Caro auf der Suche nach dem Glück - Anne Koch-Gosejacob - E-Book

Caro auf der Suche nach dem Glück E-Book

Anne Koch-Gosejacob

0,0

Beschreibung

Die Fotografin Caroline Hausmann, von Freunden nur Caro genannt, bucht eine Urlaubsreise. Beim Stopp in einer indischen Palmblattbibliothek wird ihr die Zukunft vorgelesen. Doch wie konnte es sein, dass dort stand, sie wäre von innerer Unruhe getrieben, auf der Suche nach dem Glück, nach dem Besonderen, nach dem Unfassbaren, nach einem bestimmten Menschen? Und dass dies bald in Erfüllung gehen würde! Der Brahmane las auch ihren weiteren Lebensweg vor und betonte: Sie werden eine Arbeit im sozialen Bereich finden, die ihr Leben total verändert. Sollte Caro den uralten Weissagungen Glauben schenken oder war es nur ein Geld einbringender Schwindel für leichtgläubige Touristen?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 271

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wenn

die uralten

indischen Weissagungen

stimmen dann gibt es

in der Tat kein Gestern

kein Heute und kein Morgen

dann ist Vergangenheit

Gegenwart und

Zukunft

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

1. Kapitel

„Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muss durch ihren Kopf hindurch, aber welche Gestalt es in ihrem Kopf annimmt, hängt von den Umständen ab“, sagte einst Friedrich Engels.

Doch die Realität war ganz anders als Caros Träume, als die Fantasien von einer schönen, heilen Welt, die ihr ein bequemes, sorgenfreies Leben in einem Schlaraffenland vorgaukelten, wo es alles das gab, von dem sie nie zu träumen gewagt hätte.

Ihre Wandlung, innere Einstellung, begann im Frühsommer, als es vierzehn Tage lang ununterbrochen regnete, sie fast in tiefe Depression verfiel, weil sie nach acht Stunden Arbeit im Verlag nur noch zu Hause auf dem blauen Sofa. in ihrem mit Büchern vollgestopften Wohnzimmer saß. Sie musste hier raus, musste wieder eine interessante Reise buchen, musste wieder etwas von der großen, quirligen, sonnendurchfluteten Welt sehen. Ihr Körper brauchte Wärme und ihre durstige Seele etwas Neues, Fremdes, das sie in sich aufnehmen könnte, das ihren Hunger nach einem anderen, erfüllteren Leben stillen würde.

Den ganzen Sonntag über hatte Caroline Hausmann, von Kollegen und Freunden nur Caro genannt, die vielen unterschiedlichen Reiseangebote im Internet studiert, sondiert und ausgewertet. Sie hatte schon so viel von der Welt gesehen, nur im Asiatischen Raum, in Indien war sie noch nie.

Indien, sie erinnerte sich an Onkel Albert, an sein Buch über Indien mit den vielen Fotos und Beschreibungen. So war sie zu dem Entschluss gekommen, dorthin zu reisen um Land und Leute, aufgeschlossene Menschen mit einer ganz anderen Mentalität kennen zu lernen.

In ihren Teenagerjahren hatte sie von ihrem Lieblingsonkel Albert, der bis zu seinem Tod als freischaffender Journalist in verschiedenen Ländern gearbeitet hatte, ein dickes Buch mit bunten Illustrationen, vielen Fotos, spannenden Geschichten und Reisebeschreibungen über dieses große Land geerbt. Wenn Onkel Albert mal bei ihnen zu Hause war, hatte er viel von seinen spannenden Reisen erzählt. Nur beim Thema Indien wirkte er stets ein wenig traurig, wollte aber darüber nicht reden, darum hatte sie auch nicht weiter nachgefragt, beließ es dabei.

In seinem Buch hatte ihr besonders das Foto einer hübschen, jungen Frau mit dunklen, geheimnisvollen Augen und schwarzen, kunstvoll aufgesteckten Haaren gefallen. Sie trug einen hellgrünen Seiden-Sari und blickte ernst dem Betrachter des Bildes entgegen.

Schon damals hatten diese Augen, dieser leicht traurige Blick, Caros Seele berührt. Heute bedauerte sie, dass Albert so früh gestorben war, sie nicht in Erfahrung gebracht hatte, wer diese schöne, indische Frau auf dem Foto war.

Die bunten Hochglanzfotos über den Subkontinent Asien, besonders aber Indien, auf den Internetseiten ihres Computers hatten diesen tief in ihrem Innern abgespeicherten Blick wieder in ihr Bewusstsein geholt, so als wollte er sagen: „Komm zu mir, komm in mein großes, tropisches, so ganz anderes Land!“

Am Wochenende war Caro mit den Urlaubsprospekten über Indien, die sie sich ein paar Straßen weiter aus dem ortsansässigen, kleinen Reisebüro geholt hatte, mit dem Auto zu Klaus Birkenstädt gefahren, den sie nun schon seit drei Jahren kannte. Klaus war etwas älter als sie und als leitender Beamter beim Ordnungsamt der Stadt angestellt. Der ideale Beruf für ihn, denn dort brauchte er sich nicht zu überarbeiten, ging jedem Stress aus dem Weg und bekam am Monatsende ein gutes Gehalt. Inzwischen besaß er eine sehr schön eingerichtete, große Wohnung im Westteil der Stadt, in der Nähe eines kleinen Sees, und sein Sparkonto war auch ohne Aktienkäufe gut gefüllt. Irgendwelche Anleihen waren ihm einfach zu risikoreich. Sicherheit hatte stets Vorrang bei ihm, egal was er unternahm.

