Capucine - Blaise Hofmann - E-Book

Capucine E-Book

Blaise Hofmann

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Beschreibung

Wer erinnert sich noch an Capucine? In den Fünfzigerjahren stieg die junge Französin, eine klassische Schönheit, vom gefragten Pariser Mannequin rasch auf zum gefeierten Hollywood-Star. Sie drehte mit Regisseuren wie Blake Edwards und Federico Fellini an der Seite von John Wayne, Peter Sellers, Romy Schneider u.v.a. und genoss ihr glamouröses Leben.Ihre letzten drei Jahrzehnte verbrachte sie in Lausanne, in der Nähe ihrer Freundin Audrey Hepburn, aber die Aufträge wurden seltener. Am 17. März 1990 beging Capucine, die das Alter und die Einsamkeit nicht länger ertrug, mit 62 Jahren durch einen Sturz von ihrem Balkon Suizid.Der Waadtländer Autor Blaise Hofmann nimmt uns mit auf seine Spurensuche nach dieser faszinierenden Frau, hinter die Kulissen der Haute Couture und des Filmbusiness. Barbara Traber hat ihre Geschichte aus dem Französischen atmosphärisch dicht übertragen.Filme u.a.: The Pink Panther, What's New Pussycat?, Walk On The Wild Side, The Honey Pot, Song Without End, The Lion

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Seitenzahl: 204

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Inhalt

Cover

Impressum

Titel

Einleitung

SAUMUR

Rue Gauthiot-Lamy 213

Germaine

PARIS

Die heilige Germaine von Saint-Germain-des-Prés

Madame Trabaud

Capucine

HOLLYWOOD

Ka-poo-seen

Beverly Hills

Die Glorreichen Zehn

Charles, Dirk & William

LAUSANNE

Chemin de Primerose 6

La Paisible

Rouge Capucine

Leben neben dem Telefon

17. März 1990

Wer erinnert sich noch an Capucine?

17. März 1991

Dank

Über die Autoren

Biografien bei Zytglogge

Backcover

BLAISE HOFMANN

CAPUCINE

Der Autor, die Übersetzerin und der Verlag danken herzlich für die Unterstützung:

Dieses Buch erscheint mit Unterstützung der ch Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit dank der Beteiligung aller 26 Kantone. Die Übersetzung wurde von Pro Helvetia subventioniert.

Der Zytglogge Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016 – 2020 unterstützt.

Originalausgabe: Capucine© 2015 Éditions Zoé, GenfPubliziert durch die Genehmigung der Agence littéraire Astier-PécherAlle Rechte vorbehalten

Deutsche Ausgabe© 2020 Zytglogge Verlag, Schwabe Verlagsgruppe AG, BaselAlle Rechte vorbehaltenÜbersetzung aus dem Französischen: Barbara TraberCoverbild: Georges DambierLektorat: Angelia SchwallerKorrektorat: Monika Künzi SchneidereBook-Produktion: 3w+p, Rimpar

ISBN ePub 978-3-7296-2318-7ISBN mobi 978-3-7296-2319-4

www.zytglogge.ch

Blaise Hofmann

CAPUCINE

Unsere vergessene Hollywood-Ikone

Aus dem Französischen von Barbara Traber   

Die Mauer ist vor vier Monaten gefallen, in der DDR wird gerade gewählt. Die Seiten der Tageszeitungen werden umgeblättert, sie werden ohne sie umgeblättert. Die Rumänen haben ihren Tyrannen gestürzt. Nelson Mandela ist frei, das ist ein Neubeginn. In einer bis zum Hals zugeknöpften weißen Bluse und doppeltem Perlencollier hebt sie das Gesicht mit den geschminkten Wangen und Lidern, die Augenringe kaschiert, sie ist da und doch nicht da.

Der Kellner geht zu seinem Gast des Samstagmorgens. Er gehört zu den Hartnäckigen, er weiß, dass sich hinter dem hochmütigen Verhalten Humor verbirgt, er versucht, ins Gespräch zu kommen. Sie schaut ihn an, prüfend, wie man den Horizont absuchen würde.

Teilweise sonnig am Morgen, vorübergehend bewölkt, manchmal dicht ab Mittag, Regenschauer nachmittags nicht ausgeschlossen, nachts Wetterverschlechterung.

