Case Management im Übergangsmanagement von der Schule in den Beruf - Julia Mahlstaedt - E-Book

Case Management im Übergangsmanagement von der Schule in den Beruf E-Book

Julia Mahlstaedt

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1,7, Fachhochschule Kiel (Fachbereich Soziale Arbeit und Gesundheit), Sprache: Deutsch, Abstract: Was muss bei der Umsetzung des Handlungskonzeptes Case Management in der Sozialen Arbeit beachtet werden, damit es als sozialarbeitswissenschaftlich fundiertes Konzept seinen Kritikern selbstbewusst entgegen treten kann? Welche Rolle spielen die Jugendsozialarbeit, insbesondere die Jugendberufshilfe, und die Kompetenzagenturen im Übergangssystem? Um der Beantwortung dieser Fragen näher zu kommen widmet sich diese Arbeit in einem ersten Schritt den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Jugendberufshilfe und beginnt somit aus dem Blickwinkel der Makroebene. Die gewandelte Bedeutung von (Lohn-)Arbeit, die sich verlängernde Jugendphase, die Bedeutung von Jugendarbeitslosigkeit und das Übergangssystem werden aufgezeigt. Danach wird versucht, die Soziale Arbeit - hinsichtlich ihrer Rolle im Sozialstaat und ihres Auftrages - in diesem Kontext zu verorten. Im dritten Kapitel wird das Projekt ‚Kompetenzagenturen‘ vorgestellt. Die Entwicklungslinien der Modell- und der Durchführungsphase werden nachgezeichnet und Auftrag, Zielgruppe, projektbezogene Vorgaben und Zielsetzungen der Kompetenzagenturen werden analysiert. Die Vorstellung der Projektfinanzierung und der am Projekt beteiligten Institutionen schließt das Kapitel. Eine, vom ESF definierte Vorgabe für Kompetenzagenturen ist die Anwendung des Konzeptes Case Management, also widmet sich das vierte Kapitel diesem Handlungskonzept. Die theoretischen Grundlagen werden herausgearbeitet und daraus werden Handlungsgrundlagen des Case Management abgeleitet. Im nächsten Schritt werden die verschiedenen Phasen eines Case Management-Prozesses vorgestellt. Das Kapitel schließt mit einem mikroperspektivischen Blick auf ein Fallbeispiel, wobei die Umsetzung des Handlungskonzeptes in der Praxis der Kompetenzagentur Eutin im Fokus steht. Das letzte Kapitel zeigt die Möglichkeiten und Grenzen von Case Management in Kompetenzagenturen auf. Die Ursachen, die dem Handlungskonzept den ‚schlechten Ruf‘ geben werden aufgeschlüsselt und reflektiert. Ein Ausblick beschäftigt sich mit der Zukunft der Kompetenzagenturen und kann die Frage nach der Rolle und Bedeutung der Jugendsozialarbeit nicht vermeiden.

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1. Einleitung

2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Jugendberufshilfe

2.1 Die Bedeutung von Arbeit für die Gesellschaft

2.2 Der Arbeitsmarkt

2.3  Die Arbeitsmarktpolitik

2.4 Die Lebensphase Jugend

2.5 Individuelle und strukturelle Bedeutung von Jugendarbeitslosigkeit

2.5.1  Arbeit und Identität

2.5.2  Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche: Das Übergangssystem

2.6 Die Verortung der Sozialen Arbeit in dieser Gemengelage

2.6.1  Soziale Arbeit und Sozialstaat

2.6.2  Gesellschaftlicher Auftrag der Sozialen Arbeit

2.6.3  Die Jugendberufshilfe

3. Die Kompetenzagentur, ein bundesweites Programm zur beruflichen Integration besonders benachteiligter Jugendlicher

3.1 Entstehungsprozess der Kompetenzagenturen

3.2 Kompetenzagenturen (2007-2013): Aufgaben und Ziele

3.3 Die Zielgruppe: besonders benachteiligte Jugendliche

3.4 Finanzierung und beteiligte Institutionen

4. Kompetenzagenturen und die Methode zur Zielerreichung: Case Management

4.1 Das Handlungskonzept Case Management

4.1.1 Theoretische Grundlagen des Case Managements

4.1.2 Handlungsgrundlagen des Case Managements

4.1.3 Phasen des Case Managements

4.2 Case Management in der Praxis

4.2.1 Die Kompetenzagentur Eutin

4.2.2 Case Management im Alltag der KAE

5. Fazit und Ausblick

5.1 Möglichkeiten und Grenzen von Case Management in  Kompetenzagenturen

5.2 Case Management zwischen Ökonomisierung und Aktivierung

5.3 Die Zukunft der Kompetenzagenturen

Quellenverzeichnis

 

