Change it! - Andri Hinnen - E-Book

Change it! E-Book

Andri Hinnen

0,0

Beschreibung

Eine Anleitung zur narrativen Revolution Die Welt ist ausser Rand und Band. Globalisierung, Digitalisierung, Populismus und Pandemie haben unsere Gesellschaft polarisiert und zerklüftet. Wir leben alle in unseren eigenen Blasen, jeder will seine Geschichte durchsetzen. Haben wir verlernt, was uns wirklich weiterbringt? Das gemeinsame Erzählen der Welt. «Change it» ist mehr als ein Denkanstoss. Es ist eine Aufforderung an uns alle, Fakten, Fiktionen und alles, was dazwischen schimmert, disziplinierter, verspielter und anschlussfähiger zu verweben. Nach «Reframe it!» kommt mit «Change it!» der zweite Band der Sensemaker-Trilogie. Es fragt: wie müssen wir unsere Geschichten und die Art wie wir sie erzählen, hinterfragen und neu denken, damit sie in unserer verwirrten Welt endlich wieder Gestaltungsräume öffnen. Denn egal ob Klimawandel, Unternehmensstrategie oder Fitnessprogramm: Veränderung gelingt nur dann, wenn Gegenwart kollektiv verstanden und Zukunft wirksam imaginiert wird. Ein inspirierendes Buch für Manager und Policy-Maker, Lebenskünstler und Weltverbesserer, Großaktionäre und Kleinunternehmer, Lehrende und Lernende, Erzähler und Erzählte.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 206

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



CHANGE IT!

21 kreative Anstiftungen, die ganze Welt, jede Organisation und sogar sich selbst zu verändern

Geschrieben von Andri und Gieri Hinnen, mit Illustrationen von Sven Aeschlimann, Vivi Ammann, Marion Deichmann, Madleina Dörig, Yves Erne, Christof Gähwiler, Stephan Geiger, Patrick Graf, Sarah Kartika Haller, Pablo Hintermüller, Vanessa Kesselring, Mario Miles, Hannes Oehen, Carlos Saborío Romero, Mira Schadt, Alexandra Siebert und Alex Wucherer

A worthy fiction leads one to a worthy life. James Hollis

The darksaber doesn’t have power. The Story does. Aus »The Mandalorian«

Wir brauchen dringend neue Lügen Die uns durchs Universum leiten Und uns das Fest der Welt bereiten Tocotronic

Inhalt

Einführung

21 kreative Anstiftungen

C wie Construction

C wie Causality

C wie Character

C wie Chase, Call und Cause

C wie Conflict

C wie Challenge

C wie Commitment

C wie Crisis

C wie Contrast

C wie Conceptualization

C wie Correspondence

C wie Chapter

C wie Continuation

C wie Co-Creation

C wie Concrete

C wie Candor

C wie Cut

C wie UnConscious

C wie Ceremony

C wie Camino

C wie Comparison

Schlusswort

Zur Vertiefung

Danksagung

Über die Autoren

EINFÜHRUNG

C wie Change

Anfangs war da vor allem die eine Welt. Das Reich des Physischen, Körperlichen und Konkreten, des Fass- und Formbaren, des Hier und des Jetzt, bewohnt von Pflanzen und Tieren, voller unmittelbarer Gefahren. Doch wann immer unsere Vorfahrinnen 1 ihre Augen schlossen, erhaschten sie einen Blick in eine andere Welt, das Reich des Geistes, des Flüchtigen und Abstrakten, des Denk- und Vorstellbaren. Zu Beginn unserer Geschichte zeigte sich diese Welt nur selten. Und wenn, dann sandte sie verschlüsselte Botschaften in Form von Träumen und Gedanken, von Erinnerungen und »Was-wäre-wenns«.

Dann entdeckten unsere Vorfahrinnen das Feuer. Schatten flackerten über die Höhlenwände. Rauch stieg zum Himmel. Man saß zusammen und erzählte Geschichten. Es begann mit Klatsch und Tratsch. »Keule, hast du gehört, was Beule mit dem Mammut angestellt hat? Und jetzt ist es schwanger!« Fakten wurden mit Fiktion angereichert, das Jetzt mit Vergangenheit und Zukunft, die Realität mit Abbildern. Die zweite Welt wurde größer, begehbarer – und kollektiver. Inhalte, die eben noch in Beules Schädel gefangen waren, gelangten jetzt auch in Keules Kopf. Es entstanden Höhlenzeichnungen, Statuen, Landkarten und Mythen.