Auf der anderen Seite des Fensters im Café Le Gros Minet scheint die Sonne auf die Vorübergehenden. In drei Tagen wird es Frühling sein, sagt der Kellner noch. Ihr Lächeln ist leicht verkrampft. Ihr Winter endet nicht mehr.

WAAGRECHT 1. «Verharmlosen» in zehn Buchstaben, «ohne dass man es vermeiden kann». 4. «Ein Stück Land, von Wasser umgeben» – fünf Buchstaben. 9. «Was große Mühe macht» – sieben Buchstaben.

SENKRECHT 1. «Überraschend und zutiefst verstörend» – sechs Buchstaben, «traurig und entmutigt» – zehn Buchstaben. 6. «Nicht mehr zu den Jungen gehörend» – drei Buchstaben.

Sie wirft einen zerstreuten Blick auf die Kultur-Seiten. Verbrechen und andere Kleinigkeiten läuft nach wie vor. Sie hat den letzten Film von Woody Allen bewundert, sie möchte es ihm sagen können. Was für ein Weg seit Was gibt’s Neues, Pussycat?!

Sie kann sich sehr genau erinnern. Um ihn zu treffen, war der Produzent ins Bitter End, einen Club in Greenwich Village, gegangen. Er wollte seinem Casting Schwung verleihen. Er hatte ihm 30 000 Dollar angeboten. Woody wollte 40000. Es war seine erste Rolle, sein erstes Drehbuch. Das war vor fünfundzwanzig Jahren.

Im Nachspann von Was gibt’s Neues, Pussycat? stand ihr Name in größeren Buchstaben als jener von Woody Allen. Sie war der Star neben Peter Sellers, Peter O’Toole und Romy Schneider. Françoise Hardy hatte auch eine kleine Rolle.

Der Produzent hatte sich dem Willen der Produktionsfirma Fox gebeugt, sich dem herrschenden Puritanismus angepasst und eine Sequenz, die auf der Terrasse eines Pariser Cafés gedreht worden war, gestrichen. Woody hat einen großen, schüchternen Kerl gespielt und sie eine bürgerliche Nymphomanin. Sie musste sich auf seinen Schoß setzen und schreien: Verführe mich!

Charles Feldman – ihr Freund Charly – war der Produzent gewesen. Sie wohnten zusammen in Beverly Hills. Er, einer der bekanntesten Agenten von Hollywood, war es gewesen, der ihren Namen bei der Rollenbesetzung durchgebracht hatte. Das hatte sie erst viel später erfahren. Charly hatte ihr anvertraut: Du bist nie eine bessere Schauspielerin, als wenn du dich über deine Rolle als Dame von Welt lustig machst.

Derweil in den Kinos von Lausanne:

ABC: Gauner gegen Gauner von Claude Zidi

ATHÉNÉE: Nikita von Luc Besson

BOURG: Die Zeit der Zigeuner von Emir Kusturica

CITY CLUB: Zu schön für Dich von Bertrand Blier

GEORGES V: Verbrechen und andere Kleinigkeiten von

Woody Allen

PALACE: Geboren am 4. Juli von Oliver Stone

ROMANDIE: Der Club der toten Dichter von Peter Weir

Charly hatte das bevorstehende Ende der Filmsäle vorausgesagt, er fürchtete die negativen Auswirkungen durch das Fernsehen.

SAMSTAG, 17. MÄRZ 1990

Sébastien, c’est fou von Patrick Sébastien, auf TF 1

Champs-Elysées von Michel Drucker, auf Antenne 2

Drei Einfrankenstücke für den Espresso und ein diskreter Blick zum Kellner. Sie überquert die Avenue de Cour und betritt die Metzgerei. Guten Tag, Madame Capucine, wie geht es Ihnen? Sehr gut, danke. Ihre Gesichtszüge verraten das Gegenteil. Sie wartet, bis sie an die Reihe kommt, sie zögert einen Moment und verlässt das Geschäft, ohne etwas zu kaufen. Der Verkäufer hat Augen wie ein besorgter Vater.

