Carpe Vinum - Carsten Sebastian Henn - E-Book + Hörbuch

Carpe Vinum E-Book und Hörbuch

Carsten Sebastian Henn

3,9

Der Titel, der als Synchrobook® erhältlich ist, ermöglicht es Ihnen, jederzeit zwischen den Formaten E-Book und Hörbuch zu wechseln.
Beschreibung

Spitzenkoch und Hobbydetektiv Julius Eichendorff hat schon viele Leichen gesehen, doch damit hat er nicht gerechnet: Ein toter Mann liegt vor seinem Restaurant - erstochen mit einem harten Brötchen. Das in dünnen Spitzen endende Teigstück war eine Spezialität des besten Bäckers Bad Neuenahrs. Und genau dieser ist nun tot. Doch es kommt noch schlimmer: Die Tür zu Julius' Restaurant ist aufgebrochen und das Familienkochbuch der Eichendorffs gestohlen. Nun geht es um die Ehre der gesamten Sippe! Der neue Fall von Julius Eichendorff - härter als ein altes Roggenbrot. Ein brandneuer Kurzroman um den kulinarischen Detektiv, die besten Rezepte aus den Julius-Eichendorff-Bestsellern (z. B. das Menü für den Papst aus "Vinum Mysterium", das legendäre Mördermenü aus "In Vino Veritas" oder das exotische Schokoladenmenü aus "Vino Diavolo"), gekocht und verfeinert von den Spitzenköchen des Ahrtals und Autor Carsten Sebastian Henn selbst; Ahrtaler Weintipps zu den Gerichten und Informationen über die besten Restaurants der kleinen Weinregion - üppiger geht nicht!

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Seitenzahl: 226

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Zeit:2 Std. 28 min

Sprecher:Jürgen von der Lippe

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©2014 Hermann-Josef Emons Verlag Alle Rechte vorbehalten Umschlagfoto: fotolia.com/Comugnero Silvana Umschlaggestaltung: Tobias Doetsch eBook-Erstellung: CPI books GmbH, LeckISBN 978-3-86358-657-7 Originalausgabe

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Für meine Frau, deren Kuchen wie Küsse sind

Iss, was gar ist!

Trink, was klar ist!

Red, was wahr ist!

Martin Luther

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich hatte wirklich nicht vor, dieses Buch zu schreiben. Ganz ehrlich. Vor zwei Jahren wäre mir nichts unwahrscheinlicher vorgekommen.

Aber ich hatte nicht mit den Mails gerechnet.

Und den Fragen nach Lesungen.

Es war wie ein stetiges Déjà-vu: »Wann geht es mit Julius Eichendorff weiter?«

Meine Antwort war immer die gleiche: Die Serie liegt auf Eis, vielleicht schreibe ich irgendwann mal weiter, in vier, fünf Jahren, wer weiß. Gemäß Kaiser Franz: Schau’n mer mal. Aber es stimmt, dass steter Tropfen den Stein höhlt. Ich merkte, wie sehr die Leserinnen und Leser an Julius hingen, wie gerne sie wissen wollten, wie es mit dem Burschen weiterging.

Und ich wollte es partout nicht erzählen.

Dann kam Hejo Emons auf die Idee, ein Julius-Eichendorff-Kochbuch herauszubringen. Ein guter Einfall, wie ich fand (wie eigentlich alle Ideen von Hejo gut sind– ich hoffe, er liest das hier zufällig). Schließlich werden in den fünf Romanen der Serie viele Gerichte genannt, zu denen keine Rezepte vorliegen. Denn pro Band gab ich ja nur ein oder zwei im Anhang preis.

Ein Kochbuch allein war mir aber zu wenig, ich wollte Julius’ treuen Lesern mehr bieten.

Zuerst dachte ich daran, drei oder vier Julius-Kurzkrimis zu schreiben und diese über das Buch zu verteilen. Schließlich hatte ich schon einmal einen solchen verfasst: »Die Blutente des JuliusE.«, erschienen in »Henkerstropfen«, meiner ersten Sammlung kulinarischer Kurzkrimis. Es war damals eine schwere Geburt, Julius sträubte sich dagegen, in ein anderes Format gepresst zu werden. Eine Julius-Geschichte hat halt ein bestimmtes Tempo, in dem sie sich entfaltet, die Nebenschauplätze (Kochen, seine Familie, Anna) sind genauso wichtig wie der Fall. Kurzkrimis haben eine andere Dynamik. Deswegen wurde »Die Blutente des JuliusE.« auch ein ausgesprochen langer Kurzkrimi. Julius wollte irgendwie, dass ich ihn weiterschreibe, und er hat einen verdammt starken Willen…

Und irgendwann, es war ein Abend mit einer schönen Flasche Ahrwein, kam mir dann die Idee: Warum nicht einen Kurzroman statt vier Kurzkrimis? Damit würde sich Julius doch viel wohler fühlen– und seine Leser sicher auch.

