3,99 €
Nach jahrelangen Kämpfen und Mühen steht der Herrscher des Dunklen Reichs kurz vor der Vollendung seines Werks: der Vereinigung aller fünf Königreiche unter seiner Krone.
Wäre da nicht der von ihm gefangene Hauptmann, der sich trotz Einkerkerung und Folter weiterhin standhaft weigert ihm das Überschreiten der magisch gesicherten Grenze ins Helle Reich zu ermöglichen.
Aber besagt nicht schon ein altes Sprichwort: „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“?
Daher setzt er dem Gefangenen einen besonderen Köder vor die Nase, um ihm sein wohlgehütetes Geheimnis zu entringen.
Wessen Wille wird der Stärkere sein?
Wird der Hauptmann das Geheimnis wahren können?
Doch das Schicksal ist wankelmütig.
Und so droht alles anders zu kommen, als zuvor geplant.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2018
(Fought Skies - Teil Eins)
M.K.
Nach jahrelangen Kämpfen und Mühen steht der Herrscher des Dunklen Reichs kurz vor der Vollendung seines Werks: der Vereinigung aller fünf Königreiche unter seiner Krone.
Wäre da nicht der von ihm gefangene Hauptmann, der sich trotz Einkerkerung und Folter weiterhin standhaft weigert ihm das Überschreiten der magisch gesicherten Grenze ins Helle Reich zu ermöglichen.
Aber besagt nicht schon ein altes Sprichwort: „In der Liebe und im Krieg ist alles erlaubt“?
Daher setzt er dem Gefangenen einen besonderen Köder vor die Nase, um ihm sein wohlgehütetes Geheimnis zu entringen.
Wessen Wille wird der Stärkere sein?
Wird der Hauptmann das Geheimnis wahren können?
Doch das Schicksal ist wankelmütig.
Und so droht alles anders zu kommen, als zuvor geplant.
Atemloses Keuchen, das Knarzen von ledernen Rüstungen, das Stampfen schwerer Stiefel und durchdringendes Geheul hallten durch das düstere Waldstück, welches den Grenzbereich des Dunklen Reichs markierte. Zwischen den wie verbrannt wirkenden Bäumen und Sträuchern hetzten zwei Wesen entlang, deren Körper im schwachen Mondlicht zu strahlen schienen.
Zuvorderst eilte ein Mann, bei dessen Anblick einem das Blut in den Adern gefrieren konnte. In Fetzen gekleidet, von Narben, Wunden und blauen Flecken übersät und mit kümmerlichen, gar gerupft wirkenden Flügeln auf dem Rücken. Alles in allem bot er einen jämmerlichen Anblick, man könnte fast Mitleid mit ihm haben, wären da nicht sein forscher Schritt und der starke Griff, mit dem er eine Frau hinter sich herzog. Sie war kleiner als ihr Begleiter, wirkte durch ihre helle Haut und die silbernen Haare beinahe wie ein Gespenst.
Mehr schlecht als recht stolperte diese ihm nach, taumelnd und torkelnd, und würde wohl in sich zusammenbrechen, wenn er sie nicht so rigoros mit sich schleifen würde. Dennoch ließ sie keinen Laut von sich hören, sondern folgte ihm einfach, im Gegensatz zu ihm dabei keinen einzigen Blick zurückwerfend. Begleitet von der Geräuschkulisse ihrer Hetzer brachen sie schließlich aus dem Waldstück hervor und gerieten direkt auf das ebene, kahle Land der Neutralen Ebene. Die Schneise war gerade breit genug, um eine deutlich sichtbare Abgrenzung zu erschaffen, die ob der Lage oft als Kriegsschauplatz herhalten musste.
Auf der anderen Seite lachte ihnen ein wesentlich freundlicherer, üppigerer Wald entgegen, der sich unendlich nach rechts und links zu erstrecken schien. Lediglich linker Hand, ihnen schräg gegenüber, wurde dieser Wald von einem Posten anderer Geflügelter unterbrochen. Ein Posten, der ihnen Sicherheit versprach!
Aber noch hatten sie diesen nicht erreicht. Denn auch wenn dies neutrales Land war, hieß dies für sie nicht, dass ihnen nichts mehr geschehen konnte. Und so zerrte der Mann die wesentlich kleinere Frau erbarmungslos weiter, auf genau diesen Posten zu, dabei immer wieder nach hinten sehend. Nichts Anderes brach aus dem schwarzen Wald hervor, aber die Geräusche wehten noch immer zu ihnen herüber. „Halte durch! Sieh, es ist nur noch ein kleines Stück!“, rief er ihr zu, erhielt aber keine Antwort von ihr. Er erwartete offenbar auch keine, denn er rannte immer weiter.
Die beiden Fliehenden waren vom Posten nicht unbemerkt geblieben, ebenso wenig wie die Meute, die schließlich doch aus dem feindlichen Wald hervorbrach, als sie ihr Ziel schon beinahe erreicht hatten. Aufmunternde, gar anfeuernde Rufe wehten zu ihnen herüber und beflügelten die Schritte des Mannes noch einmal. Noch fünf Schritte. Vier. Drei, zwei ... Der Letzte! Mit einem beherzten Satz hechtete er nach vorne, hinauf auf die üppige Grasnarbe, welche die Grenze des Hellen Reichs markierte und wo er von seinen Landsleuten in Empfang genommen wurde.
Er bemerkte unter den Begrüßungsrufen jener Männer nicht, dass die Frau, die er beim letzten Schritt losgelassen hatte, ihm nicht gefolgt war und nun einfach nur noch still und mit gesenktem Kopf auf der Ebene stand - nicht einmal einen Schritt von dem herrlichen Grün entfernt.