Sie umgeht den Chemin de Primerose, schlägt stattdessen den Weg mit Büschen ein, eine Reihe Steinplatten über den Rasen einer öffentlichen Gartenanlage, ein kleines Paradies am Fuß ihres Wohngebäudes. Sie geht langsam, im Schatten von alten, moosüberwachsenen Kiefern. Es hat ein Bambuswäldchen und schon die ersten Primeln. Sie bleibt kurz stehen, schaut zum Himmel hinauf.

Sie erreicht die Eingangshalle. Die Concierge scheuert den Boden, ohne den Kopf zu heben. Sie drückt auf den Knopf des Aufzugs, sie wühlt in ihrer Handtasche. Die zwei Türen öffnen sich, sie findet ihre Schlüssel nicht. Die Concierge richtet sich auf, geht zu ihr, steckt ihren Generalschlüssel ins Schloss und entfernt sich. Merci, Madame Demierre. Die Türen schließen sich hinter ihr. Ein, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, die Türen öffnen sich wieder, sie ist zu Hause.

Es ist bald Mittag, aber sie hat den Appetit eines kleinen Vogels, füttert lieber ihre Katzen. Heute gibt es die doppelte Ration für Abyssinien, Burmese und Perceval.

Auf ihrem Bridge-Tischchen liegen ein Brief und eine alte Predigt in Englisch, die sie sorgfältig kopiert hat. Sie legt diese so hin, dass man sie gut sieht, setzt sich aufs Sofa, zieht die Pumps aus, den Aschenbecher näher heran, steckt eine Mary Long auf ihre Zigarettenspitze. Sie raucht, sie macht nichts anderes als rauchen. Schließlich hebt sie den Deckel ihres Plattenspielers.

Wie wenig wir doch sind.Meine Freundin, die Rose,sagte es mir heute früh.In der Morgenröte wurde ich geboren,getauft mit Tau.Ich bin aufgeblüht,glücklich und verliebtmit den Sonnenstrahlen.Nachts hab meine Blüten ich geschlossen,bin morgens alt geworden aufgewacht.

Die Stimme von Françoise Hardy tröstet sie nicht. Sie hält jetzt einen Zettel in der Hand, auf dem eine Telefonnummer und eine Mitteilung ihrer Freundin Audrey stehen: «Wenn du wieder daran denkst, versprich mir, mich vorher anzurufen!»

Siehe, Gott, der mich erschaffen hat,lässt mich das Haupt neigen.Und ich spüre, dass ich falle.Mein Herz ist beinah nackt.Mit einem Fuß steh ich im Grab.Schon gibt es mich nicht mehr.

Sie nimmt den Hörer, gibt die Nummer ein, legt den Hörer wieder auf und geht auf die Terrasse hinaus. Audrey ist ohnehin in New York. Wie finster die Terrasse ist ohne ihre Petunien.

Vor ihr liegt der See, riesig, wie ein Spiegel. Frankreich.

Man hört das dumpfe Brummen der Autos. Kinder gehen zur Schule, die Alten bleiben zu Hause. Im Nachbargebäude sind die Angestellten der Vaudoise Versicherungen an der Arbeit. Sie sind vielbeschäftigt, haben Besseres zu tun, als sich um eine verrückte Alte zu kümmern, die ihnen von ihrer Terrasse aus bei der Arbeit zuschaut.

Vor dem Gebäude, das ist SIE, sie erkennt sich, seit Längerem hat sie diese Vision. Sie geht heim und schenkt sich ein Glas Bourbon ein, obwohl sie nie Alkohol trinkt. Sie stimmt sich auf das Bevorstehende ein. Es ist vielleicht die Rolle ihres Lebens. Zwei Stimmen versprechen ihr, sie werde unsterblich werden. Aber sie zittert, sie sieht die Menge unten, die Blitzlichter, sie hört Schreie. Capucine! Capucine! Capucine! Sie erkennt bekannte Gesichter, aus Saumur, Paris, London, Rom, Hollywood, sehr wenige sind da. Die Menge ist ungeduldig. Sie macht auf Diva, sie bleibt zu lange vor dem Spiegel, der Assistent rauft sich die Haare. Plötzlich ist sie da. Der Techniker beleuchtet die Beflügelte. Es wird kein Double geben. Ruhe bitte, Ton läuft!