Und sein Autor sowieso.

Es sollte nicht irgendein Fall sein, sondern einer, der mit den Kochrezepten zu tun hat. Ich mag es, wenn Sachen rund sind. Und es sollte ein Mordfall sein, wie es ihn noch nie gegeben hat. So kam es zu »Carpe Vinum«– und damit zu einem Wiedersehen mit Julius. Es war wie das Treffen mit einem alten Freund für mich, denn Julius hat über die Jahre eine besondere Form der Lebendigkeit gewonnen. Er ist eine Figur, die sich selbst schreibt. Ich muss nicht überlegen Was würde Julius jetzt sagen, er sagt es einfach. Vielleicht weil in Julius ein Gutteil von mir steckt.

Äußerlich, was seinen Heimatort und seinen Beruf betrifft, stand Hans-Stefan Steinheuer vom Restaurant »Zur Alten Post« Pate, aber innerlich habe ich mich selbst in seinen Kopf geschrieben, und irgendwann wurde er ein Alter Ego. Er ist so, wie ich gerne sein würde– nur beim Hüftumfang könnten wir beide ruhig ein bisschen kürzertreten. Ich habe auch beim Schreiben dieses kulinarischen Krimis wieder ein paar Pfunde zugelegt und direkt danach eine Fastenkur gestartet.

Aber was tut man nicht alles für einen guten, alten Freund?

Genauso wichtig wie der neue Fall für Julius waren die Rezepte. Und da wollte ich nur das Beste– was bedeutete, dass ich sie besser nicht selbst verfasste. Ich koche gern und viel, und ein paar Rezepte gehen auf mein Konto, aber in diesem Buch sind rund vierzig versammelt, und ich wollte Profis für diesen Job. Und zwar nicht irgendwelche, sondern die herausragendsten, die das Ahrtal zu bieten hat. Sowie das Team vom »Schnabuleum«. Das liegt zwar in Monschau, kommt aber in einem Julius-Eichendorff-Krimi vor und gilt somit als eingemeindet. Und das Patissier-Genie Matthias Ludwigs vom »Törtchen, Törtchen« ist auch mit von der Partie, denn ohne Notfall-Pralinen-Rezepte durfte dieses Buch einfach nicht sein.

Zu meiner großen Freude sagten alle, wirklich alle Köche, die ich fragte, auf Anhieb Ja und wählten Gerichte aus den Julius-Eichendorff-Krimis, die ein Rezept verdient hatten. Außerdem spendierten sie noch die passenden Weintipps– sämtlich von Ahrtaler Gütern. Ihnen allen gilt mein besonderer Dank und meine Hochachtung. Für dieses Buch sind sie in die Rolle von Julius Eichendorff geschlüpft und haben seine Kreationen Wirklichkeit werden lassen. Leckere Wirklichkeit. Und das ist meiner Meinung nach immer noch die beste von allen.

In diesem Sinne viel Spaß beim Wiedersehen mit Julius und viel Erfolg beim Nachkochen!

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind rein zufällig.

CARSTEN SEBASTIAN HENN

Carpe Vinum

Julius Eichendorffs sechster Fall

EINS

»Ich habe ein einfaches Rezept, um fit zu bleiben– ich laufe jeden Tag Amok.«

Hildegard Knef

Es war ein herrlicher Dezembermorgen, ein Tag zum Bäumeausreißen, Heldenzeugen und Autoschlösserenteisen. Der blasse Mond gab alles, und die wenigen Wintervögel zwitscherten, als gelte es, sich auf der Stelle zu paaren. Julius Eichendorff liebte die frühen Stunden, denn sie gehörten ihm allein. Die Luft hatte sich über Nacht geklärt, Bäume und Sträucher sammelten ihre Kraft im Wurzelwerk, und seine beiden Kater Felix und Herr Bimmel schlummerten, müde von der nächtlichen Jagd, vor dem heimischen Kamin.

Zu dieser Uhrzeit weilte niemand in seinem Restaurant »Zur alten Eiche«. Er würde deshalb in aller Ruhe die Küche auf Hochglanz polieren und danach in den Vorräten schwelgen können auf der Suche nach Inspiration für neue Gerichte. Es gab noch einiges für die beliebten »Uferlichter« vorzubereiten, während derer die Kurgartenbrücke und die dazugehörige Straße wieder mit Lichtern und Ständen gespickt sein würden. Vielleicht würde er in seinem Stand dieses Mal einen Punsch anbieten? Und etwas mit frischer Pasta?