Die Menschen lernten, zwischen den beiden Welten hin- und herzureisen, die zweite zugunsten der ersten zu nutzen. Wenn Keule ein Haus bauen wollte, malte er jetzt zuerst einen Plan des Terrains. Er stellte sich vor, wie das Haus beschaffen war. Und erst dann, nach dem »Umweg« über die zweite Welt, setzte er seinen Plan in der physischen Realität in die Tat um.

Über die Jahrtausende hinweg wurde die zweite Welt von der exotischen Feriendestination zum Zweitwohnsitz. Egal ob Göttermythologien, Gesellschaftsordnungen oder theoretische Abhandlungen: Sie half dem Menschen, besser in der ersten Welt zurechtzukommen, Sinn in der vermeintlichen Sinnlosigkeit und Ordnung im Chaos zu finden. Die physische Wirklichkeit, deren Entwicklungsprinzip der Zufall zu sein schien, wurde dank regelmäßiger Trips in die zweite Welt erklär-, gestalt- und ertragbar.

Der berühmte Kinderbuchautor Oliver Jeffers schreibt: »Wir schauten nach oben, zeichneten Linien zwischen den Lichtern am Nachthimmel und versuchten dadurch, Sinn im Chaos zu finden. Wir schauten nach unten und zeichneten Linien übers Land, um zu wissen, wo wir zu Hause sind und wo nicht. Aber meist vergessen wir, dass diese Linien, welche die Sterne verbinden und das Land teilen, nur in unseren Köpfen existieren. Auch sie sind Geschichten.« In seinem Eifer realisierte der Mensch gar nicht, dass er sein Zuhause immer mehr von der einen in die andere Welt verlegte. Dass er vieles, was er für »real« oder »wahr« hielt, der geistigen Schöpfungskraft seiner Artgenossinnen und Vorfahrinnen zu verdanken hatte. Gesetze waren nicht wirklich in Stein gemeißelt, Geldscheine nicht bare Münze. Sie waren erfundene Ordnungen,2 kollektive Konstrukte aus der zweiten Welt. Diese wurde jetzt immer dominanter und autoritärer. Bald war sie es, die den Ton angab. Aus Mythologien wurden Religionen, aus Ideen Ideologien.

Doch aus kollektiv wurde kaum je allgemeingültig. Dank Sprache, Geschichten und anderen Medien wurde ein Teil der zweiten Welt gemeinsam begehbar, aber jede soziale Gruppe schuf ihre eigenen Inseln. Zwischen manchen von ihnen entstanden Brücken und Fährdienste. Viele andere scheinen bis heute Lichtjahre voneinander entfernt. Die zweite Welt wurde zum riesigen, stetig wachsenden Archipel.

Und natürlich bestand das Zuhause des Menschen erst dann aus zwei Welten, als der Mensch beschloss, dass es aus zwei Welten bestand. Er – Platon, Descartes, Nietzsche, wir alle – kreierte den Unterschied zwischen dem Konkreten und dem Abstrakten, zwischen Leib und Seele. Und erst dann – als der Mensch aus eins zwei machte – ging die Handelsbilanz der beiden Welten so richtig durch die Decke. Wissenschaftlerinnen begannen jetzt, bewusst und zielgerichtet hin- und herzureisen. Sie exportierten Beobachtungen, Messungen, Daten von der ersten in die zweite Welt. Dort, in ihren Köpfen, aber auch auf Schriftrollen und Wandtafeln, verarbeiteten sie diese Rohstoffe zu Hypothesen, Modellen und verrückten Ideen aller Art. Und diese wiederum transportierten sie zurück in die erste Welt, um sie zu testen, mit Experimenten weiterzuentwickeln und in konkrete Anwendungen zu überführen. Der große Trick der Wissensgesellschaft war und ist es, die zwei Welten immer mehr miteinander zu verzahnen.

Im Zuge der industriellen Revolution begannen sich auch die Nichtwissenschaftlerinnen in der zweiten Welt zu organisieren. Man führte die Schulpflicht ein, erfand Berufe, die nicht mehr physisch, sondern kognitiv anspruchsvoll waren, packte seine Gedanken immer raffinierter in Worte, Bilder und Medien, erfand Schrift, Radio, Fernsehen, Computer und Internet. Die erste Welt, die alte »Realität«, wurde kleiner, unwichtiger. Der Erstwohnsitz verstaubte. Pflanzen wurden nicht mehr gegossen, die Katze musste wieder lernen, wie man Mäuse fängt.