Der Tod ist nichts. Ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen. Das, was ich für euch war, bin ich immer noch. Lacht weiterhin über das, worüber wir gemeinsam gelacht haben. Spielt, lacht, denkt an mich …

Die Bise trägt die Worte des alten Gebets hinweg, das Blatt Papier schwebt schwerelos. Sie hat sich entschieden, ihre Wahl ist getroffen, sie wird das Ende des Films nicht mehr sehen, sie wird nicht auf dem Sofa einschlafen, sie wird bis ans Ende gehen, sie wird wie ein Stern fallen, sie ist es müde, gegen den Wind zu fliegen, sie wird ein Komet sein, nur drei oder vier Sekunden lang, sie denkt an die Taschentücher, die von Hand zu Hand gereicht werden, wenn der Nachspann abgespult wird, an die feuchten Augen, wenn das Licht im Saal langsam wieder angeht.

Wie der Philosoph in Woody Allens Film Verbrechen und andere Kleinigkeiten hat sich die französische Schauspielerin Capucine durch einen Sturz vom achten Stock ihres Wohngebäudes das Leben genommen. Sie wohnte in Lausanne mit ihren drei Katzen. Unter Depressionen leidend, fand sie ein wenig Trost bei ihrer Freundin Audrey Hepburn, mit der sie Erinnerungen an ihren vergangenen Ruhm teilte.

Le Soir, 21. März 1990

Drei Tage nach der Tragödie widmet die Waadtländer 24 heures der «Dame mit dem großen Herzen, die die Einsamkeit vorgezogen hat», endlich eine ganze Seite. Der Journalist notiert sich den Vornamen und Namen eines jungen Mannes, der alles vom Fenster seiner Küche aus beobachtet hat:

Ich habe gedacht, dass ihr Körper in einer eigenartigen Stellung dalag, und das hat mich beunruhigt. Ich bin rasch in den Garten hinuntergegangen. Als ich dort angekommen bin, versuchte ein Mann eine Frau, die braune Hosen und eine weiße Bluse trug, zu reanimieren. Man konnte nichts mehr tun.

Am 17. März 1990 um 12.45 Uhr im Alter von 62 Jahren gestorben durch einen Sturz aus dem Fenster im achten Stock ihres Wohngebäudes am Chemin de Primerose 6 in Lausanne.

Da der Schlüssel des Aufzugs im Inneren der Wohnung gefunden wurde, schloss die Polizei bei ihrer Untersuchung rasch auf Suizid.

Die französischsprachige Tageszeitung Le Matin hat Mühe, die Gründe für diesen Selbstmord zu verstehen:

Lausanne ist nicht erpicht auf skandalöse und blutige Vorfälle. Der Selbstmord von Capucine hat die Ruhe und das positive Image der Stadt gestört. Wie kann man sich in einer so schönen, so friedlichen und so einnehmenden Stadt das Leben nehmen?

Jeder hat seine eigene Hypothese. Sie hat es nicht ertragen, in die Jahre zu kommen. Es ist hart, das weiß man, als Schauspielerin alt zu werden. Sie lebte neben dem Telefon, in Erwartung eines Anrufs eines Produzenten. Sie war völlig ruiniert, sie hatte ihr ganzes Vermögen in Hollywood verschleudert. Sie litt darunter, dem Kino ihre Mutterschaft geopfert zu haben. Sie bedauerte, so viele Liebhaber abgelehnt zu haben. Mit 62 Jahren war sie auf einmal allein, sie hatte den Kontakt zu ihrer Familie, ihrem Vater, ihrer Mutter, ihrem Bruder abgebrochen. Paris, Rom und Los Angeles fehlten ihr schrecklich. Die schöne helvetische Ruhe wurde zur tödlichen Langeweile. Sie litt unter sehr schweren Depressionen. Sie war mehrmals in die psychiatrische Klinik von Cery eingeliefert worden. Sie hatte vier Selbstmordversuche verübt …

Capucine hat ihre Geheimnisse mit ins Grab genommen.

Sie war die Werbeträgerin von Fath, Balmain, Dior und vor allem von Givenchy.

Sie hatte an der Seite der großen Stars gespielt: Woody Allen, Romy Schneider, John Wayne, Peter Sellers, Peter O’Toole, William Holden, Dirk Bogarde, David Niven, Laurence Harvey, Rex Harrison, Charles Bronson, Ursula Andress, Maggie Smith, Susan Hayward, Anne Baxter, Barbara Stanwyck, Jane Fonda, Claudia Cardinale, Annie Girardot, Alain Delon, Louis de Funès, Jean-Paul Belmondo.