Tabellenverzeichnis

 

Tabelle 1 : Erwerbsquote Männer und Frauen

Tabelle 2: Platzierungsquote im November 2004 (in %)

Tabelle 3:  Platzierungsquote im November 2005 (in%)

Tabelle 4: Zielebenen

 

1. Einleitung

 

Der, spätestens seit Inkrafttreten der Gesetze für moderne Dienstleistungen am Ar­beitsmarkt (‚Hartz I‘ bis ‚Hartz IV‘ zwischen 2003 und 2005), einsetzende Struktur- wandel der Arbeitsgesellschaft führt dort, wo die Soziale Arbeit ihren Beitrag zur Be­rufsfindung und zur Integration junger Menschen in die Arbeitswelt leistet, zu großen Herausforderungen. Das Grundkonzept der Jugendberufshilfe, das im Kern auf Qua­lifizierung für den Beruf fixiert war, greift nicht mehr. Integrationsrisiken sind in der pluralisierten Gesellschaft nicht mehr allein an Qualifizierungsfragen festzumachen. Lebensbewältigung und soziale Integration sind auch bedeutsame Parameter für die berufliche Integration junger Menschen.[1]

 

In dem, seit den 1970er Jahren gewachsenen, so genannten Übergangssystem be­finden sich seit Jahren etwa ein Drittel aller SchulabgängerInnen. Die Gesamtzahl der AnfängerInnen in teilqualifizierenden Bildungsgängen lag im Jahr 2007 bei       484 052.[2] Hauptfinanzierer des Übergangssystems ist die Bundesagentur für Arbeit, Hauptaufgabe ist die Vermittlung von Teilqualifizierungen mit dem Hauptziel, Jugend­liche und junge Erwachsene[3] in den Ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.

 

(Die) Arbeitsvermittlung, ein zentrales Anliegen der Hartz-Gesetzgebung, hat ihre sozialpä­dagogischen Wurzeln verloren.[4]       

 

Das Übergangssystem läuft mit seiner eindimensionalen Zielsetzung tatsächlich Gefahr, sozial benachteiligte junge Menschen nicht ausreichend in Richtung soziale Integration/Lebensbewältigung zu fördern. Manche Jugendliche durchlaufen mehrere Maßnahmen des Übergangssystems, ohne am Ende tatsächlich einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Das Übergangssystem wird seinem Etikett

 

 ‚System‘ nicht gerecht, zeichnet es sich doch durch hohe Unübersichtlichkeit und geringe Ver­netzung aus.

 

Die - mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) geförderten - bundesweit 200 Kompetenzagenturen des Bundesministeriums für Familie, Se­nioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) formulieren die Zielsetzung, mehrere tausend besonders benachteiligte Jugendliche, die vom bestehenden Übergangssystem nicht profitieren oder den Zugang zu Hilfsangeboten nicht aus eigenem Antrieb finden, zu unter-

 

stützen und zu begleiten.[5]  Case Management, lokale Verortung und institution­elle Netzwerkbildung sind die drei zentralen Merkmale der Kompetenzagenturen.

 

In diesem Buch soll der theoretische Unterbau meiner täglichen Arbeit als Case Managerin in einer Kompetenzagentur erarbeitet werden. Die Auseinander-

 

setzung mit den soziologischen und politischen Zugängen und dem Handlungs-

 

konzept Case Management sollen wichtige Impulse für die Reflexion der täglichen Arbeit liefern. Da diese Arbeit berufsbegleitend entsteht, können die theoretischen Erkenntnisse immer wieder mit dem Berufsalltag abgeglichen werden. Gleichzeitig können neue Impulse für den Arbeitsablauf gesetzt, das tägliche Handeln theoretisch überprüft und ggf. angeglichen werden. So bietet die Arbeit die Chance für einen Theorie-Praxis-Transfer.

 

Ein weiteres Anliegen der Verfasserin ist, sich mit den eigenen Vorurteilen bezüglich des Case Managements fachlich auseinanderzusetzen um eine klare Haltung gegenüber dem Konzept entwickeln und behaupten zu können.  

 

Die anfangs formulierten Leitfragen waren eher pessimistisch: ‚Ist die Kompetenz- agentur nur Instrument aktueller sozialpolitischer Trends und die Methode Case Management ihr neoliberales Werkzeug?‘ Wie dynamisch ein Schreibprozess sein kann zeigt sich darin, dass nach der Auseinandersetzung mit dem Thema sich die Leitfrage änderte: Was muss bei der Umsetzung des Handlungskonzeptes Case Management in der Sozialen Arbeit beachtet werden, damit es als sozialarbeits- wissenschaftlich fundiertes Konzept seinen Kritikern selbstbewusst entgegen treten kann? Welche Rolle spielen die Jugendsozialarbeit, insbesondere die Jugendberufshilfe, und die Kompetenzagenturen im Übergangssystem?     