Immer noch Junggeselle, hatte er schon sehr früh seine Mahlzeiten selber zubereiten müssen und war mittlerweile ein exzellenter Koch geworden, der auch gerne neue Gerichte ausprobierte.

Wenn seine Mutter bei ihm zu Besuch war, was nur drei- oder viermal im Jahr vorkam, übernahm sie selbstverständlich das Kochen. Sie konnte es auch nicht lassen, ihn immer wieder daran zu erinnern, dass er sich endlich eine Ehefrau suchen solle.

„Haushalt und Wohnung in Ordnung zu halten, ist nichts für einen Mann in deiner Position. Schaff dir doch wenigstens eine Putz- und Bügelfrau an!“

„Nein, auf keinen Fall. Für mich ist die Arbeit eine angenehme Abwechslung, genau wie die Zubereitung der einzelnen Mahlzeiten, das inzwischen zu meinem Hobby geworden ist.“

Es war ein kreativer Ausgleich zur oft langweiligen Büroarbeit, den er sich in einem privaten Koch-Klub mit drei Freunden teilte und der allen viel Freude bereitete. Jahr für Jahr luden sie in der Adventszeit ihre Frauen zu einem festlichen Menü ein und freuten sich über deren Lob für ihre Kochkunst, bei der Klaus meistens am besten abschnitt.

Dies war auch der Grund, warum Caro das Wochenende oft bei ihm verbrachte, denn Haushalt und Kochen gehörte nur bedingt zu ihren Fähigkeiten. Ihre Hobbys waren Reisen, die teure Kamera-Ausrüstung, Theater oder Museumsbesuche und ab und zu ein Abend in einer der angesagten Altstadtkneipen um nette und interessante Menschen kennen zu lernen.

Hier war sie auch Klaus begegnet, der nach einem Konzert noch gemütlich ein Glas Wein trinken wollte. Da an der Theke kein Platz war, hatte sie sich zu ihm an den Tisch gesetzt und gleich ein Gespräch mit ihm angefangen. Im Laufe des Abends stellten sie viele Gemeinsamkeiten fest und beschlossen sich öfters zu treffen. So nach und nach war zwischen ihnen eine richtige Freundschaft entstanden, aus der seit einiger Zeit eine Liebesbeziehung geworden war.

Nun war sie mit ihrem roten Flitzer, einem 4er BMW Coupé auf dem Weg zu ihm. Caro hatte Glück und fand auf Anhieb eine passende Parklücke vor dem relativ neuen Dreifamilienhaus, in dem Klaus die untere Etage samt kleinen Garten als sein Eigentum bewohnte.

Ein Blick von ihr in den Rückspiegel besagte: Haare und Makeup waren in Ordnung. Also nahm sie ihre Tasche, stieg aus, schloss den Wagen ab und ging zur Haustür.

Caro hatte geklingelt, aber die Tür öffnete sich nicht. Unschlüssig drehte sie sich zur Straße hin und sah, dass Klaus gerade schwerbepackt die gepflasterte Auffahrt hinaufkam.

„Du bist heute aber früh hier“, rief er seiner Freundin zu, die ihm entgegenging, ihn lächelnd begrüßte und meinte: „Manchmal muss man Glück haben. Stell dir vor, alle Ampeln waren auf Grün. Ich konnte ohne anzuhalten durch die Innenstadt fahren, was äußerst selten vorkommt.“

„Wenn du schon mal hier bist, kannst du mir auch die Tasche mit dem Obst und dem Gemüse abnehmen. Hab alles frisch auf dem Wochenmarkt gekauft. Das Fleisch gab es heute am Metzgerstand sogar im Angebot“

„Was gibt es denn zum Mittag?“

„Ich werde eine Porree-Suppe kochen, aber heute Abend gibt es ein richtiges Menü: Vorspeise, Hauptspeise und ein französisches Dessert. Das Rezept habe ich neulich im Internet gefunden. Komm, lass uns schnell reingehen.“ Klaus stellte seinen Korb ab und schloss die Haustür auf.

Als beide den Einkauf in der geräumigen Küche verstaut hatten und Klaus mit der Zubereitung der Suppe begann, holte Caro die Urlaubskataloge aus ihrer Tasche und setzte sich damit an den Küchentisch.

„Willst du wieder verreisen?“ Klaus deutete auf die bunten Prospekte.

„Ja, willst du mit? Ich möchte diesmal nach Indien.“

„Nach Indien? Was willst du denn da?“

„Land und Leute kennen lernen. Vielleicht kann ich auch Fotos von exotischen Blumen für die Gartenzeitschrift des Grüner-Verlag machen? Außerdem ist Indien die Geburtsstätte des Yoga, meiner Lieblingssportart. Auch reizen mich die vielen alten Tempel.“

„Und wann soll das Ganze stattfinden?“, erkundigte sich Klaus.