Heute verbringt ein beträchtlicher Teil der Menschheit einen beträchtlichen Teil seines Lebens in der zweiten Welt. Unser Lebensraum ist zweidimensional und rechteckig geworden, dominiert vom Virtuellen, Hypothetischen, Konzeptionellen, Abstrakten und Fiktiven.

Es ist daher kaum erstaunlich, dass der durchschnittliche IQ, eine Messgröße für die Qualität abstrakten Denkvermögens, in den letzten Jahrzehnten angestiegen ist.3 Und auch der Wortschatz der Menschen, ein weiterer Indikator für die Fähigkeit, Komplexes zu erfassen, nimmt zu. Nie war unsere Spezies versierter, Kategorien zu bilden, sich Szenarien vorzustellen oder Argumente zu bauen. Es gelingt uns nicht immer – und nicht allen gleich gut –, Schritt zu halten mit dieser immer vielschichtigeren und komplexeren Umwelt. Doch wir sind ihr dicht auf den Fersen. Gemessen an traditionellen Kennzahlen ist der Fall klar: Wir werden klüger.4

Aber heißt das, dass es uns dank unserer gesteigerten Fähigkeit, die Welt zu abstrahieren, zu konzeptionalisieren, also von der ersten in die zweite Welt zu reisen, auch leichter fällt, von der zweiten in die erste zu reisen, die physische Realität tatsächlich zu verbessern, sie zu verändern?

Ja und nein. Wir sind heute in der Lage, kilometerhohe Gebäude zu bauen, Stauseen größer als der Titicacasee, Flugzeuge schneller als der Wind. Dank Computern können wir alles Mögliche voraussagen und berechnen. Doch wie sieht es aus mit Klimawandel, Bürgerkriegen, Ungleichheit, Populismus, Menschenrechtsverletzungen, Migrationsströmen, Umweltverschmutzung, Pandemien und dem Vorhaben, nächstes Jahr regelmäßig Sport zu treiben? Bei gesellschaftlichen, organisationalen oder psychologischen Problemen tut sich die Menschheit nach wie vor schwer. Denn mit der Migration vom körperlichen in den geistigen Lebensraum kommen auch ein paar Probleme:

Erstens verlieren wir den Bezug zur ersten Welt: zur physischen, körperlichen Realität. Der deutsche Philosoph und Ökonom Karl Marx sprach einst von »Entfremdung«. Durch Arbeitsteilung verlieren wir die Verbindung zu den Früchten unserer Arbeit. Und siehe da, bekanntlich wissen heute längst nicht mehr alle Kinder, bei wem sie sich für die Milch bedanken dürfen. Von Kopfschmerzen geplagte Burn-out-Patientinnen klagen über Gedankenkreisen und Unvermögen, den Geist auszuschalten. Sehr viele Menschen inszenieren ihr Leben als aufregende Geschichte auf Social Media oder verfolgen solche Inszenierungen anderer. Doch der damit einhergehende Realitätsverlust treibt nicht wenige in Depressionen.

Und die geneigte Managerin verbringt Monate damit, Strategien, Pläne, Strukturen, Prinzipien, Prioritäten, Leitplanken, Werte, Führungsgrundsätze und andere Blaupausen zu definieren, doch versagt sie nicht selten, wenn es darum geht, diese in der Realität zu verankern, sie auf den berühmten Boden zu bringen.

Zweitens entgleitet uns auch der gemeinsame geistige Boden. Besagter Archipel der zweiten Welt wird fragmentierter. Wo früher Brücken gebaut wurden, entstehen heute tiefere Gräben. Durch die selbstverstärkenden Mechanismen digitaler sozialer Netzwerke (die teils von Gruppierungen oder Staaten kontrolliert werden) entstehen geschlossene Filterblasen oder Echoboxen. Diese funktionieren nach dem Prinzip »Mehr desselben«. In einem Forum von Verschwörungstheoretikerinnen erhalten nur die Meinungen »Likes«, welche die Theorie bestätigen und weiter aufblasen – statt ihre ganz individuell gewordenen Realitäten hie und da zu durchbrechen. Weltansichten und Meinungen werden extremer. Es wird immer schwieriger, individuelle Wirklichkeiten miteinander zu vereinbaren.