Sie hatte unter der Regie gedreht von Federico Fellini, Henry Hathaway, Charles Vidor, George Cukor, Terence Young, Blake Edwards, Victor Tourjansky, Edward Dmytryk, Joseph Mankiewicz …

Wer erinnert sich noch an Capucine?

SAUMUR

Rue Gauthiot-Lamy 213

Mit über vierzig versicherte Capucine, sie sei 1933 geboren. Aber tatsächlich kam sie am 6. Januar 1928 gegen Mittag in Saint-Raphaël, einer Hafenstadt im Süden Frankreichs, zur Welt.

Sie heißt damals Germaine Lefebvre, sogar Germaine Hélène Irène Lefebvre. Wir sind noch weit entfernt von der Hollywood-Filmschauspielerin, die den Namen ihrer Geburtsstadt englisch aussprach, indem sie das «r» sanft rollte und das «l» mit der Zunge befeuchtete.

Meine Erwartungen werden vom Bürgermeister von Saint-Raphaël enttäuscht:

Die Schauspielerin Capucine ist zwar hier geboren, hat aber nur kurz in der Stadt gelebt. Es gibt kein Denkmal von ihr. Google wird Ihnen weitere Informationen über ihre wichtige Karriere liefern.

Die Familie Lefebvre ist nämlich bald einmal nach Saumur am Ufer der Loire in den Westen Frankreichs gezogen.

Das Telefonbuch erwähnt einen Jocelyn Lefebvre an der Rue de l’Ancienne Gare 8, die Nummer ist nicht mehr gültig. Reymond Lefebvre wohnt an der Route des Capucins d’Offard, er hat noch nie von Capucine gehört. So wenig wie der Direktor der Hotellerie Lefebvre. Jean-Pierre Lefebvre seinerseits, der an der Place Bury Nr. 19 wohnt, wünscht mir viel Glück: Es gibt Hunderte von Leuten namens Lefebvre in der Gegend!

Das Tourismusbüro von Saumur weiß nichts über Capucine. Immerhin findet die Empfangsdame einen Hinweis im Archiv der Regionalzeitung Le Courrier de l’Ouest. Der Journalist Pierre-Louis Augereau hat ihr im Januar 2012 tatsächlich drei Artikel gewidmet. Er lässt sie mir mit einer ermutigenden Bemerkung zukommen:

Capucine würde sich hervorragend als Figur für einen Roman eignen. Soviel ich weiß, existiert noch kein solches Porträt. Falls Sie über sie schreiben, vergessen Sie nicht, uns zu informieren, sobald das Buch erschienen ist.

Der erste Artikel schildert die Erinnerungen von Eliane Remigereau, die 1926 in Saumur geboren wurde. Sie ging jeden Tag mit Capucine ins öffentliche Gymnasium:

Ich glaube, ihre Eltern hatten ein kleines Pharmazeutik-Unternehmen, aber ich bin mir nicht mehr ganz sicher. Woran ich mich jedoch gut erinnere: Sie war sehr schön und interessierte sich besonders für Mode. Es herrschte damals Krieg, und wir hatten andere Sorgen. Sie schien sich nicht für ein Studium zu eignen. Aber sie überraschte uns immer durch ihre Originalität, und man merkte schon gut, dass sie nicht die Absicht hatte, in Saumur zu bleiben.

Der zweite Artikel gibt Jean Guiducci das Wort, der im Olympiastadion in Saumur Fußball spielte und der wie der zwei Jahre ältere Bruder von Capucine die Industrielle Berufsschule besuchte:

Die Familie Lefebvre wohnte an der Rue Gauthiot-Lamy in Saint-Lambert-des-Levées. Der Vater war Atelierchef in der Fabrik Deshosal, die Autoklaven für Spitäler herstellte. Germaine war ein sehr hübsches Mädchen, allerdings noch nicht der Vamp, der sie später sein würde. Man nannte sie Nénette. Ich sehe sie noch vor mir mit ihren Schuhen mit Holzsohlen, umhüllt mit weißem Tuch, wie es in jener Epoche Mode war. Sie ist später nach Paris gezogen, aber eines Tages bin ich ihr auf der Straße von Saumur wiederbegegnet. Sie war für den Ball der Ehemaligen der Industriellen Schule zurückgekehrt.