„Ich habe gedacht im Oktober, also Mitte des nächsten Monats, dann ist dort die beste Reisezeit.“

„Das tut mir leid. Ich bin zu dem Zeitpunkt auf einem Seminar in München, das ich leider nicht absagen kann.“

„Schade, gemeinsam wäre es bestimmt günstiger. Aber ein Doppelzimmer mit einer mir fremden Person zu teilen, ist nichts für mich. Dann lieber ein Einzelzimmer mit Zuschlag.“

„Das kannst du dir ja auch wohl erlauben“, meinte Klaus, gab den feingeschnittenen Porree zu den Zwiebeln und dem Gehackten in den Topf und goss den Inhalt mit Brühe auf. Wenn alles gar war, würde er die Suppe mit Schmelzkäse, Sahne und grünen Pfeffer verfeinern. Dazu würde er Baguette reichen, das er noch warm und knusprig bei seinem Lieblingsbäcker erstanden hatte.

Nachdem er seine Hände abgespült und für jeden ein Glas Rotwein eingeschenkt hatte, setzte er sich zu Caro an den Tisch und sagte: „Meine Liebe, du weißt wie gerne ich dich auf deinen interessanten Reisen durch Europa begleitet habe, wenn ich zur gleichen Zeit meinen Urlaub nehmen konnte.

Aber Indien, das sind bestimmt über zehn Stunden Flugzeit und dann kommt auch noch die Zeitverschiebung dazu. Das ist mir dann doch zu anstrengend.“

„Da ich mich nun mal zu so einer Reise entschlossen habe, werde ich bestimmt auch alsAlleinreisende das Richtige für mich hier in einem der Kataloge finden“, meinte Caro.

Klaus erhob sich um nach der Suppe zu schauen, die inzwischen gar sein musste, während Caro ihre Reise-Prospekte weglegte und den Tisch deckte.

*

2. Kapitel

Eine kleine, geführte Gruppenreise, zu der ihr die Besitzerin des Reisebüros geraten und Caro letztlich zugestimmt hatte, brachte sie im Oktober mit dem Flugzeug von Düsseldorf und einem Zwischenstopp in Dubai nach Chennai, das früher Madras hieß und 1661 von der British East India Company gegründet wurde, wie der Flugkapitän den Reisenden in einer Höhe von zehntausend Meter mitteilte.

Nach fast zwölf Flugstunden kamen sie am nächsten Morgen an der Ostküste des indischen Subkontinents an. Als alle Reisenden die Passkontrolle passiert und ihre Koffer geholt hatten, gingen sie gemeinsam in die Ankunftshalle. Hier wurden sie vom indischen Reiseführer Rashid in Empfang genommen, um gemeinsam zum Busbahnhof zu gehen und von dort aus zu ihrem Übernachtungshotel zu fahren: Eine Unterkunft in einem sympathischen Beach-Resort am Strand, zirka zwei Stunden von Chennai entfernt.

Im Hotel hatten die Reisenden Zeit zum Ausruhen oder für ein erfrischendes Bad im türkisblauen Meer des indischen Ozeans.

Am Nachmittag war die Besichtigung der alten Strandtempel angesagt, die zu den ältesten, gut erhaltenen Bauwerken Südindiens zählen, wie das berühmte Felsrelief am Rande der Stadt. Neben zahlreichen göttlichen Abbildungen stellt das Relief das dörfliche Leben Indiens im siebten Jahrhundert dar.

Caro wurde vom Lärm der Stadt, vom Tumult und von der Vielfalt der buntgekleideten Menschen überwältigt. Nichts war so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der laute und quirlige Straßenverkehr aus Bussen, Limousinen, unzähligen Tuck-Tucks mit ihrem ständigen Gehupe, den hoch beladenen Fahrrädern und den vielen mageren Kühen, die ungehindert über die Straßen liefen, war einfach faszinierend.

Der indische Reiseführer, der die Gruppe am Flugplatz in Empfang genommen hatte, sprach sehr gut deutsch. Er hatte ein Jahr in Berlin gelebt und meinte: „Mit der Zeit gewöhnen Sie sich daran und merken, dass dieses Chaos Stil hat. Sehen Sie, es gibt hier kaum schimpfende oder fluchende Verkehrsteilnehmer, wie ich sie leider in den europäischen Ländern kennengelernt habe, sondern hupende Inder, die sich mit Handzeichen untereinander verständigen.“

Beängstigend war es aber für die deutschen Gäste, wenn sie bei dem vielen Verkehr die Straße überqueren mussten, um auf der anderen Seite in einer kleinen Garküche etwas zu essen. Caro bestellte sich nur Reis, den sie mit verschiedenen Soßen auf einem Teller serviert bekam.

Rashid erklärte der Gruppe: „Mit der rechten Hand können Sie essen, die linke Hand dürfen Sie nicht auf den Tisch legen, da sie hier, wie auch in den arabischen Ländern, als unrein gilt, weil sie für die Toilette bestimmt ist. Profis essen mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Sie können aber auch eine Gabel, einen Löffel oder Essstäbchen bekommen“

Statt mit den Fingern versuchte jeder Gast mit den schön verzierten Stäbchen Reis und Soße in den Mund zu bekommen, was sich als sehr schwierig erwies und viel Gelächter auslöste.

Für manche war es eine Art Härtetest und der eine oder andere wäre bestimmt erleichtert gewesen, wenn der Urlaub schnell vorbei und er wieder in seinem beschaulichen Heimatort oder in seiner Wohnung ein Essen mit Besteck serviert bekäme.

„In den gebuchten Übernachtungs-Hotels gibt es aber immer Besteck zum Frühstück und zum Abendessen“, teilte ihnen Rashid lächelnd mit.