Drittens fällt es uns immer schwerer, zwischen der ersten und der zweiten Welt zu unterscheiden. Hat der Präsident das wirklich gesagt, oder handelt es sich um eine computergenerierte Fälschung? Ist die Geschichte, die uns der Präsident auftischt, wahr oder erlogen? Die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Realität und Abbild verschwimmen. Mehr denn je wirkt die geistige Welt auch physisch real. Haben Sie mal eine Virtual-Reality-Brille der neuesten Generation ausprobiert? Sind Sie sicher, dass Sie die Brille auch wieder abgesetzt haben? Noch immer lieben es die Menschen, darüber zu streiten, welches Modell das einzig wahre ist – und vergessen meistens, dass es sich eben »nur« um Modelle handelt. Statt zu akzeptieren, dass wir eine Vielzahl von Linsen nutzen und brauchen, um der Realität gerecht zu werden, heißt es dann: Es gibt nur einen Gott! Es gibt nur eine Art, zwischen Geschlechtern zu unterscheiden! Es gibt nur eine Art, einer Sache Wert beizumessen!

Doch gibt es keinen Rat der Weisen, keinen Weltgerichtshof, der uns an der Hand nimmt und den Weg aus dem Dickicht aus Sein und Schein zeigt. Weshalb wir, viertens, das Vertrauen in das Wechselspiel zwischen den beiden Welten verloren haben.

Die einen besinnen sich auf ein veraltet anmutendes Prinzip zurück: Ich glaube nur, was ich mit eigenen Augen gesehen habe. Es schneit im Juni? Da soll mir keiner erzählen, dass die Erde immer wärmer wird. Einwanderung ist gut fürs Land? Kann schon sein, aber ich habe schlechte Erfahrungen mit gewaltbereiten Flüchtlingskindern gemacht.

Doch bevor sich die linksliberalen, humanistisch aufgeklärten Primarlehrerinnen unter Ihnen jetzt allzu sehr in ihrer Meinung bestätigt fühlen: Auch das blinde Vertrauen in die Statistik birgt bekanntlich Gefahren. Es führt zu einer Illusion von Sicherheit und Berechenbarkeit. Selbstverständlich sollten wir uns von ein paar Gewalttäterinnen nicht dazu verleiten lassen, unsere offene Grundhaltung infrage zu stellen. Aber wir dürfen anerkennen, dass nicht alles reibungslos funktioniert. Einmal mehr: So einfach ist es nicht.5

Das Prinzip der Wissensgesellschaft baut darauf auf, kollektive geistige Welten zu errichten und diese in Änderungen in die reale Welt zu überführen. Das Wechselspiel von Terrain und Landkarte, Fakt und Fiktion, ist der Motor menschlichen Fortschritts und der Veränderung. Doch die Entfremdung von der physischen Welt, die Erosion kollektiver Glaubens- und Referenzsysteme, die zunehmende Vermischung von Fakt und Fiktion sowie der Vertrauensverlust in besagtes Wechselspiel bringen dieses Fundament ins Wanken. Ein Gefühl der Ohnmacht macht sich breit. Klimawandel, Demokratiekrise, Ungleichheit, monopolistische Organisationen, wahnsinnig gewordene Despoten und der Plan eines gesunden Lebens? Wir haben keine Chance.

Ein häufiger Lösungsvorschlag lautet: Mehr Rationalität! Mehr Fakten! Mehr Realitätsbezug! Nur: Ist es dafür nicht längst zu spät? Ist es nicht besser, den gegenteiligen Weg einzuschlagen? Leidet ein Mensch an Wahnvorstellungen, bringt es bekanntlich nichts, ihm zu erklären, dass es sich nur um Wahnvorstellungen handelt. Nur wenn Sie einen Schritt auf ihn zu machen und seine individuelle Wirklichkeit an- und wahrnehmen, können Sie ihm helfen, in eine allgemein akzeptierte Wirklichkeit zurückzukehren. Mit der Menschheit verhält es sich ähnlich. Möchte sie in die erste Welt zurückfinden, kommt sie nicht umhin, die zweite Welt und deren Mechanismen besser zu verstehen. Sie braucht Landkarten, um sich in der Welt der Landkarten zurechtzufinden. Doch mehr noch muss sie lernen, das Wechselspiel zwischen den Welten besser zu verstehen und bewusster zu leben. Darum geht es uns in Change it!.