 

Um der Beantwortung dieser Fragen näher zu kommen widmet sich diese Arbeit in einem ersten Schritt den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Jugendberufshilfe und beginnt somit aus dem Blickwinkel der Makroebene. Die gewandelte Bedeutung von (Lohn-)Arbeit, die sich verlängernde Jugendphase, die Bedeutung von Jugendarbeitslosigkeit und das Übergangssystem werden aufgezeigt. Danach wird versucht, die Soziale Arbeit - hinsichtlich ihrer Rolle im Sozialstaat und ihres Auftrages - in diesem Kontext zu verorten.

 

Im dritten Kapitel wird das Projekt ‚Kompetenzagenturen‘ vorgestellt. Die Entwicklungslinien der Modell- und der Durchführungsphase werden nachgezeichnet und Auftrag, Zielgruppe, projektbezogene Vorgaben und Zielsetzungen der Kompetenzagenturen werden analysiert. Die Vorstellung der Projektfinanzierung und der am Projekt beteiligten Institutionen schließt das Kapitel. 

 

Eine, vom ESF definierte Vorgabe für Kompetenzagenturen ist die Anwendung des Konzeptes Case Management, also widmet sich das vierte Kapitel diesem Handlungskonzept. Die theoretischen Grundlagen werden herausgearbeitet und daraus werden Handlungsgrundlagen des Case Management abgeleitet. Im nächsten Schritt werden die verschiedenen Phasen eines Case Management-Prozesses vorgestellt. Das Kapitel schließt mit einem mikroperspektivischen Blick auf ein Fallbeispiel, wobei die Umsetzung des Handlungskonzeptes in der Praxis der Kompetenzagentur Eutin im Fokus steht.

 

Das letzte Kapitel zeigt die Möglichkeiten und Grenzen von Case Management in Kompetenzagenturen auf. Die Ursachen, die dem Handlungskonzept den ‚schlechten Ruf‘ geben werden aufgeschlüsselt und reflektiert. Ein Ausblick beschäftigt sich mit der Zukunft der Kompetenzagenturen und kann die Frage nach der Rolle und

 

Bedeutung der Jugendsozialarbeit nicht vermeiden.

 

In dieser Arbeit werden sowohl einfache als auch doppelte Anführungszeichen verwendet. Dies soll ein wörtliches Zitat (doppelte Anführungszeichen) von Anführungszeichen, die die Verfasserin gesetzt hat (einfache Anführungszeichen) unterscheiden.

 

Bei der Bezeichnung von Personengruppen soll das sog. Binnen-I sowohl weibliche als auch männliche Gruppenangehörige erkennbar machen.

 

2. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen der Jugendberufshilfe

 

Das folgende Kapitel soll die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen sich die Jugendberufshilfe bewegt, aufzeigen. Es weist in einem ersten Schritt auf die historisch gewandelte Bedeutung von Arbeit und den sich damit herauskristallisierten „Normalitätsentwurf“ dieser Gesellschaft hin. Analog zu dieser Entwicklung vollzieht sich die Ausdifferenzierung der Lebensphase Jugend hin zu der heutigen Definition.  Auf die Jugend – die historische Entwicklung zur eigenständigen Lebensphase und die besonderen Entwicklungsaufgaben im Jugendalter – wird  kurz eingegangen. In der Arbeitsgesellschaft ist die Identitätsbildung eng an die Integration in Erwerbs-

 

arbeit geknüpft. Unter dieser Prämisse wird das Phänomen Jugendarbeitslosigkeit untersucht und die besondere Arbeitsmarktpolitik für Jugendliche vorgestellt.

 

Die Jugendberufshilfe ist eng mit den Bedingungen des Arbeitsmarkts - als Zentrum der Arbeitsgesellschaft - verknüpft. Er unterliegt als „öffentlich-rechtlich simulierter“ [6]  Markt spezifischen Verflechtungen in Politik und Gesellschaft. Der Arbeitsmarkt und die Arbeitsmarktpolitik wirken auf die Ziele und Maßnahmen der Jugendberufshilfe ein. Darum werden diese im Folgenden ebenfalls näher beschrieben.