Ein anderer Härtetest waren die vielen Sonnenbrillen-, Schmuck- und Textilverkäufer in den engen Gassen und Fußgängerzonen, die wahrscheinlich alle ein feines Gespür für neu ankommende Touristen hatten und ihnen unbedingt etwas verkaufen wollten. Ein paar von Caros Mitreisenden hatten sich anfangs zu einem Kauf überreden lassen bis sie feststellten, dass die Ware, umgerechnet in Euro, viel zu teuer war.

Doch Caro machte es Spaß alles Neue auszuprobieren und zu erkunden, dann aber dankend abzulehnen. Ferner im Sinnenrausch der Farben und vielen Düfte zu schwelgen, die so ganz anders waren als die in Deutschland. Für sie war Indien eines der rätselhaftesten und lohnenswertesten Reiseziele der Welt, wie sie gerade festgestellt hatte.

Während der Busfahrt zurück zum Hotel berichtete der einheimische Führer der Reisegruppe: „Südindien ist das Land der ursprünglichen, hinduistischen Kultur. Die Dreieinigkeit der Götter bilden Brahma, der Schöpfer, Vishnu, der Bewahrer, und Shiva, der Freund, der Wichtigste. Es gibt aber auch den Buddhismus, sowie tausend verschiedene Tempel. Seit dem zwölften Jahrhundert gibt es noch die Moslems, die hauptsächlich in den Städten leben und an Allah als einzigen Gott glauben, genau wie es die Christen tun.“

„Gibt es denn viele Christen in Indien?“, erkundigte sich Caro.

„Ja, das Christentum ist nach dem Hinduismus und Islam die drittgrößte Religion im Land. Die ersten Gemeinden sollen im Jahr sechzig nach Christi durch den Apostel Thomas in Südindien, in der Umgebung von Chennai entstanden sein, wo sich auch das Grab des Apostels befindet. Neuerdings wird auch von Gewalttaten der Hindus gegenüber den Christen berichtet, da sie neidisch auf deren gut florierende Kinderheime und Schulen sind, die zu den besten des Landes gehören.“

„Soweit ich mich erinnere, gehen doch auch etliche Moslems und Hindus auf christliche Schulen. Ich weiß es von einer Freundin, die eine dieser Schulen von Deutschland aus finanziell unterstützt.“

„Das sind aber meistens Kinder aus besser gestellten, islamischen Familien, die nicht so sehr auf Traditionen achten. Allgemein ist Indien aber ein Land der Götter, Mythen und der vielen überlieferten Traditionen, so auch das jahrtausendalte Wissen der großen Palmblattbibliotheken. Eine davon werden wir morgen in Chennai besuchen, das heißt, diejenigen, die dort angemeldet sind.“

In den frühen Morgenstunden hatte es geregnet, aber die aufgehende Sonne sorgte dafür, dass alles schnell verdampfte, wieder trocken wurde. Caro zog deshalb lieber ihre flachen Sandaletten statt der dicken Wanderschuhe an.

Auf Anraten ihres Reisebüros hatte sie auch nur leichte Baumwollkleidung mitgenommen, so dass ihr die Wärme nicht allzu viel ausmachte. Außerdem wehte in den Küstenregionen meist ein leichter Wind. Falls es mal regnen sollte, hatte sie im Rucksack ihren kleinen, zusammenklappbaren Schirm.

Während der Fahrt nach Chennai unterhielt sich Karo mit ihrer Busnachbarin, Frau Katzbacher, die gebürtig aus einem kleinen Dorf in Oberbayern kam, sehr abergläubisch war und ihr berichtete: „Ich habe im letzten Jahr Ahnenforschung betrieben, fand aber keine Daten zur Schwester meiner Großmutter, obschon ich alle möglichen Kirchenbücher in den Dörfern der Umgebung durchgesehen habe. Schließlich kam ich auf die Idee, eine Suchanzeige in einer Münchener Zeitung aufzugeben. Gemeldet hat sich aber keiner darauf. Nachts habe ich öfters am Fenster gestanden, zum sternenübersäten Himmel geblickt und mit meiner verstorbenen Großmutter geredet. Ihr gesagt, sie solle mir endlich ein Zeichen geben, wie ich an die Daten ihrer Schwester käme.“

Frau Katzbacher rückte näher an Caro heran und fragte: „Was glauben Sie, ist dann geschehen?“

„Keine Ahnung, aber Sie werden es mir bestimmt gleich sagen.“

„Das Telefon läutete und als ich mich meldete, war am anderen Ende eine Frau aus München und teilte mir mit, sie hätte im Keller eine alte Zeitung gefunden. Beim Durchblättern wäre sie auf meine Anzeige gestoßen. Die Dame, die ich suchen würde, wäre ihre Mieterin gewesen und um mir zu helfen, gab sie mir die neue Adresse. So konnte ich Kontakt mit Großmutters Schwester aufnehmen, von der ich dann Urkunden und einige Fotos bekommen habe. In der nächsten Nacht habe ich mich bei meiner Großmutter für ihre Hilfe bedankt und in der Kirche für sie eine Kerze angezündet.“

„Das ist ja eine tolle Geschichte“, stellte Caro fest und erinnerte sich an ihre Oma, die immer gesagt hatte: „Wenn man sich etwas sehr wünscht, geht es auch in Erfüllung, man muss nur fest daran glauben.“

„Wissen Sie, seit der Sache mit meiner Großmutter mache ich viel Yoga und Autogenes Training. Irgendwann habe ich etwas über indische Astrologie und über die vorher bestimmte Zukunft im Internet gelesen und mir von zu Hause aus einen Termin in der Palmblattbibliothek in Chennai geben lassen um mehr über meine Familie zu erfahren.“

Caro teilte ihr mit, dass sie sich dafür aus reiner Neugier nicht in Chennai, sondern in Bangalore angemeldet habe.