Im Zentrum steht das zentrale Vehikel, um zwischen den Welten hin- und herzureisen: die Geschichte. Als ältestes Instrument, um Wirklichkeit zu konzeptionalisieren und zu reimaginieren, hatte das menschliche Gehirn Hunderttausende von Jahren Zeit, sich an sie zu gewöhnen. Weshalb sie die meisten von uns auch heute noch jeder Exceltabelle oder jedem logischen Argument vorziehen. Richtig eingesetzt, liegt ihr die Kraft inne, Völker zu Kreuzzügen und Genoziden anzustiften, Traumata zu heilen und dazu anzuspornen, zum Mond zu fliegen. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass die Geschichte – im Gegensatz zu allen anderen Formen der Konzeptionalisierung – per Definition ein Stück Information ist, das eine Transformation beinhaltet. Die Geschichte holt uns an Punkt A ab und trägt uns zu Punkt B – und transformiert dadurch auch uns. Geschichte ist Veränderung.

Doch natürlich reicht es nicht, einfach bessere, unterhaltsamere, modernere, archetypischere oder in sonst einer Weise optimierte Geschichten zu erzählen, um das Wechselspiel zwischen den Welten wirkungsvoller zu gestalten. Nein! Vielmehr gilt es, die Wirklichkeit geschichtlicher und Geschichten wirklicher zu begreifen – und zu verstehen, wo dem Grenzen gesetzt sind. Dazu möchten wir Sie mit Change it! anstiften.

Aber der Reihe nach.

Wie ist Change it! entstanden?

»Storytelling« und »Change« sind seit Jahren in aller Munde. Doch zu unserer großen Überraschung erleben wir sie nie in der Kombination. Mit Change it! möchten wir einen Beitrag leisten, damit sich dies – genau – ändert. Wie in einer Buddy-Cop-Komödie erteilen wir zwei komplett unterschiedlichen Charakteren – die quirlige Story auf der einen, der strenge Change auf der anderen Seite – den Auftrag, zusammen einen Fall zu knacken. Anfangs finden beide: Mit dem soll ich arbeiten? Unmöglich! Doch am Schluss geben sie zu: Okay … alleine hätte ich es nicht geschafft.

Doch wieso gerade wir?

Wie viele andere Menschen auch haben wir beruflich viel mit Transformation zu tun. Andri begleitet mit der Beratungs- und Kreativagentur Zense organisationale Veränderungsprozesse mittels Medien aller Art. Gieri arbeitet derzeit an der Transformation einer Airline mit und verhandelt Gewerkschaftsverträge. Beide haben wir immer wieder festgestellt: Es geht nicht ohne geschichtliche Referenzsysteme, ohne die Freude am Spiel mit den Wirklichkeiten und die Lust am Fabulieren und Imaginieren. Doch wirklich gefährlich wird es, wenn das Bewusstsein abhandenkommt, auf welcher (Un-)Wirklichkeitsebene man sich gerade befindet.6

Mit unserem ersten Buch Reframe it! haben wir die oben erwähnte Landkarte der Landkarten skizziert. Es umfasst eine Sammlung von Linsen, Modellen oder eben »Frames«, die die Annäherung an komplexe Wirklichkeiten erleichtern: wissenschaftliches Denken, Metaphern, Heuristiken, Sprache, Visualisierung und so weiter.

Mit Change it! machen wir den für uns logischen nächsten Schritt und fragen: Was braucht es, um diese komplexen Wirklichkeiten auch effektiv zu gestalten? Dafür wagen wir es, tiefer in die Welt des wirkungsmächtigsten Frames einzutauchen: der Geschichte.

Und wir geben es gerne zu: Auch wir sind manchmal grauenvolle Zauderer und Zögerer, gefangen in Fantasien, Konzepten und, ja, Geschichten. Und so ist die Arbeit an Change it! für uns auch mit einem eigennützigen Zweck verbunden: dass wir selbst lernen, entschiedener und mutiger auf das Neue zuzugehen und Konzeptionelles auf den echten, physischen Boden zu bringen.

Wie ist Change it! aufgebaut?

Das Buch widmet sich drei Fragen:

– Wie wird die Wirklichkeit zur Geschichte?

– Wie wird die Geschichte zur guten Geschichte?

– Und wie wird die gute Geschichte zur Realität?