Herrlich, so sollte jeder Tag beginnen!

Es war nicht weit von seinem Haus zum Restaurant, denn Julius’ Heimatort Heppingen im Ahrtal war kaum mehr als ein aufgeplustertes Dorf. Es bestand eigentlich nur aus einer ausgewachsenen Straße. Julius schätzte diese Übersichtlichkeit sehr. Wer sich in Heppingen verlief, musste den Orientierungssinn eines kleinen grauen Steins am Waldrand haben.

Mit einem Lied auf den Lippen flanierte er am Haupteingang der »Alten Eiche« vorbei, denn er wollte die Küchentür nehmen, so gehörte es sich schließlich für einen Koch.

Als er um die Ecke kam, sah er den Hinterhof des Restaurants.

Julius wusste später nicht, warum ihm zuerst der halb geleerte Brotkasten auffiel. Es gab wirklich Wichtigeres zu sehen. Dennoch dachte er: Wo sind die alten Brötchen hin? Sie standen schon drei Tage draußen, Bäcker Hubert Lorenz wollte sie netterweise abholen und zu einem Grafschafter Bauernhof bringen, zum Füttern des Geflügels. Nun waren sie weg.

Dafür war Hubert Lorenz da.

Bekannt war dieser unter seinem… nun ja, Kosenamen: Voodoo-Bert. Den Namen hatte er erhalten, als er seinen Betrieb vor zwei Jahren auf biologisch-dynamische Produktion umgestellt hatte. Seine Midlife-Crisis hatte sich nämlich nicht in einem neuen Sportwagen oder einer Yacht am Mittelmeer gezeigt. Nein, er wollte plötzlich die Natur nicht länger schädigen, sondern im Einklang mit ihr und den kosmischen Kräften leben. Viele hielten es für Spinnerei, doch nach einiger Zeit war er zum gern gesehenen Gast in den Medien geworden. Die biologisch-dynamische Herstellung hatte Hubert jedem, der es hören oder auch nicht hören wollte, erklärt, basiere auf der Anthroposophie Rudolf Steiners, welche ein gesundes Zusammenspiel von Menschen, Tieren, Pflanzen, aber auch Erde und Kosmos zum Ziel habe. Die Beachtung der Mondphasen und anderer kosmischer Rhythmen wie auch die Verwendung unbelasteter Lebensmittel seien dabei nur zwei von vielen Faktoren. Der ganze Betrieb werde als Organismus, ja als Individuum mit eigener Persönlichkeit gesehen, das in Balance sein muss.

Hubert hatte fest daran geglaubt und sich der Sache voll verschrieben. Er war offen für Neues gewesen und hatte alles ausprobiert. Wie diese kleinen, an den Enden spitz zulaufenden Brötchen. Unwahrscheinlich lecker waren die. Sie sahen aus wie kleine Schlangen, die gerade einen Tennisball verputzt hatten. Nach drei Tagen waren die spitzen Enden allerdings härter als Beton. Und der Frost hatte ihnen den letzten Schliff verliehen.

Das musste auch derjenige gewusst haben, dem Hubert vor dem Hintereingang der »Alten Eiche« begegnet war. Sonst würden jetzt nicht drei davon in seiner Brust stecken. Er lag auf einer Blutlache. Mund und Augen waren geöffnet. Hubert schaute leicht überrascht. Julius dachte: Bäcker mit Teigfüllung an Blutspiegel– und hasste sich dafür.

Die Hoftür der »Alten Eiche« war aufgebrochen. Julius zählte automatisch eins und eins zusammen, multiplizierte es mal drei und zog die Quadratwurzel: Wer immer bei ihm eingebrochen war, hatte beim Herauskommen Hubert getroffen und begriffen, dass dieser ein Problem darstellte. Ein Problem, das es loszuwerden galt. Auf endgültige Art und Weise. Also griff der Einbrecher sich das Nächstbeste, was als Waffe Verwendung finden konnte. Die Beton-Brötchen.

Den Kratzspuren zufolge, die sich in Huberts Gesicht, vor allem um den Mund, befanden, hatte der Täter ihm den Mund zugehalten, mit der anderen Hand sein Hemd aufgerissen und auf ihn eingestochen. Anscheinend war das erste Brötchen an Huberts Brust gescheitert, ebenso das zweite und dritte. Deshalb fanden sich rund um die Leiche unzählige Brötchen mit abgebrochenen Enden. Aber irgendwann war dann eines spitz genug gewesen und in die Brust gedrungen. Wohl um auf Nummer sicher zu gehen, hatte der Mörder noch zwei weitere Brötchen hineingetrieben.