„Hauptmann Jhurd, Ihr lebt?!“
„Es hieß, Ihr wärt in der Zitadelle gefangen! Wie seid Ihr da bloß herausgekommen?!“
Mehrstimmig hallten die Rufe durcheinander, bis der Erste sich der Frau entsann und die alles entscheidende Frage stellte: „War sie auch eine Gefangene?“
Dem Mann stockte für einen Moment der Atem, als er die Frau nicht direkt an seiner Seite ausmachen konnte, wo sie eigentlich hätte stehen müssen, wenn sie ihm gefolgt wäre. Gehetzt sah er sich um, bevor er sie auf der Ebene entdeckte, einen einzigen Schritt von ihrer Sicherheit entfernt, und ihr auffordernd die Hand entgegenstreckte. „Komm, hier sind wir in Sicherheit!“
Quälend langsam hob sie den Kopf etwas an, so weit, dass er in ihr Gesicht und auf die geschlossenen Lider sehen konnte. Tonlos formten die blassen Lippen „Ich kann nicht.“, bevor er erst die schwarzen Tränen bemerkte, die ihren Weg über ihre Wangen kennzeichneten.
„Natürlich kannst du!“, rief er zurück und hob seinen Blick, um zu kontrollieren wie weit die Meute noch von ihr entfernt war. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, denn allen Gerüsteten voran sprangen zwei der bullengroßen Bestien, die zuvor das Heulen ausgestoßen hatten. Widerwärtige Biester mit Kiefern stärker als Bärenfallen, Blasen werfender Haut und ungeheurem Fresstrieb, aber mit wenig Verstand.
„Es ist nur ein einziger kleiner Schritt. Das schaffst du!“ Aber egal, wie sehr er auch versuchte, sie zu locken, wie gut er ihr zuredete, sie blieb einfach stehen und rührte sich weder vor noch zurück.
„Sie sind gleich an der Grenze. Du musst sie jetzt überschreiten, dann können sie dir nicht mehr folgen!“ Kaum hatte er den Ruf vollendet, und ihre traurige Miene richtig gedeutet, erstarrte er, wankte und drohte zusammen zu brechen. Wie konnte das nur sein? Ihre Häscher würden die Grenze nicht ohne weiteres übertreten können, diese ließ sie einfach nicht durch, aber ... die Frau durfte auch nicht eintreten?!
Mit einem Aufschrei wollte er sich wieder auf die Ebene und somit zu ihr werfen, sie verteidigen, beschützen, ihr Zeit erkaufen, aber seine Landsleute hielten ihn zurück. Als die Erste der Bestien mit weit aufklaffendem Maul und sprühendem Geifer zum Sprung ansetzte, schien sich für ihn die Welt zu verlangsamen.
Er hörte kaum noch die Rufe der Männer um ihn herum, ihre Bewegungen wirkten für ihn verschwommen und dass die Frau langsam ihren Kopf wandte, wollte er einfach nicht wahrhaben. Und wie er, gehalten von zwei der Wächter, dabei zusehen musste, wie sich der mächtige Schatten über die helle Frau zu schieben begann, brach sein Schrei aus seinem Mund hervor und gellte über das Feld.
„NEIN! SAINA!“
Monate zuvor ...
Das leise Geräusch, welches ein Tropfen Wasser macht, wenn er auf einer Pfütze oder dem Boden aufkommt, hallte in regelmäßigen Abständen durch den kleinen dunklen Raum. Die kleine Pfütze, der jenes nervenaufreibende Platsch-Geräusch entwich, hatte sich in der Ecke rechts neben dem dick verstrebten Gatter, welches als Tür diente, angesiedelt.
Lediglich die linke Ecke war leer, sah man einmal von Spinnenweben und Rattenkot ab. Geschwärzter Stein, wohin das Auge blickte, ein kaum nennbares Fenster in unendlich erscheinender Höhe. Schmutzig-nasses Stroh in einer Ecke, eine blanke Holzbohle in der anderen und dazwischen die eisernen Ringe nebst schwerer Kette, an denen der Gefangene festgekettet werden kann. Oder besser: Es bereits geworden war.
Ermattet saß dort ein Mann auf dem Boden in einer eingetrockneten Blutlache, den Kopf müde gesenkt und die Arme mithilfe der Ketten starr nach oben gezwungen, dass er sich gar nicht bequemer hätte platzieren können, selbst wenn er es versuchen würde, ohne sich starken Schmerzen auszusetzen.
Viel hatte man ihm nicht am Leib gelassen: Ein zerfetztes einstmals weißes Hemd und eine vor Dreck starrende Leinenhose, deren Farbe man beim besten Willen nicht mehr benennen konnte. Das geschundene Gesicht verschwand hinter den dreckigen blonden langen Haaren und verriet als Einziges, dass der Mann noch lebte, denn bei jedem Atemzug schwangen die Strähnen sacht vor und zurück.
Wie auch immer er es geschafft hatte in dieser Haltung einzuschlafen, ob durch eine gnädige Ohnmacht, Erschöpfung oder einfach purer Müdigkeit, sein Schlaf war weder erholsam noch von langer Dauer. Denn dieser Mann saß nicht in irgendeiner Kerkerzelle, oh nein, er saß in der tiefsten und dunkelsten, welche die Gemäuer um ihn herum zu bieten hatten.
Hier unten, sechs Meter unter der Erde verborgen, landeten nur diejenigen, für die der Herrscher der Feste etwas Besonderes vorgesehen hatte. Wer hier unten landete, der kam nur noch ohne freien Willen heraus - wenn überhaupt. Lange blieb ihm der Schlaf daher nicht vergönnt.
Zu unbekannten Stunden wurden die Gefangenen nämlich ‚besucht‘ und der Unglückliche war dieses Mal das Wesen in der Zelle gegenüber. Als der martialische Schrei durch die Gänge und Zellen hallte, schreckte der Blonde auf und blinzelte mit verschwommener Sicht durch seine Haarsträhnen hindurch. Außer den Rücken der hämisch lachenden Wärter konnte er allerdings kaum etwas erkennen.
Die wuchtige schwarze Tür zur Zelle des schreienden Wesens war geöffnet und durch die Wärter gesichert, so dass ihm auch dieses Mal ein Blick auf das bedauernswerte Geschöpf verwehrt blieb. Er konnte schon gar nicht mehr zählen, wie oft er das Wesen hatte schreien und kreischen hören, er wusste nicht einmal, wer dort drüben gequält und gefoltert wurde, denn er hatte es noch nie gesehen.
Ob es einer seiner Freunde war? Oder gar ein gänzlich Unschuldiger? Oder vielleicht ein armes Tier? Ganz gleich was es war, er konnte ihm nicht helfen. Wie war er nur hier gelandet?
Der Morgen war stürmisch gewesen. Dunkle Wolken trieben viel zu schnell über den gelblichen Himmel, Blitze zuckten auf und Donner grollte unheilvoll über das Feld. Bereits das hätte ihm eine Warnung sein sollen, aber er war zu beschäftigt damit gewesen sich vorzubereiten. Vor ihm hatten sich die Männer seiner Einheit aufgebaut, allesamt kampferprobt und zuverlässig. Drei Reihen mit je zehn Mann in Haltung und mit präsentierten Waffen.
Zufriedenheit breitete sich in ihm aus, als er den Blick über sie schweifen ließ. Das waren SEINE Leute, die ihn seit seinem Aufstieg, seitdem er endlich seine Flügel bekommen hatte, begleiteten und ihm treue Dienste leisteten. Die voller Stolz „Hauptmann Deralius Jhurd!“ antworteten, wenn man sie fragte, wem sie unterstehen würden.
„Männer! Die Schlacht steht kurz bevor! Heute ist der Tag, an dem wir dieser Brut zeigen werden, dass auf dieser und jeder anderen Welt kein Platz für sie ist!“ Zustimmende Rufe aus dreißig Kehlen begleitet vom regelmäßigen Knallen, wenn die Enden der Stangenwaffen auf den Boden donnerten, wehte ihm entgegen. Der Anblick festigte in ihm die Gewissheit, dass sie gewinnen würden. Was hätte auch groß schiefgehen können?
Ein erneuter Schrei riss ihn aus seinen Erinnerungen und ließ ihn mitfühlend das Gesicht verziehen. Auch seine Schreie hallten bereits durch diesen Abgrund, wenn er an der Reihe gewesen war und wer sagte denn, dass ihm nicht ebenfalls von einem anderen Gefangenen Mitleid entgegengebracht wurde?
Tief atmete er einige Male durch, versuchte den Faden seiner Erinnerungen wiederaufzunehmen, um sich nicht im Geschrei und Gewimmer vollends zu verlieren und doch noch klein bei zu geben. Jedes einzelne der dreißig Gesichter gab ihm zumindest zeitweise etwas Kraft zurück, um sich zu widersetzen, um standzuhalten und auszuharren, bis seine Peiniger ihn wieder allein ließen.
Im Gleichschritt folgten ihm die Männer in die große Formation, reihten sich ein zwischen Freunden und Brüdern, wurden Teil des Ganzen, so wie er selbst. Sein Blick glitt an den Schlachtreihen entlang, suchte nach den anderen Befehlshabern, bevor er seinen Helm aufsetzte und ihn festgurtete.
Das Wechselspiel von Blitz und Donner schwoll mit der Zeit immer mehr an, die Abstände wurden kürzer, während ihre Blicke wie gebannt auf die gegenüberliegende Seite des Feldes geheftet waren. Es schien als würde das Licht selbst verschluckt werden, als sich die schwarze Schar langsam an ihren Platz schob, unkoordiniert, laut, stinkend.
Aber er hatte gelernt, diesen undisziplinierten Haufen nicht zu unterschätzen. Ihre schiere Masse und ihre mangelnde Koordination hatten schon so viele seiner Freunde in den Tod gerissen, dass er ein kurzes Knurren bei der Erinnerung nicht unterdrücken konnte.
Dieses Mal allerdings, da war er sich sicher, würden sie nicht so viel Glück haben! Eine melodisch klingende Stimme hallte durch die Reihen hinter ihm, der Angriffsbefehl, der die Reihen der Männer entfesselte und die hell erstrahlende Menge nach vorne wogen ließ. Auch der schmutzige Haufen setzte sich in Bewegung, die Fronten näherten sich einander viel zu rasch und dann ...
Dieses Mal klang der Schrei, der ihn aus seinen Gedanken riss, noch schriller, noch gequälter. Als hätte man dem Wesen etwas abgeschnitten oder herausgerissen. Hatte es vielleicht auch Flügel, so wie Deralius selbst, die ihm nun brutal entfernt wurden? Oder gar etwas Anderes?
„Bedauernswerte Kreatur ... Anscheinend bin ich nicht der Einzige, den sie damit versuchen, gefügig zu machen. Wenn ihr Leiden doch nur endlich ein Ende finden würde.“, dachte er seufzend.
Er wünschte dem Wesen wirklich von Herzen, dass es endlich seine Erlösung finden könnte, aber er wusste ebenso wie jeder andere, dass das nur dann geschehen würde, wenn es für den Herrscher keinen Nutzen mehr aufweisen würde. Seufzend versenkte er sich wieder in seine Gedanken, nachdem das Brüllen etwas an Lautstärke abgenommen hatte. Wo war er stehen geblieben? Ach ja, der Ansturm ...
Dann brandeten die zwei Heere aufeinander, wie zwei Wellenkämme, die sich versuchten gegenseitig zu zerbrechen. Das Klirren von Waffen drang ihm an die Ohren, ebenso die Schreie der Kämpfenden, egal ob verletzt, sterbend oder siegreich. Zu Beginn sah es auch so aus, als würden sie dieses Pack zurückdrängen, vielleicht sogar endgültig vernichten können, wichen die Biester doch mit einem Mal beständig vor ihnen zurück.
Oh wie verblendet war er nur gewesen, dass er es nicht hatte kommen sehen! Nur wie hätte er auch erahnen sollen, dass es eine Taktik war? Ein Trick, ein Hinterhalt, der die Seinen näher zu den eigenen Schlachtreihen dieser Brut locken sollte?
Und auf den er und die Seinen auch prompt hereinfielen. Im Nachhinein schämt er sich dafür, dass er sich so hat blenden lassen von seinem eigenen Stolz - etwas Anderes kann es einfach nicht gewesen sein - und seine Männer in den sicheren Tod hat rennen lassen. Ja, ihnen sogar brüllend vorweg gelaufen ist und sich freudig auf den Nächstbesten gestürzt hat?
Danach ging alles so verflucht schnell und gründlich schief. Das hämische Gelächter der Feinde, die Todesschreie seiner eigenen Leute und dann ...
Und dann? Was war danach passiert? Oder war es doch eher zeitgleich gewesen? Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern. Das Nächste was er gesehen hatte, als er überhaupt wieder etwas sehen konnte, war diese Zelle und sein Peiniger gewesen und daran wollte er im Moment einfach nicht denken.
„Na sieh mal einer an.“ Der schnarrende Tonfall der Wache lenkte erneut seine Aufmerksamkeit auf das geschlossene Gatter vor seiner Nase. „Heute ist er aber besonders aufgebracht.“, ließ sich danach die linke Wache vernehmen und sandte ein dreckiges Grinsen zu der zweiten, rechtsstehenden, Wache. „So lebhaft war er seit gut einem Jahrhundert nicht mehr.“
Offenbar redeten sie weder von noch mit ihm, denn ihre Körper waren weiterhin der geöffneten Zelle gegenüber zugewandt. „Hat er ihm mal wieder einen Brocken vor die Nase geworfen?“ „Scheint so.“ Ihre Worte ergaben für ihn keinen Sinn, lediglich, dass es um das gequälte Wesen zu gehen schien, erschloss sich ihm. Und so leid ihm diese Kreatur auch tat, er war dennoch froh, dass nicht er es war, der an der Reihe war.
Es war schwer in dem Rattenloch, welches hier Kerker genannt wurde, die Zeit abzuschätzen und noch schwerer, wenn diese damit verbracht wurde gequälten Schreien zu lauschen. Aber irgendwann hatten die Peiniger sich offenbar genug an den Qualen erfreut, denn die Schwarzgewandeten verließen die Zelle wieder und ließen die Wachen diese erneut verschließen.
Für ihn hatte niemand einen Blick übrig. Nachdem die Schritte dieser unerfreulichen Besucher sich endgültig in den Gängen verloren hatten, herrschte erneut Stille, die lediglich durch das penetrante Tropfgeräusch unterbrochen wurde. Das kannte er schon, er mochte es sogar zeitweilig, bevor es erneut an seinen Nerven zu zerren begann. Es störte seine Konzentration, seine Erinnerungen und auch, dass er für einen kurzen Moment den Kopf hob und zur Decke starrte, half ihm nicht. Wie war er hierhergekommen? Warum war er überhaupt hier?
Zig Etagen höher, abgetrennt durch Erde, Gestein und Teppiche, befand sich der Thronsaal. Ein ebenso dunkler Raum wie offenbar alle anderen in dieser Feste auch. Jeder Stein wirkte geschwärzt, die hohen Fenster wurden mit dicken schwarzen Vorhängen verhangen und das spärliche Licht, welches den Raum erhellte, mühte sich ab aus dunklen Kerzen und einem Kamin zu erstrahlen.
Ein dicker Teppich führte von der Tür hin zu dem kleinen Podest, auf dem ein gewaltiger schwarzer Thron stand: Gefertigt aus edelstem schwarzen Marmor, versehen mit einer hohen Rückenlehne und verziert mit allerlei Abstraktionen, die einem im schummerigen Licht vorgaukeln, dass der Thron sich jederzeit in ein blutrünstiges Monstrum verwandeln und einen verschlingen könnte. Noch stand er frei, denn der Mann, der ihn sonst warmhielt, stand mit einem Glas Wein vor dem Kamin und starrte in diesen.
Oder besser gesagt, er starrte auf das, was zwischen seinen Füßen und dem Kamin auf dem Boden lag. Ein Paar gewaltige Schwingen, deren Federn alle Farbnuancen von schmutzigem Grau bis hin zu reinstem Weiß aufwiesen und die eindeutig an mehreren Stellen mit Blut getränkt sind.
Mit nachdenklichem Blick betrachtete er erst den Wein, dann wieder das zu seinen Füßen liegende Schwingen Paar. Bei dem Anblick verfinsterte sich seine Miene allerdings und ein dumpfes Grollen hallte durch den gewaltigen Saal. Vier verdammte Monate war es her, seit er diese widerlichen Leuchtkäfer eingefangen und in die Kerker geworfen hatte.
Die ersten Rückschläge hatte es bereits am darauffolgenden Tag gegeben, als seine Befrager sich der neuen Gäste annahmen. Vor lauter Freude über das Frischfleisch hatten sich zwei von ihnen nicht mehr zurückhalten können und ein wenig zu stark nachgebohrt, was unweigerlich den Tod seiner ‚Gäste‘ zur Folge hatte. Reumütig waren sie zu ihm gekrochen gekommen, hatten ihn um Verzeihung und Gnade angefleht. Seitdem wehten zwei neue Fahnen an seinen Zinnen und die Dornschweine hatten auch genug zu fressen.
An zu viel Enthusiasmus hatte es danach nicht mehr gelegen, dass ihm dennoch ein Leuchtkäfer nach dem anderen unter den Fingern wegstarb, bis es schließlich nur noch drei waren. Aber auch an diesen hatte er nicht mehr allzu viel Freude. Der Erste hatte vor zwei Tagen seinen Verstand verloren, der Zweite lag im Koma und der Dritte ... Ja, der Dritte, der weigerte sich noch immer standhaft auf seine wohlgemeinten Angebote einzugehen. Und dabei waren die Konditionen doch so günstig für ihn!
Wie konnte er auch noch nach vier Monaten intensiver Gespräche ablehnen? Dabei hatten seine Befrager doch wirklich alles versucht: Sie hatten ihn gepeitscht, gebrannt, ihm gut zugeredet, ihn vergiftet, ihn geheilt und waren schließlich sogar - mit seiner Zustimmung und mit dem Wissen, dass sie immer wieder nachwachsen würden - dazu übergegangen ihm regelmäßig die Flügel abzusäbeln, auszureißen, abzuätzen oder sonst wie zu entfernen!
Das Endergebnis des letzten Stutzens lag ja hier zu seinen Füßen und trotzdem hatten sie ihm wieder nicht die erlösenden Betteleien und Zustimmungen mitgebracht.
„Versager, alle miteinander!“, war sein geistiger Kommentar dazu.
Abfällig schnaubend ließ er den Blick wieder nach oben zum Kamin gleiten. Dieser Mann dort unten war seine Eintrittskarte zum Hellen Reich und damit auch zum endgültigen Sieg über diese ewig herum flatternden leuchtenden Mistkerle, die ihn und sein ganzes Volk hier unten in der Dunkelheit des Bodens hielten. Er konnte, wollte und würde ihn nicht einfach so aufgeben nur, weil dieser Kerl an seinem Stolz festhielt!
Auf den Lippen des Schwarzgewandeten bildete sich ein finsteres Grinsen. Die Idee, die ihm gerade gekommen war, schien ihm wirklich zu gefallen. „Bringt sie runter zu Zelle Dreizehn!“, bellte er in den vermeintlich leeren Raum. „Sie soll sich nützlich machen.“ Leises Zischen antwortete ihm, dann löste sich der gewaltige Schatten, den er zuvor auf die Wand geworfen hatte, von ihm und verschwand im restlichen Dunkel. „Wollen doch mal sehen, wie lange er da noch Nein sagen kann.“
Während im Thronsaal in aller Ruhe der Wein ausgetrunken wurde, bahnte sich der Schatten seinen Weg durch die Feste. Jeder Schlupfwinkel, jedes noch so kleine Versteck war ihm bekannt, was ihn seinem Ziel umso schneller näherbrachte.
Jenes befand sich keineswegs in den überirdisch liegenden Räumlichkeiten. Nein, der Schatten musste selbst unter die Erde, um zu dem Raum zu gelangen, in dem er vermutete die Gewünschte anzutreffen. In drei Metern Tiefe wurde er schließlich fündig und ließ sich nach einigem Zischen von der einzigen dort stehenden Wache die schwere Tür aufschließen.
Knarrend schwang diese auf und gab den Blick auf den gewaltigen Raum dahinter frei. Spiegel über Spiegel bedeckten die Wände, sogar die Decke und der Boden wurden damit ausgelegt. Geschickt verteilte Kerzen sorgten dafür, dass jeder noch so kleine Winkel dieses sich ewig selbst zurückwerfenden Raumes ausgeleuchtet wurde und den Schatten damit zwang vor der Tür stehen zu bleiben und seine Anweisungen zu dem in sich zusammen gesunkenen Bündel zu zischen, welches exakt in der Mitte des Spiegelraumes kauerte.
Was dort zusammen gekauert saß, war eine junge Frau, die den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen hielt. Lange silberne Haare umhüllten den Körper, hie und da blitzte zwischen ihnen jedoch schwarzer Stoff auf schneeweißer Haut auf.
Das Knarren der Tür und das Zischen des Schattens schienen sie jedoch kalt zu lassen, denn sie rührte sich einfach nicht. „Hast du nicht gehört, was er gesagt hat?!“, donnerte die Stimme der Wache ermahnend durch den Raum, als sie nicht reagierte. „Du sollst nach unten gehen, sofort!“
Kaum merklich wandte sie den Kopf etwas, gerade so weit, dass die Wache einen entsetzten Satz zurück ins Freie machte, als hätte der wuchtige Mann Angst vor dem zart geschnittenen makellosen Gesicht der wesentlich kleineren Frau. Schweigend ließ sie das Gehörte in ihrem Kopf nachhallen, bevor sie ein einfaches „Mhmm.“ von sich gab und sich umständlich erhob.
Mit äußerster Achtsamkeit legten sich die Spitzen der zierlichen Finger auf den gläsernen Boden, um ihr Halt zu geben, während sie vorsichtig ihre Beine unter ihren Körper zog und sich in die Höhe zu drücken begann. Einer Marionette gleich erhob sie sich zu ihrer vollen Größe - ihre Absätze nicht mit eingerechnet - von nur wenig mehr als anderthalb Metern.
Ihre Bewegungen werden dabei von den schwarzen Bändern begleitet, die sie sich um Arme, Brust und Beine gewickelt hatte und die wohl eine Erweiterung von Rock und Oberteil sein sollten. Für einen Moment wankte sie, es wirkt beinahe so, als würde sie nicht allzu oft stehen geschweige denn laufen, bevor sie sich wieder gefangen hatte und sich langsam der offenen Tür zuwandte. Jede ihrer Bewegungen, sei es nun das Aufstehen oder die zaghaften Schritte, mit denen sie den Raum verließ, geschahen mit geschlossenen Augen.
Unsicher überschritt sie die Schwelle, die ihren Raum und den Gang voneinander trennte und lauschte mit gesenktem Kopf auf das Zuschlagen der Tür hinter sich. Denn erst, als dieses an ihr Ohr gedrungen ist, öffnen sich ihre Augen einen Spalt weit und streifen rastlos über das Stück des Bodens, welches sie einsehen konnte.
„Zelle Dreizehn!“ wurde in ihr Ohr gebellt. Wie lange war es nun her, seit sie das letzte Mal aus ihrem Raum durfte? Und dann noch ausgerechnet zu dieser Zelle durfte? Sie wusste es nicht mehr und wenn sie ehrlich zu sich selbst sein sollte, interessierte es sie auch nicht.
Es bedurfte des Schildes der Wache an ihrem Rücken, damit sie sich endlich in Bewegung setzte und wankend ihren Weg bestritt, immer dem Schatten folgend, der vor ihr herschwebte und die anderen Wachen vor ihr zu warnen schien. Die Stiefelpaare, die sie zwischen den silbernen Haaren am Boden ausmachen konnte, wichen jedes Mal eilig von ihr zurück, wenn sie an ihnen vorbei glitt, die meisten drehten ihr sogar den Rücken zu und zischten sie an, gefälligst schneller zu laufen, immerhin wären hier Leute am Arbeiten.
Seit sie denken konnte wurde sie so behandelt, angezischt, geschnitten und verachtet. Und seit sie sich dazu entschlossen hatte, einfach nur noch das Nötigste zu tun, um am Leben zu bleiben, kümmerte es sie auch nicht mehr. Schritt um Schritt, Meter um Meter folgte sie dem Schatten tiefer unter die Erde, beschritt den Weg, der so aussah wie jeder andere hier unten auch.
Eine lächerliche Vorsichtsmaßnahme, die wegen ihr ergriffen wurde, um sie am Fortlaufen zu hindern. Ein paar identisch aussehende Wege würden sie bei einer Flucht keinesfalls aufhalten, aber wohin sollte sie auch gehen, wenn sie denn jemals auf einen so dummen Gedanken kommen würde? Ihr Platz war hier, solange bis ...
Ein harsches Zischen ließ sie erst langsamer werden, dann endlich anhalten und abwarten. Schuhe schoben sich wieder in ihr Sichtfeld, aber nur zwei Paare davon gehörten zu den Wachen, die sich allerdings abgewandt hatten und sie mit Missachtung straften.
Das letzte Paar allerdings gehörte ihm. Unwillkürlich schauerte sie etwas und zog den Kopf ein, versuchte, sich noch kleiner zu machen als sie ohnehin schon war und wartete schweigend darauf, was er dieses Mal von ihr verlangen würde.
"Wurde aber auch Zeit. Zu nichts bist du zu gebrauchen, du verwöhntes Gör!" schallte ihr dann auch schon die verbale Ohrfeige entgegen, unter der sie noch weiter zusammenzuckte. Sie hatte es aufgegeben anders vor ihm zu reagieren. Würde er sie nicht brauchen - und das tat er! - wäre sie ohnehin schon tot.
„Sag doch endlich, was du dieses Mal willst und lass mich danach wieder in Ruhe.“, schwebte ihr geseufzt durch den Kopf, aber außer einer sachten Kopfbewegung, die ihr Lauschen signalisieren sollte, war nicht einmal ihr Atem zu hören. Es war lediglich einem Schatten auf dem Boden zu verdanken, dass sie die harsche Armbewegung bemerkte, mit der sie zu Zelle Dreizehn verwiesen wurde.
Außer kurzen, gebellten Befehlen oder den Sticheleien des Mannes vor ihr, ließ sich ja ohnehin niemand wirklich dazu herab mit ihr zu sprechen. Und sie erachtete es daher auch nicht als nötig selbst etwas zu sagen, sondern wandte sich einfach nur um und wankte die letzten verbliebenen Schritte auf die massive Tür zu, hinter der das lag, was sie an diesen Mann band.
Klack ... Stille. Klack ...
Erneut Stille.
Der ungewohnte Rhythmus dieses fremden, fast schon zu leisen Geräuschs ließ den Blonden den Kopf anheben und träge zum Gatter starren.
Klack ... Stille. Klack ...
Genau zehn Mal ertönte der Ton, den er hier unten nicht zuordnen konnte, dann schob sich langsam etwas silbrig-weißes in sein Blickfeld. „Ob es das da ist, das die Geräusche verursacht?“, drängte sich hinter seinen zusammengezogenen Augenbrauen durch seinen Kopf. Sonst hallten die Gänge nur von den gepeinigten Schreien der Gefangenen, der schweren Stiefel der Wachen oder deren Gelächter wider.
Klack ...
Doch, eindeutig! Dieser helle, kaum hörbare Ton kam von diesem fast zu hellen, sich bewegenden Punkt, der gegenüber seines eigenen Raumes zum Stehen kam. Silber, weiß und schwarz, mehr konnte er auf die Schnelle nicht genauer bestimmen, war seine Sicht doch durch die Müdigkeit und den immer nur Sekunden währenden Schlaf getrübt.
Bestimmt würden die Wachen gegenüber gleich etwas zu diesem Fleck sagen, irgendetwas, das ihm einen Anhaltspunkt geben würde, was genau da eigentlich los ist.
Zu seinem Pech schwiegen die Beiden allerdings, lediglich einer rümpfte die Nase, während der Andere sich daran machte die schwere Tür erst aufzuschließen und danach aufzustoßen.
Ein einziger Schritt, dann verschwand dieser kleine Lichtblick in tiefster Finsternis und aus seinem Blickfeld, wurde doch hastig danach die Tür wieder geschlossen und sich davor platziert.
„Glotz' nicht so, du räudiges gerupftes Hühnchen!“ Hämisches Gelächter folgte den Worten, die ihn dazu brachten kurz auszuspucken und sich dann abzuwenden.
Was kümmerte es ihn, wie sie ihn nannten? Er hoffte lediglich für das Wesen gegenüber, dass es dieses Mal nicht wieder so sehr leiden müsste, wie wenige Stunden zuvor. Zwei Mal an einem Tag, das erschien selbst ihm einfach nur noch barbarisch und übertrieben.
Aber egal wie lange er auch wartete, kein einziger Schrei ertönte, auch kein Wimmern oder andere Klagelaute und genau dies war es, was seine Neugier nun doch weckte.
Es verging eine gefühlte Ewigkeit, bis ein sachtes Pochen ertönte und die Tür wieder aufgeschlossen wurde.
„Beeil dich gefälligst!“ wurde der silbrig weiße Fleck angeraunzt, als dieser in demselben langsamen Tempo wieder auf den Gang trat, wie er zuvor ankam und im Inneren des Raumes verschwunden war. Jeder wäre dabei sicherlich pampig geworden oder zumindest einen Schritt schneller gegangen, aber was auch immer es ist, es hob lediglich ein wenig den Kopf und begann diesen zu drehen.
Verstohlen breitete sich auf seinen Lippen ein Grinsen aus, als er die erschrockenen Sprünge zu beiden Seiten erkannte und das hastig gemurmelte „Ist ja schon gut!“ vernahm, mit welchem die beiden versuchten den Fleck davon abzuhalten zu ihnen aufzusehen.
Offenbar wirkte es, denn, dass was wohl der Kopf sein dürfte, senkte sich wieder ab und in dem diesem Wesen eigenen langsamen Tempo ertönte wieder dieser sachte Ton. Klack ... Stille. Klack ... Stille. Klack ... Stille, bevor nach exakt derselben Schrittzahl wie zuvor nichts mehr zu hören war.
Mit einer gewissen Genugtuung bemerkte er für sich selbst, dass dieser unbekannt lang angedauert habende Besuch wohl ein Guter für die Kreatur gegenüber war. Denn als es Zeit für die trockenen Kanten Brot kam, die jedes Mal achtlos in die Räume geworfen wurden, ertönte aus dem gegenüber liegenden Raum ein monotones, fast zufrieden klingendes Brummen.
Allerdings blieb dies nicht das Einzige, das an diesem Tag anders sein sollte. Der Wachwechsel wurde wesentlich früher als sonst vollzogen und die neuen Wachen, die nun permanent vor der massiven Tür der gegenüberliegenden Zelle stehen würden, wirkten irgendwie abgestumpft.
Ihre Bewegungen wirkten steif, sie redeten monoton, wenn sie mit einer patrouillierenden Wache sprachen und wenn dies nicht der Fall war, standen sie stocksteif da, den Blick stur nach vorne gerichtet ohne zu blinzeln oder irgendetwas anzusehen.
Was war mit den alten Wachen gewesen, dass diese nun so radikal ausgetauscht worden waren und sich darüber sogar noch zu freuen schienen?!
„Ob das etwas mit diesem anderen Wesen zu tun hat? Es kann gar nicht anders sein ... Aber WAS war das?“ Solche und ähnliche Fragen spukten ihn bei dem Anblick dieser neuen, nicht ausgetauscht werdenden Wachen durch den Kopf. Ein Geist? Ein Irrlicht? Oder etwas für sie noch viel Schlimmeres?! Fragen über Fragen, auf die er einfach keine Antwort fand.
Der Weg wieder hinauf in ihren eigenen Raum fühlte sich wie eine Ewigkeit an.
Schritt um Schritt, einer zaghafter als der andere, schleppte sie sich voran, flankiert von den Wachen und dem Schatten des Schwarzgewandeten, der darauf aufgepasst hatte, dass sie sich an die Zeitvorgabe hielt. Ohne ein Wort der Erklärung, nicht, dass sie nachgefragt hätte, wurde sie bis zur Tür des Spiegelraums eskortiert. Die Tür wurde für sie geöffnet und hastig hinter ihr wieder verrammelt, nachdem sie eingetreten war.
Ein gewohnter Gang für sie, dem sie keine weitere Beachtung schenkte und wieder auf die Mitte des Raumes zustrebte, die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt. Tonlos entwich ihr dennoch ein Seufzen, als sie sich wieder auf den glatten polierten Spiegelboden sinken ließ und ihre matte Haltung einnahm.
Wie eine Marionette, die in sich zusammensackte, wenn man ihre Fäden durchtrennte.
Und genauso fühlte sie sich auch: Wie eine Marionette, die man hervorkramte, wenn einem danach gelüstete, die nach dem Willen ihres Meisters tanzte und nach getaner Arbeit wieder unachtsam in eine Ecke geworfen wurde. Gewiss hätte sie sich befreien können, hätte fliehen und nie wieder zurückkehren können, aber wollte sie das überhaupt?
Jahrelang hatte sie sich darüber den Kopf zermartert, hatte gegrübelt und gewagt, nur um schlussendlich alles zu verlieren und aufzugeben. Ihr Wille war gebrochen, sie agierte nur noch mechanisch und dann auch nur langsam. Und dennoch wusste sie genau, dass er sie nicht entfernen würde. Sie mochte zwar seine Nemesis sein, aber sie war und blieb dennoch wertvoll für ihn.
„Wertvoll ... Das ich nicht lache.“, schimpfte sie sich selbst, bevor sie einmal tief durchatmete und sich wieder darin versenkte, einfach nur körperlich anwesend zu sein. Gefangen inmitten der Spiegel, die dafür sorgten, dass sie ihre Haltung nur minimal verändern konnte.
Ein gläserner Käfig, der sie umschlossen hielt, und der sie dazu zwang, sich auch ohne die Anwesenheit des Schwarzgewandeten, klein zu machen.
Eben jener hatte sich nach dem kurzen Zusammentreffen mit ihr allerdings zügig wieder nach oben begeben und seine Waschräume aufgesucht.
Nicht immer konnte er vermeiden sie in seiner unmittelbaren Nähe erdulden zu müssen, aber musste es denn eigentlich ausgerechnet heute sein?! Dass er selbst es war, der sie aufgesucht hatte, ja sogar auf die Idee gekommen war sie zu rufen, verdrängte er dabei erfolgreich.
Denn er machte ja keine Fehler, niemals!
Wutentbrannt schleuderte er seine Kleidung fort, die sofort von diensteifrigen kleinen Wesen eingesammelt und fortgebracht wurde, um dem Feuer übereignet zu werden. Jedes Mal kosteten ihn diese Treffen seine Kleidung und zwangen ihn dazu, sich einer ausgiebigen Waschung zu unterziehen, die bereits von weiteren dieser kleinen Wesen vollzogen wurde. Nicht einmal sein eigener, ihm grimmig entgegen starrender, Anblick im Spiegel vermochte ihn heute zu beruhigen und so knurrte er sich selbst an.
„Wehe ihr das klappt nicht, dann ...!“, knurrte er in den Raum, nur um sich selbst gleich in Gedanken zu verspotten. „Was dann? Nichts! Wenn ich könnte, wie ich wollte, hätte ich dieses Problem ja gar nicht mehr!“ Wie Recht er doch wieder selbst hatte!
Nachdem er die Prozedur des Schrubbens, Einölens und Anziehens hinter sich gebracht hatte, stampfte er schweren Schrittes wieder zu seinem Thronsaal. Dieses winzig kleine Wort ging ihm herunter wie Öl, Sein Thronsaal, und besänftigte ihn nun doch ein wenig. Ja, das war die Mühe wert, dieses kleine Stück Unrat weiterhin zu erdulden.
So sehr er sie auch hasst, so stolz war er aber auch darauf sie zu haben. Niemand außer ihm hatte so etwas zur Verfügung und er war gewiss, nicht gewillt diesen Umstand zu ändern.
Also würde er auch schön weiter dafür sorgen, dass sie am Leben blieb, egal ob sie wollte oder nicht. Versonnen grinsend schritt er über den ausgelegten Teppich, seinen Blick dabei liebevoll über das fein gearbeitete Meisterwerk schweifen lassend, als welches er dieses Gebilde - den Thron - erachtete.
Er gehörte ihm! Ihm ganz alleine! Sein Grinsen wurde ein wenig breiter, als er die zwei kleinen Stufen hinaufstieg, sich in einer angemessen langsamen Bewegung umdrehte und sich hoheitsvoll auf die Sitzfläche sinken ließ.
Und bald - da war er sich sicher - würde zu diesem großartigen Reich, welches er bereits beherrschte, auch noch das saftige Grün jenseits der grauen Schneise gehören.
Vor seinem geistigen Auge entfaltete sich die große Weltkarte, die er seit Jahren bereits ausgiebig studiert und zu seinen Gunsten verändert hatte. Von den ehemals fünf Gebieten waren nur noch zwei übriggeblieben, sah man von der unbedeutenden Schneise einmal ab, die das Helle Reich von seinem trennte.
Nach und nach hatte er sich erst das Stumme, dann das Glänzende und schließlich auch das Sehende Reich einverleibt und es seinem hinzugefügt.
Wenn er nur daran dachte, wie es früher einmal war! Eine reine Verschwendung von Ressourcen diese geteilten Reiche! Blut war geflossen, Wesen waren in den Tod gegangen - egal ob sie für oder gegen ihn waren - und er war jedes Mal als der Sieger hervorgegangen. Und das alles hatte ihn nur einige hundert Jahre seiner Zeit gekostet. Lediglich diese geflügelten Ratten leisteten ihm noch immer Widerstand.
Und das nicht allzu knapp.
Immer wieder erdreisteten sie sich ihn anzugreifen! Wären die Zauberfallen nicht, die seine Grenzen schützten, wären sie sicherlich schon längst eingefallen. Leider waren seine Grenzen nicht die Einzigen mit einem solchen Schutz.
Zum Glück hatte er ja jetzt das, was brauchte, um auch diese zu überwinden und sogar direkt ein Mittel zur Hand, um es zu bekommen! Innerlich klopfte er sich auf die Schulter dafür, dass er auf diesen grandiosen Einfall gekommen war, ausgerechnet Saina, dieses unwissende dumme kleine Stück Unrat, dazu zu benutzen den Willen dieser geflügelten Ratte in seinem Kerker zu brechen.
„Brr…“ Angewidert schüttelte er sich, nachdem ihm ihr Name durch den Kopf geschossen war, etwas was er sonst tunlichst vermied. Andererseits verdankte er ihr seinen rasanten Aufstieg und vielleicht sogar bald den Sieg über diese Ratten?
Da sie den Großteil ihres Lebens in der Spiegelkammer bei beständigem Licht verbracht hatte, war ihr jegliches Zeitgefühl schon vor Jahren abhandengekommen. Mangelnde Bewegung, das Nötigste an Nahrung, alles war bisher darauf abzielend sie möglichst klein zu halten.
Zwar war die Nahrung keineswegs reichhaltiger geworden, aber selbst sie bemerkte, dass die Besuche bei ihr in viel zu rascher Abfolge geschahen. Wo zuvor nur alle Jubeljahre einmal irgendeine Wache etwas von ihr wollte, wurde nun schon zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit die Tür aufgerissen und sie ins Freie zitiert.
Aber mehr als ein sachtes Neigen des Kopfes konnte und wollte sie sich zu diesem seltsamen Umstand nicht abringen. Zuhören, gehorchen, machen, zurückkehren - dieses Schema hatte sie über all die Jahre gebracht, also würde es das wohl auch in Zukunft weiterhin tun.
Und so erhob sie sich ein weiteres Mal, verließ ihren Raum und beschritt wieder den Gang in die Untiefen des Kerkers. Dass ihre leisen Schritte, die ihren eigenen sanften Rhythmus hatten und ihr Kommen ankündigten, wie Musik für den Gefangenen im Raum gegenüber klangen, wusste sie nicht.
Selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte es sie nicht interessiert, so wie sie nichts Anderes interessierte außer dem, was sich in Zelle Dreizehn verbarg.
Als sie sich den beiden Wachen näherte, fiel ihr auf, dass diese sich nicht von ihr abwandten. Ein seltenes Gut, eines, das sie skeptisch werden ließ.
Eine neue Gemeinheit?
Ein Trick?