Das Wechselspiel zwischen den Welten ist ein fortwährender Prozess. Die erste und die dritte Frage sind somit kaum voneinander zu trennen. Deshalb befassen wir uns in der ersten Hälfte des Buches mit den Zutaten guter (Veränderungs-)Geschichten. Was macht diese spannend und zugänglich? Was können wir von Geschichten lernen, um Wirklichkeit zu gestalten und zu begreifen? Was nicht? Zum Beispiel zeigen wir, dass das geschichtliche Verständnis des Begriffs der »Krise« dazu anzustiften vermag, tatkräftiger zu handeln – dass jedoch das für Geschichten so wichtige Prinzip der Kausalität in der Realität an seine Grenzen stößt.

Nach einem fließenden Übergang wendet sich die zweite Hälfte besagtem Wechselspiel zu. Wie muss unsere Vorstellung mit der Wirklichkeit korrespondieren, damit sich Gestaltungsräume öffnen? Welche Anforderungen stellt unsere sich so sehr im Wandel befindende Welt an die Art, wie wir uns Geschichten erzählen?

Jean-Luc Godard, der große französische Regisseur, hat einmal gesagt: Jede Geschichte hat einen Anfang, eine Mitte und ein Ende – aber nicht zwingend in dieser Reihenfolge. Ähnlich verhält es sich mit diesem Buch.7 Natürlich fühlen wir uns geehrt, wenn Sie es von vorn bis hinten lesen. Aber wir haben Change it! so angelegt, dass jedes Kapitel für sich spricht. Vielleicht sticht Ihnen ja während der nächsten Toilettenpause das »C wie Challenge«-Kapitel ins Auge, oder Sie haben nach der nächsten Lohnverhandlung das Bedürfnis, mehr über »C wie Conflict« zu erfahren. Change it! ist ein »Hypertext«. Sie können einsteigen, wo Sie möchten, und fast alle Kapitel nehmen Bezug aufeinander.

Vielleicht werfen Sie an dieser Stelle einen Blick auf die Übersicht im Vorsatz, welche das Wechselspiel der beiden Welten verbildlicht. Wie Sie spätestens jetzt bemerkt haben, beginnt jedes Kapitel mit dem Buchstaben C. C wie Change. In vielen Kulturen ist C ein Symbol für die Offenheit gegenüber Neuem, für das Zusammenführen zweier Hälften und auch für das Göttliche und Spirituelle. Sie werden sehen: Das passt ganz gut.8

An wen richtet sich Change it!?

Wie im großspurigen Untertitel versprochen, richtet sich das Buch an alle, die sich privat oder beruflich mit der Gestaltung von Wirklichkeiten beschäftigen.

Mit jedem Kapitel verfolgen wir dreimal drei Ziele. Wir möchten dazu anstiften, gesellschaftlichen, organisationalen und individuellen Wandel neu zu denken. Gleichzeitig wünschen wir uns, dass Sie auf jeder Ebene in dreifacher Hinsicht profitieren: erstens beim Schreiben und Erzählen von Geschichten. Zweitens beim Kommunizieren komplexer Sachverhalte. Und drittens bei der konkreten Ausgestaltung von Change-Prozessen. Für echte Wirksamkeit bedarf es unserer Meinung nach aller drei Punkte.9

Doch Achtung: Change it! ist kein Change-Buch im herkömmlichen Sinn. Es gibt Ihnen keine Schablonen an die Hand, um Organisationen umzukrempeln, Regierungen zu stürzen oder Ihr eigenes Verhalten zu bessern. Dafür gibt es klügere Bücher von klügeren Menschen. Und ja, oft ist Veränderung verdammt hart und verdammt schwierig und tut verdammt weh. Dem kann auch Change it! nichts entgegensetzen. Aber vielleicht gelingt es uns, der bitteren, aber oft bitter nötigen Medizin den berühmten Löffel Zucker beizufügen und Sie zu einer verspielteren und bewussteren Herangehensweise an die Gestaltung von Veränderung zu verleiten.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen und eine gute Reise von der einen in die andere Welt – und wieder zurück.

1 Bereits in unserem Buch Reframe it! haben wir die weibliche Form als Standard benutzt und waren erstaunt über die vielen wutentbrannten Kommentare. Sollten auch Sie ein Problem mit den vielen Ins und Innen in diesem Buch haben, schlagen wir erneut vor, dass Sie sich schleunigst auf Ihr Pferd schwingen, ins nächste Dorf reiten, die Pfarrerin aus dem Bett klingeln und ihr von den schlimmen Neuigkeiten berichten. Dieses Mal wird sie den weiten Weg zu uns höchstpersönlich auf sich nehmen, um uns Ihre Besorgnis zu erläutern.