In der Stadt angekommen, wurden vier Mitreisende zusammen mit Rashid, der als Übersetzer fungierte, an der Palmblattbibliothek abgesetzt und man vereinbarte, sie nach vier Stunden wieder abzuholen.

Ein zusätzlich angeheuerter Führer begleitete den Rest der Gruppe mit vielen Erklärungen zu den stadtbekannten Sehenswürdigkeiten, sowie zum gemeinsamen Mittagessen.

Alle waren froh, als sie später wieder im Bus saßen, die laute Stadt mit dem bunten Menschengewusel hinter sich lassen konnten um endlich weiter in Richtung Westen zu fahren.

Unterwegs erkundigte sich Cora bei Frau Katzbacher, was denn die Lesung ergeben hätte.

„Es war schon sehr beeindruckend. Sogar die Namen und die Todesdaten meiner Eltern stimmten. In meinem Beruf würde ich mich verändern. Na ja, mal abwarten, ob es stimmt. Eine bessere Bezahlung könnte ich auf jeden Fall gut gebrauchen“, meinte sie kichernd.

„Gesundheitlich bleibt alles so wie es im Moment ist. Ich würde sogar sehr alt werden und viele Enkelkinder bekommen hat mir der Vorleser mitgeteilt. Wäre bei meinen vier Töchtern kein Wunder, denn sie sind alle sehr kinderlieb wie ich festgestellt habe.“

„Dann werde ich beim Abendessen mit ihnen auf ein langes Leben anstoßen“, antwortete Caro gut gelaunt.

Kurz vor ihrem nächsten Ziel meldete sich Rashid übers Mikrofon und erklärte den Reisenden: „Das alte Yoga und auch die Astrologie sind in der Stadt Tiruvannamalai erhalten geblieben, denn spirituelle Mönche gründeten stets ihre Ashrams an besonderen Kraftorten. Einer dieser Orte ist Arunachala, der heilige rote Berg mit den alten faszinierenden Tempelanlagen. Er liegt im indischen Bundesstaat Tamil Nadu, rund hundertfünfzig Kilometer südwestlich von Chennai.“

Am späten Nachmittag kam die Gruppe in der Pilgerstadt, am Fuße des roten Berges an, wo sie ihr Übernachtungshotel bezogen.

Bei einem Rundgang durch die Stadt stellten die deutschen Reisenden fest, dass die Straßen voll waren von selbstberufenen Gurus mit ihren gläubigen Anhängern.

Vor dem größten Tempel Südindiens, der dem Gott Shiva geweiht ist, befanden sich auch etliche Touristen aus Europa, die man gleich an ihrer legeren Kleidung erkannte.

„Bleiben Sie dicht zusammen, damit niemand verloren geht, denn wir gehen gleich zurück zum Hotel, wo es im Restaurant einen kleinen Imbiss gibt“, mahnte der Reiseleiter.

Nach dem Essen brachte sie der Fahrer mit dem Bus zum Fuß des heiligen Berges.

An diesem eindrucksvollen Ort durfte Caro zusammen mit ihrer Reisegruppe einem Feuerritual, eine Lichtzeremonie bei Vollmond, beiwohnen. Sie bekamen mit, wie große Mengen Öl und Ghigeklärtes Butterschmalz- auf den Gipfel des Berges getragen wurde, das im Moment des Sonnenunter- und des Mondaufgangs für ein zu entfachendes Feuer gebraucht wurde. Der Legende nach sollte auf diesem Berg Gott Shiva in Form einer Feuersäule den Göttern Brahma und Vishnu erschienen sein.

Mit Opfergaben, Obst, Süßigkeiten, Räucherstäbchen und einer Kampferlampe, die im Uhrzeigersinn von einem Mönch vor dem Bild des Gottes geschwenkt wurde – ähnlich wie bei den Katholiken das Weihrauchfässchen – sollte es zur Reinigung des Geistes der Gläubigen dienen. Denn Licht bedeutet Herz und mit dem Herzen sollte Gott verehrt werden.

Nach der Feier wurden die Süßigkeiten und das Obst, eine farbenfrohe Mischung aus Ananas, Bananen, Khakis und Mangos, an die Anwesenden verteilt. Da jeder an so einer Zeremonie teilnehmen durfte, freute sich die Reisegruppe über die kleinen Geschenke, die gleich probiert wurden und sehr viel besser schmeckten als das meiste importierte Obst In Deutschland.

Um die Verbindung von Tradition und Fortschritt besser kennen zu lernen, fuhr die Gruppe am nächsten Morgen mit dem klimatisierten Reisebus nach Bangalore, in die Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka.