Hubert war so stolz gewesen, wie dünn er den Teig für diese Brötchen an den Enden ausrollen konnte.

Hätte er lieber mal Rundstücke gemacht.

Julius schloss Hubert die Augen und sprach ein Vaterunser– wobei er an der Stelle mit dem täglichen Brot leicht ins Stocken geriet. Er musste umgehend die Kripo benachrichtigen. Wie gut, dass die bei ihm im Bett schlief. Sie hieß Anna, war Hauptkommissarin und seine Frau. Heute war ihr freier Tag. Leider hatte der Mörder darauf keine Rücksicht genommen.

Julius wählte seine Nummer, und nach vielen Klinglern meldete sich eine weibliche Stimme. Sie klang so zerknautscht, wie Anna um diese Uhrzeit immer aussah.

»Wer stöhnt denn da?«, fragte sie.

»Ich stöhne überhaupt nicht. Ich atme schwer!«

»Julius? Bist du das? Geht’s dir gut?«

»Ich atme nur tief ein und aus, das ist alles. Das wird ja wohl noch erlaubt sein.«

»Falls du so anzüglich atmest, wenn Gäste bei dir anrufen, wird bald keiner mehr kommen. Oder zumindest nur Leute, die nicht essen wollen… Warum rufst du überhaupt schon an? Warum liegst du nicht kuschelig im Bett und wärmst deine Liebste?«

Oha, Fettnäpfchen in Sicht. »Ich, äh…«

»Wo steckst du denn eigentlich?«

Das war eine erfreulich einfach zu beantwortende Frage. »Vor der ›Alten Eiche‹, Hintereingang.«

»Und was machst du da?«

Auf diese Frage war die Antwort dagegen nicht ganz so einfach. Was sollte er sagen? »Ich stehe neben einem Mann, der mit Brötchen erstochen wurde«? Das würde viele, viele Erklärungen notwendig machen.

»Tja, also, ich weiß nicht so recht, wie ich es dir sagen soll.«

»Frei heraus und vor allem schnell. Ich habe noch keinen Kaffee getrunken und bin…«

»…unerträglich?«

»Herausfordernd!«

»Vielleicht sollte meine herausfordernde Frau lieber erst ihren Kaffee trinken.«

»Sag endlich, was los ist, sonst werde ich richtig wütend.«

»Ich hab was gefunden.«

»Jetzt mach es nicht so spannend. So was treibt mich in den Wahnsinn, und das weißt du ganz genau! Was hast du denn gefunden? Ein paar tolle neue Schuhe für deine wunderbare Gattin? Das Bernsteinzimmer? Atlantis? Eine Leiche?«

Julius schwieg.

»Och nee. Jetzt sag nicht, dass du schon wieder eine Leiche gefunden hast!«

»Ich kann doch nix dafür! Die lag einfach da. Außerdem ist es nicht irgendeine Leiche, sondern Hubert. Mein Bäcker.–Hörst du? Anna?«

Aber Anna hatte schon aufgelegt.

Julius rührte sich nicht vom Fleck. Jede Bewegung konnte gegen ihn ausgelegt werden, das war eine von Annas Spezialitäten. Manchmal beschwerte sie sich schon, wenn er ihren Füßen im Bett zu nahe kam. Er sei einfach zu heiß. Erstaunlich, dass man das als Mann vorgeworfen bekommen konnte…

Jetzt stürmte Anna um die Ecke, ihre langen Haare notdürftig mit einem Tuch gebändigt. Sie stoppte vor dem toten Hubert.

»Das ist jetzt nicht wahr, oder? Wo kommt der denn her?«

»Also ich hab ihn nicht da hingelegt.«

»Das wär auch noch schöner. Ich bringe ungern meinen Ehemann hinter Gitter.«

»Macht sich schlecht vor den Kollegen.«

Sie kniete sich vor Hubert. »Ist er wirklich mit diesen Brötchen…? Unfassbar. Die Spurensicherung ist auf jeden Fall schon informiert. Du hast doch nichts angefasst, oder?«

»Ich hab ihm nur die Augen geschlossen.«

»Gut. Du lernst ja doch dazu.«

»Sogar Männer können das. Darf ich jetzt in meine Küche? Ich würde sehr gern wissen, ob noch alles steht.«

Anna stand auf und gab ihm einen Kuss.