2 Sie kennen diesen Begriff vielleicht vom israelischen Superhistoriker Yuval Noah Harari.

3 Dies wurde vom neuseeländischen Politologen und Intelligenzforscher James R. Flynn entdeckt und wird daher »Flynn-Effekt« genannt.

4 Vielleicht denken Sie jetzt: Die Menschheit wird klüger! Doch was ist mit diesen durchgeknallten Verschwörungstheoretikerinnen, die das amerikanische Regierungsgebäude stürmten? Oder wer weiß heute noch, wie Proust mit Vornamen hieß? Lesen Sie erst mal weiter. Ah, und Jean-Jacques hieß er.

5 An die vorangegangene Fußnote anknüpfend: Nur weil die Zeitungen uns mit Bildern einiger weniger Idiotinnen bombardieren, heißt das noch lange nicht, dass die ganze Welt verblödet. Im Gegenteil. Psychologen nennen dies eine »Verfügbarkeitsheuristik«. Wir tendieren dazu, das zu überschätzen, was in unserem Gehirn gerade »verfügbar« ist. Oft sind das Bilder von Un- oder Vorfällen, die wir in den Medien aufgeschnappt haben. Doch der Clou ist: Die Medien haben ja nur über diese berichtet, weil es sich um besondere und eben nicht häufige Ereignisse handelt.

6 Auch wir beobachten mit großer Besorgnis, wie immer weiter auseinanderdriftende Wirklichkeiten die friedliche Gestaltung unseres Heimatplaneten gefährden. Man denke an den imperialistischen Einmarsch Russlands in die Ukraine, an den Totalitarismus Chinas, an den Größenwahn superreicher Tech-Magnaten oder die Geflüchtetenpolitik Europas.

7 Ansonsten ist Change it! hoffentlich lustiger und kurzweiliger als Godard-Filme. Dafür kommen vielleicht nicht ganz so viele attraktive Französinnen und Franzosen vor. Aber wir haben uns Mühe gegeben (siehe unter anderem Morris Honeggers Liebestriangel mit Claire und Antoine Dubois auf den Seiten 439 ff.).

8 Geprägt von der angelsächsischen (Pop-)Kultur, haben wir fast allen Kapiteln englische Namen gegeben. Auch sonst sind wir nicht darum herumgekommen, den Welten des »Storytellings« und »Change-Managements« den einen oder anderen Anglizismus zu entlehnen. Bei unserem letzten Buch hat dies – genau wie die konsequente Verwendung der weiblichen Form – einige Leserinnen offenbar über alle Maßen genervt. Zusammen mit unserem lieben Lektor haben wir versucht, unklare Ausdrücke wann immer möglich zu übersetzen oder zu erklären. Aber dieses Buch ist definitiv nichts für (Sprach-)Puristen. Wenn sich die Wirklichkeit verändert, müssen auch deren Abbilder Schritt halten. Und dazu gehört auch die Sprache. Sind Sie anderer Meinung, geben Sie Ihrem Pferd heute Abend besser eine Extraration Hafer, damit es den Weg zur Pfarrerin auch noch ein zweites und drittes und viertes Mal schafft.

9 Dieser in den Unterkapiteln »Kernpunkte und Anwendungsideen« verwendete Dreiklang führt zwangsweise zu der einen oder anderen Wiederholung. Doch wir halten uns hier an das gute alte Pädagogik-Prinzip repetieren, repetieren, repetieren.

C WIE CONSTRUCTION

Die Dramaturgie der Veränderung

Den japanischen Tausendsassa Takeshi Kitano kennen Angehörige unserer Generation vor allem als Endgegner der abgedrehten Fernsehsendung Takeshi’s Castle. Aber darüber hinaus ist er nicht nur ein von Cineastinnen gefeierter und mit Preisen überschütteter Autorenfilmer, sondern auch der Verfasser des kürzesten Epos der Welt: Der Samurai auf der Toilette. Die in ihrer ursprünglichen Form bereits vor fünfzig Jahren, also lange vor dem Emoji-Zeitalter, verfasste Geschichte geht wie folgt:

Wir würden das Werk wie folgt zusammenfassen: 10 Es war einmal ein Samurai. Plötzlich musste er mal. Er ging. Und danach ging es ihm besser.