Der Reiseführer berichtete ihnen: „Sie ist die drittgrößte Stadt Indiens und gilt als eine der modernsten Städte mit vielen Technikparks, Biotechnologie-, Software- Luft- und Raumfahrt-Firmen. Hier haben sich auch deutsche Firmen wie

Bosch, Siemens und Daimler angesiedelt. Auch befindet sich die bekannteste und größte Palmblattbibliothek des Subkontinents in Bangalore. Weitere Bibliotheken befinden sich in Myanmar und auf Bali. Auch in Deutschland gibt es inzwischen Menschen, die einige Palmblätter besitzen und Ihnen etwas über die Vergangenheit oder Zukunft erzählen können. Ob dies dann stimmt, kann ich natürlich nicht beurteilen.“

Die Fahrt durch die fruchtbaren Tiefebenen mit grünen Reisfeldern, bizarren Felslandschaften, waldreichen Bergregionen, hügeligen Teefelder und Gewürzplantagen dauerte fast fünf Stunden, so dass alle froh waren, als sie endlich in Bangalore ankamen und sich vom langen Sitzen die Beine vertreten konnten.

Zusammen mit Rashid gingen sie in das vorher per Handy für sie bestellte Restaurant zum Mittagessen. Danach marschierte die Gruppe zu Fuß durch die Stadt, zur Palmblattbibliothek.

Während Caros Mitreisenden in einem kleinen urigen Straßencafé warteten, ging sie in Begleitung des Reiseführers in die Bibliothek, um sich dort von einem renommierten Astrologen, einem ganz in Weiß gekleideten Brahmanen, ihr individuelles Palmblatt vorlesen zu lassen. Und das, obschon ihre Mitreisenden sie gewarnt, teilweise sogar ausgelacht hatten. Caro hatte nur abgewinkt und gemeint: „Ich bin zwar nicht abergläubisch, aber wenn ich schon mal hier bin, will ich auch wissen, wie es um meine Zukunft bestellt ist. Danach entscheide ich, ob es wahr sein könnte oder nicht!“

Auf der Fahrt hier her, hatte ihnen der Reiseleiter erklärt: „In den asiatischen Palmblattbibliotheken wurden vor Jahrtausenden für alle Menschen, die jemals die Erde betraten und noch betreten werden, alle wichtigen Informationen auf Palmblättern niedergeschrieben, beziehungsweise mit einem Griffel eingeritzt. Anschließend wurden sie mit einem Gemisch aus Öl und Ruß eingeschmiert, dann abgewischt, sodass die Öl-Ruß-Mischung in den Einkerbungen haften blieb und sich der Text hervorhob. Aber auch für Länder und Gebiete lassen sich dort Informationen zur Zukunft entnehmen.

Die Rishis waren die Heiligen des vedischen Zeitalters in Indien und gelten als die Schöpfer der geheimnisvollen Palmblattbibliotheken Asiens.

Für jeden Menschen, der sich dorthin gezogen fühlt, liegt ein getrocknetes Palmblatt bereit, auf dem unter anderem seine Lebensaufgabe geschrieben steht, sowie sämtliche Verfehlungen und Lügen, welche der Besucher selbst zu verantworten hat. Auch werden Schicksalsschläge in Alt Tamil, Sanskrit oder anderen Sprachen schonungslos präsentiert.“

Um nicht lange warten zu müssen, hatte sich Caro von zu Hause aus angemeldet, Namen und den Tag ihrer Geburt angegeben.

Damit der Astrologe ihr eigenes Lebensbuch finden konnte, brauchte er nur ihren linken Daumenabdruck und das Geburtsdatum.

Rashid berichtete Caro flüsternd „Die vor ungefähr fünftausend Jahren geschriebenen Bücher bestehen aus zusammengebundenen, dreißig Zentimeter langen Palmblättern, auf denen mit einem stumpfen Griffel der Text eingedrückt ist und der alle achthundert Jahre neu geschrieben werden muss. Zwanzig dieser Palmblätter ergeben ein Buch, das mit braunen Holzbuchdeckeln und einer einfachen Kordel zusammen gehalten ist.

An Hand eines bestimmten Suchmodus kreist der Vorleser mehr und mehr alle Daten ein und kann so das für Sie ganz persönliche Lebensbuch aus dem Archiv holen.“

Der Name ihrer verstorbenen Eltern, ihrer beiden Geschwister, die nach Amerika ausgewandert waren und sogar der Name ihres Bekannten wurden jetzt vorgelesen. War es Zauberei?

Wie konnte es sein, dass dort auch stand, sie wäre von innerer Unruhe getrieben, auf der Suche nach dem Besonderen, nach dem Unfassbaren, nach einem bestimmten Menschen? Und dass dies bald in Erfüllung gehen würde!

Der Brahmane las auch ihren weiteren Lebensweg, ihre vorhergesagte Zukunft vor und betonte: „Sie werden eine Arbeit im sozialen Bereich finden.“

Doch diese Auskunft wollte und konnte sie nicht akzeptieren. Schließlich hatte sie eine lukrative Anstellung als Journalistin und Fotografin beim Grüner-Verlag.

Doch der alte weise Mann schüttelte den Kopf und erklärte ihr: „Das Lebensbuch zeigt unentdeckte Potenziale auf und ermutigt die eigenen Grenzen zu überschreiten, denn alle Menschen sind von einer Energie durchdrungen, ohne die sie nicht leben können. Wer glaubt etwas zu sein, hat aufgehört etwas zu werden.