»Wofür ist der jetzt gewesen?«, fragte Julius.

»Weil du gefragt hast und nicht gleich reingestürmt bist.« Sie gab ihm noch einen, diesmal länger und zärtlicher.

»Und der?«

»Das ist der Guten-Morgen-Kuss.«

»Ich hätte lieber eine Tasse Kaffee am Bett bekommen.«

Sie kniff ihn in den Oberarm– und Julius tat so, als spüre er nichts.

Vorsichtig drückte Anna die geborstene Tür auf und betrat, gefolgt von Julius, die Küche. Die sah picobello aus, nichts schien beschädigt, kein Schrank war geöffnet.

»Wie frisch geputzt. Noch nicht mal Spuren auf den Fliesen. Auch keine von den Schuhen des Einbrechers.«

»Es war ja auch die ganze Woche trocken. Verfluchtes Wetter.«

»Schau im Restaurant nach, ob etwas gestohlen wurde, Silberbesteck zum Beispiel oder Porzellan.«

Julius verharrte. Was, wenn der Einbrecher sich irgendwo versteckte? Was, wenn Hubert nicht die einzige Leiche war? Er wollte Gewissheit, beruhigende Gewissheit, dass alles noch an seinem Platz war, doch er fürchtete eine weitere böse Überraschung. Anna musste das bemerkt haben, denn sie strich ihm sanft über den Rücken und ging als Erste durch die Schwingtür in den Speisesaal.

»Kannst reinkommen.«

Julius folgte ihr– und plötzlich tauchten seine beiden Katzen auf. Mit emporgereckten Schwanzspitzen tapsten Herr Bimmel und Felix herein.

»Sucht!«, sagte Julius, doch die beiden schnupperten nur. Sie schienen zu spüren, dass etwas nicht stimmte.

»Gespenstisch still«, sagte Anna. »Lass es uns so machen: Ich prüfe hier alles, und du gehst in Ruhe Küchenschränke und Vorratskammern durch. Wenn möglich…«

»…nicht zu viel anfassen.«

Wie auf Eiern ging Julius durch sein Reich. Akribisch untersuchte er alles. Schließlich betrat er den Kühlraum und passte auf, dass ihm die Katzen nicht folgten. Sie liebten es, sich zu verstecken– doch es gab keine Kundschaft für Gefrierkatze à la Eichendorff.

»Und? Fehlt was?«, rief Anna.

»Alle Töpfe sind da, die Messer auch, genauso die teuren Küchengeräte wie mein Pacojet.«

»Dein Paco…was?«

»Nicht wichtig.« Julius schloss die schwere Klimatür des Kühlraums wieder. »Auch Kaviar und Trüffel sind da. Alles ordentlich am Platz.«

»Aber hier ist alles durchwühlt«, rief Anna. »Zumindest sieht es so gar nicht nach deiner Büroordnung aus.«

Julius lief zu ihr. In seinem Büro sah es aus, als hätte ein tropischer Wirbelsturm vorbeigeschaut. Man konnte keinen Schritt tun, ohne auf Ordner, Unterlagen oder Stifte zu treten.

Was Herrn Bimmel nicht daran hinderte, genau dies zu tun. Die Veränderung galt es zu überprüfen. Zum Beispiel auf Kratzfestigkeit. Jetzt hätte den Kater nur sein geliebter Wacholder ablenken können– doch nie hatte man welchen zur Hand, wenn man ihn brauchte.

Nachdem sie einen Weg freigeräumt hatten, untersuchte Julius den Inhalt aller Schränke– und trat danach zögernd zum Tresor, der hinter einem gerahmten Foto seiner Eltern angebracht war. Das Bild war ein Geschenk seiner Mutter. Sie hatte praktischerweise auch gleich den Platz ausgewählt, wo Julius es aufhängen sollte. Nämlich so, dass er es jeden Tag sah.

Er brauchte nicht lange, um die Zahlenkombination einzustellen. Und ebenfalls nicht lange, um den Inhalt in Augenschein zu nehmen.

»Was ist da eigentlich drin?«, fragte Anna und lugte über seine Schulter. »Du hast mir nie erzählt, dass du hier Wertsachen aufbewahrst. Dabei weißt du doch: keine Geheimnisse in der Ehe.«

Ein Julius im Normalmodus hätte jetzt etwas Pfiffiges erwidert. Aber er war nicht im Normalmodus. Er war immer noch schockiert von Einbruch und Mord. Deshalb reichte er Anna nur den Inhalt, der von einer durchsichtigen Plastikhülle geschützt wurde. Es waren getrocknete Halme. Von der ersten Pflanze, die Anna ihm je geschenkt hatte: Chinesische Petersilie. Dazu Fotos von ihr und ein Rezept, das er nur für sie kreiert hatte und für niemanden sonst kochte.