 

Auch aus professionsethischer Sicht sollte die Arbeitsmarktpolitik in den sozial-

 

arbeiterischen Diskurs einfließen. Soziale Arbeit als ein System gesellschaftlich relevanten, beruflichen Handelns darf nicht im instrumentellen Tun aufgehen, sondern respektiert die Subjekte in ihrer Eigenart und ihrem Eigensinn. Sie hält die Frage nach dem Menschenbild wach, das den politischen Regelungen zugrunde liegt.[7]

 

In einem letzten Schritt wird auf die Rolle der Sozialen Arbeit in diesem Kontext eingegangen. Ihre Stellung und Funktion wird im Sozialstaat verortet, ihr gesellschaftlicher Auftrag herausgearbeitet und die Jugendberufshilfe als Arbeitsfeld der Sozialen Arbeit vorgestellt.

 

2.1 Die Bedeutung von Arbeit für die Gesellschaft

 

‚Konsumgesellschaft‘,‚Wohlstandsgesellschaft‘,‚Mittelstandgesellschaft‘ ‚Freizeitgesellschaft‘ und ‚Dienstleistungsgesellschaft‘ sind nur einige gängige Bezeichnungen des dynamischen und komplexen Gesellschaftssystems und beziehen sich im Grunde auf die ‚Arbeitsgesellschaft‘. Arbeit ist das konstituierende Moment. Sie ist Auslöser von Konsum und (partiellem) Wohlstand, sie generiert den Mittelstand, ihr Antonym ist die Freizeit und Dienstleistungen bilden den so genannten Dritten Sektor auf dem Arbeitsmarkt.

 

Die geschichtliche Betrachtung zeigt, dass die von der Antike bis zur Aufklärung gültigen Definitionen von Arbeit von  der modernen Definition der Erwerbs- oder Lohnarbeit differieren.

 

Für Karl Marx (1818-1883) macht Arbeit das Wesen des Menschen aus und ist eine Schlüsselkategorie menschlicher Existenz.[8] Auch Hannah Arendt (1906-1975) weist darauf hin, dass „die Grundbedingung, unter der die Tätigkeit des Arbeitens steht, das Leben selbst ist.“[9] Durch die biologische Verfasstheit des Menschen, der für die Organisation seiner Existenzsicherung sorgen muss (Essen, Heizen etc.), ist somit jeder Mensch ab einem gewissen Alter zur Arbeit verpflichtet. Folgt man dieser Auffassung von Arbeit macht der Begriff ‚Arbeitsgesellschaft‘ kaum Sinn, da jede menschliche Gesellschaft automatisch auch eine ‚Arbeitsgesellschaft‘ wäre. Der Begriff  ‚Arbeitsgesellschaft‘ akzentuiert vielmehr die historisch durchgesetzte Form der Organisation gesellschaftlicher Arbeit als Schlüsselkategorie.[10]

 

Um das Charakteristische der Arbeitsgesellschaft fassen zu können, muss sich der Blick demnach auf den historisch gewandelten Begriff der ‚Arbeit‘ richten.

 

Während körperliche Arbeit in der Antike vor allem den unteren Gesellschafts-

 

schichten zugedacht war, basiert das christliche Verständnis von Arbeit  auf dem von Gott gegebenen Auftrag, die ‚Schöpfungsarbeit‘ im Paradies fortzusetzen. In der christlichen Lehre wurde durch das schuldhafte Verhalten der Menschen und der damit verbundenen Vertreibung aus dem Paradies die Lebenserhaltung mit der Mühe der Arbeit verknüpft. Im vorreformatorischen Verständnis war aber nicht jede Arbeit oder Tätigkeit göttliche Berufung, sie wurde ausschließlich den Mönchen zugestanden.[11]

 

Dieses Prinzip wurde erst durch Martin Luther (1483-1546) gebrochen. Es setzte sich ein Verständnis durch, dass der Mensch zum Arbeiten geboren sei und entsprechend wurde der Beruf, ob geistlich oder weltlich, als die von Gott gestellte Aufgabe, die der Mensch auf Erden zu bewältigen hat, gesehen.[12] Der reformatorische Berufsbegriff ist immer geknüpft an den göttlichen Auftrag. Erst durch die alle Lebensbereiche erfassende Säkularisierung im Zuge der Aufklärung wurde der Bezug der Arbeit als Bewährung vor Gott abgelöst durch eine ‚innere‘ Berufung zum individuellen Erwerb von Besitz.[13]

 

Mit der Überführung der Arbeit aus dem privaten in den öffentlichen Sektor in Verbindung mit der Organisation von Arbeit, d.h. Arbeitsteilung und Mechanisierung von Arbeitsschritten und der damit allmählichen Entstehung von Berufen, schritt die Entwicklung der Arbeitsgesellschaft weiter voran.[14] 

 