Einen Hindutempel zu besichtigen ist beeindruckend. Aber wenn man weiß, wie schwierig das Verhältnis zwischen Hindus und Christen, zwischen Hindus und Moslems und wiederum zwischen Moslems und Christen ist, dann wird die dunkle Seite sichtbar, die den Blick auf politische und soziale Probleme lenkt. Wie können Menschen mit so unterschiedlichen religiösen Hintergrund tolerant miteinander umgehen?

Als Priester sage ich Ihnen, meiner Ansicht nach ist es die Liebe zum Nächsten, egal wie er uns entgegen tritt. Und damit komme ich zurück auf Ihre Lebensgestaltung, auf Ihre Zukunft. Ich bin mir sicher, Sie werden sie dankbar annehmen.“ Mit einem gütigen, verstehenden Lächeln verabschiedete er sich von Caro.

Nach der Lesung war sie hin und her gerissen. Sollte sie den uralten Weissagungen Glauben schenken oder war alles nur ein Geld einbringender Schwindel für ahnungslose, leichtgläubige Touristen? Aber was war, wenn die Vorhersagen stimmten?

Sollte sie den einheimischen Reiseführer dazu befragen, der ein gläubiger Hindu war, an die Re-Inkarnation glaubte, an verschiedene Leben, an das Karma und dass alles im Leben von Shiva vorbestimmt sei?

Caro überlegte einen Moment, dann fiel ihr ein, dass sie beim Hineingehen eine Art Reklamezettel mitgenommen und in ihre Tasche gesteckt hatte. Neugierig kramte sie ihn hervor und las:

Das Geheimnis um die Palmblätter lässt sich so erklären: Während die meisten Menschen an eine lineare Zeit glauben, existiert in der Realität des Universums alles im Jetzt, unabhängig von Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft.

So war es den heiligen Rishis möglich, Informationen zu jeder Zeit abzurufen. Diese Gabe setzten sie ein, um anderen auf ihrem langen oder kurzen Lebensweg zu helfen.

Als die Menschen immer mehr in materielle Welten versanken, das alte Wissen vergaßen, zogen sich die Weisen in das mythologische Königreich Shambala zurück. Der Zutritt zu diesem Ort ist Normalsterblichen nicht erlaubt.

Die alten Seelen hinterließen vor ihrer Abreise der Menschheit die Palmblätter mit ihren Aufzeichnungen. Diese sollen alle, die nach der Wahrheit suchen, begleiten und in ein erfüllteres Leben führen.

‚Ich bin ja mal gespannt, ob die Vorhersage für mein weiteres Leben stimmt‘, dachte Caro und erzählte im Cafè den wartenden Mitreisenden, was ihr der Brahmane mitgeteilt hatte.

„Es war schon ein eigenartiges Gefühl, wenn er mich zwischendurch beim Vorlesen mit seinen dunklen Augen ansah. So als könnte er meine Gedanken wahrnehmen, in meine Seele schauen.“

„Das kam bestimmt von den vielen Räucherkerzen, die sie dabei anzünden“, meinte einer der Reisenden, der alles nur für ein abgesprochenes Spiel hielt.

„Bestimmt hat er Sie teilweise in Trance versetzt, um so die Namen Ihrer Angehörigen zu erfahren.“

„Nein, das hätte ich gemerkt. Ich hab mich schon mal hypnotisieren lassen und das war ganz anders.“

„Ich will Sie ja auch nicht umstimmen. Jeder soll das glauben, was er für richtig hält.“

Gemeinsam verließen sie das Café, gingen an den bunten, überladenen Verkaufsständen vorbei bis zur nächsten Straßenkreuzung, wo der Fahrer den Reisebus geparkt hatte, um die Gruppe zum Hotel zu bringen.

Gut, dass der Monsun, die Regenzeit vorbei war, denn am nächsten Tag stand wieder eine anstrengende Tempelbesichtigung auf dem Plan. Eine Stunde Fußmarsch hinauf auf einen grünen Hügel im Osten von Bangalore.

Caro beschloss, sich von der Gruppe zu trennen und sich lieber den Lal Bagh, den großen botanischen Garten in der Stadt anzusehen, der laut Prospekt im Jahr 1760 vom damaligen Herrscher in Auftrag gegeben wurde und der über tausend verschiedene Pflanzenarten beherbergt, sowie ein großes Glashaus, einen Bonsai-Garten und einen tiefblauen See.

Rashid war damit einverstanden, empfahl ihr aber sich nicht zu verlaufen und pünktlich zum Abendessen im Hotel zu sein.

„Sie wollen tatsachlich alleine in den Park gehen?“, erkundigte sich Frau Katzenbach und schaute Caro ungläubig an.

„Ja, warum nicht. Im Hotel sagte man mir, dass dort immer sehr viele Besucher sind. Ich nehme meine Kamera mit und mache einige Fotos. Wenn sie gut geworden sind, kann ich vielleicht ein paar davon meinem Chef anbieten. Ich habe Ihnen doch erzählt, dass ich bei einem Verlag angestellt bin, der eine Gartenzeitschrift heraus bringt.“

„Na dann viel Spaß. Ich bleibe lieber bei der Gruppe!“

Mit dem Linienbus fuhr Caro vom Hotel aus bis zur Park-Haltestelle. Am Eingangstor musste sie ein Ticket kaufen und bekam einen Plan auf dem die Hauptwege zu den unterschiedlichen Gartenbereichen eingezeichnet waren.