Der letzte Artikel ist ein anonymer Bericht einer Frau aus Saumur mit einem Foto von Capucine von 1943, am Tag, als beide ihr Sportbrevet abschlossen. Man sieht bereits, wie Capucine in ihrer Vichy-Bluse posiert:

Sie war ziemlich schalkhaft, die Schönste von uns allen. An der Hochschule Saint-André hatte sie schon eine sehr schlanke Figur. Ich erinnere mich, dass sie gut zeichnen konnte und in der Klasse ihre Geografie- oder Algebra-Kenntnisse vortrug. Man spürte, dass sie eine künstlerische Seite hatte. Sie hatte einen verspielten, lebhaften, fröhlichen Charakter, aber es gab auch Momente, da war sie abwesend, melancholisch.

Fassen wir zusammen: Das Haus der Familie Lefebvre steht an der Rue Gauthiot-Lamy, in Saint-Lambert-des-Levées, einer Gemeinde, die heute in die Stadt Saumur integriert ist. Der Vater war Atelierchef der Fabrik Deshosal. Ein Bruder, geboren 1926, der die Industrielle Berufsschule, die heutige Berufsfachschule Sadi Carnot, besuchte.

Und Capucine, die schöne Germaine, Nénette, die Originelle, die Schalkhafte, die Künstlerin, die Verspielte, die Melancholische, die sich besonders für Zeichnen und Mode interessierte und die davon träumte, aus Saumur wegzuziehen.

Zurück in die heutige Zeit. Ich fahre nach Paris und folge von da an weiteren Spuren, via Tours bis zum Bahnhof von Saumur.

Als ich aus dem Zug aussteige, schlage ich unabsichtlich den Weg ein, den Capucine jeweils genommen hat, wenn sie an die katholische Hochschule Saint-André ging – die es immer noch gibt – und ins öffentliche Mädchengymnasium, das zum Lycée Duplessis-Mornay geworden ist.

Von der anderen Seite der Loire aus, auf dem Schlosshügel, überblicke ich den Fluss, die Insel Offard und ihre zwei Brücken und bilde mir ein, mein Thema im Griff zu haben. Als ich in die Altstadt hinuntergehe, befrage ich einen, zwei, drei, zehn, zwanzig, dreißig Passanten, mache die Bekanntschaft von sympathischen Leuten, aber niemand hat je etwas von Capucine gehört.

Auf dem Plakat des Kinos Le Palace – das es schon 1940 gab – die Filme Hunger Games und Interstellar. Der Name Capucine sagt dem Geschäftsführer nichts. Unnötig, die Schachteln mit DVDs an der Rue Franklin Roosevelt zu durchwühlen, um festzustellen, dass es hier keinen einzigen Film mit ihr hat.

In der Gemeindebibliothek finde ich keine einzige Zeile über die Schauspielerin. Auch in der Buchhandlung Le Livre à venir nicht. Der Arzt Bernard Croisile signiert dort zwei seiner Bücher mit ironischen Titeln: Die Alzheimerkrankheit und Alles über das Gedächtnis.

Ich überquere nochmals die Cessart-Brücke, die Insel Offard, die Napoleon-Brücke, gehe weiter durch die Rue Gauthiot-Lamy, die Capucine hat aufwachsen sehen und die für die Mittelschicht zum gehobeneren Wohnquartier geworden ist, ein Stadtgarten ohne Café und ohne Geschäfte, drei Minuten vom Zentrum entfernt. An den Wänden einer brachliegenden Halle kann man noch die Inschrift «Brocante Dépôt Vente» entziffern. Sonst nichts weiter als eine Anreihung von einzelnen Pavillons mit Dächern aus Schiefer, feuchten Steinmauern, kleinen, mit Gittern umrandeten Gärten, Eisentoren, Warnungen vor Hunden.

Und keine Menschenseele, nicht einmal Hundegebell, als ich vorbeigehe. Bloss einige Vorhänge, die zur Seite geschoben werden: ein Hausierer? Ein Einbrecher, der herumschnüffelt?