»Du bist ja ein echter Romantiker.«

»Ich möchte nicht darüber reden. Und zu keinem ein Wort.«

Annas Lippen näherten sich seinen, doch bevor es zu weiteren Zärtlichkeiten kommen konnte, hörten sie ein Räuspern hinter sich. Die Kollegen von der Spurensicherung.

»Küssen Sie ruhig noch zu Ende. Wir haben Zeit. Sie müssen den Kopf schräger halten, Frau Kollegin.«

Anna verdrehte die Augen. »An die Arbeit!«

Nachdem alles durchsucht war, stand das Ergebnis fest.

Hubert war mausetot, die »Alte Eiche« aufgebrochen.

Doch nichts war gestohlen worden.

Julius wusste, dass es nicht seine Aufgabe war, Huberts Frau vom Tod ihres Mannes zu unterrichten, doch er wollte nicht, dass es Polizisten taten. Hubert war vor seinem Restaurant zu Tode gekommen, daher sah er die Geste als seine Verpflichtung an.

Aus taktischen Gründen hatte er es allerdings für klüger gehalten, Anna nichts davon zu erzählen. Dafür würde es heute Abend Ärger geben, den er plante, mit dem von ihr so geliebten Aprikosensorbet zu mildern. Er würde sich gleich nach seiner Rückkehr daranmachen müssen.

Hubert hatte in einem Bungalow gewohnt, dessen Fassadenfarbe er sich extra hatte mischen lassen: Roggenmischbrot-Braun. Schon beim Anblick bekam man Appetit. Vom Vorgarten aus konnte Julius die Weinberge sehen, sie waren dunkel wie abgeerntete Äcker. Julius mochte den kargen Anblick sehr. Er liebte sein Tal eigentlich zu jeder Jahreszeit. Nur nicht, wenn sich im Sommer die Hitze wie in einer riesigen Badewanne sammelte.

Wobei das immer ein guter Anlass war, in den kühlen Weinkeller zu entschwinden.

Also halb so schlimm.

Er brauchte nach dem Klingeln nicht lange zu warten, bis die Tür geöffnet wurde.

»Julius, das ist aber eine nette Überraschung.« Was war mit Katharinas Aussprache? Sie zog die Konsonanten so merkwürdig. »Komm rein! Warum machst du denn ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter? Möchtest du einen Kaffee?«

Katharina Lorenz war ungeschminkt, ihre Haare standen wüst in alle Himmelsrichtungen, und ihr Morgenmantel hing schief auf ihren Schultern. Sonst war sie immer wie aus dem Ei gepellt. Die Alkoholfahne – Julius erschnupperte Weinbergpfirsichlikör und Trester– erklärte ihren Zustand einigermaßen.

Sie verschwand, ohne eine Antwort von Julius abzuwarten, in der Küche. Dieser trat in den Flur und betrachtete die Strukturtapete. Beige marmoriert. Mit Krümeln. Wie im Inneren eines Brotes. Hubert hatte auf dem Recher Weinfest von der Sonderanfertigung erzählt, doch Julius hatte es für einen Scherz gehalten. Jetzt war ihm allerdings gar nicht zum Lachen. Er registrierte, dass zwei Bahnen Tapeten in Streifen heruntergerissen worden waren.

»Setz dich schon mal ins Wohnzimmer, Kaffee ist gleich durchgelaufen. Wenn du wegen Hubert hier bist, der ist nicht zu Hause. Da müsstest du im Geschäft anrufen.«

Erst als sie beide saßen, fing Julius an zu reden. Ohne Umschweife, direkt raus damit, so hätte er es selbst gewollt.

»Ich muss dir leider sagen, dass Hubert tot ist. Ich hab ihn heute Morgen vor meinem Restaurant gefunden.«

Katharina lachte schrill auf. »Na, das sieht ihm ähnlich. Das sieht ihm so verdammt ähnlich.«

»Aber…« Hatte sie gerade wirklich laut gelacht? Sollte sie nicht anders reagieren? Hatte der Alkohol sie noch voll im Griff?