Ulrich Beck versteht den Beruf als „marktbezogene Form der Organisation von Arbeitskraft in der Warentauschgesellschaft.“[15]  Das wesentliche Merkmal von Arbeit in ihrer berufsförmigen Organisation ist, dass nur jene Tätigkeiten als Arbeit bzw. Beruf zu verstehen sind, die verkauft werden können. Dieser Auffassung folgend wird Arbeit auf Lohn- bzw. Erwerbsarbeit reduziert und nicht veräußerbare Arbeit wie die (weibliche) Reproduktions- und Hausarbeit in der Arbeitsgesellschaft vernachlässigt. Berufe können als marktkonforme Konstruktion verstanden werden, als ‚Entwicklungsschablone‘, die die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt.[16]

 

Es ist selbstverständlich geworden, von der Veräußerung der Arbeitskraft am Markt als Basis der individuellen Lebenserhaltung auszugehen. Es ist der Standardentwurf und Normalität dieser Gesellschaft.[17]

 

Für die Gesellschaft folgen daraus weitere Konsequenzen:

 

  Die Verknüpfung von beruflicher Stellung und sozialer Platzierung

 

Die berufliche Stellung der Individuen wird „zum zentralen Struktur- und Gliederungsprinzip unserer Gesellschaft.“[18]

 

Da Berufe aber - ökonomiekonform -  nach Gesichtspunkten der Qualifikation, der Anforderungen, der Verantwortung, der Entlohnung etc. hierarchisiert  werden, entsteht eine Über- und Unterordnung von Un- und Angelernten, FacharbeiterInnen, FachschulabsolventInnen, FachhochschulabsolventInnen und HochschulabsolventInnen womit  Berufe zu wesentlichen Medien der Reproduktion und Stabilisierung sozialer Ungleichheit werden.[19]

 

  Geschlechtsspezifische Polarisierung

 

Da nur die Arbeit bezahlt wird, die durch das „Nadelöhr des Erwerbssystems“[20] passt, verschwindet die weibliche Reproduktions- und Erziehungsarbeit in den privaten Sektor. Die Frau besetzt die Rolle der nicht arbeitenden Hausfrau und Mutter, während der Mann die Rolle des Familienernährers inne hat.[21] Diese geschlechtsspezifische Rollenverteilung ist im Hinblick auf die Partizipation von Frauen am Erwerbsleben folgenreich. Die  Erwerbsbeteiligung von Frauen liegt unter der der Männer.

 

Zweifelsohne lässt sich feststellen, dass die Erwerbsquote bei Frauen heute deutlich höher ist, als noch in den achtziger und neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. 

 

Tabelle 1 : Erwerbsquote Männer und Frauen[22]

 

 

Dies beweist aber keinesfalls eine schrittweise Gleichstellung der Frauen im Erwerbsleben, sondern ist Ausdruck von Umstrukturierung der Arbeitsprozesse. Das heißt, die Tatsache, dass in den 1990er-Jahren weniger bezahlte Arbeit - vor allem im Dienstleistungssektor - angeboten wurde, ließ die Quote bei Männern sinken und bei Frauen steigen. Heute sind Frauen nach wie vor überdurchschnittlich oft in Teilzeitbeschäftigung oder geringfügiger Beschäftigung eingestellt.[23] Hinzu kommt, dass Frauen bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit häufig weniger verdienen als Männer.[24]

 

  Der Beruf hat großen Einfluss auf die individuelle Persönlichkeitsentwicklung Ein Indiz dafür ist ihre Selbst- und Fremdidentifikation mit den Berufen. (Die umgangssprachliche Wendung: ‚Sag mir, was Du machst und ich sage Dir, wer Du bist‘ gibt einen Hinweis darauf.) „Arbeit konstituiert [...] ein Subjekt-Objekt-Verhältnis, welches dem Individuum spezifische Lernleistungen abfordert“ die die soziale Integration gewährleisten.[25]

 

(siehe auch Kap. 2.5.1)

 

Mit dem historisch gewandelten Arbeitsbegriff und der daraus resultierenden zentralen Stellung des Berufes setzte sich in der industriellen Arbeitsgesellschaft ein Normalitätsmuster durch, welches im Kern vor allem auf die Figur des Lohnarbeiters abzielt. Dieses allgemein akzeptierte und kaum hinterfragte Muster muss durch Sozialisation und Erziehung gewährleistet werden.[26]

 

Der Arbeitsmarkt als Mittelpunkt der Arbeitsgesellschaft und die spezifisch auf ihn ausgerichtete Politik soll im Folgenden beleuchtet werden.

 

2.2 Der Arbeitsmarkt