Ich lese die Namen auf den Briefkästen. Niemand, der Lefebvre heißt. Keine Werbung. Gegensprechanlagen. Bitte nicht parken. Plötzlich ein Mensch, ich lenke meine Schritte in seine Richtung. Er wohnt noch nicht lange in diesem Quartier. Er entschuldigt sich, er kann mir nicht weiterhelfen. Er kennt die Nachbarn nicht.

Am anderen Ende der Rue Gauthiot-Lamy, an der Kreuzung zur Rue Grange-Couronne, bin ich wieder gleich weit und sage mir: Wozu soll das gut sein?

Wozu die Orte, die ihr vertraut waren, ein Dreivierteljahrhundert später betreten? Wozu Hinweise aufspüren und Quellen anzapfen? Würde ich unter den Vorübergehenden eine Capucine in ihrer besten Form finden? Liegt ein Stück ihrer Seele in der Luft von Saumur, in den Steinen oder im ruhigen Fluss der Loire?

Könnten gründliche Nachforschungen und ein bisschen Einbildungskraft nicht genau das Richtige sein?

Die Erinnerung des Menschen ist grausam. Die Bewohner von Saumur hätten in den Sechzigern viel darum gegeben, mit Capucine zu verkehren, als sie seit zehn Jahren auf den Titelseiten der Zeitschriften prangte. Man kopierte ihre Frisur, man beneidete sie um ihre Garderobe. Es gab Gerüchte über ihr Vermögen, über den Namen ihres letzten Geliebten. Jeder erfand seine eigene kleine Anekdote. Ich hatte sie an die Blumenausstellung im Theaterfoyer begleitet! Ich spielte mit ihrem Bruder im Olympiastadion Fußball! Sie hatte mir am Jahrmarkt in den Gartenanlagen von Chardonneret einen Walzer gewährt!

Der Welt der Lebenden überdrüssig, vergrabe ich mich in den Gemeindearchiven. Das heutige Gebäude ersetzt den früheren Saal Carnot, den allerersten Kinosaal der Stadt. Ein gutes Vorzeichen?

Als ich den Grund für meinen Besuch nenne, erzählen mir die zwei Archivare, wie der Krieg der Knöpfe gedreht wurde. Yves Robert stammte aus Saumur! Wie Fanny Ardent und vor allem Coco Chanel!

Alle Bewohner von Saumur könnten Auskunft geben, wo die Modistin 1883 das erste Jahr ihres Lebens verbracht hat: an der Rue Saint Jean 20.

Coco Chanel ist also drei Kilometer von Capucines Viertel entfernt geboren worden, auf der anderen Seite der Loire. Ein seltsamer Zufall, dass auch sie ihre letzten Tage in Lausanne verbrachte, nur drei Kilometer von Capucines Wohnung.

Mit einem zeitlichen Abstand von vierzig Jahren sind die zwei Frauen am Fuß des gleichen Schlosses aufgewachsen; sie haben die gleichen noblen Restaurants besucht – das Grappe d’Or und das Pomme de Pin –, die gleichen Luxusboutiquen an der Rue de Bourg und auf der Place Saint François, die gleichen Hotels – das Palace und das Beau Rivage.

Und … Capucine?

Es wird Zeit, ein Paar weiße Handschuhe überzustreifen und die alten Dokumente der Gemeinde Saint-Lambert-des-Levées zu durchforsten. Die Namensliste von 1931 enthält keinen Lefebvre. Die Familie musste damals noch in Saint-Raphaël gewohnt haben. Die nächste Volkszählung hat es 1962 gegeben. Ich finde auf dieser Liste keine Spur der Familie, die sicher bereits weggezogen war.

Auch nichts im Amtsblatt Saumur Magazine …

Der Lesesaal ist voller geschwätziger Rentner, die hier genealogische Recherchen machen.