Takeshi Kitanos Geschichte eignet sich gut, um der Lieblingsfrage aller Storytelling- und Change-Interessierten auf den Grund zu gehen: Gibt es eine universelle Struktur, welcher alle Geschichten folgen oder folgen sollten? Seit jeher bemühen sich Denkerinnen aus allen Ecken der Welt darum, Theaterstücke, Märchen, Sagen, Bücher, Hollywoodfilme, Alltagserzählungen, Träume sowie reale Veränderungsprozesse auf gemeinsame Essenzen herunterzukochen.

Der altgriechische Philosoph Aristoteles war einer der Ersten, die sich daran versuchten. Dabei ließ er den Topf so lange auf dem Feuer, bis nur noch drei Elemente übrig waren. Ein Anfang, eine Mitte und ein Ende. Am Anfang ist da also der Samurai. Dann passiert irgendetwas mit ihm. Und am Ende ist der Samurai glücklich(er).

Wir konnten der Einfachheit von Aristoteles’ Schema lange Zeit nichts abgewinnen. Ein Anfang, eine Mitte und ein Ende? Ist das nicht selbstverständlich? Doch ein kluger Mann hat mal zu uns gesagt: »Common place is the least common of all places.« Gemeinplätze sind die am wenigsten frequentierten Plätze. Für uns lag die große Einsicht schließlich darin, dass sich Anfang und Ende unterscheiden und die Unterscheidung in der Mitte passiert.

In anderen Worten: Jede Geschichte beginnt mit einer alten Stabilität (Anfang), dann findet ein Aufbrechen und Verändern statt (Mitte), und schließlich folgt eine erneute Stabilisierung, die in einer neuen Stabilität mündet (Ende).

Genau dasselbe hat auch der deutschamerikanische Psychologe Kurt Lewin mit seinem berühmten, aus keiner BWL-Einführungsveranstaltung mehr wegzudenkenden Change-Schema beschrieben: Unfreeze, change, freeze. Auftauen, verändern, einfrieren.11

Doch was passiert in besagter Mitte? Was ist die Veränderung?

Eines unserer Lieblingsschemata teilt die Mitte entzwei. Es besteht aus den Elementen Aufhänger (Anfang), Problem und Lösung (Mitte), Konklusion (Ende).

Zuerst wirft man den Angelhaken aus, um das Interesse des Publikums zu wecken und es über den Status quo zu informieren. Ein Samurai als Charakter ist da sicher nicht verkehrt (wir lieben Samurais). Dann wird der Charakter mit einem Problem konfrontiert: Er muss mal. Er sucht eine Lösung – eine Toilette – und findet sie. Und am Ende folgt die Konklusion, die Schluss-Folgerung: Das Problem ist gelöst. Und der Charakter ist erleichtert. Er hat sich verändert.12

Popularisiert wurde das APLK-Schema vom Apple-Gründer Steve Jobs, der fast alle seine verblüffend einfachen Präsentationen danach strukturierte. Doch auch viele auf Veränderung ausgerichtete Modelle aus der Betriebswirtschaft folgen im Grunde besagter Struktur. Beispielsweise erzählt die klassische, von amerikanischen Business-Schools geprägte Unternehmensstrategie nichts anderes als eine (Wunsch-)Geschichte:

– Den Aufhänger bildet die Mission, der Auftrag der Organisation. Was macht die Organisation eigentlich? Zum Beispiel: »Wir bieten Bankdienstleistungen an und stellen die Liquidität des Wirtschaftssystems sicher.«

– Es folgt eine Situationsanalyse: Wo liegen die Probleme? »Google und Apple drängen in den Markt!«

– Zur Lösung werden Maßnahmen beschlossen und »Capabilities«, Fertigkeiten, entwickelt. »Wir brauchen ein E-Banking!«

– Und schließlich sollen Ziele und eine übergeordnete Vision erreicht werden. »Wir werden als neuer Global Player aus der Asche emporsteigen!« 13

Und natürlich lässt sich das Strategie-Schema wiederum auch auf Geschichten anwenden: Die Mission des Samurais ist es, ein guter Krieger zu sein, seine Vision, der flinkste, leichteste, schnellste aller guten Krieger zu sein. Doch sein Problem ist sein Darm (hätte ihm sein Krieger-Konkurrent bloß keine zweite Ramen-Suppe spendiert!). Und die Maßnahme ist das Aufsuchen einer Toilette.