Katharina legte ihre Hand auf Julius’ Rechte. »Lass es mich erklären. Wir hatten gestern einen Streit. Nein, es muss heißen: Wir hatten den Streit. Den letzten, den endgültigen. Ich habe ihn vor die Tür gesetzt und ihm gesagt, dass er für mich ein für alle Mal gestorben ist… Und das habe ich auch genau so gemeint! Ich war es so leid, Julius. Unsere Ehe ist schon lange keine mehr, nur noch eine miserable Wohngemeinschaft. Im Bett läuft seit Jahren nichts. Zuerst haben wir drüber geredet, Sachen ausprobiert…«

Sie tippte Julius mehrmals ungeschickt auf die Brust. »Brauchen du und deine Frau vielleicht erotische Kartenspiele oder irgendwas Vibrierendes? Handschellen? Alles noch originalverpackt. Nein? Das Angebot steht.« Sie zwinkerte ihm aufmunternd, wenn auch träge, zu. »Jedenfalls hat das alles nicht hingehauen, und irgendwann habe ich mich dann damit abgefunden. Er aber ging woanders seinen Trieben nach. Zuletzt bei der kleinen Schlampe aus unserer Filiale in Altenahr. Da hat es mir dann gereicht. Irgendwo muss man einen Schlussstrich ziehen, Julius, oder? Natürlich hatten wir auch gute Jahre, ganz zu Anfang unserer Ehe…« Ihr Blick wurde für einen kurzen Moment noch glasiger. »Als Erstes lasse ich heute diese schrecklichen Tapeten runterholen, ich ertrage diese abartige Farbe nicht mehr. Hier wird jetzt alles anders. Ach, ich Schussel! Willst du Zucker? Milch? Auch einen Schuss Rum?«

Nein, wollte Julius nicht, und auch nichts Vibrierendes. Er trank heute lieber Schwarz. Auf den Schreck. Dass Katharina so freizügig aus ihrem Leben erzählen würde, hatte er nicht erwartet. Obwohl viele Menschen sich ihm anvertrauten. Anna meinte, es läge an seinem Blick. Wie eine Kuh beim Wiederkäuen.

»Woran ist der Drecksack denn gestorben?«, fragte Katharina, nachdem sie die Tasse abgesetzt hatte. »Wahrscheinlich sein Herz, oder? Der Arzt hat ihm schon tausendmal gesagt, er soll aufpassen, Ernährung umstellen, regelmäßig Sport treiben, mit dem Rauchen aufhören– aber er hat nichts davon gemacht. In seiner Familie hätte nie einer was am Herzen gehabt, sagte er immer, die wären alle alt geworden. Das hat er jetzt davon. Geschieht ihm recht. Soll sein Flittchen am Grab heulen.«

Julius wurde das Gefühl nicht los, dass Katharina ihren Schock überspielen wollte. Egal wie kaputt die Ehe gewesen war, so etwas konnte keinen Menschen dermaßen kaltlassen. Und er meinte sehen zu können, wie ihre Augen feuchter wurden, wie der Schmerz sich seinen Weg ins Bewusstsein bahnte. Er musste durch den Alkoholnebel zu ihr dringen. Julius packte sie fest an den Schultern und wurde nun laut.

»Hörst du mir überhaupt richtig zu, Katharina? Er ist ermordet worden, erstochen. Er wird nie wiederkommen.«

Diesmal redete sie nicht gleich drauflos. Diesmal starrte sie Julius an.

»Die Polizei wird gleich kommen und dir Fragen stellen. Die nächsten Angehörigen sind immer im Kreis der Verdächtigen, so war das damals auch bei Siggi und Gisela. Verschweig ihnen trotzdem nichts, am Ende kommt doch alles raus. Meine Anna wird die Ermittlungen führen, du kannst ihr vertrauen.«

Katharina senkte den Kopf, die Finger zitterten. Plötzlich saß eine andere Frau vor Julius. Wie weggeflogen war die übersprudelnde, alkoholgeschwängerte Selbstsicherheit; vor ihm saß ein gebrochener Mensch.

»Ich war es nicht, Julius, das musst du mir glauben. Ich hätte ihm nie etwas antun können, trotz allem. Manchmal hab ich mir gewünscht, es wäre anders, weil ich so wütend und verletzt war, ich hab mir vorgestellt, wie ich ihn… in allen Details. Aber ich hätte es nie getan!«

»Das glaub ich dir. Es tut mir alles sehr leid.«

Katharina stand auf. »Ich möchte jetzt allein sein, Julius.«

Er nahm sie in den Arm, doch Katharina erwiderte die Umarmung nicht.

»Kann ich dich wirklich allein lassen?«

Sie nickte. »Du kennst ja den Weg.«

Die Polizei würde jeden Moment kommen und Katharina sich in der Zwischenzeit sicher nichts antun. Julius konnte gut verstehen, dass sie einen Moment für sich brauchte, in dem sie keine Maske aufsetzen, keine Rolle spielen musste und die Tränen einfach fließen lassen konnte.

