochen hat man darüber nicht. Wenn er da war, ausnahmsweise, war mir sein maliziöses Lächeln unheimlich. Überall blieben Berge von schmutzigem Geschirr, von schmutziger Wäsche liegen, weil die Bäuerin mit den Arbeiten nie nach mochte, so viel Arbeit fiel an. Ich wollte helfen, bin nie nachgekommen mit Helfen, hatte zwei linke Hände. Trotzdem war es eine gute Zeit für mich, ich habe viel gelernt, auch wenn es nur ‹Durchbeissen›, nicht Aufgeben war. Und ich denke, es war auch eine gute Zeit für die Bergbäuerin, ich glaube, sie mochte mich, sie war innerlich oft allein mit den Kindern und den Ziegen.»

«Dich, du lame duck, im Landdienst sich vorstellen, das ist wahrlich schwierig», lacht Danielle ausgelassen. Elsa streckt ihr die Zunge raus und nimmt den Stapel beschriebener Blätter wieder zur Hand.

Herzton hörenWenn du still bist mittendrin

Ferdinand Stein