Gegen drei Uhr erscheint ein junger Mann, der sich schüchtern bei der Archivarin erkundigt, ob sie alte Fotos des Quai Carnot besitze. Dort sei das Haus seines Vaters gestanden. Er habe es nicht gekannt, und sein Vater sei kürzlich gestorben …

Eine einzige Zeile über die Fabrik von Capucines Vater in Les Annuaires des Temps nouveaux von 1942:

Produits chimiques Deshosal, Rue Gauthiot Lamy, Tel.: 85 …

Eine alte Frau stößt die Tür auf. Sie interessiert sich für die Waisenhäuser von Saumur in den Zwanzigerjahren. Ihre Mutter sei dort aufgewachsen. Sie sei gestorben, ohne ihr je über diese Zeit in ihrem Leben …

Und ich verliere mich in Gedanken auf den Spuren einer ehemaligen Bewohnerin von Saumur, Chanel Nr. 5.

Später klopfe ich an der Rue Gauthiot Lamy, wo Capucine aufgewachsen ist, zufällig an eine Tür. Die Nummer 137 gleicht dem Haus von Hänsel und Gretel mit seinen Ziegeln aus Mandeln auf den Mauern und einem Dach aus Teig. Ein großer Typ mit Schnurrbart steht an der Tür. Er heißt Gilles. Capucine? Das sagt ihm etwas. Er empfiehlt mir, mein Glück bei 203 zu versuchen: Dort wohnt ein ehemaliger Arbeiter!

Im 203 lebt Philippe Tardy. Er sagt mir, dass ich Glück habe. Er denkt, dass Capucine im Haus gegenüber gelebt hat. Sein Vater habe sie gut gekannt. Er gibt mir dessen Telefonnummer. Er wohnt zwei Kilometer weiter weg in einem Miethaus im Westen.

Zwei Porzellantassen, zwei Silberlöffelchen. Hinter einem Laminattisch wartet Jean Tardy. Weißes Haar, auf der Seite zurückgeschnitten, dicke Brillengläser, Wollpullover, die Ärmel hochgekrempelt. Er gehört zu jenen, die mit den Händen arbeiten. Gisèle, seine Frau, stellt den Fernseher auf dem Kühlschrank aus, wärmt einen Becher Kaffee in der Mikrowelle. Sie sind beide etwas nervös. Man empfängt nicht jeden Tag einen ausländischen Schriftsteller.

Jean hat Jahrgang 1932. Er ist an der Rue Gauthiot-Lamy in der Nähe einer Holzkisten-Fabrik aufgewachsen, dem Familienunternehmen Lartigue, das nicht mehr existiert. In den Vierzigerjahren war diese Straße eine Sackgasse. Es hatte nur Arbeiterhäuser außer den zwei Häusern ganz im Westen: Jenem der Familie Lefebvre, heute die Nummer 213, und gegenüber jenem von Monsieur Deshosal, Capucines Onkel, mit der Nummer 208.

Dieser Onkel war der Chef der Fabrik Deshosal mit hundert Arbeitern. Er war mit der Schwester von Capucines Vater verheiratet und hatte Letzteren als Werkmeister angestellt. Er glaubt sich zu erinnern, dass das Fabrikunternehmen Desinfektionsboxen gegen Ratten produzierte. Die Eltern von Capucine sind von Saumur weggezogen, als die Fabrik in den Sechzigerjahren geschlossen wurde.

Jean half seiner Mutter oft im Gemüsegarten in der Nähe der Familie Lefebvre. Die Mutter von Capucine lud ihn manchmal zum Spielen mit ihrem Sohn ein. Die Schwester zog es vor, sich in einem Schuppen zuhinterst im Garten einzuschließen, um zu lesen. Ein- oder zweimal hatten sie zu dritt Karten gespielt.

Capucine hat Saumur nach dem Waffenstillstand verlassen. Jean hat sie seither zweimal wiedergesehen, sie konnte sich gut an ihn erinnern.

Na also. Ich bin einem Mann begegnet, der als Halbwüchsiger die Heldin meines Romans gekannt hat. Das ist nicht nichts, das ist aufregend, das muss gefeiert werden, und die Nähe zu Südfrankreich erlaubt uns, eine Flasche zu entkorken und über eine Vergangenheit zu sprechen, die näher von Jean und von Gisèle ist: Wie sie sich begegnet sind, wie sie ein Haus gebaut, eine Familie gegründet, was für ein Leben sie gehabt haben – so viele Anekdoten, die auch ein Buch verdient hätten.

Mein Zug fährt in zwei Stunden zurück. Es reicht gerade noch, ein zweites Mal an die Rue Gauthiot-Lamy zu gehen.