Kaum war er aus der Tür, klingelte sein Handy.

Es war seine Mutter.

Julius ging nicht dran.

Dann geschah etwas Ungeheuerliches. Sie schrieb ihm eine SMS. Seine Mutter beherrschte nun also auch modernste Technik, um ihn zu terrorisieren. Verdammter Fortschritt! Die Botschaft war genauso kurz wie prägnant: »Komm zur ›Alten Eiche‹. Ich muss sofort mit dir reden. Deine Mutter«.

Es kam Julius wie ein Einberufungsbefehl vor.

Als er wieder in seinem alten VW Käfer saß, griff er als Erstes nach den Notfallpralinen im Handschuhfach. Nervennahrung. Mit Nugatkern. Und Marzipanhülle. Sowie Pistaziensplittern obendrauf.

Er hatte drei eingepackt.

Zwei Kilo wären nötig gewesen.

Sonst half nichts, wenn seine Mutter im Tal ihr Unwesen trieb.

Sie war am Vortag überraschend eingetroffen, seinen Vater hatte sie vorerst in Südspaniens heißer Sonne gelassen, er war anscheinend noch nicht durchgebraten.

Julius entschied sich, seinen Wagen auf dem Restaurantparkplatz abzustellen und den Vordereingang zu nehmen. Das ging schneller. Er musste es hinter sich bringen.

Das Mittagsgeschäft lief schon in vollen Zügen, sowohl im Gourmetrestaurant »Zur Alten Eiche« wie auch im Bistro »Eichen-Klause«. Wenn Julius nicht in der Küche stand, schmiss sein Souschef den Laden– und den hatte er so gut ausgebildet, dass es kaum einen Unterschied gab. Der Herrscher im Gastraum war jedoch Franz-Xaver, genannt FX, sein österreichischer Maître d’hôtel, serienmäßig ausgestattet mit Zwirbelbart und Wiener Schmäh. Er kam ihm nun von Tisch sieben mit zwei Speisekarten unter dem Arm entgegen.

»Schau an, da isser ja, der Leichenstolperer! Is es dem Herrn genehm, wieder mal vorbeizuschauen und zu prüfen, wie’s dem Fußvolk ergeht?«

»Wo ist sie?«

»Die Mutter des Maestro? Führt ein Terrorregime in der Küchen, weil ihr Sohn net da is. Sie geht allen a bisserl auf die Nerven. Abisserl sehr.«

Julius wollte gleich in die Küche eilen, doch einige der Gäste hatten ihn entdeckt. An Tisch drei saß der Ahrweiler Seniorensportverein »Turne bis zur Urne«. Die Stimmung war ausgelassen. Jedoch nicht halb so ausgelassen wie an Tisch zwölf, wo die Nordic-Wine-Walkerinnen um Gabi Gith tafelten. Sie walkten mehrmals im Jahr durch das Ahrtal– wobei an vorher festgelegten Stationen Wein zur Stärkung eingenommen wurde. Zum Schluss waren die Muskeln gestählt. Und die Leber. Julius fragte sich, wann der Tourismusverband diesen Trend wohl aufgriff.

Alle Tische wollten begrüßt werden.

Die zwei Gourmets an Tisch drei besonders ausführlich. Einen der beiden kannte Julius seit Jahren: Lars Fröhlich aus Kerpen-Horrem, ein echter Fan seiner Küche, der ihm gleich Fragen zur Garmethode der Rehschulter stellte (hundert Grad, zweieinhalb Stunden) und sich erkundigte, wie der Wein aus dem neuen Gut des Pikberg-Bruders sei (hervorragend). Dann stellte Fröhlich den neben ihm sitzenden Mann vor. Dr.Winkelberg, ein Anästhesist aus Baden-Baden. Dessen Gesichtsausdruck war so langweilig, dass er vermutlich kein Narkotikum brauchte, um seine Patienten in den Schlaf zu befördern. Sparte den Krankenkassen sicher enorme Kosten. Zusammen sahen die beiden aus wie Waldorf und Statler aus der Muppet Show. Fehlte nur noch, dass Kermit der Frosch zum Essen kam.

Julius verabschiedete sich höflich und ging in die Küche.

Sie kam direkt auf ihn zu.

Seine Mutter hielt sich nicht mit Kleinigkeiten wie einer herzlichen Umarmung oder ähnlichen Begrüßungszeremonien auf. Sie fing gleich mit dem an, was sie am besten konnte: Vorwürfe machen.

»Julius, wo hast du gesteckt? Und diese Leiche vor deinem Restaurant