Die meist mit kleinen Hecken eingefassten Anlagen und die vielen exotischen Blumen mit ihren oft starken Düften und intensiven Farben in den üppigen Beeten reizten Caro, Fotos aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln zu machen.

Am besten gefiel ihr der uralte, hohe und super dicke Kapok-Baum, auch weißer Baumwoll-Baum genannt, dessen zum Teil dicke, oberirdische Wurzeln sich in die Erde krallten, sodass selbst ein schwerer Sturm dem Baum nichts anhaben konnte.

In irgendeiner Gartenzeitschrift hatte sie mal gelesen, dass die weißen Fasern in den Früchten des Baumes als Füll- und Polstermaterial, ja sogar für die Herstellung von Schwimmwesten verwendet wurden.

Im lichten Schatten dieses Baumes setzte sie sich auf eine der dicken Wurzeln und ruhte sich von der Besichtigung des Parks ein wenig aus, bevor sie sich zurück zum Ausgang Süd begab, wo sich auch die Bushaltestelle der Linie befand, die sie zurück zum Hotel bringen sollte.

Unterwegs nahm sie sich vor, für den riesigen Garten nochmal einen ganzen Tag einzuplanen um noch mehr Fotos zu machen. Zwei Tage waren sie ja noch hier, um sich die Stadt mit ihren Tempeln anzusehen, bevor die Reise weiter ging.

Der Linienbus kam einigermaßen pünktlich und sie konnte sogar einen Sitzplatz ergattern. Weil sie die ganze Zeit über eine indische Familie mit ihren kleinen Kindern beobachtet hatte, war sie dummerweise zwei Haltestellen zu weit gefahren und nach dem übereilten Aussteigen in die verkehrte Richtung gegangen, was sie aber zu spät bemerkte und vor sich hin murmelte: „Was soll‘s, ist noch reichlich Zeit bis zum Abendessen im Hotel. Ich kann mir ja für den Rückweg ein Taxi nehmen.“

Während sie langsam weiter ging, beobachtete sie interessiert ihre Umgebung. Auf den Gehwegen spiegelte sich die kontrastreiche Vielfalt der Stadt wieder: Frauen in farbenfrohen Saris, in schwarzen Burkas oder in engen verwaschenen Jeans und T-Shirts.

Zahlreiche Märkte mit kleinen Ständen, die mit den Gerüchen der vielen unterschiedlichen Gewürze und dem frischen Obst, die kauffreudigen Menschen anzogen, beeindruckten sie besonders.

Ein jahrtausende alter, ehrwürdiger Hindutempel stand nur wenige Meter entfernt von einer großen, weißen Moschee, und neben einer dampfenden Garküche am Straßenrand hatte sie doch tatsächlich ein Fast Food Restaurant von McDonalds entdeckt, vor dem etliche junge Inder standen und wohl auf ihre Bestellung warteten.

Während Caro noch überlegte, ob sie nicht ein preiswertes Essen aus einer der Garküchen zu sich nehmen sollte, bog sie auch schon in die nächste enge Seitenstraße ein und stand an deren Ende plötzlich vor einer verrosteten, schwarzen Eisenpforte, in dessen Mitte sie ein kleines verschnörkeltes Kreuz entdeckte.

Interessiert las sie, was auf dem leicht vergilbten Schild stand, das an der relativ hohen Mauer neben der Pforte angebracht war.

Christliches Kinderheim der Church of Christ Gemeinde.

‚Ein Kinderheim, und das mitten in der Stadt‘, dachte sie verwundert, wandte sich wieder der Pforte zu und schaute neugierig durch die Gitterstäbe in den Garten.

In der Nähe des weiß gestrichenen Hauses, das wohl noch aus der britischen Besatzungszeit stammte, saß eine junge Frau auf einer Holzbank, umgeben von drei- bis sechsjährigen Kindern und las ihnen etwas vor.

Ob sie bemerkt hatte, dass sie von ihr angestarrt wurde? Jedenfalls blickte sie auf, sagte etwas zu den kichernden Kindern und kam zur Pforte.

„Hello, wouldn’t you like to come in?“

„Yes, thanks.“

Die junge Frau öffnete die knarrende Eisentür und reichte ihr die Hand.

„My name is Mary. And jour name?”

„Caro, Caroline Hausmann.”

„Kommen Sie aus Deutschland, Caro? Ich darf doch Caro sagen?“, fragte Mary erstaunt, als ihr in ihrer Heimatsprache geantwortet wurde.

„Ja! Ich bin Mitglied einer Gruppe, die Südindien bereist. Heute habe ich mir den großen botanischen Garten angesehen und einige Fotos gemacht. Auf dem Rückweg zum Hotel bin ich an der verkehrten Haltestelle ausgestiegen, dann statt links, nach rechts abgebogen und letztlich in dieser kleinen engen Gasse gelandet.“

„Für mich eine schöne Abwechslung, mal mit einer deutschen Urlauberin zu sprechen. Wissen Sie, ich stamme aus Köln und leite dieses Heim schon seit einigen Jahren. Möchten Sie es sich ansehen, einen Einblick in das Leben von dreißig ehemaligen indischen Straßenkindern bekommen?“

Caros journalistischer Instinkt war geweckt und so folgte sie der Einladung, während Mary ihr erzählte: