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Hauptmann Deralius Jhurd ist am Boden zerstört.
All seine Mühen, um gemeinsam mit Saina, seinem Lichtblick, in die Sicherheit seiner Heimat zu fliehen ... nutzlos!
Vom Dienst befreit und im Sumpf der Verzweiflung feststeckend, vegetiert er vor sich hin, bis er dazu gezwungen wird, ein weiteres Mal ins Feld zu ziehen.
Auf wen er dabei allerdings trifft und was er unterwegs erfährt, lässt ihn jedoch erkennen, dass er nicht der Einzige ist, der Probleme hat!
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Veröffentlichungsjahr: 2018
(Fought Skies - Teil Zwei)
M.K.
Hauptmann Deralius Jhurd ist am Boden zerstört.
All seine Mühen, um gemeinsam mit Saina, seinem Lichtblick, in die Sicherheit seiner Heimat zu fliehen ... nutzlos!
Vom Dienst befreit und im Sumpf der Verzweiflung feststeckend, vegetiert er vor sich hin, bis er dazu gezwungen wird, ein weiteres Mal ins Feld zu ziehen.
Auf wen er dabei allerdings trifft und was er unterwegs erfährt, lässt ihn jedoch erkennen, dass er nicht der Einzige ist, der Probleme hat!
Sie hatte die Grenze nicht übertreten können.
Sie … Sein Lichtblick, sein Ein und Alles, seine Saina …
Von dem Augenblick seit er sie das erste Mal gesehen hatte, bis zu jenem Moment, als sie seinem Sichtfeld endgültig entschwand, hatte er sie geliebt. Hätte er es vorher schon sehen, erkennen, müssen? Vermutlich.
Aber er hatte es nicht erkannt, er hatte sich Hals über Kopf in sie verliebt und Liebe machte bekanntlich blind – wie er schmerzlich am eigenen Leib hatte erfahren müssen.
Er hätte erkennen müssen, dass sie eine Dragogyl war. Dass sie zu ihnen gehörte. Und das am besten, bevor sie ihm vor seinen Leuten das Herz herausgerissen und zerfetzt hatte.
Noch immer quälte ihn die Erinnerung an diesen unheilvollen Moment. Egal ob er wach war oder schlief. Dann jedoch war es am schlimmsten.
Jedes Mal erwachte er schweißgebadet, zumeist auch schreiend, und konnte sich danach stundenlang nicht mehr beruhigen. Immer öfter trieb es ihn sogar in eine der Spelunken, um dort Vergessen in den dreckigen Gläsern zu suchen, so wie auch dieses Mal.
Versunken in seinen eigenen Gedanken starrte er auf das dreckige Glas, in dem eine silbrige Flüssigkeit Vergessen versprach. Wenn er damals schon gedacht hatte, dass der Kerkeraufenthalt die reinste Folter für ihn gewesen war, so hatte er sich grundlegend getäuscht.
Nichts, wirklich gar nichts, war schlimmer als seine eigenen Erinnerungen! Er litt unter Schlafmangel, erlitt Gemütsschwankungen, wurde letztlich sogar zu einer Gefahr für seine Umwelt. Und das alles nur wegen ihr.
Seine Vorgesetzten schoben seine Verfassung auf seine Gefangenschaft und hatten ihn dazu gezwungen etwas kürzer zu treten, bis es ihm bessergehen würde.
„Pah. Wie soll es mir jemals bessergehen?“, hatte er ihnen in Gedanken entgegen geschrien, äußerlich hatte er jedoch nur genickt und war schweren Schrittes und mit hängenden Schultern wieder in sein Quartier geschlurft.
Und noch immer ahnten sie nicht, dass sie ihm damit etwas Schlechtes getan hatten. Die Arbeit und das Training hätten vielleicht vermocht ihn abzulenken, aber durch deren Fehlen war er dazu gezwungen immer und immer wieder diesen Moment zu durchleben.
Mit weit aufgerissenem Maul und sprühendem Geifer war die Bestie auf seinen Lichtblick zugesprungen. Er selbst hatte noch versucht zu ihr zu gelangen, war aber aufgehalten worden. Der Gedanke, dass sie vor seinen Augen zerfleischt werden würde, hatte ihn schon beinahe in den Wahnsinn getrieben, war ihr Ableben bei diesem Anblick doch vorhersehbar!
Er stand Todesängste um sie aus und was tat sie?!
Zwar war sie in all der Zeit, in der sie mit ihm unterwegs gewesen war, weitestgehend emotionslos und desinteressiert geblieben, aber nie hatte sie für ihn den Anschein erweckt, dass sie auf den Tod wartete. Ihn förmlich herbeisehnte. Oder das sie diesem ruhigen Blickes entgegen sehen würde!
Aber genau dies tat sie: sie wandte sich der todbringenden Bestie zu und öffnete ihre Lider. Aus ihrem Augenwinkel heraus hatte er den goldenen Tanz ihrer Iriden beobachten können, als diese sich auf die Bestie fixierten, die den Blick ebenso starr zu erwidern begann.
Das leise „Aus“, welches von ihren blassen Lippen perlte, wollte einfach nicht in diese seltsame Szenerie passen. Und noch weniger, dass diese brachiale Bestie ihr auch noch zu gehorchen schien!
Abrupt, und den massigen Körper Lüge strafend, beendete es nämlich den Sprung und kauerte sich vor der kleinen Frau zusammen, beinahe… unterwürfig.
Zwar hatte er sehen können, dass sich ihre Lippen bewegten, aber lediglich die zerfledderten zuckenden Ohren verrieten, dass Worte diese verlassen hatten.
Danach ging alles viel zu schnell: Mit einem gewaltigen Satz machte die Bestie kehrt und pflügte sich unter wildem Brüllen und ganzem Körpereinsatz durch seine vorherigen Verbündeten. Bevor diese überhaupt verstanden, was da geschah, war es auch schon vorbei.
Zerbissene Kehlen, aufgerissene Bäuche und ausgerissene Gliedmaßen lagen nach diesem unfairen Schlachtfest auf dem staubigen Boden verteilt, in welchem das dunkle Blut zu versickern begann. Mit einem letzten Knurren zu den Überresten wandte sich die Bestie vor den Augen der entsetzten Anwesenden wieder um und trabte, einem Schoßtierchen gleich, zurück zu der noch immer sitzenden Frau.
Warf sich vor dieser sogar in den Staub und ließ sich mit matten Bewegungen den empfindlichen Bauch streicheln!
Sowohl er, als auch seine Landsleute, waren unfähig gewesen sich bei diesem surrealen Anblick zu bewegen. Mit offenen Mündern und entsetzten Blicken hatten sie dem Schauspiel beigewohnt, welches letztlich eine für ihn unerfreuliche Wendung nahm.
Denn anstatt die Bestie fortzuschicken oder zu töten, erhob sich sein Lichtblick langsam und zog sich mit einem leisen Seufzen auf den Rücken dieses Schlächters! Und als Krönung der Absurditäten wandte sie ihm auch noch leicht ihr Gesicht mit dieser undurchdringlichen Miene zu.
„Es tut mir leid“, hatten die blassen Lippen geformt, bevor sie sich wieder an ihr – inzwischen – Reittier gewandt hatte, „Bring mich zurück … Bring mich zu meinem … Vater.“
Bei diesen Worten war etwas in ihm zerbrochen, von dem er niemals geahnt hätte, dass es allein durch Worte hätte zerstört werden können: Sein Herz.
Er war im Griff seiner Landsleute erschlafft und hatte mit schreckensgeweiteten Augen dabei zusehen müssen, wie sich die Bestie mitsamt ihrer kostbaren Reiterin umgewandt hatte und davon gesprengt war. Und ihn verletzt, gebrochen, zurück gelassen hatte.
Wieviel Zeit war seitdem vergangen? Er konnte es nicht genau benennen. Es fühlte sich an wie Jahre, dabei konnte es unmöglich schon so lange her gewesen sein. Monate vielleicht? Wochen? Tage?
Mit einem Schnaufen wischte er sich fahrig über das grau gewordene Gesicht. Es war egal wie lange es schon her war, denn es würde niemals aufhören zu schmerzen. Seine eigene Dummheit rächte sich nun an ihm – zu Recht, wie er fand.
Mit einem abfälligen Schnaufen setzte er das Glas an seine Lippen, öffnete diese und legte seinen Kopf mit einem Ruck in den Nacken. Brennend rauschte die silbrige Flüssigkeit seine Kehle hinunter, breitete sich in seinem Magen aus und entlockte diesem eine unerträgliche Hitze.
Noch vor gar nicht allzu langer Zeit hätte sich spätestens dabei sein Gewissen gemeldet und ihn, über sein Verhalten den Kopf schüttelnd, scharf getadelt. Aber wo war sein Gewissen jetzt?
Als er das letzte Mal nachgesehen hatte, lag es abgestochen in einer schmutzigen Ecke der Streunergassen.
Das Glucksen, welches ihm bei dieser mehr als makabren Metapher entwich, ähnelte in seinem Klang einem der verstopften Rohre, mit denen man versucht hatte den erhöhten Wasseranforderungen gerecht zu werden.
Allerdings machte dieses Geräusch auch den Wirt auf ihn aufmerksam, der optisch gar nicht in diese heruntergekommene Spelunke passen wollte. Schielenden Auges betrachtete Deralius, wie sich der Perlmuttfarben schimmernde Kerl auf ihn zu bewegte und ihn abschätzig musterte.
Wäre er klarer bei Verstand gewesen, hätte er sein Gegenüber als Ogyl identifizieren können. Da er dies aber nicht war, schnalzte er nur missbilligend ob der Störung mit der Zunge.
„Ihr habt genug, Hauptmann“, verkündete sein Gegenüber mit einem bestimmenden Tonfall und packte ihn kurzerhand am Arm, um ihn ins Freie zu zerren.
Früher wäre dieses Unterfangen zum Scheitern verurteilt gewesen, aber da man ihm das Training genommen und er seine Nahrungsaufnahme auf flüssige Nahrung umgestellt hatte, wurde er von seinem Sitz gezerrt. Von diesem halben Hering!
„Lass‘ die Finger weg!“, rotzte Deralius daher den Wirt an, als ihm der geistige Fehler in seiner ‚Ich kann sitzen bleiben, der kriegt mich eh nicht hoch‘ – Überlegung auffiel. „Bin gerade kein Hauptmann!“
Die mitleidigen Blicke, welche ihm die anderen Gäste zuwarfen, blieben ihm keineswegs verborgen. So gut wie jeder wusste, was passiert war. Eine Unannehmlichkeit, die sich mit wachsender Bevölkerungszahl auf stetig gleich klein bleibendem Grund von selbst einstellte.
Zudem war seine ‚Heimkehr‘ mit großem Tamtam begrüßt worden. Jubelnd hatten die Leute die Straßen gesäumt, als er erschöpft, dreckig, mit gebrochenem Herzen und umringt von einer kleinen Eskorte in die Stadt eingekehrt war.
Doch dieser Moment hatte ihm nichts bedeutet. Nicht ohne seinen Lichtblick, nicht ohne seine Saina.
Aber war sie dies überhaupt?
War sie jemals die Seine gewesen?
Oder hatte er sich in seiner Verliebtheit in einer fixen Idee verrannt, die niemals die Chance gehabt hatte Wirklichkeit zu werden?
Wie ging es ihr überhaupt?
Hatte sie es unbeschadet zurück in die Festung geschafft?
Oder war ihr vielleicht doch etwas zugestoßen?
Lag sie vielleicht just in diesem Moment mehr tot als lebendig in irgendeiner verseuchten Ecke und dachte an ihn?
Er konnte einfach nicht verhindern, dass seine Gedanken in diesem Moment zu ihr abschweiften und seine ohnehin angekratzte Psyche noch mehr folterten.
Das Beben, welches seinen Körper zu durchfahren begann, blieb dem Wirt keineswegs verborgen. In Erwartung versuchter Schläge verstärkte dieser seinen Griff wohlweislich. Nur, um diesen kurz darauf wieder zu lockern, als aus dem Beben ein schwaches Schütteln wurde.
„Geht nach Hause, Hauptmann“, empfahl er dem stumm weinenden Betrunkenen und drängte ihn mit sanfter Gewalt hinaus auf die Straße, „Es ist niemandem geholfen, wenn Ihr das fortsetzt, dem Ihr entronnen seid.“
Der Schwung kühler Luft, die ihm nach der stickigen Wärme der Spelunke ins Gesicht wehte, klärte seinen Geist zumindest ein wenig.
Er schien gar nicht bemerkt zu haben, wie er endgültig auf die Straße verbannt worden war. Ebenso wenig wie er nicht bemerkte, dass ihm wieder diese mitleidigen Blicke zugeworfen wurden. Dieses Mal jedoch nicht von anderen Säufern, sondern von den Stadtbewohnern, die bereits die Straßen bevölkerten.
Wie spät war es überhaupt? Prüfend legte er den Kopf in den Nacken und blinzelte träge gegen die unangenehm helle Sonne an.
Ging sie gerade auf oder doch eher unter? Um diese Frage beantworten zu können, hätte er überhaupt erst einmal wissen müssen, in welche Himmelsrichtung er glotzte.
Aber egal ob es nun ein Auf- oder ein Untergang war, das helle Licht störte ihn.
Um das unangenehme Brennen zu entfernen, wischte er sich fahrig ein weiteres Mal über das Gesicht und torkelte mit unbestimmtem Ziel los. Ließ sich treiben zwischen den Wesen, die ihm unaufgefordert Platz machten.
„Oh, der tolle Held ist kaputt …“, spottete er in Gedanken und stieß sauer auf.
„Eine Schande für seine Einheit. Oh, nein, viel besser: für das gesamte Militär!“
Mit jedem weiteren Wort wurden seine Gedanken sarkastischer und entlockten ihm zuletzt ein Kichern, welches sich zu haltlosem Gelächter steigerte. Lachend und betrunken torkelte er die Straßen entlang zu seinem Quartier. Doch kaum hatte er dessen Tür hinter sich zugeknallt, wandelte sich sein Lachen zu einem Schluchzen.
Sein von Alkohol und Tränen verschleierter Blick glitt über die spärliche Einrichtung, die er sein Eigen nannte: Ein mittelmäßiges Bett, ein kleiner Nachttisch, ein wackliger Stuhl, ein zerkratzter Schreibtisch und ein kleiner Kleiderschrank, in dem er seine wichtigsten Kleidungsstücke untergebracht hatte.
Ein jämmerlicher Anblick. Eine jämmerliche Unterkunft einer noch jämmerlicheren Person.
„Und hierhin wollte ich sie mitnehmen? In dieses Loch? Fühlt sich so der Wahnsinn an?“, quälte ihn die kleine sarkastische Stimme, die ihm anstelle seines Gewissens beständig Vorwürfe machte.
Vielleicht war es doch ganz gut gewesen, wie es gekommen war.
Was hätte ausgerechnet er ihr schon bieten können?
Ob er nochmal nach draußen gehen sollte?
Vielleicht in eine andere Spelunke?
Nur auf ein oder zwei kleine Gläser… Außer ihm würde das doch ohnehin niemandem schaden. Und er würde seinen Teil zum Fortbestand der Wirtschaft beitragen.
Ein weiteres Mal an diesem Tag schwang die Tür auf und entließ die labilen Überreste ihres Bewohners in die Fänge des ihn erwartenden Alkohols und des erhofften Vergessens.
Im Gegensatz zu Deralius war Saina noch lange nicht nach Hause zurückgekehrt.
Aber weder lag sie schwer verletzt in einer dunklen Ecke, noch war sie bereits tot.
Vielmehr erfreute sie sich bester Gesundheit. Sogar besserer als zuvor.
Zwar war sie noch immer blass und zart gebaut, aber ihre sonst ewig präsente Müdigkeit war ein wenig abgeklungen. Auch sprach sie noch immer leise, beinahe flüsternd, aber wesentlich mehr als es vorher der Fall gewesen war, wenn auch weiterhin bar jedweder Emotion.
Ihr zeitweiliges ‚Reittier‘ befand sich noch immer in ihrem Besitz und ertrug das Fliegengewicht auf seinem Rücken mit einer ans Endlose grenzenden Unermüdlichkeit.
Jedoch … reiste sie nicht alleine.
War es Zufall gewesen?
Schicksal?
Oder doch eher nur Glück?
Hätte sie an solche Dinge geglaubt, hätte sie bestimmt eines dieser Worte genutzt, um zu beschreiben, wie genau sie zu ihren Begleitern gestoßen war.
Es hatte sie eine beachtliche Anstrengung gekostet, sich auf den Rücken der Bestie zu ziehen. Eine Anstrengung, die lediglich durch das Umwenden zu Deralius noch überboten wurde.
„Es tut mir leid.“
Vier kleine Worte, ausgesprochen in Wahrheit und mit Schuldgefühlen. Es tat ihr wirklich leid und fraß an ihrem Herzen, als sie seinen Gesichtsausdruck erahnen konnte. Keiner der Aerogylen schien allerdings zu bemerken, dass die schwarzen Tränen beständig weiter ihre Wangen hinab rannen und die Bahnen auf der hellen Haut konstant dunkel hielten.
„Bring mich zurück … Bring mich zu meinem … Vater“, hatte sie die Bestie aufgefordert, nachdem sie ihren Abschied hervorgebracht hatte. Und diese hatte aufs Wort gehorcht, war herumgewirbelt und mit ihr von der Grenze fortgeprescht.
Es bedurfte nicht allzu viel Anstrengung, um auf dem schaukelnden Rücken Halt zu finden und trotz der mehr als gewagten Sprünge über Hindernisse hinweg nicht zu Boden zu stürzen. Aber selbst wenn sie besagten Halt verloren hätte, hätte es ihr nichts ausgemacht.
Früher oder später wäre sie ohnehin wieder zurück in die Feste gelangt. Denn das sie gesucht – und dies anscheinend dringlich – wurde stand außer Frage.
Warum sonst hätte er die Bestienmeister entsenden sollen, wenn nicht, um sie endlich wieder in seinen Besitz zu bringen?
Verloren in ihren eigenen, wenn auch wenigen, Gedanken bemerkte sie nicht, dass die sie tragende Bestie flankiert und vom Weg abgedrängt wurde.
Erst das unwillige Grollen des Tieres lenkte ihre Aufmerksamkeit auf ihr Umfeld. Hinter ihr eine steil abfallende Klippe, an deren brüchigem Rand die Bestie unruhig darauf achtete nicht abzurutschen, um ihre kostbare Fracht nicht mit sich in den Tod zu reißen.
Zu beiden Seiten schnitten bullige Schilde und Speere jeden möglichen Fluchtweg ab. Und vor ihnen … vor ihnen ritten genügend Männer auf schwarzgrünen Pferden, um ihnen auch diesen letzten Weg abzuschneiden.
Während ihre Bestie unruhig versuchte einen Weg aus der Umzingelung zu finden, wandte Saina lediglich ihren Kopf ein wenig von einer Seite zur anderen.
Fahrig ließ sie ihren Blick über die Versammelten schweifen, heftete diesen aber letztlich auf die Beine des Mannes, der als Einziger aus der Reiterei sein Pferd einige Schritte nach vorne tänzeln ließ.
Sie kannte diese Stiefel, sehr gut sogar. Oft genug hatte sie diese angesehen, wenn sie wieder vom Schwarzgewandeten für das Ritual in den Thronsaal gerufen worden war.
Und das letzte Mal, dass es soweit gewesen war, lag gar nicht mal so lange zurück.
Das sacht an ihren Gedanken kratzende Bedauern über den Tod des armen Weißhaarigen schob sie mit ausdruckslos bleibender Miene wieder zurück in die kleine Gefühlskiste, die in letzter Zeit viel zu oft aufschnappte und sie mit allem traktierte, was sie einst weggesperrt hatte.
Versunken in das Aufräumen ihrer Gedanken hätte sie beinahe die Worte verpasst, die ihr eine bekannte Stimme vortrug.
„Den Schuppen sei’s gedankt, wir haben dich gefunden. Rutsch ganz langsam von seinem Rücken. Es kann dir nichts mehr tun, wir halten es in Schach.“
Langsam hatte sie ihren Kopf auf die andere Seite geneigt, träge geblinzelt und die Stirn in sachte Falten gezogen, ehe sie ein gehauchtes „Raelon?“ von sich gegeben hatte.
Aber wie konnte das sein? Wie konnte er überlebt haben, geschweige denn den Bestien entkommen sein? Und warum trug er ausgerechnet diese Stiefel?
Sie musste sich einfach irren. Nur passte dazu nicht, dass er ein erfreutes „Ja, ich bin es!“ zu ihr rief und sein Reittier noch ein wenig dichter zu ihrem trieb.
„Komm, meine Freunde und ich bringen dich in Sicherheit. Du musst nur von diesem …“
Später würde sie nicht mehr genau benennen können, warum sie es getan hatte, aber sie hob den Kopf an, bis man ihr Gesicht deutlich erkennen konnte und ließ ihrer Kehle ein bestimmtes „Nein“ entgleiten.
Die Männer, die ihre Reise unterbrochen hatten, wirkten irritiert. Sie schienen nicht zu verstehen, warum Saina sich weigerte, sich von der Bestie zu entfernen, die inzwischen mahnend knurrte und nach Raelons Reittier schnappte.
„Sie bleibt … bei mir…“ Ob es an der Art lag, wie sie es ausgesprochen hatte? Dabei hatte sie nicht einmal allzu laut gesprochen, geschweige denn fest. Aber die Männer beugten sich, wenn auch mit kaum verhohlenem Widerwillen, ihrer Entscheidung. Eine ungewohnte Situation für sie.
Raelon stieß ein resignierendes Seufzen aus, gewährte ihr aber ihren Willen und neigte sein Haupt.
„Wie du befiehlst“, zwang er sich zu sagen, wendete sein Reittier und gab den Anderen ein Zeichen zum Aufbruch, „Folge uns. Bitte.“
Aus Gewohnheit tat sie auch eben jenes: sie berührte die sie tragende Bestie sacht an der Schulter und brachte diese somit dazu den unruhig gewordenen Reittieren zu folgen.
Seitdem reiste sie mit Raelon und seinen Freunden quer durch die verwüsteten Ländereien. So auch in diesem gedankenverlorenen Moment.
Die Stiefelfrage spukte noch immer durch ihre Gedanken, wenn auch nicht immer allzu präsent.
Natürlich könnte sie ihn einfach fragen, um eine Antwort zu erhalten. Aber wollte sie das überhaupt?
Sie bemerkte nur am Rande, dass die Bestie langsamer wurde und schließlich zum Stillstand kam. Offenbar hatte Raelon beschlossen hier ein Lager aufschlagen zu wollen. Was so viel bedeutete, wie: Die Männer würden Zelte aufbauen, ein Feuer machen, kochen und Wache schieben, während sie – wie sonst auch – dekorativ herumzusitzen hatte.
Gut, für jeden Handgriff brauchte sie mindestens vier Mal so lange, wie die eingespielte Gruppe, aber … Nein, kein aber. Sie brauchte einfach wesentlich länger und hätte vermutlich sogar auf das ganze Drumherum verzichtet.
Tonlos seufzend blieb sie daher auf dem Rücken der Bestie sitzen, um niemandem im Weg zu stehen, und lauschte dem geschäftigen Treiben, welches um sie herum ausbrach. Nur ein einziges Mal war sie zeitgleich abgestiegen und war dann gleich von einem der Männer an der Lagerseite abgesetzt worden, mit der Bitte, exakt dort zu bleiben und sich auszuruhen.
Seitdem zog sie es vor sitzen zu bleiben. Zumindest, bis man sie herunterholte.
Auch wenn sie nicht verstand, warum es ihnen so wichtig war, nahm sie die Kabbeleien, um diese vermeintliche ‚Ehre‘ ihr helfen zu dürfen, hin.
Wenigstens schienen sie sich dieses Mal bereits geeinigt zu haben, denn Raelon trat mit festen Schritten an die Seite ihres ‚Reittiers‘ und streckte ihr auffordernd, und mit einem Lächeln auf den Lippen, seine Hände entgegen.
Innerlich schüttelte sie sich etwas – Berührungen waren ihr trotz der stetig häufiger werdenden Anwendung immer noch zuwider – und wandte ihm ihr Gesicht zu. Musste das denn wirklich jedes Mal sein? Sie kam doch auch alleine auf den Boden … Und wenn nicht, dann blieb sie halt einfach sitzen.
„Stimmt etwas nicht, Saina?“, fragte er sie, als sie sich zu lange Zeit ließ, um abzusteigen.
Was sollte sie darauf nur antworten?
„Wie wäre es mit einem einfachen Ja?“, säuselte sie sich selbst in Gedanken spöttisch zu. Die Hoffnung, dass ihre Gedankenstimme endlich einmal Frieden geben würde, verwehte wie ein staubtrockenes Blatt im Wind.
Es wäre leicht zu lügen, wäre es nicht ausgerechnet Raelon, der da vor ihr stand und allmählich besorgt wirkte. Sie konnte ihm einfach nicht frech ins Gesicht lügen. Vor allem nicht, wenn er anfing seine Finger unruhig zu bewegen.
„Warum tut ihr das …?“, seufzte sie daher irgendwann leise aus, bevor sie sich umständlich daran machte ihre Beine auf die ihm zugewandte Seite zu bekommen.
„Damit wir die Nacht überstehen“, war die hörbar perplexe Antwort, als wäre dies offensichtlich. Wozu sollte ein Nachtlager sonst dienen?
Hinter den größtenteils geschlossenen Lidern verdrehte sie ihre Augen. Ganz hatte sie sich noch nicht an die Feinheiten der Rhetorik gewöhnt. Es fehlten Betonungen und Emotionen, die ihrem Gegenüber verständlich machten, wie etwas gemeint war.
Aber sie würde sich nun nicht auf eine längere Unterhaltung einlassen, die sie am Ende doch nur wieder verlieren würde. Er konnte immerhin mindestens genauso stur sein, wie Deralius!
Für einen kurzen Atemzug zwickte sie das schlechte Gewissen im Nacken, bevor sie sich einfach vom Rücken der Bestie – und somit direkt in Raelons ausgestreckte Arme – gleiten ließ.
Warm schlossen sich dessen Arme um sie, um sie abzufangen, bevor sie auf dem Boden aufkommen konnte, und brachten sie dazu, sich wie jedes Mal kurzzeitig anzuspannen.
Und wie jedes Mal, entlockte sie ihm damit ein wehmütiges Seufzen, mit welchem er sie sanft die letzten Zentimeter absenkte, bis sie auf eigenen Füßen stehen konnte.
Normalerweise lockerten er und seine – ihre – Freunde danach sofort ihren Griff um Saina, um sie aus dem für sie unangenehmen Umstand freizugeben. Doch dieses Mal nicht.
Dieses Mal hielt er sie einfach weiterhin umschlungen, zog sie in eine feste Umarmung und stieß ein weiteres Seufzen aus.
„Es tut mir leid“, folgte nach einer quälenden und gefühlten Ewigkeit die leise Stimme Raelons.
Warum er sich entschuldigte wusste sie nicht. Was konnte er auch für ihr gesamtes Dasein? Nichts, weswegen auch seine Worte lediglich verschwendeter Atem waren.
Ob er versuchen wollte, sie zu Gegenwehr zu bringen? Wollte er ihr etwa helfen, ihre Starre zu überwinden? Wenn ja, dann schlug dieser Versuch fehl. Angespannt harrte sie einfach aus, die Arme schlaff an ihren Seiten hängen lassend, die Lider endgültig geschlossen und den Kopf gesenkt.
Sie wusste nicht, wie lange genau er sie so festhielt, aber irgendwann ließ er dann doch endlich von ihr ab und trat einen Schritt zurück.
Erwartete er jetzt, dass sie etwas dazu sagen würde? Und wenn ja, was genau wollte er nun hören?
Und somit setzte sie sich einfach stumm in Bewegung, zwang ihren Körper dazu seinem mit einem leichten Bogen auszuweichen und den üblichen Gang, zu dem ihr am Feuer bestimmten Platz, anzutreten.
Tonlos seufzend ließ sie sich auf diesen sinken, nahm mit einem sachten Neigen des Kopfes die ihr angebotene Ration entgegen und schloss sich dem Essen an, auf welches die Männer so viel Wert legten. Sie bestanden darauf beisammen zu sitzen, gemeinsam zu essen und sich zu unterhalten.
Das Sitzen und das Essen schaffte sie inzwischen, doch das Unterhalten fiel ihr noch etwas schwer.
Zwar gab sie gelegentlich Antworten, aber nur, wenn sie das Thema interessierte – was es selten tat.
Worüber hätte sie sich auch unterhalten sollen? Viel hatte sie ja nicht erleben dürfen und sie bezweifelte, dass einer der Männer etwas über ihre Sicht der Flucht aus den Kerkern des Schwarzgewandeten wissen wollte. Und wenn doch, dann hatte Raelon es sicherlich schon erzählt.
Und so glitt auch an diesem Abend ihr Blick einfach zu dem prasselnden Feuer, verfolgte das Tanzen und Züngeln der Flammen, während ihre Gedanken zu Deralius abglitten.
Und wie jedes Mal fragte sie sich wieder, was er wohl gerade tat.
Unnatürlich laut drang das Rascheln von Federn an seine Ohren und ließen seinen Schädel protestieren. Es war viel zu früh am Morgen, wer bei allen Wolken, erdreistete sich also, ihn jetzt schon zu wecken?
Mit einem unwilligen Murren hob er seinen Kopf von dem nicht allzu weichen Kissen, welches er sich irgendwann im Rausch geangelt haben musste, und blickte schlaftrunken um sich.
Er war in seinem Quartier und lag bäuchlings in seinem eigenen Bett. Das war immerhin schon mal eine Verbesserung zu seinen üblichen Schlafplätzen, an denen er sonst einfach umfiel und sich irgendwann wieder erhob, um seinen Spießrutenlauf, der sich sein Leben schimpfte, fortzusetzen.
Und wieder raschelte es, dieses Mal jedoch eindeutig lauter.
Herzhaft gähnend und ein wenig schwankend richtete er sich auf und blickte um sich. Sonnenstrahlen kämpften sich mühsam durch seine inzwischen kaum mehr durchsichtigen Fenster und erreichten fast die Tischplatte seines Schreibtischs. Es musste also schon Mittag sein, ungefähr.
Staub tanzte neckend in den Strahlen, ein weiterer Hinweis darauf, dass er doch endlich einmal saubermachen sollte. Oder jemanden dafür bestellen sollte.
Aber weder hatte er das eine noch das andere vor.
Für wen sollte er auch saubermachen?
Für sich selbst? Das interessierte ihn nicht mehr.
Für Saina? Als ob diese sich hier jemals blicken lassen würde!
Eine andere Frau?
Sein Kopf dankte ihm für die schlagartig einkehrende Stille in seinen Gedanken.
Nein, niemals würde es eine andere Frau geben können. Und genau diese Erkenntnis trieb ihn ruckartig aus seinem Bett. Seine Flucht vor sich selbst endete jedoch torkelnd an einer Wand, hatte er doch die noch anhaltende Wirkung seiner Trunkenheit nicht miteinberechnet.
Und mit etwas anderem hatte er auch nicht mehr gerechnet: Seine Flügel, die er unangenehm zwischen der Wand und seinem Körper eingeklemmt hatte.
Nach seiner Rückkehr hatte man ihn direkt zu einer Heilerin gebracht, die ihn untersucht und versorgt hatte. Er hatte es kaum bemerkt, zu sehr war er noch von dem erlebten Verrat und Verlust benebelt gewesen, aber sie musste ihm auch die Schattendrähte von den Stummeln entfernt haben.
Anders konnte er es sich einfach nicht erklären, dass er nun wieder seine Schwingen besaß, die jedoch noch immer deutliche Anzeichen seines Martyriums aufwiesen.
Schmutziges Grau und zerfranste Federkiele präsentierten sich seinem verschleierten Blick, als er grob einen Flügel griff und diesen etwas nach vorne zerrte.
Unmöglich mit diesen zerrupften Dingern zu fliegen! Alle Federn lagen wild durcheinander, einige waren bereits abgebrochen und überhaupt erinnerte er gerade mehr an einen alten Wischmopp, als an einen flugfähigen Aerogyl.
Frustriert ließ er sich einfach auf den Boden sinken und stützte seinen schweren Kopf in seine Hände. Ein weiterer nicht zu übersehender Punkt auf der Liste seiner Unfähigkeiten!
Wie lange genau er so auf dem Boden saß und sich selbst hasste und bemitleidete, konnte er nicht sagen. Aber es musste eine geraume Zeit gewesen sein, den Schmerzen seines Körpers nach zu urteilen.
Und er wäre weitere Stunden so sitzen geblieben, hätte es nicht irgendwann forsch an seiner Tür geklopft. So forsch, dass diese irgendwann einfach aufschwang und den Blick auf einen grimmig blickenden Soldaten freigab, dessen Miene bei dem sich ihm bietenden Anblick kurz entgleiste.
„Hauptmann, Ihr müsst sofort in die Kommandantur kommen!“, verkündete dieser, nachdem er sich von dem Schock, den Deralius‘ Anblick ihm bot, erholt hatte.
„Wozu? Ich bin außer Dienst. Hat das der Kommandant vergessen zu erwähnen?“, blaffte er mit wenig Elan zurück, erhob sich aber dennoch. Nicht, dass er dies aus respektvollen Gründen tat. Nein, ihm tat einfach nur allmählich der Hintern weh.
Träge bewegte er sich zu seinem Stuhl, schmiss sich auf diesen und rieb sich fahrig über das unrasierte Gesicht.
Ob Saina die Stoppeln gemocht hätte?
Und wieder waren seine Gedanken zu ihr abgeglitten und ließen ihn frustriert seufzen. Konnte er denn nicht einfach aufhören an sie zu denken?
Beinahe hätte er die aufdringliche Stimme des Soldaten, der noch immer seinen Türrahmen ausfüllte, ignoriert. Aber eben nur beinahe.
„Nicht mehr. Ihr seid mit sofortiger Wirkung wieder im Amt“, schnappte er gerade noch auf, was ihn verwirrt aufsehen ließ. Man hatte ihm sein Amt zurückgegeben? So etwas Verrücktes konnte sich ja nur sein eigener Geist ausdenken, geboren aus der Not heraus, ihn wieder auf die rechte Bahn schieben zu wollen!
Aber gut, dann würde er der Ausgeburt seiner Fantasie eben den Gefallen tun. Zumindest solange, bis diese ihren Fuß von seiner Türschwelle wegbewegt hatte und er die Tür wieder schließen konnte.